Tagesblick – 14.9.2025 Sonntag

Views: 0

FAZIT DES TAGES – oder: Nachrichten aus dem irrwitzigen Weltzirkus

  • ISRAEL-HAMAS-HISBOLLA-KRIEG: Doha-Angriff Israels – und nun? – ANALYSE, KOMMENTAR
  • UKRAINE-KRIEG: Kräftige ukrainische Nadelstiche (Ölraffinerie, Öldock).
    Russisches Vorrücken in Donezk.
    Trump überlegt hohe Zölle gegen China, wenn die NATO-Staaten
    mitziehen; weitere Bedingung: kein russisches Gas mehr für europäische Staaten (Slowakei, Ungarn).
    Testlauf: Neue russische Hyperschallrakete trifft ins Ziel.
    Neuer Alarm wegen russischer Drohnen.
    Russland könnte einmarschieren: Deutsche sorgen sich wegen Dohnen-Eklat in Polen.
    Wie effizient ist die NATO-Abwehr gegenüber Drohnen? – ANALYSE
    Weißrussisches Großmanöver und neue Befürchtungen – HINTERGRUND
  • ZENTRALBANKEN: EZB befeuert Schuldenpolitik Frankreichs – KOMMENTAR
  • USA: Hohe Kriminalität: Trump will Nationalgarde nach Memphis schicken.
  • RUSSLAND: Konjunktur kühlt ab, Inflation bleibt hoch, hohe Kriegskosten.
  • TÜRKEI jagt Oppositionelle.
  • UK: Aufschwung der Rechtsextremen: Großdemonstration mit rechter Prominenz aus dem Ausland.
  • SCHWEIZ: Kriminalität und Migration, ein Psychiater nimmt Stellung – INTERVIEW
  • SERBIEN: Wirtschaftsdebakel und Mangel an Arbeitskräften.
  • FRANKREICH: Unsicherer Ausblick, hohe Verschuldung: Rating hat sich verschlechtert.
    Gelbwesten wieder auf Frankreichs Straßen.
  • BELGIEN: Armee soll in Brüssel für Ruhe und Ordnung sorgen.
  • DEUTSCHLAND: Antisemitismus feiert fröhliche Urständ. – ANALYSE
    Kein Widerspruch zu „Israel-Holocaust“: UNO-Beauftragte zeiht Israel des Genozids wie weiland Nazi-Deutschland.
  • ÖSTERREICH: Kopftuch für kleine Mädchen muss aus den Schulen.
    Wiener Linien triumphieren in 1 Straßenbahn-Meisterschaft.
    Handy-Explosion stoppt Cityjet.
  • Weitere COMMENTS vorhanden

ZEITGESCHEHEN – ZEITDIAGNOSE – Fokus Demographie: Gerontokratie in Europa nur eine Frage? Volkszählungen und ihre Schwierigkeiten am Beispiel Afrikas.

MÄRKTE – DAX gehalten, DJI schwach.

THEMENREIGEN – UMWELT: Mehr Sommertourismus in den Bergen. SOCIAL MEDIA: Mehrheit für Verbot für Jugendliche unter 16 Jahren. CYBERCRIME: Daynamische Phishingangriffe im Vormarsch; Anlagebetrug in Whatsapp-Gruppen wird zum Problem.

Viel Stoff – Nutze die Suchfunktion!

Apropos Weltzirkus: Zirkus ist was für Kinder und Junggebliebene, Staunen und Lachen über die Clowns! Im Weltzirkus tummeln sich viele Zauberkünstler und Clowns. Lachen wir also, Lachen ist die beste Medizin gegen Depressionen. 

EMPFEHLUNG

INFORADIO als Nachrichtensender am laufenden Band ist mit einem DAB-fähigen Radio zu empfangen. Es wird betrieben von RTR – KommAustria.

Das INFORADIO ist eine wertvolle Ergänzung zu anderen Agenturmeldungen und zum ORF.

Dazu allerdings ca. 15 bis 20 Minuten Zeit für konzentriertes Zuhören einplanen.

MÄRKTE

DJI – BAHA *** DJI – KGV *** Rendite 10-jg. US-Anleihen

DAX Deutsche Börse *** DAX – KGV *** Rendite 10-jg. Bundesanl. *** Euro-Bund Futures

COMMENT: DJI schwach, das Wochenende und die Konsumentenstimmung trübten. DAX übt sich im Seitwärtsgang, bleibt unter der Flaggenunterstützungslinie und dem gleitenden Durchschnitt für 100 Tage. Noch ist Polen nicht verloren; denn: die Fundamental-Aussichten drängen wohl weiter nach oben: der Wiederaufbau Ukraine lockt, aber wann kommt das Kriegsende? Wohl in einem Jahr, wenn Russland die Marie ausgegangen sein wird, so manche Kommentatoren.

ZEITGESCHEHEN – ZEITDIAGNOSE

Europa endet in der Gerontokratie: Alles für den Sozialstaat – und morgen die demografische Krise – Krzysztof Tyszka-Drozdowski, NZZ, 10.9.2025

Der Kontinent betreibt politisch wie auch finanziell Raubbau an der Zukunft. Bald könnte nur noch wenig übrig sein vom Grundstock an Wohlstand und Sicherheit. Dasselbe gilt für die Geduld der produktiven Schichten.

Der französische Demograf Alfred Sauvy sagte einmal, Nationen würden altern, ohne es zu merken. Das Ergrauen finde zwar Niederschlag in offiziellen Statistiken – doch bis ins öffentliche Bewusstsein schaffe es die Entwicklung nur selten.

Für Europa gilt das bereits nicht mehr. Seine Staaten verhandeln inzwischen in aller Öffentlichkeit die Frage, was sie (sich) wirklich noch leisten können – und sogar, wer genau sie als Nation künftig sein werden. Vor dem Hintergrund, dass sie sich alle in Gerontokratien verwandelt haben.

Die Daten geben dem Demografen und Historiker Sauvy recht. Jeder vierte EU-Bürger befindet sich im Rentenalter. Und noch mögen die aus dem 20. Jahrhundert geerbten Ängste ganze Gesellschaften umtreiben, doch jene erledigen sich zusehends von allein. In Europa regiert die liberale Gerontokratie. Revolutionen, politische Wirren und Kriege werden auf einem Kontinent der alten Leute unwahrscheinlicher.

Doch das demografische Ungleichgewicht hat seinen Preis: Mit der Wahrscheinlichkeit der Konflikte schmälert sich auch der geopolitische Spielraum. Vor allem aber verliert das europäische Sozialmodell seine Grundlage.

Sicherheit ist für Europa seit langem ein Feld der Politik, das man dem Pentagon in Pacht gibt. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion brachen die Verteidigungsausgaben der Nato-Mitglieder ein; die stehenden Heere Westeuropas wurden um die Hälfte reduziert. Standen 1990 noch 2,7 Millionen Soldaten diesseits des Eisernen Vorhangs, verteilten sich 2011 noch 1,5 Millionen auf ein inzwischen grösseres Bündnis.

Nirgendwo ist die Kluft zwischen Ambitionen und demografischer (und fiskalischer) Realität so gross und verwirrend wie in Frankreich. Rhetorisch stimmt Paris immer wieder das Hohelied der strategischen Autonomie an. Die Fakten zeichnen ein ganz anderes Bild.

Was immer Emmanuel Macron sich einbilden mag, wir leben nicht im Europa seiner Vorstellung. Viel näher an der Realität ist die Einschätzung, dass sich der «europäische Lebensstil» nur bewahren lässt, wenn die Ausgaben für Renten und Co. zurückgeschraubt werden. So Angela Merkel vor einigen Jahren. Kurz: Will der Sozialstaat überleben, muss er Federn lassen.

Der Ruf aus Paris verhallt

Der Geltungswillen im Élysée-Palast findet auf dem Kontinent kaum Widerhall. Kaum jemand begeistert sich für die Idee, Europa neben den USA und China als dritten Pol zu positionieren. Sprechender ist die Tatsache, dass die EU nur 7 Prozent der Weltbevölkerung ausmacht, aber 50 Prozent der globalen Sozialausgaben verzeichnet.

Macrons gaullistische Rhetorik und Trumps Forderung nach exorbitanten Rüstungsausgaben hängen direkt zusammen. Beide laufen für Europa auf grössere Eigenverantwortung hinaus. Doch weder Paris noch Washington haben die Sache zu Ende gedacht. Will Europa aufrüsten, muss es entweder den Schuldenberg erhöhen – was die Länder nicht verkraften – oder den Sozialstaat abbauen. Beides scheint unmöglich. Bis es unvermeidlich ist.

Frankreich und Deutschland sind die Motoren der europäischen Integration, und ohne ihre Entschlossenheit ist strategische Autonomie undenkbar. Berlin war bekanntlich nie begeistert von der Idee. Könnte Frankreich Europa ohne deutsches Zutun in Richtung mehr sicherheitspolitische Eigenständigkeit lenken? Widerstand käme auch aus den Gerontokratien des Mittelmeerraums.

Widerstand aus dem Süden

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez bezeichnete das Ziel von Verteidigungsausgaben in Höhe von 5 Prozent des BIP als «respektlos» und «unnötig». Er weiss, dass strategische Autonomie für das alternde Spanien, wo fast 60 Prozent des Staatshaushalts für Sozialausgaben aufgewendet werden, mit enormen Kosten verbunden ist. Bereits unter den gegebenen Umständen haben höhere Verteidigungsausgaben in Spanien zu Kürzungen bei den Bildungsausgaben geführt.

Spanien kann mit der stillschweigenden Unterstützung Italiens rechnen. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat argumentiert, dass die Mittel besser für den Grenzschutz und die Cybersicherheit verwendet werden sollten. Italien hat eine strukturell hohe Jugendarbeitslosigkeit, gleichzeitig konzentrieren sich rund 40 Prozent des Vermögens des Landes in den Händen von Rentnern.

Grossbritannien ist zwar nicht mehr EU-Mitglied, aber wie in den Gerontokratien des Mittelmeerraums fliesst die Umverteilung nicht von den Reichen zu den Armen, sondern von den prekär lebenden Jungen zu den vermögenden Älteren. Briten über 60 besitzen mittlerweile fast 60 Prozent des Wohnungsbestands des Landes; die Quote der Eigenheimbesitzer unter 35 Jahren ist auf magere 6 Prozent gesunken.

Es ist jedenfalls keine Überraschung, dass so viele junge Menschen in ganz Europa die Zukunft pessimistisch sehen und die Gründung einer Familie aufschieben, bis sie sich aus ihrer wirtschaftlich prekären Lage befreien können. Dann könnte es für viele zu spät sein für Nachwuchs. Die Geburtenrate in der EU sinkt jedenfalls auf einen neuen Tiefstand; 2023 erreichte sie pro Frau noch 1,38.

Sakrosankte Renten

Kann Frankreich die Last der strategischen Autonomie ganz allein schultern? Selbst eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 5 Prozent des BIP würde die Armee des Landes nicht grundlegend verändern. Seit Jahrzehnten operiert sie als stark reduzierte Streitmacht. Laut dem Pariser Think-Tank Institut Montaigne könnte die französische Armee derzeit nur eine Frontlinie von etwa 80 Kilometern verteidigen, das entspricht etwa der Entfernung von Dünkirchen nach Lille.

Hinzu kommt, dass Frankreich praktisch der Inbegriff einer Gerontokratie ist. Im nächsten Jahr werden die Kosten für den Schuldendienst die Bildungsausgaben übersteigen. Das ist erschreckend, aber in den europäischen Gerontokratien scheint nur ein Prinzip der politischen Ökonomie zu gelten: Renten sind unantastbar.

Als der Finanzminister Éric Lombard beispielsweise bemerkte, es sei «unlogisch», dass französische Rentner einen höheren Lebensstandard genössen als der durchschnittliche Bürger im erwerbsfähigen Alter, sah er sich scharfer Kritik ausgesetzt. Ähnliche Proteste folgten auf einen Vorschlag des Arbeitsministers, dass Rentner, die mehr als 2000 Euro im Monat erhalten, einen höheren Beitrag zum Staatshaushalt leisten sollten.

Auch die Einwanderung trägt nicht dazu bei, die Situation zu verbessern. Nach Schätzungen eines Think-Tanks kosten Neuankömmlinge Frankreich jährlich rund 75 Milliarden Euro. Die Daten der OECD zeichnen ein ähnliches Bild und deuten darauf hin, dass die Einwanderung tatsächlich keinen wirtschaftlichen Nettonutzen für die französische Staatskasse bringt. Die öffentliche Meinung spiegelt diese Sorgen wider: Mehr als zwei Drittel der Franzosen lehnen weitere Immigration ab.

Wut wird zum Antrieb der Jungen

Die Verschwendung schürt langsam die Wut der produktiven Bevölkerungsschicht. Die Frustration wird durch das Brechen eines zentralen Versprechens des westlichen Nachkriegsmodells angeheizt: dass Kinder ein besseres Leben haben würden als ihre Eltern. Die Gerontokratie steht für das genaue Gegenteil.

Jüngere Generationen sehen sich von zwei demografischen Trends unter Druck gesetzt: «le grand vieillissement» (das grosse Altern) und «le grand remplacement» (der grosse Austausch). Es sind die Sorgen jener, die nicht nur für das grosszügige Rentensystem selbst, sondern auch für die der europäischen Migrationspolitik entwachsenen Sozialausgaben aufkommen.

Die Enttäuschung zeigt sich in Meinungsumfragen. Kaum ein Viertel der jungen Franzosen hat Vertrauen in das demokratische System. Auch im Vereinigten Königreich glauben 60 Prozent der jungen Menschen, dass ein starker Leader, der nicht durch das Parlament oder Wahlen eingeschränkt ist, das Land «in Ordnung bringen» könnte.

Die Wut dieser Generation könnte Europa politisch neu ordnen. Wenn junge Wähler das Gefühl haben, dass ihre Stimmen in liberalen Gerontokratien wenig Gewicht haben, liegen autoritäre Alternativen auf einmal nah.

Es ist klar, dass Europa Politiker braucht, die bereit sind, die Logik der Gerontokratien umzukehren – weg von der Ausbeutung der produktiven Klasse, hin zur Unterstützung der jüngeren Generation. Reformen werden die Gerontokratie im Kern treffen müssen: Überarbeitung des Rentensystems, Steuerung der Einwanderung, Aufnahme nur derjenigen, die die Wirtschaft stärken, hartes Vorgehen gegen Sozialbetrug.

Allerdings werden Kürzungen allein nicht reichen. Europa braucht schlicht mehr Wachstum.

Krzysztof Tyszka-Drozdowski ist polnischer Autor und Supply-Chain-Analyst. Dieser Artikel erschien im Online-Magazin «Unherd». – Aus dem Englischen von mml.

Eisberg? Welcher Eisberg? Warum die Rentendiskussion und die «Titanic» viel gemeinsam haben – Beat Balzli, NZZ, 13.9.2025

Egal ob in Deutschland, Frankreich oder der Schweiz, die Rentendiskussionen ähneln sich. Die demografische Disruption ist der Elefant im Raum, den keiner sehen will – was verheerende Folgen haben könnte.

Edward John Smith liegt nun schon sehr lange in seinem nassen Grab, tief unten im Atlantik. Doch vergessen ist er nicht, der Posterboy der filmreifsten Katastrophe der Menschheit. Das Ergebnis seiner Fehlentscheidung gehört zu den meistbenutzten Metaphern in der Krisenprosa. Auch diese Woche drängt sie sich wieder auf, nachdem der Nationalrat über die Finanzierung der 13. AHV-Rente debattiert hat.

Kapitän Smith liess damals vor 113 Jahren den Luxusliner «Titanic» mit voller Fahrt durch die Nacht pflügen, allen Eiswarnungen zum Trotz. Im Vertrauen auf die Unsinkbarkeit des stahlgewordenen Fortschrittsglaubens wischte er jede Skepsis beiseite und hielt Kurs – einen fatalen Kurs.

Die Eisberge von damals sind die demografischen Prognosen von heute. Selbst das Amen in der Kirche ist nicht so sicher wie die Alterung der Gesellschaft. Die Geburtenraten befinden sich im freien Fall, Nachwuchs wird vom Normal- zum Sonderfall, und in den Kinderwagen der Hipster sitzen bald mehr Pudel als putzige Babys. Kamen in der Schweiz des Jahres 1950 über sechs Beitragszahler auf einen Rentner, sind es heute nur noch knapp drei, Tendenz fallend. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung. Viel mehr Eisbergwarnung geht nicht.

Doch auf der Brücke der Renten-«Titanic» stehen Politiker, die in einer alternden Gesellschaft gewählt werden wollen, die lieber die Generation Boomer mit der Giesskanne beschenken, als sich um die Generation von morgen zu kümmern, die lieber nach Finanzierungsquellen suchen, als die Ausgaben zu bremsen. Lieber Versprechen als Verzicht. Lieber Wohltäter als Botschafter der Wahrheit: Wir müssen länger arbeiten.

Wer sie ausspricht, den steinigt der Gegner oder spätestens das Volk an der Urne, wie einst die Junge FDP. In einer Dienstleistungsgesellschaft müssen Schreckensbilder von rückenkranken Bauarbeitern dafür herhalten, dass ein höheres Renteneintrittsalter für alle als unzumutbar gilt.

Was sich mit branchenspezifischen Ausnahmeregelungen einfach lösen lässt, wirkt wie ein Ablenkungsmanöver von etwas Grösserem. Der Zeitgeist lässt den «Homo büropiens» seine Work-Life-Balance wie eine Monstranz vor sich hertragen. Arbeiten gilt nicht mehr als Leben, nicht mehr als Quell von Identität, Innovation und Interaktion, sondern nur noch als Qual, als ungesunde Nichtfreizeit. Achtsamkeit ist die neue Sinnstifterin, der Job das neue Rauchen.

Kein Wunder, will jeder damit aufhören. Und so verlaufen rentenpolitische Diskussionen immer nach dem gleichen Muster. Statt mehr Arbeit gibt es mehr Millionen. Der Nationalrat erhöht jetzt die Mehrwertsteuer – immerhin befristet bis Ende 2030, damit bis dahin endlich alle den Ernst der Lage begreifen. Wie der aussieht, lässt sich in Deutschland und noch besser im hochverschuldeten Frankreich beobachten, wo die Rechtspopulistin Marine Le Pen fahrlässig gar eine Senkung des Rentenalters verspricht.

«Eisberg voraus!», würde der hoffentlich geläuterte Smith schreien, wenn er denn noch könnte. Er hätte gerne länger gearbeitet.

COMMENT: Was hier ausgeblendet bleibt: die lendenstarken Herrschaften sind die Moslems in Europa. Was das demographisch bedeutet, lässt sich leicht denken – und zwar ohne Fremdenhass und religiösen Fanatismus im Sinne von Antiislamismus.

In der Welt herrscht eine Datenkrise: Von zwei Milliarden Menschen weiss man nichts – Tin Fischer, NZZ, 14.9.2025

Will ein Land vorankommen, braucht es zuverlässige Informationen über seine Bevölkerung. Doch es wird immer schwieriger, alle Menschen zu erfassen. Nigeria will dem Problem mit neuer Technologie begegnen, Indonesien mit einem Tanz.

Wenn Staaten ihren eigenen Daten nicht mehr trauen, klopfen sie bei einem Institut in Southampton an. Das Forschungsprogramm World-Pop an der Universität der südenglischen Hafenstadt hat sich darauf spezialisiert, Bevölkerungen mit neuartigen Methoden zu schätzen.

Als zum Beispiel in Nigeria Kinder gegen Polio geimpft werden sollten, konnte man sich auf die offiziellen Einwohnerzahlen nicht verlassen. Die letzte Volkszählung ist fast zwanzig Jahre her und gilt als völlig verzerrt. Man weiss also schlicht nicht, wie viele Kinder wo im Land leben.

Damit ein Land vorankommt, braucht es zuverlässige Zahlen zu seiner Bevölkerung. Nur so kann es medizinische Massnahmen steuern und ihren Erfolg messen. Nur so kann es Schulen an den richtigen Orten bauen. Nur so kann es Einkommen berechnen und verfolgen, ob sie steigen.

Normalerweise zählen Länder alle zehn Jahre ihre Bevölkerung durch und befragen sie nach demografischen Merkmalen. Nur wenige Staaten wie die Schweiz oder die Länder Skandinaviens haben so gute Melderegister, dass sie auf einen solchen Zensus verzichten können.

In Nigeria fand die letzte Volkszählung 2006 statt. Doch als die nächste 2016 anstand, hatte gerade der erste demokratische Machtwechsel im Land stattgefunden. Politisch war die Lage so fragil, dass man den Zensus lieber verschob. 2019 waren dann schon wieder Wahlen. Also sollte der Zensus 2022 stattfinden, nun mithilfe der Uno. Das aber verhinderte die Pandemie. Persönliche Interviews waren nicht möglich.

Neues Datum: 2023. Aber da waren auch schon wieder Wahlen. Nun wurde der Zensus auf unbestimmte Zeit verschoben. Entstanden ist eine riesige Datenlücke, die immer grösser wird: Rund 90 Millionen Menschen dürften allein seit der – ohnehin umstrittenen – Zählung von 2006 hinzugekommen sein.

In solchen Fällen können die Fachleute von World-Pop weiterhelfen. «Als Erstes tragen wir so viele Bevölkerungsdaten wie möglich zusammen», erklärt Andy Tatem, der Leiter des Instituts. Sie suchen nach Zahlen aus Haushaltsbefragungen oder Gesundheitskampagnen, etwa wenn Mückenschutznetze verteilt worden sind. Oder Forschungsteams klopfen selbst an Türen an, um Daten zu erheben. Dann kommt die Technologie ins Spiel, in der Tatem Pionier ist: Satellitenbilder.

Siedlungen und Strassen, aber auch Ackerflächen oder nächtliche Beleuchtungen helfen, Rückschlüsse auf die Zahl der Menschen in einer Gegend zu ziehen. Heute erfolgt diese Mustererkennung oft mit künstlicher Intelligenz. Kombiniert mit den demografischen Erhebungen aus einzelnen Orten, versuchen die Forscher dann beispielsweise, die Zahl der Kinder im ganzen Land zu berechnen. «Das ist ganz bestimmt nicht perfekt, wir können auch mit Satellitendaten nicht zaubern», sagt Tatem einschränkend: «Wir sind eher der letzte Ausweg.»

Vertrauensverlust und Budgetkürzungen

Nigeria ist ein Extremfall, aber kein Einzelfall. Manchmal verhindern Kriege Volkszählungen. Afghanistan hatte seinen letzten Zensus 1979. Manchmal haben Regierungen die Kontrolle über Teile des Landes verloren, etwa in Burkina Faso. Oder sie wollen es gar nicht genau wissen. In Indien schiebt Premierminister Narendra Modi den Zensus seit 2021 vor sich her. Es ist nicht klar, ob ihm eine erneute Volkszählung politisch helfen oder schaden würde, weil gewisse Regionen mehr Parlamentssitze erhalten könnten. Und politische Unruhen will der Premierminister meiden, so wird vermutet.

Doch jetzt kommen noch weitere Probleme dazu. In einem Bericht im Fachblatt «Science» warnen Tatem und zwei seiner Kolleginnen vor einer globalen «Datenkrise». In einigen Ländern seien die Daten nicht besser, sondern schlechter geworden. Die Pandemie hatte viele Volkszählungen verzögert. Aber auch ein Verlust des Vertrauens in staatliche Institutionen, der zu weniger Teilnahme an den Zählungen führe, mache den statistischen Ämtern zu schaffen. In Ländern mit migrationskritischer Politik fürchten sich Ausländer, ihre Daten preiszugeben. Andere haben Angst, dass ihre Informationen nicht sicher sind. In Bangladesh etwa standen die persönlichen Angaben von 50 Millionen Menschen versehentlich offen im Netz.

Hinzu kommen Budgetkürzungen. USAID, die US-Behörde für Entwicklungshilfe, die viele Datenerhebungen finanziert hat, wurde von der Trump-Regierung aufgelöst. Europäische Staaten leiten ihre Entwicklungshilfegelder in die Verteidigung um. Ein Zensus ist teuer, vor allem, wenn digitale Infrastruktur fehlt. In Nigeria wurde eine Milliarde Dollar budgetiert, mehr als 4 Dollar pro Einwohner.

Das Ergebnis ist ein Informationsdefizit von zwei Milliarden Menschen: Andy Tatem und seine Kolleginnen rechnen vor, dass derzeit zu rund einem Viertel der Weltbevölkerung keine aktuellen Zahlen veröffentlicht sind. Vor zehn Jahren waren es weniger als 10 Prozent.

Die Sorge gilt dabei weniger den Gesamtzahlen eines jeweiligen Landes. Diese werden von einer unabhängigen Behörde der Uno geschätzt. Wir wissen also – wahrscheinlich – weiterhin relativ gut Bescheid über die Weltbevölkerung. Die Länder haben in der Regel auch kein grosses Interesse, bei ihrer Gesamtbevölkerung zu unter- oder zu übertreiben. Weder bringt das mehr Sitze in der Uno noch mehr Gelder ein.

«Wirklich problematisch kann es auf subnationaler Ebene werden», sagt Tatem. Denn hier geht es um die Verteilung von Geldern sowie politische Repräsentation. «Eine plötzliche Anpassung kann bedeuten, dass Leute Ressourcen oder Sitze im Parlament verlieren», so der Geograf. Je länger kein Zensus stattfindet, desto grösser wird die Angst vor den wahren Zahlen.

In Nigeria passiert genau das. «Wie in jedem Land ist eine zentrale Sorge, wie sich der Zensus auf die Ressourcenverteilung auswirken wird», sagt Ulla Müller, die bis 2023 Vertreterin des UN-Bevölkerungsfonds in Nigeria war. Das Land an der afrikanischen Westküste verdient Milliarden mit Erdöl. Wie dieses Geld verteilt wird, hängt auch von der Anzahl Menschen in einer Region ab – und damit dem Zensus.

Doch das Misstrauen zwischen den Landesteilen ist gross. Nigeria ist gespalten zwischen Norden und Süden, vereint auf Geheiss der Briten zur Kolonialzeit. Der Süden an der Küste ist christlich geprägt und wohlhabender, der Norden ist muslimisch und ländlicher. Die Regionen werfen sich gegenseitig seit je vor, bei ihren Einwohnerzahlen zu übertreiben und beim Zensus selbst Ziegen mitzuzählen. Immer wieder kam es bei Volkszählungen zu Unruhen, teilweise gar mit Toten. Ein Zeitungskolumnist nannte den nigerianischen Zensus kürzlich «mehr einen politischen Kompromiss als eine statistische Wahrheit».

Demokratie in einfachster Form

Wie verzerrt Nigerias Zahlen sein könnten, deutet eine Analyse von World-Pop an. Die Geografen aus Southampton ermittelten mithilfe von Satellitenbildern für jedes hundert mal hundert Meter grosse Pixel, wie viele Menschen dort leben dürften. Laut dem offiziellen Zensus von 2006 leben im christlichen Süden Nigerias fast gleich viele Menschen wie im muslimischen Norden. Gemäss einer Schätzung auf der Basis von Satellitendaten von 2021 jedoch könnte auch nur noch ein Drittel der Bevölkerung im Süden leben und zwei Drittel im Norden.

Das muss nicht zwingend bedeuten, dass der Norden einst politisch kleingerechnet wurde. Es kann auch einfach sein, dass er in der Zwischenzeit stärker wuchs, weil er eine höhere Geburtenrate hat. Eine weitere Schätzung ist wieder näher am Zensus. Aber so oder so: Eine neue, solide Volkszählung dürfte zu erheblichen Korrekturen führen – und damit zu politischen Problemen.

Ein Zensus ist Demokratie in einfachster Form. Gezählt zu werden, heisst, dass man berücksichtigt wurde und nicht mehr ignoriert werden kann. Nicht umsonst sieht zumindest die Uno-Kinderrechtskonvention neben dem Recht auf einen Namen auch das Recht vor, in ein Geburtsregister eingetragen zu werden.

Die Idee, Bevölkerungen vollständig zu zählen, fällt deshalb zusammen mit der Entwicklung moderner Demokratien. Denn nein, der berühmteste Zensus, den wir alle kennen, war keiner: Die Volkszählung, für die Maria und Josef nach Bethlehem aufbrachen, diente lediglich der Steuereintreibung. Ähnliche gab es für militärische Aushebungen.

Erst um 1800 herum begann das Zensuszeitalter. 1790 zählten die Vereinigten Staaten ihre Bevölkerung durch. Ab 1801 folgten Grossbritannien, Frankreich und viele andere. In der Helvetischen Republik fanden 1798–1800 die ersten schweizerischen Zählungen statt. Der erste eidgenössische Zensus, der auch Frauen und Kinder mitzählte, war 1850 und wurde bis 2000 alle zehn Jahre wiederholt. Seit 2010 wird die Bevölkerung nur noch in Stichproben befragt.

Das Zählen von Menschen ging einher mit der Bildung moderner Nationalstaaten. «Dank der immer breiteren Aufarbeitung von Daten über Land und Leute entstand die Vorstellung eines nationalen, die gesamte Bevölkerung umfassenden Raumes», schreibt der Historiker Hans Ulrich Jost im Buch «Von Zahlen, Politik und Macht».

Salopp gesagt: Was jeder neue Staat brauchte, war eine Flagge, eine Hymne und ein statistisches Amt. Die Zahlen halfen, Gesundheit und Wohlergehen der Menschen im Blick zu behalten, aber auch die Volkswirtschaft zu überwachen und natürlich die militärische Stärke zu messen. Der Begriff Statistik kommt aus dieser Zeit und bedeutete schlicht: Staatskunst.

Doch das Zählen war ungleich über die Welt verteilt. In Indien unter britischer Kolonialherrschaft fand der erste Zensus 1865 statt. In Nigeria gab es nur lokale Zählungen zur Steuereintreibung, denen man lieber entgehen wollte. Ein Weltzensus entstand erst in den 1960er Jahren, als die Weltbevölkerung stark wuchs und viele Staaten unabhängig wurden.

Seither schätzt die Population Division der Uno die Bevölkerung eines jeden Staates auf der Welt, anhand nationaler Zensusdaten, aber auch mit Erhebungen von Geburtenraten oder Lebenserwartungen sowie Migrationsbewegungen – unabhängig von lokaler Politik.

Eine Frage der Motivation

Ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Zahlen einmal beschädigt, ist es sehr schwierig, dieses wieder aufzubauen. Auch dafür ist Nigeria ein Beispiel. Für den nächsten Zensus versucht das Land die Volkszählung zu digitalisieren. «Wir werden das menschliche Zutun aus der Datenerhebung entfernen, damit die Leute der Neutralität der Technologie vertrauen können», sagt Collins Opiyo, technischer Berater des nigerianischen Zensus.

Wenn die Zensusbeauftragten dereinst mit ihren Tablets durch das Land reisen und die Menschen interviewen werden, sollen Leute zuschauen können, wie die Daten auf den Server hochgeladen werden, damit sie wissen, dass sie gezählt worden sind. «Die Daten werden in der Cloud gespeichert, und nur ganz wenige werden darauf Zugriff haben», sagt Opiyo. Die Tablets sollen mit GPS freigeschaltet werden, damit sie nur in den Regionen Daten hochladen können, in denen die Interviewer diese erheben müssen. Viel Aufwand, aber letztlich geht es auch um die Verteilung von Erdölmilliarden.

Während Nigeria versucht, das «menschliche Zutun» beim Zählen zu vermeiden, um Vertrauen zu schaffen, geht ein anderes Land ganz andere Wege. Wie in Nigeria fiel auch in Indonesien der Zensus in die Pandemie. Wie Nigeria ist auch Indonesien riesig: 17 508 Inseln, 708 Sprachen, 284 Millionen Menschen. Manche indigenen Völker dürfen selbst Zensusbeamte nicht besuchen. Die Superreichen in den Gated Communitys von Jakarta lassen niemanden an sich heran. Dann wurde wegen der Pandemie auch noch das Budget für den Zensus um 75 Prozent gekürzt, von einem Dollar pro Einwohner auf rund 25 Cent.

«Eine Online-Befragung war ursprünglich nur als ein Teil des Zensus geplant, aber wegen Covid war sie der einzige Weg, die Menschen zu erreichen», sagt Alfatihah Reno vom statistischen Amt BPS in Jakarta. Anders als Nigeria verfügt Indonesien über eine sehr gute digitale Infrastruktur sowie ein Einwohnermelderegister, das relativ zuverlässig ist, aber eben nicht alle Angaben enthält, die man durch einen Zensus ermitteln möchte. Der Zensus sollte also teilweise online stattfinden. Aber wie motiviert man die Menschen zum Mitmachen, wenn die Teilnahme zwar verpflichtend ist, aber die Nichtteilnahme ungestraft bleibt?

«Wir möchten eine neue Kultur und ein Bewusstsein in der Gesellschaft etablieren, wie wichtig Daten sind, damit sich die Menschen nicht nur als Objekt in einer Datensammlung sehen, sondern selbst am Zensus mitmachen wollen», sagt Diah Ikawati, Kollegin von Reno beim BPS. Auf der Website sieht man schnell, was sie meint: keine grauen Zahlen, wie man sie von anderen Statistikämtern kennt.

Täglich publizieren sie in Jakarta bunte Diagramme mit aktuellen Daten aus dem Land. Videos erklären mit quirligen Zeichnungen bevölkerungsstatistische Konzepte wie Geburtenrate oder Geschlechterquote. Eine Youtube-Reihe namens «Data Friends» beantwortet Fragen aus der Community. Neben Zahlen und Diagrammen sind auch überall Gesichter auf der Website.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Tanz, ja: dem Zensustanz. «Wir wollten die Millennials erreichen, damit sie ihren Eltern und Grosseltern helfen, das Online-Formular auszufüllen», sagt Reno. Und wie es sich ergab, ist ein junger Programmierer des statistischen Amts auch ein passionierter Musiker. Dieser schrieb den – wahrscheinlich weltweit einzigen – Zensus-Song, die Rockhymne «Indonesien zählt». In einem Theater in Jakarta liess das statistische Amt ein Musikvideo produzieren, mit Tänzerinnen in Trachten, Kampfsportlern, Reisenden, Militärangehörigen, Indigenen, Basketballern, Kletterern, Bogenschützen.

ast 20 Prozent der Bevölkerung füllten am Ende die Online-Formulare aus, weit mehr als erwartet. Der Rest musste später klassisch befragt werden. Heute gilt Indonesien als Vorbild für einen modernen Zensus mit relativ geringen Mitteln. Doch das Land denkt bereits weiter. Die Bevölkerungsregister sollen so solide werden, dass nur noch Einzelerhebungen nötig sind, vergleichbar mit jenen der Schweiz. Aber keine Sorge um den Zensustanz, der bleibt erhalten: Gerade wurde ein neuer Pop-Song für den Wirtschaftszensus aufgenommen. Refrain:

Dari Sumatra sampai ujung Papua
Bersama kita Mencatat Indonesia

(Von Sumatra bis zur Südspitze Papuas
Gemeinsam erfassen wir Indonesien)

Und Nigeria? Eigentlich sollte bald ein neuer Zensus stattfinden. «Die Regierung hat den politischen Willen dazu und ist dabei, das Budget dafür zu sichern», sagt Koessan Kuawu, Stellvertreter des Uno-Bevölkerungsfonds in Nigeria: «Wir konnten jedoch nicht vorhersehen, dass der Wahlkampf viel früher als im nächsten Jahr beginnen würde.» Und wie wir mittlerweile wissen: Zensus im Wahlkampf ist schwierig.

GESELLSCHAFTSSEISMOGRAPH BÖRSEN

findet sich am Ende des Tagesblicks

HELLMEYER-REPORT (Märkte u.a.m.)

Sommerferien – der Report entfällt bis Sonntag, 14.9.2025.

ZENTRALBANKEN

KOMMENTAR – ANALYSE – HINTERGRUND

Brandbeschleuniger statt Feuerwehr: Die EZB spielt in der französischen Schuldenkrise eine gefährliche Rolle – Albert Steck, NZZ, 12.9.2025

Dass Frankreich so riesige Schulden anhäuft, liegt auch an der Europäischen Zentralbank. Statt Disziplin einzufordern, schaut sie tatenlos zu, um dann in einer Krise notfalls mit Milliarden einzuspringen.

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Christine Lagarde, die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), schreibt Emmanuel Macron einen vertraulichen Brief. Darin fordert sie den französischen Staatspräsidenten ultimativ auf, die Finanzen in Ordnung zu bringen. In zwei Jahren müsse das Land aus den roten Zahlen herauskommen. Sparen müsse Macron namentlich bei den Renten und beim Staatspersonal.

Das Szenario mag illusorisch klingen. Doch im August 2011 hatte genau dies stattgefunden. Der Absender des Briefs war Lagardes Vorgänger Mario Draghi, der Empfänger war der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Prompt setzte dieser ein Sparprogramm von 50 Milliarden Euro um.

Pikanterweise leistet sich Frankreich heute sogar ein grösseres Budgetdefizit als damals Italien. Auch der EU-Vertrag von Maastricht würde von Lagarde verlangen, dass sie ihren Landsmann Macron zu mehr Budgetdisziplin anhält. Denn das Staatsdefizit darf 3 Prozent nicht überschreiten. Doch nicht weniger als 12 der 27 EU-Länder haben den Vertrag im letzten Jahr verletzt.

Ein notorischer Defizitsünder

Vor allem Frankreich foutiert sich um den Stabilitätspakt: In den letzten 18 Jahren hat das Land die erlaubte Limite 16-mal übertreten. Im laufenden Jahr dürfte das Haushaltsdefizit 5,7 Prozent erreichen – und selbst mit dem Sparpaket des nun abgesetzten Premierministers François Bayrou wäre das Defizit erst 2029 unter 3 Prozent gesunken.

Soll der Stabilitätspakt von Maastricht nicht endgültig zur Farce verkommen, so müssen die Verantwortlichen der EU und der EZB jetzt dringend eingreifen. Dennoch hat sich Christine Lagarde – einmal mehr – davor gedrückt. Sie werde die Lage in einzelnen Ländern nicht kommentieren, erklärte sie an der jüngsten Medienorientierung der EZB.

Dass Christine Lagarde hier tatenlos zuschaut, ist befremdlich. Sie kommandiert die Feuerwehr, welche die drohende Explosion in Frankreich dereinst würde bekämpfen müssen. Auch wenn das schwelende Feuer vorerst noch nicht so dramatisch wirkt: Die Pflicht der EZB-Präsidentin wäre es, diese Flammen möglichst früh rigoros einzudämmen.

Stattdessen übernimmt die Zentralbank sogar die Rolle eines Brandbeschleunigers. Der Grund liegt darin, dass sie die Zinssätze auf den französischen Staatsanleihen künstlich tief hält. Dies ist eine Folge der letzten Schuldenkrise in Griechenland. Damals hatte die EZB neue Instrumente geschaffen, um Staatsschulden, die am Markt zu günstigen Renditen keine Käufer mehr finden, selbst zu übernehmen.

Verantwortungslosigkeit wird belohnt

Der Mechanismus bedeutet eine Einladung für die Euro-Staaten, sich stärker zu verschulden. In der Ökonomie spricht man vom «Moral Hazard»-Effekt: Die Käufer der Staatsanleihen werden unvorsichtig und geben sich mit tieferen Zinsen zufrieden, da sie die Obligationen bei Bedarf bequem an die EZB weiterreichen können.

Und weil der Spardruck des Marktes fehlt, verliert auch die Politik das Interesse, den Staatshaushalt im Lot zu halten. Alle wissen, dass die Zentralbank ja ohnehin mit Milliarden einspringen wird. Wer frivol über die eigenen Verhältnisse lebt, freut sich, dass andere dereinst die Zeche bezahlen werden.

Dieses Trittbrettfahren hat schwere Folgen. Tangiert werden einerseits die sparsamen Euro-Staaten. Sie leiden darunter, dass die Gemeinschaftswährung laufend an Glaubwürdigkeit verliert – was zu höheren Refinanzierungskosten führt. Schlimmer noch ist die Tatsache, dass die Schuldenwirtschaft letztlich die Inflation anheizt. Die jüngste Teuerungswelle dient hier als Warnung: Kaum etwas gefährdet den sozialen Frieden so sehr wie die Geldentwertung. Nicht von ungefähr bezeichnet man die Inflation auch als den «Taschendieb der kleinen Leute».

Auf dem Spiel steht das Vertrauen der Menschen in den Euro. Als oberste Währungshüterin ist Christine Lagarde jetzt gefordert. Dazu ist es nicht einmal nötig, Emmanuel Macron einen Brief zu schreiben. Es genügt, wenn die EZB aufhört, die Marktsignale zu unterdrücken. Sprich: Sie müsste es zulassen, dass die Zinssätze der französischen Staatsanleihen stärker ansteigen. Der Druck des Marktes hat noch gegen jede verantwortungslose Schuldenpolitik gewirkt.

COMMENT: Der ach so verteufelte Markt besteht aus Marktteilnehmern; den „Markt“ als Allein-Akteur gibt es nicht. Die Marktteilnehmer nehmen über das Aussenden von Preissignale (Kauf- und Verkaufsgebote) in streng geregeltem und transparentem Vorgehen an einer quasi demokratischen anonymen Abstimmung teil, hier: über das Risiko, das über Frankreich schwebt.

Je höher das Risiko, umso höher die Renditen, umso höher die Neuverschuldungskosten. Das ruft Sparprogramme auf den Plan – oder die Staatspleite. In der Regel werden Sparprogramme gewählt. Darin liegt die potentielle Macht des Marktes.

WIRTSCHAFTSMELDUNGEN IM ÜBERBLICK

ISRAEL-IRAN-HAMAS-HISBOLLAH-KRIEG

ISRAEL-IRAN-KRIEG im n-tv Liveticker

ISRAEL – NAHOST-KONFLIKT im n-tv Liveticker

ISRAEL – NAHOST-KONFLIKT im FAZ-Liveblog

Keine neuen Meldungen seit gestern, Samstag, 13.9.2025.

WEITERE ISRAEL-MELDUNGEN

SaWagenknecht wirft Israel bei Gaza-Demo „Vernichtungskrieg“ vor788dts Nachrichtenagentur

KOMMENTAR – ANALYSE- HINTERGRUND

Mit dem Angriff auf Katar hat Israel seine Strategie offengelegt – Richard C. Schneider NZZ., 12.9.2025

Der israelische Angriff auf die Hamas-Führung zeigt: Die Politik der gezielten Tötungen hat eine neue Dimension erreicht. Das stellt Israel und den Nahen Osten vor Herausforderungen.

Israels Politik der gezielten Tötungen von Terroristen ist seit Jahrzehnten ein prägendes Element seiner Sicherheitsstrategie. Was in den frühen Jahren des Staates zunächst als punktuelle Reaktion auf konkrete Anschläge und Bedrohungen begann, entwickelte sich sukzessive zu einem systematisch eingesetzten Instrument der Kriegsführung und Abschreckung.

Die gezielten Tötungen dienten von Beginn an mehreren Zielen: der Eliminierung gefährlicher Gegner, der Signalwirkung gegenüber feindlichen Organisationen und der Demonstration der eigenen Handlungsfähigkeit im Kampf gegen Terrorismus.

Bereits in den 1970er und 1980er Jahren nutzte Israel gezielte Operationen, um Mitglieder der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), später der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Jihad (PIJ) auszuschalten. Die Logik: Eine Führung, die ständig bedroht ist, kann weder in Ruhe planen noch sicher operieren. In den vergangenen zehn Jahren lässt sich eine klare Intensivierung dieser Praxis feststellen.

Angriffe trafen dabei Führungsfiguren der Hamas und des PIJ in Gaza, im Westjordanland und anderswo, iranische Nuklearwissenschafter und hochrangige Funktionäre des Hizbullah. Die Liste reicht von Baha Abu al-Atta (2019, Gaza) über Mohsen Fakhrizadeh (2020, Teheran) bis hin zu den jüngsten, spektakulären Schlägen gegen Hizbullah- und Hamas-Führungspersonal in Beirut und Teheran.

Seit dem 7. Oktober ist Israel im ganzen Nahen Osten aktiv

Seit dem Hamas-Massaker an Israeli am 7. Oktober 2023 und dem Ausbruch des Gaza-Krieges am Tag danach hat Israel die Politik der gezielten Tötungen in einem bisher nicht gekannten Umfang betrieben. Die Eskalation begann mit gezielten Luftangriffen gegen iranische Kommandeure in Damaskus, setzte sich fort mit der Eliminierung des Hamas-Führers Ismail Hanyeh in Teheran und der Nummer zwei des Hizbullahs, Fuad Shukr, in Beirut und erreichte mit der Tötung des langjährigen Hizbullah-Chefs Hassan Nasrallah einen historischen Höhepunkt.

Danach führten die israelischen Streitkräfte während des sogenannten 12-Tage-Krieges gegen Iran eine Serie von Attentaten gegen iranische Wissenschafter und Sicherheitskommandeure durch. Diese Beispiele zeigen, dass sich Israels Politik längst nicht mehr auf die unmittelbare Nachbarschaft beschränkt, sondern im gesamten Nahen Osten aktiv ist. Das illustriert auch folgende Karte.

Der Krieg, der nun schon fast zwei Jahre dauert, markiert einen qualitativen Wandel: Während Israel zuvor eher punktuell zuschlug, wurde die gezielte Tötung nun integraler Bestandteil einer umfassenderen Kriegsstrategie. Sie diente nicht nur der Abwehr unmittelbarer Bedrohungen, sondern auch der systematischen Schwächung der gegnerischen Kommandostrukturen.

Besonders auffällig ist, dass Israel mit hoher technologischer Präzision vorgeht. Drohnen, satellitengestützte Aufklärung und neuartige Waffensysteme kommen zum Einsatz, um Schläge auch in dichtbesiedelten urbanen Gebieten auszuführen. Die israelischen Geheimdienste und die Armee entwickelten technologische Möglichkeiten, um den Streitkräften präzise Echtzeit-Informationen durchzugeben.

Der Angriff auf Katar könnte sich als Wendepunkt erweisen

Der Angriff in Doha diese Woche könnte sich als Wendepunkt erweisen. Zum ersten Mal hat Israel ein solches Attentat auf dem Boden eines Staates ausgeführt, der zwar mit der Hamas in Verbindung steht, aber zugleich enge Beziehungen zum Westen pflegt und als regionaler Vermittler fungiert. Dieser Schritt birgt das Potenzial einer enormen Eskalation.

Israel zeigt, dass es keine geografischen oder diplomatischen Tabuzonen mehr akzeptiert, wenn es um die Eliminierung seiner Gegner geht. Zugleich riskiert das Land, sich wichtigen regionalen und internationalen Partnern zu entfremden, im schlimmsten Fall sogar sie zu verlieren.

Die politische Sprengkraft dieses Schlags in Doha liegt im Bruch diplomatischer und völkerrechtlicher Konventionen. Denn Katar ist nicht im Kriegszustand mit Israel, ist in die gegenwärtigen internationalen Vermittlungsprozesse eingebunden und wurde bislang von Israel in dieser Rolle akzeptiert. Der Luftangriff von Dienstag verändert nun die gesamte Dynamik des Nahostkonflikts. Israel demonstriert, dass es bereit ist, das in Kauf zu nehmen, wenn es darum geht, feindliche Terrororganisationen zu vernichten.

Somit könnte Israel eine Intensivierung und Ausweitung dieser Strategie planen. Es könnte versuchen, die Führungsriegen feindlicher Organisationen so konsequent auszuschalten, dass deren operative Handlungsfähigkeit langfristig zusammenbricht, egal in welchem Land sie sich befinden. Ein solches Vorgehen würde die Gegner in einen permanenten Verteidigungsmodus zwingen und die Handlungsspielräume feindlicher Organisationen erheblich einschränken. Israel würde damit zum globalen, auf alle Fälle gesamtregionalen Akteur werden.

Israels Strategie birgt gravierende Risiken

Allerdings stellt sich dabei die Frage, ob Israel es beispielsweise wagen würde, Hamas-Funktionäre auf türkischem Boden auszuschalten. Die Türkei verfügt über eine der schlagkräftigsten Armeen im Nahen Osten. Ein militärischer Konflikt mit Ankara? Den scheint Israel vermeiden zu wollen, sonst hätte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu schon längst die Tötung wichtiger Hamas-Leute befohlen, die unter dem Schutz von Präsident Recep Tayyip Erdogan stehen.

Dabei könnte Israels technologische Dominanz einen Schattenkrieg auch in der Türkei oder anderen Staaten ermöglichen. Die Risiken sind gravierend. Mit jedem Schlag steigt die Wahrscheinlichkeit einer diplomatischen Gegenreaktion. Das kann die Zusammenarbeit mit westlichen Partnern, aber auch mit pragmatisch agierenden arabischen Staaten erschweren.

Langfristig droht die Gefahr, dass Israel durch seine immer aggressivere Politik der gezielten Tötungen in diplomatische Isolation gerät und seine Handlungsfreiheit einschränkt. Zudem wächst mit jedem Anschlag das Risiko von Vergeltungsaktionen. Terrororganisationen könnten zudem versuchen, Israels Strategie zu kontern, indem sie weniger auf klassische Führungsstrukturen setzen als vielmehr auf dezentrale Netzwerke und digitale Mobilisierung.

Jerusalem hofft auf eine neue regionale Ordnung

In Jerusalem hofft man durch die gegenwärtige Politik auf eine neue regionale Ordnung. Gelänge es, dauerhaft hochrangige Gegner auszuschalten, entstünden paradoxe Effekte, glaubt man: Einige arabische Staaten, die selbst unter dem Druck extremistischer Gruppen stehen, könnten sich enger an Israel binden. In einer Region, in der Stärke meistens mehr zählt als das humanitäre Völkerrecht, erscheint das durchaus denkbar.

Doch diese Hoffnung dürfte sich im Augenblick nicht erfüllen. Sosehr viele arabische Machthaber die Hamas, die Muslimbruderschaft und andere islamistische Organisationen fürchten, so sehr bestimmen die Bilder aus Gaza die Stimmung in ihrer jeweiligen Bevölkerung. Auf diese müssen sie Rücksicht nehmen.

Die Zukunft der Politik der gezielten Tötungen hängt daher von mehreren Faktoren ab: den inneren Entwicklungen bei Hamas und Hizbullah, den Reaktionen regionaler wie globaler Akteure sowie dem Fortgang des israelisch-iranischen Konflikts.

Im Kern aber bleibt die strategische Grundfrage: Kann Israel durch die permanente Ausschaltung feindlicher Führer langfristig Sicherheit gewinnen – oder produziert es damit immer neue Gegner und riskiert zugleich das Vertrauen potenzieller Partner?

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu dürfte von seiner Linie wohl kaum abrücken. Koste es, was es wolle.

Israels Angriff in Katar stellt die Sicherheitsarchitektur der Golfstaaten infrage – Anne Allmeling, NZZ, 10.9.2025

Der überraschende Angriff auf die Hamas-Führung in Doha hat das Emirat Katar erschüttert. Seine Strategie, in alle Richtungen gute Beziehungen zu pflegen, ging nicht auf.

Links eine Grundschule und ein Schönheitssalon, rechts eine Tankstelle, ganz am Ende ein Fussballplatz: Die Wadi-Rawdan-Strasse schlängelt sich durch ein Wohnviertel im Norden von Doha. Die Botschaften der Niederlande und der Philippinen befinden sich in dem Quartier. Es ist eine ruhige Gegend, in der Regierungsangestellte in hell gestrichenen Villen leben – und gelegentlich halten sich dort auch Mitglieder des Hamas-Politbüros auf.

Als sich die Vertreter der Terrororganisation am Dienstagnachmittag in einem grossen Haus in der Wadi-Rawdan-Strasse trafen, attackierte Israel das Gebäude aus der Luft – und erschütterte damit nicht nur das Emirat Katar, sondern die gesamte Sicherheitsarchitektur der arabischen Golfstaaten.

Sechs Menschen wurden bei dem Angriff getötet. Doch die wichtigsten Hamas-Funktionäre – unter ihnen die Führungsleute Khaled Mashal, Khalil al-Hayya und Mussa Abu Marzuk, die zur Verhandlungsdelegation für eine Waffenruhe im Gazastreifen gehören – hatten sich laut Berichten noch rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Von israelischer Seite gibt es dafür allerdings keine Bestätigung. Ob die Hamas-Funktionäre vorab gewarnt wurden, ist nicht bekannt. Klar ist nur: In dem kleinen Golfstaat hatten sich die Mitglieder der Hamas sicher gefühlt.

Gute Kontakte als Lebensversicherung

Das Emirat beherbergt die politische Führung der palästinensischen Organisation bereits seit 2012 – auf Wunsch des damaligen amerikanischen Präsidenten Barack Obama, der eine indirekte Kommunikation mit der Hamas aufbauen wollte. Kontakte in alle Richtungen zu knüpfen und auch mit international geächteten Gruppen zu sprechen, betrachtete die politische Führung in Doha bislang als eine Art Lebensversicherung. Sich als Vermittler unentbehrlich zu machen, schützt das Emirat vor Angriffen von aussen – so lautete das Kalkül. Doch diese Gleichung scheint nicht mehr aufzugehen.

Bereits vor drei Monaten zeigte sich, dass sich das Emirat, das mit seiner futuristischen Skyline und der Ausrichtung riesiger Sport-Events um internationale Aufmerksamkeit und Touristen wirbt, mit seiner aussenpolitischen Strategie auch zu einer Zielscheibe gemacht hat. Aus Rache für amerikanische Luftangriffe auf Atomanlagen in Iran feuerte Teheran Raketen ab, die Kurs auf den Militärstützpunkt al-Udeid in der Nähe von Doha nahmen. Dort befindet sich die Kommandozentrale der USA für den Nahen Osten.

Bei dem iranischen Angriff wurde niemand getötet, aber das Image Katars als sicherer Ort erhielt einen ersten Kratzer. Hatte die Präsenz der Amerikaner bis dahin als Sicherheitsgarantie für das Emirat gegolten, wurde sie zum ersten Mal auch als Risikofaktor wahrgenommen – wenngleich vieles darauf hindeutet, dass es sich bei dem Angriff um einen abgesprochenen Vergeltungsschlag handelte, der es Iran ermöglichen sollte, sein Gesicht zu wahren.

Keine Warnung aus Washington

Mit dem israelischen Luftangriff hingegen scheint niemand gerechnet zu haben. Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani erklärte am Dienstag, Doha sei erst zehn Minuten nach Beginn der Bombardierung von Washington angerufen worden. Der amerikanische Präsident Donald Trump als engster Verbündeter des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu war offenbar nicht willens oder fähig, seine Partner in Katar rechtzeitig vor dem Angriff zu warnen – möglicherweise, weil Israel Washington nicht um grünes Licht gebeten hatte.

Für die katarische Sicherheitsstrategie ist das ein Rückschlag. Der amerikanische Präsident beeilte sich zwar, zu versichern, dass «so etwas» nicht noch einmal geschehen werde. Doch darauf kann sich Katar nicht verlassen. «Die alten Allianzen, die während der Katar-Krise sehr gut funktioniert haben, greifen nicht mehr», sagt der deutsche Politikwissenschafter und Katar-Experte Nicolas Fromm. «Katar kann sich auf das Amerika von Donald Trump nicht mehr verlassen. Europa ist mit sich selbst beschäftigt. Und Iran ist gerade extrem geschwächt.»

In einem ähnlichen Dilemma befand sich Saudiarabien bereits 2019, nachdem Iran mehrere Ölanlagen im Osten des Königreichs angegriffen hatte. Trotz der Tragweite der Attacke, die eine zeitlich begrenzte Drosselung der Ölproduktion zur Folge hatte, verzichteten die USA während Trumps erster Amtszeit auf einen Vergeltungsschlag gegen Iran – und führten Saudiarabien dadurch vor Augen, wie verletzlich der Golfstaat ist.

Diese Situation führte dazu, dass sich Riad und Teheran, die beiden konkurrierenden Regionalmächte am Persischen Golf, einander annäherten. Dabei hatte Saudiarabien den kleinen Nachbarn Katar noch wenige Jahre zuvor – gemeinsam mit Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten – unter anderem wegen seiner Nähe zu Iran boykottiert.

Demonstrative Geschlossenheit

Nach Israels Schlag gegen die Hamas-Führung in Doha dürften die arabischen Golfstaaten nun noch stärker zusammenrücken. Am Mittwoch machten sich der Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, Sheikh Mohammed bin Zayed Al Nahyan, und Jordaniens Kronprinz Hussein auf den Weg nach Katar. Der saudische Kronprinz und faktische Herrscher Mohammed bin Salman wird am Donnerstag im Emirat erwartet.

Die arabischen Golfstaaten sehen Israel als wachsenden Risikofaktor in der Region und scheinen Geschlossenheit signalisieren zu wollen. Viel mehr können sie angesichts der militärischen Stärke Israels kaum tun. «Katar hat momentan einen sehr kleinen Handlungsspielraum», sagt der Politikwissenschafter Fromm. «Man versucht, den Luftangriff als externes Vorkommnis darzustellen, als Teil des Gaza-Krieges. Katar soll auf keinen Fall als Teil des Konflikts wahrgenommen werden – denn die Konsequenzen, die sich daraus ableiten, wären nicht vorteilhaft für das Land.» Am Dienstagabend erklärte Katar, weiter im Gaza-Krieg vermitteln zu wollen. Seine eigene Sicherheitsstrategie wird es allerdings überdenken müssen.

Der Bombendonner in Katar ist eine klare Botschaft: Israel glaubt nicht mehr an Diplomatie im Gaza-Krieg – Jonas Roth, NZZ, 10.9.2025

Die Hamas-Bosse im Exil sind zwar legitime Ziele. Doch mit der Attacke in Katar rückt ein Ende des Krieges kaum näher. Zudem gefährdet Israel seine Beziehungen zu den Golfstaaten.

Man könnte denken, dass die Treppe der Eskalationsstufen im Nahen Osten längst erklommen sein müsste. Im Gazastreifen, in Libanon, in Syrien, in Jemen und sogar im fernen Iran hat Israel in den vergangenen zwei Jahren bewiesen, dass Zurückhaltung nicht mehr Teil des eigenen strategischen Repertoires ist. Die Regierung Netanyahu setzt stattdessen auf eine Doktrin der Vorwärtsverteidigung, die die Machtbalance in der Region in ihren Grundfesten erschüttert hat – zugunsten des jüdischen Staats.

Israels Angriff auf mehrere Hamas-Kaderleute in der katarischen Hauptstadt Doha eröffnet allerdings eine neue Dimension in diesem Konflikt: Zum ersten Mal seit rund fünfzig Jahren [seit dem Einsatz Israels in Entebbe 1976 zwecks Geiselbefreiung aus einem Air-France-Flugzeug] greift Israel in einem Land an, mit dem es sich nicht im Kriegszustand befindet. Katar und Israel unterhalten zwar keine diplomatischen Beziehungen, doch sind sie offiziell nicht verfeindet. In den vergangenen Monaten gingen israelische Beamte in Doha ein und aus, um unter Vermittlung der Katarer eine Verhandlungslösung im Gaza-Krieg zu finden.

An einer solchen ist die Regierung Netanyahu offensichtlich nicht mehr interessiert. Die Vertreter der islamistischen Terrororganisation wurden offenbar bombardiert, während sie über einen amerikanischen Vorschlag für eine Waffenruhe berieten. Ungeachtet dessen, ob die Hamas-Bosse dabei tatsächlich getötet wurden, zeigt der Angriff, dass Israel der Diplomatie im Gaza-Krieg eine Absage erteilt – möglicherweise sogar gegen den Willen der USA.

Die Verantwortung der Hamas-Bosse

Es steht ausser Frage, dass die Anführer der Hamas im katarischen Exil ein legitimes Ziel sind. Sie tragen ebenso Verantwortung für das Massaker in Israel am 7. Oktober 2023 wie für die katastrophale Lage der Palästinenser im kriegsversehrten Gazastreifen.

In ihrem Wahn stellten sie in den Verhandlungen absurde Bedingungen und trugen massgeblich dazu bei, dass dieser verheerende Krieg noch kein Ende gefunden hat. Palästinensische Menschenleben spielen für sie keine Rolle. Vielmehr genossen sie es, von ihren Villen in Doha aus dabei zuzusehen, wie sich Israel durch seine Kriegsführung international immer stärker isolierte. Das ist Teil ihrer perfiden Strategie.

Netanyahu predigt seit Kriegsbeginn, die Hamas müsse als militärische und politische Organisation vernichtet werden. Vor diesem Hintergrund hat der Angriff vom Dienstag eine gewisse Logik – doch er wird den Krieg nicht beenden. Die Hamas wird nun umso weniger bereit sein, ihre Waffen niederzulegen oder die israelischen Geiseln freizulassen. Unter dem Kommando ihres Gaza-Chefs Izz al-Din al-Haddad behalten die Islamisten zudem die Fähigkeit, einen langatmigen Guerillakrieg gegen Israels Armee zu führen – daran dürfte auch die anstehende Bodenoffensive auf die Stadt Gaza wenig ändern.

Ein Schock für Katar

Stattdessen entledigt sich Israel nun der Verhandlungspartner, mit denen sich ein diplomatischer Ausweg aus dem Chaos von Gaza finden liesse. Dies gilt nicht nur für die Hamas-Führer, sondern auch für Katar. Es hat zwar am späten Dienstagabend angekündigt, seine Vermittlungstätigkeit im Gaza-Krieg weiterzuführen – aber offenbar nur, weil die Amerikaner Doha dazu drängten. Katar, der wichtigste Vermittler im Gaza-Krieg, wird den Israeli in kommenden Verhandlungen mit noch grösserem Misstrauen begegnen.

Nicht zuletzt gefährdet Israel mit der Attacke seine eigene Integration in der Region. Die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudiarabien, die den mächtigen jüdischen Staat eigentlich gerne als Partner hätten, stellten sich unmittelbar an die Seite Dohas. Sie dürften nun ernsthaft zweifeln, ob Netanyahus Israel im Nahen Osten eine konstruktive Rolle spielen will. Katar ist dazu gleich doppelt düpiert: Die USA sind ein wichtiger strategischer Partner und unterhalten eine grosse Militärbasis in der Golfmonarchie. Dass Washington Israel nicht von diesem Angriff abhalten konnte, wird den aussenpolitischen Strategen in Doha Kopfzerbrechen bereiten.

Zwei Dinge lassen sich festhalten: Im Nahen Osten gelten die alten Regeln nicht mehr. Und Israel setzt auf militärische Überlegenheit statt auf Diplomatie – mit dem Risiko, sich in einen endlosen Krieg zu verstricken.

URAINE-KRIEG im n-tv Liveticker

Detaillierte Meldungsübersicht. Daraus eine Auswahl:

+++ 09:35 Russland feuert mit Hyperschall-Rakete testweise auf Ziel in Barentssee +++
Russland hat nach eigenen Angaben eine Hyperschall-Rakete erfolgreich getestet. Die Rakete vom Typ Zirkon sei am Sonntag während des Militärmanövers „Sapad 2025“ auf ein Ziel in der Barentssee abgefeuert worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Den in Echtzeit erhaltenen objektiven Überwachungsdaten zufolge sei das Ziel durch einen direkten Treffer zerstört worden. Die Barentssee liegt nördlich von Norwegen und dem europäischen Teil Russlands.

Mit über Mach 5 ins Ziel Was Hyperschallwaffen so gefährlich macht

+++ 08:54 Rubio zu Drohnenvorfall: „Wenn das der Fall ist (…), wäre das natürlich eine höchst eskalatorische Aktion“ +++
Nach Russlands Verletzung des polnischen Luftraums mit Drohnen hat US-Außenminister Marco Rubio die Reaktion der Nato als angemessen bezeichnet – und das Eindringen russischer Drohnen in den Luftraum der Nachbarländer als „inakzeptabel, bedauerlich und gefährlich“. Die Flugroboter seien zweifellos mit Absicht eingesetzt worden. Jetzt müsse geklärt werden, ob sie auch gezielt auf polnisches Gebiet gesteuert wurden. „Wenn das der Fall ist, wenn die Beweise uns zu der Erkenntnis führen, dann wäre das natürlich eine höchst eskalatorische Aktion“, sagte Rubio. Es seien aber auch andere Erklärungen denkbar.

+++ 08:02 BSWler Onken für Gas aus Russland +++
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) will sich ein Jahr nach der Gründung der Landesverbände in Niedersachsen und Bremen auf mehreren Ebenen profilieren. So lehnt der niedersächsische BSW-Co-Chef Holger Onken einen stärkeren Fokus auf die Rüstungsindustrie ab. „Der Bau von Panzern und Fregatten kann die Produktion von Autos und Kreuzfahrtschiffen nicht ersetzen“, sagt Onken. Darüber hinaus müssten die Energiepreise sowohl für die Verbraucher als auch für die Wirtschaft sinken. „Das schließt einen Bezug von Gas aus Russland ein“, sagte Onken.

+++ 07:15 Drohnenangriff löst Feuer in großer russischer Ölraffinerie aus +++
In der großen russischen Erdölraffinerie Kirischi ist nach einem Drohnenangriff der Ukraine ein Feuer ausgebrochen. Der Brand in der Anlage in der nordwestrussischen Region Leningrad sei inzwischen gelöscht, teilt der dortige Gouverneur Alexander Drosdenko mit. Verletzt wurde demnach niemand. Das Feuer sei durch herabfallende Trümmerteile einer zuvor abgeschossenen Drohne ausgelöst worden, behauptet die russische Seite. Bei der Anlage handelt es sich um die Raffinerie Kinef, die zum Konzern Surgutneftegas gehört. Sie ist eine der beiden größten Raffinerien in Russland. Dort werden jährlich etwa 17,7 Millionen Tonnen russisches Rohöl verarbeitet, was 355.000 Barrel pro Tag entspricht. Der Anteil an der gesamten Raffineriekapazität des Landes liegt damit bei 6,4 Prozent. Unverifizierte Aufnahmen sollen das Feuer zeigen.

+++ 06:22 Selenskyj: „Keine Ausreden mehr“ bei Sanktionen gegen Russland +++
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert die Verbündeten auf, den Kauf von russischem Öl einzustellen. „Ich fordere alle Partner auf, keine Ausreden mehr zu suchen, um keine Sanktionen zu verhängen“, schreibt Selenskyj auf X. US-Präsident Donald Trump hat erklärt, die USA würden Sanktionen nur dann mittragen, wenn alle Nato-Mitglieder dem zustimmen.

+++ 05:42 Friedenssicherung: Baerbock hält Lösung mit UN-Blauhelmtruppen für denkbar +++
Die Präsidentin der UN-Vollversammlung, Annalena Baerbock, hält eine Beteiligung von UN-Blauhelmtruppen an einer Friedenslösung im Ukraine-Kriegs für möglich. „Wenn es zu einem Friedensvertrag kommt, dann muss der am besten abgesichert werden“, sagte die ehemalige deutsche Außenministerin der „Bild am Sonntag“. „Und wenn die Mehrheit der Mitgliedstaaten sagt, dafür bräuchte es auch Blauhelme, dann ist das etwas, was hoffentlich dauerhaft den Frieden sichern kann.“

+++ 04:39 Minister: Ukraine benötigt 120 Milliarden Euro für Verteidigung +++
Die Ukraine braucht nach eigenen Angaben im nächsten Jahr mindestens 120 Milliarden Dollar (102,3 Milliarden Euro), um die russischen Angreifer zu bekämpfen. Zudem sei ein ähnlicher Betrag zur „Aufrechterhaltung der Armee“ notwendig, selbst wenn der Krieg beendet wäre, sagt der ukrainische Verteidigungsminister Denys Schmyhal bei einer Konferenz in Kiew. Die Ukraine gibt etwa ein Drittel ihrer gesamten Wirtschaftsleistung für die Verteidigung aus und ist auf Finanzhilfen von ihren westlichen Verbündeten angewiesen. Die Ukraine riskiere, weiteres Land an Russland zu verlieren, wenn sie auf dem Schlachtfeld weiterhin finanziell unterlegen sei, sagt Schmyhal. Er schlägt vor, eingefrorene russische Vermögenswerte im Westen zu beschlagnahmen, um die Verteidigungsausgaben zu finanzieren.

+++ 03:28 Russische Chemieanlage in Perm getroffen +++
Russland meldet eine Drohnenattacke im Gebiet Perm nahe dem Uralgebirge. Hier beträgt die Entfernung mehr als 1500 Kilometer von der ukrainischen Grenze. Nach Angaben von Gouverneur Dmitri Manjuchin wurde ein Industriebetrieb der Stadt Gubacha getroffen. Das Unternehmen arbeite aber normal weiter, schreibt er. In Gubacha sind nach Medienberichten vor allem Betriebe der chemischen Industrie angesiedelt.

+++ 02:22 Zwei US-Republikaner dringen auf Russland-Sanktionen +++
Zwei republikanische US-Abgeordnete wollen scharfe Sanktionen gegen Russland wegen des Krieges in der Ukraine erzwingen, indem sie ihren Gesetzentwurf an ein dringend benötigtes Gesetz zur Finanzierung der Regierung koppeln. Der Senator Lindsey Graham und der Abgeordnete des Repräsentantenhauses, Brian Fitzpatrick, kündigten an, sie würden in beiden Parteien in dieser Woche auf Zustimmung drängen. „Wir werden unsere Kollegen in beiden Parteien auffordern, sich uns anzuschließen, um diese Gesetzgebung voranzutreiben und an der Seite der Freiheit gegen die Tyrannei zu stehen“, teilen die beiden mit. „Die Zeit drängt.“ Der Gesetzentwurf liegt seit Monaten vor, wurde aber von der Führung im Senat und im Repräsentantenhaus nicht zur Abstimmung gestellt. Grund dafür ist das Zögern von Präsident Donald Trump, Sanktionen gegen Russland zu verhängen.

+++ 01:29 Bahnlinie in Südwest-Russland gesprengt: Zwei Tote +++
Nach einer Bombenexplosion an einer Bahnlinie im südwestrussischen Gebiet Orjol gibt es zwei Tote. Eine weitere Person wurde nach Angaben von Gouverneur Andrej Klytschkow verletzt. Der Sprengsatz sei bei einer Überprüfung der Gleisanlagen entdeckt worden, als er hochgegangen sei. Er macht keine Angaben zur Identität der Todesopfer. Der Gouverneur der benachbarten Region Kursk erklärt jedoch, dass es sich um Angehörige der russischen Nationalgarde handele. Wegen des Vorfalls haben nach Angaben der russischen Bahn zehn Fernzüge Verspätung. Die Behörden gehen von einem Sabotageakt aus.

+++ 00:23 Umfrage: Mehrheit der Deutschen rechnet mit russischem Angriff auf Nato-Gebiet +++
Die Mehrheit der Deutschen hat Sorgen vor einem Angriff Russlands auf einen Nato-Staat wie Polen oder Litauen in naher Zukunft. In einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Insa für die „Bild am Sonntag“ befürchten 62 Prozent der Befragten einen solchen Überfall, schreibt die Zeitung. 49 Prozent der Deutschen sind demnach der Überzeugung, dass alle Lieferungen von Gas und Öl aus Russland in die EU sofort gestoppt werden sollten. 51 Prozent der Befragten sind laut Bericht auch dafür, dass eingefrorene russische Vermögen in der EU für die Unterstützung der Ukraine verwendet werden.

+++ 23:26 Vier Zivilisten bei russischen Angriffen in der Ostukraine getötet +++
Russische Streitkräfte haben bei Angriffen auf zwei Ortschaften in der Ostukraine vier Zivilisten getötet. In Kostjantyniwka in der Region Donezk starben nach Behördenangaben drei Menschen, als russische Truppen die Stadt fast eine Stunde lang mit Artillerie und Raketenwerfern beschossen. 14 Wohnhäuser wurden beschädigt, sieben Personen verletzt. Im Dorf Borowa in der Region Charkiw kam ein Mann bei einem Angriff mit Fliegerbomben und Raketen ums Leben, zwei weitere wurden verletzt. Beide Orte stehen regelmäßig unter russischem Beschuss – Kostjantyniwka ist mittlerweile von drei Seiten umschlossen, Borowa liegt nur fünf Kilometer von russischen Stellungen entfernt.

+++ 22:09 Kellog: Putin testet, wie weit er die Grenzen seiner Aktionen verschieben kann +++
Der Sonderbeauftragte des US-Präsidenten für die Ukraine, Keith Kellogg, hält den Drohnenvorfall in Polen nicht für zufällig. Bei der Konferenz „Yalta European Strategy“ in Kiew erklärte er: „Es flogen 19 Drohnen hinein – das kann kein Zufall sein. Vielleicht wäre eins oder zwei falsche Ziele denkbar, aber nicht 19.“ Kellogg sieht in Putins Handeln eine gezielte Signalwirkung: Der Kremlchef wolle testen, „wie weit er die Grenzen seiner möglichen Aktionen verschieben kann.“

+++ 21:22 Selenskyj zu Drohnen in Nato-Ländern: „Das ist eine Ausweitung des Kriegs durch Russland“ +++
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wirft Russland nach den Luftalarmen in den Nachbarländern Polen und Rumänien die Ausweitung des Kriegs vor. Die russischen Militärs wüssten genau, wohin ihre Drohnen fliegen, und das sei auch keine Eigenmächtigkeit irgendwelcher untergeordneter Kommandeure, schreibt Selenskyj auf Telegram. „Das ist eine offensichtliche Ausweitung des Kriegs durch Russland.“ Dieses Vorgehen mache präventive Handlungen des Westens erforderlich. Russland müsse die Folgen zu spüren bekommen, fordert Selenskyj. Einmal mehr drängt er auf Sanktionen und auch den von US-Präsident Donald Trump ins Spiel gebrachten Zöllen gegen Russlands Handel. Es sei aber auch nötig, ein gemeinsames Sicherheitssystem aufzubauen. „Wartet nicht erst auf Dutzende Shahed(-Drohnen) und ballistische Raketen, um endlich Entscheidungen zu treffen“, schreibt er an die Europäer gewandt.

+++ 20:40 Drohne dringt in rumänischen Luftraum ein +++
Rumänien lässt wegen einer Drohne im Luftraum des Landes Kampfflugzeuge aufsteigen. Die Drohne sei während eines russischen Angriffs auf die ukrainische Infrastruktur nahe der Grenze eingedrungen, teilt das Verteidigungsministerium mit. Zwei F-16-Jets hätten das Flugobjekt verfolgt, bis es vom Radar verschwunden sei. Eine unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung habe nicht bestanden.

+++ 19:54 Rubio: Eindringen russischer Drohnen in Polen ist inakzeptabel +++
US-Außenminister Marco Rubio bezeichnet das Eindringen russischer Drohnen in den polnischen Luftraum als inakzeptabel. Es sei jedoch unklar, ob Russland die Drohnen absichtlich in polnisches Gebiet gesteuert habe, sagt Rubio. In der Nacht zum Mittwoch waren mehrere russische Drohnen in den polnischen Luftraum geflogen. Trump klang ganz anders US-Botschafterin: „Verteidigen jeden Zentimeter Nato-Territorium“

+++ 18:57 Kallas: „Wir haben heute eine Situation, die an 1938 erinnert“ +++
Mit Blick auf die Absicherung eines möglichen Friedens durch Bundeswehrsoldaten in der Ukraine appelliert EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas in einem Intervie mit dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ an die Deutschen: „Manche Länder sind dazu bereit, weil sie erkannt haben: Es ist am Ende günstiger, Russland in der Ukraine zu stoppen, als russische Panzer vor den Toren der EU zu haben.“ Sie verweist auf die deutsche Geschichte: „Wir haben heute eine Situation, die an 1938 erinnert: Die Tschechoslowakei bat damals um Hilfe gegen Nazi-Deutschland, bekam sie nicht und fiel in die Hände der Nazis.“ Wenn die Ukraine falle, sei die Sicherheit ganz Europas bedroht. „Wir müssen zeigen, dass wir unsere Lektion aus der Geschichte gelernt haben.“

+++ 18:03 Russische Drohnen nahe polnischer Grenze – Warschau schickt Abfangjäger in die Luft +++
In Polen sind wegen der Gefahr eines russischen Drohnenangriffs auf benachbarte Regionen der Ukraine Kampfjets in die Luft gestiegen. Wie das Führungskommando der polnischen Armee in Warschau mitteilt, seien zudem die bodengestützten Luftabwehrsysteme am Nachmittag in höchste Bereitschaft versetzt worden. Solche Maßnahmen sind nicht ungewöhnlich, wegen des Vorfalls mit mutmaßlich russischen Drohnen auf polnischem Gebiet in der vergangenen Woche erhalten sie derzeit aber besondere Aufmerksamkeit. Der polnische Regierungschef Donald Tusk teilte bei X mit: „Aufgrund der Bedrohung durch russische Drohnen, die über der Ukraine nahe der polnischen Grenze operieren, hat eine präventive Operation der Luftstreitkräfte begonnen, sowohl der polnischen als auch verbündeter.“ Der Flughafen in Lublin wurde nach Angaben der Agentur PAP wegen der militärischen Aktivität vorübergehend für den zivilen Luftverkehr geschlossen.

+++ 17:34 Feuer in russischer Ölanlage nach Drohnenangriff – 1400 Kilometer von Ukraine entfernt +++
Ein Drohnenangriff hat russischen Angaben zufolge ein Feuer in einer Anlage eines Ölkonzerns in der russischen Region Baschkortostan ausgelöst. Dies teilte der Gouverneur der Region, Radij Chabirow, auf Telegram mit. Eine Drohne sei über dem Produktionsgelände abgeschossen worden und habe das Feuer entfacht, das nun gelöscht werde. Der Schaden an der Anlage sei begrenzt, Verletzte habe es nicht gegeben. Eine zweite Drohne sei ebenfalls abgeschossen worden. Auf lokalen Telegram-Kanälen veröffentlichte, nicht verifizierte Videos zeigen, wie ein Objekt in die Anlage fliegt, gefolgt von einem großen Feuerball. Die Stadt Ufa, in der sich die Ölanlage befindet, liegt rund 1400 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt.

+++ 16:49 Ukrainische Drohnen legen erstmals Russlands wichtigstes Ostsee-Ölterminal lahm +++
Ein Angriff ukrainischer Drohnen auf den Ostsee-Hafen von Primorsk in der Nacht auf Freitag in der Region Leningrad hat laut Reuters unter Berufung auf Branchen- und Militärquellen der ukrainischen Streitkräfte erstmals zu einer Unterbrechung der Verladung am wichtigen westlichen Ölterminal Russlands geführt. Die russischen Behörden bestätigten, dass der Hafen in der Nacht angegriffen wurde. Laut Gouverneur Alexander Drosdenko fing dabei ein im Hafen liegendes Schiff sowie eine Pumpstation Feuer. Er erklärte, dass das Feuer schnell gelöscht worden sei. Reuters-Quellen zufolge wurden durch den Angriff zwei Öltanker beschädigt. Zudem sei die Ölauslieferung im Hafen vorübergehend gestoppt worden, berichteten Gesprächspartner der Agentur. Eine offizielle Bestätigung seitens der russischen Behörden liegt nicht vor. Die Verantwortung für den Angriff übernahm der ukrainische Sicherheitsdienst SBU.

+++ 16:11 Prinz-Harry-Besuch: Ukraine will Invictus Games ausrichten +++
Die Ukraine hofft darauf, nach einem Ende des russischen Angriffskrieges Gastgeber der Invictus Games für im Einsatz verletzte Soldaten sein zu können. „Es ist unser Traum, dass die Invictus Games in die Ukraine kommen“, sagt Ministerpräsidentin Julia Swyrydenko nach einem Besuch des Invictus-Gründers Prinz Harry in Kiew am Vortag. Der britische Prinz Harry hatte die Invictus Games 2014 ins Leben gerufen. 2023 fanden die Wettkämpfe für kriegsverletzte Soldaten in Düsseldorf statt, in diesem Jahr war Kanada Gastgeber. Die Ukraine nahm bislang regelmäßig an den Invictus Games teil und möchte laut Swyrydenko 2029 Gastgeber sein.

+++ 15:26 Russische Kampfjets mit Hyperschallraketen fliegen über Barentssee +++
Russische mit Hyperschallraketen ausgerüstete MiG-31-Kampfjets haben im Rahmen des Großmanövers „Sapad 2025“ einen vierstündigen Flug über den neutralen Gewässern der Barentssee absolviert. Das meldete die russische Agentur Interfax. Russland und Belarus haben die Militärübung am Freitag begonnen, sie soll bis zum 16. September laufen. Sie findet laut russischem Verteidigungsministerium in beiden Ländern sowie in der Ost- und Barentssee statt.

+++ 14:45 Deutscher Feuerwehrmann rettet Leben in Charkiw +++
Im Ukraine-Krieg werden Feuerwachen gezielt attackiert und Helfer zu Zielscheiben von Angriffen. Trotzdem tauscht ein Feuerwehrmann aus Nürnberg seinen Alltag gegen den Ausnahmezustand in Charkiw: Unter Raketenbeschuss löscht er nicht nur Brände, sondern rettet auch Menschenleben.

Mit unbezahltem Urlaub Deutscher Feuerwehrmann rettet Leben in Charkiw

+++ 14:00 Trump fordert Nato-Staaten zum Einkaufsstopp für russisches Öl auf +++
US-Präsident Donald Trump ist bereit zu US-Sanktionen gegen Russland, wenn alle Nato-Staaten den Kauf von russischem Öl einstellten, wie er in einem Brief an die Nato-Staaten fordert. „Wenn die Nato tut, was ich sage, wird der Krieg schnell enden“, schreibt er in einem Beitrag in den sozialen Medien. Zudem fordert Trump die Länder auf, Zölle von 50 bis 100 Prozent auf chinesische Waren zu erheben, die mit dem Ende des Krieges wieder aufgehoben werden sollten.

+++ 13:10 Selenskyj: Müssen auf China einwirken, damit es auf Russland einwirkt +++
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht die Notwendigkeit, im Ringen um Frieden mit Russland mehr Einfluss auf China zu nehmen. „Wir müssen einen Weg finden, China zu beeinflussen, damit es seinen Einfluss auf Russland für den Frieden nutzt“, erklärt er in einer Kette von Beiträgen auf X. „Moskau ist bereits als Rohstofflieferant und politischer Abhängiger an Peking gebunden“, so Selenskyj. „Die Frage ist: Wie lässt sich China motivieren, einen Weg ohne Krieg einzuschlagen? Dies hängt von der Stärke Amerikas, Europas und der G7 ab.“

+++ 12:06 Russland meldet Einnahme von Dorf in Südostukraine +++
Russische Truppen haben nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau die Ortschaft Nowomykolajiwka in der südostukrainischen Region Dnipropetrowsk eingenommen. Zudem sei die ukrainische Infrastruktur für Langstreckendrohnen angegriffen worden, meldeten russische Nachrichtenagenturen unter Berufung auf das Ministerium. Auch seien innerhalb des vergangenen Tages 340 ukrainische Drohnen abgeschossen worden. Die Angaben konnten von unabhängiger Seite nicht überprüft werden. Sumy-Offensive abgewehrt? Selenskyj: „Putin kann seine Kriegsmaschinerie nicht mehr stoppen“

+++ 11:20 Kallas will Europas Interessen „mit Zuckerbrot und Peitsche verteidigen“ +++
Die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Kaja Kallas, hat vor einer Umgestaltung der Weltordnung durch China, Russland, Belarus und Nordkorea gewarnt. „Ich sehe, wie sich gerade die Weltordnung verändert, und das beunruhigt mich zutiefst“, sagt Kallas im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Schauen Sie auf den jüngsten Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit: China, Russland, Nordkorea, Belarus. Diese Staaten wollen zurück zu einer Ordnung, in der Macht und Gewalt darüber bestimmen, wer das Sagen hat. Ja, diese Veränderung macht mir wirklich Angst.“ Europas Antwort darauf aus Sicht von Kallas: „Wenn wir schneller Entscheidungen treffen und geschlossen auftreten, können wir als glaubwürdiger geopolitischer Akteur unsere Interessen mit Zuckerbrot und Peitsche verteidigen.“

+++ 10:26 Quantum-Gründer: Würden russische Drohnenangriffe keine vier Wochen durchstehen +++
Der CEO und Gründer des Drohnenherstellers Quantum Systems, Florian Seibel, fordert den Bau von Drohnenfabriken in Deutschland. „So wie Deutschland jetzt eine Munitionsfabrik von Rheinmetall in Unterlüß in Auftrag gegeben hat, so bräuchten wir auch den Beschluss, Drohnenfabriken zu bauen“, sagt er dem Wirtschaftsmagazin „Capital“. Die russischen Drohnen, die in der Nacht zu Mittwoch Polens Luftraum verletzten, hätten gezeigt, wo die Nato einen großen Schwachpunkt habe. „Putin hat uns einen Gefallen getan: Er hat uns vor Augen geführt, wo unsere große Schwäche liegt“, sagt Seibel. Und weiter: „Mit unserem aktuellen Arsenal würden wir russische Drohnenangriffe wie in der Ukraine keine vier Wochen durchstehen.“

+++ 09:20 Russische Truppen schleichen tagelang durch Röhre nach Kupjansk +++
Die Kämpfe um die Frontstadt Kupjansk im Osten der ukrainischen Region Charkiw nehmen nach Angaben von Militärbeobachtern an Schärfe zu. Russischen Soldaten sei es gelungen, in kleinen Gruppen durch eine unterirdische Röhre in die Stadt einzudringen, berichten die Experten des militärnahen Blogs „Deepstate“. Es ist nicht das erste Mal, dass Moskau diese Taktik für seine Vorstöße einsetzt. Kupjansk ist ein strategisch wichtiger Verkehrsknotenpunkt, der am Fluss Oskil liegt. Der Fluss selbst dient als Barriere gegen das Vordringen russischer Truppen. Allerdings ist es dem russischen Militär an einigen Stellen bereits gelungen, ihn zu überwinden. Mithilfe der Röhre, die einen Eingang am Ostufer des Flusses besitzt, verstärkt das Militär nun seinen Brückenkopf am Westufer. Der Weg durch die Röhre nehme vier Tage in Anspruch, allerdings erlaube er es den Russen, ohne größere Verluste das andere Ufer zu erreichen, warnt „Deepstate“. Der Ausgang ist zwar nicht direkt in der Stadt, es gebe dort aber schon einzelne russische Positionen, die etwa für den Start von Drohnen genutzt würden.

WEITERE UKRAINE-MELDUNGEN

00:06Baerbock für mögliche Blauhelm-Mission in der Ukraine1.349dts Nachrichtenagentur

Putin meldet erfolgreichen Test von Hyperschallrakete – ORF, 14.9.2025

Russland hat nach eigenen Angaben erfolgreich eine Hyperschallrakete getestet. Die Rakete vom Typ „Zirkon“ sei heute während des Militärmanövers „Sapad 2025“ auf ein Ziel in der Barentssee abgefeuert worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit.

Den in Echtzeit erhaltenen objektiven Überwachungsdaten zufolge sei das Ziel durch einen direkten Treffer zerstört worden. Die Barentssee liegt nördlich von Norwegen und dem europäischen Teil Russlands.

Sehr kritischer Zeitpunkt

Russland und Belarus hatten am Freitag ihr gemeinsames Großmanöver an der Grenze zum NATO-Territorium begonnen. Die Übung mit dem Namen „Sapad 2025“ („Westen 2025“) finde in beiden Ländern sowie in der Ost- und Barentssee statt, wie das russische Verteidigungsministerium mitteilte.

Das Manöver findet zu einem sehr kritischen Zeitpunkt statt. Am Mittwoch hatte Polen mit Unterstützung seiner NATO-Verbündeten mutmaßlich russische Drohnen über seinem Luftraum abgeschossen. Die Regierung in Moskau weist eine Verantwortung für den Vorfall zurück. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow hatte am Donnerstag erklärt, die Übungen, auch die in der Nähe der polnischen Grenze, richteten sich nicht gegen ein anderes Land.

red, ORF.at/Agenturen

Russland-Sanktionen: Trump stellt Bedingungen an NATO-Partner – ORF,13.9.2025

Nach dem Eindringen russischer Drohnen weit nach Polen will der Westen Moskau mit verschärften Sanktionen treffen. US-Präsident Donald Trump möchte neuen Russland-Sanktionen der USA aber nur zustimmen, wenn die anderen NATO-Staaten ihrerseits chinesische Importe mit hohen Zöllen belegen und kein russisches Öl mehr kaufen.

„Ich bin bereit, wesentliche Sanktionen gegen Russland zu verhängen, wenn alle NATO-Länder sich einigen und beginnen, das Gleiche zu tun, und wenn alle NATO-Länder aufhören, Öl von Russland zu kaufen“, schrieb Trump auf seiner Onlinenachrichtenplattform Truth Social am Samstag.

Das helfe, diesen „tödlichen, aber lächerlichen Krieg“ zu beenden – zusammen damit, dass die NATO geschlossen Zölle von 50 Prozent bis 100 Prozent auf Importe aus China erhebt. Diese würden dann aufgehoben, wenn der Krieg zwischen Russland und der Ukraine ende. China habe große Macht in Bezug auf Russland, und diese Zölle würden diese Kontrolle aufbrechen, meinte der Präsident.

China für USA Hauptgegner

Die USA sehen – noch verstärkt seit Trumps Amtsantritt – China als Hauptgegner und -konkurrenten und haben daher ein Interesse, Europa deutlicher an sich zu binden und gleichzeitig dessen Verbindungen mit China zu schwächen. Europa ist in der Unterstützung der Ukraine gegen Russland wiederum auf die USA angewiesen. Und Russlands wichtigster Verbündeter ist tatsächlich China.

Ausnahmen für Ungarn und Slowakei

Trump soll schon mehrfach europäischen Ländern ihre Ölgeschäfte mit Russland vorgehalten haben. Vor rund zwei Wochen soll der Republikaner laut mehreren Medien in einem Telefonat gefordert haben, die Ölgeschäfte zu beenden, weil Russland damit seinen Krieg gegen die Ukraine finanziere. Zudem soll er Druck der Länder auf China gefordert haben. Die EU hat die Einfuhr russischen Öls zwar weitgehend verboten, lässt aber für Ungarn und die Slowakei Ausnahmen zu. Das ist insofern brisant, als Trump und Ungarns Regierungschef Viktor Orban einander ideologisch sehr nahe stehen.

Macron stimmt Trump grundsätzlich zu

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte erklärt, dass Trump zu Recht darüber empört sei, dass die beiden EU-Mitgliedsstaaten weiter russisches Öl kaufen. Es sei gut, dass die USA und Europa ihre Sanktionen gegen Russland künftig noch enger koordinieren wollten, auch um dieser Praxis ein Ende zu setzen.

Macron sagte, die Europäer hätten bei den Beratungen mit den USA auch vereinbart, Sanktionen gegen Länder zu prüfen, die die russische Wirtschaft unterstützen oder dabei helfen, die Sanktionen zu umgehen. In diesem Zusammenhang sei auch China erwähnt worden.

Nach EU-Angaben sind die Ölgeschäfte Europas mit Russland in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen. Völlig eingestellt sind sie nicht.

Pipeline „Druschba“ weiter in Betrieb

Die EU hatte nach Moskaus Angriff auf die Ukraine 2022 weitgehende Einfuhrverbote gegen russische Energieträger wie Kohle und Öl verhängt. Diese erstrecken sich aber nicht auf Erdöl, das über Pipelines transportiert wird. Die russische Erdölpipeline „Druschba“ transportiert weiterhin Öl in Richtung Ungarn und Slowakei.

red, ORF.at/Agenturen

Links:

Deutsche besorgt: Erneut russische Drohnen: Polen und Rumänien alarmieren Luftwaffe – dpa / GMX, 14.9.2025

Erneut wurden russische Drohnen an der Grenze zu Polen und Rumänien gesichtet. Die Länder versetzten ihre Luftwaffe in Alarmbereitschaft. Einen russischen Angriff auf ein Nato-Land sehen eine Mehrheit der Deutschen als möglich an.

Nach dem Abschuss russischer Drohnen in Polen ist es dort und in Rumänien am Samstag zu weiteren Vorfällen gekommen. Russland steht im Verdacht, die im Ukraine-Krieg in den Grenzregionen eingesetzten Drohnen gezielt auf Nato-Gebiet oder in dessen Nähe gelenkt zu haben. Wie das Führungskommando der polnischen Armee mitteilte, stiegen wegen der angenommenen Gefahr eines russischen Drohnenangriffs auf Regionen in Nachbarschaft der Ukraine am Nachmittag Kampfjets in die Luft. Die bodengestützten Luftabwehrsysteme wurden in höchste Bereitschaft versetzt.

In der ostrumänischen Region Tulcea am Donaudelta nahe der ukrainischen Grenze sichtete Rumäniens Armee ebenfalls am Samstag eine Drohne. Zwei F-16-Kampfjets stiegen von der Luftwaffenbasis Fetesti zu einer Beobachtungsmission auf. Die Nato alarmierte nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur in Rumänien zudem zwei deutsche Eurofighter, die dort den Luftraum schützen sollen.

Selenskyj glaubt nicht an Versehen

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hält Moskau angesichts der jüngsten Vorfälle eine Eskalation des Kriegs vor. Die russischen Militärs wüssten genau, wohin ihre Drohnen fliegen, und es würden auch keine untergeordneten Kommandeure eigenmächtig handeln, schrieb Selenskyj auf Telegram. „Das ist eine offensichtliche Ausweitung des Kriegs durch Russland.“ Dieses Vorgehen mache präventive Handlungen des Westens erforderlich. „Wartet nicht erst auf Dutzende Shahed(-Drohnen) und ballistische Raketen, um endlich Entscheidungen zu treffen“, appellierte Selenskyj an die Europäer.

US-Außenminister Marco Rubio bezeichnete die Reaktion der Nato als angemessen – und das Eindringen russischer Drohnen in den Luftraum der Nachbarländer als „inakzeptabel, bedauerlich und gefährlich“. Die Flugroboter seien zweifellos mit Absicht eingesetzt worden. Jetzt müsse geklärt werden, ob sie auch gezielt auf polnisches Gebiet gesteuert wurden. „Wenn das der Fall ist, wenn die Beweise uns zu der Erkenntnis führen, dann wäre das natürlich eine höchst eskalatorische Aktion“, sagte Rubio. Es seien aber auch andere Erklärungen denkbar.

US-Präsident Donald Trump hatte zuvor gesagt, dass es sich bei dem Vorfall um ein Versehen der Russen gehandelt haben könnte – eine Deutung, der andere Alliierte wie Polen vehement widersprachen. Auch in Militärkreisen wird das für unwahrscheinlich gehalten. Die polnische Regierung sprach von einem „militärischen und politischen Test nicht nur für Polen, sondern für die gesamte Nato“. Das Bündnis startete nach den Luftraumverletzungen durch Russland eine neue Militäroperation zum Schutz der Ostflanke.

Mehrheit der Deutschen befürchtet russischen Angriff auf Nato-Staat

Eine Mehrheit der Deutschen ist einer Umfrage zufolge in Sorge vor einem Angriff Russlands auf einen Nato-Staat wie Polen oder Litauen in naher Zukunft. Nach der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa im Auftrag der „Bild am Sonntag“ befürchten 62 Prozent der 1.002 Befragten einen solchen Angriff. 28 Prozent tun das nicht, zehn Prozent wissen es nicht.

Der Insa-Umfrage zufolge spricht sich eine Mehrheit der Befragten auch für härtere wirtschaftliche Maßnahmen gegen Russland aus. 49 Prozent sind der Überzeugung, dass alle Lieferungen von Gas und Öl aus Russland in die EU sofort gestoppt werden sollten. 33 Prozent sind für eine Fortsetzung, elf Prozent wissen es nicht, sieben Prozent ist es egal.

51 Prozent der Befragten plädierten der Umfrage zufolge außerdem dafür, dass eingefrorene russische Vermögen in der EU für die Unterstützung der Ukraine verwendet werden. 29 Prozent sind dagegen, 20 Prozent wissen es nicht beziehungsweise haben keine Meinung dazu.

Tusk spricht von „präventiver Operation“

Der polnische Regierungschef Donald Tusk hatte am Samstag bei X mitgeteilt: „Aufgrund der Bedrohung durch russische Drohnen, die über der Ukraine nahe der polnischen Grenze operieren, hat eine präventive Operation der Luftstreitkräfte begonnen, sowohl der polnischen als auch verbündeter.“ Der Flughafen in Lublin im Südosten des Landes wurde nach Angaben der Agentur PAP vorübergehend für den zivilen Luftverkehr geschlossen. Nach rund zwei Stunden gab die polnische Armee bekannt, dass die Operation der Luftstreitkräfte und die erhöhte Alarmbereitschaft beendet seien.

Zwar gab es solche Alarme in Polen und Rumänien seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 häufiger. Doch bei einem russischen Luftangriff auf die Ukraine in der Nacht auf Mittwoch war eine große Zahl an Drohnen in den Luftraum Polens und damit der Nato geflogen, und die polnische Luftwaffe und andere Nato-Verbündete schossen erstmals einige der Flugkörper ab. Seitdem erhält Polen verstärkte Unterstützung von Nato-Verbündeten.

Drohne in Rumänien verschwindet vom Radar

In Rumänien habe die Drohne am Samstag keine bewohnten Gebiete überflogen und keine Gefahr dargestellt, teilte das Verteidigungsministerium in Bukarest mit. Die Region ist dünn besiedelt. Dennoch warnte der Katastrophenschutz die Bevölkerung vor der Gefahr möglicherweise herabfallender Gegenstände aus der Luft. Die rumänischen Kampfjets hätten die Drohne etwa 20 Kilometer weit bis zum rumänischen Donau-Ort Chilia Veche verfolgt, erklärte das Ministerium. Danach sei das Objekt vom Radar verschwunden.

Seit Kriegsbeginn waren im Donaudelta mehrmals Trümmer russischer Drohnen auf rumänisches Territorium gefallen, meistens nach russischen Angriffen auf die dort in Sichtweite befindlichen Häfen am ukrainischen Donau-Ufer. Jedes Mal erklärten Rumäniens Behörden sowie die Nato, dass dahinter keine Absicht Russlands gestanden habe.

Ukraine greift Ölanlagen tief in Russland an

In der russischen Teilrepublik Baschkortostan an der Wolga ging nach Behördenangaben unterdessen eine Raffinerie des Ölkonzerns Baschneft nach einem ukrainischen Drohnenangriff in Flammen auf. Nach Angaben von Republikchef Radi Chabirow wurde die Anlage von mindestens zwei Drohnen attackiert, eine sei dabei auf das Betriebsgelände gestürzt.

Drohnenattacken auf russische Ölanlagen sind inzwischen fester Bestandteil der ukrainischen Abwehrstrategie. Damit soll einerseits die Kraftstoffversorgung des Militärs selbst unterbrochen, andererseits Russland eine wichtige Einnahmequelle zur Kriegsfinanzierung genommen werden.

Neu ist, dass die Angriffe inzwischen auch bei Tag erfolgen – und das tief im russischen Hinterland. Baschkortostan liegt rund 1.400 Kilometer von der Grenze zur Ukraine entfernt. Später wurde eine weitere Drohnenattacke im Gebiet Perm nahe dem Uralgebirge bekannt. Hier beträgt die Entfernung sogar mehr als 1.500 Kilometer. (dpa/bearbeitet von the)

Empfehlungen der Redaktion

Polen und Rumänien in Alarmbereitschaft wegen Drohnen – APA, 13.9.2025

In Polen sind wegen der Gefahr eines russischen Drohnenangriffs auf benachbarte Regionen der Ukraine am Samstag Kampfjets in die Luft gestiegen. Wie die polnische Armee in Warschau mitteilte, seien zudem die bodengestützten Luftabwehrsysteme am Nachmittag in höchste Bereitschaft versetzt worden. Unterdessen drang am Samstag eine Drohne in den rumänischen Luftraum ein. Aufklärungsmaßnahmen wurden eingeleitet.

Wie das Führungskommando der polnischen Armee in Warschau mitteilte, seien die bodengestützten Luftabwehrsysteme am Nachmittag in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden. Solche Maßnahmen sind nicht ungewöhnlich, wegen des Vorfalls mit mutmaßlich russischen Drohnen auf polnischem Gebiet in der vergangenen Woche erhalten sie derzeit aber besondere Aufmerksamkeit.

Der polnische Regierungschef Donald Tusk teilte auf der Plattform X mit: „Aufgrund der Bedrohung durch russische Drohnen, die über der Ukraine nahe der polnischen Grenze operieren, hat eine präventive Operation der Luftstreitkräfte begonnen, sowohl der polnischen als auch verbündeter.“ Der Flughafen in Lublin wurde nach Angaben der Agentur PAP wegen der militärischen Aktivität vorübergehend für den zivilen Luftverkehr geschlossen. Nach rund zwei Stunden gab die polnische Armee bekannt, dass die Operation der Luftstreitkräfte und die erhöhte Alarmbereitschaft beendet seien.

Nach Angaben der Agentur PAP gaben die Bürgermeister von Swidnik und von Chelm im Osten des Landes zuvor in den sozialen Medien bekannt, dass aufgrund der Bedrohung aus der Luft Warnsirenen eingesetzt worden seien. Sie forderten demnach die Bevölkerung auf, Ruhe zu bewahren. Ein Krisenzentrum der Regierung schickte zudem an alle Handys in fünf Bezirken im Grenzgebiet zur Ukraine SMS, die vor der „Gefahr einer Attacke aus der Luft“ warnten.

Bei einem russischen Luftangriff auf die Ukraine in der Nacht auf Mittwoch war auch eine große Zahl an Drohnen in den Luftraum Polens und damit der NATO geflogen. Die polnische Luftwaffe und andere NATO-Verbündete schossen erstmals einige russische Drohnen ab. Seitdem erhält Polen verstärkte Unterstützung von NATO-Verbündeten. Dazu wurde die Operation „Eastern Sentry“ – etwa: östlicher Wachposten – in die Wege geleitet. Polen lässt seit langem bei jedem größeren Angriff auf den Westen der Ukraine Kampfjets aufsteigen. Die Ukraine wehrt sich seit Februar 2022 gegen einen russischen Angriffskrieg.

In der ostrumänischen Region Tulcea am Donaudelta nahe der ukrainischen Grenze sichtete Rumäniens Armee ebenfalls am Samstag eine Drohne. Zwei F-16-Kampfjets von der Luftwaffenbasis Fetești stiegen zu einer Beobachtungsmission auf. Die NATO alarmierte nach Informationen der dpa in Rumänien zudem zwei deutsche Eurofighter, die dort den Luftraum schützen sollen. Mit dem Alarmstart sei auf russische Angriffe in Grenzgebiet der Ukraine zu Rumänien reagiert worden.

Die Drohne habe keine bewohnten Gebiete auf rumänischem Territorium überflogen und keine Gefahr dargestellt, berichtete das Verteidigungsministerium in Bukarest. Die Region ist dünn besiedelt. Dennoch hatte der Katastrophenschutz die Bevölkerung vor der Gefahr möglicherweise herabfallender „Gegenstände“ aus der Luft gewarnt.

Die rumänischen Kampfjets hätten die Drohne etwa 20 Kilometer weit bis zum rumänischen Donau-Ort Chilia Veche verfolgt, danach sei das Objekt vom Radar verschwunden. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine waren im Donaudelta mehrmals Trümmer russischer Drohnen auf rumänisches Territorium gefallen, meistens nach russischen Angriffen auf die dort in Sichtweite befindlichen Häfen am ukrainischen Donau-Ufer. Jedes Mal hatten Rumäniens Behörden sowie die NATO erklärt, dass es sich um von Russland unbeabsichtigte Vorfälle gehandelt habe.

KOMMENTAR – ANALYSE – HINTERGRUND

Nato-Kanonen gegen russische Spatzen: Auf einen Drohnenkrieg wie in der Ukraine ist der Westen nicht vorbereitet – Volker Pabst, NZZ, 11.9.2025

Russland hat am Mittwoch getestet, wie die Nato auf die gezielte Verletzung des eigenen Luftraums durch Drohnen reagiert. Das Ergebnis fällt für den Westen ernüchternd aus.

Bereits kurz nach dem Vorfall zweifelten nur wenige seriöse Stimmen daran, dass Russland in der Nacht auf Mittwoch mit Absicht eine grössere Zahl von Drohnen in den polnischen Luftraum hatte fliegen lassen. Wenn einzelne Fluggeräte den Luftraum verletzen, ist ein Versehen vorstellbar. Seit Kriegsbeginn ist dies mehrmals in Nato-Staaten sowie der Moldau geschehen, obwohl sich auch da berechtigte Fragen stellten. Bei einer zweistelligen Zahl von Drohnen, die aus der Ukraine und aus Weissrussland Kurs auf Polen nehmen, ist der Fall jedoch klar.

Das sieht man auch in den europäischen Hauptstädten so. Am Mittwochabend wiederholte der polnische Aussenminister Radoslaw Sikorski, was sein Regierungschef Donald Tusk bereits früher am Tag gesagt hatte: Russland habe absichtlich den polnischen Luftraum verletzt. Ähnlich äusserte sich der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz. Auch die EU verurteilte am späten Abend erfrischend deutlich die absichtliche Verletzung des Luftraums eines Mitgliedslandes.

Ein russischer Testlauf

Weitgehende Einigkeit herrscht auch darüber, was Russland mit seiner Aktion bezweckte. Zwar gibt es nur wenig offizielle Informationen zu den über Polen abgestürzten oder abgeschossenen Drohnen. Aus Medienberichten geht jedoch hervor, dass bisher an keinem der Fluggeräte Sprengsätze gefunden worden seien. Ausserdem soll es sich zumindest teilweise um Gerbera-Drohnen gehandelt haben.

Diese Modelle ähneln äusserlich den iranischen Shahed-Drohnen und deren russischer Entsprechung Geran, sind aber viel billiger und in der Regel nicht mit einem Sprengsatz versehen. Ihr Hauptzweck besteht darin, die ukrainische Flugabwehr zu überlasten, damit gefährlichere Modelle ihr Ziel erreichen. Das Schadenspotenzial ist also beschränkt.

Obwohl einige der Drohnen Kurs auf Orte nahmen, die für die militärische Unterstützung der Ukraine von Bedeutung sind, wollte Russland keine Ziele in Polen angreifen, sondern Verunsicherung streuen und schauen, wie die Nato auf eine solche Provokation reagiert.

«Das war ein Testlauf, wie gut unsere Frühwarnsysteme funktionieren, wie lang unsere Reaktionszeit ist», sagt der ehemalige Kommandant der amerikanischen Streitkräfte in Europa, Ben Hodges, in einer Stellungnahme gegenüber mehreren Medien. Die Frage ist, ob die Nato diesen Test bestanden hat.

Mitteleinsatz nicht nachhaltig

Der Generalsekretär Mark Rutte zeigte sich am Mittwoch «beeindruckt von der sehr erfolgreichen Reaktion der Bündnispartner». Neben der polnischen Luftwaffe waren niederländische Kampfjets und ein italienisches Aufklärungsflugzeug an der Bekämpfung der Drohnen beteiligt. Auch eine deutsche Patriot-Staffel wurde in Einsatzbereitschaft versetzt.

Allerdings werfen die mobilisierten Mittel Fragen auf. Der Einsatz am Mittwoch dürfte die Nato allein an Materialkosten mehrere Millionen Euro gekostet haben. Allein die Luft-Luft-Rakete des Typs AIM-120C, die laut Aufnahmen von Trümmerteilen zumindest gegen eine Drohne eingesetzt wurde, hat einen Stückpreis von rund einer Million Dollar. Der Wert der russischen Fluggeräte beträgt einen Bruchteil davon. Die Herstellungskosten einer einfachen Gerbera-Drohne liegen bei rund zehntausend Euro.

Bei gelegentlichen Luftraumverletzungen ist ein solches Missverhältnis verkraftbar. In einem Abnützungskrieg mit Grossangriffen, wie sie in der Ukraine an der Tagesordnung sind, ist das aber nicht nachhaltig – und auch nicht praktikabel. Mit Kampfflugzeugen und Patriot-Systemen allein lassen sich nicht Hunderte von Drohnen gleichzeitig bekämpfen.

Ungenügende Vorbereitung auf die Bedrohungslage

Phillips O’Brien, ein Professor für strategische Studien an der Universität St. Andrews in Schottland, schreibt in seinem Blog, der Mittwoch habe erneut gezeigt, dass die Nato noch immer in keinem Masse gewappnet sei für einen russischen Angriff.

Der frühere General Hodges plädiert dringend für den Aufbau eines vielschichtigen, flexiblen Flugabwehrsystems an der Nato-Ostgrenze mit Waffen, die an die jeweilige Bedrohungslage angepasst sind. Mit einem Seitenhieb auf Rumänien fordert er zudem alle Nato-Staaten dazu auf, die Gesetzeslage in Bezug auf den Abschuss von Fluggeräten zu klären.

In Rumänien kommt es immer wieder zu Verletzungen des Luftraums durch russische Drohnen, vor allem im Donaudelta. Inwiefern und unter welchen Bedingungen die Luftwaffe dagegen vorgehen darf, ist aber Gegenstand eines politischen Streits.

Die Ukraine als Vorbild

Die meisten Experten empfehlen dem Westen, sich für den Kampf gegen russische Drohnen die Ukraine zum Vorbild zu nehmen. Die teuren Flugabwehrsysteme wie Patriot werden dort vor allem gegen Marschflugkörper eingesetzt, während Drohnenschwärme mit mobilen Einheiten und zunehmend auch Abfangdrohnen bekämpft werden.

Dies ist eine Erinnerung an die Binsenweisheit, dass die militärische Zusammenarbeit mit der Ukraine keine Einbahnstrasse für den Westen ist. Das überfallene Land ist nicht nur Empfängerin von Militärhilfe, sondern sammelt durch seinen langen Abwehrkampf auch Erfahrungswerte, die für die Nato von unschätzbarem Wert sind.

Das weiss man in Kiew. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski bot am Mittwoch an, Polen in der Ausbildung für den Kampf gegen russische Drohnen zu unterstützen. Gleichzeitig rief er die Europäer dazu auf, sich an der Finanzierung von Abfangdrohnen zu beteiligen.

«Polens Sicherheit zuerst»

Die polnische Debatte dreht sich derweil vor allem um die Fähigkeiten der eigenen Armee. Laut der Militärzeitschrift «Defence24» wurde am Mittwoch mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Zur Bekämpfung von Drohnen sollten nur Waffen eingesetzt werden, die günstiger als ihre Ziele seien. Doch über solche Waffen verfügten die polnischen Streitkräfte schlicht nicht.

Die politische Opposition schlug in dieselbe Kerbe. Der Vorsitzende der ultranationalistischen Konfederacja, Slawomir Mentzen, kritisierte in der Parlamentsdebatte am Mittwoch, dass Polen dreieinhalb Jahre Krieg verschlafen und keine effektive Drohnenabwehr aufgebaut habe. Der frühere Verteidigungsminister der nationalkonservativen PiS, Mariusz Blaszczak, forderte den Bau einer Drohnenfabrik in Polen.

Dabei klang unausgesprochen die im rechten Lager weitverbreitete Kritik an, dass die Unterstützung der Ukraine auf Kosten der eigenen Sicherheit gehe. Es ist nicht auszuschliessen, dass die russische Provokation auch auf die Vertiefung dieser Gräben abzielte. Offene prorussische Positionen sind in Polen nicht salonfähig, die Kritik an der Unterstützung der Ukraine ist es aber schon.

Das russisch-weissrussische Grossmanöver «Sapad 2025» löst Besorgnis an der Nato-Ostflanke aus – Markus Ackeret, NZZ, 12.9.2025

Russland und Weissrussland wollen ihre militärische Zusammenarbeit üben. Die Nachbarstaaten und die Nato befürchten aber Provokationen.

In Weissrussland hat das russisch-weissrussische Grossmanöver «Sapad 2025» («Westen 2025») begonnen. Fünf Tage lang wollen die daran beteiligten militärischen Einheiten offiziell die «Abwehr einer Aggression gegenüber dem Unionsstaat» üben, also dem Staatenbund von Russland und Weissrussland. Über die Grössenordnung, das Programm und die räumliche Konzentration der Übung herrscht Unklarheit. Das weissrussische Verteidigungsministerium hat ursprünglich von mehr als 13 000 Militärangehörigen gesprochen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die offiziellen Angaben stets um das Fünf- bis Zehnfache zu tief waren. Beobachter rechnen deshalb mit bis zu 150 000 Mann.

Übungsplatz für Ukraine-Invasion

Russland führt jedes Jahr Grossmanöver dieser Art durch – abwechslungsweise im Westen, im Osten und im Zentrum des Landes sowie im Kaukasus. Die Nervosität vor allem an der Ostflanke der Nato ist diesmal besonders gross. Vor vier Jahren nutzten die russischen Streitkräfte «Sapad 2021», um unter dem Deckmantel der Truppenübung zahllose Verbände und Militärtechnik nach Weissrussland an die Grenze zur Ukraine zu verschieben, die nach dem Abschluss des Manövers dort verblieben. Das Grossmanöver diente damals der Vorbereitung der Invasion des Nachbarlandes im Februar 2022.

In diesem Jahr sind Russlands Möglichkeiten zwar wegen des fortgesetzten Krieges gegen die Ukraine beschränkt. Es ist unklar, wie viele Truppenverbände die Armee überhaupt für das Manöver entbehren kann. Befürchtet werden aber Provokationen in der Nähe der Grenzen zu Polen und den baltischen Staaten, mit denen Russland die Handlungsfähigkeit der Nato testen könnte. Auch hat der weissrussische Generalstab Übungen zum Einsatz der als neue russische «Wunderwaffe» gepriesenen Mittelstreckenrakete Oreschnik und von nuklear bestückten Waffen angekündigt.

Drohnenangriff nährt Befürchtungen

Zugleich versuchten Vertreter Weissrusslands die westlichen Befürchtungen zu beschwichtigen. Um die Spannungen in der Region nicht anzuheizen, würden weniger Teilnehmer am Manöver erwartet und finde dieses hauptsächlich im Landesinnern statt, sagte der weissrussische Machthaber Alexander Lukaschenko Anfang August. Zudem ergingen Einladungen zur Beobachtung von «Sapad 2025» an alle im Land akkreditierten Militärattachés, auch an solche von Nato-Mitgliedstaaten.

Lukaschenko versucht derzeit, das Verhältnis zum Westen, besonders auch zu den USA, zu verbessern. Während des Besuchs eines amerikanischen Emissärs liess er am Donnerstag 52 politische Gefangene frei, unter ihnen auch den früheren oppositionellen Präsidentschaftskandidaten Nikolai Statkewitsch, sowie Bürger mehrerer Nato-Staaten. Im Gegenzug hoben die USA die Sanktionen gegen die weissrussische Fluggesellschaft Belavia auf.

Das Eindringen eines ganzen Schwarms russischer Drohnen in polnisches Staatsgebiet in der Nacht auf Mittwoch gab jedoch den Befürchtungen Nahrung, Russland wolle die Verteidigungsbereitschaft an der Nato-Ostflanke prüfen. Polen hat für die Zeit des Grossmanövers die Grenzübergänge zu Weissrussland geschlossen.

WEITERE MELDUNGEN AUS ALLER WELT

ORF MELDUNGBÜNDEL WELT

Ukraine-Krieg

Kiew rechnet 2026 mit 102 Mrd. Kosten für Krieg

Tote bei Explosion auf Bahnstrecke in Russland

Ukrainische Drohnen treffen russische Ölraffinerie

Ausland

Deutscher Stimmungstest: Kommunalwahl in NRW begonnen

Putin meldet erfolgreichen Test von Hyperschallrakete

US-Außenminister Rubio in Israel eingetroffen

Nordkorea protestiert gegen Militärmanöver Südkoreas

Frankreichs neuer Premier will Feiertage nicht mehr streichen

Sudan weist Vorschlag für Waffenruhe zurück

Trumps Ballsaal im Weißen Haus soll noch größer werden

Medien

„Rolling Stone“-Verleger klagt Google wegen KI

Wirtschaft

Großbritannien und USA bereiten Technologieabkommen vor

ÖBB bauen Terminal Süd in Wien aus

Wenn der Strom plötzlich doppelt so teuer wird

Wiener Gemeindebau: Eigenes Angebot für Studenten

Privatbrauereien kämpfen gegen Brau Union

Höfesterben: Landwirtschaft sucht neue Generation

USA

Auch Louisiana im Blick Trump will Nationalgarde nach Memphis schicken – n-tv, 13.9.2025

Nach Los Angeles und Washington nimmt Trump die nächste Demokraten-Hochburg im Visier. Memphis, eine der Städte mit der höchsten Armutrate, will er von Kriminalität befreien. Dafür setzt der US-Präsident wieder auf US-Militär.

US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, er werde Truppen der Nationalgarde in die Stadt Memphis im US-Bundesstaat Tennessee entsenden. Damit wolle er die Kriminalität in der Stadt bekämpfen. „Wir gehen nach Memphis. Memphis hat große Probleme“, sagte Trump in einem Interview mit dem TV-Sender Fox News. Der demokratische Bürgermeister der Stadt, Paul Young, sei „glücklich“ darüber. Das Büro des Bürgermeisters hat sich bisher nicht dazu geäußert.

Zunächst war unklar, auf welcher rechtlichen Grundlage und in welchem Zeitrahmen Trump die Truppen entsenden will. Ein Bundesgesetz, der sogenannte Posse Comitatus Act, schränkt den Einsatz des US-Militärs für Aufgaben der Strafverfolgung im Inland grundsätzlich ein. Es gibt jedoch Ausnahmen von diesem Gesetz. Es gilt oft nicht für Einsätze der Nationalgarde, die unter dem Kommando des Gouverneurs eines Bundesstaates stehen.

Memphis, eine Stadt mit 611.000 Einwohnern am Mississippi, hat FBI-Statistiken zufolge eine der höchsten Gewaltverbrechensraten in den USA. Rund 24 Prozent der Einwohner leben laut dem US-Zensusbüro in Armut, mehr als doppelt so viel wie im Landesdurchschnitt. Bereits während Trumps erster Amtszeit hatte das US-Justizministerium im Jahr 2020 Bundesbeamte zur Bekämpfung von Gewaltverbrechen in die Stadt geschickt. Trump versucht, das Thema Kriminalität zu einem zentralen Wahlkampfthema zu machen, obwohl die Zahl der Gewaltverbrechen in vielen Städten gesunken ist. Sein hartes Vorgehen gegen von Demokraten geführte Städte hat Proteste ausgelöst. Am vergangenen Wochenende demonstrierten deswegen mehrere tausend Menschen in der Hauptstadt Washington.

1000 Nationalgardisten nach Louisiana

Zudem erwägt Trump einem Medienbericht zufolge den Einsatz von 1000 Nationalgardisten in Großstädten des Bundesstaates Louisiana. Ein entsprechender Plan sei ausgearbeitet worden, berichtete die „Washington Post“ unter Berufung auf Dokumente des Pentagon. Demnach könnten die Soldaten die örtliche Polizei in Städten wie New Orleans und Baton Rouge unterstützen.

Der Einsatz hängt von einer Anfrage des Gouverneurs von Louisiana, Jeff Landry, ab. Dieser ist wie Trump Mitglied der Republikanischen Partei. Weder Bundes- noch Landesbeamte haben den Plan bislang bestätigt, wie die Zeitung weiter berichtete. Das Pentagon bestätigte der „Washington Post“ zwar die Echtheit der Dokumente, lehnte eine inhaltliche Stellungnahme jedoch ab.

Dem Bericht zufolge sieht der Plan für Louisiana eine Mobilisierung bis zum 30. September 2026 vor. Die Nationalgardisten könnten die Polizeipräsenz in Vierteln mit hoher Kriminalität verstärken, bei der Drogenbekämpfung helfen und die örtlichen Behörden logistisch unterstützen. Die Nachrichtenagentur Reuters konnte den Bericht zunächst nicht überprüfen.

Quelle: ntv.de, raf/rt

NAHER OSTEN – MENA WATCH (Mena-Watch auf Wikipedia)

EURASIEN

RUSSLAND – Konjunktur kühlt sich ab Russland senkt Leitzins weniger als erwartet – n-tv, 12.9.2025

Zuletzt mehrten sich Stimmen in Russland, die sich kritisch zum Thema Inflation und Konjunkturaussichten äußern. Investitionen lohnten sich demnach in dem auf Kriegswirtschaft umgestellten Land immer weniger. Nun geht die Zentralbank mit dem Leitzins leicht zurück.

Die russische Zentralbank hat ihren Leitzins gesenkt – allerdings weniger als gedacht. Der Zinssatz werde von 18 auf 17 Prozent zurückgenommen, teilten die Währungshüter in Moskau mit. Weitere Zinsschritte hingen davon ab, ob sich die Inflation verlangsame. Ökonomen hatten sogar mit einem Zinsschritt auf 16 Prozent gerechnet. Die Zentralbank hatte angesichts hoher Inflation im vergangenen Oktober die Leitzinsen auf den Höchststand von 21 Prozent angehoben. Im Juni hatte es dann eine erste Zinssenkung um einen und im Juli um zwei weitere Punkte gegeben. Die Inflationserwartungen seien allerdings weiterhin „hoch“, erklärte die Zentralbank.

Die Inflation in Russland, die von den Militärausgaben für den Krieg gegen die Ukraine und den westlichen Sanktionen befeuert wird, war im August nach offiziellen Angaben leicht auf 8,14 Prozent gesunken, nach 8,79 Prozent im Juli. Die Zentralbank peilt eine Zielmarke von rund vier Prozent an und steht unter erheblichem Druck aus der Wirtschaft, ihre Geldpolitik zu lockern. Unternehmensvertreter hatten beklagt, dass sich Investitionen bei dem hohen Zinsniveau nicht mehr lohnten. Die Währungshüter kündigten nun an, man werde die Geldpolitik so straff wie nötig halten, um die Inflation 2026 wieder auf das Zielniveau zu bekommen.Der russische Rubel hat zuletzt weiter an Wert verloren. Analysten zufolge hängt dies mit verschiedenen Faktoren zusammen. So mehren sich die Hinweise auf eine wirtschaftliche Schwäche. Sberbank-Chef German Gref warnte vor einer Krise: Sollte die Zentralbank die Zinsen nicht drastisch senken, werde das Land in eine Rezession geraten. Finanzminister Anton Siluanow hatte angekündigt, eine Erhöhung der Schulden sei möglich. Dies werde aber in einem „vernünftigen Rahmen“ geschehen.

ach der Ukraine-Invasion vor rund dreieinhalb Jahren auf Kriegswirtschaft umgestellt. Das hat das Preisgefüge durcheinandergebracht. Viele Unternehmen außerhalb der Rüstungsindustrie müssen wegen Fachkräftemangels auch im Zuge der militärischen Mobilisierungskampagne hohe Löhne zahlen, um ihre Mitarbeiter zu halten oder zu bekommen. Die höheren Personalkosten werden großteils an die Kunden weitergereicht. Den Unternehmen machen die hohen Zinsen zusätzlich zu schaffen, verteuern sie doch die Kreditaufnahme für Investitionen erheblich.

Die russische Wirtschaft hatte den westlichen Sanktionen der vergangenen zwei Jahre überraschend gut standgehalten. Im zweiten Quartal verlangsamte sich das Wachstum offiziellen Angaben zufolge jedoch auf 1,1 Prozent – im Vergleich zu mehr als vier Prozent im Jahr zuvor. „Die Wirtschaft kehrt weiterhin auf einen ausgewogenen Wachstumspfad zurück. Das Kreditwachstum hat sich in den letzten Monaten beschleunigt. Die Inflationserwartungen bleiben hoch“, teilte die Zentralbank mit.

Quelle: ntv.de, jwu/rts/DJ/AFP

TÜRKEI – Kurz vor Urteil gegen Parteispitze: Razzien gegen Opposition in der Türkei – ORF, 14.9.2025

Kurz vor dem Abschluss des Verfahrens gegen den Vorsitzenden der Oppositionspartei CHP hat die türkische Staatsanwaltschaft am Samstag die Festnahme von 48 Personen angeordnet. Laut Bericht des öffentlich-rechtlichen Senders TRT Haber befand sich darunter auch der Bürgermeister des von der CHP geführten Istanbuler Stadtteils Bayrampasa. Grund sind Korruptionsvorwürfe. Die Opposition sprach von einer „politischen Operation“.

Laut TRT hatte die Polizei Samstagfrüh Razzien an insgesamt 72 Orten durchgeführt. Die Vorwürfe gegen die Beschuldigten lauteten unter anderem auf Amtsmissbrauch, Veruntreuung, Bestechung und Betrug bei öffentlichen Ausschreibungen. Der betroffene Bürgermeister Hasan Mutlu von der oppositionellen CHP schrieb auf der Plattform X, er habe nichts zu verbergen und nannte die Ermittlungen gegen ihn und die weiteren Beschuldigten „eine politische Operation“, beruhend auf „unbegründeten Verleumdungen“.

Er habe nicht einen Moment daran gedacht zurückzuweichen und werde das auch künftig nicht tun, er habe ein reines Gewissen, schrieb Mutlu. Bei den Hausdurchsuchungen an unterschiedlichen Orten seien Dokumente beschlagnahmt worden, berichtete TRT Haber weiter. Auch gegen Vertreter Mutlus sei Haftbefehl erlassen worden. Nach Beschuldigten, die nicht an ihren Meldeadressen angetroffen worden seien, werde gesucht. Die Razzien leitete laut dem Sender die Abteilung für Finanzkriminalität der Istanbuler Polizei.

Stärkste Konkurrenz für Erdogan

Die sozialdemokratische CHP, Cumhuriyet Halk Partisi (deutsch: Republikanische Volkspartei), ist seit 2002 die größte oppositionelle Fraktion im Parlament in Ankara, verpflichtet dem säkularen Erbe des Staats- und Parteigründers Mustafa Kemal Atatürk. Auf Kommunalebene ist sie seit dem Vorjahr die stärkste politische Kraft.

Die Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan von der religiös-konservativen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (Adalet ve Kalkinma Partisi, AKP) erhöht seit Monaten den Druck auf die CHP und von ihr geführte Kommunen. Hunderte Parteimitglieder wurden seither festgenommen, darunter der Oberbürgermeister Istanbuls, Ekrem Imamoglu. Er gilt als prominentester politischer Kontrahent Erdogans. Imamoglu und seine Partei hatten bei den Kommunalwahlen 2024 erstmals die AKP geschlagen.

Gericht entscheidet über Absetzung von Parteichef

Für Montag wird nun ein Gerichtsurteil erwartet, das zur Absetzung des nationalen CHP-Vorsitzenden Özgür Özel wegen angeblicher Verfahrensfehler bei seiner Wahl vor zwei Jahren führen könnte. Sollte das Gericht die Wahl Özels tatsächlich annullieren, könnte es anschließend einen Treuhänder ernennen, um die CHP zu leiten.

Kritiker sehen auch in diesem Prozess einen Versuch der Regierung Erdogans, die Opposition weiter zu schwächen und warnen vor einem Weg in Richtung Autokratie. Sie wirft der CHP Korruption und Verbindungen zu Terrorismus vor – in der Türkei ein häufiger Vorwurf.

Opposition droht mit „Stillstand“ im Land

Die CHP hält das Verfahren für haltlos und politisch motiviert. Özel kündigte vor wenigen Tagen an, er werde seinen Posten nicht aufgeben und könne zur Not Millionen von Sympathisanten zu Protesten mobilisieren, um das Land „zum Stillstand zu bringen“, wie es noch am Wochenende auf der Website der Partei hieß.

Sie warf Erdogan Pläne für einen „Staatsstreich“ vor. CHP-Delegierte haben außerdem einen außerordentlichen Parteitag für den 21. September einberufen. Dort soll Özel formell wiedergewählt werden. Erdogan sprach von einer eklatanten Missachtung der Rechtsstaatlichkeit und warnte: „Solche Verantwortungslosigkeit wird nicht toleriert werden.“

Umstrittenes Verfahren

Laut Verfassung hat kein Gericht in der Türkei die Befugnis, über die Rechtmäßigkeit von Wahlen zu entscheiden. Das steht nur dem Hohen Wahlausschuss zu. Dieser hatte die parteiinterne Wahl Özels zum Vorsitzenden der CHP 2023 anerkannt. Dennoch könnte ein Gericht in Ankara nun seine Wahl rückgängig machen.

Das Gericht könnte auch die Wiedereinsetzung des ehemaligen Vorsitzenden Kemal Kilicdaroglu anordnen. Er war bei der Präsidentschaftswahl 2023 für die CHP mit einem Oppositionsbündnis gegen Erdogan angetreten, verlor knapp und unterlag später in einer Kampfabstimmung um den Parteivorsitz Özel. In der CHP könnte seine Rückkehr an die Parteispitze auf Widerstand stoßen. Kilicdaroglu wird vorgeworfen, sich zu stark Erdogan angenähert zu haben.

red, ORF.at/Agenturen

Links:

EUROPA

VEREINIGTES KÖNIGSREICH – Verletzte und Festnahmen – dpa / GMX, 13.9.2025

Rechte Großdemo in London: Zusammenstöße mit Polizei

Der Rechtsextreme Tommy Robinson ist eine höchst umstrittene Figur in Großbritannien. Nun mobilisierte er in London mehr als 100.000 Menschen – doch nicht überall bleibt es friedlich.

Sie schwenken Union-Jack-Flaggen, skandieren gegen Migration und für Meinungsfreiheit: Mehr als 100.000 Menschen sind bei einer Großdemonstration der rechten Szene in Großbritannien nach Schätzungen der Polizei auf die Straße gegangen. Das teilte die Londoner Met Police auf dpa-Anfrage mit. Stellenweise kam es bei der Demo auch zu Ausschreitungen. Mehrere Beamte wurden verletzt, es gab zahlreiche Festnahmen.

Angeführt und organisiert wurde der Aufzug im Zentrum Londons von dem bekannten britischen Rechtsextremisten Tommy Robinson. Auf Plakaten und Fahnen waren Slogans für eine schärfere Asylpolitik – etwa „Stoppt die Boote“ oder „Schickt sie nach Hause“ – zu lesen, wie unter anderem der Sender Sky berichtete. Am Abend schätzte die Polizei, dass zwischen 110.000 und 150.000 Menschen teilgenommen haben.

Zahlreiche Polizisten verletzt

26 Polizeibeamte seien im Zuge der Demo verletzt worden, vier davon schwer, teilte die Met Police mit. Viele Menschen hätten die Anweisungen der Polizei ignoriert und teils etwa versucht, in gesperrte Bereiche zu gelangen. Einsatzkräfte seien bei dem Versuch, den Weg zu versperren, mit Tritten und Schlägen attackiert worden.

Die Zahl der Teilnehmer war den Angaben nach deutlich höher als von den Organisatoren geschätzt. Flaschen, Bengalische Feuer und andere Gegenstände wurden demnach geworfen. Viele seien mit der Absicht gekommen, Gewalt auszuüben, sagte Assistant Commissioner Matt Twist laut Mitteilung. 25 Festnahmen gab es den Angaben nach bis zum Abend. Man wolle jedoch weitere Personen identifizieren, die an den Ausschreitungen beteiligt gewesen seien.

Bereits am Nachmittag teilte die Met Police auf X mit, dass es an mehreren Stellen zu Zusammenstößen kam. Auf Bildern waren auch verletzte Demonstranten zu sehen. Einige hätten unter anderem versucht, Absperrungen zu durchbrechen, um zu den Gegendemonstranten zu gelangen. Im Laufe des Nachmittags habe man zusätzlich Einsatzkräfte mit Schutzausrüstung sowie Polizeipferde anfordern müssen.

Auch Gegendemo in London

Bereits kurz nach Mittag waren die Straßen im Zentrum Londons voller Menschen mit Flaggen – auch die Englands, die ein rotes Kreuz auf weißem Grund zeigt. Sprechchöre gegen den britischen Premierminister Keir Starmer waren laut Sky zu hören. Thema war auch das Attentat auf den ultrakonservativen US-Aktivisten Charlie Kirk, manche Demonstranten hielten Banner im Gedenken an ihn hoch.

Doch nicht nur Unterstützer Robinsons fanden sich auf Londons Straßen, auch eine Gegendemonstration gab es. Die Polizei schätzte die Zahl der Teilnehmer hier auf etwa 5.000.

Elon Musk virtuell dabei

Neben dem Marsch durch das Zentrum Londons gab es auch eine Kundgebung im Regierungsviertel. Als Redner per Video zur Kundgebung zugeschaltet wurde Tech-Milliardär und Tesla-Chef Elon Musk . Die britische Öffentlichkeit habe „Angst, ihre Meinungsfreiheit auszuüben“, sagte er dabei unter anderem laut der Nachrichtenagentur PA. Die BBC sei „an der Zerstörung Großbritanniens mitschuldig“. Auch Themen wie Migration und den Brexit schnitt Musk demnach an.

Zu der Demo in London reisten mehrere rechte Politiker und Aktivisten aus Europa an, darunter auch der AfD-Europaabgeordnete Petr Bystron.

Robinson begleitete die Demonstration und Kundgebung mit einem Livestream und zahlreichen Beiträgen auf der Plattform X. Mehrmals rief er die Teilnehmer der Demo dazu auf, friedlich zu bleiben. Immer wieder sprach er dabei von Millionen „britischen Patrioten“, die „gegen den Abbau unserer Meinungsfreiheit“ auf den Straßen unterwegs seien.

Umstrittene Figur in Großbritannien

Tommy Robinson, der eigentlich Stephen Yaxley-Lennon heißt, ist einer der bekanntesten Rechtsextremen Großbritanniens und höchst umstritten. Der frühere Chef der rechtsextremen Vereinigung English Defence League ist bekannt für seine islamfeindlichen Aktivitäten.

Robinson spielte unter anderem während der rechtsextremen Ausschreitungen in England im vergangenen Sommer mit seinen Social-Media-Aktivitäten eine problematische Rolle. Mit seinen millionenfach geklickten Posts heizte er die Stimmung weiter an.

Erst im Oktober 2024 musste Robinson in Haft. Trotz einer gerichtlichen Unterlassungsverfügung hatte er falsche Behauptungen über einen syrischen Flüchtling verbreitet. Monate später wurde er wieder entlassen. (dpa/bearbeitet von cgo)

SCHWEIZ – INTERVIEW – «Die deutschen Täter tragen Namen wie Ali, Ahmed, Mohammed» – Frank Urbaniok über Angriffe auf Sanitäter, Pöbeleien in Schwimmbädern und Rassisten bei der Polizei – Lucien Scherrer, Marcel Gyr, NZZ, 11.9.2025

Als Psychiater hat Frank Urbaniok Hunderte Straftäter begutachtet. Viele Gewaltphänomene, die derzeit für Schlagzeilen sorgen, führt er auf Migration zurück. Für Jugendliche, die sich wegen Polizeikontrollen ausgegrenzt fühlen, hat er aber Verständnis.

«Wir akzeptieren einfach, dass die Gewalttäter hereinkommen»: Der Psychiater Frank Urbaniok fordert ein Umdenken in der Migrationspolitik.

Herr Urbaniok, Gewalt war in diesem Sommer ein grosses Thema. In Schwimmbädern werden Gäste abgewiesen, weil sie Frauen belästigen und Gäste oder Personal angreifen. Jugendliche attackieren die Polizei, fast täglich gibt es aus europäischen Ländern Berichte über Messerattacken. Erleben wir eine Zunahme der Gewalt im öffentlichen Raum?

Es gibt ganz klar eine Zunahme in gewissen Bereichen. Wir haben früher keine Weihnachtsmärkte vor Terroristen schützen müssen. Es gibt eine dramatische Zunahme der Messerkriminalität, das zeigen unter anderem deutsche Statistiken. Ich hatte gerade Kontakt mit einem Journalisten aus Leipzig. Allein in den zwei grössten sächsischen Städten, Leipzig und Dresden, gab es im vergangenen Jahr fast 600 Messerattacken, so viele wie noch nie, begangen vorwiegend von der ausländischen Bevölkerung. Überall trifft man auf Phänomene, die es früher kaum gab, sei das im Schwimmbad oder in der Gesundheitsversorgung.

Sie meinen Attacken auf das Gesundheitspersonal?

Vor zwei Jahren war ich an einer Konferenz der Berufsgenossenschaften, das ist eine grosse Organisation, die betreiben selber Kliniken und vertreten Krankenpfleger, die Spitex, aber auch Polizisten, Feuerwehrleute oder Mitarbeiter aus den verschiedensten Ämtern. Bei denen ging es nicht mehr hauptsächlich darum, wie man sich vor Arbeitsunfällen schützt, mit Helm, Schutzbrillen und dergleichen. Nein, das Hauptthema bei diesen Berufsleuten waren ihre «Kunden» – von denen sie bedroht, angepöbelt und attackiert werden. Bei der Polizei kennt man das schon länger. Aber dass jetzt auch Feuerwehrleute und Sanitäter zu einem Einsatz gerufen und dann manchmal von ganzen Familien angegriffen werden? Das war für mich ein Aha-Erlebnis.

In Ihrem kürzlich erschienenen Buch «Schattenseiten der Migration» behaupten Sie, diese Phänomene hingen massgeblich mit der Migration aus bestimmten Ländern zusammen.

Dieses Bild zeigt sich, wenn man Statistiken aus der Schweiz, Deutschland und Österreich nach Nationalitäten und nach Delikten aufschlüsselt. Etwa schwere Gewalt und Sexualdelikte. Dann sieht man: Es ist nicht so, dass Migration per se Probleme verursacht. Asiatische Länder wie Vietnam, Malaysia oder Indonesien haben sogar tiefere Kriminalitätsquoten als die einheimische Bevölkerung. Auf der anderen Seite gibt es Herkunftsländer, die drei, fünf, acht oder sogar zehn Mal häufiger bei schweren Verbrechen auftauchen.

Gilt dieser Befund auch für die Schweiz?

Diese Zahlen stimmen in allen drei Staaten, die ich untersucht habe, mehr oder weniger überein. Das gleiche Bild ergibt sich in den Sozialhilfequoten. Menschen aus Ländern, die eine hohe Kriminalitätsrate aufweisen, beziehen auch überproportional häufig Sozialhilfe. In der Schweiz haben einzelne Einwanderergruppen, zum Beispiel Flüchtlinge aus afrikanischen oder arabischen Ländern, stark erhöhte Sozialhilfequoten. In Deutschland sind fast 50 Prozent der Bürgergeldempfänger Ausländer, die nie einbezahlt haben. Das ist ein starker Indikator für die Unfähigkeit oder den Unwillen, sich zu integrieren.

Als Problemregionen identifizieren Sie Nordafrika, Afghanistan, Syrien oder den Balkan. Sind Einwanderer aus diesen Gegenden nicht auch häufig traumatisiert oder durch mangelnde Bildung schwer integrierbar?

Natürlich gibt es Traumatisierte, die nicht gleich wieder in den Arbeitsmarkt können. Aber die Quoten, die ich genannt habe, sind nicht mit Traumatisierung erklärbar. Da sind Frauen dabei, die aus kulturellen Gründen nicht arbeiten. Und wir haben Menschen, die nicht arbeiten wollen und sich in parallelen Strukturen organisieren.

In manchen europäischen Ländern ist dieses Problem akut. In Schweden zeigt es sich in Bandenkriegen, in Frankreich in Zerstörungsorgien nach Fussballspielen oder in Belgien in islamischen Parallelgesellschaften. Weshalb bleibt die Schweiz von solchen Auswüchsen verschont?

Man sieht diese Verwerfungen in ganz Europa, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen. In Deutschland sehen wir die überbordende Messerkriminalität im öffentlichen Raum oder die Clans, die in Grossstädten zum Teil ganze Viertel kontrollieren. In Schweden, wo man lange gesagt hat, mit der Integration laufe alles super, ist die Lage mit jugendlichen Drogenbanden völlig ausser Kontrolle geraten. Gemäss einem Bericht des «Wall Street Journal» liegt die Mordrate pro Kopf in Stockholm 30 Mal höher als in London. Die Schweiz steht im Moment noch besser da, es gibt kaum grossflächige Parallelkulturen. Es kommt uns sicher entgegen, dass wir nicht eine derartige Massierung von Flüchtlingen aus Afghanistan, dem Irak, Syrien und anderen Ländern haben wie etwa Deutschland. Es gibt auch keine Millionenstadt, in der sich ganze Viertel abkoppeln. Das sind alles Faktoren, die der Schweiz zugutekommen. Aber der Trend ist der gleiche, wir hinken einfach ein paar Jahre hinterher.

Als neuer Brennpunkt hat sich auch in der Schweiz das gute alte Schwimmbad herauskristallisiert. Das jurassische Städtchen Pruntrut gewährt wegen Pöbeleien und Belästigungen Ausländern, die nicht in der Schweiz wohnen oder arbeiten, keinen Zugang mehr. Macht Pruntrut im Kleinen vor, was Sie in Ihrem Buch fordern: Angehörige von Staaten nicht mehr hereinlassen, deren Bürger übermässig für Ärger sorgen?

Wir müssen uns folgende Fragen stellen: Wer kommt ins Land? Und wie gehen wir mit denen um, die im Land sind? Wie reagieren wir auf mangelnde Integration? Wir haben Länder, die in der Kriminalstatistik massiv überrepräsentiert sind. Gleichzeitig ist es aber so, dass diese Faktoren keine Rolle spielen in der heutigen Migrationspolitik. Das kann nicht sein.

Nach dieser Logik dürften auch afghanische Familien, die sich an die Gesetze halten, in der Schweiz kein Asyl mehr erhalten, weil einige ihrer Landsleute kriminell sind. Das ist doch eine Kollektivstrafe.

Bei jeder Massnahme gibt es Menschen, die es unverschuldet trifft. Aber dieses Risiko muss man in Relation setzen zu jenem Gut, das man schützen will. Im Fall des Schwimmbads: dass Gäste, die sich normal verhalten, ins Schwimmbad gehen können, ohne dass sie angepöbelt, sexuell belästigt oder tätlich angegangen werden. Dieses Bedürfnis ist ebenso legitim, es kommt aber oft kaum zur Sprache. Natürlich muss man fragen, ob eine Massnahme verhältnismässig ist. Und man müsste versuchen, bei der Gruppe der Ausgeschlossenen zu differenzieren, damit nicht zu viele harmlose Badegäste einen Nachteil haben. Heute setzen wir falsche Prioritäten. Wir akzeptieren einfach, dass die Gewalttäter hereinkommen. Es ist aber inakzeptabel, wenn wir Gruppen haben, die ein Mehrfaches an Opfern verursachen. Im Übrigen sollten wir uns auch gut überlegen, wen wir einbürgern.

Weshalb?

Ein Beispiel aus einer deutschen Grossstadt: Da vertraute mir ein hoher Polizeifunktionär an, seine Leute fühlten sich wie Fremde im Ausland, wenn sie in manche Quartiere fahren würden. Seine Gruppe ist für schwere Gewalttäter zuständig, die alle schon 20, 30 oder auch weit über 100 Delikte begangen haben. Oft sind mehrere Sexualstraftaten dabei, weil das zu einer Gangster-Identität gehört. Die machen Raubüberfälle, die prügeln Leute zusammen, vergehen sich an Frauen. Von denen, so hat er mir erzählt, sind 50 Prozent Deutsche und 50 Prozent Ausländer. Die Deutschen tragen Namen wie Ali, Ahmed, Mohammed.

Sie sagen, Gewalt habe kulturelle Gründe. Gewalt war aber auch in westlichen Ländern lange akzeptiert, es kam zu Attacken auf Homosexuelle, oder in der Schule gab es die Prügelstrafe. Bis heute bringen Schweizer Männer ihre Frau und ihre Kinder um, weil sie sich gekränkt fühlen. Ist es nicht zu einfach, zwischen friedlichen und gewaltaffinen Kulturen zu unterscheiden?

Schweizer Straftäter sind mir keinen Deut sympathischer als andere. Aber wir haben schon alle Hände voll zu tun mit denen. Und es ist ein Fakt, dass Schweizer einen Zehntel so viele Morde begehen wie andere Nationalitäten. Es ist offensichtlich, dass das mit kulturellen Prägungen zusammenhängt. Ich habe mit diesen Menschen über dreissig Jahre lang fast täglich zu tun gehabt. Väter etwa, die einen Mordauftrag gaben, weil ihre Tochter den «falschen» Freund hatte. Es ist doch völlig klar, dass es Auswirkungen auf die Kriminalitätsquote hat, wenn Menschen aus einer Region kommen, in der es keine Trennung von Religion und Staat gibt. In der viel mehr Menschen fundamentalistische Vorstellungen haben. Ja, auch bei uns hat man sich jahrhundertelang wegen der Religion die Köpfe eingeschlagen, der Weg war lang, diese Konflikte zu befrieden. Aber man soll nicht glauben, jemand aus einem Land mit einer fundamentalistisch geprägten Religion werde seine Einstellung ändern, nur weil er eingebürgert wird oder weil ein Sozialarbeiter mit ihm geredet hat.

In Lausanne haben kürzlich Jugendliche randaliert, nachdem ein 17-Jähriger von der Polizei verfolgt worden und tödlich verunfallt war. Der Jugendliche war schwarz, manche werfen der Polizei Rassismus vor. Zumal bekanntwurde, dass Polizisten aus Lausanne in einer Chatgruppe jahrelang rassistische Sprüche austauschten. Trägt die Polizei zur Desintegration von Ausländern bei?

Solche Fälle muss man genau untersuchen, auch ob Rassismus eine Rolle gespielt hat. Ich kenne das Umfeld in Lausanne zu wenig, um das zu beurteilen. Extremisten haben in der Polizei nichts zu suchen. Wenn in einem Chat dumme Bemerkungen gemacht werden, heisst das jedoch nicht automatisch, dass alle in diesem Chat rechtsextreme Hardcore-Typen sind. Vielleicht sind es nur ein paar Hitzköpfe, die Dampf ablassen. Auch das muss man untersuchen. Was mich stört, ist dieses Ungleichgewicht in der Debatte.

Was meinen Sie damit?

Wenn man mit Zahlen belegt, dass bestimmte Ausländergruppen in der Kriminalitätsstatistik massiv übervertreten sind, heisst es, das sei gar kein Problem, die Täter seien halt benachteiligt, es gebe auch Messerstecher, die Uwe hiessen, und halt die übliche Litanei. Werden dagegen Rassismusvorwürfe erhoben, gibt es in den Medien eine wahnsinnige Aufnahmebereitschaft und einen Reflex, das Problem gross zu machen. Diese inflationäre Verbreitung von Rassismusvorwürfen löst in einem grossen Teil der Bevölkerung einen Abwehrreflex aus, was total ungesund ist.

In der Lausanner Chatgruppe waren fast 50 Polizisten, offenbar hat keiner interveniert. Können Sie nachvollziehen, wenn das bei jungen Leuten, die von Polizisten oft kontrolliert werden, bloss weil sie schwarz sind, ein Gefühl der Benachteiligung und Wut auf den Staat weckt?

Ja, das verstehe ich, das ist ein Problem. Man kann darauf jedoch unterschiedlich reagieren. Man kann es fast dankbar entgegennehmen und seine Wut auf den Staat legitimieren. Ich kann es aber auch so sehen: Wenn ich weiss, dass im Drogenhandel Afrikaner stark vertreten sind, kann ich auch ein gewisses Verständnis dafür haben, dass ich kontrolliert werde. Die Polizei kontrolliert oft nach Erfahrungswerten, nicht aufgrund von rassistischen Kriterien. Ich schliesse nicht aus, dass «fremd» aussehende Menschen im Bagatellbereich mehr angezeigt werden. Bei der harten Gewalt- und Sexualkriminalität spielt das jedoch keine nennenswerte Rolle mehr, weil solche Delikte vom Staat verfolgt werden müssen. Rassismus ist mittlerweile ein Schlagwort, das jederzeit erhoben wird. Selbst von pöbelnden Badegästen, die vom Personal zurechtgewiesen werden.

Hatten Sie in Ihrer Funktion als forensischer Psychiater mit gewalttätigen Polizisten zu tun? Wie viele gibt es, die ein Gewaltproblem haben und diesen Beruf wählen, damit sie dreinschlagen dürfen?

Ich habe vielleicht eine Handvoll solcher Polizisten gesehen. Das sind wenig, und sie hatten nicht im Polizeieinsatz delinquiert. Aber klar, es kann immer solche Leute geben, hierarchisch organisierte Gruppen sind für Menschen mit einer gewissen Frontkämpfermentalität attraktiv. Aber ich sehe das nicht als strukturelles Problem, es wird in der Ausbildung viel dafür getan, die Leute bezüglich Rassismus zu sensibilisieren. Die grosse Mehrheit der Polizisten verhalten sich korrekt.

Mit Ihrem Buch über migrationsbedingte Gewalt haben Sie viel Aufsehen erregt. Können Sie sich vorstellen, dass die Gewaltbereitschaft in den nächsten Jahren auch wieder sinkt?

Da bin ich pessimistisch. In den Herkunftsländern ist kein kultureller Aufbruch zu erkennen. Ganz im Gegenteil, viele Risikoländer bewegen sich eher in Richtung Fundamentalismus. Was dazukommt, und das wissen wir leider aus unserer eigenen Geschichte: Religiös oder anderweitig kulturell unterlegte Gewaltbereitschaft ist hartnäckig und langlebig. Das sehen wir sehr gut in Schweden, wo es bei der zweiten oder dritten Generation von Einwanderern sogar eine Akzentuierung der Gewaltproblematik gibt. Sie idealisieren die Traditionen ihrer Herkunftsländer und reagieren abschätzig auf die westliche Kultur, die sie als verweichlicht sehen. Demonstrativ zeigen sie, stärker und härter zu sein. Wir sollten also nicht darauf hoffen, dass sich das auswächst.

SERBIEN – Verzweifelter Kampf um Arbeitskräfte: Serbiens Wirtschaft vor dem Kollaps – Kosmo, 13.9.2025

Während Panzer durch Belgrad rollen und erstmals eine Frau lebenslang hinter Gittern sitzt, kämpft Serbien an einer anderen Front: Ohne ausländische Arbeitskräfte droht der Wirtschaft der Kollaps.

Serbien steht vor einer Reihe komplexer Herausforderungen, die das gesellschaftliche Gefüge des Landes belasten. In Belgrad verschärft die Präsenz von Militärfahrzeugen und Panzern in Novi Beograd die ohnehin angespannte Atmosphäre. Die Hauptstadt, die seit Jahren mit infrastrukturellen Defiziten kämpft, erlebt durch diese militärische Demonstration einen zusätzlichen Unsicherheitsfaktor, der die Bevölkerung zunehmend beunruhigt.

Ein Präzedenzfall in der serbischen Rechtsgeschichte sorgte kürzlich für Aufsehen: Das Oberste Gericht in Novi Pazar verhängte gegen eine Frau aus Sjenica eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes an ihrer Schwiegermutter. Diese Entscheidung markiert den ersten Fall einer lebenslangen Haftstrafe für eine weibliche Verurteilte in Serbien und hat landesweit juristische Diskussionen ausgelöst.

Ausländische Arbeitskräfte

Der serbische Arbeitsmarkt leidet unter einem gravierenden Fachkräftemangel, der sowohl einfache als auch hochqualifizierte Positionen betrifft. Wie Jelena Jevtovic vom Arbeitgeberverband Serbiens bestätigt, sind mittlerweile über 50.000 ausländische Arbeitskräfte im Land beschäftigt – mit steigender Tendenz. Die Mehrheit dieser Arbeitnehmer stammt aus Russland, China, der Türkei und Nepal.

Das Ausmaß der Arbeitsmarktproblematik verdeutlichen die offiziellen Zahlen: Über 100.000 Anträge auf Arbeitserlaubnis für Ausländer wurden allein 2024 gestellt, wie das Zentrum für Schutz und Unterstützung für Asylbewerber vermeldet. Obwohl die Arbeitslosenquote im zweiten Quartal 2025 auf 8,5 Prozent sank – nach 9,1 Prozent zu Jahresbeginn – bleiben 267.000 Personen ohne Beschäftigung. Paradoxerweise verdeutlicht dies die strukturelle Diskrepanz zwischen verfügbaren Arbeitskräften und dem tatsächlichen Qualifikationsbedarf der Wirtschaft.

Für die wirtschaftliche Entwicklung Serbiens sind diese internationalen Arbeitskräfte inzwischen unverzichtbar geworden, um die Personallücken zu schließen. Die Eingliederung der ausländischen Mitarbeiter verläuft jedoch nicht reibungslos. Kommunikationsbarrieren und kulturelle Differenzen erschweren den Anpassungsprozess, obwohl viele der Arbeitskräfte keine langfristige Perspektive in Serbien anstreben.

Zur Vereinfachung wurden Anpassungen im Ausländerbeschäftigungsgesetz vorgenommen, die den bürokratischen Aufwand bei der Beantragung von Arbeitserlaubnissen reduzieren. Die Erwerbsbeteiligungsquote liegt derzeit bei 56,2 Prozent, was die anhaltenden Herausforderungen bei der vollständigen Integration aller verfügbaren Arbeitskräfte in den Wirtschaftskreislauf unterstreicht.

Institutionelle Konflikte

Im Bildungssektor zeichnen sich Konflikte ab. Der Rektor der Universität Belgrad, Vladan Djokic, hat die Entlassung von Tatjana Simic, Dekanin der Medizinischen Fakultät, als rechtswidrig kritisiert. Diese Personalentscheidung verstößt nach seiner Einschätzung gegen die geltenden Statuten der Universität und der Fakultät, was die Debatte um die Autonomie der Hochschulen neu entfacht hat.

Das kulturelle Leben in Belgrad erfährt durch den Besuch internationaler Prominenz wie Steven Seagal und Jackie Chan einen temporären Aufschwung. Diese Auftritte internationaler Stars verleihen der Stadt nicht nur einen Hauch von Glamour, sondern rücken Serbien auch als kulturellen Standort ins internationale Rampenlicht.

Die Gesamtsituation in Serbien bleibt vielschichtig und von zahlreichen Problemen geprägt.

Die politischen Spannungen, wirtschaftlichen Engpässe und sozialen Herausforderungen erfordern tiefgreifende Strukturreformen, um das Land auf einen stabileren Entwicklungspfad zu führen.

FRANKREICH – Fitch stuft Frankreichs Kreditwürdigkeit herab – 13.9.2025

DOW JONES–Die Ratingagentur Fitch hat Frankreichs Kreditwürdigkeit für langfristige Fremdwährungsverbindlichkeiten von „AA-“ auf „A+“ herabgestuft. Der Ausblick sei stabil, erklärte Fitch. Als Grund für die Herabstufung führte Fitch an, die steigende Schuldenlast Frankreichs die Fähigkeit der Regierung einschränke, auf künftige wirtschaftliche Schocks zu reagieren, ohne die öffentlichen Finanzen weiter zu belasten.

Zudem verwies Fitch auf die politische Instabilität. „Die Niederlage der Regierung bei der Vertrauensabstimmung zeigt die zunehmende Fragmentierung und Polarisierung der Innenpolitik“, so Fitch. „Diese Instabilität schwächt die Fähigkeit des politischen Systems, eine substanzielle Haushaltskonsolidierung zu erreichen, und macht es unwahrscheinlich, dass das Haushaltsdefizit bis 2029 auf 3 Prozent des BIP gesenkt werden könnte, wie es die gescheiterte Regierung angestrebt hatte.

Am vergangenen Montagabend hatte Premierminister François Bayrou nach nicht einmal neun Monaten im Amt eine Vertrauensfrage im Parlament und daraufhin seinen Posten an der Spitze der Minderheitsregierung verloren. Frankreichs neuer Premierminister Sébastien Lecornu bemüht sich derzeit um einen Kompromiss unter den politischen Lagern, um einen Sparhaushalt für 2026 durch die Nationalversammlung zu bringen.

Die Ratingagenturen Moody’s und S&P Global Ratings folgen mit ihren eigenen Ratingentscheidungen im Oktober bzw. November.

DJG/DJN/cbr (END) © 2025 Dow Jones News

FRANKREICH – «Lassen wir die Bosse leiden, nicht das Volk»: In Frankreich sind die Gelbwesten zurück – Daniel Steinvorth, Saint-Étienne-du-Rouvray, NZZ, 10.9.2025

In Frankreich hat sich eine neue Protestwelle formiert. Zehntausende gehen im ganzen Land gegen die Sparpläne der Regierung auf die Strasse. In der nordfranzösischen Industriestadt Saint-Étienne-du-Rouvray träumen sie schon vom Ende der Ära Macron.

Ein Hauch von Revolution liegt über dem Rond-point des vaches, dem «Kreisverkehr der Kühe». Junge Leute stehen auf der Verkehrsinsel im Norden Frankreichs und schwenken Symbole ihres Protestes: Fahnen der Gelbwesten-Bewegung, schwarz-rote Antifa-Fahnen und solche mit Regenbogen. Auch eine palästinensische Flagge flattert an einem Verkehrsschild. Dünne Rauchschwaden steigen aus zwei kleinen Feuern auf.

Daivy Cos und seine Freunde sind schon seit den frühen Morgenstunden auf der Strasse. Der 26-jährige Konditor konnte es kaum erwarten, an diesem Mittwoch – dem Tag, an dem in Frankreich «alles blockiert» werden sollte – Barrikaden zu errichten und Flugblätter an Autofahrer zu verteilen. Zuerst fuhr er nach Rouen, bis dort der Regen einsetzte. Dann weiter ins benachbarte Saint-Étienne-du-Rouvray, eine kleine Industriestadt, die bekannt ist für ihre aufsässigen Bürger.

«Alles blockieren»

«Wir haben uns lange auf diesen Tag vorbereitet», sagt Daivy, «es ist an der Zeit, dass die, denen Macron nicht mehr zuhören will, sichtbar werden.» Der junge Anhänger der Gelbwesten-Bewegung war schon als Jugendlicher Ende 2018 bei den Demonstrationen dabei, wie er sagt. Damals, als die Gilets jaunes im ganzen Land Strassen besetzten, um ihrer Wut über die steigenden Energiepreise und die soziale Ungerechtigkeit Luft zu machen. Als sich im Norden Frankreichs der Kreisverkehr der Kühe in einen der wichtigsten Sammelpunkte des Protests verwandelte.

Aus Wut über den Sparkurs der Regierung hätten sie sich entschieden, ihren «revolutionären Geist» von damals wiederaufleben zu lassen, sagen die Gelbwesten von Saint-Étienne-du-Rouvray. Schon im Juni sollen Aktivisten der Bewegung begonnen haben, sich wieder, wie vor acht Jahren, über die sozialen Netzwerke zu organisieren. Neue, lose organisierte Bürgerkollektive wie «Les Essentiels» oder «Indignons-nous» gesellten sich dazu und erfanden eine Parole: «Bloquons tout!», «Blockieren wir alles!»

Am 10. September, so überlegten sie sich, sollten alle Französinnen und Franzosen zu Hause bleiben, den Fernseher ausschalten, dem Computer den Stecker ziehen, keine Einkäufe machen oder aber: auf die Strasse strömen, den Verkehr blockieren, öffentliche Plätze, Bahnhöfe, Flughäfen besetzen. Präsident Emmanuel Macron, gegen dessen liberale Sozialpolitik die Gilets jaunes schon vor acht Jahren protestierten, müsse eine schmerzhafte Lektion erteilt werden.

Niemand wusste, ob dieser Aufruf zum Generalstreik wirklich den Auftakt zu einer neuen Welle sozialer Unruhen bilden würde. Doch für alle Fälle mobilisierte das französische Innenministerium 80 000 Polizisten. Und um sich nicht länger dem Volkszorn auszusetzen, legte der Ex-Premierminister François Bayrou seine Vertrauensabstimmung vorsichtshalber auf den 8. September, zwei Tage vor der angekündigten «Totalblockade». Seine nicht mehrheitsfähigen Sparpläne sahen Einsparungen in Höhe von rund 44 Milliarden Euro vor. Doch am Montag stürzte Bayrou wie erwartet über die Vertrauensfrage. Und schon am Dienstag ernannte Macron einen Nachfolger, der dem Land nun aufs Neue zu erklären hat, wie es sparen soll: Sébastien Lecornu, den bisherigen Verteidigungsminister.

Neues Feindbild Lecornu

Am Rond-point des vaches, wo an die 300 Gelbwesten zusammengekommen sind, ist deswegen jetzt Lecornu das neue Feindbild. Daivy Cos kennt den neuen Premierminister – den fünften in nur zwei Jahren – nicht wirklich. Er sagt, es sei ihm auch egal, wen Macron als nächste «Marionette» in Paris aufstelle. Und so sieht es auch Alma Dufour. Die 35-jährige ist Abgeordnete der Linksaussenpartei La France insoumise (LFI), Saint-Étienne-du-Rouvray gehört zu ihrem Wahlkreis. Sie habe viele Freunde unter den Gilets jaunes und freue sich über die neue Mobilisierung, sagt sie. Deshalb stehe sie heute hier an der Seite ihrer Genossinnen und Genossen.

Dufour sagt, sie habe kein Vertrauen in Lecornu, der lediglich die Politik seiner Vorgänger fortsetzen und Frankreich damit noch weiter in den Untergang führen werde. Das Land breche traurige Rekorde, meint sie, noch nie habe es so viel Armut und soziale Ungerechtigkeit gegeben. «Die Franzosen wollen Neuwahlen, und sie wollen, dass Macron zurücktritt. Früher oder später wird das geschehen, aber bestimmt nicht freiwillig. Deswegen werden uns heisse Monate bevorstehen, es wird ein Rock’n’Roll-Jahr.»

Am Kreisverkehr der Kühe – der so heisst, weil hier einst Kühe getrieben wurden, bevor sich die Gegend in eine Industrielandschaft verwandelte – hat ein Lkw-Fahrer die Schnauze voll. Holzpaletten, alte Reifen und Baustellenkegel versperren einen Teil der Fahrbahn. Der Fahrer versucht, die Barrikade zu durchbrechen. Er hupt und verflucht die Demonstranten. Andere Lkw haben die Motoren ausgeschaltet und warten geduldig, steigen aus und rauchen mit den Gelbwesten eine Zigarette. Bald reicht der Stau schon fünf Kilometer zurück. Doch Pkw, die es bis hierher geschafft haben, lassen die Gilets jaunes durch.

Ausgeblutete Region

«Wir haben aus unseren Fehlern gelernt», sagt Olivier Bruneau, ein Sprecher der Bewegung. Diesmal dürfe bei ihren Protesten nicht das einfache Volk Schaden erleiden, sondern «die Wirtschaft, die Bosse». Der 48-jährige Arbeiter zeigt auf die Umgebung: Wo sich heute, in Sichtweite des Kreisverkehrs, ein riesiges Amazon-Verteilzentrum befinde, habe es früher eine Papierfabrik gegeben, sagt Bruneau. Raffinerien und Chemieanlagen seien aus der Gegend ganz verschwunden, eine ganze Region sei ausgeblutet, «während sich einige wenige weiter die Taschen stopfen».

Dass an diesem Tag «ganz Frankreich blockiert wird», lässt sich in Rouen und seiner Umgebung nicht beobachten. Rund 130 Kilometer südöstlich, in Paris, nehmen Sicherheitskräfte bis zum Abend knapp 340 Demonstranten fest, erleiden 13 Polizisten bei Ausschreitungen Verletzungen. Von rund 175 000 Franzosen, die im ganzen Land auf die Strasse gingen, suchten für einmal nur wenige den Krawall. Doch für die nächsten Tage sind weitere Proteste angekündigt. Und für den 18. September haben die Gewerkschaften zu einem neuen Streiktag aufgerufen.

In Saint-Étienne-du-Rouvray geben die Gelbwesten am frühen Abend die Strasse frei. Männer und Frauen in Kapuzenpullis rollen grosse Traktorreifen von der Strasse. Jemand stimmt die Marseillaise an. Auch Daivy Cos, der junge Konditor, zieht ab, mit einem guten Gefühl, wie er sagt. Er habe viele neue Leute kennengelernt, erzählt er, Studenten, Bahnangestellte, Gewerkschafter, «Menschen von rechts und links». Er spüre, dass sich da ein Druck auf die Regierung aufbaue. «Das war heute erst der Anfang.»

BELGIEN – Armee soll in Brüssel patrouillieren – ORF, 13.9.2025

Die belgische Regierung will Soldaten in der Hauptstadt Brüssel einsetzen. Hintergrund ist stark gestiegene Gewalt von Drogenbanden. Doch in der Regierung gibt es Uneinigkeit, wann der Einsatz beginnen soll, berichtete Freitagabend (Onlineausgabe) die belgische Zeitung „De Standaard“.

Was US-Präsident Donald Trump in mehreren – stets in von den oppositionellen Demokraten regierten – Großstädten wie Los Angeles und Washington DC und mit mindestens umstrittener Begründung vorexerziert hat, will Belgien nun auch machen: Die Armee im eigenen Land einsetzen, um die innere Sicherheit zu verbessern.

Innenminister Bernard Quintin kündigte am Montag an, die Truppen sollten „so bald wie möglich“, jedenfalls aber noch heuer, entsandt werden. Nur nach den Terroranschlägen 2016 in Brüssel waren Soldaten kurzfristig an zentralen Punkten wie Bahnhöfen eingesetzt worden, um die Polizei zu unterstützen.

Mehr als 20 Schießereien

Hintergrund sind zahlreiche Gewaltvorfälle in Brüssel im Drogenmilieu. Allein im Sommer gab es mehr als 20 Schießereien, bei denen zwei Menschen getötet wurden.

Mitte August sandte der oberste Staatsanwalt von Brüssel, Julien Moinil, einen öffentlichen Hilferuf an die Regierung: „Es ist nur eine Frage der Zeit, dass es unschuldige Opfer gibt. Die Regierung hört zu, aber sie tut nichts.“ Moinil, der den justiziellen Kampf gegen Drogenbanden zu seiner zentralen Aufgabe erkoren hat, steht mittlerweile unter Polizeischutz, da es mehrfach Morddrohungen gegen ihn gab.

Streit um Zeitpunkt

Doch Verteidigungsminister Theo Francken legt sich laut „De Standaard“-Bericht quer und hält einen Einsatz der Armee in Brüssel und anderen belgischen Städten frühestens Anfang April für möglich. Francken will demnach verhindern, dass die Soldaten ohne klare Beauftragung und Autorisierung auf den Straßen sind.

„Das wäre einfach gefährlich. Es braucht einen gesetzlichen Rahmen, der Personenkontrollen und, wenn nötig, das Anlegen von Handschellen erlaubt. Das ist essenziell.“ Diese Befugnisse hätten die Soldaten bei ihrem Einsatz nach den Terroranschlägen im Frühjahr 2016 nicht gehabt. „Und wir werden das nicht wieder so machen. Nicht, solange ich die Verantwortung habe“, so Francken dezidiert.

„Soldaten machen das normalerweise an der Grenze“

Innenminister Quintin betonte zuletzt, die Regierung wolle „nicht einen Teil unseres Landes verlieren“. Die Armee müsse die territoriale Integrität verteidigen. „Soldaten machen das normalerweise an der Landesgrenze oder jenseits davon“, so Quintin. Aber der Krieg gegen die Drogenkriminalität falle ebenfalls darunter, zeigte sich der Innenminister Anfang September überzeugt.

Nationalist vs. Liberaler

Grundsätzlich gibt es in der fragilen belgischen Koalition Einigkeit über eine Entsendung von Truppen.

Francken, Mitglied der flämischen Nationalisten Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA), besteht aber darauf, dass vor einer Entsendung das neue Strafgesetz verabschiedet wird – als rechtliche Basis für die Entsendung. Das Gesetz wird laut „De Standaard“ aber nicht vor Anfang April beschlossen werden. Quintin – er gehört der liberalen Partei Mouvement Reformateur (MR) an – will laut der Zeitung nicht darauf warten, sondern den Einsatz auf aktuellen Rechtsgrundlagen beschließen.

Im Hintergrund dürfte es unterschiedliche Vorstellungen zum Armee-Einsatz geben. Quintin sehe, so berichtet das belgische Blatt, die Soldaten vor allem als Rückhalt für die Polizei. Francken dagegen wolle, dass die Soldaten selbst Polizeiarbeit – wie eben Personenkontrollen – durchführen.

Quintin bezeichnete die Sicherheitslage in Brüssel zuletzt einmal als „ernst“, ein anderes Mal als „katastrophal“. „Eine rasche Entsendung von Soldaten ist nötig, um die Polizei an Ort und Stelle zu unterstützen.“ Quintin betont zwar, es gebe bisher keine No-go-Areas in Belgien – aber damit das so bleibe, brauche es eben den Einsatz der Armee.

2023 wurde Einsatz zurückgewiesen

2023 gab es ebenfalls starke Rufe nach dem Einsatz der Armee auf den Straßen Brüssels. Doch die damalige Innenministerin Annelies Verlinden wies die Forderung zurück. Die Armee sei zu einem Anti-Drogen-Einsatz weder ausgebildet noch befugt. Ihr nunmehriger Nachfolger Quintin betont dagegen, der Staat zeige mit der Entsendung von Soldaten „seine Bereitschaft, all seine Macht für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger einzusetzen“. Quintin betont zugleich, dass Soldaten nicht die Polizei ersetzen sollen und nur in gemischten Teams, nicht allein, auf der Straße patrouillieren sollen.

guti, ORF.at

Links:

DEUTSCHLAND – WAHLUMFRAGEN

KOMMENTAR – ANALYSE – HINTERGRUND

«Jaja, so sind sie, die Juden!» – Antisemitismus ist in Deutschland zur Normalität geworden – Richard C. Schneider, NZZ, 9.9.2025

Juden in Deutschland sehen sich seit dem Massaker der Hamas zunehmend von allen Seiten bedroht. Sie fragen sich, welche Zukunft sie in dem Land noch haben.

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat sich das Klima für Jüdinnen und Juden in Deutschland dramatisch verändert. Was sich zunächst vor allem als emotionale Erschütterung manifestierte, ist längst in eine Phase konkreter Bedrohung übergegangen. Viele Jüdinnen und Juden berichten davon, dass sie sich nicht mehr sicher fühlten, weder auf der Strasse noch in Bildungseinrichtungen.

Die Atmosphäre hat sich abgekühlt, ja sogar vergiftet. Antisemitische Äusserungen, die früher auf Widerstand gestossen wären, werden heute vielerorts toleriert – oder gar beklatscht. Dabei ist die Bedrohungslage keine abstrakte, sondern eine konkrete Realität. Das zeigen nicht nur Umfragen, sondern vor allem die Erfahrungsberichte Betroffener. «In der jüdischen Community gibt es nach dem 7. Oktober eine Art Antizipation einer möglichen Katastrophe. Persönlich mag alles noch gut sein, aber es gibt kleine und grosse Risse. Jüdinnen und Juden wissen, dass die jüdische Erfahrung der doppelten Gewalt in Israel und hier in Deutschland nicht verstanden wird», erklärt Marina Chernivsky, Geschäftsführerin von Ofek, der Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung mit Hauptsitz in Berlin.

Seit dem 7. Oktober stehen die Telefone bei Ofek nicht mehr still. Allein im ersten Monat nach dem Massaker wurde Ofek häufiger um Rat gebeten als in jedem Jahr seit der Gründung 2017. «Was eine offene Frage unter Juden ist: Verstehen wir, wann es zu spät ist?», sagt Chernivsky unruhig.

Kindergarten mit schusssicheren Fenstern

Schon jetzt hört man immer häufiger von jüdischen Familien, die ihren Kindern abraten, in der Schule offen zu ihrer Herkunft zu stehen. Von Studentinnen und Studenten, die ihre Ketten mit Davidstern abnehmen, bevor sie einen Universitätscampus betreten. Von Menschen, die auf dem Weg zur Synagoge einen Umweg nehmen, um nicht aufzufallen. Diese Beispiele sind keine Einzelfälle mehr, sondern Teil einer beängstigenden Entwicklung: die schleichende Normalisierung judenfeindlicher Denkweisen.

Jo-Achim Hamburger, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Nürnberg, weiss davon ein Lied zu singen. Bereits 2014, während des dritten Gaza-Krieges, kam es in der Stadt, in der Hitler seine Reichsparteitage abhalten liess, zu Ausschreitungen. Hunderte Demonstranten stürmten damals am Bahnhof die McDonald’s- und Burger-King-Filialen, weil sie angeblich «jüdisch» waren, und riefen dabei «Kindermörder Israel» und «Allahu akbar». Heute gibt es eine «Intifada Nürnberg», eine Organisation, die im letzten Jahr Flugblätter verteilte mit dem Slogan «Wenn Rafah brennt, brennt Nürnberg».

Gerade eben wurde der jüdische Kindergarten fertiggestellt, «mit schusssicheren Fenstern», sagt Hamburger, eine Auflage des Landeskriminalamts. «Es ist der einzige Kindergarten in Nürnberg, der so etwas braucht», meint Hamburger traurig. In Nürnberg dieselbe Situation wie überall im Land: Der Bewegungsradius von Jüdinnen und Juden hat sich eingeengt. Man überlegt genau, ob man in bestimmte Stadtviertel geht, ob man sich traut, jüdische Veranstaltungen zu besuchen. Hamburger lobt zwar die Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsregierung und den Behörden, doch die Bedrohung bleibt.

Besonders deutlich sichtbar wird dieses Klima an deutschen Universitäten. Orte, die eigentlich für Diskurs und Aufklärung stehen sollten, entwickeln sich zusehends zu Brennpunkten antisemitischer Rhetorik und Ausgrenzung. Studierende berichten von einseitigen Narrativen zum Nahostkonflikt, die sogar Professoren zuliessen. In Vorlesungen oder Kolloquien werden Begriffe wie «Apartheidstaat Israel» unhinterfragt verwendet, palästinensische Terroranschläge relativiert oder gar als Widerstand glorifiziert.

Auf dem Campus kursieren Flugblätter mit Aufrufen zur Intifada, Gebäude werden mit antiisraelischen Parolen beschmiert. Dabei verschwimmt die Grenze zwischen legitimer Kritik an Israel und Antisemitismus immer öfter – zum Nachteil der jüdischen Studierenden, die sich alleingelassen fühlen. Viele meiden Diskussionsrunden oder studentische Veranstaltungen. Die Rektorenkonferenz hat zwar wiederholt betont, dass antisemitisches Verhalten an Hochschulen keinen Platz haben dürfe, doch die Realität sieht anders aus. In vielen Fällen fehlt es an klaren Konsequenzen für Übergriffigkeiten – oder es mangelt schlicht an der Sensibilität oder gar dem Willen, sie als solche zu erkennen.

Parallel zu den Entwicklungen an den Hochschulen verschärft sich die Bedrohung im öffentlichen Raum. Rias, die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, verzeichnet für das Jahr 2024 einen erneuten, vehementen Anstieg antisemitischer Vorfälle, pro Tag etwa 24 im ganzen Land, also rein rechnerisch jede Stunde einen. Synagogen werden beschmiert, Stolpersteine zerstört, jüdische Einrichtungen müssen unter erhöhtem Polizeischutz operieren. Ein besonders schockierendes Beispiel war der Angriff am Holocaust-Mahnmal in Berlin im Februar 2025, bei dem ein jüdischer Besucher mit einem Messer verletzt wurde.

Elio Adler ist Vorsitzender der Werte-Initiative, eines Berliner Vereins, der sich als zivilgesellschaftliche jüdische Stimme versteht, die sich für Demokratie und Zukunft der Juden in Deutschland einsetzt. Er ist voller Sorge. Das nichtjüdische Umfeld zeige sich ignorant und empathielos: «Kaum einer fragt seit dem 7. Oktober einfach mal: ‹Wie geht’s dir eigentlich?›», sagt Adler verärgert. Bei der Kritik am Vorgehen der israelischen Armee schwinge immer so ein «Jaja, so sind sie, die Juden!» mit.

Historische Verantwortung als lästige Pflicht

Die Situation ist extrem angespannt. Propalästinensische Demonstrationen in Grossstädten schlagen nicht selten in antisemitische Hetze um. Parolen wie «From the river to the sea» oder «Intifada bis zum Sieg» werden auf offener Strasse skandiert, ohne dass Ordnungsbehörden eingreifen. Viele jüdische Menschen haben den Eindruck, dass ihre Sicherheit dem Wunsch nach Demonstrationsfreiheit untergeordnet wird.

Was Elio Adler dabei irritiert, ist das Unverständnis vieler: «Eine Zukunft werden wir Juden in Deutschland nur dann haben, wenn die Mehrheitsgesellschaft versteht, dass es nicht um Juden geht bei diesen Demos, sondern um einen Kampf gegen unsere freiheitlichen Werte, gegen eine friedliche Form des Zusammenlebens.» Dabei macht Adler inzwischen keinen Unterschied mehr darin, woher der Antisemitismus kommt, ob von rechts, links, aus der Mitte der Gesellschaft oder von muslimischer Seite: «Wir haben keine sichere Seite mehr. Wir werden von 360 Grad rundherum angefeindet.»

Besonders schockiert haben die jüdische Gemeinschaft Aussagen bundesdeutscher Politiker bezüglich der Solidarität mit Israel. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte erst kürzlich öffentlich scharfe Kritik an der israelischen Kriegsführung in Gaza geübt, die in seinen Augen das Völkerrecht verletzt. Gleichzeitig aber betonte er, dass die Bundesrepublik weiter an der Seite Israels stehe und die Sicherheit des jüdischen Staates gewährleistet sein müsse.

Noch nie hat ein deutscher Kanzler so offen israelische Politik angegriffen, wenngleich er bemüht war, zwischen Regierung und Staat zu unterscheiden. Doch im Windschatten seiner Äusserungen beeilten sich zwei politische Schwergewichte nachzulegen. So sprach Aussenminister Johann Wadephul von einer «Zwangssolidarität» gegenüber Israel, der ehemalige SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich erhob diese gar zu einer «Selbstgefangenschaft». Mit anderen Worten: Die historische Verantwortung der Deutschen gegenüber der jüdischen Gemeinschaft und Israel sei nichts als eine lästig gewordene Pflicht.

Als Bundeskanzler Merz dann noch verkündete, dass Deutschland Israel keine Waffen mehr liefern werde, die in Gaza eingesetzt werden könnten, wirkte das auf viele, nicht nur jüdische Deutsche, wie ein endgültiger Bruch mit der jahrzehntelangen Politik der deutschen Solidarität gegenüber Israel.

Nach dem ersten Schock des 7. Oktober und nach dem zweiten Schock des explodierenden Antisemitismus im Land ist der Eindruck, dass Deutschland sich zunehmend von seiner besonderen Verantwortung gegenüber Israel distanziert, damit der dritte Schock, der weite Teile der jüdischen Gemeinschaft fundamental verunsichert. Die neue politische Rhetorik wirkt wie eine semantische Entwertung jüdischer Sicherheitsbedürfnisse.

«Erinnerungskultur» ist zur leeren Show verkommen

Die jüdische Gemeinschaft reagiert auf diese Entwicklungen mit einer Mischung aus Resignation und Widerstand. Viele ziehen sich ins Private zurück oder erwägen gar die Auswanderung. Gleichzeitig gibt es auch Gegenbewegungen: neue Netzwerke jüdischer Studierender, Protestbriefe von Hochschuldozenten, Bildungsinitiativen in Schulen und Kulturinstitutionen. «Doch das Problem geht tiefer. Der Antisemitismus dringt immer häufiger in das private Umfeld ein», erzählt Laura Cazés von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland. «Wer im öffentlichen Diskurs keine Stimme hat, sind beispielsweise 70 000 jüdische Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, die von Altersarmut betroffen sind. Wer im bereits prekären Alltag zum Beispiel in der Nachbarschaft Antisemitismus erlebt, hat keine Möglichkeit, zu sagen: ‹Okay, ich ziehe woandershin.›»

Jetzt wird deutlich, wie sehr die sogenannte deutsche «Erinnerungskultur» zur leeren Show verkommen ist, wie gross die Kluft zwischen politischen Bekenntnissen und Ressentiments in der Gesellschaft ist. Dabei sei es ein Fehlschluss, zu glauben, dass der Antisemitismus von heute irgendetwas Neues sei, meint Laura Cazés: «Die meisten der heutigen antizionistischen Narrative mit antisemitischem Unterbau haben ihren Ursprung in der sowjetischen oder der NS-Propaganda.» Und es ist auch nichts Neues in der jüdischen Geschichte, dass sich Juden wieder einmal fragen, ob sie ihre Koffer packen sollen.

Gespenstische Stille: Die Uno-Beauftragte Francesca Albanese wettert an der Freien Universität Berlin gegen Israel, und niemand widerspricht – Nathan Giwerzew (Berlin), NZZ, 10.9.2025

Die Uno-Sonderberichterstatterin vergleicht den Krieg in Gaza mit dem Holocaust und spricht von Völkermord. In der deutschen Hauptstadt scheint das gut anzukommen.

Es ist merkwürdig still an diesem Mittwoch, als die ersten Teilnehmer zur Jahrestagung der European Society of International Law im Berliner Stadtteil Dahlem eintreffen. Sie warten in einem Gebäude, das zur Freien Universität gehört, auf einen prominenten Gast. Francesca Albanese, die Sonderberichterstatterin des Uno-Menschenrechtsrats für die von Israel besetzten palästinensischen Gebiete, hält in dem Haus aus Ziegelstein, Glas und Betonfassade den Eröffnungsvortrag.

Albanese ist fest davon überzeugt, dass Israel in Gaza einen Völkermord begeht. Es komme nicht auf die Todeszahlen an, argumentiert sie, sondern auf die genozidale Absicht. Für sie besteht kein Zweifel daran, dass die israelische Regierung die Palästinenser als Volk auslöschen will. Albanese schreit förmlich ins Mikrofon, Israel verschleiere seinen Völkermord hinter völkerrechtlichen Begriffen. Mit der Hamas geht sie indes deutlich gnädiger um. Man wisse nun einmal, wie eine Guerilla gegen eine überlegene Streitmacht kämpfe.

Die 48-jährige Juristin aus Italien ist nicht irgendwer. In Israel darf sie nicht einreisen, die USA haben sie ebenfalls mit Sanktionen belegt. Der amerikanische Aussenminister Marco Rubio wirft ihr vor, mit ihren Äusserungen verbreite sie antisemitische Terrorpropaganda. Auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner von der CDU wollte nicht, dass sie in seiner Stadt auftritt. «Antisemitismus, Hass und Hetze dulden wir an unseren Hochschulen nicht», sagte er. Sie kam trotzdem.

In ihrem Vortrag vergleicht Albanese munter Israels Vorgehen in Gaza mit dem Holocaust. Deutschland habe zunächst die Juden vertreiben wollen, sagt sie, erst danach habe es sie vernichtet: «Millionen Juden wurden getötet, weil die Gesellschaft, in der sie lebten, sie als Gefahr ansah.» Ein ähnliches Schicksal, deutet sie an, drohe heute auch den Palästinensern. Man muss nur einen Schritt weiterdenken, schon wird hier der Staat der Juden zum politischen Wiedergänger des Nationalsozialismus. Doch im Saal bleibt es trotz diesen Worten gespenstisch still. Niemand widerspricht der Analogie.

Viele Deutsche könnten nicht kritisch denken, sagt Albanese

Neben Albanese sitzen zwei weitere Referenten auf dem Podium: Eyal Weizman, ein israelischer Architekt und Aktivist, und die Rechts- und Islamwissenschafterin Nahed Samour. Sie sprechen ruhiger, sie werden an keiner Stelle ihrer Ausführungen ausfällig. Aber auch sie reden von einem Genozid Israels in Gaza. Die Panelteilnehmer diskutieren nicht, sie spielen sich die Bälle zu. Man ist sich einig.

Zweifel scheint Albanese ohnehin nicht zu akzeptieren – am wenigsten dann, wenn sie von Deutschen kommen. Die meisten Deutschen seien unfähig, «kritisches Denken auf Fakten anzuwenden», spottet sie gleich zu Beginn des Vortrags. Anstatt sich auf die Gegenwart zu fokussieren, seien sie «besessen von ihrer Vergangenheit».

Immer wieder verweist Albanese auf einen Bericht, den sie im Auftrag der Uno im Sommer vergangenen Jahres veröffentlicht hatte. Das Dokument trägt den Titel «Anatomie eines Völkermordes». Auf 27 Seiten will sie der israelischen Regierung deren genozidale Absicht nachweisen. Sie führt dafür nicht nur Äusserungen von deren Politikern an, sondern auch militärische Massnahmen. Ein Beispiel ist ihre Sicht darauf, wie Israel die Einfuhr internationaler Hilfslieferungen nach Gaza beschränkt. Für Albanese kann dieser Schritt nur auf eine genozidale Absicht zurückzuführen sein.

Dabei spielen bei diesem Vorgehen nicht zuletzt militärstrategische Überlegungen eine Rolle. Die Hamas finanziert ihren Krieg gegen Israel unter anderem durch den Verkauf überteuerter Lebensmittel an die Zivilbevölkerung. Deshalb ist den Israeli daran gelegen, ihr diesen Geldhahn abzudrehen. Auch wenn Israel damit den Hunger in Gaza in Kauf nimmt: Eine genozidale Absicht lässt sich allein daraus laut Fachleuten nicht ableiten.

Antiisraelische Aktivisten geben an der Universität den Ton an

In Albaneses Bericht hat solche Skepsis keinen Platz. Für sie steht das Urteil über Israels Kriegsführung schon fest, noch bevor sie alle möglichen Interpretationen gegeneinander abgewogen hat. Wäre das ein Strafprozess, plädierte Albanese im Zweifel gegen den Angeklagten.

An der Freien Universität stösst sie auf ein Publikum, das ihr gewogen scheint. Wie an den meisten Hochschulen in der westlichen Welt hat Israel auch hier einen überwiegend schlechten Ruf. Die Zahl der Studenten, die sich für die Freundschaft mit dem jüdischen Staat engagieren, ist klein. An diesem Mittwoch hat sich niemand zusammengefunden, der gegen Albaneses Auftritt demonstriert.

Stattdessen gab es in den vergangenen Jahren immer wieder antiisraelische Aktionen an der Freien Universität. Mehrfach versuchten linksextreme Gruppen, Hörsäle zu besetzen, teilweise war ihnen das auch gelungen. Auf die Aufforderung der Universitätsleitung, die Säle friedlich zu verlassen, gingen sie nicht ein. Die Polizei musste sie räumen.

Im Februar vergangenen Jahres wurde der deutsche Student Lahav Shapira, der ursprünglich aus Israel stammt, Opfer einer Gewalttat. Ein Kommilitone hatte ihn in einer Bar wiedererkannt. Erst schlug er ihm mit der Faust ins Gesicht, dann trat er auf ihn ein. Eine Notoperation rettete Shapira das Leben. Nachdem ein Gericht den Schläger zu drei Jahren Haft verurteilt hat, klagt Shapira nun gegen die Freie Universität, weil diese seiner Ansicht nach nicht genug für den Schutz jüdischer Studenten unternimmt.

Albanese schweigt über den 7. Oktober

Nur an einer Stelle ihres Vortrags verurteilt Albanese den Antisemitismus, der dieser Tage auch in Deutschland um sich greift – aber nur, um ihn gleich darauf zu relativieren.

Der Judenhass sei «eine Schande für uns Europäer, nach allem, was wir getan haben», sagt sie. Allerdings werde der Antisemitismusvorwurf genutzt, um «Debatten zu unterbinden». Dass antisemitische Attacken in Deutschland laut aktuellen Erhebungen vor allem israelfeindlich motiviert sind, das weiss sie entweder nicht, oder sie verdrängt es.

Fast vergessen scheint an diesem Mittwoch, dass die Universitätsleitung im Februar einen Vortrag Albaneses abgesagt hatte, ähnlich wie wenige Monate darauf die Universität in Bern. Nun heisst es vonseiten der Freien Universität, der Vortrag werde von einem privaten Veranstalter ausgerichtet. Deshalb könne man Albanese den Auftritt nicht untersagen.

In einer kurzen Fragerunde kommen noch einmal die Redner auf dem Podium zu Wort. Eine Zuhörerin will wissen, inwieweit die israelische Besetzungspolitik mit einem «Männlichkeitskult» der Israeli zusammenhänge. Albanese antwortet, die Situation der Palästinenser sei auch eine «feministische Frage».

Dann endet ihr Vortrag. Einige Zuhörer verlassen den Saal. Niemandem scheint aufzufallen, dass Albanese den 7. Oktober 2023 mit keinem Wort erwähnt hat.

UMFRAGEN

SaKURIER-OGM-Umfrage: Kickl und Stocker legen zu, Babler stagniert1Kurier
SaSanae Takaichi als mögliche Vorsitzende der LDP in Umfragen vorn1Sumikai

ÖSTERREICH – WAHLUMFRAGENAPA-WAHLTREND

«Zeichen der Unterdrückung»: In Österreich sollen Mädchen unter vierzehn kein Kopftuch mehr tragen dürfen – Meret Baumann, NZZ, 11.9.2025

Selbst Primarschülerinnen tragen teilweise schon einen Hijab, oft wegen Gruppendrucks. Dagegen will die Regierung in Wien nun vorgehen, doch das Verfassungsgericht kippte ein ähnliches Gesetz bereits.

COMMENT: Unter den Studentinnen an der Universität Wien sieht man nicht selten solche mit Kopftuch resp. Hijab, modern gekleidet, emsig, fleißig und zielstrebig, mit Büchern und Notebook unterm Arm, oft in kleinen Gruppen. Schlendrian-Gehabe gibt es nicht.

Musliminnen mit Kopftuch sind in Österreichs Strassenbild Alltag, und vermehrt sind es auch junge bis sehr junge Mädchen, die das Kleidungsstück als Zeichen ihrer Religiosität tragen. Offizielle Zahlen dazu gibt es zwar nicht. Aber der Direktor einer Mittelschule in einem Wiener Aussenbezirk erklärte am Dienstag in einer ORF-Diskussion, rund die Hälfte der muslimischen Mädchen in seiner Einrichtung trügen Kopftuch, pro Klasse seien es mehrere. Er sprach von einem «massiven Anstieg» in den letzten Jahren. Immer öfter seien es sogar schon Primarschülerinnen, die sich verhüllten.

Es ist ein Zeichen einer rigiden Auslegung der Religion, denn selbst Islamgelehrte, die aus dem Koran eine Pflicht zum sogenannten Hijab ableiten, verlangen diesen erst für geschlechtsreife Frauen. Österreichs Regierung will deshalb gegen das Phänomen vorgehen und hat am Mittwoch ein Kopftuchverbot an Schulen für Mädchen unter vierzehn Jahren beschlossen. Es soll im Februar, zu Beginn des nächsten Semesters, in Kraft treten und sowohl für öffentliche wie private Bildungseinrichtungen gelten, um Umgehung zu verhindern.

«Kinder mit Kopftuch sind kein Randphänomen mehr»

Die zuständige Integrationsministerin Claudia Plakolm von der konservativen ÖVP nannte den Schleier ein «Zeichen der Unterdrückung». Gerade im geschützten Rahmen der Schule müssten Werte wie Gleichberechtigung und Freiheit gelebt werden.

Die Massnahme ist ein Kernanliegen ihrer Partei, aber anders als noch vor einigen Jahren inzwischen weitgehend unbestritten. Die beiden Koalitionspartner, die Sozialdemokraten und die liberale Partei Neos, betonen dabei vor allem das Selbstbestimmungsrecht von Mädchen. Kopftücher bei Kindern seien kein Randphänomen mehr, sagte der Neos-Fraktionschef.

Das gilt vor allem für Wien, wo Muslime an den Pflichtschulen inzwischen die grösste religiöse Gruppe bilden. Schon seit Jahren wird eine strengere Auslegung des Islams beobachtet. Oft kommt das gar nicht vom Elternhaus, sondern erfolgt aus einem Gruppendruck. Kinder und Jugendliche halten sich gegenseitig zur Einhaltung der Regeln an und bezeichnen diejenigen, die sich widersetzen, als schlechte Muslime.

Ob das Kopftuchverbot umgesetzt werden kann, ist allerdings offen. 2019 hatte die damalige Regierung der ÖVP mit der rechtspopulistischen FPÖ bereits ein Kopftuchverbot beschlossen, das nur für Primarschulen gelten sollte und damit weniger weit ging. Der Verfassungsgerichtshof sah in dem Gesetz jedoch einen Verstoss gegen das Gebot der religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Staates. Eine bestimmte Religion, der Islam, werde ohne ausreichende Begründung ungleich behandelt. Zudem werde unverhältnismässig in die Religionsfreiheit eingegriffen.

Gegen Kreuz und Kippa will die Regierung nicht vorgehen

Diese Vorbehalte treffen auch auf die neue Vorlage zu. Auch wenn Plakolm mit dem Kindeswohl argumentiert, das ebenfalls im Verfassungsrang stehe. Sie verweist dafür auf eine Studie aus Frankreich, wonach das dortige Verbot religiöser Symbole an Schulen zu besseren Bildungschancen von Mädchen geführt hätte. Ein solches Vorgehen sei deshalb gerade nicht diskriminierend, sondern schaffe Gleichberechtigung, so die Ministerin.

Zu der französischen Regelung, die in dieser Form seit 2004 gilt, gibt es aber einen erheblichen Unterschied: Die nun von der Regierung erarbeitete Vorlage sieht neuerlich kein Verbot aller religiösen Symbole vor, was verfassungsrechtlich weniger problematisch wäre. Auch gleich das Kreuz an der Wand des Klassenzimmers oder die jüdische Kippa zu untersagen, ist für die christliche ÖVP undenkbar. Verfassungsrechtler sind deshalb skeptisch, ob das Gesetz Bestand haben wird. Die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) kündigte bereits an, die Konformität mit den Grundrechten zu prüfen und allenfalls rechtliche Schritte einzuleiten.

Aufholjagd am Ende: Österreich sichert sich ersten Tram-WM-Titel – APA / GMX, 14.9.2025

Bei der ersten WM gleich den Titel geholt. Österreichs Tramfahrer-Duo setzte sich gegen weltweite Konkurrenz durch. In zwei Jahren soll es in Australien weiter gehen.

Die Wiener Linien haben am Samstag für Österreich bei der ersten Weltmeisterschaft im Straßenbahnfahren den ersten Platz eingefahren. Tramfahrer aus 25 Städten konkurrierten beim Wiener Rathausplatz in acht Disziplinen – allerdings wurde nicht klassisch um die Wette gefahren. Vielmehr stellten die Teams in Gameshow-artigen Herausforderungen wie Tram-Bowling und -Curling ihr Geschick am Steuer unter Beweis.

Nach dem ersten Zwischenergebnis sah es nach Platz drei für die beiden Wiener Tram-Piloten Elisabeth Urbanitsch und Florijan Isaku aus. Unter dem Getöse der Zuschauer wurde es während des Endspurts doch noch der WM-Titel. Die polnische Stadt Posen holte Silber, knapp dahinter erreichte Oslo den dritten Platz. Der EM-Titelverteidiger Budapest verpasste knapp die Top-Drei. Deutschland, vertreten durch Berlin und Leipzig, begann im Finale dank eines reibungslosen zweiten Durchlaufs eine Aufholjagd, verblieb durch die schwächere erste Runde aber auf Platz sieben.

Tram-Fahren im Gameshow-Format

Vermutlich hätten es die Disziplinen auch in Spielformate wie „Wetten, dass..?“ geschafft – etwa das „Stop & Go“, ein gezieltes Beschleunigen und Bremsen mit Wasserbecher an der Front, oder das Halten der Geschwindigkeit mit verdecktem Tachometer und das Anschieben einer Curling-Draisine. Wer auf der Hindernisstrecke zwischen Burgtheater und Rathaus achtlos über die Gleise bretterte, zu eng parkte oder Wasser verschüttete, musste mit Punktabzug rechnen. Schnelle Ausführungen wurden allerdings belohnt.

Das Wiener Duo hielt sich nach einer soliden Performance bereits am Vormittag lange an der Spitze. Die Bestwertung beim ersten Zwischenstand schnappte sich dann aber Posen, inklusive eines seltenen Strikes beim Bowling. Kurz vor dem Ende des ersten Durchgangs verdrängte Oslo die Wiener vorerst hauchdünn auf den dritten Platz. EM-Titelverteidiger Budapest fiel wiederum schnell zurück.

Heimspiel bei erster Tram-WM in Wien

Eigentlich wäre heuer die zwölfte Tram-Europameisterschaft auf dem Plan gestanden. 2012 ging die erste Tram-EM in Dresden über die Bühne, 2015 in Wien und 2023 holten sich die Wiener Linien im rumänischen Oradea die Goldmedaille. Dieses Jahr lud Wien erstmals Fahrer aus aller Welt ein – darunter Teams aus Rio de Janeiro, Hongkong oder Casablanca.

Während des Events wurde bereits die nächste Tram-WM angekündigt: 2027 soll es in Melbourne soweit sein. Beim diesjährigen Turnier verweilte die australische Metropole noch unter den Schlusslichtern auf Platz 23.

Öffi-Feier am Wiener Rathausplatz

Rund um die WM zelebrierten die Wiener Linien mit Info- und Spielständen auch das 160-jährige Jubiläum der Tramway in Wien. Denn das Event soll „alle Leistungen der Wiener Linien vor den Vorhang holen“, so Alexandra Reinagl, Geschäftsführerin der Wiener Linien. Zum Auftakt betonte auch Stadtchef Michael Ludwig per Video-Grußbotschaft die Wichtigkeit des öffentlichen Nahverkehrs. Neben dem Wettbewerb wolle man zeigen, „wie wichtig es ist, den öffentlichen Verkehr auszubauen.“

Zuletzt geriet die Stadtregierung wegen Öffi-Sparmaßnahmen allerdings unter Kritik. Denn ab dem 1. Jänner 2026 soll die 365-Euro-Jahreskarte nunmehr 467 Euro kosten. (apa/bearbeitet von the)

Tirol: Handyakku explodierte in Cityjet – ORF, 13.9.2025

Am Samstagabend explodierte der Akku eines Smartphones in einem Zug nahe dem Bahnhof Rattenberg (Bezirk Kufstein). Die Feuerwehr musste einschreiten und etwa 200 Fahrgäste mussten den Zug verlassen. Der Besitzer des Handys entfernte sich unerkannt.

Der Handyakku eines Fahrgastes explodierte gegen 20.40 Uhr, kurz bevor der Zug in den Bahnhof Rattenberg einfuhr. Das Smartphone begann laut Polizei zu brennen und der Besitzer legte es auf den Boden des Zugs vor der Waggontür. Es entwickelte sich starker Rauch.

Der Zug stoppte im Bahnhof Rattenberg und die rund 200 Fahrgäste stiegen aus. Als die Feuerwehrleute eintrafen, befand sich das brennende Handy im Zug. Per Fußtritt beförderte es ein Feuerwehrmann auf den Bahnsteig und es wurde gelöscht. „Der Besitzer des betroffenen Handys konnte nicht mehr angetroffen werden“, so die Polizei in einer Aussendung.

Zug fuhr leer weiter

Wegen des Rauchs und der Geruchsentwicklung mussten die Türen des Zuges geöffnet und die Waggons belüftet werden. Die Fahrgäste mussten laut Polizei auf einen nachfolgenden Zug umsteigen, der betroffene Cityjet fuhr später leer nach Innsbruck.

Im Einsatz waren die Feuerwehren Radfeld und Rattenberg mit fünf Fahrzeugen und 45 Mitgliedern. Auch der Rettungsdienst war an Ort und Stelle. An der Zuggarnitur entstand bis auf eine leichte Verunreinigung auf dem Boden des Waggons kein Schaden.

red, tirol.ORF.at

WIRTSCHAFTS-NACHRICHTEN für Österreich

ÖSTERREICHISCHES PARLAMENT

ORF-MELDUNGSBÜNDEL ÖSTERREICH

Inland

Start für möglicherweise kurze Beamtenverhandlungen

Innsbruck verordnet sich Sparprogramm

Zahlreiche Feuerwehreinsätze nach Unwettern in NÖ

Wirtschaft

ÖBB bauen Terminal Süd in Wien aus

Wenn der Strom plötzlich doppelt so teuer wird

Wiener Gemeindebau: Eigenes Angebot für Studenten

Privatbrauereien kämpfen gegen Brau Union

Höfesterben: Landwirtschaft sucht neue Generation

ORF – Meldungen für die slowenische Volksgruppe (deutsch)

ORF – Meldungen für die slowenische Volksgruppe (slowenisch)

ORF – Meldungen für Volksgruppen in Österreich

UMWELT

Klima: Bergtourismus im Umbruch – Wachsender Sommertourismus – ORF, 14.9.2025

In Innsbruck hat am Sonntag die International Mountain Conference (IMC), die weltweit größte Konferenz zu Gebirgsthemen, begonnen. Ein großes Thema dabei: die Auswirkungen der Klimakrise auf die Bergwelt. Diese macht sich im Tourismus nicht nur in der Wintersaison mit Schneemangel bemerkbar, sondern auch in den wärmeren Monaten des Jahres – und lässt die Berge bröckeln. Robert Steiger, Experte für Klimawandel und Tourismus, sprach im Interview mit ORF.at über mögliche Umbrüche und nötige Aufbrüche im Bergtourismus.

„Weltweit stehen Menschen in Gebirgsregionen vor ähnlichen Herausforderungen. Insbesondere der Klimawandel setzt hoch gelegene Gebiete unter Druck: Permafrost und Gletscher schmelzen, Extremwettereignisse und Naturkatastrophen nehmen zu“, heißt es in den Begleittexten zu der Konferenz, bei der Steiger eine Einheit zum Thema Klimawandel und Tourismus leitet.

Der alpine Wintertourismus gilt als Eckpfeiler der österreichischen Tourismuswirtschaft. Jahrzehnte nahm laut WIFO die Nachfrage nach Winterurlaub stetig zu, doch gerade in den vergangenen Jahren vergrößerte sich die Nächtigungslücke zwischen Sommer und Winter zugunsten der Sommersaison.

„Der Tourismus spürt den Klimawandel in Form von kürzer werdenden Wintersaisonen. Im Sommer sieht man erste Anzeichen, dass Hitzewellen Gäste in die Berge bringen. Dies könnte sich in Zukunft durchaus verstärken und ein Potenzial für den Bergsommer darstellen“, sagte Steiger.

Experte: Diversifizierung des Angebots

Zudem könnten Sommerangebote immer früher in der Sommersaison gestartet werden und im Herbst länger angeboten werden als früher, fügte Steiger hinzu. „Das kann es für Destinationen attraktiver machen, neue Angebote in der Sommersaison zu entwickeln.“

Auch eine Verbreiterung des Angebots mit Produkten, die weniger von Wetter oder Klima abhängig sind, sei für Steiger vorstellbar, so der Experte. „Grundlage für derartige Anpassungen ist aber, dass man das Klimarisiko und auch die möglichen Potenziale in der Destination kennt.“

Bröckelnde Berge

Denn wie die Schneeschmelze im Winter zeigen sich die Auswirkungen veränderter klimatischer Bedingungen mittlerweile auch verstärkt zwischen Frühling und Herbst. Wie eine Studie der Universität für Bodenkultur in Wien (BOKU) zeigt, treten durch den Klimawandel im Hochgebirge vermehrt Steinschläge und Felsstürze auf. Zurückzuführen sei das vor allem auf auftauenden Permafrost und schmelzende Gletscher – mehr dazu in science.ORF.at.

Der Geomorphologe Ingo Hartmeyer von Georesearch, einem außeruniversitären Forschungsinstitut in Salzburg, sagte gegenüber ORF Topos: „Felspermafrost wird auch als Kitt der Alpen bezeichnet, weil er eine stabilisierende Wirkung auf den Untergrund hat. Steigende Temperaturen führen dazu, dass seit Jahrtausenden gefrorener Permafrost auftaut und dadurch Material locker wird.“

Erdsystemforscher Ulrich Pöschl vom Max-Planck-Institut für Chemie ergänzte, dass auch Extremwetterereignisse eine Rolle bei der Destabilisierung spielen: Die erhöhten Temperaturen führen zu Starkregenereignissen und Überschwemmungen oder zu Dürre und Austrocknung des Bodens. „Dadurch wird auch die Vegetation als stabilisierende Biokruste geschwächt.“ Denn Gebüsch beispielsweise schützt vor Wind, und Baumwurzeln stabilisieren den Boden. Bodenerosion sei die Folge, so Pöschl.

„Problem“ für Infrastruktur, Gefahr für Wegnetze

Der „Standard“ schrieb dazu: „Das stellt vor allem für hochalpine Infrastrukturen ein Problem dar.“ Schließlich würde der zunehmend brüchige Fels unter Liftstützen eine große Herausforderung für die Gletscherskigebiete und Seilbahnbetreiber darstellen.

Auch Steiger meint: Durch das Auftauen von Permafrost und den damit verbundenen häufigeren Massenbewegungen wie Felsstürzen und Muren seien die alpinen Wege gefährdet. „Es kann passieren, dass manche Wege zu gewissen Zeiten nicht mehr passierbar sind, oder sogar gänzlich aufgegeben oder verlegt werden müssen.“

Wichtig sei es hierbei, die Gäste gut über mögliche Gefahren wie Steinschlag und Gewitter zu bestimmten Zeiten zu informieren, damit die Aktivitäten so geplant werden können, dass man das Risiko reduzieren kann.

Höhere Kosten als Folge

Die unmittelbarste Folge von Klimaveränderungen seien höhere Kosten, wenn das bisherige Angebot in seiner jetzigen Form aufrechterhalten werden wolle. „Dies betrifft die Beschneiung, aber auch Instandhaltungskosten für alpine Wege. Wenn diese Kosten nicht zur Gänze getragen werden können, wird man das Angebot verkleinern müssen.“

Auf eine Anfrage von ORF.at heißt es seitens des Österreichischen Alpenvereins: „Die Instandhaltung der Wege erfordert immer mehr finanzielle Ressourcen, denn die Folgen der Klimakrise wirken im alpinen Raum besonders stark.“ Zunehmende Extremwetterereignisse, Hangrutschungen und das Auftauen des Permafrostes würden ihre Spuren hinterlassen – auch im Budget des Alpenvereins.

„Die regulären Investitionskosten zur Aufrechterhaltung der Wege mussten im Alpenverein in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt werden.“ Über die Sommermonate habe man in der Steiermark, Kärnten, Oberösterreich, Salzburg und Tirol mit Hilfe von Freiwilligen Wege saniert.

Zudem entwickelte die Uni Innsbruck kürzlich eine crowdbasierte App, mit der Gefahrenstellen digital erfasst und Wanderrouten sicherer gemacht werden können – mehr dazu in science.ORF.at.

Klimabericht: „Erhebliche Veränderungen“

Auch der zweite österreichische Sachstandsbericht zum Klimawandel (AAR2) gibt mit „hoher Sicherheit“ an, dass die Auswirkungen des Klimawandels einige Aspekte von Angebot und Nachfrage im Tourismussektor „erheblich verändern“ werden – und eine Anpassung des Tourismus erfordern. Konkret heißt es im Bericht, dass es sich beim Tourismus um einen „stark betroffenen Sektor mit erheblichem Anpassungsbedarf in der Zukunft“ handle.

Tourismus mit Auswirkungen auf Klima

Doch nicht nur die Klimakrise hat Auswirkungen auf den Tourismus, sondern auch der Tourismus auf die Klimakrise. So schreiben die Autorinnen und Autoren des Berichts weiter: „Da der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftszweig in Österreich ist, bewerten wir den Tourismus als einen Treiber des Klimawandels.“

Laut einer vom AAR2 zitierten Studie ist der österreichische Tourismussektor (ohne indirekte Auswirkungen) für 4,15 Prozent der gesamten österreichischen CO2-Emissionen verantwortlich. „Die Hauptquelle für Treibhausgasemissionen im Tourismus ist die An- und Abreise der Gäste, also mit welchem Verkehrsmittel die Gäste unterwegs sind“, so Steiger.

Direkt damit verbunden sei laut Steiger auch die Reisedistanz: „Klimafreundlicher Tourismus zeichnet sich durch einen hohen Anteil von Gästen aus, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen.“ Laut aktuellen Zahlen des Verkehrsclubs Österreich (VCÖ) reisen rund drei Viertel der Urlaubsgäste aber mit dem Auto an.

Wirksam seien Steiger zufolge auch die energetische Sanierung im Beherbergungsbereich sowie der Bezug von Strom aus erneuerbaren Energien. Wenn Berge somit weiterhin ein kühler Zufluchtsort bleiben sollen, scheint folglich nicht zuletzt auch der Bergtourismus selbst grüner werden zu müssen.

Tamara Sill, ORF.at

Links:

SOCIAL MEDIA

Mehrheit für Mindestalter in sozialen Medien – „Bildungsbarometer 2025“ des ifo Instituts: Überwältigender Anteil für Nutzung ab 16 Jahren – Pressetext, 18.9.2025

München (pte018/09.09.2025/10:00) –  85 Prozent der Erwachsenen in Deutschland wünschen sich ein Mindestalter von 16 Jahren für die Einrichtung eines eigenen Social-Media-Accounts. Dies zeigt das „Bildungsbarometer 2025“ des ifo Instituts, für das 2.982 Erwachsene und 1.033 Jugendliche deutschlandweit befragt worden sind.

Schutz für die Psyche

Selbst unter den 14- bis 17-Jährigen ist eine relative Mehrheit der Befragten mit 47 Prozent dafür. Viele sehen negative Folgen für Kinder und Jugendliche, wie etwa für die psychische Gesundheit oder die schulischen Leistungen, schreiben die Münchener Analysten.

Der Ruf nach einer strengeren Regulierung der sozialen Medien hängt mit der steigenden Nutzungsdauer zusammen. So verbringen laut Erhebung 78 Prozent der Jugendlichen und 58 Prozent der Erwachsenen werktags unter der Woche mehr als eine Stunde täglich damit.

Gleichwohl würden 47 Prozent der Erwachsenen lieber in einer Welt ohne soziale Medien leben und nur 40 Prozent lieber in einer Welt mit sozialen Medien. Bei den Jugendlichen leben hingegen 68 Prozent lieber in einer Welt mit sozialen Medien.

Handy-Verbot befürwortet

Auch bei der Gadget-Nutzung werden Restriktionen begrüßt. So wollen 64 Prozent der Erwachsenen und 57 Prozent der Jugendlichen die Handy-Nutzung in der Grundschule während des Unterrichts verbieten, an weiterführenden Schulen sind es 63 respektive 58 Prozent.

66 Prozent der Jugendlichen wünschen sich, dass der Umgang mit Künstlicher Intelligenz in den Unterricht aufgenommen wird. „Jugendliche wollen klare Grenzen für ablenkende Technik, aber eine gezielte Förderung bei zukunftsrelevanten digitalen Kompetenzen“, so ifo-Co-Autorin Katharina Wedel.

(Ende)

CYBERCRIME

Dynamische Phishing-Angriffe nehmen zu – Firmen im Fokus – Laut Bericht von Trend Micro bleiben E-Mails weiter das Haupteinfallstor – Pressetext, 4.9.2025

Garching bei München (pte020/04.09.2025/13:45) –  Laut dem IT-Security-Anbieter Trend Micro bleiben E-Mails weiterhin das Haupteinfallstor für Cyber-Angriffe. Dem neuen Bericht zufolge setzen Cyber-Gangster zum Stehlen von Anmeldedaten verstärkt auch auf QR-basiertes Phishing, das sogenannte „Quishing“.

Viele Cybercrime-Tools

Die Zahlen sind alarmierend: 2024 erkannten und blockierten Sicherheitslösungen des Unternehmens 57,3 Mio. E-Mail-Bedrohungen in Cloud-basierten Kommunikationslösungen wie Microsoft 365 und Google Workspace. Zum Vergleich: 2023 waren es noch etwa 45 Mio. gewesen. Das stellt einen Anstieg um knapp 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahr dar.

Die Erkennungszahlen bekannter Malware stiegen im Jahresvergleich um 47 Prozent, während bislang unbekannte Malware um 39 Prozent zurückging. So greifen Cyber-Kriminelle immer mehr auf bewährte Malware-Familien zurück und nutzen parallel standardisierte Cybercrime-Tools, die auf Untergrundmärkten nicht zuletzt auch im Dark Net erhältlich sind.

Mehrstufige Gegenwehr

Die Ransomware-Aktivität hat sich 2024 auf hohem Niveau mit 63.278 Erkennungen im Vergleich zu 63.449 im Vorjahr stabilisiert. Gleichzeitig verlagern Hacker ihren Fokus von groß angelegten Ransomware-Kampagnen hin zu gezielten Attacken mit hohem Risiko für die Opfer. Die Experten raten zu mehrstufigen Abwehrsystemen, sicheren Backups und Screening.

Während sich 2023 noch ein Rückgang beim Phishing abzeichnete, zeigen die Ergebnisse für 2024 einen Anstieg der gesamten Phishing-Vorfälle um 31 Prozent. Für Credential Phishing, Diebstahl von Anmeldedaten, ist ein noch stärkerer Anstieg von 36 Prozent zu verzeichnen. Der Einsatz von KI zur Erkennung sei wichtig. Auch würden Hacker KI instrumentalisieren.

(Ende)

Anlagebetrug über WhatsApp-Gruppen floriert – Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen warnt vor dubiosen Angeboten und zu hohen Renditen – Pressetext, 5.9.2025

Düsseldorf (pte009/05.09.2025/13:00) – Metas beliebter Messenger WhatsApp gerät immer öfter ins Visier von Anlagebetrügern, die in Gruppen dort mit vermeintlich lukrativen Geldanlagen locken, warnt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Trading-Plattformen

In den Gruppen werden sie meist aufgefordert, bestimmte Finanzprodukte oder Kryptowährungen zu kaufen beziehungsweise über eine Online-Plattform zu handeln. Statt der versprochenen Gewinne entpuppen sich die dubiosen Angebote für Verbraucher oft jedoch als Verlustgeschäft.

Die perfide Masche der Kriminellen basier im ersten Schritt auf die Erschleichung des Vertrauens unwissender User des Dienstes. Gelockt wird regelmäßig mit den Namen bekannter Finanzunternehmen, Börsen- und Finanzexperten, Prominenten oder Politiker.

Intransparenz Standard

Ein weiteres Problem: Für Verbraucher ist in der Regel gar nicht nachvollziehbar, wer wirklich hinter der WhatsApp-Gruppe steckt und die Anlageempfehlungen gibt. Oft wird suggeriert, User gehörten zu einer exklusiven Gruppe mit begrenzter Mitgliederzahl und könnten sich glücklich schätzen, ausgewählt worden zu sein.

Die WhatsApp-Gruppen werden durch eine Assistenz betreut. Es findet ein regelmäßiger Austausch statt – teils über mehrere Tage und Wochen. Fragen werden beantwortet, das angebliche Anlagemodell wird näher vorgestellt, bisweilen in separaten Trainings oder Workshops.

Das Spektrum der Maschen ist breit und reicht vom erwähnten Betrug via Trading-Plattformen und den Kauf von Kryptowährungen über den Kauf angeblich vorbörslicher Aktien bis hin zum Betrug über den Kauf von Aktien mit angeblich hohen Renditechancen.

(Ende)

UNTERNEHMEN

GESELLSCHAFTSSEISMOGRAPH BÖRSEN

*** nicht aktualisiert ***

Reset wie 1948: Droht die große Enteignung – rtl+, 14.8.2025

Zwangshypotheken, entwertete Konten, 90 Prozent Verlust beim Geldvermögen – die Währungsreform von 1948 zeigt, wie radikal ein Reset ablaufen kann. Und er könnte wiederkommen.

Raimund und Etienne sprechen in dieser Podcast-Folge darüber, wie solche Eingriffe in der Vergangenheit aussahen und warum die Reset-Gefahr auch in der Gegenwart nicht gebannt ist. Könnten sogar die USA im Zentrum eines neuen Resets stehen? Was passiert dann mit Geld, Schulden, Immobilien und Aktien? Und wie schützen Sie Ihr Vermögen am besten? Fragen und Anregungen bitte an brichtaundbell@ntv.de

Währungsreform von 1948 Das sind die wichtigsten Fragen zum „Reset-Szenario“ – n-tv, ab 31.7.2025

Zwangshypotheken, entwertete Konten, 90 Prozent Verlust beim Geldvermögen – die Währungsreform von 1948 zeigt, wie radikal ein Reset ablaufen kann. Dieses Szenario haben Raimund Brichta und Etienne Bell in der vorherigen Folge „Brichta und Bell – Wirtschaft einfach und schnell“ vorgestellt und selten so viel Feedback erhalten. In dieser Woche klären sie weitere wichtige Fragen: von den Auswirkungen auf Gold über Kryptos hin zu KI.

AKTIENEMPFEHLUNGEN – BUY & SELL

Aktuell (—): 
Aktien um 10 Euro je Stück sind FETT hervorgehoben.

Die erwarteten stolzen Kursgewinne sind dem Übermut der tollen Analystenzunft zu verdanken! Hirn selbst einschalten und kritisch bewerten. MERKE: Klappern gehört zum Geschäft. Es geht letztlich nicht so sehr um die Beratung der Anleger, sondern um die spekulativ selbst gehaltenen Aktien der Häuser (Banken, Fonds, Anlagegesellschaften etc.), für die die Analysten tätig sind: wenn viele kaufen, steigen die Kurse, und 5% Plus sind zwar weniger als 15% oder 35%, aber besser als 5% Minus. Zudem lassen sich schnell noch eigentlich „schlechte“ Aktien im Portfolio des Hauses (Banken, Fonds, Anlagegesellschaft etc.) verkaufen, für die der Analyst tätig ist, sofern die werten privaten Anleger den Kaufempfehlungen folgen. So schaut’s aus im Schneckenhaus! Nochmals: Hirn selbst einschalten. Die Finanzbranche lebt vom Trübe-Machen des Wassers!

NICHT ZULETZT: Verkaufsempfehlungen werden ungern gegeben, da sie auf das Portfolio der Häuser (Banken, Fonds, Anlagegesellschaft etc.) rückschließen lassen, zu denen die Analysten gehören. Verkaufsempfehlungen werden aus zwei Gründen gegeben: a) es ist tatsächlich Feuer am Dach des analysierten Unternehmens, b) das Haus möchte die Aktien des zum Verkauf empfohlenen Unternehmens billiger zurückkaufen, sofern den Verkaufsempfehlungen gefolgt wird. Letztlich agieren an der Börse die Optimisten, und die wollen positive Nachrichten hören, also werden sie von den Häusern und ihren Analysten entsprechend bedient.

UND ZU ALLERLETZT: die Analysten bespiegeln sich untereinander: wer hat was empfohlen oder nicht empfohlen, es kommt zu herdenpsychologischen Erscheinungen derart: der Leithammel hat empfohlen, also machen wir das auch. Die jeweiligen Analysen werden entsprechend (um)formuliert. Das zweite Moment: die Konkurrenz, die u.U. zu skurrilen Interpretationen des analysierten Unternehmens führt.

FAZIT: was die Analystenzunft von sich gibt, kann aufschlussreich sein, muss es aber nicht, vermittelt einen zusätzlichen Eindruck zu einzelnen Aktiengesellschaften. Wichtig ist der Blick auf zweierlei: a) entscheidend: auf die volkswirtschaftliche Situation des Landes, der Welt; b) sekundär (!) auf das Unternehmen und seine Branche: Charakter des Managements, klare, gut durchschaubare Produktpalette, Langlebigkeit des Unternehmens und seine Stetigkeit im Gebaren.

Renten- und Aktienmärkte

Man halte sich vor Augen: Aktienmärkte sind die Pfützen in der Welt der Veranlagungsmöglichkeiten. Anleihenmärkte (Rentenmärkte, Kapitalmärkte) sind die großen Ozeane ebendort. Daher sind Aktienmärkte volatil und reagieren auf den leisesten Windhauch mit u.U. kräftigen Ausschlägen. Die Seelen der Anleger sind sehr verletzlich: Angst und Gier bestimmen hier jegliches Handeln, die vernünftige Veranlagungsentscheidung steht an zweiter Stelle. Das verursacht in den kleinen Geldpfützen der Aktienmärkte hohe Wellen. Aber dort stehen nach erster Erschütterung später die rationalen Kaufs- und Verkaufsentscheidungen felsenfest – bis zur nächsten Seelenerschütterung.

Anleiheanleger sind cooler und gezügelter im Gemüt. Hier geht es eher um Langfristperspektiven. Alles dreht sich um den Zins und wie er sich weiterentwickelt. Wer an der Zinsschraube dreht, dreht am Schicksal ganzer Volkswirtschaften. Da ist das aufgeregte Gegackere an den Aktienmärkten geradezu uninteressant.

Aber kommen Anleihemärkte einmal ins Rutschen – nach oben oder nach unten – dann ist Feuer am Dach. Schon 0,5 oder gar 1 Prozent Veränderung in einem Anleihenindex sind eine „Weltbewegung“ im Milliarden- oder Billionengeldmeere der Anleiheozeane.

Dazu kommt: Die Anleiherenditen konkurrenzieren mit den Aktienrenditen. Eine hohe Anleiherendite jenseits der 3 Prozent wirkt umso „giftiger“ auf die Aktienkursentwicklungen, je höher sie ist. Liegt sie unter 3 Prozent, begünstigt sie die Aktienkäufe, Je deutlicher sie unter 3 Prozent liegt, umso eher. Das ist die Regel. Die Ausnahme – so, wie wir sie gerade sehen – bestätigt diese Regel. Früher oder später wird sie ihre dominante Stellung als Regel wieder einnehmen.

Diese Verhältnisse sind es, die im Tagesblick in der Regel die Berichte zu den Anleihemärkten wiedergeben lassen, dass aufgeregte Geflattere und Gegackere an den Aktienmärkten im Detail interessiert in der Regel nicht die Bohne.

Zur Renditebestimmung bei Anleihen: notiert die Anleihe zu 100 Prozent, dann stimmen Anleihezinssatz (der Couponzins) und Anleiherendite überein. Sinkt der Anleihekurs unter 100 Prozent, steigt die Rendite, umgekehrt gilt: steigt der Anleihekurs, so sinkt die Rendite. So einfach ist das. Und so weltbewegend in der Tat.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Allgemeine Empfehlungen: Es geht vornehmlich um die Zukunft der Energiegewinnung und die Energielieferanten. Renner bleiben Telekommunikations-Unternehmen, deren Dienstleistungen in einer digitalisierten Wirtschaft und Gesellschaft unabkömmlich sind. Unter den Logistik-Aktien sind in der Regel die Post-Aktien interessant. Diese Branchen sind weniger konjunkturabhängig als z.B. Konsumaktien, darunter die Post-Aktien noch am ehesten.

Hinzu kommt, dass die klassischen erdölverarbeitenden Energielieferanten (Up- und Downstream) mehr oder weniger energisch in großem Stil auf Alternativenergien umstellen. Es bleibt ihnen angesichts des Klimawandels, der öffentlichen Meinung und der in absehbarer Zeit erschöpften Welt-Erdölreserven auch nichts anderes übrig. Über das Kapital für den weltlebensnotwendigen Umbau verfügen sie dank ihrer Aktionäre. Es geht aus Sicht der Unternehmen um zukunftsträchtige Geschäftsmodelle in einer überschaubaren Branche – Energie – und aus Sicht der Aktionäre um steigende Unternehmenswerte / Aktienkurse als Inflationsschutz und sichere, möglichst stabil wachsende Dividenden, ebenfalls hinsichtlich des Inflationsschutzes.

Anti-Nachhaltigkeits-Bewegung in den USA als 180-Grad-Wendung in der Veranlagungsgebarung

Der aktuelle politische Druck in den USA zwingt eine Reihe großer Vermögensverwalter, darunter die weltgrößten wie Blackwater und Vanguard (verwaltetes Vermögen: 20 Billionen US-Dollar), nachhaltige Unternehmen potentiellen Anlegern nicht mehr zu empfehlen. Sie selbst verkaufen solche Unternehmen aus ihren Portfolios. Es gibt sogar seitens republikanisch regierter Bundesstaaten wie insbesondere Texas Kaufverbote für staatliche Pensions- u.a. Fonds.

Ausgestiegen sind bereits US-amerikanische Großbanken wie JP Morgan, Goldman Sachs, Wells Fargo, Bank of America, Citigroup (verwaltetes Vermögen: 9 Billionen). Ähnliches betrifft die Kreditvergabe. Offen bleibt, wie private und Unternehmensanleger (nicht-staatliche Fonds) künftig disponieren werden.

Unter den angebotenen Finanzanlagen kursieren seit geraumer Zeit besondere Nachhaltigkeitsprodukte in Form sog. ESG-Fonds (mehr dazu hier), die hohe Renditen versprachen und daher recht starken Zulauf hatten; die Renditen wurde seit Erhöhung der Kreditzinsen gebremst, da dadurch kreditfinanzierte Nachhaltigkeitsprojekte (Windparks, Solaranlagen etc.) weniger rentabel wurden.

In der Europäischen Union will man sich weiter an entsprechende Nachhaltigkeitsauflagen festhalten. Bislang wurden in europäische ESG-Fonds 9 Billionen Euro investiert, was 61 Prozent des gesamten Fondmarktvolumens entspricht. Der Zufluss hat sich 2024 allerdings um die Hälfte auf 37 Milliarden Euro reduziert. Zudem wurden mehr ESG-Fonds geschlossen als eröffnet. Nicht nur die hohen Zinsen, die die ESG-Fonds-Renditen beeinträchtigten, führten dazu, sondern auch „grüne Schönfärberei“: es stellte sich da und dort heraus, dass die versprochene Nachhaltigkeit mehr auf dem Papier als in der Wirklichkeit bestand. (Quelle: Wirtschaft vor Acht, ARD, 10.1.2025 (KURZVIDEO, bis 17.1.2025 verfügbar))

FAZIT: Es bleibt abzuwarten, was das für den Klimaschutz in den USA und weltweit künftig bedeutet. Für Österreich stellt sich die Frage, wie eine künftige Regierung sich in Sachen Klimaschutz verhalten wird.

Aktienkauf – der Erwerb einer Unternehmensbeteiligung – bedeutet Übernahme eines Risikos in Hinblick auf das künftige Unternehmensschicksal. Die Dividende stellt eine Risikoprämie dar.

Aktienanalytischer Blick auf Aktien im Euroraum und speziell Österreich (Stand: 24.2.2025):

ACHTUNG – STEUERVERÄNDERUNGEN ANTE PORTAS:
Ins Gerede kommen in absehbarer Zeit auf EU-Ebene und auf Österreich-Ebene vermutlich Aktienbesteuerung (Verkaufsgewinne, Dividenden) ebenso wie Vermögens- und Erbschaftssteuer. Diese Steuern sind in Veranlagungsüberlegungen mit einzubeziehen.

Im Folgenden sind Aktien um 10 Euro je Stück und darunter FETT hervorgehoben.
Neu aufgenommene Aktien werden mit ### gekennzeichnet.

Beobachtenswert ist der Umweltschutz- und Wasserwirtschaftswert Veolia

Ein Kaufsignal liefern weiterhin ENI, UNICREDIT und TOTAL ENERGIES, im Vergleich zum 3.2.2025 stabile Bewertung mit jeweils fünf Sternen bewertet.

Ein Kaufsignal liefern ENEL, PORR, SHELL, VERBUND, ### VIENNA INSURANCE GROUP mit jeweils vier Sternen bewertet.
Im Vergleich zum 3.2.2025 erweiterte stabile Bewertung mit jeweils vier Sternen bewertet.

Ein niedriges KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis) zeichnet aus:
RWE, TOTAL ENERGIES, ### UNICREDIT SPA, PORR, OMV, ### UNIQA, EVN, ENEL, TELECOM AUSTRIA, ### STRABAG, WIENERBERGER, SHELL, PALFINGER.

Aufsteigende Reihenfolge: die erste Aktie RWE ist die mit dem niedrigsten KGV = 4,8, PALFINGER die mit dem höchsten KGV = 9,3.
Im Vergleich zum 3.2.2025 erweiterte stabile Bewertung.

Ein niedriges dynamisches KGV (PEG, Price-Earning-to-Growth) weisen u.a. auf:

ENI, UNICREDIT, ### KONTRON AG, OMV, SHELL, PORR, WIENERBERGER, PALFINGER,

Nicht mehr dazu gehören: VIENNA INSURANCE GROUP, TELECOM AUSTRIA.
Aufsteigende Reihenfolge: die erste Aktien ENI = 0,5 ist die mit dem niedrigsten, PALFINGER die mit dem höchsten PEG = 1,4.
Im Vergleich zum 3.2. 2025 ist die Auswahl verändert, einzelne Aktien kamen dazu, andere fehlen nun!

Als Aktien mit langfristigem Kurspotential werden u.a. gesehen:
TOTAL ENERGIES, ENI, VERBUND, E.ON.SE, EVN, RWE.

Aufsteigende Reihenfolge: am Anfang der Reihe steht jene mit der größten Langfristchance.
Im Vergleich zum 3.2.2025 bleibt die Auswahl stabil, die Reihenfolge hat sich geändert.

Als Aktien mit hoher Sicherheit werden u.a. bewertet VIENNA INSURANCE GROUP, VERBUND; die Bewertungen bleiben unverändert zum 3.2.2025.
Aufsteigende Reihenfolge: am Anfang der Reihe steht jene Aktie mit der größten Sicherheit.

Aktien mit hoher Dividendenrendite sind:
OMV, ORANGE, TELEFONICA, ENI, UNIQA, ENEL.


Aktien mit der größten Dividendenrendite stehen am Anfang der Reihe: OMV 12,6%, am Ende die mit der niedrigsten: Enel 6,7%, jeweils vor Steuer.
Im Vergleich zum 3.2.2025 bleibt die Auswahl gleich, die Reihenfolge hat sich geändert.

KAUFKRITERIEN neben den aktienanalytischen Kennzeichnungen sind der Reihe nach: WER? – Qualität und Charakter (Psychologie!) des Managements, Häufigkeit des Managementwechsels, Unternehmenskultur; WAS? – Produkteinfachheit: „einfach gestrickte“, leicht zu durchschauende/transparente Produkte oder Dienstleistungen, eher kleine Produktpalette bzw. enger umschriebenes Dienstleistungsangebot, Konstanz der Nachfrage; WIE? – Sicherheit, Widerstandsfähigkeit gegenüber wirtschaftlichen Wechselfällen, finanzielle Stabilität des Unternehmens, Konkurrenzsituation; WO? – geographische und „politische“ Lage möglichst fern von Krisengebieten inkl. solchen mit politischer Unruhe oder in Ländern mit totalitären Systemen oder deutlich defekten Demokratien (illiberale Demokratien); WANN? – Lebensdauer bzw. Überlebensdauer (Weltkriege etc.) des Unternehmens bisher, Stetigkeit der Dividendenzahlungen.

FAZIT: vor dem Kauf einer Unternehmensbeteiligung sich zur Aktiengesellschaft schlau machen: WER, WAS, WIE, WO, WANN.

ZWEI DINGE sind zusätzlich zu beachten:

# Langfristanlage durch Erwerb von Defensiv-Aktien (u.a. Energie, Telekom),

# Verbleib in einem Währungsraum, das ist der Euroraum. Daher werden die allseits seit Jahren gehypten US-Aktien hier mit Absicht außen vor gelassen, um das Währungsrisiko klein zu halten. Gleiches gilt für den Erwerb von Schweizer Aktien, wie die Vergangenheit mit Blick auf das sehr wechselhafte Wechselkursverhältnis Schweizer Franken / Euro gezeigt hat. 

Die Europäischen Union als Veranlagungsrisiko?

Das Staatssystem der Europäischen Union kommt einer defekten Demokratie gleich und erstreckt sich in den Währungsraum (Euroland), in dem gehandelt wird. Man spricht auch von einem Demokratie-Defizit der Europäischen Union. Risiken dieser defekten Demokratie, um einige zu nennen, sind: Regelungen „von oben herab“ auf nicht sehr transparente Weise und Steuervorgaben, die sich durch Negieren realer Alltagserfordernisse auszeichnen, Überwachungsbestrebungen, hoher Bürokratieaufwand für Unternehmen und Bürger. All dies markiert Abgehobenheit und Bürgerferne der EU-Politik.

Kennzeichnend für das Gebaren (Governance) der EU ist ein Ineinandergreifen von EU-Exekutive (Kommission mit ihren Kommissariaten) und einem nicht gut überschaubaren Geflecht zahlreicher, der EU nahestehenden und von ihr geförderten Institutionen, Organisationen und Einrichtungen, die auf vielen Ebenen EU-Kommissionsvorgaben umsetzen helfen. Sie helfen insbesondere dabei, die von EU-Rat- und EU-Kommission angedachten, aber für Bürger und Unternehmen noch nicht „akzeptablen“ Vorgaben „schmackhaft“ zu machen, um so zu einer ausreichend hohen Akzeptanz in der Bevölkerung zu führen, die eine politische Umsetzung ermöglicht.

Junker sagte 1999 dazu sehr verkürzt und sinngemäß: was wir heute als EU nicht durchsetzen, das werden wir dann schon später durchsetzen. Dem Lobbyismus Richtung EU-Exekutive (insbesondere seitens der Unternehmen) steht ein „Lobbyismus“ seitens der EU in Richtung auf die Einrichtungen der Mitgliedsländer sowie auf die Unternehmen und die Bevölkerung gegenüber, dessen Räderwerk für den Normalbürger praktisch nicht durchschaubar ist. Inwieweit kommt dies einem autokratischen Verhalten von der Maschek-Seite gleich?

Hauptziel der EU-Bestrebungen ist die Etablierung der Vereinigten Staaten von Europa, die den derzeit bestehenden Verbund der Mitgliedsstaaten ersetzen soll. Das deutet auch der Wechsel der Namensgebungen im Zeitverlauf an:

# Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, umgangssprachlich auch Montanunion, 1951)

# Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, 1957 inklusive EURATOM)

# Europäische Gemeinschaften (EG, 1965 ff., Fusion von EWG, EURATOM und einzelnen EG-Organen, Fusions- und Folgeverträge)

# Europäische Gemeinschaft (EG, seit 1993 ff., Maastricht- und Folgeverträge)

# Europäische Union (EU, 2007, Lissabon- und Folgeverträge)

1948
1948
Brüsseler
Pakt
1951
1952
Paris
1954
1955
Pariser
Verträge
1957
1958
Rom
1965
1967
Fusions-
vertrag
1986
1987
Einheitliche
Europäische Akte
1992
1993
Maastricht
1997
1999
Amsterdam
2001
2003
Nizza
2007
2009
Lissabon
Europäische GemeinschaftenDrei Säulen der Europäischen Union
Europäische Atomgemeinschaft (Euratom)
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)Vertrag 2002 ausgelaufenEuropäische Union (EU)
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)Europäische Gemeinschaft (EG)
Justiz und Inneres (JI)
Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS)
Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ)Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)
Westunion (WU)Westeuropäische Union (WEU)
aufgelöst zum 1. Juli 2011

Problematisch bleibt dabei: je größer die Zentralisation von Staatsmacht, umso größer die Machtfülle, die mit „eiserner Harke“ über berechtigte (!) Einzelinteressen der Mitgliedsstaaten und damit der Bürger drüberfährt. Das Prinzip der Subsidiarität bleibt dabei auf der Strecke, so wie dieses Prinzip z.B. Österreich 1994 anlässlich der Vorabstimmungskampagnen versprochen wurde. Wurde das Versprechen eingelöst?

Beispiele der Machtfülle durch Zentralisierung liefern alle großen Staaten, u.a. Russland und China, die geradezu Musterbeispiele dafür darstellen.

Ein Problem des Staates an sich ist das Machtmonopol, das bei ihm liegt und liegen muss, will er Gesellschaft – das Staatsvolk – und die Abläufe darin mit Erfolg, also: durchsetzungskräftig organisieren. Das Problem ergibt sich aus dem Spannungsfeld zwischen unbeschränkter Freiheit des Individuums (Libertarismus) und unbeschränkter Freiheit des Staates (Totalitarismus).

Wie dieses Machtmonopol ausgestaltet wird, unterliegt in Demokratien dem Willen des Wahlvolkes, in nicht-demokratischen Staaten dem Willen des autoritären, totalitären oder autokratischen Machthabers. In defekten Demokratien ist die Mitbestimmung des Volkes eingeschränkt. Defekte Demokratien existieren in einer Grauzone, deren Konstituenten und ihre gegenseitige Einflussnahme nicht leicht zu bestimmen sind. Somit ist auch der Defektheitsgrad einer defekten Demokratie nicht leicht zu bestimmen und unterliegt, je nach politischer resp. ideologischer Perspektive, unterschiedlichen Wertungen.

Die idealtypische Dreiteilung der Regierungsformen existiert in der Wirklichkeit nicht: keine Demokratie der Welt entspricht der idealen Form, weist also im Ansatz Eigenschaften einer defekten Demokratie auf, kein totalitärer Staat schränkt die individuellen Freiheiten vollständig ein, es verbleibt den Bürgern dort ein mehr oder weniger großer Freiheitsraum.

Hinsichtlich des staatlichen Machtmonopols, das zudem bei anwachsender  Zentralisation der Staatsgewalt zur Zunahme neigt, ergibt sich die Erkenntnis: so wenig Staat wie möglich, so viel Staat wie nötig als einer Einrichtung, die mit einem mit Rechtsgewalt in das Leben seiner Bürger eingreifenden Machtmonopol versehen ist, das für das „Funktionieren“ einer Gesellschaft unaufgebbar ist.

Die dafür notwendigen rechtlichen Verregelungen des Alltagslebens durch Allgemeines Gesetzbuch, Strafgesetzbuch, Angestelltengesetz etc.etc. sind zahllos und gelten bei ausnahmslos jeder Handlung, werden aber – ebenso regelhaft – dem Bürger erst dann bewusst, wenn es zu schwerwiegenden Regelverstößen oder Regelbruch-Sanktionierungen kommt. 

Rechtliche Verregelungen sind Ausdruck der jeweiligen Ausprägungen eines Rechtsstaates; dieser wird in einer idealen Demokratie nicht durch Willküreinwirkungen korrumpiert: das ist ein wesentliches Kennzeichen demokratischer Rechtsstaatlichkeit. Auf Rechtsstaatlichkeit pflegen sich auch autoritäre, totalitäre oder autokratische, kurz: diktatorische Systeme zu berufen, doch wird der Rechtsstaat dort durch Willküreingriffe korrumpiert: Rechtsbiegung als Kennzeichen von Autokratien etc. In einer defekten Demokratie wird die Rechtsstaatlichkeit (leicht) eingeschränkt, womit das Risiko entsteht, in eine Autokratie abzugleiten.

Nur in formalrechtlicher Hinsicht war zum Beispiel auch der NS-Staat ein Rechtsstaat, besaß er doch gemäß der NS-Grundsätze umgearbeitete Gesetze aus der Weimarer Republik und neue Gesetze im Sinne der NS-Ideologie, auf die er sich in der Rechtsprechung berief und von denen viele in einem „normalen“, d.h. hier NS-konformen Rechtssetzungsprozess entwickelt wurden. Daran ändert nichts die Gepflogenheit, den NS-Staat in inhaltlich-ethischer Hinsicht als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Ein krasses Beispiel für einen NS-Rechtserlass im autokratischen Sinn ist unter diesem Link einsehbar.

Kennzeichnend für die Biegsamkeit des Rechts je nach Staatsraison ist die Tatsache, dass Juristen nach einem Regimewechsel ihre Posten in der Regel nicht verloren, sondern im neuen Regime weiter im Dienst des Rechts ihre berufliche Tätigkeit frei oder im öffentlichen Dienst ausübten. So wurden Juristen und Richter nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes ohne weiteres in den öffentlichen Dienst der entstehenden Bundesrepublik Deutschland übernommen. Vergleichbares geschah nach dem Fall der UdSSR oder DDR.

Das „Funktionieren“ einer Gesellschaft dank dafür sorgender Rechtsstaatlichkeit bedeutet in einer Demokratie das Herstellen eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen einerseits den rechtsstaatlich gesicherten Freiheitsbedürfnissen des Individuums unter für ihn zureichenden wirtschaftlichen Gegebenheiten und andererseits den „Freiheitsbestrebungen“, somit Machtbestrebungen des Staates, mit dem Ziel, ein Höchstmaß an Gemeinwohl resp. Sozialfrieden in Freiheit herzustellen. Als Garant dafür dient die Gewaltenteilung und ein entsprechend stark regulierter und damit gewaltgebändigter Polizei- und Geheimdienstapparat sowie als vierte Gewalt die Sicherstellung einer freien Presse. MOTTO: Nimm Freiheitsbeschränkungen mit Blick auf das Gemeinwohl aus Überzeugung an, wir helfen dir dabei durch politische Aufklärung und sachliche Bildungsarbeit!

Das „Funktionieren“ einer Gesellschaft dank dafür sorgender Rechtsstaatlichkeit bedeutet in einer Autokratie, im Autoritarismus und vor allem im Totalitarismus Ausgesetztheit vor rechtsbeugenden willkürlichen Staatseingriffen auf die ohnehin reduzierten Freiheitsmöglichkeiten des Individuums unter nicht selten unzureichenden wirtschaftlichen Gegebenheiten zu Gunsten der Machtbestrebungen des Staates mit dem Ziel, ein Höchstmaß an „Gemeinwohl“ resp. „sozialem Frieden“ in Unfreiheit zu erzwingen. Als Garant dafür dient die Einschränkung, womöglich Aufhebung der Gewaltenteilung sowie ein entsprechend stark ausgeprägter und mit gering regulierter Gewalt ausgestatteter Polizei- und Geheimdienstapparat sowie eine allgegenwärtige Brachial-Propaganda unter Ausschaltung der Pressefreiheit. MOTTO: Kusch, sonst trifft dich der Polizeiknüppel und du landest im Gulag, folgst du nicht den Propaganda-vermittelten Staatszielen!

Das „Funktionieren“ einer Gesellschaft dank dafür sorgender Rechtsstaatlichkeit in einer defekten Demokratie gibt in (noch) geringem Ausmaß jene Prinzipien auf, die eine Demokratie hervorheben. Als Garant dafür dient eine Einschränkung der Gewaltenteilung und ein nicht allzu gestärkter und nicht allzu sehr mit herabgesetzter regulierter Gewalt ausgestatteter Polizei- und Geheimdienstapparat sowie eine verhältnismäßig subtil eingesetzte Propaganda und Beeinflussungsmaschinerie. MOTTO: Folge der politischen Verführung und glaube, es sei deine Entscheidung, sonst zwiebeln wir dich mit Exekutivmaßnahmen!

Eine solche Beeinflussungsmaschinerie hat die exekutiv im Grunde genommen schwach aufgestellte EU entwickelt, was zu eben der Ausbildung dieser „Schattenexekutive“ geführt hat. Sie trägt damit – nicht so ohne weiteres sichtbar für den Normalbürger – ein Kennzeichen einer defekten Demokratie. Damit steht die Gefahr im Raum, weiter an demokratischen Eigenschaften einzubüßen und zu einem politischen und wirtschaftlichen Risiko heranzureifen. In der Tat bemüht sich die EU um Stärkung ihrer Polizeigewalt (Frontex, 2004, weiterer Ausbau) und damit um Ausbildung eines weiteren Kennzeichens defekter Demokratien insofern der Vorwurf stimmte, dass Frontex auch innerhalb der EU eingesetzt werden könnte.

Was die Beeinflussungsmaschinerie der EU betrifft, hat 2011 der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger (1929-2022) die Europäische Union als “sanftes Monster Brüssel“ bezeichnet und von der „Entmündigung Europas“ gesprochen. Er anerkennt segensreiche Folgen ihres Wirkens, macht aber zugleich auf die strukturellen Defizite dieser überstaatlichen Einrichtung aufmerksam, die durch massive Öffentlichkeitsarbeit, um nicht zu sagen: Propaganda – geschickt durch das vorbeschriebene Geflecht an Organisationen, Instituten, Einrichtungen etc. vermittelt –, übertüncht werden. Bezeichnend ist sein Ausspruch: „Je dünner die Legitimität [ihres politischen Handelns], umso dicker der Glibber der PR.“

Die geschilderte Gefahr liegt nicht darin, sich im Euro-Währungsraum zu bewegen. Sie liegt darin, dass infolge mangelnder demokratischer Kontrolle politisch einer Gesinnungsethik und nicht einer Verantwortungsethik gefolgt wird. Damit einher ginge eine Abgehobenheit von den Realitäten des täglichen Lebens der Bürger und Unternehmen. Das führte kurz über lang zu einer Schwächung des Euros im Währungskonzert. Ein Risiko erwüchse dann eher daraus, dass es nicht sicher ist, ob der Währungsraum „Euro“ eines Tages zerbricht, zum Beispiel dadurch, dass im Konzert mit anderen Währungen die derzeit ohnehin angekratzte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Europäischen Union noch weiter geschwächt würde und der Euro fortgesetzt an Wert verlöre. Letzteres erleichterte das Auseinanderbrechen der Europäischen Union, die Eigeninteressen der Mitgliedsländer träten wieder stärker hervor.

Dieses Auseinanderbrechen der Europäischen Union ist derzeit unwahrscheinlich, aber denkmöglich als Folge von: fortgesetzter Wirtschaftsschwäche; weiter zunehmender Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Zunahme nationalkonservativer bis rechtsextremer Haltungen; fortgesetztem „Rütteln an den Ketten“ seitens ehemaliger UdSSR-Bruderstaaten; fortgesetzter Aufnahme neuer Mitgliedsländer speziell aus dem Balkan und dem ehemaligem UdSSR-Einflussbereich (Serbien, Ukraine); gravierenden, von den Bevölkerungen der Mitgliedsstaaten nicht mitgetragenen außen- und innenpolitischen Entscheidungen. 

Bräche die EU, so bräche spätestens dann auch der Euro; im Übrigen weist die Geschichte der Währungsunionen auf deren Brüchigkeit hin: sie halten in der Regel nicht lange. Den Anleger zwingt unter anderem auch dies beizeiten zu überlegen, in welcher Währung er außerhalb des Euroraumes investieren soll. Angesichts des unsicheren Status des US-Dollars als Weltwährung ist dies eine herausfordernde Frage. Sie stellt sich glücklicherweise derzeit nicht, sondern taucht nur schemenhaft als Denkmöglichkeit am Horizont einer eher ferneren Zukunft auf. Aber: sie taucht auf und kann blitzesschnell elefantengroß im Raum stehen.  

FAZIT: die Europäische Union birgt für den Anleger derzeit nur am Zukunftshorizont sich abzeichnende Risiken. Sie entspringen u.a. daraus, dass die EU weniger aus der Position der Stärke als eher aus der der Schwäche handelt. Im Vergleich zur Situation des Kalten Krieges und damit zur Gründerzeit der EU-Vorläufereinrichtungen, in der es nur einen wirtschaftsmächtigen geopolitischen Spieler und gleichzeitigen Verbündeten – die USA – gab, steht die Europäische Union heute zwischen zwei Wirtschaftsblöcken: dem des USA-geführten Westens und dem des sog. globalen Südens. Das erzeugt Druck, allzumal Zeitdruck, treibt die EU an und lässt sie, will sie nicht aufgerieben werden, nach Machtvergrößerung durch Zentralisierung streben – ein Demokratierisiko ersten Ranges, damit in der weiteren Folge ein Wirtschafts- und letztlich Veranlagungsrisiko. 

Grundsätzliches zur Währungsspekulation

Währungs-Spekulation ist ein äußerst schwieriges, glitschiges, hochriskantes Geschäft, bedarf langjähriger Erfahrung, tagtäglicher Marktbeobachtung und eines guten Magens: Schocks und erratische Marktbewegungen müssen ausgehalten werden – psychisch und finanziell. Einer der bekanntesten und erfolgreichsten Währungsspekulanten im deutschsprachigen Raum ist Folker Hellmeyer (Hellmeyer-Website, Hellmeyer-Kurzportrait (Goldseiten), Hellmeyer auf Netfonds usf.).

Zweck der Währungsspekulation?

Wie bei den Warenoptionsmärkten dient auch der Währungsoptionsmarkt dazu, sehr starke Schwankungen im Wert einer Währung (Devise) zu verhindern: sehr starken Verteuerungen oder Verbilligungen einer Währung im Devisenmarkt (Währungs- oder FOREX-Markt) wird so gegengesteuert. Dafür sorgen die vielen Marktteilnehmer, von denen ein Teil den künftigen Wert einer Währung (Devise) höher, der andere diesen Wert tiefer einschätzt. Dies führt dazu, dass sich eine Art mittlerer Wert für diese Währung einstellt. Währungsoptionsmärkte sind rund um den Globus nahezu 24/7, also nahezu täglich rund um die Uhr, offen (Warenoptionsmarkt, Optionen im Freihandel).

Anders ausgedrückt: Die Spekulanten sichern sich mit ihrem Engagement gegen das Risiko eines Währungsverfalls oder eines Währungsanstiegs ab. Währungsanstiege sind ein Risiko für Käufer auf Warenmärkten, Währungsabwertungen sind ein Risiko für Verkäufer auf Warenmärkten. Gleiches gilt selbstverständlich auch für Dienstleistungen im internationalen Dienstleistungsaustausch. Die gegenläufigen Interessen auf dem Währungsoptionsmarkt „mitteln“ sich aus.

Allgemein gesprochen handelt es sich bei den Geschäften auf Optionsmärkten um Absicherungsgeschäfte oder Hedging.

Nochmals anders ausgedrückt: Auf aggregiertem Niveau (Makroebene) sorgt der Währungsoptionsmarkt für die Stabilität einer bestimmten Währung im Konzert der anderen Währungen im Devisen- resp. Währungsmarkt (Kassa- oder Spot-Markt, das Pendant zum Optionsmarkt).

Eine stabile Währung ist für die Volkswirtschaft, in deren Bereich diese Währung als Zahlungsmittel dient, eine Lebensnotwendigkeit für das optimale Funktionieren der volkswirtschaftlichen Grundvorgänge Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen. Erratische Schwankungen im Währungs- oder Devisenmarkt erschweren auf der Ebene der Unternehmen (Mikroebene) innerhalb und außerhalb einer Volkswirtschaft erheblich Kalkulationen mit Sicht auf künftig geplante Käufe und Verkäufe. Erratische Schwankungen einer Währung schwächen die Wirtschaftsleistung der zugehörigen Volkswirtschaft, eine stabile Währung fördert sie. Dies gilt auch für Volkswirtschaften außerhalb des entsprechenden Währungsraumes, sofern sie mit dieser Volkswirtschaft handelnd in Verbindung stehen.

FAZIT: Währungsoptionsmärkte sind für das Wirtschaftsgeschehen im Konzert der verschiedenen Volkswirtschaften überlebenswichtig.

Die heilige Trias

Diese Zusammenhänge bleiben in der Regel für Otto Normalverbraucher genauso verborgen wie die Bedeutung der nicht-demokratisch agierenden Zentralbanken, die mit ihren Zinsentscheidungen tief in das Wirtschaftsleben und somit in das Alltagsgeschehen der Menschen eingreifen. Warenmärkte, Währungsmärkte und Zentralbanken sind in einem fortlaufenden Marktgeschehen untrennbar und maßgeblich untereinander verbunden. Dabei modulieren und moderieren die Zentralbanken über den Zinssatz die Abläufe in Waren- und Währungsmärkten und den zugehörigen Optionsmärkten.

Für Otto Normalverbraucher sind Spekulanten auf diesen Märkten in aller Regel ganz, ganz böse Subjekte, die sich mit ihren Spekulationsgewinnen die Taschen vollstopfen.

Wer sind diese Subjekte auf Währungsoptionsmärkten?

Auf Währungs- und Währungsoptionsmärkten agieren in großer Zahl Staatsstellen, staatliche und private Pensionsfonds, multinationale und andere Unternehmen, Finanzinstitute (Banken u.a.), Hedgefonds u.a.

Otto Normalverbraucher verkennt in aller Regel den Sinn dieser Märkte und die Rolle der Spekulanten dort; denn:

Die Währungsoptionsmärkte zeichnen für das Wohl und Wehe im höchstpersönlichen Alltagsleben des kleinen Mannes auf der Straße verantwortlich, indem sie für relative Währungsstabilität sorgen. Doch Märkte sind keine Subjekte. Somit sind präzise gesprochen nicht „die Märkte“, sondern die Teilnehmer an Währungsoptionsmärkten – also die risikoübernehmenden Spekulanten – für das Wohl und Wehe von Otto Normalverbrauchers alltäglichem Leben verantwortlich.

Daher lässt sich interpretieren: In der Erhaltung der Währungsstabilität liegt der soziale Sinn der Spekulation. Dabei dient der Spekulationsgewinn als Entgelt für die risikobehaftete Sorge um eine stabile Währung.

Es kommt zu einem „paradoxen“ Effekt: die Befriedung der Einzelinteressen der Subjekte, den Spekulanten, trägt vermittels des Marktgeschehens zur Optimierung des Gemeinwohls bei.

Die Umsätze in Devisen- und Währungsoptionsmärkten sind die größten weltweit und erreichen täglich Milliarden bis Billionen von Währungseinheiten. Im Jahr 2022 wurden allein im Devisenmarkt täglich durchschnittliche Umsätze in Höhe von 7,5 Billionen US-Dollar gehandelt. Zu beachten ist, dass dabei immer Währungspaare gehandelt werden und zudem die Umsätze „doppelt“ anfallen: als Verkaufs- und als Kaufpreis in Summe. Das plustert das tägliche Handelsvolumen ordentlich auf.

Was für die Währungsoptionsmärkte gilt, gilt ebenso für die Warenoptionsmärkte: es geht um die Stabilisierung von in großen Mengen gehandelten Waren wie Weizen, Schweinehälften Orangensaft, Kaffee und vieles andere mehr. Die aufgezählten Waren stehen für solche, die für die Bevölkerungen hohe Bedeutung haben.

Wozu Optionsmärkte gut sind

Aber es gibt doch nach wie vor Preissprünge auf den Warenmärkten, von erratischen Ausschlägen an den Devisenmärkten war auch schon die Rede: wie passt das ins Bild?

Ohne die Terminbörsen wären die Ausschläge um einiges stärker, die Preise höher.

Drei Beispiele dazu:

#1 Hitler verbot die große Bremer Kaffeebörse. Daraufhin sicherte sich der Großhandel gegen Preisanstiege bei Kaffee ab, indem er von Haus aus deutlich höhere Preise für den Handel, die Geschäfte, einforderte. Resultat war der berühmt-berüchtigte Blümchenkaffee: die Konsumenten sparten am Kaffee, indem sie möglichst wenig davon zum Aufbrühen verwandten, also sah man durch den dünnen Kaffee das Blümchen am Grund der Kaffeetasse.

# 2 Waren, die nicht abgesichert werden können, weisen größere Preissprünge und höhere Preise auf; bremsend auf den Warenpreis (Aktienpreis, Devisenkurs) wirkt allein die Konkurrenz oder eine schwache Nachfrage oder ein überreichliches Angebot.

# 3 Die erste Warenoptionsbörse wurde 1848 in Chicago gegründet. Hintergrund war der bereits gewachsene Welthandel mit Waren, die großteils noch mit Segelschiffen über die Weltmeere transportiert wurden. Zwar befuhren die ersten Dampfschiffe Ende der 1830er Jahre den Atlantik, doch die eigentliche Verdrängung des Segelschiffs als Transportmittel setzte erst ab den 1870er Jahren ein.

Die Notwendigkeit, sich gegen den Verlust der Waren infolge Schiffuntergangs zu schützen oder sich überhaupt vor unerwarteten Preisveränderungen während der langen Schiffsfuhren abzusichern, führte zur Einrichtung der Chicagoer Warenbörse (Chicago Board of Trade), 1848 zunächst als Kassen- oder Spotmarkt, 1864 dann als Warenterminmarkt. Fortan konnten Käufer und Verkäufer Warenpreise vereinbaren für Warenlieferungen in ein, zwei, drei, sechs Monaten, was die Sicherheit der unternehmerischen Kalkulation erheblich erhöhte, da nun die Preisrisiken nicht von den Warenverkäufern und -käufern selbst, sondern von den Spekulanten übernommen wurden. Es entstand eine hochspezialisierte Zunft von Spekulanten, darunter viele Versicherungen.

Die Spekulanten hatten die Zeit und die Informationsmittel, sich über Warenpreisänderungen am Warenursprungsort und über Transportverzögerungen oder Schiffsunfälle zu informieren. Schlechte Kaffee- oder Kakao-Ernten, transportverzögernde Windflauten oder Schiffsunglücke blieben für sie kein Geheimnis, entsprechend diesen Informationen disponierten sie am Warenterminmarkt ihre Preisvorstellungen, doch in der Vergangenheit geschlossene Warenpreise für eine bestimmte Ware zu einem bestimmten Termin blieben davon unberührt.