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FAZIT DES TAGES
Märkte – Report
Israel, Ukraine – COMMENT
Meldungen
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HELLMEYER-Report (gekürzt)
- Märkte: Heterogene Stabilität
- Deutschland: Rückgang der Wohnungsbaugenehmigungen
- Patentrekord in der EU
- Abschied von der Negativzinspolitik der Bank of Japan
- KEIN HELLMEYER-Report am 21.3.
Märkte: Heterogene Stabilität
Die Finanzmärkte zeigen grundsätzlich weiter Stabilität. Sie fällt im Tagesgeschäft jedoch nicht
homogen, sondern heterogen aus. So standen Europas Aktienmärkte gestern unter leichtem
Druck, während die US-Aktienmärkte an Boden gewannen. Am Tag zuvor lief es andersherum.
Die Reaktion auf die Präsidentschaftswahl in Russland spiegelte die Spaltung der Welt. Der
Globale Süden gratulierte Putin, der Westen hatte Freude an der Kunst der „Undiplomatie“. Die
Zeichen stehen seitens der Westens auf Eskalation, auch wenn die Politik der letzten gut zwei
Jahre das Gegenteil dessen bewirkte, was sich der Westen bezüglich Ökonomie und Isolierung
Russlands versprach. Europas Bürger und Unternehmen leiden am stärksten.
Top-Thema des Tages ist der Abschied Japans von der Negativzinspolitik (siehe unten). Der
Schritt von -0,10% auf 0,00% – 0,10% ist sehr überschaubar, aber es ist ein Schritt. Die schwache
Reaktion des JPY an den Devisenmärkten darf als Ausdruck einer Enttäuschung über die
Amplitude des Zinsschritts interpretiert werden.
Das Datenpotpourri war überschaubar, aber grundsätzlich positiv. Die Handelsbilanz der Eurozone
reüssierte mit einem Rekordüberschuss und der US-NAHB Housing Market Index markierte den
höchsten Stand seit Juli 2023.
Aktienmärkte: Der Late Dax verlor 0,38%, der EuroStoxx 50 0,41%. Dagegen stiegen der S&P 500
um 0,64%, der Dow Jones um 0,26% und der Citi US Tech 100 um 0,92%. In Fernost gewann der
Nikkei (Japan) Stand 07.45 Uhr 0,66%. Der CSI 300 (China) verlor 0,55%.
10-jährige Bundesanleihen rentieren mit 2,46% (Vortag 2,43%), 10-jährige US-Staatsanleihen mit4,33% (Vortag 4,30%).
Der USD ist gegenüber dem EUR wenig verändert und verlor gegenüber Gold und Silber an Boden.
Nachrichten in Kurzform:
• Berlin: Bundeskanzler Scholz und Bundespräsident Steinmeier verweigern Putin die
Gratulation zur Wahl mit der Begründung, Russland sei eine Diktatur.
• Brüssel: Die EU bereitet Zölle auf russisches und belarussisches Getreide in Höhe
von 95 USD pro Tonne vor.
• Brüssel: Bei dem Europäischen Patentamt wurden per 2023 199.275 Patent-
anmeldungen registriert (Rekord). Gegenüber 2022 ergab sich ein Plus in Höhe von
2,9%. Deutschland nimmt hinter den USA den 2. Platz mit 24.966 Anmeldungen ein.
Huawei nimmt bei Patentanmeldungen das dritte Jahr in Folge den ersten Platz ein.
Siemens, BASF und Bosch nehmen die Plätze sechs, acht und elf ein.
Kommentar: Diese Meldung ist auf den ersten Blick positiver als auf den zweiten Blick, da es
sich zu großen Teilen um Patentanmeldungen aus Drittländern handelt. Dennoch ist diese
Entwicklung grundsätzlich positiv. Es ist höchste Zeit, dass Europa die kritische und in Teilen
feindliche Haltung zu Technologie ablegt (u.a. Biotech). Dort findet Zukunft statt!
Rückgang der Wohnungsbaugenehmigungen setzt sich fort
Die Talfahrt hat sich laut Statistischem Bundesamt bei den Baugenehmigungen für
neue Wohnungen zu Jahresbeginn 2024 fortgesetzt. Ihre Zahl sank im Januar um
5.200 oder 23,5% im Vergleich zum Vorjahresmonat auf 16.800. Im Vergleich zum
Januar 2022 gab es einen Einbruch von 43,4%. Im gesamten vergangenen Jahr sank
die Zahl um mehr als 25% auf circa 260.000 Wohnungen.
Hintergrund dieser Entwicklung sind teure Materialien und eine im Vergleich zu
den vergangenen Jahren kostenintensivere Finanzierung.
Bei Einfamilienhäusern fiel der Rückgang der Baugenehmigungen mit 42,7% im Vergleich zum Januar 2023 auf 2800 am stärksten aus. Bei Zweifamilienhäusern wurde ein Minus von 19,6% auf 1100 gemeldet. Auch bei den Mehrfamilienhäusern, der zahlenmäßig stärksten
Gebäudeart, verringerte sich die Zahl der Genehmigungen um 20% auf 9200.
Kommentar: Im Hinblick auf die Nachfragelage, auch bedingt durch Migration, verschärft sich
die Lage in Deutschland. Verwiesen sei auf die aktuellen „Notwasserstandsmeldungen“ vom
Verband der Kommunen und Gemeinden und den Wirtschaftsverbänden. Die Situation ist
prekär und verschärft sich weiter. Hehre Worte der Politik helfen nicht (Scholz, Stabilität
erwartet), sondern pragmatisches Agieren. Das ist kaum erkennbar.
EZB: Banken-Chefaufseherin Buch bleibt wachsam
EZB-Chefaufseherin Buch betonte, dass die EZB ein Umfeld erkenne, in dem hohe
Wachsamkeit erforderlich sei. Es sei gut, die von den Banken zusätzlich verlangten
Kapitalpuffer zur Abfederung von Konjunkturrisiken zu halten.
Abschied von der Negativzinspolitik der Bank of Japan
Die Bank of Japan (BoJ) erhöhte den Leitzins von bisher -0,1% auf 0,00% – 0,10%. Die BOJ
legte den Tagesgeldsatz als neuen Leitzins fest. Es ist die erste Erhöhung seit 17 Jahren.
Damit gab die BoJ ihre seit 2016 geltende Negativzinspolitik auf. Die Bank of Japan zahlt mit
diesem Schritt 0,1% Zinsen auf Einlagen bei der Zentralbank. Die Notenbank hatte ein
kräftiges Lohnwachstum zur Bedingung für eine geordnete Abkehr von der jahrelangen
ultralockeren Geldpolitik gemacht. Die Tarifverhandlungen in den Großbetrieben endeten mit
einer Lohnerhöhung von 5,28%. Das ist die größte Lohnanpassung seit Anfang der 90er Jahre.
Kommentar: Da auch die Inflation seit weit über einem Jahr über dem 2%-Ziel der Zentralbank
liegt, waren die Voraussetzungen für den Zinsschritt gegeben. Dieser Politikwechsel wurde gut
vorbereitet. Der Schritt ist jedoch extrem überschaubar, wenn man ihn insbesondere mit der
Zinserhöhungspolitik der Fed, der EZB und der Bank of England vergleicht. Der kleine Schritt ist
verständlich, da die öffentliche Verschuldung in Höhe von rund 250% der Wirtschaftsleistung
markant erhöhte Zinsniveaus nicht erlaubt. Der kleine Zinsschritt erklärt die Reaktion an den
Devisenmärkten, wo der JPY nach dem Zinsschritt unter Verkaufsdruck kam.
Interessant ist, dass die Bank of Japan den Einlagesatz auf 0,1% setzte. Damit wird den
Banken keine „Zentralbanksteuer“ nach dem Muster der EZB auferlegt (Leihesatz 0,50% über
dem Anlagesatz für Banken!).
Im Gegensatz zu anderen führenden Industrienationen kämpfte Japan nicht mit einer zu hohen
Inflation. In der Spitze stiegen die Verbraucherpreise um 4,3% im Jahresvergleich (aktuell
2,2%), während es in Europa mehr als 10% waren. Viel Atomstrom und russische
Energiemoleküle via Sachalin sind ein Grund für diese unterschiedlichen Entwicklungen („It is
the energy, stupid!“)
Datenpotpourri der letzten 24 Handelsstunden
Eurozone: Handelsbilanz mit Rekordüberschuss
Die Handelsbilanz wies in der saisonal bereinigten Fassung per Januar einen Überschuss in
Höhe von 28,0 Mrd. EUR nach zuvor 14,3 Mrd. EUR aus. Es ist der höchste Überschuss in der bis 1999 zurückgehenden Historie.
Gemäß finaler Berechnung nahmen die Verbraucherpreise per Februar im Monatsvergleich um
0,6% und im Jahresvergleich um 2,6% zu. Die Kernrate der Verbraucherpreise legte im
Monatsvergleich um 0,7% und im Jahresvergleich um 3,1% zu. Alle Daten entsprachen den
Prognosen und vorläufigen Werten.
USA: NAHB Index auf höchstem Stand seit Juli 2023
Der NAHB Housing Market Index verzeichnete per Berichtsmonat März einen Anstieg von zuvor 48 auf 51 Punkte (Prognose 48) und markierte den höchsten Indexstand seit Juli 2023.
Kanada: Erzeugerpreise (M) steigen stärker als erwartet
Die Erzeugerpreise nahmen per Berichtsmonat Februar im Monatsvergleich um 0,7% (Prognose 0,1%) zu. Im Jahresvergleich ergab sich ein Rückgang um 1,7% nach zuvor -2,9%.
Hier den Hellmeyer Report lesen! (inkl. Graphiken und Tabellen!)
MÄRKTE
DJI – BAHA *** DJI – KGV *** Rendite 10-jg. US-Anleihen
DAX Deutsche Börse *** DAX – KGV *** Rendite 10-jg. Bundesanl. *** Euro-Bund Futures
DAX-Tages-Entwicklung bis heute, 10:24; DJI Tages-Entwicklung für gestern ibs Börsenschluss.
ISRAEL, UKRAINE
n-tv aktuell ISRAEL
Druck wegen Rafah-Offensive Biden zitiert israelische Delegation zu sich
Die israelische Regierung ist fest zur Bodenoffensive in Rafah entschlossen. US-Präsident Biden hält das für falsch und bittet Netanjahu um Gespräche in Washington. Israels Premier willigt ein: Hochrangige Vertreter sollen mit US-Kollegen über eine „alternative Herangehensweise“ im Süden Gazas sprechen.
Scholz kann nur mahnen Darum ist Israel so sehr zur Offensive auf Rafah entschlossen
Israels Ziel steht fest: Die Armee soll auch die vier noch verbliebenen Bataillone der Hamas auslöschen, und die verschanzen sich in Rafah. Können die Mahnungen von Kanzler Scholz und US-Präsident Biden die Flüchtlinge dennoch vor einer humanitären Katastrophe schützen? Von Frauke Niemeyer, Tel Aviv
Seit Beginn der Bodenoffensive Israels Militär meldet 250. getöteten Soldaten
Seit fünf Monaten läuft die Bodenoffensive der israelischen Armee im Gazastreifen. Bei einem Einsatz im Schifa-Krankenhaus wird dabei der insgesamt 250. Soldat getötet. In der Klinik vermutet das Militär „ranghohe Hamas-Terroristen“.
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ROUNDUP: USA erhöhen Druck auf Israel – Die Nacht im Überblick
WASHINGTON/GAZA/DOHA (dpa-AFX) – Die USA wollen im Gaza-Krieg Israel von seiner geplanten Bodenoffensive gegen die mit Flüchtlingen überfüllte Stadt Rafah abbringen. US-Präsident Joe Biden habe Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in einem Telefonat aufgefordert, in den nächsten Tagen ein Team aus Vertretern von Militär, Geheimdiensten und Spezialisten für humanitäre Hilfe nach Washington zu entsenden, sagte Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan am Montag. Netanjahu habe dem zugestimmt. Ein größerer Bodeneinsatz in Rafah wäre „ein Fehler“, sagte Sullivan. Es gehe darum, den Israelis die Vorbehalte der USA darzulegen und mögliche Alternativen zu erörtern.
Zugleich bescheinigte Sullivan Israel Fortschritte im Kampf gegen die islamistische Hamas. So habe Israels Armee die Nummer Drei der Hamas in Gaza, Marwan Issa, in der vergangenen Woche getötet, sagte er, nachdem es tagelang Spekulationen darüber gegeben hatte. Israel hatte zwar gesagt, Issa auf die Spur gekommen zu sein, seinen Tod aber zunächst nicht bestätigt.
Neue Verhandlungen über Feuerpause und Geiseln
Unterdessen begannen in Katar neue Verhandlungen über eine Feuerpause und die Freilassung weiterer Geiseln. Das israelische Fernsehen berichtete, der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, sei in dem Emirat mit Vermittlern zusammengetroffen. Man gehe davon aus, dass die Gespräche mindestens zwei Wochen lang dauern könnten. Die Hamas hatte den Vermittlern Katar, Ägypten und USA kürzlich einen neuen Vorschlag vorgelegt. Darin verlangt die Hamas nicht mehr, dass Israel den Krieg beendet, bevor die ersten Geiseln gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen ausgetauscht werden. Israel ist jedoch laut Medien pessimistisch und spricht weiter von unrealistischen Forderungen der Terrororganisation. Die Hamas habe in dem neuen Vorschlag eine Reihe anderer Bedingungen gestellt, sagte Sullivan. Israel gingen einige zu weit. Dennoch sei eine Einigung bei den Verhandlungen möglich, sagte Sullivan.
USA: Bodenoffensive in Rafah würde humanitäre Lage verschlimmern
Angesichts der furchtbaren humanitären Lage und der vielen toten Zivilisten gibt es inzwischen aus vielen Ländern Kritik am Vorgehen des israelischen Militärs im Gazastreifen. Aus israelischer Sicht ist ein Sieg über die Hamas ohne einen Einsatz in Rafah jedoch nicht möglich. In dem Fall wird ein Wiedererstarken der Terrororganisation nach dem Krieg befürchtet. „Es gibt internationalen Druck, um uns daran zu hindern, nach Rafah einzudringen und die Arbeit abzuschließen“, sagte Israels Regierungschef Netanjahu kürzlich. Er weise diesen Druck seit Monaten zurück und werde dies weiter tun. Doch nun erhöht Washington als Israels wichtigster Verbündeter den Druck. „Wir sind der Meinung, dass die Hamas weder in Rafah noch anderswo einen sicheren Zufluchtsort haben sollte, aber eine größere Bodenoperation dort wäre ein Fehler“, sagte Sicherheitsberater Sullivan.
„Sie würde zu weiteren unschuldigen zivilen Todesopfern führen, die ohnehin schon düstere humanitäre Krise verschlimmern, die Anarchie in Gaza verschärfen und Israel international weiter isolieren“, fügte Sullivan hinzu. Mehr als eine Million Menschen hätten Zuflucht in der an Ägypten grenzenden Stadt im Süden des abgeriegelten Küstenstreifens gesucht, und Israel habe weder den USA noch der Welt einen Plan präsentiert, wie diese Schutzsuchenden in Sicherheit gebracht und versorgt werden könnten, hieß es weiter. „Wir gehen davon aus, dass sie mit der großen Militäroperation in Rafah nicht vorangehen werden, bis wir dieses Gespräch geführt haben“, sagte Sullivan mit Blick auf die nun nach Washington zitierte israelische Delegation. Ein Treffen sei für Ende dieser Woche oder Anfang kommender Woche angepeilt. Einen konkreten Termin gebe es noch nicht, hieß es.
USA vermissen bei Israel nachhaltige Strategie
Es gebe für Israel Möglichkeiten, sich in dem Konflikt durchzusetzen und die Terrorbedrohung aus Gaza zu beenden, ohne in Rafah einzumarschieren, sagte Sullivan. Einzelheiten nannte er nicht. Die USA teilten Israels Ziel, die Hamas zu besiegen. „Aber wir glauben, dass man dafür eine kohärente und nachhaltige Strategie braucht“, sagte Sullivan. Als Beispiel für die Schwächen der israelischen Strategie nannte er den erneuten Einsatz im Schifa-Krankenhaus vom Montag. Israel sei zuvor schon einmal gegen die Hamas in dem Krankenhaus vorgegangen. Die Hamas sei jedoch zurückgekehrt. „Das wirft die Frage auf, wie eine nachhaltige Kampagne gegen die Hamas sichergestellt werden kann, sodass sie sich nicht regenerieren und kein Gebiet zurückerobern kann“, sagte der Sicherheitsberater.
Israels Armee: Mehr als 40 Terroristen bei Schifa-Einsatz getötet, über 200 Verdächtige festgenommen
Mehr als 20 Terroristen seien bei dem nächtlichen Einsatz im Krankenhausbereich getötet worden, darunter Faik al-Mabhuh, Leiter einer Abteilung für innere Sicherheit der Hamas, sagte der Sprecher der israelischen Armee, Daniel Hagari, am Montagabend. Mehr als 20 weitere seien in der Umgebung eliminiert worden. Über 200 Terrorverdächtige habe man festgenommen. Die Angaben konnten unabhängig zunächst nicht überprüft werden. Von der Hamas gab es zunächst keine Bestätigung für den Tod von Al-Mabhuh. Die Terrororganisation kämpfe weiterhin von Krankenhäusern und zivilen Einrichtungen aus und nutze Zivilisten und Patienten als menschliche Schutzschilde, sagte der Armeesprecher. Sie habe versucht, ihre Basis in dem Schifa-Krankenhaus, dem größten in Gaza, wieder aufzubauen und es als Zufluchtsort zu nutzen. „Wir werden dies nicht zulassen und werden überall dort zuschlagen, wo die Hamas versucht, ihre Kontrolle wiederzuerlangen“, sagte er.
EU will erstmals Sanktionen gegen israelische Siedler verhängen
Die EU will unterdessen erstmals Sanktionen gegen radikale israelische Siedler im Westjordanland verhängen. Außenminister der Mitgliedstaaten verständigten sich am Montag bei einem Treffen in Brüssel auf entsprechende Pläne, wie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mitteilte. Sie sollen nun in den kommenden Tagen formalisiert werden. Ungarn kündigte nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur an, das Vorgehen nicht weiter blockieren zu wollen. Hintergrund der Sanktionspläne sind Gewalttaten extremistischer Siedler gegen Palästinenser – insbesondere auch nach dem Hamas-Massaker in Israel vom 7. Oktober. Die Angriffe werden wie der Siedlungsbau an sich als eines der Hindernisse für Bemühungen um eine langfristige Friedenslösung im Nahost-Konflikt gesehen./ln/DP/zb
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n-tv aktuell UKRAINE
COMMENT – FAZIT: eskalative Tendenzen in den letzten Tagen sowie zunehmende Spannungen innerhalb der deutschen politischen Landschaft.
+++ 10:01 Jäger: Mützenich-Rede zeigt, dass „neue Koalition entsteht“ +++
Zahlreiche Verteidigungsminister und ranghohe Militärs beraten in Ramstein erneut über Ukraine-Hilfen. Die Gruppe könne sich ein Beispiel an Tschechien nehmen, betont Politikexperte Thomas Jäger. Mit Blick auf Mützenichs umstrittene Rede zum Ukraine-Krieg sieht der Politikwissenschaftler ein neues Bündnis im Entstehen.
Applaus von Schröder, AfD und Linke Mützenich-Rede zeigt, dass „neue Koalition entsteht“
+++ 09:36 Pistorius wundert sich über Teilnehmer-Zahl von geheimer Taurus-Sondersitzung +++
Verteidigungsminister Boris Pistorius warnt davor, in der Debatte um eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern die wesentlichen Bedürfnisse der Ukraine im Abwehrkampf aus dem Blick zu verlieren. Ausreichend Artilleriemunition, weiter reichende Raketenartillerie sowie die Luftverteidigung seien die wirklich existenziellen Fragen, sagt der SPD-Politiker im Deutschlandfunk vor einer neuen Abstimmungsrunde der Ukraine-Unterstützer in Ramstein. Er kritisiert, dass aus einer geheimen Sitzung des Verteidigungsausschusses Informationen öffentlich wurden. „Dass aus der Sitzung Geheimes nach draußen gedrungen ist, gehört genau zu dieser Kakofonie. Jeder versucht, sich über sein Verhalten zu profilieren, in irgendeiner Weise sein Spiel zu spielen.“ Er wundere sich ohnehin, dass mehr als 100 Teilnehmer bei einer solchen Sitzung dabei gewesen seien.
+++ 09:17 Einfrieren des Kriegs: Mützenich bleibt bei umstrittener Formulierung +++
Trotz Kritik will der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich an seinen Äußerungen zum Einfrieren des Ukraine-Kriegs festhalten. Auf die Frage, was er mit dem Begriff gemeint habe und ob er ihn korrigieren wolle, sagt Mützenich der „Neuen Westfälischen“: „Nein, das möchte ich nicht. Ich bin in den Sozial- und Friedenswissenschaften ausgebildet. Dort wird das Einfrieren als Begrifflichkeit genutzt, um in einer besonderen Situation zeitlich befristete lokale Waffenruhen und humanitäre Feuerpausen zu ermöglichen, die überführt werden können in eine beständige Abwesenheit militärischer Gewalt.“ Das benötige natürlich die Zustimmung beider Kriegsparteien, was man nicht von außen diktieren könne.
Baerbock verweist auf „Horrorbuch“ Pistorius: Ukraine-Krieg „einfrieren“ würde Putin helfen
+++ 08:51 Militärkommando: Russland hat Schwierigkeiten, massive Raketenangriffe durchzuführen +++
Russland hat nach Einschätzung der Ukraine momentan Schwierigkeiten, koordinierte Raketenangriffe durchzuführen. Hintergrund ist, dass den russischen Streitkräften nicht das Radarerkennungs- und Kontrollflugzeug A-50 zur Verfügung stehe. Das berichtet „The Voice of Ukraine“ unter Berufung auf Aussagen von Natalia Humeniuk, Leiterin des Pressezentrums des Südlichen Operationskommandos. Sie beobachte eine Pause, die damit zusammenhänge, dass es keine A-50-Flugzeuge in der Luft gebe, keine Aufklärungsflugzeuge und kein Aufklärungszentrum. Humeniuk zufolge waren auch frühere „Operationen“ der russischen Luftfahrt „nicht sehr häufig und nicht sehr effektiv“. „Infolge des massiven Abschusses russischer Jets sind diese Operationen (Einsatz der A-50 für Raketenangriffe) jetzt für den Feind sehr riskant“, wird sie zitiert. Die Russen hätten jedoch nicht aufgegeben, massive Raketenangriffe auf die Ukraine durchzuführen, denn „das ist ihr Hauptvorteil“. Im Januar und Februar dieses Jahres hatte das ukrainische Militär zwei A-50-Flugzeuge sowie ein Aufklärungsflugzeug des Typs Iljuschin Il-22 abgeschossen.
+++ 08:12 Munz: „Menschen in Russland scheuen sich, Wahrheit zu sagen“ +++
Putin feiert seinen Wahlsieg und beschwört die Einheit seines Volkes. Aber wie ist die Stimmung im Land? Die Menschen trauten sich nicht, die Wahrheit zu sagen, berichtet ntv-Reporter Rainer Munz. Meinungsumfragen hätten keine Aussagekraft.
Munz zur Stimmung nach der Wahl „Menschen in Russland scheuen sich, Wahrheit zu sagen“
+++ 07:07 EU bereitet wohl Zölle auf russisches Getreide vor +++
Die EU wird einem Zeitungsbericht zufolge Zölle auf Getreide aus Russland und Belarus erheben. Die Abgabe von 95 Euro pro Tonne solle in den kommenden Tagen bekannt gegeben werden, berichtet die „Financial Times“ unter Berufung auf mit den Plänen vertraute Personen. Sie solle Landwirte und einige Mitgliedsländer beschwichtigen.
+++ 06:14 Taurus-Geheimsitzung: Strack-Zimmermann irritiert über Bas +++
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, weist in der Debatte über die Weitergabe vertraulicher Informationen aus dem Gremium Kritik der Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zurück. Die Antwort von Bas auf ihre Anzeige eines möglichen Geheimnisverrats aus der letzten Taurus-Sondersitzung habe sie „mit Irritation zur Kenntnis genommen“, schreibt die FDP-Politikerin an Bas. „Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass der an den Ausschusssitzungen teilnehmende Personenkreis nicht in meinem Belieben steht.“ Neben den Abgeordneten und Vertretern der Ministerien seien auch „Vortragende der Fachebene für detaillierte Antworten im Sitzungssaal anwesend“. Die Bundestagspräsidentin hatte Verwunderung darüber ausgedrückt, dass an der besagten Sitzung 105 Leute teilgenommen hätten und Strack-Zimmermann dies zugelassen habe. Nach der geheimen Sitzung des Verteidigungsausschusses am Montag vergangener Woche waren Informationen zum Marschflugkörper Taurus im Zusammenhang mit einer möglichen Lieferung an die Ukraine an die Öffentlichkeit gelangt.
105 Leute in geheimer Sitzung Strack-Zimmermann verärgert über Bas
+++ 02:27 Baerbock: Mützenich sollte UN-Bericht zur Ukraine lesen +++
Nach den Äußerungen von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zu einem „Einfrieren“ des Ukraine-Kriegs warnt Außenministerin Annalena Baerbock vor solchen Überlegungen. „Heute vor 10 Jahren hat Wladimir Putin die Krim annektiert“, schreibt die Grünen-Politikerin auf X. „Wer glaubt, seinen Krieg gegen die Ukraine einfrieren zu können, der sollte in die Geschichte schauen. Und den Bericht der UN-Untersuchungskommission zur Ukraine lesen.“ Dieser Bericht zu russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine lese sich „wie ein absolutes Horrorbuch“. „Wer diesen Bericht liest, der wird aus meiner Sicht nicht wieder darüber sprechen, dass man vielleicht den Konflikt einfrieren sollte.“ Denn dieser mache deutlich, „was ein Einfrieren bedeutet für all die Menschen, die nach wie vor jeden Tag, und vor allen Dingen jede Nacht, unter russischer Kontrolle, unter russischer Gewalt leben müssen“.
+++ 01:24 EU-Ratspräsident fordert Umstieg auf Kriegswirtschaft +++
Um Frieden zu haben, muss sich Europa nach Worten von EU-Ratspräsident Charles Michel auf Krieg vorbereiten. Europa müsse seine Verteidigungskapazitäten stärken und als Reaktion auf die von Russland ausgehende Bedrohung in einen „kriegswirtschaftlichen“ Modus wechseln, schreibt Michel in einem Artikel, der in europäischen Zeitungen und auf der Euractiv-Website veröffentlicht wurde. Europa müsse die Verantwortung für seine eigene Sicherheit übernehmen. „Wenn die EU nicht richtig reagiert und die Ukraine nicht ausreichend unterstützt, um Russland aufzuhalten, sind wir die Nächsten. Wir müssen daher verteidigungsbereit sein und in einen ‚Kriegswirtschafts‘-Modus übergehen“, schreibt Michel. „Wenn wir Frieden wollen, müssen wir uns auf den Krieg vorbereiten.“
+++ 23:13 Erdogan gratuliert Putin zu Wahlsieg +++
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat seinem russischen Kollegen Wladimir Putin zu dessen Wiederwahl gratuliert. In einem Telefonat habe Erdogan sich überzeugt gezeigt, „dass sich die positive Entwicklung der Beziehungen zwischen der Türkei und Russland weiter fortsetzen werde“, teilt die türkische Präsidentschaft mit. Zugleich habe er erklärt, dass die Türkei bereit sei, „eine Vermittlerrolle zu übernehmen, um mit der Ukraine an den Verhandlungstisch zurückzukehren“.
+++ 21:43 König: Schwedens NATO-Mitgliedschaft nicht gegen jemanden gerichtet +++
Schwedens König Carl XVI. Gustaf hebt die große Bedeutung des NATO-Beitritts seines Landes noch einmal hervor. Schwedens NATO-Mitgliedschaft sei gegen niemanden gerichtet, sagt der König während einer Zeremonie, bei der die Flagge der NATO vor dem schwedischen Parlament gehisst wurde. „Schweden bedroht niemanden. Schweden will Frieden“, so Carl Gustaf. Die Mitgliedschaft habe ein neues Stück Geschichte geschrieben. Die Mitgliedschaft in dem Verteidigungsbündnis werde nicht die Grundlage der schwedischen Außen- und Sicherheitspolitik verändern. „Die Bewahrung der Freiheit und Unabhängigkeit Schwedens ist nach wie vor unser wichtigstes Ziel.“ Die Mitgliedschaft stärke die Verteidigungsfähigkeit Schwedens. Der Angriff Russlands auf die Ukraine habe die sicherheitspolitische Ordnung der Nachkriegszeit grundlegend erschüttert.
+++ 21:11 Selenskyj empfängt republikanischen Senator Graham +++
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den republikanischen US-Senator Lindsey Graham in Kiew empfangen. „Wir erörterten weitere, umfassende Hilfe für die Ukraine. Ich habe Senator Graham über die Lage an der Front und den vorrangigen Bedarf unserer Armee informiert“, schrieb Selenskyj auf X. „Es ist von entscheidender Bedeutung, dass unsere Partner weiterhin militärische und technische Hilfe leisten, zum Beispiel in Form von Flugabwehrsystemen und Raketen.“
+++ 19:51 Mangott: Wiederaufbau russischer Armee „wird viele Jahre dauern“ +++
Wladimir Putin lässt sich für weitere sechs Jahre als Russlands Machthaber bestätigen. Russlandexperte Gerhard Mangott erklärt, was das für den Westen bedeutet und welche Probleme auf das russische Heer nach dem Ukraine-Krieg warten.
Mangott zu Moskaus Streitkräften Wiederaufbau russischer Armee „wird viele Jahre dauern“
+++ 18:08 Militärgeheimdienst: Russland kann jetzt „offener“ mobilisieren +++
Russland kann nach der erneuten Wahl von Wladimir Putin zum russischen Präsidenten jetzt „offener“ mobilisieren. Das sagte der Sprecher des ukrainischen Militärgeheimdienstes Adrii Jusow. Allerdings seien die Mobilisierungsbemühungen grundsätzlich auch während des Wahlkampfs weitergegangen. Anstatt offiziell zu einer neuen Mobilisierungsrunde aufzurufen, hat Russland bisher versucht, Anreize für den freiwilligen Dienst in der Armee zu schaffen. Es gab auch Versuche, Ausländer anzuwerben und zentralasiatische Wanderarbeiter in Russland auszubeuten, indem man ihnen im Tausch gegen den Militärdienst die Staatsbürgerschaft im Schnellverfahren anbot.
+++ 17:45 EU-Außenminister billigen Milliardenhilfe für Ukraine +++
Die Außenminister der Europäischen Union haben sich auf weitere Militärhilfen für die Ukraine im Umfang von fünf Milliarden Euro verständigt. Damit unterstütze die EU die Ukraine bei ihrer Selbstverteidigung im russischen Angriffskrieg, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sagte, Europa stehe „felsenfest an der Seite der Ukraine“. Die Mitgliedsländer einigten sich auf eine Reform der sogenannten Europäischen Friedensfazilität (European Peace Facility, EPF). Dabei handelt es sich um einen Topf außerhalb des EU-Haushalts, über den sich Mitgliedsländer Waffenlieferungen an die Ukraine teilweise erstatten lassen können. Die fünf Milliarden Euro gelten für den Zeitraum bis 2027, wie Borrell erläuterte.
+++ 17:01 Pistorius distanziert sich von Mützenichs Aussage zum „Einfrieren“ des Ukraine-Kriegs +++
Verteidigungsminister Boris Pistorius hat sich von den Äußerungen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich zum Einfrieren des Ukraine-Kriegs distanziert. „Es würde am Ende nur Putin helfen“, sagte Pistorius. Es sei zwar eine Position, die man vertreten könne, um sich für den Frieden auszusprechen. „Aber einen Diktatfrieden darf es nicht geben und keinen Frieden, der dazu führt, oder einen Waffenstillstand oder ein Einfrieren, bei dem Putin am Ende gestärkt herausgeht und den Konflikt fortsetzt, wann immer es ihm beliebt.“ Mützenich hatte vergangenen Donnerstag in der Bundestags-Debatte über eine Lieferung der Taurus-Marschflugkörper gefragt: „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“
+++ 16:40 EU verhängt Sanktionen wegen Tod von Nawalny +++
EU verhängt als Reaktion auf den Tod des Kremlkritikers Alexej Nawalny in einem russischen Straflager Sanktionen. Die Außenminister der Mitgliedstaaten verständigten sich bei einem Treffen in Brüssel auf Strafmaßnahmen gegen Vertreter des russischen Justizsystems, wie mehrere Diplomaten der Deutschen Presse-Agentur bestätigten. Die neuen EU-Strafmaßnahmen sollen mithilfe eines Sanktionsinstruments zur Ahndung von schweren Menschenrechtsverstößen verhängt werden. Betroffene Personen dürfen nicht mehr in die EU einreisen und keine Geschäfte mehr mit EU-Bürgern machen. Außerdem müssen ihre in der EU vorhandenen Konten und andere Vermögenswerte eingefroren werden. Nach Angaben aus EU-Kreisen soll eine zweistellige Zahl von Vertretern des Justizsystems betroffen sein.
+++ 16:22 Oberst a.D. Richter: „Taurus-Bedenken sind nicht nur deutsche Bedenken“ +++
Es kommt, wie erwartet: Russlands Präsident Putin bleibt im Amt. Die Bekanntgabe seines Wahlsieges nutzt der Kremlchef für eine Drohung an den Westen: Die Welt sei „nur einen Schritt“ von einem Dritten Weltkrieg entfernt. Was das bedeutet und welches Risiko deutsche Taurus-Lieferungen darstellen würden, erklärt Oberst a.D. Wolfgang Richter.
Oberst a.D. Richter zu Gefahren „Taurus-Bedenken sind nicht nur deutsche Bedenken“
+++ 14:51 Scholz kritisiert „unerwachsene“ Diskussion +++
Bundeskanzler Olaf Scholz wünscht sich in Deutschland eine abgewogenere und besonnenere Debatte um die Militärhilfen für die Ukraine. Deutschland sei in Europa der mit Abstand größte militärische Unterstützer des von Russland angegriffenen Landes. Notwendig sei ein besonnenes Abwägen aller Für und Wider von jeweiligen Hilfen, so Scholz. „Was uns ein bisschen schadet ist, dass wir über Sicherheits- und Außenpolitik in Deutschland aus Gründen, aber dann auch bedauerlicherweise, ziemlich unerwachsen diskutieren“, sagte Scholz. Auch beim deutschen Nein des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder zum Irak-Krieg habe man nicht das Für und Wider, sondern die mögliche Reaktion der Bündnispartner diskutiert. „Es hat keine abwägende Debatte gegeben, wie sie in anderen Gesellschaften ganz normal ist“, sagte Scholz. „Das findet auch jetzt hier leider nicht statt, wenn wir über die Frage, wie mobilisieren wir die Unterstützung für die Ukraine, diskutieren. Aber genau das müssten wir eigentlich.“
Scholz leidet an Ukraine-Debatte „Niemand diskutiert abwägend“
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Scholz über Ukraine-Debatte: ‚An Lächerlichkeit nicht zu überbieten‘
BERLIN (dpa-AFX) – Bundeskanzler Olaf Scholz hat die seit Wochen laufende Debatte über die deutsche Unterstützung für die Ukraine scharf kritisiert. „Die Debatte in Deutschland ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten“, sagte der Kanzler am Dienstag bei der Konferenz Europe 2024 in Berlin. „Das ist peinlich für uns als Land.“ Die Diskussion, in der es vor allem um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern geht, werde außerhalb von Deutschland nicht verstanden.
Scholz verwies darauf, dass Deutschland der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine ist. Das müsse erst einmal anerkannt werden, forderte er. Er wünsche sich eine Debatte in Deutschland, die Besonnenheit nicht als Zögerlichkeit diskreditiere.
Der Kanzler hatte einer Lieferung von Taurus-Raketen mit einer Reichweite von 500 Kilometern Ende Februar eine klare Absage erteilt. Er begründete das damit, dass Deutschland in den Krieg hineingezogen werden könnte. Die Union, aber auch die Koalitionspartner Grüne und FDP kritisieren ihn dafür scharf. Die Debatte läuft nun schon seit mehr als drei Wochen./mfi/DP/jha
ROUNDUP: Ramstein-Treffen zu Ukraine-Unterstützung – Die Nacht im Überblick
RAMSTEIN/KIEW (dpa-AFX) – Zahlreiche Verteidigungsminister und ranghohe Militärs beraten an diesem Dienstag (ab 11.00 Uhr) auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein erneut über die weitere Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland. Zu der Konferenz auf der größten Air Base außerhalb der Vereinigten Staaten hat US-Verteidigungsminister Lloyd Austin die Mitglieder der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe eingeladen. Zu dieser Gruppe gehören etwa auch Deutschland und Großbritannien. Wie bei früheren Treffen im rheinland-pfälzischen Ramstein werden auch Vertreter von Staaten erwartet, die nicht der Nato angehören.
Europäische Außenminister billigen Militärhilfen-Plan für Ukraine
Die Außenminister der EU-Staaten haben den offiziellen Beschluss für die Fortsetzung der gemeinsamen Finanzierung von militärischer Ausrüstung und Ausbildung für die Ukraine gefasst. Die Entscheidung soll Unterstützungsleistungen wie die Lieferung von Waffen und Munition im Wert von mindestens fünf Milliarden Euro garantieren. Eine politische Grundsatzvereinbarung dazu war bereits in der vergangenen Woche erzielt worden.
Konkret ist geplant, innerhalb der sogenannten Europäischen Friedensfazilität (EFF) einen speziellen Unterstützungsfonds für die Ukraine zu schaffen. Über dieses Finanzierungsinstrument können den EU-Mitgliedstaaten Ausgaben für die militärische Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine erstattet und gemeinsame Bestellungen bezahlt werden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bedankte sich in seiner abendlichen Videoansprache für die neue Hilfe, die den Verteidigungsanstrengungen in diesem Jahr zugutekommen werde.
Putin feiert Wahlsieg und Krim-Annexion auf Rotem Platz
Nach der als Farce kritisierten Präsidentenwahl in Russland hat Kremlchef Wladimir Putin seinen Sieg und den zehnten Jahrestag der Annexion der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim gefeiert. „Ich gratuliere zum Feiertag. Es lebe Russland!“, rief Putin auf dem Roten Platz in Moskau vor Tausenden Menschen, die jubelten und Russland-Fahnen schwenkten. Der 71 Jahre alte Kremlchef, der bereits seit rund einem Vierteljahrhundert an der Macht ist, brachte auch seine drei Gegenkandidaten Nikolai Charitonow, Wladislaw Dawankow und Leonid Sluzki mit auf die Bühne, die bei der Wahl von vornherein als völlig chancenlos gegolten hatten und sich auch klar auf Kremllinie zeigten.
Bei der Präsidentenwahl, die von Freitag bis Sonntag lief und von Beobachtern als undemokratisch eingestuft wurde, hatte sich Putin am Ende ein Rekordergebnis von mehr als 87 Prozent bescheinigen lassen und sicherte sich damit eine fünfte Amtszeit. Echte Oppositionelle waren nicht als Kandidaten zugelassen worden. Außerdem beklagten unabhängige Wahlbeobachter, dass der Urnengang von Propaganda, Zwang und Betrug geprägt gewesen sei.
Erneut Tote in russischer Grenzregion
Durch Beschuss aus der Ukraine sind in der russischen Grenzregion Belgorod nach Behördenangaben am Montag vier Menschen getötet worden. Es habe trotz des Einsatzes der russischen Flugabwehr direkte Treffer auf das Dorf Nikolskoje etwa 20 Kilometer von der Grenze gegeben, schrieb Gebietsgouverneur Wjatscheslaw Gladkow auf seinem Telegramkanal.
Einfrieren des Kriegs? Pistorius distanziert sich von Mützenich
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat sich von den Äußerungen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich zum Einfrieren des Ukraine-Kriegs distanziert. „Es würde am Ende nur Putin helfen“, sagte Pistorius nach einem Treffen mit dem polnischen Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz in Warschau. Dies sei zwar eine Position, die man vertreten könne, um sich für den Frieden auszusprechen. „Aber einen Diktatfrieden darf es nicht geben und keinen Frieden, der dazu führt, oder einen Waffenstillstand oder ein Einfrieren, bei dem Putin am Ende gestärkt herausgeht und den Konflikt fortsetzt, wann immer es ihm beliebt.“
Mützenich hatte vergangenen Donnerstag in der Bundestags-Debatte über eine Lieferung der Taurus-Marschflugkörper gefragt: „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“ Dafür war er auch schon aus den Reihen der Koalitionspartner Grüne und FDP kritisiert worden.
Was am Dienstag wichtig wird
Neben der Konferenz in Ramstein richtet sich der Blick am Dienstag auch ins schweizerische Lausanne: Dort berät die Spitze des Internationalen Olympischen Komitees ab 9.00 Uhr über die Frage, ob Athletinnen und Athleten aus Russland an der Eröffnungsfeier der Sommerspiele von Paris teilnehmen dürfen./haw/DP/zb
Krieg in Ukraine: Bundesamt-Präsidentin erinnert an nukleares Risiko
BERLIN (dpa-AFX) – Angesichts des andauernden Krieges in der Ukraine hat die Präsidentin des Bundesamts für Strahlenschutz, Inge Paulini, an das weiterhin bestehende Risiko für die dort angesiedelten Atomkraftwerke erinnert. Insbesondere die Situation am größten ukrainischen Kernkraftwerk Saporischschja gebe „immer wieder Anlass zur Besorgnis“, sagte Paulini am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Ein besonderes Risiko stellten dabei die Kampfhandlungen, die Stromversorgung sowie die Arbeitsbedingungen der Angestellten dar. Es müsse alles dafür getan werden, die Kühlung aller sicherheitsrelevanten Systeme sicherzustellen, appellierte Paulini. „Kerntechnische Einrichtungen sollten keinesfalls in kriegerische Auseinandersetzungen hineingezogen werden.“
Russische Truppen hatten das Atomkraftwerk Saporischschja Anfang März 2022 besetzt. Seitdem sind kriegsbedingt die meisten Leitungen ausgefallen, die die frontnahe Anlage mit Strom versorgen. Ein Team der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA ist ständig vor Ort, um die Lage in dem weitgehend stillgelegten Kraftwerk zu beobachten. Die Fachleute berichten immer wieder über militärische Aktivitäten in der Nähe.
Das Bundesamt für Strahlenschutz beobachtet die Lage seit Ausbruch des Krieges im Frühjahr 2022 sehr genau – und informiert auch über mögliche Auswirkungen eines nuklearen Zwischenfalls für Deutschland. Die Behörde schätzt diese nach wie vor als begrenzt ein. Die Notfallmaßnahmen würden sich voraussichtlich auf die Landwirtschaft und die Vermarktung landwirtschaftlicher Produkte beschränken, erklärte das Amt dazu auf dpa-Anfrage. Sollte es in Saporischschja etwa zu einem Zwischenfall mit Kernschmelze kommen, sei nicht zu erwarten, dass weitergehende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung in Deutschland – wie beispielsweise die Ausgabe von Jodtabletten – notwendig wären.
Bundesamt-Präsidentin Paulini hält ein stärkeres Bewusstsein für die Bedeutung des Zivil-und Katastrophenschutzes hierzulande dennoch für unabdingbar. Spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sei „das Risiko einer Straftat im Umgang mit radioaktiven Stoffen oder gar eines Nuklearwaffenangriffs“ wahrscheinlicher geworden, sagte Paulini.
Sie verwies in diesem Zusammenhang auch auf das bundesweite Messnetz für Radioaktivität, das an diesem Dienstag 50 Jahre alt wird. Die rund 1700 Sonden, die sich über das gesamte Bundesgebiet verteilen, überwachten die radioaktive Strahlung in der Umwelt „rund um die Uhr“, erklärte Paulini. Überschreitet der gemessene Pegel an einer Messstelle einen bestimmten Schwellenwert, gehe automatisch eine Meldung an die Rufbereitschaft des Bundesamts, das die Werte dann genauer prüfe. Paulini würdigte dieses System als „Zugewinn an Sicherheit für alle“.
Die erste Sonde ging 1974 im oberbayerischen Holzkirchen in Betrieb. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der schwelenden Gefahr eines Atomkriegs sollte ein System zur automatisierten Erfassung radioaktiver Strahlung entstehen. Das Reaktorunglück von Tschernobyl im Jahr 1986 sorgte für die bislang relevantesten Ausschläge im Messsystem.
In den kommenden Jahren werde das Messnetz technisch so weiterentwickelt, dass es auch gegen Einflüsse von außen, wie etwa Cyber-Attacken, widerstandsfähiger werde, erklärte Paulini. Außerdem solle es künftig in den Ballungsräumen mehr Sonden geben.
Über die Weiterentwicklung des Messnetzes und dessen Bedeutung werden an diesem Dienstag und Mittwoch Fachleute und Vertreter der staatlichen Behörden bei einem Festakt in Berlin diskutieren./faa/DP/zb
INTERVIEW: Reisners Blick auf die Front „Die russische Winteroffensive steht vor dem Höhepunkt“
Mit Drohnenangriffen und Grenzübertritten der russischen Legion hat die Ukraine während der russischen Präsidentschaftswahlen versucht, von der schwierigen Situation an der Front abzulenken, sagt Oberst Markus Reisner im wöchentlichen Blick auf die Situation in der Ukraine. Gerade die Drohnenangriffe hätten allerdings auch eine strategische Seite. Über die Präsidentschaftswahl in Russland sagt Reisner: „Man wird davon ausgehen können, dass Putin, ausgestattet mit knapp 90 Prozent Zustimmung, eine neue Frühjahrsoffensive vorbereiten lässt.“ …
INTERVIEW: «Wir sprechen nicht von einem Kalten Krieg reloaded. Die Situation ist gefährlicher»
Die sicherheitspolitische Lage in Europa hat sich radikal verändert. Militärexperte Frank Sauer erklärt, wie er die Gefahr durch Russland einschätzt. Warum Europa jetzt mehr Waffen braucht. Und weshalb wir trotzdem masshalten müssen.
Seit zwei Jahren tobt in der Ukraine der blutigste Krieg, den Europa seit 1945 erlebt hat. Wladimir Putin stellt Russland auf Kriegswirtschaft um und schafft sich die Waffenproduktionskapazitäten, um nicht nur den Feldzug gegen die Ukraine zu gewinnen, sondern auch weitere europäische Länder anzugreifen. Das sind die Fakten. Europa muss diese Situation erst einmal richtig beurteilen. Und dann schnell die Antworten finden.
Niemand will überflüssige Rüstungsausgaben, niemand will Armeen, die grösser sind als nötig – und schon gar nicht wollen die Nato-Staaten den Krieg. Was wir nun brauchen, ist eine Debatte darüber, wie Europa sich gegen die Kriegsdrohung am besten wappnet. Wie es die Voraussetzungen schafft, um den Krieg zu verhindern.
Diese Diskussionen sind unangenehm und kompliziert. Es geht dabei um militärtechnologische Details, um Bewertungen des Kräfteverhältnisses, um Waffenproduktionskapazitäten – und um Politik. Die Republik hat ein Interview mit dem deutschen Militär- und Sicherheitsexperten Frank Sauer geführt. Triggerwarnung: Es ist kein erfreuliches Gespräch. Aber eines, das geführt werden muss.
Frank Sauer, wenn wir einfach auf die militärischen Kapazitäten schauen, wie gross ist die reale Gefahr, die von Russland ausgeht?
Die Invasion der Ukraine im Jahr 2022 hat zunächst überraschende Schwächen der russischen Armee offengelegt. Vor den Augen der Welt scheiterte der vermeintliche Blitzangriff an starren Hierarchien, mangelnder Logistik und der Tatsache, dass der Grossteil der Waffen und Fahrzeuge der Russen katastrophal gewartet war. Man erinnere sich nur mal daran, wie viele russische Militärfahrzeuge aufgrund kaputter Pneus liegen blieben. Die Grundversorgung mit dem Allernötigsten – Kraftstoff, Nahrung, Wasser – funktionierte so schlecht, dass russische Soldaten Tankstellen und Supermärkte plündern mussten.
Das war vor zwei Jahren.
Russland hat auf seine Anfangsschwierigkeiten sehr stoisch reagiert und vorrangig das gemacht, was für die russische Armee schon immer funktioniert hat: auf Masse statt auf Klasse gesetzt. Dazu gehören zum Beispiel die menschenverachtenden Formen der Rekrutierung, etwa aus Gefängnissen. Berechnungen aus Estland kommen zu dem Resultat, dass Russland über 200’000 Soldaten pro Jahr durch seine Militärausbildung peitschen kann. Diese besteht zwar in aller Regel aus wenig mehr, als dass diesen armen Kerlen eine Uniform gegeben und eine Waffe in die Hand gedrückt wird. Aber Russland kann sich deshalb, so zynisch das klingt, jährliche Verluste in mindestens fünfstelliger Höhe leisten – zumindest eine Weile lang.
Wie ist es um die militärische Ausrüstung bestellt?
Russland kann gegenwärtig geschätzt 150 Kampf- und 150 Schützenpanzer pro Jahr produzieren. Das sind eher simple Geräte, oft fehlen auch bestimmte Bauteile. Die Optiken etwa, mit denen die Panzerschützen die Umgebung überwachen, stammten vor 2022 immer aus dem Westen. Ich möchte gar nicht genau wissen, in welchem Zustand diese Panzer aus der Fertigung rollen. Aber sie fahren – und darauf kommt es an.
Das klingt eher nach Debakel denn nach Bedrohung.
Die Bedrohung, die Russland darstellt, ist auf konventioneller militärischer Seite nicht durch Qualität gekennzeichnet, sondern durch die enorme Quantität an Soldaten und Waffen. Und sie ist politisch gekennzeichnet durch das Vorhandensein eines äusserst aggressiven revisionistischen Staates, der die Grenzen in Europa mit Gewalt «verschieben» möchte.
Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius hält es für möglich, dass Russland in fünf bis acht Jahren einen Nato-Staat angreift. Andere Beobachter gehen davon aus, dass ein solcher Angriff sogar noch früher erfolgen könnte.
Auch ich kann heute ohne Probleme in wenigen Schritten eine Situation konstruieren, in der in fünf Jahren ein solcher Angriff eine Realität werden könnte, wenn der Ukraine-Krieg für Russland gewonnen und die Nato durch Trump unterminiert ist. Wir sollten zur Sicherheit vom Worst Case ausgehen und hoffen, ihn auf dieser Bewertungsgrundlage durch entsprechendes Handeln verhindern zu können. Gemäss dieser Logik gehe ich inzwischen übrigens eben auch davon aus, dass Donald Trump tatsächlich wieder gewählt wird.
Trump hat bereits im Wahlkampf den Nato-Bündnisfall infrage gestellt.
Trump müsste im Amt nur einmal wiederholen, was er bereits gesagt hat, und die Beistandsgarantie nach Artikel 5 des Nato-Vertrags wäre massiv beschädigt. Wir werden in eine extrem schwierige Situation geraten, sollten wir Europäer uns bis dahin nicht einig geworden sein. Wir müssen wissen, wie wir mit einem Angriff auf einen Nato-Bündnispartner umgehen werden, wenn die USA sich zurückziehen sollten. Sonst könnte Putin darauf setzen, dass etwa Italien oder Spanien nicht bereit sein dürften, aktiv zu werden, wenn zum Beispiel Estland angegriffen wird. Wir müssen uns vorbereiten – und im Moment reicht unser Tempo in dieser Sache nicht aus.
Sie sprachen davon, dass Russland auf Masse statt Qualität setzt. Aus der Ukraine erreichen uns Bilder vom Stellungskrieg in den Schützengräben, die Assoziationen wecken mit dem Ersten Weltkrieg. Für den Laien wirkt das wie das Gegenteil von moderner Kriegsführung.
Es ist beides – gleichsam Erster Weltkrieg mit einer Schicht Hightech obendrauf, und zwar insbesondere Drohnen in verschiedensten Grössen und zu verschiedenen Zwecken. Russland ist aber, und das ist fundamental bedeutsam, anders als viele westliche Länder keine postheroische Gesellschaft. Das bedeutet, dass der Schutz der eigenen Soldaten eine untergeordnete Rolle spielt. Es zeigt sich etwa am rücksichtslosen Umgang mit Toten und Verwundeten. Und diese Haltung wirkt auch auf die Art der Kriegsführung und bis in das Design der Waffensysteme hinein.
Inwiefern?
Die russischen Panzermodelle, der T-72 zum Beispiel, sind so ausgelegt, dass drei davon gemeinsam einen Leopard aus deutscher Produktion bekämpfen können sollen. Es ist somit von vornherein einkalkuliert, dass bei einer direkten Konfrontation im Feld zwei der drei T-Panzer zerstört werden. Die russischen Modelle sind leichter gepanzert als die Nato-Modelle und können nicht gut rückwärtsfahren. Die Munition wird so unsicher aufbewahrt, dass bei Beschuss das gesamte Gerät häufig sofort in tausend Stücke zerspringt. Das ist bei allen westlichen Panzern anders. Diese sind nach der Logik gebaut, dass das Wichtigste am Waffensystem der Mensch ist, der drinsitzt. Es ist auch ein harter gedanklicher Prozess, sich auf die Realitäten der russischen Kriegsführung wirklich einzulassen.
Was erwarten Sie: Werden in den kommenden Jahrzehnten wieder auf diese Weise Kriege geführt werden?
Bis zum Angriff auf die Ukraine haben sich die meisten westlichen Armeen, so auch die deutsche Bundeswehr, auf ein Konfliktbild eingestellt, das Auslandskontingente mit leichterem Equipment zum internationalen Krisenmanagement verlangt. Das passte auch zum grundlegenden Wandel der westlichen Gesellschaft. Aufgrund der demografischen Entwicklung haben alle westlichen Streitkräfte ohnehin das Problem, dass sie nicht das Personal bekommen, das sie eigentlich bräuchten. Technologie soll diese Schwächen ausgleichen. Und deswegen etablierte sich der Konsens, dass wir in Zukunft nur noch kleine, agile Super-Hightech-Armeen aus Profis brauchen.
Und jetzt haben wir im Westen ein Problem, weil die Realitäten des Schlachtfelds sich nicht verändert haben? Ist es die Bereitschaft, die Massen ins Feuer zu schicken, die eine Armee noch heute schlagkräftig macht?
Das wiederum ist so auch nicht richtig. Wir werden wohl kaum zum Massenheer zurückkehren. In Deutschland wird zwar tatsächlich die Rückkehr zur Wehrpflicht diskutiert, aber selbst wenn die wiederkäme, was ich bezweifle, würde sie niemals die Bundeswehr des Kalten Krieges mit 500’000 Soldaten zurückbringen. Letztlich zählt an vielen Stellen eben schon die Technologie, das zeigt ja auch das Beispiel der Panzermodelle. Die faktische Überlegenheit der einen oder anderen Seite lässt sich jedoch nicht selten leider erst in der tatsächlichen Kriegssituation feststellen. Das führt auch das Tauziehen zwischen Russland und der Ukraine vor Augen.
Weshalb?
Russland war der Ukraine in Sachen Artilleriefeuer zu Beginn überlegen. Sowohl was die Systeme als auch was die Munition anbelangt. Auf dem Feld sah es dann aber lange Zeit so aus: Die Russen schiessen zehn Artilleriegranaten. Von denen gehen zwei gar nicht erst hoch. Die anderen acht werden ungezielt abgefeuert und gehen irgendwo runter. Die Ukrainer dagegen schiessen einmal mit einer Panzerhaubitze 2000 mit Excalibur-Munition zurück. Die trifft sofort, weil sie mit einer Drohne aufgeklärt haben, wo die gegenüberliegende Rohrartillerie steht und das Geschoss per GPS ins Ziel gelenkt wird. Das Verhältnis der Waffen war somit in manchen Frontabschnitten zwar 10:1, das Kräfteverhältnis sah unter dem Strich aber dank Technologie ausgeglichen aus. Das hat sich nun aber zuungunsten der Ukraine verändert, weil die Russen vermehrt auf elektronische Kampfführung setzen, GPS stören und Aufklärungsdrohnen behindern, womit die Präzisionssteuerung der Artilleriemunition der Ukrainer wieder verloren ist. So schiessen diese auch ungezielt. Und schon hat das Verhältnis 10:1 wieder eine grössere Bedeutung.
Das bedeutet also, dass es bei einem zähen Hin und Her bleibt?
Es bedeutet, dass Technologie nie die finale Antwort, sondern ein ewiges Stein-Papier-Schere-Spiel ist. Allerdings ist das Setzen auf Technologie für die Ukraine und den Westen die einzig mögliche Antwort. Russland ist zahlenmässig in einem solchen Mass überlegen, dass man nur auf die Hebelwirkung von technologischer Überlegenheit setzen kann.
Vor diesem Hintergrund: Welche Schritte müssen die europäischen Länder unternehmen, um Russland gegenüber verteidigungsfähig zu werden?
Entscheidend ist zum Beispiel, wie wir die Flugabwehr ausbauen, um uns vor Marschflugkörpern sowie Mittel- und Kurzstreckenraketen schützen zu können. Dafür wurde von Deutschland bereits 2022 das Projekt European Sky Shield ins Leben gerufen, das die gemeinsame Luftverteidigung der Nato in Europa ausbauen soll. Alles, was uns da marktreif zur Verfügung steht – insbesondere das System IRIS-T oder auch das weiter reichende Patriot –, eignet sich dafür. Aber wir brauchen deutlich mehr davon. Und es gibt noch viel simplere Dringlichkeiten.
Welche?
Gegen Russland kämpfen heisst Artilleriegefechte führen. In diesem Bereich müssen wir die Produktion stark hochfahren. Das tun wir jetzt, aber es hätte früher passieren müssen. Und wir brauchen sogenannte Loitering-Munition, das heisst Waffen, die längere Zeit im Zielgebiet verweilen können. Also zum Beispiel Drohnen, die zunächst ohne konkretes Ziel gestartet werden, dann aber präzise gelenkt werden können. Wenn die gegnerische Armee bei der Truppenstärke 5:1 überlegen ist, müssen wir versuchen, diesen Nachteil auf diese Weise aufzuwiegen. Aus westlicher Sicht ist Masse auf dem Gefechtsfeld nur durch Technologie und unbemannte Plattformen herstellbar. Und es gibt noch einen weiteren wichtigen Punkt, der aber nicht so gerne thematisiert wird.
Worauf spielen Sie an?
Auf Sperrsysteme. Damit beschäftigte ich mich in den vergangenen Wochen vertiefter. Man nennt so was auch Counter-Mobility-Systeme, aber in Wahrheit sprechen wir hier einfach von Minen. Nicht Antipersonenminen, diese sind ja seitens vieler Staaten, auch Deutschland, durch die Ottawa-Konvention geächtet. Aber Panzersperren werden für uns in Europa wohl zu einem wichtigen Thema werden. Das ist natürlich eine ziemlich finstere Aussicht. Aber ich bin überzeugt, dass wir, wenn das europäische Verteidigungssystem sich konsolidiert hat, eine Art neuen eisernen Vorhang haben werden, nicht in Form von Mauern, sondern von Sperrsystemen, die es Russland unmöglich machen werden, in Richtung Finnland oder in die baltischen Staaten oder noch weiter in die Ukraine vorzudringen.
Kehren wir zum Russland-Ukraine-Krieg zurück: Heute geht die Angst um, dass Russland mittelfristig die Oberhand gewinnen könnte. Wie schätzen Sie das ein?
Die Sorge ist berechtigt. Die Ukraine steht massiv unter Druck. Die nächsten Monate werden äusserst prekär werden. Es fehlt an dringend benötigter Artilleriemunition, und die angelaufene europäische Produktion wird erst im Spätsommer an einem Punkt sein, wo sie zumindest eine leichte Linderung verschaffen kann. Die Ukraine musste bereits weitere Ortschaften hinter Awdijiwka aufgeben. Das heisst, sie muss an der Front zurückweichen.
Die Ukraine hat sich lange überraschend gut geschlagen. Was hat sich verändert?
Zwei Faktoren, die ich manchmal ironisch als die ukrainischen Wunderwaffen bezeichnet habe. Es handelt sich dabei nicht um militärtechnisches Gerät – solche Wunderwaffen gibt es nämlich nicht –, sondern ich beziehe mich damit erstens auf die Tatsache, dass die Ukraine ab dem ersten Kriegstag die überlegene Kampfmoral gezeigt hat. Und zweitens darauf, dass die Russen sich in der ersten Kriegsphase als enorm inkompetent erwiesen haben. Diese beiden Faktoren leisteten einen grossen Beitrag zu den ukrainischen Erfolgen. Doch wenn man an diesen zwei Stellschrauben dreht, verändert sich der Fortgang des Krieges.
Und das ist inzwischen passiert?
Wir müssen feststellen: Russland hat nicht nur Masse. Es hat unter dem Strich auch eine beachtliche Lernkurve an den Tag gelegt, etwa bei der elektronischen Kriegsführung sowie dem Einsatz von Drohnen. Das beweist, dass die Russen adaptionsfähig sind. Der Vorwurf der Inkompetenz gilt also nicht mehr im selben Masse wie 2022 bis Mitte 2023. Gleichzeitig beobachten wir, dass die ukrainischen Truppen nach diesen zwei Jahren Krieg, die einige der Soldaten vom ersten Tag an bis heute an der Front durchlitten haben, nun mit Munitionsmangel kämpfen und zurückweichen müssen. Das macht bitter. Auch die Kampfmoral der Ukrainer ist also keine unendliche Ressource.
Aber das konkreteste Problem sind die fehlenden Artilleriegranaten?
Der Russland-Ukraine-Krieg ist ein Artilleriekrieg. Und der Ukraine fehlt es heute an Munition, aber auch an Ersatzrohren. Schauen Sie: Die Ukrainer schossen, als sie noch die Munition dafür hatten, pro Tag mit der Panzerhaubitze 2000 so viel wie die Deutschen in einem ganzen Jahr geschossen haben, da sie das System im Friedensbetrieb nur zu Trainingszwecken nutzten. Die Abschussrohre verschleissen dementsprechend sehr schnell. Auch Verschleiss, Wartung und Instandsetzung der Waffen sind also ein riesiges Thema für die ukrainische Armee. Und trotzdem letztlich zweitrangig, weil sie erst mal mehr Munition brauchen, um überhaupt wieder schiessen zu können.
Wieso hat Russland heute so viel mehr Munition? Die russische Armee hatte phasenweise ja eine ernsthafte Nachschubkrise und musste Munition in Nordkorea einkaufen.
Russland litt tatsächlich phasenweise an einem massiven Munitionsmangel, das ist richtig. Wir erinnern uns noch an die Wutvideos des damaligen Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin, in denen er frustriert schrie, dass er keine Munition bekomme. Doch Russland hat den Munitionsmangel früh adressiert. Putin hat rasch verstanden, dass die Eroberung der Ukraine nicht in drei Tagen erledigt sein wird. In der Folge hat er alles getan, um es in drei Jahren zu schaffen. Diese Entwicklung ist Teil der Lernkurve und ist auch die Basis des heutigen politischen Drohpotenzials von Putin. Ein Drittel des russischen Haushalts und 7,1 Prozent des BIP werden aktuell für den Krieg ausgegeben. Mit diesen Mitteln wurde auch die Produktion von Artilleriemunition massiv hochgefahren, und die Russen haben nun deutlich mehr Munition zur Verfügung – je nach Frontabschnitt in einem Verhältnis zwischen 5:1 und sogar 10:1 gegenüber der Ukraine.
Wie viel Munition bräuchte die Ukraine, um gleichzuziehen?
Die Berechnungen gehen hier relativ weit auseinander. Die absolute Untergrenze wären wahrscheinlich rund 3000 Schuss pro Tag. 5000 pro Tag würden wahrscheinlich reichen. Wenn man wirklich Bewegung in die Front bringen will, wären bestimmt 7000 bis 8000 Schuss am Tag nötig. Diese Munition müssen die Ukrainer aus dem Ausland geliefert bekommen oder selbst produzieren.
Hilfsgelder aus den USA in Höhe von 60 Milliarden Dollar, mit denen Munition gekauft werden könnte, werden aktuell durch die Republikaner blockiert. Wie viel steuert die EU bei?
Die EU hatte im März 2023 zugesagt, bis zu diesem Jahr, also quasi bis jetzt, eine Million Artilleriegranaten zu liefern. Geschafft haben wir rund 520’000. Umgerechnet auf den Bedarf pro Tag sind wir damit bei nicht mal der Hälfte des untersten Minimums. Wir könnten also noch nicht annähernd ausgleichen, was fehlen wird, wenn die USA nicht mehr liefern. Noch dazu stehen wir uns bei bestimmten Dingen selbst im Weg, die eigentlich schneller gehen könnten.
Zum Beispiel?
Petr Pavel, der tschechische Präsident, hat auf der Münchner Sicherheitskonferenz angekündigt, er habe 800’000 Schuss Munition aufgetrieben in Südkorea, Südafrika und in der Türkei, mit einem Kaliber von 155 Millimeter für die westlichen und von 122 Millimeter für die alten sowjetischen Systeme. Wunderbar! Dann dauert die Umsetzung aber Tage, Wochen, Monate. Erst müssen sich die Länder zusammenfinden, um das Geld aufzubringen, dann muss die Munition gekauft und der Transport geklärt werden. Das dauert alles. Und es gibt immer wieder Schwierigkeiten, weil zwischen EU-Ländern Interessendivergenzen bestehen. Frankreich zum Beispiel hat zwar den Widerstand gegen den tschechischen Plan aufgegeben, aber erklärt, es wolle nicht, dass mit europäischem Steuergeld Munition im Ausland gekauft werde. Alle Mittel sollten in die Wertschöpfungskette in Europa fliessen. Das ist ein durchaus valider Punkt. Nur geht es für die Ukraine eben gerade ums nackte Überleben.
Von der deutschen Waffenproduktion werden bis heute 40 Prozent an Drittstaaten geliefert. Die Ukraine wird als Empfängerin nicht priorisiert.
Auch das deutet darauf hin, dass man immer noch nicht verstanden hat, wie dringlich die Situation in der Ukraine ist. Dänemark zum Beispiel hat entschieden, den gesamten eigenen Bestand an Artilleriemunition und weitere Waffensysteme an die Ukraine zu liefern. Es erscheint schlicht als das Gebot der Stunde. Worauf sollte Dänemark aktuell auch schiessen?
Eine Sorge spielt ja in diese Diskussion hinein, nämlich die Furcht der Nato-Heere, selbst ohne ausreichend Waffen dazustehen. Auch die Bundeswehr hat immer wieder aus ihren Beständen Waffen an die Ukraine geliefert.
Natürlich ist das ein Problem, weil es zum Beispiel Ausbildung erschwert. Hier kommt aber noch etwas Grösseres ins Spiel, was wir in der hitzigen Diskussion über die richtigen Strategien der Aufrüstung gerne vergessen: Die wenigsten Bürgerinnen haben ein realistisches Bild davon, was Rüstungsproduktion in Europa wirklich bedeutet.
Was denn?
Stand heute ist das Manufakturarbeit mit sehr geringen Volumina. Aus guten Gründen! Im Grunde wollen wir das ja auch alle so, weil diese Art der exklusiven Boutiqueproduktion von Kriegsmaterial in Zeiten des tiefen Friedens und der Abrüstung angemessen ist. Problematisch wird es aber dann, wenn leider zügig aufgerüstet werden muss. Es bedeutet, dass wir die Kapazitäten in einem überschaubaren Zeitraum schlicht nicht erhöhen können. Denn gegenwärtig mangelt es dazu an allem.
Woran genau?
Das fängt damit an, dass es extrem schwierig ist, einen Standort zu finden, an dem man mit Sprengstoff hantieren darf. Und wenn es gelingt, wider Erwarten die Genehmigung zu bekommen und ein Produktionsgebäude zu errichten, brauchen Sie als Nächstes Personal. Arbeitskräfte zu finden, die in diesem Feld die richtige Expertise mitbringen, ist jedoch schwierig. Wir bilden ja nicht aus zum Artillerie-Munitions-Techniker, männlich-weiblich-divers. Rüstungshersteller finden deshalb nur schwer Leute. Und dazu kommt das Problem der Lieferketten. Es gab bis vor kurzem in ganz Europa gerade mal zwei Hersteller, die RDX-Sprengstoff produzieren, der häufig in modernen Waffen verbaut wird. Das ist ein potenter, aber zugleich sehr stabiler Sprengstoff, der grosse Erschütterungen und sogar Feuer aushält. Bei so hoch spezialisierten Produkten kann man nicht einfach mal in Kürze die Produktion hochfahren. Und die Nitrozellulose, die sie für Artillerie-Treibladung brauchen, wird überwiegend wo hergestellt? In China.
Wir sprechen hier auch von enormen Kosten. Während die Nato-Mitglieder kritisiert werden, weil immer noch nur 12 von 32 Staaten die vereinbarten 2 Prozent vom BIP in ihre Verteidigung investieren, werden Stimmen laut, dass das längst nicht reichen wird.
Da ist momentan viel Spekulation im Spiel. Ich will mich da auf keinen Überbietungswettbewerb einlassen. Aktuell ist es schwer zu sagen, unter welchen Umständen die Investitionen wie hoch ausfallen müssen. Wenn wir uns allerdings das vorhin diskutierte Worst-Case-Szenario vorstellen, nach dem das Baltikum in fünf Jahren von Russland angegriffen wird und der Bündnisfall eintritt, dann müssten in diesem Fall grosse Nato-Mitgliedsstaaten wie Deutschland wohl locker auf 4 bis 5 Prozent vom BIP hochgehen. Deswegen müssen wir ja jetzt mehr tun, um Russland abzuschrecken und seine Expansionsgelüste in der Ukraine zu stoppen und einzudämmen. Nicht zuletzt, weil das auf lange Sicht auch billiger ist.
Und wie schätzen Sie den finanziellen Bedarf ein, wenn Sie ein möglichst realistisches Szenario entwerfen?
Deutschland hat ja nach Beginn des Russland-Ukraine-Krieges das berühmte Sondervermögen über 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr beschlossen. Wenn dieses Geld in ein paar Jahren aufgebraucht ist, steuert Deutschland auf eine Finanzierungslücke zu. Im normalen Haushaltsbudget sind für Verteidigung dann so wenig Mittel eingeplant, dass die Bundeswehr unter Umständen nicht einmal mehr den Betrieb vollumfänglich am Laufen halten kann. Investive Mittel gäbe es gar keine. Realistisch betrachtet ist eine Investition von 2 Prozent des BIP in die Verteidigung somit das Minimum. So viel kann man mit Sicherheit sagen.
Neben der Finanzierung stellt sich auch die Frage, wie Europas Verteidigung in Zukunft organisiert sein soll. Selbst wenn Trump nicht gewählt werden sollte, ist es gut möglich, dass sich die USA in Zukunft weniger auf Europa und mehr auf den Pazifik ausrichten. Wie kann ein europäisches Verteidigungsbündnis aussehen?
Sie haben völlig recht. Selbst wenn uns Trump erspart bleiben sollte, sind die Zeiten, in denen wir uns in gewohnter Manier auf die USA verlassen können, inzwischen einfach vorbei. Als Erstes müssen wir es deswegen endlich schaffen, die Beschaffung innerhalb Europas besser zu verzahnen. Seit Jahrzehnten diskutieren wir darüber, dass wir viermal so viele Grosswaffensysteme produzieren wie die USA und deswegen keine Skaleneffekte nutzen können. Die Rechnung ist einfach: Wenn man statt 18 Panzerhaubitzen 250 baut, weil eine ganze Reihe von EU-Ländern sie nutzen, dann wird das einzelne Geschütz günstiger. Noch dazu können Nachschub und Wartung dann für alle gleich organisiert werden. Noch mehr Kostenersparnis. Theoretisch ist das unumstritten, praktisch scheitert die Skalierung aber an nationalen Interessen. In letzter Konsequenz ist es für mich unabdingbar, dass wir eine europäische Verteidigungsunion schaffen. Europa hat 450 Millionen Einwohner, ist im Vergleich zu Russland eine gigantische Wirtschaftsmacht und auch technologisch weit überlegen. Wenn wir gemeinsam agierten, hätten wir gar kein Problem.
Sie sagen also: Wir brauchen eine europäische Verteidigungsunion, nicht eine Nato, die auf die USA auch verzichten kann?
Ich würde es andersherum formulieren: Es braucht ein starkes Europa in der Nato. Die europäische Verteidigungsunion, das kann nur vom Weimarer Dreieck kommen – Polen, Frankreich und Deutschland. Das muss der europäische Pfeiler in der Nato werden.
Weshalb braucht es weiterhin die Nato?
Die Nato ist im Gegensatz zur EU eine Militärallianz. Sie verfügt über entsprechende Strukturen, Verfahren, Standards und vor allem ein einheitliches Kommando. Das bedeutet, im Bündnisfall wäre klar, wer für was zuständig ist und wer welche Entscheidungsbefugnis hat.
Wir haben jetzt eine umfassende Mängelanalyse betrieben. Welche Signale stimmen Sie denn positiv?
Zum Beispiel die Signale, die Macron seit 2020 gesendet hat mit Blick auf die Integration der Force de frappe. Frankreich hat wiederholt deutlich gemacht, dass es bereit ist, in einen strategischen Austausch vor allem mit Deutschland zu treten, um die französischen Nuklearwaffen stärker für die gesamteuropäische Abschreckung zur Verfügung zu stellen. Auch dass sich die Briten nicht abgewendet haben und bei der europäischen Sicherheit immer noch als Schlüsselspieler beteiligt sind, werte ich als ein sicherheitspolitisch gutes Zeichen.
Frankreich und Grossbritannien besitzen als einzige europäische Staaten Nuklearwaffen. Allerdings verfügen sie ausschliesslich über strategische Atomwaffen mit hoher Zerstörungskraft. Hätte Europa ohne nukleare Gefechtsfeldwaffen nicht eine «Abschreckungslücke»?
Zunächst, um das noch einmal deutlich zu machen: Ein Nukleardispositiv auf EU-Ebene wäre nicht sinnvoll. Die Europäische Union in ihrer jetzigen Verfasstheit wäre gar nicht in der Lage, Abschreckung sinnvoll zu organisieren. Es wäre viel zu unklar, wer über den Einsatz der Waffen entscheidet. Wir müssen einen anderen Ansatz finden, und viele Optionen gibt es da nicht. Die einzigen zwei Staaten, die Nuklearwaffen haben, sind Grossbritannien und Frankreich. Die Briten besitzen allerdings nur seegestützte Trident-Raketen. Das sind strategische Atomwaffen, die dafür vorgesehen sind, zwecks Abschreckung ganze Städte, militärische Einrichtungen und ökonomische Knotenpunkte zu bedrohen. Dieses Nukleardispositiv ist zudem eng mit dem der Amerikaner gekoppelt. In Frankreich sieht die Situation etwas besser aus: Hier kommen zu den seegestützten Raketen noch Marschflugkörper dazu, die aber auch Teil eines strategischen Dispositivs sind. Weder Frankreich noch Grossbritannien besitzen Gefechtsfeldwaffen mit geringerer Zerstörungskraft. Sollte Russland solche nuklearen Gefechtsfeldwaffen einsetzen, könnten die Europäer im Grunde nur mit Nuklearwaffen antworten, mit denen sie auf Moskau schiessen. Aber würden sie das tun? Auf dass danach dann Paris verglüht? Wäre die Drohung damit glaubwürdig? Mit Sicherheit nicht. Der Kreml weiss das.
Also klafft in der nuklearen Abschreckung in Europa tatsächlich eine Lücke.
Sollte die nukleare Teilhabe der Nato wegfallen, entstünde diese Lücke, ja. Die müssten wir füllen. Das Problem ist, dass zum Beispiel Frankreich eher nicht begeistert sein dürfte, weil das Staatsbudget so etwas kaum noch hergibt. Alle wichtigen Fragen sind vorderhand unbeantwortet: Wer würde entsprechende Waffen entwickeln? Wer würde sie bezahlen? Wie wäre die nukleare Abschreckung europäisch integriert? Das sind extrem diffizile Herausforderungen. Zwischen EU-Staaten ist so was unkartografiertes Gelände. Ich habe die Befürchtung, dass wir im Ernstfall zu lange brauchen, bis konkrete Schritte politisch möglich werden. Die mentale Umstellung geht zu langsam.
Aber es ist doch verständlich, ja eigentlich erfreulich, dass viele Menschen zögern, Aufrüstung zu akzeptieren oder sogar zu unterstützen. Und nukleare noch dazu.
Es ist mehr als nur verständlich. Mir geht es selbst nicht anders. Ich will übrigens eigentlich auch gar keine Nuklearwaffen, nirgends. Und es würde von einem völlig weltfremden Politikverständnis zeugen, wenn wir von einer demokratischen, pluralistischen, im Frieden lebenden Gesellschaft erwarteten, dass sie von jetzt auf gleich in einen Blut-Schweiss-und-Tränen-Modus à la Churchill umschwingt. Aber wir müssen zugleich die geänderten Realitäten zur Kenntnis nehmen. Und das Begreifen dieser neuen Realitäten ist auch ein kommunikativer Prozess. Darum glaube ich auch, dass die zögerliche Haltung von Olaf Scholz durchaus der Rücksichtnahme auf die Stimmung in der Bevölkerung geschuldet ist. Zum Beispiel seine Weigerung, Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu liefern. Ich sehe darin eine Rücksichtnahme auf die Befindlichkeit des Wahlvolks und finde es natürlich grundsätzlich legitim, da auch hinzuhören. Ich bin auf Veranstaltungen gewesen, zum Beispiel mit Aussenministerin Annalena Baerbock, wo Leute stehen, die gerade in Rente gegangen sind, ihr Häuschen und ihren Garten haben und überlegen, wie sie jetzt eine Fotovoltaikanlage anschaffen können wegen der Klimakrise. Und plötzlich soll es stattdessen Krieg geben. Im Gespräch mit diesen Menschen merkt man, dass es für sie schier unbegreiflich ist. Sie hoffen auf eine diplomatische Lösung und sagen, wir dürfen da auf keinen Fall hineingezogen werden. Diese Reflexe sind vollkommen nachvollziehbar. Sie sind geprägt durch dreissig Jahre Frieden und Wohlstand nach dem Ende des Kalten Krieges.
Die Schweiz und andere Staaten wie zum Beispiel Österreich sind neutral, heute wie zu Zeiten des Kalten Krieges. Dennoch war die Schweiz zu Zeiten der Sowjetunion informell in das europäische Verteidigungsdispositiv eingebunden. Denken Sie, das wird wieder so kommen?
Viele Fragen aus dem Kalten Krieg werden sich in ähnlicher Weise wieder stellen, je nach Entwicklung der Dinge. Da finde ich zum Beispiel interessant, welche Entscheidungen Österreich im Bereich der Luftverteidigung getroffen hat und wie es sich am European Sky Shield beteiligt. Ich habe den Eindruck, dass dort zumindest über das Beschaffungswesen europäisch mitgedacht wird.
In der Schweiz gibt es diese Debatte jetzt auch.
Das liegt auch nahe. Wobei wir aufpassen müssen, wenn wir die Situation in den Kategorien des Kalten Krieges analysieren.
Warum?
Wenn wir auf die Zukunft Europas schauen, sprechen wir nicht von einem Kalten Krieg reloaded. Die heutige Situation ist gefährlicher. Putins Russland ist nicht das Russland gegen Ende der Sowjetunion. Damals war Russland daran interessiert, den Status quo zu erhalten, jetzt sprechen wir über einen revisionistischen Staat. Zudem müssen wir mit militärischen Komponenten umgehen, die damals noch nicht existent waren. Es gibt neuartige Möglichkeiten, zum Beispiel Cyber-Operationen, oder solche im Rahmen der hybriden Kriegsführung. Man denke auch an die Abhöraffäre rund um die umstrittenen Taurus-Lieferungen, an Desinformation oder an Angriffe auf Weltrauminfrastruktur. Hinzu kommt, dass uns sämtliche Rüstungskontrollverträge mit Russland in den letzten Jahren durch die Finger geronnen sind. Es ist wirklich besorgniserregend.
Vieles, was Sie schildern, macht Angst. Doch Angst ist kein guter Ratgeber. Wie können wir die Realitäten der sich verändernden Weltordnung anerkennen und gleichzeitig masshalten in unserer Reaktion?
Das ist die Frage schlechthin. Ich möchte gerne noch mal das Beispiel von Olaf Scholz aufgreifen. Als Bundeskanzler geht er oft ans Werk mit 40 Prozent Entschlossenheit und 60 Prozent Besonnenheit. Um das ins aktuell angemessenere Verhältnis zu bringen, bräuchte es gar nicht so viel. Schon wenn wir mal nur zu 40 Prozent besonnen und dafür aber zu 60 Prozent entschlossen wären, kämen wir beherzt auf den richtigen Weg. Wenn zudem Personen in der Verantwortung sind, die die Menschen mitnehmen, die erklären, was nötig ist, auch wenn es unbequem ist, dann kämen wir bald ein paar entscheidende Schritte weiter. Ich glaube, dass das möglich ist. Wir bewegen uns etwa bei der Entwicklung einer europäischen Verteidigungsunion auf politischem Neuland. Das ist eine riesige Herausforderung, und wir brauchen dafür eine klare Vision. Aber an solchen Punkten waren wir in der EU schon oft, und wir haben es bisher immer geschafft, einen Weg zu finden.
MELDUNGEN
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Der globale Einbruch in die Demokratie hat begonnen (Die Presse, ZAHLPFLICHT)
Noch nie wurden laut einer aktuellen Bertelsmann-Studie in den vergangenen 20 Jahren so viele Staaten schlecht regiert. Korrupte Autokratien sind im Vormarsch und zerfressen die Marktwirtschaft.
Gütersloh. Die Demokratie steht weltweit unter Druck. In einer Mehrheit der Entwicklungs- und Transformationsländer gerät sie ins Abseits. Das ist laut einer der „Presse“ vorliegenden Studie der Bertelsmann-Stiftung nicht nur ein Alarmzeichen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sondern auch für die globale wirtschaftliche Entwicklung.
Die Experten der Bertelsmann-Stiftung erstellen alle zwei Jahre einen Transformationsindex (BTI), mit dem die Demokratie, die Regierungsarbeit, der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Entwicklung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in 137 Ländern bewertet wird. Innerhalb von zwei Jahren (von Jänner 2021 bis Jänner 2023) waren in 25 dieser Länder die Wahlen weniger frei und fair, in 32 Ländern gab es einen Rückschritt bei der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, in 39 Ländern wurde die Meinungs- und Pressefreiheit stärker beschränkt. Aktuell steht in den untersuchten Staaten 63 Demokratien eine Mehrheit von 74 Autokratien gegenüber. …
Graphik-Link: stabile, defekte, zerfallende Demokratien und zerfallende Staaten
2022 lag der Medianlohn bei 6788 Franken
Im Jahr 2022 belief sich der Medianlohn einer Vollzeitstelle in der Gesamtwirtschaft (privater und öffentlicher Sektor) auf 6788 Franken brutto pro Monat. Obwohl die allgemeine Lohnpyramide zwischen 2008 und 2022 relativ stabil geblieben ist, gab es markante Unterschiede zwischen den Wirtschaftszweigen sowie nach Profil der Arbeitnehmenden. Ein Drittel der Arbeitnehmenden (33,6%) erhielten Boni und 12,1% einen Tieflohn. Dies geht aus den ersten Ergebnissen der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung 2022 des Bundesamtes für Statistik (BFS) hervor.
Im Jahr 2022 belief sich der monatliche Bruttomedianlohn für eine Vollzeitstelle (privater und öffentlicher Sektor zusammen) auf 6788 Franken pro Monat. Die 10% der Arbeitnehmenden mit den tiefsten Löhnen verdienten weniger als 4487 Franken pro Monat, während die am besten bezahlten 10% über 12 178 Franken erhielten.
Die Lohnpyramide ist seit 2008 weitgehend stabil
Die allgemeine Lohnschere, d. h. der Gesamtabstand zwischen den höchsten und den tiefsten Löhnen, hat sich zwischen 2008 und 2022 in der Gesamtwirtschaft kaum verändert. In diesem Zeitraum stiegen die Löhne der am besten bezahlten 10% der Arbeitnehmenden um 13,5%. In der Mittelschicht fiel das Lohnwachstum mit 11,5% am tiefsten aus, bei den am schlechtesten bezahlten 10% der Arbeitnehmenden erhöhten sich die Löhne um 14,3%.
Grosse Lohnunterschiede je nach Branche
Je nach Wirtschaftszweig waren 2022 auf dem Schweizer Arbeitsmarkt grosse Lohnunterschiede zu beobachten. Deutlich über dem Medianlohn (6788 Franken brutto pro Monat) lagen die Löhne in Branchen mit hoher Wertschöpfung wie in der Informationstechnologie (9412 Franken), der Pharmaindustrie (10 296 Franken), bei Banken (10 491 Franken) oder in der Tabakindustrie (13 299 Franken).
In der Mitte der Lohnskala fanden sich Branchen wie das Baugewerbe (6410 Franken), die Luftfahrt (6980 Franken), die Maschinenindustrie (7245 Franken) und der Grosshandel (7414 Franken). Zuunterst in der Lohnpyramide waren der Detailhandel (5095 Franken), das Gastgewerbe (4601 Franken), die Beherbergung (4572 Franken) und die persönlichen Dienstleistungen (4384 Franken) angesiedelt.
Bei vergleichbarer Ausbildung bestimmt die berufliche Stellung den Lohn
Die Lohnhierarchie wird weitgehend vom Ausbildungsniveau bestimmt. Mit einem universitären Abschluss erhielten Arbeitnehmende pro Monat für eine Vollzeitstelle 10 210 Franken, mit einem Fachhochschulabschluss 9000 Franken und mit einem EFZ 6190 Franken. Allerdings sind bei der effektiven Entlöhnung die Art der Funktion und die ausgeübte Tätigkeit im Unternehmen ausschlaggebend. Eine Person mit Universitätsabschluss verdiente in einer Stelle mit einem hohen Mass an Verantwortung 13 883 Franken, während sie in einer Stelle ohne Verantwortung 8481 Franken erhielt. Analog dazu belief sich der Lohn für eine Person mit EFZ in einer Stelle mit einem hohen Mass an Verantwortung auf 8106 Franken und in einer Stelle ohne Verantwortung auf 5970 Franken.
Je nach Aufenthaltsstatus variieren die Löhne stark
Bei den Arbeitsstellen, die ein hohes Mass an Verantwortung erfordern, fiel der Lohn der ausländischen Arbeitnehmenden insgesamt höher aus als jener der Schweizer Arbeitnehmenden. So verdienten beispielsweise Grenzgängerinnen und Grenzgänger (G-Ausweis) 10 707 Franken, Personen mit Niederlassungsbewilligung (C-Ausweis) 11 495 Franken und Personen mit Aufenthaltsbewilligung (B-Ausweis) 12 791 Franken, während sich der Lohn der Schweizer Arbeitnehmenden mit hohem Verantwortungsniveau auf 10 476 Franken belief.
Bei den Stellen ohne Führungsverantwortung war die Situation umgekehrt: Mit 6496 Franken war der Lohn von Schweizer Arbeitnehmenden ohne Kaderfunktion höher als jener von ausländischen Arbeitnehmenden, sowohl als jener mit B-Ausweis (5300 Franken) und C-Ausweis (5787 Franken) als auch als jener mit G-Ausweis (5859 Franken).
Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern nehmen weiter ab
In der Gesamtwirtschaft verringert sich das Lohngefälle (Median) zwischen Frauen und Männern weiter. 2022 lag es bei 9,5%, gegenüber 10,8% im Jahr 2020 und 11,5% im Jahr 2018. Die geschlechterspezifischen Lohndifferenzen lassen sich teilweise durch unterschiedliche Profile (z. B. Bildungsniveau oder Alter) oder Tätigkeiten erklären (insbesondere das Verantwortungsniveau am Arbeitsplatz und der Wirtschaftszweig).
Diese Lohnunterschiede widerspiegeln die unterschiedliche berufliche Integration der Frauen und Männer auf dem Arbeitsmarkt. Je höher die Hierarchiestufe der Stelle, desto grösser fällt der geschlechterspezifische Lohnunterschied aus. So verdienten im Jahr 2022 Frauen in Stellen mit hohem Verantwortungsniveau 9565 Franken brutto pro Monat, während Männer auf derselben Stufe 11 212 Franken erhielten, was einer Differenz von 14,7% entspricht (2020: 16,8%; 2018: 18,6%). Am anderen Ende der Skala, bei Arbeitsstellen ohne Kaderfunktion, war das Lohngefälle zuungunsten der Frauen 2022 mit 5,7% (2020: 6,9%; 2018: 7,6%) weniger ausgeprägt.
2022 sah die Verteilung der Frauen und Männer nach Lohnklassen folgendermassen aus: Bei Stellen mit einem monatlichen Bruttolohn von weniger als 4500 Franken lag der Frauenanteil bei 62,1% (gegenüber 63,1% im Jahr 2020). Im Gegensatz dazu waren, wie bereits im Jahr 2020, 75,4% der Stellen mit einem monatlichen Bruttolohn von über 16 000 Franken von Männern besetzt.
Der Anteil der Tieflohnstellen bleibt unverändert
2022 entsprach eine Tieflohnstelle einer Vollzeitstelle mit einem monatlichen Bruttolohn von weniger als 4525 Franken. Die Zahl der Tieflohnstellen blieb in der Schweiz zwischen 2020 und 2022 unverändert bei 10,5%. Folgende Wirtschaftszweige verzeichnen einen hohen Anteil an Tieflohnstellen: Luftfahrt (18,9%), Audiovisuelle Medien (19,9%), Detailhandel (23,3%), Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln (25,9%), Gastronomie (46,3%), Beherbergung (47,5%) und Persönliche Dienstleistungen (54,4%). Im Jahr 2022 besetzte mehr als eine halbe Million Arbeitnehmende (566 100 bzw. 12,1%) eine Tieflohnstelle (2020: 491 900 bzw. 12,0%). 62,1% davon waren Frauen.
Die grosse Mehrheit der Arbeitnehmenden erhält einen 13. Monatslohn
Über drei Viertel (76,2%) der Arbeitnehmenden erhielten 2022 einen 13. Monatslohn. Der Anteil der Unternehmen, die nahezu all ihren Angestellten einen 13. Monatslohn zahlen, stieg zwischen 2020 und 2022 leicht von 44,7% auf 45,8%. Lediglich 27,6% der Unternehmen zahlen gar keinen 13. Monatslohn aus.
Der Wert der Boni ist 2022 gestiegen
2022 erhielt ein Drittel (33,6% gegenüber 36,3% im Jahr 2020) der Arbeitnehmenden einen Bonus, d. h. eine unregelmässige, zusätzlich zum Grundlohn ausbezahlte jährliche Sonderzahlung. Der Wert der ausbezahlten Jahresboni stieg 2022 im Durchschnitt auf 11 670 Franken (gegenüber 10 142 Franken im Jahr 2020).
Die Höhe der Boni variierte je nach Wirtschaftszweig und Verantwortungsniveau im Unternehmen deutlich. Dem oberen Kader wurden in der öffentlichen Verwaltung durchschnittlich 4792 Franken, im Detailhandel 22 111 Franken, in der Maschinenindustrie 47 097 Franken, im Grosshandel 96 416 Franken, bei den Banken 146 100 Franken und in der Tabakindustrie 293 830 Franken ausbezahlt. Personen ohne Führungsverantwortung erhielten ebenfalls Boni. Diese fielen jedoch mit durchschnittlich 4870 Franken pro Jahr deutlich tiefer aus.
Zürich an der Spitze, Tessin als Schlusslicht
Die Schweizer Monatslöhne variieren auch zwischen den Regionen deutlich. Die Bruttomedianlöhne für die oberen Kader sind in der Region Zürich (11 758 Franken), in der Genferseeregion (11 111 Franken) und in der Region Nordwestschweiz (10 715 Franken) regelmässig am höchsten. Das Tessin liegt mit 8755 Franken für Stellen im oberen Kader und 5184 Franken für Stellen ohne Führungsfunktion unabhängig von der Hierarchiestufe am unteren Ende der Lohnskala. Diese regionalen Lohnunterschiede lassen sich teilweise durch die räumliche Konzentration von Wirtschaftszweigen mit hoher Wertschöpfung und durch strukturelle Besonderheiten der regionalen Arbeitsmärkte erklären.
Erwerbstätige im europäischen Vergleich
Die Schweiz zählte im 4. Quartal 2023 insgesamt 5,362 Millionen Erwerbstätige, d.h. 2,2% mehr als im 4. Quartal 2022. In der Europäischen Union (EU) und in der Eurozone (EZ20) nahm die Zahl der Erwerbstätigen im gleichen Zeitraum zu (+1,0% bzw. +1,2%).
Diese Daten sind eine Ergänzung zur vierteljährlichen Medienmitteilung zur Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung und abgeleitete Statistiken im 4. Quartal 2023, die unter diesem Link verfügbar ist.
Renten steigen zum 1. Juli um 4,57 Prozent
Die Renten in Deutschland steigen zum 1. Juli um 4,57 Prozent. Wie das Bundessozialministerium mitteilt, liegt die Rentenanpassung damit „im dritten Jahr in Folge oberhalb von vier Prozent“. Demnach erfolgt die Rentenanpassung nun zum ersten Mal bundeseinheitlich, nachdem der Rentenwert im Osten im vergangenen Jahr bereits den West-Wert erreicht hat.
„Österreich: Inflation im Februar 2024 bei 4,3 %“
von Statistik Austria finden Sie als PDF
„Österreich: Energiearmut 2022: Heizen laut 3,2 % der Haushalte nicht leistbar“
von Statistik Austria finden Sie als PDF
„Ein Fünftel aller Familien mit Kindern sind Ein-Eltern-Familien“
von Statistik Austria finden Sie als PDF
„Monatliche Durchschnittsmiete bleibt im 4. Quartal 2023 bei 9,5 Euro pro Quadratmeter“
von Statistik Austria finden Sie als PDF
„Jede:r fünfte Vollzeiterwerbstätige möchte weniger arbeiten“
von Statistik Austria finden Sie als PDF
„Arbeitsmarkt im Fokus – Können Ältere den Arbeitskräftemangel ausgleichen? (SB 5.9)“
steht auf unserer Website unter Arbeitsmarkt im Fokus – Können Ältere den Arbeitskräftemangel ausgleichen? (SB 5.9) als PDF bereit.
„Arbeitsmarktstatistik – 4. Quartal 2023, Mikrozensus-Arbeitskräfte-Erhebung (SB 5.8)“
steht auf unserer Website unter Arbeitsmarktstatistik – 4. Quartal 2023, Mikrozensus-Arbeitskräfte-Erhebung (SB 5.8) als PDF bereit
Finanzbildung leicht gemacht: neue Starterpakete für den Unterricht zur Global Money Week 2024 – Nationalbank präsentiert neue Lehrmaterialien für den Einstieg in den Finanzbildungsunterricht
Die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) stellt im Rahmen der Global Money Week 2024 ihre neuen Starterpakete für den Finanzbildungsunterricht vor. Damit wird die Bedeutung von Finanzbildung für junge Menschen stärker in den Mittelpunkt gerückt. Lehrkräfte können dieses wichtige Thema nun noch leichter in ihren Unterricht integrieren. Bis 4. April läuft zudem das Global Money Week Quiz, ein Online-Finanzbildungsquiz mit zehn Fragen, bei dem Schülerinnen und Schüler ihr Wissen unter Beweis stellen und attraktive Preise wie eine Silbermünze der Münze Österreich gewinnen können.
Die Global Money Week (GMW) findet in diesem Jahr unter dem Motto „Protect your money, secure your future“ vom 18. bis 24. März statt. Es handelt sich um eine jährliche Initiative des International Network on Financial Education (INFE) der OECD und bietet jungen Menschen weltweit die Gelegenheit, an Veranstaltungen und Aktivitäten zur Finanzbildung teilzunehmen. Die OeNB, als nationale Vertreterin der OECD/INFE in Österreich, setzt sich dafür ein, Finanzbildung auf vielfältige Weise zugänglich zu machen. „Finanzbildung ist der Schlüssel zu einer sicheren finanziellen Zukunft. Wir freuen uns darauf, Lehrkräfte und Schüler:innen auf diesem Weg zu begleiten und sie dabei zu unterstützen, fundierte finanzielle Entscheidungen zu treffen“, so OeNB-Direktoriumsmitglied Eduard Schock.
Die neuen OeNB-Starterpakete für Lehrkräfte sind ein Herzstück dieser Bemühungen: Sie bieten ein eigens für eine Unterrichtsstunde abgestimmtes Materialienpaket, das darauf ausgelegt ist, Finanzbildung in den Schulalltag zu integrieren. Die drei Starterpakete sind jeweils speziell für die Volksschule, Mittelschule oder AHS-Unterstufe (Sekundarstufe I) sowie die Oberstufe (Sekundarstufe II) zusammengestellt und bestechen durch einen ausgewogenen Mix aus analogen und digitalen Ressourcen, um Lehrkräften die Vorbereitung und Durchführung von Finanzbildungsunterricht zu erleichtern.
„Unser Ziel ist es, durch geeignete Lehrmaterialien Finanzbildung für Lehrkräfte leicht zugänglich und so einfach wie möglich zu gestalten“, sagt Petia Niederländer, Direktorin der Hauptabteilung Zahlungsverkehr, Risikoüberwachung und Finanzbildung in der OeNB. „Mit unseren neuen Starterpaketen möchten wir Lehrkräfte dabei unterstützen, junge Menschen für die Bedeutung finanzieller Bildung zu sensibilisieren und ihnen die notwendigen Werkzeuge an die Hand geben, damit sie ihre finanzielle Zukunft aktiv gestalten können.“
Neben den Starterpaketen bietet die OeNB während der Global Money Week 2024 eine Vielzahl von Aktivitäten und Veranstaltungen bis hin zur Weiterbildung von Lehrkräften an, um Finanzbildung auf vielfältige Weise erlebbar zu machen. Am Mittwoch, dem 20. März wird in den Räumlichkeiten der OeNB der 2. Finanzbildungstag für Oberstufenschüler:innen veranstaltet. Neben einem Vortrag von Gouverneur Robert Holzmann mit anschließender Möglichkeit, Fragen zu stellen, können die Schüler:innen bei mehreren interaktiven Mitmachstationen selbst aktiv werden.
Am Donnerstag, dem 21. März findet im Rahmen der Nationalen Finanzbildungsstrategie zudem eine Kooperationsveranstaltung mit dem Bundesministerium für Finanzen statt. Die OeNB wird dort neben anderen Finanzbildungsakteuren Workshops anbieten und Fragen rund um das Thema Inflation und steigende Preise beantworten. Zudem kann während der gesamten Global Money Week das Geldmuseum während den Öffnungszeiten besucht werden. Dort erhalten Schülerinnen und Schüler einen Einblick in die Entwicklung des Geldwesens von den Anfängen bis heute.
Die neuen Starterpakete für Lehrkräfte sind ab sofort verfügbar und können auf der Finanzbildungs-Website der OeNB heruntergeladen werden.
MEDIZIN
Das Long-COVID-Syndrom hat laut Analyse keine Alleinstellungsmerkmale
Brisbane – Die Symptome und Anzeichen des postviralen Syndroms Long COVID lassen sich nicht von anderen Syndromen infolge viraler Infekte, wie der saisonalen Grippe unterscheiden. Daher wäre es angebracht, Begriffe wie Long COVID zu vermeiden, weil sie fälschlicherweise suggerieren, dass die längerfristigen Symptome spezifisch für dieses Virus seien, schlussfolgern australische Studienautoren in einer Posterpräsentation anlässlich des Europäischen Kongresses für klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten (ECCMID) 2024 in Barcelona (Abstract P0327).
Um mehr über die Auswirkungen von Long COVID zu erfahren, befragten Forscher 5.112 symptomatische Erwachsene aus dem australischen Bundesstaat Queensland im Zeitraum vom 29. Mai bis 25. Juni 2022. Die Studienpopulation setzte sich aus Teilnehmenden mit PCR-bestätigter COVID-19-Infektion (n = 2.399) und COVID-19-PCR-negativen Personen (n = 2.713) zusammen. Unter letzteren waren 995 Influenza-positiv und 1.718 PCR-negativ sowohl für COVID-19 als auch Influenza, jedoch mit Symptomen aufgrund einer anderen Atemwegserkrankung.
Ein Jahr nach ihrem PCR-Test füllten die Teilnehmer einen Fragebogen online aus. 16 % (834/5.112) verzeichneten auch ein Jahr später noch anhaltende Symptome, die bei 3,6 % (184) der Befragten mit moderaten bis schweren Einschränkungen ihrer Aktivitäten des täglichen Lebens einhergingen. Allerdings war dieser Anteil bei COVID-19-PCR-positiven und bei COVID-19-PCR-negativen Personen etwa gleich hoch (3,0 versus 4,1 %), heben die Studienautoren hervor. Insbesondere Menschen ab einem Alter von 50 Jahren gaben moderate bis schwere Beeinträchtigungen an. Das galt auch für Menschen, die vor allem Symptome wie Schwindel, Muskelschmerzen, Kurzatmigkeit, postexertioneller Malaise und Fatigue aufwiesen.
„Wir haben festgestellt, dass sich die Häufigkeit anhaltender Symptome und Funktionsbeeinträchtigungen wohl nicht von den anderen untersuchten postviralen Erkrankungen unterscheidet“, berichtete Mitautor John Gerrard, Chief Health Officer von Queensland in Brisbane (Australien). Nach seiner Auffassung wäre es an der Zeit, den Begriff Long COVID fallen zu lassen. „Diese Terminologie kann unnötige Angst hervorrufen und in manchen Fällen zu Hypervigilanz mit verlängerter Symptomlast führen, die die Genesung behindern könnte“, so Gerrard. Eine Besonderheit von Long COVID sei allerdings die große Anzahl von Menschen, die sich in kurzer Zeit mit demselben Virus infiziert hätten, wodurch es als eine eigenständige und schwere Krankheit erschienen sein könnte.
Die Autoren stellen noch relativierend klar, dass es sich bei ihren Ergebnissen um reine Assoziationen handele und nicht um Angaben zur Prävalenz. Sie heben außerdem hervor, dass das Risiko von Long COVID während der Omikron-Welle im Vergleich zu anderen SARS-CoV-2-Varianten wohl geringer ausfiel und dass 90 % der Menschen in Queensland geimpft waren, als Omikron auftrat.
Für Janet Scott, klinische Dozentin für Infektionskrankheiten an der Universität in Glasgow (Schottland), ist der Titel dieser Arbeit („Long COVID looks like other postviral syndromes 12 month after infection“) etwas unglücklich gewählt.
„Ich denke, dass sich Long COVID sehr wohl von einigen anderen Postinfektionssyndromen unterscheidet“, konstatierte sie. Als Beispiel dafür nannte Scott das Post-Ebola-Syndrom (PES), das überwiegend als Schmerzsyndrom charakterisiert sei, wohingegen Long COVID stärker mit dem Müdigkeitssyndrom Fatigue in Verbindung gebracht wird. Außerdem erkranken laut Scott PES-Betroffene zusätzlich an weißem Katarakt und anteriorer Uveitis. „Eine Beteiligung der Augen wurde bei Long COVID bisher nicht beschrieben“, nannte Scott. Dieses Papier konzentriere sich eben nur auf Atemwegsviren, betonte sie. Diese Arbeit liefert allerdings Hinweise darauf, Erkenntnisse aus Post-COVID-19-Forschung für vergleichende Analysen postviraler Syndrome auch bei anderen Atemwegsinfektionen zu nutzen. © cw/aerzteblatt.de
3,4 Milliarden Menschen haben neurologische Beschwerden
Weltweit leiden 3,4 Milliarden Menschen an neurologische Beschwerden – das sind 43 Prozent der Menschheit. Zu diesem Ergebnis kommt die neueste Veröffentlichung der Studienserie „Global Burden of Disease“ mit Blick auf das Jahr 2021. Der Analyse zufolge haben Schlaganfälle, Hirnschädigungen bei Neugeborenen, Migräne, Demenzerkrankungen und Nervenschäden durch Diabetes am stärksten zur globalen Last durch neurologische Erkrankungen beigetragen.
Die Studie mit Jaimie Steinmetz von der University of Washington in Seattle als Hauptautorin ist im Fachjournal „The Lancet Neurology“ erschienen. Insgesamt seien die Fallzahlen für Erkrankungen des Nervensystems seit 1990 weltweit um 59 Prozent gestiegen, wird Steinmetz in einer Mitteilung des Fachjournals zitiert. Die internationale Autorengruppe wertete wissenschaftliche Studien aus, die zwischen Jänner 1980 und Oktober 2023 zu diesem Thema erschienen sind. Für den Zeitraum 1990 bis 2021 wurden zudem Entwicklungstendenzen bei einzelnen Krankheiten analysiert.
Eine Kernmethode der Studien zum „Global Burden of Disease“ ist das Daly-Konzept. Daly steht für „disability-adjusted life years“, zu Deutsch etwa: „verlorene gesunde Lebensjahre“. Dabei werden die Jahre, die ein Mensch durch eine Krankheit behindert oder eingeschränkt ist, sowie krankheitsbedingte Tode einem fiktiven gesunden Leben bis zum Alter der Lebenserwartung gegenübergestellt. Wie die aktuelle Arbeit beschreibt, ist die Anzahl der Dalys durch 37 berücksichtigte neurologische Krankheiten von 375 Millionen im Jahr 1990 auf 443 Millionen Jahre 2021 gestiegen.
Altersbereinigter Rückgang
Allerdings ist die Weltbevölkerung in dieser Zeit gewachsen und durchschnittlich älter geworden. Wenn dies statistisch berücksichtigt wird, sind die durch neurologische Erkrankungen verursachten Dalys seit 1990 um 27 Prozent und die Todesfälle um 34 Prozent zurückgegangen – eine Entwicklung, die sich mit Blick auf einzelne Krankheiten sehr unterschiedlich darstellt. So sind mit der globalen Ausbreitung von Diabetes die mit der Krankheit verbundenen Nervenschädigungen im Untersuchungszeitraum um 92 Prozent gestiegen. Auch neurologische Erkrankungen durch Sepsis bei Neugeborenen (plus 70 Prozent) und Malaria (plus 54 Prozent) sind deutlich häufiger geworden. Andererseits sind die Dalys durch Schlaganfälle (minus 39 Prozent), Meningitis oder Hirnhautentzündung (minus 62 Prozent), Tollwut (minus 70 Prozent) und Tetanus (minus 93 Prozent) erheblich zurückgegangen.
Ein weiterer Befund der Arbeit: Die neurologischen Krankheitslasten sind in der Welt sehr ungleich verteilt. Am geringsten sind sie in einkommensstarken Ländern im Asien-Pazifik-Raum, etwa Japan und Südkorea, sowie Australien und Neuseeland, am größten in West- und Zentralafrika. Der weltweite Durchschnitt liegt bei 5.637,6 Dalys und 139 Todesfällen pro Jahr und 100.000 Menschen. Deutschland steht mit 3.299,4 Dalys und 71,7 Todesfällen pro Jahr und 100.000 Menschen deutlich besser da. Hier wirkt sich vermutlich die bessere medizinische Versorgung im Vergleich zu weiten Teilen der Welt aus.
„Der Gesundheitsverlust durch Krankheiten des Nervensystems betrifft viele der ärmsten Länder überproportional, was teilweise auf die höhere Verbreitung von Erkrankungen bei Neugeborenen und Kindern unter fünf Jahren zurückzuführen ist“, sagt Tarun Dua von der Weltgesundheitsorganisation (WHO), eine weitere Autorin der Studie. Denn viele der erstmals betrachteten Krankheiten betreffen vor allem Kinder, deren Fälle etwa 18 Prozent der neurologischen Erkrankungen weltweit ausmachen. Die gravierendsten Erkrankungen waren dabei Hirnschädigungen bei Neugeborenen, Meningitis und Schädigungen des Neuralrohrs.
Geschlechterspzifische Unterschiede
Auch zwischen den Geschlechtern sind die Häufigkeiten der neurologischen Erkrankungen ungleich verteilt. Während von Covid-19, Multipler Sklerose und Migräne erheblich mehr Frauen als Männer betroffen sind, ist es bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, bei traumatischen Hirnschädigungen und bei der Autismus-Spektrum-Störung umgekehrt.
In der Studie wird auch auf mehrere beeinflussbare Risikofaktoren für potenziell vermeidbare neurologische Erkrankungen eingegangen. Durch Beseitigung der wichtigsten Risikofaktoren – vor allem hoher Blutdruck und Luftverschmutzung – könnten so etwa bei Schlaganfällen bis zu 84 Prozent der Dalys vermieden werden.
„Neurologische Erkrankungen verursachen großes Leid für die betroffenen Menschen und Familien und berauben Gemeinschaften und Volkswirtschaften ihres Humankapitals“, kommentierte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus die Ergebnisse in einer Mitteilung. „Diese Studie sollte ein dringender Aufruf zum Handeln sein, um gezielte Interventionen zu verstärken, damit die wachsende Zahl von Menschen mit neurologischen Erkrankungen Zugang zu der qualitativ hochwertigen Pflege, Behandlung und Rehabilitation erhält, die sie benötigt.“
Viereiige Vierlinge in Hamburger Klinik geboren
Hamburg – In einer Hamburger Klinik sind viereiige Vierlinge zur Welt gekommen. „Die vier frühgeborenen Babys, drei Jungen und ein Mädchen, kamen am 14. März per Kaiserschnitt zur Welt“, teilte die Asklepios Klinik Altona heute mit. Mutter und Kinder befänden sich in einem „stabilen Zustand“, hieß es.
Mit der Vierlingsgeburt sei die Zahl der Kinder in der Familie aus Niedersachsen auf einen Schlag von vier auf acht angewachsen. Nähere Angaben zu den Eltern machte die Klinik nicht, weil die Familie anonym bleiben wolle. Vierlinge werden laut Klinik extrem selten geboren, in Hamburg beispielsweise zuletzt 2016 und in der Klinik in Altona zuletzt vor mehr als 20 Jahren.
Aman (1.190 g), Awan (1.400 g), Arina (1.180 g) und Arin (1.170 g) begrüßten laut Klinik mitten in der Nacht ihre Eltern und das Kreißsaalteam im Perinatalzentrum Altona. Die Leitende Oberärztin Claudia Kern sprach laut Mitteilung von einer komplikationslosen Geburt.
Das sei nicht selbstverständlich. „Dabei ist der Kaiserschnitt technisch erst mal derselbe, unabhängig von der Zahl der Kinder. Aber das Risiko einer Blutung bei vier Plazenten und einer maximal gedehnten Gebärmutter ist hier der tatsächliche Risikofaktor.“
Für die Geburt war ein 15-köpfiges Team aus Geburtshelfern der Asklepios Klinik und Medizinern des Altonaer Kinderkrankenhauses im Einsatz. Die Mutter sei schon mit Beginn der Schwangerschaft eng im Perinatalzentrum Altona begleitet worden.
„Die Kinder sind gleichmäßig gewachsen, die Versorgung im Mutterleib war bis zur Geburt außergewöhnlich gut“, hieß es. „Glücklicherweise lagen in diesem Fall optimale Bedingungen vor: Jedes Kind hatte seine eigene Fruchtblase und Plazenta – und der werdenden Mutter ging es über die gesamte Zeit gut.“ © dpa/aerzteblatt.de
IT – KI
KI managt Chinas Eisenbahnnetz hocheffizient – China State Railway Group: Früherkennung von drohenden Schäden an Bahnen und Schienen (inkl. Video)
Peking (pte004/18.03.2024/06:15) – Chinas Hochgeschwindigkeitseisenbahnnetz, das mit einer Länge von mehr als 40.000 Kilometern Abstand größte der Welt – Deutschland kommt auf 1.600 und damit auf Platz fünf – wird mit Unterstützung von Künstlicher Intelligenz (KI) gemanagt. Es ist nicht nur in den Betrieb eingebunden, sondern verwaltet auch das Schienennetz. Das System ist in der Lage, die gewaltigen Datenmengen, die in einem so großen Netz anfallen, in Echtzeit zu verarbeiten und die Wartungs-Teams innerhalb von 40 Minuten zu informieren, wenn eine abnormale Situation eintritt.
Daten sammeln bei der Fahrt
Niu Daoan, leitender Ingenieur des Infrastruktur-Inspektionszentrums der China State Railway Group (CRECG) lobt das System als effizient: „Es hilft den Teams vor Ort, Nachkontrollen und Reparaturen weitaus schneller als bisher durchzuführen.“ Die KI werte die Daten aus, die die Züge, die mit einer Geschwindigkeit von bis zu 350 Kilometern pro Stude fahren, in diesen selbst und über Gleise, Schienen und Signal- und Sicherheitsanlagen während aller Fahrten sammeln. Die Belastung der Schienen sei bei den hohen Geschwindigkeiten enorm, und die CRECG plane, sie sogar auf Tempo 400 anzuheben.
Dank der KI ist die Zahl der Gleisschäden im vergangenen Jahr um 80 Prozent zurückgegangen, weil der Algorithmus drohende größere Schäden relativ präzise vorhersagte. So konnten kleiner Schäden schnell behoben werden, oft sogar, ohne Strecken sperren zu müssen, wie es beispielsweise in Deutschland gang und gäbe ist. Die Reparaturarbeiten fanden beispielweise nachts statt, wenn der Bahnbetrieb ruhte. Nach dem Erfolg des Modells plant die Regierung, auch das übrige Bahnnetz einzubeziehen.
200 Terabyte an Trainings-Daten
Um das KI-System zu trainieren, haben die chinesische Eisenbahningenieure fast 200 Terabyte Rohdaten gesammelt, das ist mehr als das Zehnfache des gesamten Datenvolumens der US Library of Congress. Der Vorteil von KI liege in ihrer Fähigkeit, vielfältige Daten zu analysieren, potenzielle problembezogene Hinweise zu identifizieren und bisher unbekannte Zusammenhänge in scheinbar chaotischen Datensätzen aufzudecken, so Niu Daoan. Das ermögliche eine genauere Fehlererkennung und -vorhersage. (Ende)
KI und Neurowissenschaften für mehr Gewinn im Hotel
Wien/Innsbruck/Salzburg/Graz/Bregenz (OTS) – RateBoard, ein führender Anbieter im Bereich Revenue Management für die Hotellerie, freut sich, Prof. Dr. Kai-Markus Müller als neuen Chief of Behavioral Strategy willkommen zu heißen. Der renommierte Experte für Preispsychologie verspricht mit seiner bahnbrechenden Forschung im Bereich der Neuro- und Verhaltensökonomie sowie seine Erfahrung in der Digitalisierung des Preismanagements innovative Impulse für RateBoards Software und deren Kunden.
Matthias Trenkwalder, CEO bei RateBoard, betont die Bedeutung dieser Partnerschaft: „Durch Dr. Müllers Hintergrund erhalten wir tiefere Einblicke in die emotionalen und kognitiven Prozesse, die bei der Buchungsentscheidung eine Rolle spielen. Durch die Integration der neuesten Erkenntnisse im Bereich der Neurowissenschaften können wir für unsere Kunden gezieltere Ansätze entwickeln.“
Die Partnerschaft zwischen RateBoard und Prof. Dr. Müller verspricht nicht nur innovative Ansätze in der Preisgestaltung und Verhaltensstrategie, sondern auch einen nachhaltigen Wissensaustausch zwischen einem der führenden Köpfe auf seinem Gebiet und einem innovativen Unternehmen wie RateBoard. Diese Kooperation wird RateBoard als Vorreiter für Hotelsoftware im Bereich Behavioral Strategy etablieren.
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AI Act: Wiener Forschende sehen Fokus auf Risikominimierung kritisch
Jüngst segnete das EU-Parlament die strengere Regulierung von Künstlicher Intelligenz (KI) ab. Der „AI Act“ baut dabei auf einer Risikobewertung der Technologien auf. Das sieht die Wiener Politikwissenschafterin Barbara Prainsack kritisch. Man müsse KI-Technologien auch stärker entlang der Frage bewerten und fördern, was sie der Gesellschaft bringen können, sagte die Forscherin der Uni Wien gegenüber der APA: „Wir müssen anfangen, darüber zu reden, was gute Innovation ist.“
Mit ihrem Kollegen von der Universität Wien, dem Rechtswissenschafter Nikolaus Forgó, hat sie im Fachmagazin „Nature Medicine“ die wahrgenommenen Stärken und Schwächen des lange diskutierten und nun mit breiter, auch österreichischer Zustimmung im EU-Parlament am 13. März offiziell angenommenen Werkes dargelegt. Kern des „AI Act“, ein umfassendes Regelwerk für KI, ist ein „risikobasierter Ansatz“ mit definierten Risikostufen für KI-Systeme. Je höher das Risiko, desto strenger die Sicherheits- und Transparenzanforderungen. Die vier maßgeblichen Klassen reichen von inakzeptablem Risiko, etwa bei jenen KI-Systemen, die menschliches Verhalten manipulieren können, bis hin zu einem minimalen Risiko, wie etwa ein von der KI unterstütztes Computerprogramm zur Lösung eines medizinischen Forschungsproblems, wie Prainsack und Forgó in ihrem Artikel ausführen.
Der Fokus nur auf Risikominimierung bringe „ernsthafte praktische und politische“ Probleme mit sich, schreiben die Wiener Forschenden. Bei vielen KI-basierten Technologien sei es schwierig, so Prainsack, „vorab diese Risikoeinschätzung durchzuführen“. Das sei auch der rasanten Entwicklung der Technologien geschuldet. „Die Risiken, die heute absehbar sind, sind morgen vielleicht schon andere.“ Zudem ergebe sich das Risiko auch immer aus dem Kontext – insbesondere bei sogenannten Allzwecktechnologien, wie text- oder bildgenerierender Software, die in allen Bereichen des Lebens Anwendung finden. „Das ist dann so wie beim sprichwörtlichen Taschenmesser: Es kann als Buttermesser dienen, aber letztlich auch als Tatwaffe. Wollen wir nun sagen, dass alle Messer wenig oder hochriskant sind?“, so Prainsack, die mit Forgó die Forschungsplattform „Governance of Digital Practices“ an der Uni Wien leitet.
„Datensolidarische Ansatz“ als Alternative
Außerdem könnten durch das aktuelle Herangehen vor allem auch „die Kleinen“, also ökonomisch schwächere Marktteilnehmer, nachteilig vom „AI Act“ betroffen sein: Finanzkräftigen Großkonzernen stünden mehr Mittel zur Verfügung, im Fall des Falles das Geschäftsmodell anzupassen oder gegen eine hohe Risikoeinstufung juristisch vorzugehen. Weiters lasse der risikobasierte Ansatz außer Acht, so Prainsack, wie wichtig eine Technologie für die Öffentlichkeit ist.
Eine Alternative dazu böte der „datensolidarische Ansatz“, der unter Prainsacks Leitung in Kooperation mit Wiener und internationalen Forschenden entwickelt wurde und auch nicht nur auf KI anwendbar ist. Im Rahmen von „Datensolidarität“ versucht man etwa dort, wo die Datennutzung großen Wert für die Öffentlichkeit hat, sie zu erleichtern. Dort, wo es kaum Nutzen für die Allgemeinheit gibt, aber große Risiken für einzelne Personen oder ganze Gruppen, reguliert man strenger bzw. verbietet man sie. Und ein Teil der kommerziellen Profite, die mit persönlichen Daten erzielt werden, sollen wieder in die Gesellschaft zurückgeführt werden.
Konkret: „Der AI Act behandelt ein KI-System, das von einem Kosmetikkonzern kommerziell genutzt wird, genauso wie eine KI mit denselben Risiken, die im Bildungsbereich eingesetzt wird“, so Prainsack. Es geht den Forschenden nicht darum, die Risikobewertung an sich zu kritisieren, sondern darum, auch den Nutzen einer Technologie für die Allgemeinheit in die Gesamtbewertung mit einzubeziehen. Ziel müsse es sein, „dass Datennutzung nur zu kommerziellen Zwecken strenger reguliert wird als gemeinnützige Anwendungen“, ergänzte Forgó gegenüber der APA.
Online-Tool zum Messen des öffentlichen Nutzens
Um den öffentlichen Nutzen zu messen, gebe es auch schon Möglichkeiten – wie etwa ein ebenfalls von den Wiener Forschenden entwickeltes Online-Tool. Eine Regulierungsinstanz wie die EU habe die Aufgabe, nicht nur Risiken zu minimieren, sondern auch Innovation zu fördern, die den Menschen nutzt. Aber genau das passiere noch viel zu wenig.
„Verbessert werden könnte die Verordnung durch eine umfassende Bewertung der Risiken und auch der Vorteile der KI-Technologie, mehr öffentliche Investitionen und bessere demokratische Kontrolle“, meinen die Forschenden. „Wir wollen mehr Förderung für Innovation, die vielen Menschen nutzt“, sagte Prainsack.
Die EU-Kommission hatte im April 2021 den „AI Act“ als Regelwerk für KI vorgeschlagen, im vergangenen Dezember kam es dann zur Einigung zwischen dem EU-Parlament und dem Europäischen Rat. Das Regelwerk muss nun, nach der erfolgreichen Zustimmung des EU-Parlaments, noch vom Rat formell genehmigt werden und tritt 20 Tage nach der Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft. Es geht Prainsack mit ihrem Vorstoß vor allem auch darum, „hier eine Grundsatzdiskussion anzustoßen“ und die Vorteile von KI-Technologien für die Allgemeinheit mehr in den Blick zu nehmen. Man hofft zudem, dass dies auch bei der nationalstaatlichen Umsetzung des AI Act berücksichtigt wird: „Auch in Österreich könnte man Dinge nachjustieren und sich zum Beispiel dafür entscheiden, dass es öffentliche Förderungen für Technologieanwendungen gibt, die mehr öffentlichen Wert als andere beinhalten“, so die Forscherin.
Service: https://doi.org/10.1038/s41591-024-02874-2
CYBERCRIME
AT&T: 70 Mio. Datensätze aus Hack publiziert – Vorfall aus dem Jahr 2021 – Sozialversicherungsnummern, E-Mail-Adressen und Co frei verfügbar
Dallas (pte021/18.03.2024/12:33) – Seit gestern, Sonntag, sind mehr als 70 Mio. illegal erbeutete Datensätze des US-Telekommunikationsriesen AT&T aus einem Hacker-Angriff von 2021 frei im Internet abrufbar, meldet das Hacker-Kollektiv vx-underground.
Datenbank ist echt
„Es sind keine Informationen verfügbar, die darauf hindeuten, ob es sich um eine Kompromittierung eines Drittanbieters handelt oder von welcher Abteilung die Daten stammen“, heißt es in einem Posting auf der Mikroblogging-Plattform X. Die IT-Experten weisen nach einer Überprüfung des Materials jedoch auf deren Echtheit hin.
AT&T hatte kurz nach dem Aufkommen von Gerüchten um einen möglichen Hacker-Angriff damals noch zu beschwichtigen versucht. „Man glaube nicht, dass es ein direktes Leck bei eigenen Informationssystemen gegeben habe.“ Neben Sozialversicherungsnummern, Namen, Anschriften und Geburtsdaten handelt es sich auch um E-Mail-Adressen und Telefonnummern.
Missbrauchspotenzial
Hinter dem Hack steht offensichtlich „ShinyHunters“, der 2021 noch eine Mio. Dollar für die gesamte Datenbank als Lösegeld gefordert hatte. ShinyHunters damals: „AT&T wird so lange leugnen, bis ich alles leake.“ Sozialversicherungsnummern sind sensible Informationen mit hohem Missbrauchspotenzial, denn sie werden in den USA oft wie ein Ausweis genutzt. (Ende)
BILDUNG
BILDUNG
Unterricht soll häufiger auf Englisch stattfinden
Englisch soll an Schulen häufiger als Unterrichtssprache angeboten werden. Diese Möglichkeit wurde vor rund eineinhalb Jahren im Gesetz verankert. Nun hat Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) einen Verordnungsentwurf in Begutachtung geschickt, in dem Details wie Lehrpläne verankert werden. Unter anderem werden auch die Schulversuche zu dem Thema, die derzeit nur an wenigen Einrichtungen angeboten werden, ins Regelschulwesen überführt.
Künftig soll es auch an Volksschulen generell die Möglichkeit eines bilingualen Unterrichts geben. In Kraft treten soll die Maßnahme für die ersten Klassen ab dem Schuljahr 2024/25 und für die darauffolgenden Klassen aufsteigend jeweils im Folgejahr.
Ebenso sollen auch Mittelschulen und AHS bilingual geführt werden können. Als Ziel wird jeweils formuliert, dass die Schülerinnen und Schüler in Deutsch und Englisch bzw. im jeweiligen Fachunterricht so gefördert werden, dass sie auch in der ursprünglich schwächeren Sprache das Niveau einer Erstsprache erreichen. Auch hier ist der Start für die jeweils ersten Klassen im Schuljahr 2024/25 geplant, an den AHS auch zusätzlich in den fünften Klassen – im jeweils darauffolgenden Jahr folgen auch hier aufsteigend die restlichen Klassen.
Die Möglichkeit zur bilingualen Führung soll es nicht nur für die gesamte Schule, sondern auch nur für einzelne Klassen geben. Als Ziel hat man sich gesetzt, dass es in jeder der 31 Bildungsregionen in Österreich zumindest eine höhere Schule gibt, in welcher in einzelnen Klassen Englisch zumindest überwiegend die Unterrichtssprache ist.
Aus alter Wiener Wirtschaftsuniversität wird Uni-Großcampus
Auf der Fläche wird ein neuer Campus entstehen, den vor allem die Universität Wien und die Universität für Bodenkultur nutzen sollen
Wien – In Wien wird in den kommenden Jahren einer der größten Bildungsstandorte des Landes errichtet – nämlich auf dem Gelände der früheren Wirtschaftsuniversität (WU) im Bezirk Alsergrund. Der bestehende Gebäudekomplex wird ab 2027 abgerissen. Auf der Fläche wird ein neuer Campus entstehen, der in erster Linie von der Universität Wien und der Universität für Bodenkultur (Boku) genutzt werden soll. Insgesamt wird das Areal über 150.000 Quadratmeter Netto-Raumfläche verfügen.
Die WU hat ihrem alten Standort 2013 den Rücken gekehrt und ist Richtung Prater abgewandert. Die alten Gebäude wurden und werden zwar für diverse Zwischennutzungen verwendet, das Objekt versprüht jedoch seit Jahren den Charme eines „Lost Place“. Nun haben die Projektverantwortlichen, also die Stadt, der Bezirk, die ÖBB, die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) und die involvierten Hochschulen, die ersten Pläne für die zukünftige Nutzung der alten WU sowie des angeschlossenen früheren Biozentrums der Universität Wien präsentiert.
Start 2027
2027 wird laut Planungsstadträtin Ulli Sima (SPÖ) gestartet, wobei zunächst ein Rückbau der Fläche durchgeführt wird. Denn das Gebäude thront erhöht über der Umgebung, da es auf einer Überplattung von Bahnareal bzw. Garagen errichtet wurde. Künftig soll der Bereich bei der Althanstraße auf Straßenniveau liegen. Dies sowie Maßnahmen zur Begrünung und Entsiegelung sollen dazu beitragen, dass auch die umliegenden Flächen bzw. Plätze attraktiver gestaltet werden können.
Genaue Pläne gibt es noch nicht, wie Sima betonte. Bevor Entwürfe hergezeigt werden können, muss in einem ersten Schritt ein städtebaulicher Wettbewerb ausgelobt werden, was noch immer Sommer geschehen soll. Die Gebäudehöhe soll 35 Meter nicht überschreiten. Ein Hochhausstandort, so wurde versichert, sei nicht geplant. Der teilweise Abriss der Platte soll keine langfristigen Auswirkungen auf den Zugverkehr von und zum Franz-Josefs-Bahnhof haben, wie Silvia Angelo, Vorstandschefin der ÖBB-Infrastruktur AG, ausführte. Der Bahnhof wird aktuell saniert.
Erste Fertigstellungen 2030
Laut BIG-Chef Hans-Peter Weiss dürfte die Investitionssumme mindestens eine Milliarde Euro betragen. Der Campus Althangrund werde eine der größten derartigen Einrichtungen in Österreich sein, hob er hervor. Erste Fertigstellungen wird es demnach im Jahr 2030 geben. Neben Universitätsgebäuden soll am Standort auch eine Schule entstehen.
Als Mieter des Areals werden vor allem die Uni Wien und die Boku fungieren. Erstere wird Institute, die derzeit in der ganzen Stadt verstreut sind, zusammenziehen, wie Rektor Sebastian Schütze erläuterte. So will man etwa die Fakultät für Sozialwissenschaften am Althangrund bündeln. Diese allein sei aktuell an 15 verschiedenen Orten untergebracht. Auch die Boku brauche mehr Raum, wie deren Rektorin Eva Schulev-Steindl festhielt. Der neue Standort würde zeitgemäße Bedingungen für Spitzenforschung ermöglichen.
Die Zwischennutzung des Altbaus durch diverse Initiativen und Einrichtungen wurde laut Hauseigentümer BIG bereits sukzessive zurückgefahren. In den kommenden Jahren müssen alle ausziehen – auch die Papageien. Die Arbeitsgemeinschaft Papageienschutz betreibt im Glashaus des einstigen Bio-Zentrums ein Schutzzentrum, in dem zahlreiche Tiere untergebracht sind. Man suche gemeinsam mit der Einrichtung nach einer Lösung, hieß es am Montag. (APA, 18.3.2024)
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Van der Bellen übergab Sub-auspiciis-Ehrenringe in Hofburg
- Bundespräsident Van der Bellen hat bei einer erstmaligen Sammel-Zeremonie in der Hofburg 13 herausragende Uni-Absolventen mit Sub-auspiciis-Ehrenringen ausgezeichnet.
- Die Sub-auspiciis-Promotion, eine österreichische Tradition seit rund 400 Jahren, setzt Bestnoten vom Gymnasium bis zur Dissertation voraus und wurde bisher an 1.200 Studierende verliehen.
- Unter den Geehrten waren fünf Absolventen der TU Graz; die Zeremonie ersetzt individuelle Ehrungen an den Unis und soll den Aufwand für den Präsidenten reduzieren.
Präsident Alexander Van der Bellen hat am Montag erstmals in der Hofburg bei einer Sammel-Zeremonie die Ehrenringe an herausragende Uni-Absolventinnen und -Absolventen übergeben. Bisher war es üblich, dass die der Präsident für Sub-Auspiciis-Promotionen an die jeweilige Uni kommt. Seit diesem Jahr findet stattdessen einmal im Jahr eine gemeinsame Zeremonie für alle Ausgezeichneten in der Hofburg statt. Bei der Premiere wurden 13 Doctores in der Geheimen Ratsstube geehrt.
Voraussetzung für eine Promotion unter den Auspizien des Bundespräsidenten sind ein Vorzug in allen Oberstufenklassen, eine Reifeprüfung mit Auszeichnung, ein Studienabschluss, in dem alle Teile der Diplom- bzw. Bachelor- und Masterprüfungen sowie das Rigorosum mit „Sehr gut“ benotet werden, sowie Bestbeurteilungen der Diplom- bzw. Masterarbeit und Dissertation. Dazu darf eine „im Durchschnitt normale Studiendauer“ nicht überschritten werden.
Bisher haben die Sub-Auspiciis-Promotionen mit Übergabe der Urkunde und des Ehrenrings direkt an der jeweiligen Alma Mater stattgefunden. Um den Aufwand für den Präsidenten samt Entourage in Grenzen zu halten, wurde dabei allerdings immer zugewartet, bis mehrere Auszeichnungen zusammengekommen sind. In der Praxis hat das vor allem an Standorten mit wenigen Sub-Auspiciis-Promovenden dazu geführt, dass die herausragenden Absolventinnen und Absolventen ihren Doktortitel zum Teil jahrelang nicht führen durften. Seit Jahresbeginn gibt es deshalb eine Zweiteilung: Die Absolventen bekommen bei einer Feier an ihrer Uni ihre Urkunde überreicht und können ab diesem Zeitpunkt den Doktortitel auch führen, die feierliche Übergabe der Ehrenringe findet dann einmal im Jahr in der Hofburg statt.
Zehn Männer und drei Frauen haben bei der ersten Sammel-Zeremonie ihren Ehrenring entgegengenommen. Gleich fünf der ausgezeichneten Absolventen kamen diesmal von der Technischen Universität (TU) Graz: die beiden Ingenieurswissenschafter Tobias Scheipel und Thomas Kamencek, die beiden Technischen Mathematiker Gabriel Lipnik und Michael Missethan sowie Computerwissenschafter Daniel Kales. Für ihren akademischen Werdegang ausgezeichnet wurden außerdem im Fach Mathematik Katharina Brazda und Julius Berner (Uni Wien) sowie der Werkstoffwissenschafter Sebastian Moser (Montanuni Leoben). Doch auch abseits der MINT-Fächer gab es Auszeichnungen, konkret für Sozial- und Wirtschaftswissenschafter Wolfgang Lattacher (Uni Klagenfurt), Finanzwissenschafter Maximilian Schleritzko (Wirtschaftuniversität), Altphilologe Lukas Spielhofer (Uni Graz), Literatur- und Kulturwissenschafterin Irina Tautschnig (Uni Innsbruck) und Musikwissenschafterin Milena Amann-Rauter (Musik-Uni Wien).
Die Promotionen sub auspiciis gebe es nur in Österreich, betonte Van der Bellen am Montag laut Redetext – und das seit rund 400 Jahren. „Sie sind, wenn man so will, Überlebende aus Zeiten der Monarchie.“ Seit der gesetzlichen Festschreibung dieses Rituals 1952 hätten immerhin 1.200 Studierende den Ehrenring durch einen Bundespräsidenten entgegengenommen – eine beachtliche Zahl, im Vergleich zu allen akademischen Abschlüssen aber eine Besonderheit im Promillebereich. Mit der besonderen Ehrung der außerordentlichen Leistungen der Doctores wolle die Republik weiterhin zeigen, „dass es der Republik Österreich wichtig ist, Spitzenleistungen anzuerkennen und in geeigneter Form zu würdigen“, betonte Van der Bellen.
Oliver Vitouch, Präsident der Universitätenkonferenz (uniko), pries in seiner Rede die „epischen“ Höchstleistungen in der Bildungsbiografie der Ausgezeichneten. Sie stünden im besonderen Maße für die vornehmste Aufgabe der Universitäten: das Hervorbringen hochqualifizierter Absolventinnen und Absolventen, die es in Gesellschaft, Öffentlichkeit, Wissenschaft und Wirtschaft gerade in krisenhaften Zeiten dringend brauche. Durch ihre besonderen Fähigkeiten seien sie aber auch speziell gefordert: Ohne „das geschulte Bewusstsein besonderer Verantwortung“ und entsprechend hohe Ansprüche an sich selbst seien deren „Superkräfte“ nämlich „eine gefährliche Sache. Das haben schon die Jedi-Meister gewusst, und es ist in fast allen Epen zentrales Thema. Denken Sie daran.“
RELIGION
Theologe: Syrisches Christentum kämpft um sein Überleben
Salzburger syrisch-orthodoxer Theologe Shemunkasho im „Tagespost“-Interview über Situation der Christen im Nahen Osten und Notwendigkeit einer besseren theologischen Ausbildung in der Diaspora
Salzburg/Würzburg, 18.03.2024 (KAP) „Wenn das syrische Christentum nicht in der Diaspora überlebt, wird es gar nicht überleben“: Diese Einschätzung hat der Salzburger syrisch-orthodoxe Theologe Prof. Aho Shemunkasho im Interview mit der Wochenzeitung „Die Tagespost“ vertreten. Die Mehrheit der syrischen Christen lebe längst in der Diaspora. Der Orient – ihre ursprüngliche Heimat – habe nur noch eine symbolische Rolle. Die wenigen Christen im Turabdin in der Südosttürkei oder in der Ninive-Ebene im Nordirak „werden unsere Tradition und Liturgie alleine nicht retten“.
Zugleich müsse er betonen, dass sich die syrischen Christen in Deutschland und Österreich gut integriert hätten, „aber das geht auf Kosten der eigenen Sprache und Tradition. (…) Nirgendwo in Europa haben wir die Möglichkeit, unsere Lehrer und Priester wissenschaftlich auszubilden. Wir leben von Ehrenamtlichen.“ Ohne professionelle Ausbildung aber „haben wir keine Chance“. Shemunkashos Wunsch wäre es, „den traditionellen Bildungsweg des syrischen Christentums hier auf internationalem Niveau zu etablieren“. Wenn das nicht gelinge, „wird die Qualität sinken und die Vitalität abnehmen“.
Prof. Shemunkasho lehrt an der Universität Salzburg, stammt ursprünglich aber aus dem Turabdin. Der Name „Turabdin“ ist aramäisch und bedeutet „Berg der Knechte Gottes“. Das nimmt Bezug auf das syrische Mönchtum, das im 4. Jahrhundert in dieser Region entstand. Von der einst glanzvollen christlichen Vergangenheit ist heute nicht mehr viel übrig. Rund 80 Klöster gab es einst, heute sind nur mehr sechs ständig bewohnt.
Shemunkashos Familie emigrierte, als er noch ein Kind war, nach Deutschland. „In der Türkei haben wir öffentlich nicht existiert. Wir hatten Angst, unser Christsein zu zeigen. Im Militärdienst wurden Christen bedrängt, zu konvertieren.“ Aus dem Turabdin seien Zehntausende in den Westen ausgewandert, „eine Familie nach der anderen“. Heute seien nur 2.500 syrische Christen im Turabdin verblieben.
Diapora in Istanbul
Fast alle in der Türkei verbliebenen syrisch-orthodoxen Christen leben heute in Istanbul. Shemunkasho: „Istanbul ist nicht unsere ursprüngliche Heimat, sondern Diaspora. (…) Viele kamen als Gastarbeiter und holten ihre Familien nach.“ Die Entscheidung der EU vor mehr als 20 Jahren, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beginnen, „war für uns ein Hoffnungszeichen, weil wir dachten, nun auch in unserer Heimat volle Freiheit zu erlangen“. Unter Präsident Erdogan „können wir syrischen Christen uns zum ersten Mal im Turabdin frei bewegen. Erstmals werden wir wahrgenommen.“
Im vergangenen Jahr wurde in Istanbul erstmals seit rund 100 Jahren eine neue Kirche eröffnet. Die neue syrisch-orthodoxe Kirche bietet Platz für rund 750 Personen. Den Grundstein für den Neubau legte Erdogan 2019 selbst. Die neue Kirche in Istanbul sei eine große Freude, so Shemunkasho, „weil das gesetzlich eigentlich bis heute nicht möglich ist“. Klar sei aber, „dass sich die Rechtslage nicht verändert hat. Wir haben keine gesetzliche Sicherheit, weder für die Kirche in Istanbul noch für unsere renovierten Häuser im Turabdin. Was ist, wenn es zu einem politischen Wandel kommt?“
Ignoranz westlicher Politik
Shemunkasho wies im „Tagespost“-Interview auch auf die Vielfalt der Kirchen syrischer Tradition hin: In der ostsyrischen Tradition sind dies die Assyrische Kirche des Ostens (Neukalendarier), die Alte Apostolische Kirche des Ostens (Altkalendarier) und die Chaldäische Kirche, in der westsyrischen Tradition die Syrisch-Orthodoxe Kirche, die Syrisch-Katholische Kirche und die Maroniten. Dazu kämen die Melkiten. „Es schwächt die Christen, dass die Kirchen nicht mit einer Stimme sprechen“, so der Theologe. Das sei umso gefährlicher, je bedrohter das Christentum in einer Region ist. Nachsatz: „Wir leben geschwisterlich miteinander. Patriarchen und Bischöfe kooperieren. Das Volk ist weiter als die Theologen, weil es keinen Unterschied im Glauben an Jesus sieht. Dennoch ist die Teilung des syrischen Christentums ein Problem, es schwächt die Kirche.“
Zugleich kritisierte Shemunkasho die Ignoranz westlicher Politik gegenüber den Christen im Orient: „Wir werden oft als Störfaktor für den Westen betrachtet. Numerisch haben wir keine Relevanz. Ob es in Aleppo oder Basra noch Christen gibt, bewegt den Westen nicht. Der Westen hat die Stimme der Christen Syriens nie gehört.“ Es gebe zwar karitative Unterstützung, „doch Beachtung finden die Christen Syriens und des Irak auch heute nicht. Wir syrischen Christen haben keine angestammte Region mehr, wo unsere Tradition an die nächste Generation weitergegeben werden kann“, so Shemunkasho.
GESELLSCHAFT – DEMOGRAPHIE
Neue Prognose: Weltbevölkerung wird länger anwachsen als bisher erwartet (inkl. Graphik)
In einem „realistischen“ Szenario für die Entwicklung der Welt wird die Menschheit 2065 die Zehn-Milliarden-Grenze knacken – und bis in die 2080er weiterwachsen
Herauszufinden, wie viele Menschen tatsächlich derzeit den Planeten bevölkern, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Und auch die Schätzungen klaffen zum Teil um einiges auseinander. Laut dem World Population Dashboard des United Nations Population Fund wurde offiziell die Acht-Milliarden-Marke am 15. November 2022 überschritten. Momentan dürften wir uns auf 8,1 Milliarden zubewegen.
Differierende Berechnungen gibt es auch darüber, wie sich die Weltbevölkerung weiterentwickeln wird, inwieweit sich die „Bevölkerungsexplosion“ des letzten Jahrhunderts einbremsen wird – und wann der Peak, also der Höhepunkt, erreicht sein und die Menschheit wieder schrumpfen wird. Laut neuen, umfassenden Prognosen von Demografinnen und Demografen des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien und des Wiener Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital (WIC) wird die Weltbevölkerung nun doch länger und stärker wachsen als bisher angenommen.
In einem mittleren, „realistischen“ Szenario für die gesellschaftliche, wirtschaftliche und klimatische Entwicklung der Erde wird demnach um das Jahr 2065 die Zehn-Milliarden-Menschen-Grenze überschritten. Nach einem Peak in den 2080er-Jahren gebe es bis zum Jahr 2100 nur einen leichten Rückgang auf rund 9,9 Milliarden Menschen. Grund sei vor allem, dass ein höheres Bildungsniveau die Geburtenzahlen in einigen Weltregionen weniger drückt als erwartet.
Neue Daten zu Corona und Krieg
Die Uno ging zuletzt von einem Höchststand von rund 10,4 Milliarden Menschen erst im Jahr 2080 aus. Das Forschungsteam von IIASA und WIC rund um den Demografen Wolfgang Lutz hatte traditionell einen weniger starken Anstieg der Weltbevölkerung als die Uno-Berechnungen vorhergesehen. 2013 ging man noch von einem weltweiten Allzeithoch von etwa 9,4 Milliarden um das Jahr 2070 und rund 8,9 Milliarden um 2100 aus. In einer Überarbeitung im Jahr 2018 lag man mit einem Höhepunkt von 9,7 Milliarden um 2070 und rund 9,3 Milliarden am Jahrhundertende schon etwas höher. In dem neuen Arbeitspapier wurden somit die bisherigen Zahlen noch einmal nach oben revidiert. Das Update beinhaltet neue Bevölkerungs-, Bildungs- und Migrationsdaten, außerdem wurden Effekte der Covid-19-Pandemie und der Fluchtbewegungen infolge des Ukrainekriegs eingearbeitet.
Bei den Berechnungen orientiert sich das Team an den „Shared Socioeconomic Pathways“ (SSPs) genannten Zukunftsszenarien, in denen der Weltklimarat (IPCC) verschiedene Entwicklungswege bis zum Jahr 2100 beschreibt, die dann zu unterschiedlichen Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre führen. In der Studie geht man von dem aus heutiger Sicht wahrscheinlichsten Szenario aus, genannt „Mittelweg“, „Fortführung der bisherigen Entwicklung“ oder „SSP2“. In diesem Szenario entwickelt sich die Einkommensverteilung weltweit weiter auseinander, die internationale Kooperation verbessert sich nur geringfügig, die Umweltsituation verschlechtert sich entsprechend weiter, und die Weltbevölkerung wächst moderat weiter.
Langanhaltende Zunahme
Unter diesen Annahmen würde es den Demografinnen und Demografen zufolge weltweit zu einer sich zwar abschwächenden, aber lange anhaltenden Zunahme der Bevölkerung kommen. Im Zeitraum 2065 bis 2070 würden der Prognose zufolge erstmals knapp mehr als zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. Ihren Höhepunkt erreicht die Entwicklung demnach zwischen 2080 und 2085 mit rund 10,13 Milliarden Menschen. Bis zum Ende des Jahrhunderts sei dann mit einer Abnahme auf rund 9,89 Milliarden zu rechnen.
Asien hätte dann knapp 4,5 Milliarden Einwohner, Afrika mit mehr als 3,5 Milliarden mehr als die doppelt so viele wie heute. Europa läge bei 671 Millionen, Latein- und Nordamerika bei 669 bzw. 450 Millionen und Ozeanien bei 62 Millionen. Skizziert werden allerdings auch andere Szenarien, in denen die Welt etwa auf dem „fossilen Weg“ bleibt, was eine deutlich stärkere Erderhitzung und eine markante Abnahme der Weltbevölkerung bedeuten würde.
Es war an der Zeit für eine grundlegende Überarbeitung, sagt Anne Goujon, die Leiterin des „Population and Just Societies“-Programms (Popjus) am IIASA. Der Klimawandel habe in den letzten Jahren deutlich Fahrt aufgenommen, dazu kamen neue Kriege und Unruhen, die die Migrationsströme veränderten, und nicht zuletzt die Pandemie, die eine weltweit spürbare Übersterblichkeit brachte. In den neuen Langzeitberechnungen ist Covid aber nur eine kleinere Delle in der nach oben zeigenden Gesamtentwicklung. Die Lebenserwartung nimmt seitdem wieder zu, betont Goujon.
Unklare Mechanismen
Die Unterschiede zu den früheren Prognosen erklären sich vor allem damit, dass in vielen Ländern des Südens die Kindersterblichkeit glücklicherweise stärker als erwartet zurückgegangen ist. Im südlichen Afrika etwa sei dies das Resultat von Impfkampagnen, internationaler Hilfe und besserer Hygiene, sagt Goujon. Dazu komme, dass man eigentlich davon ausging, dass die Geburtenraten mit dem tendenziell steigenden Bildungsniveau in vielen dieser Staaten stärker sinken würden als zuletzt beobachtet. In manchen Ländern habe sich hier wenig verändert: „Das haben wir nicht vorhergesehen.“ So wurde etwa in Pakistan 2017 zum ersten Mal seit den 1990ern eine Volkszählung durchgeführt – mit dem Ergebnis, dass man die Annahmen zur dortigen Bevölkerung bis 2100 gleich um ganze 150 Millionen anheben musste, auch weil die Geburtenraten dort kurz sogar hinaufgingen.
Die Mechanismen dahinter sind vielfach noch unklar: So könnte es sein, dass sich der Effekt erst verzögert einstellt. Wenn etwa viele Frauen zwar im Schnitt mehr Bildung erfahren, dann aber keine adäquaten Arbeitsstellen finden, führt das vielleicht wieder dazu, dass sie in traditionellen Strukturen mit vielen Kindern landen, vermutet Goujon. Spekuliert wird auch über kulturelle Faktoren wie festgefahrene Vorstellungen zur idealen Kinderanzahl. „Ich bezweifle das aber“, sagt die Forscherin, die mittelfristig auch mit einer Abnahme der Fertilitätsrate im Globalen Süden rechnet, von der man aber noch nicht sagen könne, wie schnell sie vonstattengeht.
Vorausgesetzt, die Erderhitzung macht viele Gegenden nicht mehr oder weniger unbewohnbar, stehen die Zeichen nun darauf, dass die Erde zumindest für einige Zeit mehr als zehn Milliarden Leute beherbergen wird. Das alleine sei kein Anlass zur Panik, erklärt die Forscherin: „Ich fürchte mich nicht vor der Anzahl an Menschen, sondern davor, was sie tun.“ Wenn es die Welt bis dahin hinbekomme, nachhaltiger, innovativer, gemeinschaftsorientierter und umweltbewusster zu leben, sei das machbar. Goujon zeigt sich zuversichtlich: „Ich glaube an die Intelligenz des Menschen.“ (APA, kri, 18.3.2024)
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UNTERNEHMEN
Konkurs von Signa im letzten Moment doch noch abgewendet
Die Gläubiger der wertvollsten Signa-Gesellschaften nahmen den Sanierungsplan an. Damit geht das gesamte Vermögen an eine Treuhand. Doch die wichtigste Frage ist noch immer nicht geklärt.
Wien. Die Spannung hielt bis zuletzt an. Ein in letzter Minute abgegebenes Rettungsanbot einerseits sowie Verhandlungen über einen Notkredit anderseits sorgten für Aufregung. Aber nun ist das Schicksal über Signa entschieden. Die Gläubiger der Signa Prime, wichtigsten Gesellschaft des insolventen Immobilien-Konglomerats, nahmen am Montagnachmittag den Sanierungsplan an.
Allerdings handelt es sich hierbei um ein vorläufiges Ergebnis, da das Handelsgericht noch die Stimmrechtsprüfung vornehmen muss. Das sollte aber unverzüglich erfolgen.
Vorläufig entschied sich die große Mehrheit der anwesenden Personen und die Mehrheit des geforderten Kapitals für die Übergabe an eine Treuhand. Diese ist nun damit betraut, alle Immobilien, darunter in Wien das Luxushotel Park Hyatt, das Selfridges in London, das KaDeWe in Berlin, das Alsterhaus in Hamburg, das Oberpollinger in München sowie der gestoppte Elbtower-Bau in Hamburg zu verkaufen. Schließlich wollen die Gläubiger so viel wie möglich von ihrem Geld wiedersehen. Es geht um einen Schuldenberg in Höhe rund 12,8 Milliarden Euro von 477 Gläubigern. Bisher sind allerdings nur 5,9 Milliarden anerkannt. Den Gläubigern wurde eine Quote von 30 Prozent in Aussicht gestellt.
„Die Signa Prime Selection AG beabsichtigt die Bestätigungsvoraussetzungen bereits bis Ende April 2024 zu erfüllen“, heißt es in einer Aussendung des Insolvenzverwalters Norbert Abel. „In diesem Zusammenhang soll auch die Hauptversammlung Anfang April 2024 noch befasst werden.“
Treuhänderin nicht ohne Kritik
Bis zuletzt war nicht absehbar, wie die Abstimmung verlaufen würde. Denn im Vorfeld gab es mehrere Gläubiger, sich für den Konkurs ausgesprochen hatten. Prominenter Vertreter für die sofortige Zerschlagung ist niemand geringeres als die Republik selbst. Wolfgang Peschorn, Präsident der österreichischen Finanzprokuratur und damit Anwalt der Republik, hatte im ORF-Radio auf das fehlende Geld verwiesen. „Nur über den Verkauf von Immobilien kann sich das Unternehmen in den nächsten Wochen über Wasser halten“, sagte der Chef der Finanzverwaltung. Sonst droht weiteren Gesellschaften die Insolvenz und diverse Baustellen würden brach liegen.
„Manche Gläubiger haben vielleicht mit etwas Bauchweh dem Sanierungsplan zugestimmt“, sagt Gerhard Weinhofer vom Kreditschützerverband Creditreform per Aussendung. „Letztendlich ist es die wirtschaftlich vernünftigste Lösung. Man hat durch die Treuhandlösung mehr Zeit für die bestmögliche Verwertung der Liegenschaften sowie die Verfolgung von Haftungs- und Anfechtungsansprüchen. Bedenkt man die Komplexität des Verfahrens und die kurze Zeitdauer, die zur Verfügung stand, wird der Husarenritt doch noch sein Ziel erreichen. Klar ist, dass am Ende Signa nur mehr am Papier bestehen bleibt.“
Geld mit einem ersten Verkauf aufzubringen, ist nun Aufgabe der Treuhänderin. Als Retter in der Not könnte Logistik-Milliardär Klaus-Michael Kühne in Frage kommen. Kurz vor der Abstimmung berichtete die Nachrichtenagentur „Bloomberg“, dass er gebürtige Hamburger über einen möglichen Massekredit von über 100 Millionen Euro verhandle.
Jedenfalls hat die Treuhänderin zunächst zwei Jahre Zeit, die Gläubiger-Quote zu erfüllen. Alles was darüber hinaus verkauft wird, kommt auch den Gläubigern zugute. Dafür können unter Umständen drei weitere Jahre beantragt werden.
Wer erhält den Zuschlag für die Luxusimmobilien?
Über den Prozess der Abwicklung herrscht nun Klarheit. Spannend wird indessen, an wen die vielen Luxusimmobilien gehen. Interesse daran gibt es genügend. Zuletzt liefen Verhandlungen mit der Schoeller Gruppe über den Verkauf eines Pakets aus Park Hyatt, Goldenes Quartier, Kaufhaus Tyrol und das Gebäude auf der Wiener Freyung, in dem der Verfassungsgerichtshof Mieterin ist. Die deutsche Industriellenfamilie hat aufgrund diverser Pfandrechte, die zwar vom Insolvenzverwalter bestritten werden, ein gewisses Druckmittel. Die Gläubiger hatten das Angebot vorerst abgelehnt. Dennoch sind die Verhandlungen mit den Investoren noch nicht abgebrochen. Hier könnten weitere Weichen gestellt werden.
Auch die Gläubiger des zweiten wichtigen Signa-Unternehmens Signa Development nahmen den Sanierungsplan an. Die Gläubigerversammlung für die etwas kleinere Gesellschaft erfolgte direkt im Anschluss. Die Forderungen liegen hier bei rund 2,3 Milliarden Euro, wovon bisher 1,5 Milliarden Euro anerkannt sind. Anders als bei Signa Prime ist Bedarf nach frischem Geld nicht so groß, da der Aktionär und Bauunternehmer Hans Peter Haselsteiner schon einen Massekredit von 25 Millionen Euro gewährt.
Graphik-Link: Immobilien-Imperium von R. Benko
Der Zusammenbruch des von René Benko gegründeten Immobilienkonzerns ist die größte Insolvenz der österreichischen Wirtschaftsgeschichte. Und noch immer fehlt es in dem in sich verwobenen Firmenkonstrukt und den dahinterliegenden Prozessen an Transparenz. Die Aufarbeitung wird wohl Jahre in Anspruch nehmen.