Tagesblick – 9.10.2023 Montag

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HELLMEYER (BUNTROCK)

  • Naher Osten Hypothek für Weltpolitik, Weltwirtschaft und Finanzmärkte?
  • Wahlen mit Implikation für Berlin: „Regierung ohne Volk“
  • Deutschlands öffentliche Verschuldung nimmt zu

MÄRKTE

Märkte: Freundlicher Wochenausklang, unfreundlicher Wochenstart?

Der Wochenausklang verlief freundlich, der Markt rang sich zu leichter Risikofreude durch. Der

US-Arbeitsmarktbericht fiel auf ersten Blick bezüglich neu geschaffener Stellen quantitativ

deutlich besser als erwartet aus (Thema Zinsängste), die Qualität ließ jedoch zu wünschen übrig

(siehe Datenpotpourri).

Der Wochenstart ist von Geopolitik bezüglich der Situation im Nahen Osten belastet (siehe unten). Für die Weltwirtschaft und den Finanzmarkt ist es entscheidend, ob es ein lokaler Konflikt bleibt oder sich der Konflikt im Nahen Osten ausdehnt.

Die Wahlen in Hessen und Bayern haben keine signifikanten Einfluss, jedoch innenpolitische Signifikanz.

Die Aktienmärkte lieferten im Wochenvergleich (Freitagsschlusskurse) ein durchwachsenes Bild.

Der DAX verlor circa 1%, der EUROSTOXX 50 war kaum verändert, gleiches gilt für den Dow Jones,

während der S%P 500 circa 0,5% zulegen konnte.

An den Rentenmärkten zeigt sich weiter Zinsversteifung. Im Wochenverlauf wurden

Höchstrenditen der 10 jährigen Staatsanleihen in den USA bei 4,88% markiert. Aktuell stellt sich

die Rendite auf 4,74% (Vorwoche 4,61%). 10 jährige Bundesanleihen werfen heute früh eine

Rendite in Höhe von 2,90% ab. Die Höchstrendite in der abgelaufenen Woche lag bei 3,02%

(Vorwoche Eröffnung bei 2,85%).

Der EUR zeigt sich im Wochenvergleich stabil. Letzte Woche lag die Eröffnung bei 1,0570, heute

bei 1,0562. Im Verlauf der Woche wurden Tiefstkurse bei 1,0449 markiert. Die Höchstkurse lagen

bei 1,0596. Die Erholung im Wochenverlauf hatte keine fundamentale Unterfütterung (Technik).

Die Edelmetalle standen im Wochenverlauf zunächst unter Druck. So sank Gold von einer

Eröffnung letzter Woche bei 1844 USD auf bis zu 1812 USD, um dann diese Woche im Zuge der

geopolitischen Verwerfungen im Nahen Osten bei 1852 USD zu eröffnen.

Für Silber ergibt sich ein ähnliches, aber volatileres Bild. Hier lag die Eröffnung letzte Woche bei

21,86 USD, um dann bis zu 20,71 USD zu fallen . Die Eröffnung heute früh liegt nahezu

unverändert zu dem Wochenstart letzter Woche bei 21,85 USD.

Fazit: Der Fokus liegt diese Woche auf der Krisenentwicklung im Nahen Osten.

Berichte & Analysen – Auswahl

Berlin: Die BIP Prognose der Regierung wurde per 2023 von +0,4% auf -0,4%

revidiert. 2024 wird ein Wachstum in Höhe von 1,3% und 2025 von 1,5% unterstellt.

Nach Ansicht der Regierung wirkten gute Lohn- und Gehaltsentwicklungen als auch

ein robuster Arbeitsmarkt perspektivisch stabilisierend.

Berlin: Kanzler Scholz fordert EU-Reformen (u.a. Entscheidungsstrukturen) vor

weiteren Erweiterungen der EU.

• Washington: Steinmeier und Biden betonten bei Steinmeiers Besuch in den USA die

Partnerschaft und den Schulterschluss bei Ukraine-Hilfe.

Deutschland: Wahlen in Bayern und Hessen

Freie Wähler in Bayern: 15,8%

Kommentar: Die Wahlen schaffen Fakten. Es gibt eine Mehrheit jenseits der Ampelparteien. Die

Parteien der Ampel verloren in Bayern 6,6% und in Hessen 12,2% gegenüber der letzten

Landtagswahl. Gekoppelt mit den Meinungsumfragen erlaubt sich die Feststellung, dass die

Ampel-Regierung in Berlin eine Regierung ohne Volk ist (Zustimmungswerte um 20%). Die

Forderung seitens des Souveräns mahnt eine Neuausrichtung der Politik an. Wird sie geliefert?

Deutschlands öffentliche Verschuldung nimmt zu

In Deutschland hat sich die Verschuldung im öffentlichen Gesamthaushalt während

der 1. Jahreshälfte 2023 im Jahresvergleich mehr als verdoppelt. Insgesamt schlossen

Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung das 1. Halbjahr mit einem Defizit

von 76,1 Mrd. EUR ab (Vorjahr 32,9 Mrd. EUR). Während die Ausgaben mit rund 11%

stiegen, nahmen die Einnahmen um circa 6% zu

Die Haushalte der Länder waren mit einem Defizit in Höhe von 0,1

Mrd. EUR knapp ausgeglichen. Auf Ebene der Gemeinden lag die Verschuldung bei 7,3 Mrd.

EUR, während der Bund mit einem Defizit von 64,2 Mrd. EUR den größten Teil trug.

Kommentar: Im Hinblick auf die Konjunkturverfassung ist diese Entwicklung nicht erstaunlich,

sondern sie war zu erwarten (Unternehmen/Kapitalstock Basis aller Einkommen).

Auch schlugen sich die gestiegenen Zinsen für Kredite und Darlehen vor allem auf

Bundesebene nieder. Der Zinsaufwand des Bundes steigerte sich um 411,5% gegenüber dem

Vorjahreszeitraum auf 29,3 Mrd. EUR.

Kommentar: Das wirft Fragen auf.

  • Hat die Bundesschuldenverwaltung die Duration der Staatsverschuldung auf zu kurzfristigem Niveau refinanziert?
  • Hat man die historische Anomalie des Negativzinses nicht ansatzweise für eine historisch betrachtet lange Duration genutzt? Falls das wie ein Vorwurf klingt, ja, es ist ein Vorwurf, denn wer historische Anomalien (Chancen) nicht zu Gunsten der „Res Publica“ nutzt, agiert nicht professionell!

Krise Palästina/Israel

Der unerwartete umfassende militärische Angriff der Hamas auf Israel bringt die

ganze Region in ein Ungleichgewicht. Im Hinblick auf die gewichtige geopolitische als

auch geowirtschaftliche Bedeutung der Region des Nahen Ostens läuft die

internationale Diplomatie auf Hochtouren, um eine Konfliktausweitung zu verhindern.

Ist der Nahe Osten die nächste Hypothek für Weltpolitik, Weltwirtschaft und Finanzmärkte?

Kommentar: Ich begrüße die diplomatischen Bemühungen. Dieser seit 1948 schwelende

Konflikt um den Status Palästinas hat einen weiteren Eskalationspunkt mit der Aggression der

Hamas erreicht. Sowohl für das Schicksal der Region als auch der Folgen für den Rest der Welt

ist es von hoher Bedeutung, dass die jetzt anlaufende Diplomatie zu einer zügigen Befriedung

der Region führt. Mehr noch ist es von hoher Bedeutung, eine nachhaltige Lösung für alle

Beteiligten zu finden. Dieses Ziel wurde seit 1948 verfehlt (vor 1921 Teil des Osmanischen

Reiches, 1921-1948 Palästina britisches Mandatsgebiet, 1988 als Staat [einseitig in der Deklaration von Algier] ausgerufen, 1994 Einrichtung palästinensischer Autonomiegebiete, 2012 UN-Resolution 67/19 Aufwertung Palästinas zum Beobachterstaat in den Vereinten Nationen).

Sollte sich der Konflikt ausweiten, ergäben sich für die Weltwirtschaft als auch die Weltfinanzmärkte Belastungen, die in ihrer Tragweite noch nicht messbar sind. Wieviel geopolitische Krisen verträgt diese Welt?

Datenpotpourri

Eurozone: Deutscher Auftragseingang setzt positiven Akzent

Deutschland: Der Auftragseingang der deutschen Industrie nahm per August im

Monatsvergleich um 3,9% (Prognose 1,8%) nach zuvor -11,3% (revidiert von -11,7%) zu.

USA: Arbeitsmarktbericht liefert zwei Interpretationsmöglichkeiten

Auf ersten Blick war der US-Arbeitsmarktbericht bezüglich der „Nonfarm Payrolls“ unerwartet stark. Das gilt auch für die Revision der Daten des Vormonats. Alle übrigen Daten lagen an oder nahe an den Konsensuswerten.

Der zweite Blick offeriert Fissuren im Hinblick auf die Qualität der Jobs. So nahm die Zahl der Vollbeschäftigten unbereinigt per September um 885.000 auf den niedrigsten Stand seit Februar 2023 ab. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten stieg unbereinigt um 1.127.000 und markierte den höchsten Stand seit Januar 2023. Es geht nicht nur um die Zahl der Jobs bei der Einwertung für die Wirtschaft, sondern auch um die dahinterstehenden Lohnsummen, die regelmäßig bei Vollzeitbeschäftigten höher sind.

US-Verbraucherkredite sanken unerwartet per August um 15,63 Mrd. USD (Prognose +11,7 Mrd. USD) nach zuvor +10,99 Mrd. USD (revidiert von +10,40 Mrd. USD). In den letzten 10 Jahren kam es nur sechsmal zu einer Reduktion der Verbraucherkredite (01/2021 -1,31 Mrd. USD, 08/2020 -7,22 Mrd. USD, 05/2020 -18,28 Mrd. USD, 04/2020 -68,78 Mrd. USD, 03/2020 -12,04 Mrd. USD). Maßgeblich waren die Rückgänge mit den Corona-Hilfsmaßnahmen der US- Regierung korreliert. Diese Entwicklung wirft Fragen über die Kreditverfügbarkeit für breite Massen (u.a. Aspekt Bonität) auf, sofern sich diese Tendenz fortsetzen sollte.

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SENTIX

Ergebnisse des sentix Global Investor Survey (40-2023): Hartnäckiger Pessimismus, nachhaltige Zuversicht

Das Anlegersentiment zeigt über alle Assetklassen hinweg neutrale oder meist sogar negative Werte an. Nur bei USD/JPY zeigt sich Optimismus. Ansonsten kämpfen Aktien genauso wie Renten und die Rohstoffe mit einem hartnäckigen Pessimismus. 

Paradox: Mittelfristig können sich die Anleger durchaus für fast alle Assets erwärmen. Das Anlagerverhalten spricht grundsätzlich dafür, dass man aktuell mehr Risiko nehmen sollte.

Weitere Ergebnisse

  • Renten: Instis sind besonders zuversichtlich
  • FX: Sonderstellung USD/JPY
  • sentix Konjunkturindex: Montag, 09.10.2023 um 10:30 MESZ

ÜBERSICHT

Einfluss: negativ (oder bedeutungsvoll), positiv, sowohl negativ als auch positiv, neutral, Kriegseinfluss, neutral oder nicht bewertet

Einflussstärke: fett => stark   oder   neutral, aber bedeutsam ohne klaren Einfluss

DAX-Schluss am Freitag mit 15.230 Punkten. DAX am oberen Rand der Widerstandszone angekommen, die vom März herstammt. Sehr schön zu sehen im Chart das rounding top bzw. die umgekehrte Untertasse. Diese Formation hat sich von April bis Mitte September ausgebildet. Das bedeutet in der Regel für längere Zeit nichts Gutes.

Aktien Frankfurt Eröffnung: Wieder Verluste nach Erholung

FRANKFURT (dpa-AFX) – Der Dax hat nach der jüngsten Erholung am Montag wieder Verluste erlitten. Für Verunsicherung sorgt laut der Landesbank Helaba der Angriff der Hamas auf Israel, der auch die Ölpreise kräftig anziehen lässt. Der überraschend deutliche Rückgang der deutschen Industrieproduktion im August gab unter dem Strich kaum Impulse.

In den ersten Handelsminuten sank der Dax um 0,50 Prozent auf 15 153,15 Punkte. Damit rückt wieder das jüngste Tief seit Ende März bei 14 948 Punkten in den Fokus. Am Freitag hatte der deutsche Leitindex nach dem monatlichen US-Arbeitsmarktbericht mit deutlichen Gewinnen sein Wochenminus eindämmen können. Der MDax der mittelgroßen Unternehmen verlor am Montagmorgen 0,59 Prozent auf 25 252,76 Punkte. Für den Eurozonen-Leitindex Eurostoxx 50 ging es um 0,4 Prozent bergab.

Auch zwei Tage nach dem massiven Angriff der islamistischen Hamas auf Israel gehen die Kämpfe weiter. Die israelische Luftwaffe bombardierte weitere Ziele der Hamas im Gazastreifen, während die USA als Reaktion auf den Konflikt einen Flugzeugträger und weitere Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer verlegten./gl/men

Märkte in Asien am frühen Morgen: Die Gewalt im Nahen Osten schürt die Unsicherheit an den Weltmärkten. Die Börse in Shanghai gab um 0,7 Prozent nach. Der Index der wichtigsten Unternehmen in Shanghai und Shenzhen verlor 0,6 Prozent. Feiertage in Japan und Südkorea sorgten für ein dünnes Marktumfeld, die Börse in Hongkong blieb wegen der Ausläufer des jüngsten Taifuns zunächst geschlossen.

TRENDUMFRAGE/DAX 0,7 Prozent niedriger erwartet

EUREX/Renten-Futures gesucht – Flucht in sichere Häfen

FRANKFURT (Dow Jones)–Kräftig aufwärts geht es am Montagmorgen mit den deutschen Renten-Futures. Die Sorge vor einer Ausweitung des Überfalls auf Israel zu einer Nahost-Krise sorgt für eine Flucht in sichere Häfen. Der Dezember-Kontrakt des Bund-Futures steigt um 69 Ticks auf 128,54 Prozent. Das Tageshoch liegt bislang bei 128,58 Prozent und das Tagestief bei 128,09 Prozent. Umgesetzt wurden bisher 47.200 Kontrakte. Der Buxl-Futures steigt um 124 Ticks auf 120,42 Prozent. Der Bobl-Futures gewinnt 35 Ticks auf 116,04 Prozent.

Termine

Gasspeicher: Die Monopolkommission des Bundes stellt in Berlin das Gutachten „Mit Wettbewerb aus der Energiekrise“ vor. Darin geht es auch um die Versorgungssicherheit der Bundesrepublik im Strom- und Gassektor.

Währungsfonds: Der Internationale Währungsfonds (IWF) lädt zur Jahrestagung ins marokkanische Marrakesch. Bei dem Treffen kommen Finanzminister, Vertreter der Finanzwirtschaft und der Entwicklungszusammenarbeit sowie Zentralbanker zusammen. Dabei wird der IWF auch eine neue Prognose für die weitere Entwicklung der globalen Konjunktur vorstellen.

Industrieproduktion: Das Statistische Bundesamt stellt aktuelle Zahlen zur deutschen Industrieproduktion vor. In den vergangenen Monaten hatte die deutsche Industrie weniger produziert. Im August war jedoch der Auftragseingang im verarbeitenden Gewerbe überraschend stark um 3,9 Prozent gestiegen. Das hat die Hoffnung genährt, dass die Zahlen aus der Industrie ebenfalls überraschen.

Investorenvertrauen: Das Sentix-Investorenvertrauen wird veröffentlicht. Die monatliche Umfrage zeigt die Marktmeinung von 1600 Analysten und institutionellen Investoren über die aktuelle wirtschaftliche Lage in der Euro-Zone und die Erwartungen für das nächste Halbjahr. In den vergangenen Monaten war das Stimmungsbarometer leicht gesunken.

Zahlen von OMV: Der österreichische Öl-, Gas- und Chemiekonzern OMV präsentiert seine Umsätze für das abgelaufene dritte Quartal. Zuletzt hatten Forscher des Unternehmens in Österreich ein riesiges Gasfeld gefunden.

Marktumfeld

HB – KI und die Vermögensverwaltungen von morgen

Der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) hat sich in der Vermögensverwaltung längst etabliert: Bei Anbietern wie Acatis, First Private oder auch Tungsten Capital Management dienen KI-basierte Ansätze als Teil der täglichen Anlagestrategie, etwa bei der Aktienauswahl. Die Analysewerkzeuge durchforsten dann beispielsweise unterschiedlichste Daten zu Unternehmen wie etwa Geschäftsberichte, Analystenkommentare, historische Kursdaten und leiten daraus eine Einschätzung zur Attraktivität ab. In der Regel prüft ein menschlicher Fondsmanager die Ergebnisse, bevor ein KI-Urteil in eine echte Transaktion umgesetzt wird.

Es gibt aber neue potenzielle Einsatzgebiete in der Vermögensverwaltung, die bislang kaum genutzt werden, etwa in der Steuerung von Anleiheportfolios oder bei der Strukturierung von Portfolios nach Anlageklassen. Die Folge wäre, dass Fondsgesellschaften mit deutlich weniger Personal auskommen. „Vielleicht wird jeder dritte oder vierte Fondsmanager eingespart“, sagt Hendrik Leber, Chef der Anlagefirma Acatis Investment. Ob mit den Einsparungen allerdings die Margen steigen, darüber gehen die Meinungen auseinander

Zentralbanken

INTERNATIONAL

AMERIKA: USA, VENEZUELA

ASIEN: CHINA, JAPAN u.a.

AUSTRALIEN

AFRIKA

NAH-/MITTELOST: ISRAEL u.a.

KRIEG IN ISRAEL

Israel-Krieg im Liveticker

+++ 08:00 Mehr als 2300 Israelis in Krankenhäusern +++
Seit Kriegsbeginn wurden 2382 verwundete Israelis in Krankenhäuser gebracht, 22 davon in kritischem, 345 in ernstem Zustand. Das teilt das israelische Gesundheitsministerium mit.

+++ 07:05 Israelische Armee: Mehr als 500 Hamas-Ziele im Gazastreifen getroffen +++
48 Stunden nach Beginn des Angriffs der radikalislamischen Hamas auf Israel hat die israelische Armee nach eigenen Angaben hunderte Ziele im Gazastreifen ins Visier genommen. Über Nacht hätten „Kampfjets, Hubschrauber, Flugzeuge und Artillerie der israelischen Armee mehr als 500 terroristische Ziele der Hamas und des Islamischen Dschihad im Gazastreifen getroffen“, erklärt die israelische Armee.

+++ 06:43 Bericht: Iran hat Angriff zusammen mit Hamas organisiert +++
Der Iran hat einem Bericht zufolge den Angriff auf Israel gemeinsam mit der Hamas organisiert und am vergangenen Montag final abgesegnet. Das berichtet das „Wall Street Journal“ unter Berufung auf ranghohe Mitglieder der Hamas selbst. Mitglieder der schiitischen Hisbollah-Miliz aus dem Libanon, die ebenfalls vom Iran unterstützt wird, sollen die Darstellung bestätigt haben. Demnach haben Offiziere der iranischen Revolutionsgarden den Großangriff auf Israel gemeinsam mit der Hamas seit August in der libanesischen Hauptstadt Beirut vorbereitet. Ein Sprecher der iranischen Vertretung bei den UN wies die Darstellung zurück. Er erklärte, der Iran unterstütze den Angriff, habe ihn aber nicht organisiert.

+++ 06:10 Israel: Hamas benutzt Zivilisten als Schutzschilde +++
Die islamistische Hamas benutzt nach Angaben der israelischen Armee Zivilisten als „menschliche Schutzschilde“. Zudem verstecke die Hamas im Gazastreifen terroristische Infrastruktur in zivilen Gebieten. In einer mit Fotos versehenen Auflistung von „Kriegsverbrechen der Hamas“ führten die IDF an, dass die Hamas Leichen schände und verstümmele, absichtlich Zivilisten töte, entführe und als Geiseln halte.

+++ 03:55 Israels Luftwaffe bombardiert Hamas-Zentralen +++
Die israelische Luftwaffe hat nach den verheerenden Angriffen der islamistischen Hamas weitere Ziele im Gazastreifen bombardiert. Man habe unter anderem ein Gebäude angegriffen, in dem Angehörige der Hamas untergebracht waren, teilen Israels Verteidigungskräfte (IDF) am frühen Morgen in ihrem Kanal im Nachrichtendienst Telegram mit. Zugleich seien mehrere Kommandozentralen der Hamas attackiert worden, darunter eine von Mahmad Kaschta, einem hochrangigen Mitglied der Marine. Die IDF habe ferner eine operative Einrichtung der Hamas ins Visier genommen, die sich in einer Moschee in der Stadt Dschabalia befunden habe, heißt es.

+++ 01:55 Washington bestätigt Tod von mehreren US-Bürgern +++
Bei dem Großangriff der radikalislamischen Palästinenserorganisation Hamas auf Israel sind nach Angaben der Regierung in Washington auch US-Bürger getötet worden. Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA bestätigte den Tod „mehrerer US-Bürger“ und sprach den Opfern und ihren Familien sein Beileid aus. Weitere Details nannte er nicht. CNN berichtet, es handele sich um drei US-Bürger, die in den israelischen Gebieten nahe der Grenze zu Gaza starben.

+++ 00:50 Nicht einstimmig: UN-Sicherheitsrat verurteilt Angriff auf Israel +++
Zahlreiche Mitglieder des UN-Sicherheitsrats verurteilen bei einer Dringlichkeitssitzung in New York den massiven Angriff der Palästinenserorganisation auf Israel. Die Reaktion erfolgt jedoch nicht einstimmig, wie der US-Botschafter bei der UNO, Robert Wood, nach der Sitzung betont. „Es gibt eine ganze Reihe von Ländern, welche die Angriffe der Hamas verurteilt haben. Aber es sind offensichtlich nicht alle“, erklärt Wood, ohne Staaten wie Russland explizit zu nennen.

06:03ROUNDUP: Israel setzt Kampf gegen Hamas-Angreifer fort – Mehr als 1000 Tote204dpa-AFX
19:51ROUNDUP: Mindestens 700 Tote in Israel nach Großangriff aus Gaza166dpa-AFX
17:27GESAMT-ROUNDUP: Scholz sagt Israel unverbrüchliche Solidarität Deutschlands zu284dpa-AFX
17:15ROUNDUP: Mehr als 100 Entführte und 600 Tote nach Hamas-Großangriff in Israel311dpa-AFX
16:27ROUNDUP: Scholz versichert Israel unverbrüchliche Solidarität Deutschlands361dpa-AFX
16:15GESAMT-ROUNDUP/Experten: Russland wird Israel-Lage für Krieg in Ukraine nutzen424dpa-AFX
15:21ROUNDUP: Deutsche Palästinenser-Hilfe nach Angriff auf Israel in der Kritik265dpa-AFX
14:45ROUNDUP: Mindestens 500 Tote in Israel nach Großangriffen aus Gaza267dpa-AFX
12:15ROUNDUP: Israel schlägt nach Großangriff aus Gaza mit Bombardement zurück424dpa-AFX
11:15ROUNDUP: Baerbock warnt nach Großangriff auf Israel vor ‚großer Eskalation‘294dpa-AFX
SaGESAMT-ROUNDUP 3/Hamas-Angriff auf Israel: Zahlreiche Tote, Hunderte Verletzte417dpa-AFX
SaGESAMT-ROUNDUP 2: Großangriff der Hamas auf Israel612dpa-AFX
SaGESAMT-ROUNDUP: Hamas greift Israel massiv an – Netanjahu: ‚Wir sind im Krieg‘389dpa-AFX
SaROUNDUP/Netanjahu nach Attacke aus Gaza: ‚Bürger Israels, wir sind im Krieg.‘

WEITERE MELDUNGEN

EUROPA

EU/SCHULDENREGELN – Die spanische EU-Ratspräsidentschaft hat den Mitgliedstaaten einen neuen Entwurf zur Reform der europäischen Schuldenregeln vorgelegt. Das Papier liegt dem Handelsblatt vor. Die 27 EU-Finanzminister beraten seit Monaten über die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts, der Regeln für Haushaltsdefizite und Schuldenquoten festlegt. Er ist seit Beginn der Corona-Pandemie ausgesetzt und soll zum Ende des Jahres runderneuert wieder in Kraft treten. Die Finanzminister liegen aber in mehreren Punkten auseinander: Während südeuropäische Länder auf mehr Flexibilität drängen, fordern Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und einige nordeuropäische Staaten möglichst verbindliche Vorgaben zum Schuldenabbau. Das spanische Papier versucht nun einen Kompromiss. (Handelsblatt)  

DEUTSCHLAND

WAHLUMFRAGEN

WEITERE MELDUNGEN

Deutschland: Produktion gibt weiter nach

WIESBADEN (dpa-AFX) – Die deutsche Industrie entwickelt sich weiter schwach. Im August ging die Gesamtproduktion gegenüber dem Vormonat um 0,2 Prozent zurück, wie das Statistische Bundesamt am Montag in Wiesbaden mitteilte. Analysten hatten im Schnitt einen Rücksetzer um 0,1 Prozent erwartet. Der Rückgang folgt auf ein Minus im Vormonat, das nach neuen Daten mit 0,6 Prozent etwas schwächer ausfällt als bisher bekannt. Im Vergleich zum Vorjahresmonat ging die Herstellung im August deutlich um 2,0 Prozent zurück./bgf/stk

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GASTRONOMIE/HAUSHALT – Die von der CDU/CSU sowie Branchenvertretern mit Vehemenz geforderte Verlängerung der Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie würde enorme Ausfälle im Haushalt bedeuten. Das zeigt eine neue Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Sollte die Bundesregierung entscheiden, die Absenkung nicht wie geplant am Jahresende auslaufen zu lassen, würde das 37,8 Milliarden Euro über die nächsten zehn Jahre kosten. Die Absenkung kostete bislang gut 3 Milliarden Euro pro Jahr, 2024 wären es 3,3 Milliarden Euro. Die ZEW-Ökonomen haben für ihre Berechnung der Gesamtsumme die prognostizierte Umsatzentwicklung der Branche miteinbezogen. (Handelsblatt)

HB – Die Zinskosten des Bundes explodieren.

Für 2024 rechnet Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) mit rund 37 Milliarden Euro Zinsausgaben für die Schulden des Bundes – eine Verzehnfachung gegenüber 2021. Nach den Berechnungen des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) muss der Bund in diesem Jahr gut elf Prozent seiner Steuereinnahmen allein für den Schuldendienst ausgeben.  

Der Anstieg der Zinsen allein reicht nicht aus, um diese Vervielfachung der Kosten zu erklären. Das IW sieht daneben drei weitere Ursachen

  • Mehr Schulden: Während der Coronapandemie ist der Schuldenstand des Bundes von 2019 bis 2022 um 35 Prozent auf 1,78 Billionen Euro gestiegen. Wenig überraschend: Mehr Schulden bedeuten mehr Zinskosten – erst recht, wenn die Zinsen steigen. 
  • Kurze Laufzeiten: Die Zinswende macht sich im Bundeshaushalt auch deshalb so schnell bemerkbar, weil der Bund sich in den vergangenen Jahren relativ kurzfristig verschuldet hat. Ende 2022 hatte knapp ein Viertel des Kreditbestands eine Restlaufzeit von weniger als einem Jahr, ein weiteres Viertel eine Restlaufzeit von ein bis vier Jahren, heißt es in der IW-Analyse. Der Bund hat es offenbar versäumt, die Niedrigzinsphase zu nutzen, um sich langfristig günstige Konditionen zu sichern.  
  • Fehlende Agio-Einnahmen: In der Niedrigzinsphase wurden deutsche Anleihen mit negativen Renditen gehandelt, weil Deutschland als besonders zuverlässiger Schuldner galt. Doch bei der Ausgabe neuer Anleihen konnte der Bund nur Nullzinsen festschreiben, weniger geht nicht. Stattdessen haben Anleger einen Aufschlag auf den Ausgabepreis dieser Anleihen gezahlt. Auf rund 47 Milliarden Euro summierten sich die so genannten Agio-Gewinne zwischen 2014 und 2021. Sie wurden direkt mit den übrigen Zinskosten verrechnet, sodass die entsprechend gering ausfielen. 

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Miete frisst in Großstadtvierteln ein Drittel der Einkommen

Die Mieten in vielen Städten sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen. In Vierteln einiger Metropolen verschlingen sie hohe Anteile der Einkommen. Doch die Unterschiede sind groß.

Die monatliche Kaltmiete verschlingt in vielen Vierteln der sieben größten deutschen Städte mittlerweile mehr als ein Drittel des durchschnittlichen Einkommens. Das größte Missverhältnis zwischen Nettoeinkommen und Mietkosten gibt es nach einer am Samstag veröffentlichten Analyse des Datendienstleisters „21st Real Estate“ in Berlin.

In der Hauptstadt sind demnach einerseits die verlangten Kaltmieten hoch und andererseits die Durchschnittseinkommen relativ niedrig. Die durchschnittliche Kostenquote für die gesamte Stadt beziffert das Unternehmen – das in Berlin ansässig ist – auf 32 Prozent.

Die Analyse beruht einerseits auf der Auswertung von 271.000 online veröffentlichten Wohnungsinseraten, andererseits auf nach „Mikrolagen“ in Straßen und Vierteln aufgegliederten Einkommensberechnungen. Grundlage waren Einkommensdaten des Marktforschungsinstituts GfK. Angebotsmieten sind zwar keine abgeschlossenen Mietverträge, doch lassen sich angesichts des großen Andrangs nach Wohnraum nur wenige Vermieter auf Preisnachlässe ein. „Für Neuankömmlinge mit mittlerem oder niedrigem Einkommen wird die Wohnungssuche in den sieben A-Städten zu einer echten Tortur“, kommentierte Unternehmenschefin Heike Günding

Für die Auswertung von „21st Real Estate“ entscheidend war nicht die absolute Höhe der Miete, sondern das Verhältnis zum Einkommen: Würden in einer Straße ausschließlich Millionäre wohnen, wäre die Mietkostenquote auch für sehr teure Wohnungen relativ niedrig.

Berlin und München bei Mietkostenquote vorne

Daher ist die Berliner Mietkostenquote mit 32 Prozent in der Datenanalyse ebenso hoch wie in München, obwohl die Mieten in der bayerischen Landeshauptstadt im Schnitt nach wie vor teurer sind. Doch ist laut „21st Real Estate“ in den besonders teuren Mikrolagen mit einer Mietkostenquote von über 35 Prozent auch das Durchschnittskommen mit jährlich 57.259 Euro erheblich höher als in der größten deutschen Stadt. In Berlin liegt der jährliche Durchschnittsverdienst in den entsprechenden Vierteln demnach bei lediglich 40.255 Euro.

An dritter Stelle folgt in der Analyse Stuttgart mit einer Mietkostenquote von 29 Prozent vor Frankfurt mit 27 Prozent. Am günstigsten unter den Metropolen sind demnach Köln mit 26 Prozent sowie Düsseldorf und Hamburg mit je 25 Prozent.

Auch in diesen Städten gibt es den Berechnungen des Berliner Unternehmens zufolge jedoch viele Viertel, in denen die Mietkostenquote zum Teil weit über 30 Prozent liegt. In Hamburg etwa verschlingt die Miete demnach in fast allen Straßenzügen nördlich der Elbe in den Bezirken Mitte und Nord über 37,5 Prozent der dortigen Durchschnittseinkommen.

Deutlich niedriger ist die Mietbelastung laut „21st Real Estate“ nach wie vor im Umland der großen Städte. In der Nähe von Düsseldorf besonders günstig ist demnach etwa Duisburg mit einer Mietkostenquote von lediglich 13,4 Prozent.

ÖSTERREICH

STATISTIK AUSTRIA

„Anstieg der Luftemissionen von 2020 auf 2021“ von Statistik Austria finden Sie als PDF  

WAHLUMFRAGEN

WEITERE MELDUNGEN

MEDIZIN – PSYCHOLOGIE – FORSCHUNG

Adipositas: Semaglutid und Liraglutid können schwere gastrointestinale Komplikationen auslösen

Vancouver – In der Behandlung der Adipositas mit den GLP-1-Agonisten Liraglutid und Semaglutid kann es in seltenen Fällen zu Gallenerkrankungen, einer akuten Pankreatitis, einer Gastroparese und möglicherweise zu einem Darmverschluss kommen. Darauf deutet eine Analyse der Datenbank IQVIA im Amerikanischen Ärzteblatt (JAMA, 2023; DOI: 10.1001/jama.2023.19574 ) hin.

Die Wirkstoffe Liraglutid und Semaglutid imitieren die Wirkung des Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1), einem körpereigenen Hormon, das unter anderem die Motilität im Gastrointestinaltrakt verlangsamt. Im Magen hat dies ein Völlegefühl zur Folge, das adipöse Patienten bei der Gewichtsreduktion unterstützen kann (daneben soll auch das Sättigungsgefühl im Gehirn gefördert werden).

Liraglutid und Semaglutid, die ursprünglich zur Behandlung des Typ-2-Diabetes entwickelt wurden, werden deshalb zunehmend zur Behandlung der Adipositas eingesetzt. Vor allem Semaglutid ist dank einer oralen Formulierung sehr populär geworden, während Liraglutid injiziert werden muss.

Aus der Behandlung des Typ-2-Diabetes ist bekannt, dass die beiden Mittel in seltenen Fällen zu einem Darm­verschluss (Ileus) oder einer Störung der Magenentleerung (Gastroparese) führen können. Auch Gallen­erkrankungen und eine akute Pankreatitis gehören zu den möglichen Komplikationen, auf die in den Fachin­formationen der Antidiabetika hingewiesen wird.

Ob diese Komplikationen auch bei der Behandlung der Adipositas auftreten, war bisher nicht genau bekannt, obwohl dies wegen der höheren Dosierung zu erwarten war. Ein Team um Mahyar Etminan von der University of British Columbia in Vancouver hat dazu nun die Datenbank IQVIA ausgewertet, die die Arzneimittelverord­nungen von mehr als 16 Mio. US-Patienten aus dem Jahren 2005 bis 2020 enthält.

In dieser Zeit wurden die beiden Wirkstoffe noch selten zur Behandlung der Adipositas eingesetzt. Die For­scher fanden jedoch 613 Patienten, denen Semaglutid verordnet wurde, obwohl sie nicht an Diabetes litten und bei denen eine Adipositas dokumentiert wurde, was auf eine Verordnung in dieser Indikation hindeutet.

Bei 5 Patienten kam es später zu Erkrankungen der Gallenwege, 2 Patienten erlitten eine akute Pankreatitis und 4 Patienten eine Gastroparese. Etminan ermittelt Inzidenzen von 11,7, 4,6 und 9,1 pro 1.000 Personen­jahre.

Für Liraglutid, das an 4.144 Patienten verordnet worden war, betrugen die Inzidenzen 18,6, 7,9 und 7,3 pro 1.000 Personenjahre. Nach der Verordnung von Liraglutid waren 73 Patienten an einem Darmverschluss er­krankt. Die Inzidenz betrug 8,1/1.000 Personenjahre. Für Semaglutid waren keine Fälle eines Darmver­schlusses dokumentiert.

Obwohl die Ereignisse insgesamt selten waren, traten sie doch signifikant häufiger auf als bei Patienten, denen eine Kombination aus Bupropion und Naltrexon (vermutlich) zur Gewichtsreduktion verordnet wurde.

Etminan ermittelt Hazard Ratios von 9,09 für eine Pankreatitis, von 4,22 für einen Darmverschluss und von 3,67 für eine Gastroparese. Der Zusammenhang war in allen 3 Fällen statistisch signifikant.

Für Gallengangerkrankungen wurde nur eine nicht-signifikante Hazard Ratio von 1,50 gefunden. Gallengang­erkrankungen sind eine bekannte Folge der Adipositas. Dies könnte die hohen Inzidenzen bei den Patienten erklären, ohne dass dies an der Verordnung von Liraglutid oder Semaglutid gelegen haben muss.

Die Analyse ist ein erster Hinweis auf einen Zusammenhang. Zu den Schwächen der Studie gehört laut Priya Sumithran von der Monash University in Melbourne, dass die Studie nicht sicher belegen kann, dass die Medikamente tatsächlich zur Gewichtsreduktion verschrieben wurden.

Ian Musgrave von der University of Adelaide merkt an, dass nur sehr wenige Patienten mit Bupropion/Nal­trexon behandelt wurden, was die weiten 95-%-Konfidenzintervalle erklärt (bei der Pankreatitis reichen sie von 1,25 bis 66,00). Die Risikoanalysen sind deshalb noch recht ungenau. Wirklich überraschen wird es Ex­perten jedoch nicht, dass die Verordnung von GLP-1-Agonisten bei Menschen mit Adipositas dieselben Komplikationen auslösen kann wie bei Diabetikern. © rme/aerzteblatt.de

Semaglutid in der Adipositastherapie: Viel Diskussionsstoff

Um die Präparate Wegovy und Ozempic wird zurzeit viel Wirbel gemacht. Der mit dem Wirkstoff Semaglutid zu erreichende Gewichtsverlust hat sich herumgesprochen. Nun geht es darum, ob oder wie das Medikament die Adipositastherapie ergänzen kann. Hierfür fehlen aber noch Daten.

Seit bekannt wurde, dass der Glucagon-like-Peptide-1-(GLP-1-)Agonist Semaglutid in der Dosierung von 2,4 mg (Handelsname Wegovy) das Gewicht bei stark übergewichtigen Menschen deutlich reduzieren kann, ist die Nachfrage nach der Abnehmspritze hoch (1). Nicht zuletzt trugen prominente Anwender – vor allem aus den USA – dazu bei, die berichteten, mit diesem Medikament einige Kilos verloren zu haben. Doch dafür ist das Medikament nicht zugelassen, sondern zur Gewichtsreduktion für Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) von mindestens 30 oder 27 kg/m², wenn mindestens eine gewichts assoziierte Begleiterkrankung besteht.

Die große Nachfrage führte zu einem Lieferengpass von Wegovy, das zum Beispiel in Europa bis vor Kurzem kaum verfügbar war. Daher griffen viele auf das Präparat Ozempic zurück, das Semaglutid in einer geringeren Dosierung (0,5–2 mg) für die Therapie des Typ-2-Diabetes enthält. Das wiederum hatte für viele Menschen mit Typ-2-Diabetes ernste Folgen. Für sie stand das dringend benötigte Medikament oft nicht zur Verfügung, betont Prof. Dr. med. Baptist Gallwitz, Internist, Diabetologe und Endokrinologe sowie Sprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). Das bestätigt auch Dr. med. Andreas Klinge, niedergelassener Diabetologe in Hamburg: „Wir haben sogar Patienten, die mehrere Wochen mit der Therapie pausieren mussten.“

Nebenwirkungen beachten

Frei von Nebenwirkungen ist Wegovy auch nicht. Dazu gehörten laut Fachinformation vor allem gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö und Obstipation (2). Demnach treten diese häufig auf, seien aber meist leicht bis moderat und von kurzer Dauer (durchschnittlich 2–8 Tage). Lediglich die Obstipation könne länger anhalten (im Mittel 47 Tage). Ähnliche Nebenwirkungen sind auch für Ozempic bekannt (3). In der Nutzen-Risiko-Abwägung bei Patientinnen und Patienten mit Typ-2-Diabetes schlägt das Pendel in der Regel in Richtung Nutzen aus. Aber gilt das auch für Menschen, die Semaglutid anwenden möchten, um überflüssige Pfunde nach dem Urlaub oder Feiertagen loszuwerden? „Ich bin erstaunt, wie schnell einige Menschen bereit sind, so ein Medikament einzunehmen. Ich hätte damit Schwierigkeiten und ich kenne das Medikament gut“, wundert sich Klinge, der auch Vorstandsmitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKdÄ) ist.

Daneben untersucht der Sicherheitsausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) aktuell das Suizidrisiko unter einer Therapie mit Semaglutid sowie Liraglutid, einem weiteren GLP-1-RezeptorAgonisten (4). Letzteres ist als Saxenda mit dem gleichen Anwendungsgebiet wie Wegovy für die Therapie der Adipositas zugelassen. Veranlasst wurde die Analyse durch vermehrt eingehende Berichte zu Selbstmordgedanken und Selbstverletzungen unter der Therapie mit Semaglutid und Liraglutid bei der isländischen Arzneimittelbehörde. Laut EMA gibt es bislang 150 Meldungen zu möglichen Fällen. Es sei aber noch nicht klar, ob die gemeldeten Fälle mit den Arzneimitteln selbst oder mit den Grunderkrankungen der Betroffenen oder anderen Faktoren zusammenhängen. Die Überprüfung wird voraussichtlich im November dieses Jahres abgeschlossen sein. Ein erhöhtes Risiko für Suizid und selbstschädigendes Verhalten ist allerdings auch nach bariatrischen Eingriffen bekannt (5).

Um erfolgreich Gewicht zu reduzieren, wird ein Medikament allein nicht ausreichen. Eine Adipositastherapie besteht aus mehreren Bausteinen und umfasst Maßnahmen wie Ernährungsanpassung, Bewegung und Verhaltenstherapie (6). In den Studien zu Semaglutid hatten die Betroffenen zusätzlich zu dem Medikament eine kalorienreduzierte Diät mit erhöhter körperlicher Aktivität oder eine intensive Verhaltenstherapie inklusive sehr strenger Diät, vermehrter körperlicher Aktivität und verhaltensbezogener Beratung erhalten.

Gallwitz warnt vor falschen Erwartungen an das Medikament, die durch die Berichterstattung in die Bevölkerung und von da an die behandelnden Ärzte herangetragen werden. Nach einigen Monaten Therapie pegele sich das Gewicht ein. „Wir wissen auch aus Studien, dass, wenn man das Medikament absetzt, das Gewicht relativ schnell wieder zunimmt.“

Nur Gewichtsverlust reicht nicht

Ähnliches sagt Klinge und betont: „Um eine Adipositas zu behandeln, müssen GLP-1-Analoga lebenslang eingenommen werden.“ Dafür sollten die Medikamente aber mehr Effekte zeigen als nur den reinen Gewichtsverlust, etwa in Bezug auf kardiovaskuläre Folgen. Vor Kurzem hat Novo Nordisk – der Hersteller von Semaglutid und Liraglutid – berichtet, dass Wegovy das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse reduzieren kann (7). „Diese Daten müssen erst als wissenschaftliche Publikation vorliegen, bevor ich überlegen würde, ob wir uns zu so einer sehr breit angelegten pharmakologischen Therapie entschließen wollen“, so Klinge.

Ein wichtiger Aspekt ist auch die Prävention. „Adipositas ist ein zunehmendes Problem und hat große Auswirkungen auf die wachsende Verbreitung von Typ-2-Diabetes“, sagt Gallwitz. Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft fordere deshalb schon seit Langem, dass die Politik Maßnahmen wie Werbeverbote für ungesunde Lebensmittel für Kinder, höhere Standards bei Schul- und Kita-Essen oder täglich mindestens eine Stunde Bewegung im Schulprogramm ergreift.

Das seien Maßnahmen, die wenig kosten, aber eine große Wirkung entfalten können, da mittlerweile Konsens sei, dass Verhaltens- und Konsummuster, die bereits in der Kindheit und Jugend erworben werden, einen entscheidenden Einfluss haben, erklärt Gallwitz: „Ich hoffe sehr, dass sich die gesellschaftlichen Maßnahmen durchsetzen und nicht die Dauermedikation. Prävention ist günstiger als Therapie.“ Tobias Lau,

Dr. med. Anne-Kristin Schulze

Wie schätzen Sie die Daten zu Semaglutid in der Adipositastherapie ein?

Im Mittel zeigt sich ein relevanter Gewichtsverlust. Aber sowie die Therapie beendet wird, nehmen die Betroffenen wieder zu. Aus therapeutischer Sicht ist das keine ideale Situation. Daher stellt sich die Frage: Ist Adipositas eine Krankheit, die wir mit einer chronischen pharmakologischen Therapie behandeln wollen oder nicht? Ich persönlich bin da sehr zurückhaltend. Insbesondere weil ich finde, dass die Medikamente mehr Effekte zeigen müssen als nur den Gewichtsverlust. Aktuell läuft eine große Endpunktstudie mit Semaglutid, zu der der Hersteller kürzlich erste Ergebnisse berichtet hat. Demnach scheint Semaglutid bei adipösen Personen mit einer vorbestehenden kardiovaskulären Erkrankung das Risiko für erneute schwere kardiovaskuläre Ereignisse zu reduzieren. Diese Daten müssen erst als wissenschaftliche Publikation vorliegen, bevor ich überlegen würde, ob wir uns zu so einer sehr breit angelegten pharmakologischen Therapie entschließen wollen. Dann lassen sich auch erst die Patientengruppen definieren, die möglicherweise von der Therapie profitieren.

Wie erhalten Personen Wegovy?

Das für die Therapie der Adipositas seit wenigen Wochen verfügbare Wegovy wird von den gesetzlichen Krankenkassen nicht erstattet. Das Privatrezept ist hier der derzeit einzig mögliche Weg einer Verordnung im Rahmen der Zulassung. Die Verordnung von Ozempic oder Trulicity zur Behandlung der Adipositas ist nicht von der Zulassung der Medikamente gedeckt. Daher und aufgrund der massiven, anhaltenden Lieferengpässe für diese Substanzen hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vor Kurzem erklärt, dass die GLP-1-Agonisten Ozempic und Trulicity auf Privatrezepten nur noch mit Angabe der Diagnose Typ-2-Diabetes verordnet werden sollen. Zudem sollen sie selbst nach Vorlage des Arztausweises nicht mehr zu erwerben sein. Juristisch ist das sicherlich schwierig umzusetzen, aber ich fand das Signal vom BfArM schon sehr eindrucksvoll.

Allerdings werden auch Privatrezepte für Ozempic gefälscht. Wir wissen von diversen Fälle, ich schätze etwa 20 bis 25, vermutlich mehr, mit unseren teilweise fehlerhaften Praxisdaten und Angaben von Patientinnen und Patienten, die wir nicht kannten.

Sollte Wegovy durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) erstattet werden?

Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es aus meiner Sicht keine Daten, die die Kostenerstattung durch die GKV rechtfertigen würden. Wichtig sind die Studienergebnisse hinsichtlich der harten Endpunkte, etwa der Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität. Gibt es etwa in einem oder zwei Jahren Ergebnisse, die zeigen, dass Menschen mit starkem Übergewicht unter dieser Therapie zum Beispiel weniger Herzinfarkte haben, dann muss die Frage der Kostenerstattung neu diskutiert werden. Dann überlegen wir eher, wie wir das praktisch organisieren und wie wir den Missbrauch verhindern.

Adipositastherapie: Erstmals ein wirksames Abnehmmedikament

Zahlreiche Misserfolge ließen daran zweifeln, dass jemals ein Medikament gefunden werden wird, das adipösen Menschen beim Abnehmen hilft. Die neuen, auf körpereigenen Darmhormonen basierenden Präparate gelten deshalb als Paradigmenwechsel in der Adipositastherapie.

Seit Ende Juli ist es nun auch in Deutschland so weit: Erstmals kann Patientinnen und Patienten mit Adipositas eine medikamentöse Therapie verordnet werden, die das Körpergewicht wirksam reduziert. Zugelassen ist der GLP-1-Rezeptor-Agonist Semaglutid (Wegovy, Novo Nordisk) für Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ≥ 30 kg/m2 oder ≥ 27 kg/m2, wenn eine gewichtsbedingte Begleiterkrankung vorliegt, etwa ein Typ-2-Diabetes, eine Hypertonie oder eine kardiovaskuläre Erkrankung. Als Ergänzung zu einer kalorienreduzierten Ernährung und verstärkter körperlicher Aktivität erzielte diese Patientengruppe mit Semaglutid Gewichtsreduktionen von bis zu 15 % (1). Aber selbst dieser beeindruckende Effekt könnte nur die Spitze des Eisbergs sein: Polyagonisten, die mehrere Magen-Darm-Hormone nachahmen, könnten Adipösen künftig helfen, ein völlig normales Körpergewicht zu erreichen.

Agonisten des auch natürlicherweise im Darm gebildeten Peptidhormons GLP-1 (Glucagon-like Peptide-1) sind nicht neu. Semaglutid und andere Vertreter der Wirkstoffklasse werden seit Jahren in der Diabetestherapie eingesetzt, um den Blutzuckerspiegel zu senken. Die gleichzeitig zu beobachtende Gewichtsabnahme war zunächst eher Nebeneffekt, der aber nicht lange unbeachtet blieb. 2021 zeigte die STEP-1-Studie, dass Semaglutid auch Menschen ohne Diabetes beim Abnehmen hilft (1). Kurz darauf erweiterte die US-Zulassungsbehörde FDA die Indikation des Diabetesmedikaments Semaglutid (Ozempic, Novo Nordisk) um die Adipositastherapie. Seit Juni 2021 ist es unter dem Handelsnamen Wegovy in erhöhter Dosis (2,4 mg Semaglutid) zugelassen. Im Januar 2022 folgte die Zulassung auch in Europa. Die hohe Nachfrage, angefeuert auch durch medial wirksame Abnehmerfolge von US-Tech-Milliardär Elon Musk, führte allerdings zu Lieferengpässen, sodass Wegovy auf dem europäischen Markt lange nicht erhältlich war. Das Diabetesmedikament Ozempic dagegen schon. „Schon vor der Markteinführung von Wegovy hat die Nachfrage nach Semaglutid spürbar zugenommen“, berichtet Prof. Dr. med. Jens Aberle, Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft. „Und obwohl es für die Adipositastherapie off-label war, ist dann häufig Ozempic verschrieben worden.“

Da geht noch mehr

Doch GLP-1-Rezeptor-Agonisten, die zu einer Gewichtsreduktion um die 15 % führen, sehen Fachleute nur als Anfang dessen, was künftig noch möglich sein könnte. „Die Aufnahme von ausreichend Nahrung, das Speichern von Energie, das sind für das Überleben so wichtige biologische Prozesse, dass es redundante Systeme gibt, die dies sicherstellen“, erklärt Prof. Dr. med. Dr. h. c. Matthias Tschöp. „Will man daran etwas regulieren, muss man an mehr als einem System angreifen.“

Der Münchner Neuroendokrinologe und wissenschaftlicher Geschäftsführer am Helmholtz Zentrum München legte Anfang des neuen Jahrtausends die Grundlagen für die Entwicklung von Agonisten, die nicht nur einen, sondern 2 oder gar 3 Rezeptoren aktivieren. Zusammen mit dem US-Chemiker Prof. Richard DiMarchi von der Indiana University in Bloomington entwickelte er die ersten dualen Agonisten, die nicht nur GLP-1-, sondern auch Glukagon- oder GIP- (glukoseabhängiges insulinotropes Peptid-)Rezeptoren aktivierten. Was sich mit solchen dualen Agonisten erreichen lässt, zeigte sich im Mäusemodell rasch: „Adipöse Tiere konnten damit bis zu 30 % ihres Körpergewichts abnehmen. Zudem verbesserten sich ihre Insulinwerte und ihre Glukosetoleranz“, berichtet Tschöp (2).

Dass sich dies auch auf den Menschen übertragen lässt, ist mittlerweile bewiesen. Im vergangenen Jahr berichteten Forschende um Prof. Ania M. Jastreboff von der Yale University School of Medicine, New Haven, USA, dass mit dem dualen Agonisten Tirzepatid Gewichtsreduktionen ≥ 20 % möglich sind (3). Eingeschlossen worden waren in die Phase-3-Studie SURMOUNT-1 Erwachsene mit einem BMI ≥ 30 oder ≥ 27 kg/m², wenn zusätzlich eine gewichtsbedingte Komplikation vorlag. Diabetiker waren ausgeschlossen, diese wurden in einer gesonderten Studie untersucht (4). Die 2 539 adipösen oder übergewichtigen Studienteilnehmenden erhielten 72 Wochen lang einmal wöchentlich Tirzepatid subkutan in einer Dosierung von 5, 10 oder 15 mg oder ein Placebo. Über die ersten 20 Wochen wurde die Dosis auftitriert. Die Patienten nahmen in Abhängigkeit von der Dosis zwischen 16 und 22,5 % an Körpergewicht ab. In der Placebogruppe war der Gewichtsverlust mit 3,1 % signifikant geringer als bei allen 3 Tirzepatid-Dosen. In einer kurze Zeit später veröffentlichten Pressemitteilung berichtete Hersteller Eli Lilly von Gewichtsreduktionen mit Tirzepatid von im Schnitt etwa 26 % in den beiden Phase-3-Studien SURMOUNT-3 und -4 (5). Anders als bei dem GLP-1-Agonisten Semaglutid gibt es noch keine Zulassung für die bloße Adipositas, bislang ist Tirzepatid unter dem Handelsnamen Mounjaro (Eli Lilly) seit September 2022 für die Behandlung des Typ-2-Diabetes zugelassen.

Die gleiche Arbeitsgruppe zeigte aber auch, dass mit einem Triagonisten, der alle 3 Darmhormone enthält, wahrscheinlich noch mehr erreicht werden kann: In einer Phase-2-Studie wurde eine ähnliche Studienpopulation – adipös oder übergewichtig mit Zusatzkomplikation – über 12 Monate mit verschiedenen Dosen des Triagonisten Retatrutid behandelt. Ergebnis: Ein dosisabhängiger Gewichtsverlust von 8,7–24,2 % (6). „Retatrutid befindet sich jetzt in Phase 3 und wird wahrscheinlich in Zukunft das effektivste Mittel zur Adipositasbehandlung sein“, prognostiziert Tschöp.

Normales Gewicht erreichbar

„Natürlich sind das noch frühe Daten – aber die Ergebnisse sind sehr vielversprechend“, bestätigt Aberle, der am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf den Bereich Endokrinologie und Diabetologie sowie das Adipositas-Centrum leitet. Wenn sich Wirksamkeit und Sicherheit in weiteren Studien bestätigen, ließe sich mit diesen Substanzen bei den meisten Menschen das Therapieziel einer Adipositastherapie erreichen. „Das sind Gewichtsreduktionen, von denen man bis vor einigen Jahren nicht geglaubt hätte, dass sie durch Medikamente möglich wären“, sagt Aberle.

Aber was hat sich seither geändert? Nach einem Medikament, mit dem Adipositas effektiv bekämpft werden kann, sucht die Wissenschaft schon lange – und ebenso lange ohne Erfolg. „Was fehlte, war die Erkenntnis, dass Adipositas eine Hirnkrankheit ist“, erklärt Tschöp. Erste Hinweise darauf lieferte erst die Entdeckung der für Hunger und Sättigung verantwortlichen Hormone Ghrelin und Leptin, die ihre Wirkung im Gehirn entfalten. Später deuteten auch die Ergebnisse von Genomsequenzierungsstudien in diese Richtung: „So gut wie alle Gene, die beim Menschen mit Adipositas in Zusammenhang gebracht wurden, hatten eine Funktion im Gehirn“, so Tschöp.

„Es war klar, wenn wir ein Medikament gegen Adipositas entwickeln wollen, dann müssen wir das Gehirn als Ziel einplanen“, erzählt Tschöp. Leichter gesagt als getan: Wann immer die Forschenden versuchten, an bestimmten Zielstrukturen im Gehirn anzugreifen, wurden immer auch Prozesse beeinflusst, die man nicht beeinflussen wollte. Unerwünschte Wirkungen waren die Folge. Besonders deutlich wurde dies bei der (versuchten) Einführung von Rimonabant (Acomplia, Sanofi Aventis), einem Antagonisten des Cannabinoidrezeptors, der aufgrund von Nebenwirkungen wieder vom Markt genommen werden musste. Hintergrund war ein im Vergleich mit Placebo doppelt so hohes Risiko für psychiatrische Nebenwirkungen, wie Depression, Schlafstörungen, Angst und Aggression. Außerdem stieg die Zahl an Fällen, die den Zusammenhang mit psychiatrischen Störungen bis hin zum Suizid bestätigten (7).

„Diese hohe Präzision, die man braucht, um im Gehirn ohne Nebenwirkungen bestimmte Prozesse zu beeinflussen, kann nur erreicht werden, wenn man sich auf die natürlichen Signalwege des Körpers verlässt“, berichtet Tschöp. Die Peptidhormone GLP-1, GIP und Glukagon, die aus dem Magen-Darm-Trakt kommend im Gehirn wirken und dort den Stoffwechsel einstellen, erwiesen sich dafür als ideal. Hinweise darauf gab den Forschenden auch die bis vor Kurzem einzige wirksame Behandlungsmethode der Adipositas, die bariatrische Chirurgie. Denn: Schon wenige Tage nach dem Eingriff treten beeindruckende Verbesserungen des Glukosestoffwechsels ein, obwohl noch kein großer Gewichtsverlust stattgefunden hat. „Offenbar kommt es durch den Umbau von Magen und Darm zu einer Neueinstellung neuroendokriner Netzwerke, was dazu führt, dass andere Signalmuster im Gehirn ankommen“, so Tschöp. „Wir haben versucht, Wirkstoffe zu designen, die das nachahmen.“ Und mit Gewichtsreduktionen von 20–30 % scheinen Tripleagonisten – glaubt man den frühen Daten – tatsächlich ohne Weiteres an den Erfolg von bariatrischen Eingriffen anknüpfen zu können.

Moleküldesign ist eine Kunst

Das Design der Polyagonisten sei allerdings keineswegs trivial gewesen – ebenso Kunst wie Wissenschaft, wie Tschöp berichtet. Die natürlichen Hormone lassen sich nicht verwenden: „GLP-1, GIP und Glukagon haben eine sehr kurze Halbwertszeit von 1–2 Minuten. Würde man sie einfach nachbauen und injizieren, würde nicht viel passieren“, sagt er.

Die Forschenden standen vor der Aufgabe, Peptide zu entwickeln, die länger wirken als ihre natürlichen Vorbilder, in ausreichender Menge ins Gehirn gelangen und dort nur die gewünschten Rezeptoren aktivieren. Selbst in welchem Mengenverhältnis die Darmhormone enthalten sind, beeinflusst die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Medikamente. Gleichzeitig darf kein Molekül erzeugt werden, dass sich so sehr von den körpereigenen Hormonen unterscheidet, dass der Körper anfängt, Antikörper dagegen zu bilden – oder noch schlimmer, dadurch dann auch die körpereigenen Hormone angreift. „Man muss trotz all dieser Vorgaben sehr sparsam sein im Austauschen von Aminosäuren“, erklärt Tschöp.

Das optimale Design der Wirkstoffe ist für ihre Effektivität entscheidend, beeinflusst aber auch die Verträglichkeit. „GLP-1-RezeptorAgonisten haben ein über die gesamte Substanzklasse hinweg relativ ähnliches Nebenwirkungsprofil: Gastrointestinale Nebenwirkungen, speziell Übelkeit und Erbrechen, sind häufig; die meisten Patienten haben damit zu tun“, berichtet Aberle. Bei den meisten Patienten, aber nicht allen, gingen diese Nebenwirkungen nach 6–8 Wochen vorüber, ergänzt er. Ein langsames Auftitrieren der Dosis über mehrere Monate könne das Risiko für Übelkeit und Erbrechen reduzieren.

„Diese unerwünschten Effekte hängen mit dem GLP-1-Rezeptor zusammen, der auf Neuronen lokalisiert ist, die an der Entstehung von Übelkeit und Erbrechen beteiligt sind“, erklärt Tschöp. GIP dagegen habe diese Nebenwirkungen nicht. Seine Rezeptoren seien auf Neuronen zu finden, die ganz im Gegenteil Gegeneffekte aktivierten, die die Übelkeit und Erbrechen verursachende Wirkung von GLP-1 abschwächten. Für Tschöp ist das ein weiteres Beispiel der „genialen Synergieeffekte“ von Polyagonisten wie Tirzepatid. In dem dualen Agonisten sind GIP und GLP-1 im Verhältnis 5:1 enthalten. Bei der Gabe von Tirzepatid führt die Aktivierung des GLP-1-Rezeptors nicht zu so vielen Nebenwirkungen wie bei der Gabe eines Monoagonisten, da GIP dagegen reguliert. „Das therapeutische Fenster wird weiter. Dadurch, dass weniger Nebenwirkungen auftreten, kann man höher dosieren und so bessere Effekte erreichen“, sagt Tschöp. Tatsächlich zeigten sich in den Phase-3-Studien zu Tirzepatid vergleichbare Nebenwirkungsprofile wie bei den GLP-1-Mono-Agonisten – bei signifikant höherer Wirksamkeit. „So haben wir erstmals in der Menschheitsgeschichte Medikamente, die es ermöglichen, 20–25 % Gewicht abzubauen und bei Adipositas eine Normalisierung des Gewichts zu erreichen“, so Tschöp.

Reines Selbstzahlerpräparat

Dennoch stoßen die neuen Medikamente auch bei Menschen mit weit weniger gravierendem Übergewicht auf großes Interesse – auch wenn sie nicht für Menschen gedacht sind, die nur ein paar Kilo verlieren wollen, bevor es in den Strandurlaub geht. „Zwar wirken sie bei allen, aber interessanterweise – die Gründe sind noch unklar – besser, je höher das Körperfett ist. Sie sind also ideal für diejenigen, die sie wirklich brauchen“, betont Tschöp.

Aber werden diejenigen, die sie wirklich brauchen, auch diejenigen sein, die sie bekommen werden? Eines scheint klar: Die Krankenkassen werden die Behandlungskosten nicht übernehmen. „Die Adipositas zu behandeln wäre viel billiger als die Milliarden, die weltweit jedes Jahr für die Konsequenzen der Adipositas, den Typ-2-Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen ausgegeben werden“, betont Tschöp. Doch obwohl die Adipositas in Fachkreisen längst als Krankheit anerkannt ist, gilt ihre Behandlung in der deutschen Gesetzgebung noch immer als Maßnahme, bei der „die Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht“. § 34 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs stellt Medikamente zur Regulierung des Körpergewichts noch immer auf eine Stufe mit Arzneimitteln zur Steigerung der sexuellen Potenz und zur Verbesserung des Haarwuchses.

Als Apothekenabgabepreis für das nun in Deutschland erhältliche Semaglutid-Präparat Wegovy nannte Novo Nordisk rund 300 Euro für eine 4-Wochen-Ration. Dass es sich bei Wegovy um ein „reines Selbstzahlerpräparat“ handeln wird, wird auch kritisch gesehen. Für Aberle ist dies auch „ein Ausdruck der allgegenwärtigen Stigmatisierung der Betroffenen“. Neuen Wind in die Diskussion um die Erstattungsfähigkeit könnten die Ergebnisse der kardiovaskulären Endpunktstudie SELECT bringen: Semaglutid kann bei adipösen Menschen offenbar nicht nur das Körpergewicht signifikant senken. In der randomisierten Studie kam es im Vergleich zu Placebo auch zu einem Rückgang kardiovaskulärer Ereignisse, wie der Hersteller Novo Nordisk jüngst bekannt gab (8).

An der weltweiten Studie nahmen 17 604 Erwachsene ab 45 Jahren mit einem BMI von 27 kg/m2 oder höher teil. Alle hatten bereits ein Herz-Kreislauf-Ereignis erlitten, etwa einen Myokardinfarkt oder einen Schlaganfall oder sie litten an einer symptomatischen peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Die Teilnehmenden hatten keinen Typ-2-Diabetes. Primärer Endpunkt war ein schwerwiegendes kardiovaskuläres Ereignis (MACE), definiert als Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulär bedingter Tod. Wie der Hersteller mitteilt, war das MACE-Risiko unter der wöchentlichen Gabe von Semaglutid 2,4 mg 20 % geringer als unter Placebo. Dieser Vorteil traf bei allen MACE zu. Sicherheit und Verträglichkeit entsprachen den Erfahrungen aus früheren Studien mit 2,4-mg-Semaglutid-Injektionen.

Meist lebenslange Therapie

„Das ist ein in der Adipositasmedizin hochrelevantes Ergebnis, welches bisher durch keine zur primären Gewichtsreduktion zugelassenen Therapie demonstriert werden konnte“, kommentiert Adipositasexperte Aberle. „Sobald die gesamten Studiendaten vorliegen – einschließlich der Nebenwirkungen – wird schnell die Frage zu klären sein, ob man Menschen, die dem untersuchten Kollektiv entsprechen, diese Medikation vorenthalten kann oder eine Kostenübernahme in diesem Falle erfolgen muss.“ Dies gilt insbesondere, da meist von der Notwendigkeit einer Dauertherapie auszugehen ist. „Das sind sehr effektive Medikamente, aber wenn man sie absetzt, steigt das Körpergewicht bei vielen Patienten wieder an“, betont er.

Und auch Tschöp stellt klar: „Das ist kein Heilmittel, diese Patienten sind sozusagen im Gehirn noch adipös, nur das Körpergewicht ist eingestellt. Es ist wie beim Bluthochdruck, wenn man den Betablocker weglässt, steigt der Blutdruck wieder an“, erklärt er. Er hofft, dass „irgendwann auch die Versicherungen an Bord sein werden“ und dass der Markt regulierend eingreifen wird. „Nachdem wir unsere Entdeckungen damals publiziert haben, haben zahlreiche Pharmaunternehmen angefangen, die Moleküle nachzubauen. In Zukunft wird es 15 oder 20 solcher Medikamente geben.“ Durch den Wettbewerb könnte künftig der Preis sinken – und möglicherweise auch die Versorgungslage verbessert werden. Denn auch wenn Semaglutid nun in Deutschland bei Adipositas verordnet werden kann, Lieferengpässe bleiben wahrscheinlich bestehen, nicht nur für Wegovy, sondern auch für Ozempic. Nadine Eckert

Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit3323
oder über QR-Code.

KASTENTEXT: Abnehmpille statt Spritze

Der GLP-1-Rezeptor-Agonist Semaglutid, aber auch die neuen dualen und Tripleagonisten müssen einmal die Woche subkutan in den Bauch, den Oberschenkel oder den Oberarm injiziert werden. Bei den Patienten ist dies nicht die beliebteste Applikationsmethode. Aber orale Optionen stehen in den Startlöchern und zeigen in Phase-2-Studien eine Effektivität, die sich hinter den Spritzen nicht verstecken muss.

Eine Gewichtsreduktion um 15 % wurde jüngst für eine Semaglutid-Tablette berichtet (9). Um die Einnahme in Tablettenform zu ermöglichen, enthält die orale Formulierung von Semaglutid den Absorptionsverstärker Salcaprozat-Natrium. Er schützt Semaglutid vor der Proteolyse im Magen-Darm-Trakt und fördert die Aufnahme über das Darmepithel ins Blut. Trotzdem geht die orale Formulierung mit einigen Nachteilen einher: Die Semaglutid-Tabletten müssen im nüchternen Zustand eingenommen werden und auch nach der Einnahme darf mindesten 30 Minuten lang nicht gegessen oder getrunken werden, selbst die Einnahme anderer Medikamente ist tabu.

Einfacher einzunehmen könnten künftig GLP-1-Agonisten sein, die keine Peptide sind. Verschiedene Pharmaunternehmen entwickeln Small Molecules, die von der biochemischen Struktur her in der Lage sind, den GLP-1-Rezeptor zu aktivieren. Diese Moleküle haben den Vorteil, auch mit Nahrung eingenommen werden zu können. In einer Phase-2-Studie konnten adipöse Patienten mit dem Nicht-Peptid-GLP-1-Rezeptor-Agonist Orforglipron ebenfalls fast 15 % ihres Körpergewichts abnehmen (10).

UMWELT

BILDUNG

MEDIEN – IT

RECHT

Bürokratieabbau: In einem Gastbeitrag für FAZ-Einspruch warnt Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) vor einer Bedrohung der Demokratie durch eine ausufernde Bürokratie. Entstehe bei den Bürgerinnen und Bürgern der Eindruck, dass ein demokratischer Regierungswechsel keine Veränderungen mit sich bringe, führe dies beinahe zwangsläufig zu einem Vertrauensverlust der Wähler:innen in die Demokratie, so Buschmann. Der Staat habe sich mittlerweile selbst so sehr bürokratisch gefesselt, dass er mitunter gar nicht mehr handlungsfähig erscheine – selbst dann, wenn es die politischen Entscheidungsträger:innen wollten. Das geplante Entbürokratisierungspaket der Bundesregierung werde den Erfüllungsaufwand der Wirtschaft um 2,3 Mrd. Euro senken. Auch auf EU-Ebene müsse entbürokratisiert werden, da der Erfüllungsaufwand zu 57 Prozent aus der Umsetzung von EU-Richtlinien stamme.

Medizinische Daten: Die datenschutzrechtlichen „Bremsen“ müssten gelöst werden, um das volle Potential der Digitalisierung auch im Gesundheitswesen ausschöpfen zu können, schreiben Rechtsprofessor Jürgen Kühling und der wissenschaftliche Mitarbeiter Roman Schildbach in der Mo-FAZ. Um langfristig bessere Heilmethoden zu entwickeln, bräuchten die Forschenden kurz- und mittelfristig mehr Daten. Deutschland und die EU hätten die einmalige Chance, einen Gesundheitsdatenraum aufzubauen, der den Betroffenen Datensouveränität verschaffen und die Gesundheitswirtschaft zum Wohle der Patientinnen und Patienten beflügeln würde.

Cannabis: Gegen die von mehreren Bundesratsausschüssen vorgeschlagene Ausweitung von Sperrflächen rund um Schulen, Suchtberatungsstellen, Bahnhöfe und andere Einrichtungen kommt Widerstand von Cannabis-Start-Ups. Die geforderten 250 Meter Abstand könnten den öffentlichen Konsum schwierig bis unmöglich machen – auch bei Schmerzattacken oder anderen medizinischen Problemen, so die Bedenken. Es dürfe nicht sein, dass Patienten und Patientinnen aufgrund der großen Sperrflächen erst einmal mit Google Maps abschätzen müssen, ob der Konsum überhaupt zulässig. Der Spiegel berichtet. Die Mo-SZ (Kerstin Bund/Benjamin Emonts) hat zu den bereits im Gesetz vorgesehenen Abstandsregelungen ein Pro- und Contra organisiert.

Politikerhaftung: Für die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage, um eine Haftung für Minister:innen zu ermöglichen, plädiert Rechtsprofessor Arnd Diringer in seiner Kolumne in der WamS. Vorbild dafür könnte eine entsprechende bayerische Regelung sein, die vorsieht, dass ein Mitglied der Staatsregierung, das vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Amtspflicht verletzt, dem Freistaat den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen hat. Mit einer solchen gesetzlichen Regelung würden Bundesminister:innen zumindest in Extremfällen haften, dies wäre ein wichtiges Signal.

Diskriminierende Lehrbuchfälle: spiegel.de (Verena Töpper) schildert, wie die Doktorandin Susanna Roßbach und die Studentin Lilian Langer im Auftrag des Deutschen Juristinnenbunds ehrenamtlich den Instagram-Account „Üble Nachlese“ betreiben, der sexistische und rassistische Lehrbuch- und Prüfungsfälle sammelt. 

KI-Stimme: Den rechtlichen Rahmen für die Nutzung von KI zur Stimmnachahmung erläutern Rechtsanwalt Georg Manthey und der wissenschaftliche Mitarbeiter Simon Liepert auf LTO und erläutern dabei, dass auch die menschliche Stimme durch das Datenschutzrecht und als Teil des Persönlichkeitsrechts rechtlich geschützt sein können.

Whistleblowing/Polizei: Nachdem im Juli das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft getreten ist, hat die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) jetzt ein Meldeportal zur Unterstützung von Whistleblower:innen bei der Polizei eingerichtet, das Franziska Görlitz von der GFF im Gespräch mit dem Spiegel (Dietmar Hipp) vorstellt. Außerdem spricht sie über noch verbliebene Lücken im Gesetz. So seien anonyme Meldungen nicht vorgesehen und für immaterielle Schäden – zum Beispiel psychische Folgen – gebe es kein Schmerzensgeld. Sie kritisiert, dass sogenannte Verschlusssachen von dem Gesetz ausgenommen sind.

Legal Tech: Über den Reformbedarf und die Umwälzung der Rechtsbranche durch KI hat auf dem Legal Tech.Tag Ende September in Berlin LTO (Felix W. Zimmermann) mit Philipp Plog vom Legal Tech-Verband gesprochen. Plog kritisiert, dass die Politik das Thema zu vorsichtig angehe. So gingen aktuelle Reformansätze noch vom analogen Prozess aus und seien so nur eine kleine Weiterentwicklung. Der große Wurf wäre zum Beispiel im Zivilrecht, den Zivilprozess neu und digital zu denken. Außerdem prophezeit Plog eine wachsende Zahl von „Großkanzleien für Verbraucherrecht“ und meint damit Kanzleien wie Rightmart, die die Personalstärke von typischen Großkanzleien im B2B-Bereich haben, sich aber operativ auf Verbraucherthemen ausrichten.

GESELLSCHAFT – RELIGION

Studie: Bruttovermögen und Schulden entscheiden über Bildungschancen

MANNHEIM. Vermögensunterschiede beeinflussen Bildungschancen. In der bisherigen Forschung dazu steckt jedoch allzu oft ein systematischer Fehler, konstatiert eine aktuelle Studie.

Kinder aus reichen Haushalten haben bessere Bildungschancen als Kinder mit armen Eltern. Soweit die Binsenwahrheit. Intuitiv scheint es dabei naheliegend, von „echtem“ Reichtum auszugehen und dementsprechend ist in der Forschung bislang Vermögen weitgehend als Nettovermögen angesetzt. Für die Sozialwissenschaftler Jascha Dräger, Klaus Pforr und Nora Müller greift dieser Ansatz allerdings zu kurz, denn Vermögen bestehe aus mehreren Komponenten mit unterschiedlichen Eigenschaften.

In einer aktuellen Studie schlagen die Sozialwissenschaftler vor, statt des Nettovermögens den Nettobetrag in Bruttovermögen und Schulden aufzuspalten und ihre gemeinsame Wirkung zu betrachten, um so einer falschen Darstellung von Vermögenseffekten entgegenzuwirken. Vermögen spiele eine wichtige Rolle bei der Analyse sozialer Ungleichheit. Dennoch hänge der Einfluss des Faktors Vermögen bei den Ergebnissen stark davon ab, wie man den Zusammenhang modelliert.

„In einer Simulationsstudie konnten wir zeigen, dass dieser Ansatz systematische Vermögensunterschiede genauer beschreibt und gleichzeitig vermeidet, Muster in den Daten zu finden, die nicht da sind“, erklärt Nora Müller den Ansatz ihrer Forschungsarbeit.

Anschließend wendeten die Wissenschaftler den Ansatz an, um Vermögensunterschiede beim Bildungsniveau in den Vereinigten Staaten neu zu analysieren. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass die Betrachtung des Nettovermögens zu einer falschen Vorhersage führte, welche Kinder sehr gute und welche Kinder sehr schlechte Bildungsaussichten haben.

Drägers, Pforrs und Müllers Analysen zeigten hingegen: Nicht Kinder mit hohem Nettovermögen, sondern Kinder mit hohem Bruttovermögen, unabhängig von der Höhe der Verschuldung, haben die besten Bildungsaussichten. Sie haben eine höhere Chance, einen höheren Bildungsabschluss zu erreichen als Kinder mit geringem Bruttovermögen und geringer Verschuldung.

Andererseits hatten nicht Kinder mit niedrigem Nettovermögen, sondern Kinder mit geringem Bruttovermögen und geringer Verschuldung die schlechtesten Bildungsaussichten. Sie hatten ein höheres Risiko, keinen Schulabschluss zu erreichen als Kinder mit hohem Bruttovermögen und hoher Verschuldung.

Die Ergebnisse der Studie seien wichtig für die Analyse sozialer Ungleichheit und für die Entwicklung von Maßnahmen zur Förderung von Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen. Nicht nur habe die Anwendung des Ansatzes auf Wohlstandsunterschiede beim Bildungsniveau gezeigt, dass es zumindest teilweise nötig sei, das Verständnis darüber, wie Wohlstand die Bildungschancen von Kindern beeinflusst, zu überdenken. Die Aufteilung des Nettovermögens in Bruttovermögen und Schulden könne auch das theoretische Verständnis der Mechanismen vertiefen, die dem untersuchten Zusammenhang zugrunde liegen. (zab, pm)

Studie: Why Net Worth Misrepresents Wealth Effects and What to Do About It“

Siehe auch:

Soziologie Brutto- wichtiger als Nettovermögen für Bildungschancen von Kindern

Die finanzielle Ausstattung bestimmt die Bildungsmöglichkeiten ihrer Kinder mit. Eine aktuelle Studie zeigt nun, dass dabei jedoch das Nettovermögen zu sehr in den Blick genommen wurde.

RUSSLAND – UKRAINE

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DIE NACHT IM ÜBERBLICK

ROUNDUP: Selenskyj ruft zum Kampf gegen Terror auf – Nacht im Überblick

KIEW (dpa-AFX) – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat angesichts des russischen Angriffskrieges gegen sein Land und der blutigen Gewalt in Israel zum gemeinsamen Kampf gegen den Terror aufgerufen. „Der Terror hat zu viele Fronten gegen die Menschheit aufgemacht: der Krieg gegen die Ukraine, der Krieg im Nahen Osten und die schreckliche Destabilisierung in Afrika“, sagte Selenskyj am Sonntag in seiner aus Kiew verbreiteten abendlichen Videobotschaft. „Und nächste Woche werden wir mit unseren Partnern zusammenarbeiten, um eine Einheit der Welt im Kampf gegen den Terror sicherzustellen“, sagte Selenskyj.

„Mehrere internationale Ereignisse sind geplant. Wie immer wird die ukrainische Position für Einheit und gemeinsames Agieren stehen.“ Selenskyj nannte keine konkreten Termine, allerdings kommen an diesem Mittwoch und Donnerstag die Nato-Verteidigungsminister in Brüssel zusammen. Bei dem Treffen wird es auch um die weitere militärische Unterstützung für die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Invasion gehen.

Die Ukraine hofft, dass der Westen in seiner Hilfe für das von Russland angegriffene Land nicht nachlässt. Zuletzt gab es etwa in den USA, aber auch in anderen Ländern Diskussionen um die Hilfe. Zudem gilt aktuell ein großer Teil der internationalen Solidarität nun Israel.

Ukraine sichert Israel Solidarität und bestätigt Tote dort

Auch Selenskyj zeigte sich bei einem Gespräch mit dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu solidarisch und betonte das Recht auf Selbstverteidigung des Landes. Der Präsident, der selbst jüdische Wurzeln hat, bestätigte außerdem den Tod von zwei ukrainischen Bürgern in Israel bei den Hamas-Angriffen. Ukrainische Soldaten veröffentlichten ein Video, in dem sie die israelischen Soldaten unterstützten.

Mit Blick auf die Lage im eigenen Land lobte Selenskyj einmal mehr die Verteidiger der Ukraine. „Und heute, heute Abend möchte ich allen unseren Menschen danken, die Leben retten, die alles tun, damit der Terror verliert“, sagte er. Die ukrainischen Behörden warfen den russischen Angreifern auch am Sonntag wieder massiven Terror gegen die Zivilbevölkerung vor. Mehrere Menschen starben oder wurden durch russischen Beschuss verletzt.

Die Ukraine führt mit westlicher Militärhilfe seit bald 20 Monaten einen Verteidigungskampf gegen den russischen Angriff. Die Streitkräfte Kiews wollen bei ihrer seit Monaten laufenden Gegenoffensive die von Russland besetzten Teile der Gebiete Cherson, Saporischschja, Luhansk und Donezk befreien. Das Land will dabei auch seine bereits 2014 durch Russland annektierte Schwarzmeer-Halbinsel Krim zurückerobern.

Was am Montag wichtig wird

Die ukrainischen Streitkräfte setzen im Süden und im Osten des Landes ihren Kampf zur Befreiung ihrer Gebiete fort. Zugleich greifen die russischen Truppen an mehreren Frontabschnitten an, um ihre Stellungen zu festigen und neue Flächen zu besetzen./mau/DP/zb  

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Letzte Meldung gestern:

n-tv-Newsfluss

+++ 08:25 Russland berät über Ende von Atomtest-Verbot +++
Russlands Parlamentsspitzen beraten heute Nachmittag, ob die Ratifizierung eines Vertrags über das Verbot von Atomtests zurückgenommen werden soll. Das berichtet der britische Sender Sky News. Putin hatte am Donnerstag davon gesprochen, dass sein Land theoretisch die Ratifizierung rückgängig machen könnte. Der Atomteststopp-Vertrag wurde 1996 verabschiedet, um die Weiterentwicklung von Nuklearwaffen einzudämmen. Das globale Testverbot ist zwar noch nicht in Kraft getreten, doch seit den 1990er Jahren haben sich alle Staaten bis auf Nordkorea daran gehalten.

+++ 07:41 Beide Seiten erzielen offenbar Geländegewinne +++
Die ukrainischen Streitkräfte haben der Analyse des ISW zufolge am Sonntag in der Region Saporischschja leichte Geländegewinne erzielt. Bildmaterial belegt demnach begrenzte Erfolge nördlich von Nowoprokopiwka. Ein russischer Militärblogger behauptete dem Bericht zufolge, dass ukrainische Truppen auch bei Kopani vorrückten. Auch die russischen Streitkräfte rückten Berichten zufolge in mehreren Gebieten vor: bei Bachmut, bei Makijiwka in der Region Luhansk sowie an der Donezk-Awdijiwka-Linie.

+++ 07:01 Wetter behindert ukrainische wie russische Operationen +++
Sowohl ukrainische als auch russische Quellen berichten, dass sich die Wetterbedingungen verschlechtern und Operationen beider Seiten beeinträchtigen. Das meldet die US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) in ihrer aktuellen Analyse. Demnach erklärte etwa der Sprecher der ukrainischen Tawrijsker Truppen, die russischen Drohnen- und Flugaktivitäten seien in den letzten Tagen aufgrund des schlechten Wetters zurückgegangen. Russische Militärblogger behaupteten der Analyse zufolge, dass die sich verschlechternden Wetterbedingungen sowohl die ukrainischen Offensivoperationen als auch die russischen Luftaufklärungsoperationen in den Richtungen Bachmut und Saporischschja beeinträchtigten.

Rasputiza hemmt Offensive Ukraine stehen extrem schwere Monate bevor

+++ 06:17 Russische Organisation meldet steigende Zahl von Deserteuren +++
Die russische Organisation „Go through the Forest“, die Russen hilft, sich einer Rekrutierung zu entziehen, beobachtet nach eigenen Angaben seit Mai unter russischen Soldaten eine steigende Zahl von Deserteuren. Das berichtet laut dem ISW das in Prag ansässige russischsprachige Medium „Current Time“. Der Anstieg ist Berichten zufolge darauf zurückzuführen, dass das russische Militär begonnen hatte, Vertragssoldaten Ende April und Mai Urlaub zu gewähren – von dem viele Soldaten nicht zurückkehrten.

+++ 05:35 Intensiver Zugverkehr zwischen Nordkorea und Russland +++
Das Center for Strategic and International Studies (CSIS) verweist auf Satellitenbilder, die belegen, dass der Schienenverkehr zwischen Nordkorea und Russland seit dem Treffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un Mitte September „dramatisch“ zugenommen hat. Das Beyond Parallel- Projekt des CSIS ergibt laut dem US-Institut Study of War (ISW), dass am 5. Oktober aufgenommene Satellitenbilder „beispiellose“ 73 Güterwaggons in der nordkoreanischen Eisenbahnanlage Tumangang zeigten. Beyond Parallel stellte demnach fest, dass Satellitenbilder aus den letzten fünf Jahren maximal etwa 20 Triebwagen gleichzeitig am Standort Tumangang zeigten. Das ISW räumt ein, dass es weiterhin unklar ist, was die Züge transportieren.

+++ 00:45 Kreml-Propagandist: Angriff auf Israel überschattet Putins Geburtstag +++
Kreml-Propagandist Wladimir Solowjow beklagt sich über die Ereignisse in Israel, weil sie den Geburtstag von Russlands Präsident Wladimir Putin überschatten. Zugleich freut er sich, dass der Hamas-Angriff auf Israel der antirussischen Koalition in die Quere kommt.

+++ 23:33 Selenskyj ruft zu gemeinsamem Kampf gegen Terror auf +++
Der ukrainische Präsident Selenskyj ruft angesichts des russischen Angriffskrieges gegen sein Land und der blutigen Gewalt in Israel zum gemeinsamen Kampf gegen den Terror auf. „Der Terror hat zu viele Fronten gegen die Menschheit aufgemacht: der Krieg gegen die Ukraine, der Krieg im Nahen Osten und die schreckliche Destabilisierung in Afrika“, sagt er in einer Videobotschaft. „Und nächste Woche werden wir mit unseren Partnern zusammenarbeiten, um eine Einheit der Welt im Kampf gegen den Terror sicherzustellen“, so Selenskyj. „Mehrere internationale Ereignisse sind geplant. Wie immer wird die ukrainische Position für Einheit und gemeinsames Agieren stehen.“ Selenskyj nennt keine konkreten Termine, allerdings kommen an diesem Mittwoch und Donnerstag die NATO-Verteidigungsminister in Brüssel zusammen. Bei dem Treffen wird es auch um die weitere militärische Unterstützung für die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Invasion gehen.

+++ 19:38 Kiew: Eine Einheit zerstört 25 russische Panzer innerhalb von vier Tagen +++
Die Panzerabwehreinheit der ukrainischen 66. mechanisierten Brigade hat nach Kiews Angaben innerhalb von vier Tagen 25 russische Panzer in der Nähe der Stadt Lyman in der Oblast Donezk zerstört. Das berichten ukrainische Streitkräfte auf Facebook. „Die Russen haben zu viele Panzer in diesem Gebiet konzentriert. So kam es dazu, dass die Panzerabwehreinheit der Brigade innerhalb weniger Tage fast ein Panzerbataillon in ihrem Verantwortungsbereich zerstörte“, sagt Militärexperte Ivan Kyrychevsky im ukrainischen Radiosender NV.

Letzte Meldung gestern:

+++ 18:06 Selenskyj telefoniert mit Netanjahu +++
Der ukrainische Präsident Selenskyj sichert dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu in einem Telefonat Solidarität im Kampf gegen die islamistische Hamas zu. Selenskyj teilte auf dem Portal X (vormals Twitter) mit, dass er Netanjahu angesichts der vielen Toten auch sein Beileid ausgesprochen habe. Er habe sich über die aktuelle Lage in Israel informieren lassen. Die israelische Polizei und die Diplomaten Kiews arbeiteten demnach zusammen, um die Sicherheit und den Schutz der ukrainischen Bürger zu gewährleisten, teilt Selenskyj weiter mit. Beide Seiten hätten auch über die Auswirkungen der Situation auf die Sicherheitslage in der Region und darüber hinaus gesprochen. Details nennt Selenskyj, der selbst jüdische Wurzeln hat, zunächst nicht. Er hatte bereits am Samstag den Terror der Hamas verurteilt und betont, dass Israel das Recht auf Selbstverteidigung habe. Dabei erinnerte Selenskyj daran, dass die Ukraine angesichts des russischen Terrors selbst erfahre, was Krieg bedeute und daher mit dem Volk Israels fühle.