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FAZIT DES TAGES – oder: Nachrichten aus dem irrwitzigen Weltzirkus
- ISRAEL-HAMAS-HISBOLLA-KRIEG: Tödlicher Anschlag in Jerusalem.
Raketen aus Gaza und dem Jemen (Flughafen).
Trump warnt Hamas, falls diese nicht alle Geiseln freilasse.
Trump-Vorschlag für einen Waffenstillstand, Hamas zu Verhandlungen bereit.
Jordanien gegen Vereinnahmung des Westjordanlandes durch Israel.
Propalästinensische Demonstration in London nach Gewalttaten aufgelöst.
UKRAINE-KRIEG: Internationale Empörung über massiven Angriff Russlands auf die Ukraine und Kiew.
Trump verärgert, erwägt Sanktionen gegenüber Russland.
Kampf um Pokrowsk: ukrainische Rückgewinnungen fünf Mal großer als die Vorstöße Russlands.
Russland rekrutiert massiv neue Soldaten.
Nordkoreanische Arbeiter werden in russischer Kriegswirtschaft eingesetzt.
Krieg durch Vorbereitungen zum Krieg verhindern: die Einrichtung eines Weltfriedens ist gescheitert – KOMMENTAR / ESSAY - NORWEGEN: Wahlen rücken heran.
- FRANKREICH: Regierung vor dem Aus.
- ÖSTERREICH: Beratungen zur Staffelung der Pensionen.
Prozess in Graz wegen NS-Wiederbetätigung.
Überlegungen zur Kärntner Tourismusreform. - Weitere COMMENTS vorhanden
MÄRKTE – Am Freitag schwach. DAX charttechnisch angeschlagen.
SENTIX – Bärige Stimmung lässt auf Kursanstiege in den USA und Deutschland hoffen.
THEMENREIGEN – RELIGION: Wunder-Hype: Heiligsprechung des 15-jährigen Carlo Acutis.
Viel Stoff – Nutze die Suchfunktion!
Apropos Weltzirkus: Zirkus ist was für Kinder und Junggebliebene, Staunen und Lachen über die Clowns! Im Weltzirkus tummeln sich viele Zauberkünstler und Clowns. Lachen wir also, Lachen ist die beste Medizin gegen Depressionen.
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MÄRKTE
DJI – BAHA *** DJI – KGV *** Rendite 10-jg. US-Anleihen
DAX Deutsche Börse *** DAX – KGV *** Rendite 10-jg. Bundesanl. *** Euro-Bund Futures
COMMENT: Schwacher DJI, Schwacher DAX am Freitag. Die Unterstützungslinie des aufsteigenden Dreiecks wurde neuerlich unterschritten (blaue Linie), der gleitende Durchschnitt für 100 Tage wurde bereits zuvor unterschritten.
WOCHENAUSBLICK: Schwacher US-Arbeitsmarkt hält Vorsicht hoch – 5.9.2025
FRANKFURT (dpa-AFX) – Nach einem schwachen US-Arbeitsmarktbericht vom Freitag dürften sich die Anleger am deutschen Aktienmarkt auch in der neuen Woche eher zurückhalten. Angesichts der Jobdaten dürfte einer US-Leitzinssenkung Mitte September zwar kaum noch etwas im Wege stehen, gleichzeitig kommen aber Konjunktursorgen auf. Von seinem jüngsten Kursrutsch hat sich der Dax schon merklich erholt – ob das so weiter geht, scheint aber erst einmal offen.
Es würden Stimmen laut, die sinkende Zinsen beim nächsten Sitzungstermin der US-Notenbank am 17. September als verspätet einstuften, so Marktexperte Andreas Lipkow. Gleichwohl könnte Fed in der übernächsten Woche erneut zum Retter der Märkte avancieren, kommentierte Analyst Frank Sohlleder vom Broker Activtrades.
„Nach einem holprigen Start in den Börsenmonat September haben die Anleger wieder in ihren optimistischen Kaufmodus zurückgefunden“, schrieb Jürgen Molnar, Kapitalmarktstratege vom Broker Robomarkets. Der Dax bleibe ein Stehaufmännchen. Trotz geopolitischer Risiken und hoher Anleiherenditen seien die Anleger weiterhin risikobereit. Jochen Stanzl vom Handelshaus CMC Markets erinnerte daran, dass der deutsche Leitindex trotz negativer Nachrichten wochenlang gestiegen war. Wenn die Stimmung aber einmal kippe, könne das viel Geld kosten.
Mit dem schwachen Arbeitsmarktbericht sei die Tür für eine Zinssenkung der Fed förmlich aufgerissen, kommentierte Marktbeobachter Thomas Altmann von QC Partners. Robert Greil, Chefstratege der Privatbank Merck Finck, verwies aber auf die am Donnerstag anstehenden Verbraucherpreisdaten in den USA: „Treiben die Preiserhöhungen die US-Inflation bereits im August auf 3 Prozent oder gar darüber, dann würden die Inflationsbedenken spürbar zunehmen.“ Dies könne auch die Erwartungen an eine Zinssenkung noch einmal ins Wanken bringen.
Die Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) am 11. September dürfte angesichts der gespannten Blicke auf die Fed beinahe zur Nebensache werden. Marktstratege Robert Halver von der Baader Bank warnte jedoch, dass die spürbar höheren US-Zölle erst jetzt bei den Unternehmen der Eurozone ankämen. Auch wenn bei der kommenden Sitzung mit einer Fortsetzung der Zinssenkungspause gerechnet werde, könne die EZB im Herbst daher zumindest noch einen letzten Zinsschritt vornehmen.
Dabei gehe es laut Halver auch um eine „finanziellen Schmerzlinderung für völlig überschuldete Euro-Länder“. Hier sei Frankreich das neue Sorgenkind.
COMMENT: um diese „finanzielle Schmerzlinderung“ ging es nach der Finanzkrise über Gebühr lange für die Länder des europäischen Südens. Das ist nicht Geldpolitik (Zinsregulierung), das ist schlicht und einfach eine politische Agenda: Euroland muss zusammengehalten werden, „koste es, was es wolle“ (Draghi 2012). Nun also die Rückkehr zu dieser Zentralbank-fremden Intervention. Die regulierende Kraft des (hier: französischen) Anleihemarktes wird einfach außer Kraft gesetzt: Schulden in Frankreich, kein Problem, wir als Europäische Zentralbank richten das schon. Also tut ruhig weiter mit der Verschuldungsorgie.
Am Montag will der französische Ministerpräsident Francois Bayrou die Vertrauensfrage im Parlament stellen. Im Falle eines Scheiterns erwartet Halver weiter steigende Risikoaufschläge für französische Anleihen, was die Kreditzinsen Frankreichs erhöhe. Die Experten der Landesbank Hessen-Thüringen, Helaba, schreiben gar von einem drohenden Teufelskreis zwischen Zöllen und Schuldendruck.
Die US-Zölle belasteten zuletzt auch die deutsche Industrie, die im Juli den nächsten Auftragsdämpfer hinnehmen musste. Großaufträge ausgeklammert, setze sich die träge Erholung aber fort, konstatierte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank. „Erstaunlich ist die Tatsache, dass trotz der von Donald Trump verhängten Zölle die Auftragseingänge überhaupt einen positiven Trend ausweisen.“ Die deutsche Wirtschaft könne den Zollquerelen trotzen. Zu Wochenbeginn folgen Daten zur Industrieproduktion.
Unternehmensseitig dürften am Montag außerdem die Rückversicherer rund um Munich Re und Hannover Rück anlässlich des jährlichen Branchentreffens in Monte-Carlo im Fokus stehen. Am Dienstag könnten die Autowerte zur Eröffnung der internationalen Automesse IAA Mobility einen Blick wert sein. Obendrein stehen mit Quartalszahlen von Oracle, Inditex und Adobe im Wochenverlauf international einige Unternehmensberichte an, die sich auch auf deutsche Aktien auswirken könnten./niw/gl/mis
— Von Nicklas Wolf, dpa-AFX —
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GESELLSCHAFTSSEISMOGRAPH BÖRSEN
findet sich am Ende des Tagesblicks
HELLMEYER-REPORT (Märkte u.a.m.)
Sommerferien – der Report entfällt bis Sonntag, 14.9.2025.
SENTIX
Ungewöhnliche Stabilität dank vieler kurzfristiger Aktien-Bären – SENTIX Survey Essentials (36-2025)
Zwischen der Haltung von Anlegern, die von der AAII in den USA befragt werden, und sentix-Anlegern besteht in Bezug auf Aktien weiter eine große Diskrepanz. In den sentix-Daten sind viel mehr neutrale Anleger zu finden. Nur 2006 konnten wir ähnlich hohe Differenzen messen. Die Zahl der kurzfristigen Bären ist dagegen ähnlich hoch und diese Tatsache verleiht dem Markt derzeit seine ungewöhnliche Stabilität.
Weitere Ergebnisse
- Bonds: Das strategische Grundvertrauen wird untergraben
- Silber: Euphorische Stimmung
- sentix Konjunkturindex: Montag, 08.09.2025, 10.30 Uhr MESZ
ZENTRALBANKEN
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WIRTSCHAFTSMELDUNGEN IM ÜBERBLICK
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ISRAEL-IRAN-HAMAS-HISBOLLAH-KRIEG
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ISRAEL-IRAN-KRIEG im n-tv Liveticker
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ISRAEL – NAHOST-KONFLIKT im n-tv Liveticker
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ISRAEL – NAHOST-KONFLIKT im FAZ-Liveblog
Bei einem mutmaßlichen Anschlag in Jerusalem sind nach Angaben von Sanitätern mindestens vier Menschen getötet worden.
Der israelische Rettungsdienst Magen David Adom teilte mit, zwölf weitere Personen seien verletzt in Krankenhäuser gebracht worden. Sieben davon hätten schwere Verletzungen erlitten. Der Rettungsdienst Zaka berichtete, zwei mutmaßlich palästinensische Attentäter seien getötet worden.
Die Polizei teilte mit, man gehe von einem Anschlag im Norden der Stadt aus. Zufahrtswege seien gesperrt worden. Die beiden Attentäter seien in einem Fahrzeug zur Ramon-Kreuzung im Norden Jerusalems gekommen. An einer Bushaltestelle hätten sie das Feuer eröffnet. Ein Sicherheitsbeamter und ein bewaffneter Zivilist hätten auf sie geschossen und sie „ausgeschaltet“. Zahlreiche Polizeikräfte seien zur Sicherung des Anschlagsorts im Einsatz, auch mit Sprengstoffexperten. Forensische Teams kümmerten sich um die Spurensicherung.
Ein Wachmann aus einem naheliegenden Busbahnhof sagte dem israelischen Fernsehsender Channel 13, zwei bewaffnete Männer seien an einer Kreuzung in einen Bus eingedrungen, es seien Schüsse gefallen. „Der Bus ist vorn von Schüssen durchlöchert“, sagte er. Einer der Angreifer habe auch ein Messer getragen. Auf Fotos sind Einschusslöcher in mehreren Scheiben des Busses zu sehen. Ein Sanitäter berichtete nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur: „Als ich am Einsatzort ankam, sah ich mehrere Schussverletzte am Boden liegen, einige von ihnen waren bewusstlos.“ Er habe einem etwa 45 Jahre alten, schwer verletzten Mann medizinische Hilfe geleistet. Der durch Schüsse getroffene Mann sei bei Bewusstsein gewesen und ins Krankenhaus gebracht worden.
Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz hat vor einer Offensive in Gaza-Stadt abermals eine scharfe Warnung an die islamistische Terrororganisation Hamas ausgesprochen.
„Heute wird ein gewaltiger Hurrikan über den Himmel der Stadt Gaza hereinbrechen und die Dächer der Terror-Hochhäuser werden beben“, schrieb Katz in einem Post auf der Plattform X. „Dies ist die letzte Warnung an die Mörder und Vergewaltiger der Hamas in Gaza und in den Luxushotels im Ausland: Lasst die Geiseln frei und legt die Waffen nieder – oder Gaza wird zerstört und ihr werdet vernichtet“, schrieb Katz weiter. Die israelische Armee bereite sich weiter auf eine Ausweitung des Einsatzes vor.
Zuvor hatte bereits US-Präsident Donald Trump eine „letzte Warnung“ an die Hamas ausgesprochen, um kurz vor Israels drohender Großoffensive in der Stadt Gaza eine diplomatische Lösung zu erzwingen. Israel habe seine Bedingungen akzeptiert, es sei an der Zeit, dass auch die Hamas sie akzeptiere, schrieb Trump auf seiner Plattform Truth Social. Die Hamas zeigte sich daraufhin zu „sofortigen Verhandlungen“ bereit. Man begrüße „jeden Schritt, der dazu beiträgt, die Aggression gegen unser Volk zu beenden“.
Nach Informationen des israelischen Senders Channel 12 sieht der Vorschlag die Übergabe aller 48 Geiseln – sowohl der lebenden als auch der toten – am ersten Tag des Inkrafttretens einer Waffenruhe vor. Im Gegenzug wird Israels Armee ihre Offensive in Gaza-Stadt einstellen. Ferner soll Israel demnach Tausende palästinensische Häftlinge aus seinen Gefängnissen entlassen, darunter Hunderte, die wegen der Tötung von Israelis zu lebenslanger Haft verurteilt wurden.
Die islamistische Terrororganisation Hamas hat sich nach einer „letzten Warnung“ des US-Präsidenten Donald Trump im Ringen um die Freilassung der Geiseln im Gazastreifen zu sofortigen Verhandlungen bereiterklärt.
„Wir haben über Vermittler einige Vorschläge von amerikanischer Seite erhalten, um ein Waffenstillstandsabkommen zu erzielen“, hieß es in der Nacht in einer Hamas-Erklärung.
Trump hatte kurz zuvor auf seiner Plattform Truth Social geschrieben, die israelische Regierung habe seine nicht näher genannten Bedingungen akzeptiert. Es sei an der Zeit, dass auch die Hamas sie akzeptiere. „Das ist meine letzte Warnung, es wird keine weitere geben!“, fügte Trump hinzu.
Die Hamas erklärte, sie sei „bereit, sich unverzüglich an den Verhandlungstisch zu setzen“, um über die Freilassung aller Geiseln „im Austausch für eine klare Erklärung zur Beendigung des Krieges, einen vollständigen Rückzug aus dem Gazastreifen und die Einrichtung eines Komitees unabhängiger Palästinenser zur Verwaltung des Gazastreifens“ zu diskutieren.
Dies müsse mit einer „öffentlichen und ausdrücklichen Verpflichtung des Feindes einhergehen, sich an alle vereinbarten Bedingungen zu halten“. Man stehe in Kontakt mit den Vermittlern, „um diese Ideen zu einer umfassenden Vereinbarung auszuarbeiten“, die den eigenen Forderungen entspreche, heißt es in der Erklärung weiter.
US-Präsident Donald Trump spricht eine nach eigenen Worten „letzte Warnung“ an die radikal-islamische Hamas aus, einem Abkommen zur Freilassung von Geiseln aus dem Gazastreifen zuzustimmen.
„Die Israelis haben meine Bedingungen akzeptiert. Es ist an der Zeit, dass auch die Hamas sie annimmt“, schreibt Trump auf seiner Plattform Truth Social. „Ich habe die Hamas vor den Konsequenzen gewarnt, wenn sie nicht zustimmt. Dies ist meine letzte Warnung, es wird keine weitere geben!“ Eine Stellungnahme der Hamas liegt zunächst nicht vor.
Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid wirft der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor, die diplomatischen Bemühungen um ein Ende des Gaza-Krieges zu hintertreiben.
„Ein Geisel-Deal liegt auf dem Tisch. Er kann geschlossen werden, er muss geschlossen werden“, sagte er auf einer Fraktionssitzung der von ihm geführten Mitte-Rechts-Partei Jesch Atid (Zukunftspartei) in Tel Aviv, wie die „Times of Israel“ berichtete.
Lapid bezog sich auf die Bemühungen der internationalen Vermittler, bei indirekten Gesprächen eine Einigung zwischen Israel und der islamistischen Hamas im Gazastreifen herbeizuführen. Diese sollte die Freilassung der Geiseln aus der Gewalt der Hamas sowie eine dauerhafte Waffenruhe beinhalten. Vor dem Hintergrund einer drohenden Großoffensive der israelischen Armee in der Stadt Gaza haben die Vermittlerstaaten USA, Ägypten und Katar ihre diesbezüglichen Anstrengungen zuletzt intensiviert.
Wie Lapid weiter ausführte, hätten ihn hohe Beamte dieser Staaten kontaktiert. Seinen Worten zufolge sollen sie ihr Unverständnis darüber geäußert haben, dass sie von Israel auf ihre jüngsten Vorschläge keine Antwort erhalten hätten. „Keine positive, und auch keine negative. Israel antwortet schlicht und einfach nicht.“
Nach Lapids Darstellung hat die Hamas den Vermittlern mitgeteilt, sie sei offen sowohl für eine umfassende als auch eine partielle Vereinbarung. Die Netanjahu-Regierung pocht derzeit auf eine Kapitulation und Entwaffnung der Hamas — was diese ablehnt. Zuvor hatte sie monatelang eine teilweise Einigung verlangt, die die Freilassung der Geiseln in Phasen vorgesehen hätte, zwischen denen Israel den Krieg wieder hätte starten können. Die Hamas hatte bislang auf eine Lösung in einem Guss gedrungen – mit der Beendigung der Kampfhandlunge nach Freilassung aller Geiseln.
Nach israelischer Einschätzung befinden sich noch 48 Geiseln in der Gewalt der Hamas, von denen 20 noch am Leben sein sollen. Die meisten lebenden Entführten werden in den Tunneln der Hamas unter der Stadt Gaza vermutet. Ihre Angehörigen, aber auch die Armeeführung befürchten, dass die militärische Einnahme der Stadt Gaza ihr Leben gefährden würde.
Der jordanische König Abdullah II. hat sich erneut gegen eine mögliche Annexion des Westjordanlands durch Israel gewandt.
Bei einem Besuch in den Vereinigten Arabischen Emiraten habe Abdullah „die absolute Ablehnung Jordaniens gegenüber jeglichen Maßnahmen Israels“ geäußert, die „darauf abzielen, das Westjordanland zu annektieren und die Palästinenser zur Auswanderung zu zwingen“, erklärte der jordanische Königspalast am Sonntag.
Auch der emiratische Staatschef Mohammed bin-Sajed Al-Nahjan äußerte seine Ablehnung gegenüber dem Bau weiterer israelischer Siedlungen in dem seit 1967 von Israel besetzten Gebiet. Mit Blick auf den Gazastreifen lehnten Abdullah und Al-Nahjan „israelische Pläne einer dauerhaften Besetzung des Gazastreifens und einer Ausweitung der militärischen Kontrolle“ ab, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung.
Zuvor hatte die emiratische Außenministerin Lana Nusseibeh eine Annexion des Westjordanlands als „rote Linie“im Verhältnis zu Israel bezeichnet. Die Emirate hatten 2020 im Rahmen der Abraham-Abkommen als erster Golfstaat diplomatische Beziehungen zu Israel aufgenommen.
Der israelische Außenminister Gideon Saar warnte am Sonntag derweil, die von mehreren westlichen Ländern angekündigte Anerkennung eines Palästinenserstaats werde Israel „dazu drängen, ebenfalls einseitige Schritte zu unternehmen“. Eine solche Anerkennung „würde das Erreichen von Frieden weiter erschweren“, sagte Saar.
Knapp 900 Menschen sind bei einer propalästinensischen Demonstration in London festgenommen worden.
Grund dafür war bei den meisten, dass sie Unterstützung für die als terroristisch eingestufte Gruppe Palestine Action zum Ausdruck gebracht hatten, wie Scotland Yard mitteilte. Rund 30 Menschen wurden demnach wegen Angriffen auf Polizeibeamte und andere Vergehen festgenommen.
Teilweise hatten sich bei der Demo am Samstag vor dem Parlament in London tumultartige Szenen abgespielt. Polizisten wurden angeschrien und nach Angaben von Scotland Yard auch getreten, bespuckt und mit Gegenständen beworfen.
Auf der anderen Seite sah man friedlich demonstrierende Senioren, die von der Polizei teils mit Gewalt abgeführt wurden. Aufgerufen zu der Demo hatte eine Initiative, die das Verbot von Palestine Action kritisiert.
Die Gewalt sei „koordiniert und von einer Gruppe maskierter Menschen ausgegangen“, teilte die Polizei mit. Sie habe zudem in starkem Kontrast zu einem propalästinensischen Protestmarsch mit etwa 20.000 Teilnehmern gestanden, der ohne weitere Zwischenfälle verlief.
Palestine Action war Anfang Juli als terroristisch eingestuft worden, nachdem Aktivisten auf einen Luftwaffenstützpunkt eingedrungen waren und Flugzeuge der Royal Air Force mit Farbe besprüht hatten.
Der Flughafen Ramon in der Nähe der südisraelischen Stadt Eilat nimmt seinen Betrieb wieder auf, nachdem er wegen eines Drohnen-Einschlages etwa zwei Stunden lang geschlossen war.
Eine im Jemen gestartete Drohne habe die Ankunftshalle getroffen, teilt die israelische Flughafenbehörde mit. „Nach Abschluss aller Sicherheitskontrollen, der Einhaltung der internationalen Zivilluftfahrtstandards und dem Erhalt der endgültigen Genehmigung durch die Luftwaffe ist der Flughafen Ramon nun wieder für den vollen Betrieb geöffnet, sowohl für Abflüge als auch für Ankünfte.“ Dem israelischen Rettungsdienst zufolge wurden zwei Menschen durch Splitter verletzt.
Die israelische Gefängnisbehörde ist nach einer Entscheidung des Höchsten Gerichts dazu verpflichtet, palästinensische Sicherheitshäftlinge mit ausreichend Nahrung zu versorgen.
Hintergrund war eine Petition des israelischen Bürgerrechtsverbands (ACRI), wie israelische Medien berichteten.
Der Verband hatte berichtet, seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast zwei Jahren hätten sich die Haftbedingungen für palästinensische Gefangene stark verschlechtert. Viele seien stark unter- und mangelernährt. Unter den Häftlingen in israelischen Gefängnissen sind nach Medienberichten auch Teilnehmer des beispiellosen Massakers im israelischen Grenzgebiet am 7. Oktober 2023, bei dem 1.200 Menschen getötet und 250 weitere verschleppt worden waren.
Polizeiminister Itamar Ben-Gvir warf dem Gericht vor, es schütze „abscheuliche Mörder, Entführer und Vergewaltiger“. Die Geiseln der islamistischen Terrororganisation Hamas hätten dagegen keinen solchen Schutz, schrieb er in einem Post auf der Plattform X. „Wir werden den in Gefängnissen Inhaftierten weiterhin die vom Gesetz vorgeschriebenen Minimalbedingungen gewähren“, erklärte Ben-Gvir.
Eine Drohne aus dem Jemen ist israelischen Militärangaben zufolge im Bereich des Flughafens Ramon im Süden Israels eingeschlagen. Die Armee teilte mit, es habe keinen Raketenalarm gegeben und man untersuche den Vorfall. Das israelische Nachrichtenportal „ynet“ berichtete, eine Person sei leicht verletzt worden. Die israelische Luftfahrtbehörde teilte mit, die Ankunftshalle sei getroffen und der Luftraum über dem Ramon-Flughafen sei für den Flugverkehr gesperrt worden. Zuvor hatte die Armee mitgeteilt, drei aus dem Jemen abgefeuerte Drohnen seien von der Luftabwehr abgefangen worden.
Israels Außenminister Gideon Saar hat die geplante Anerkennung eines palästinensischen Staates als „Fehler“ bezeichnet.
Eine friedliche Einigung könne nur direkt zwischen Israel und den Palästinensern erzielt werden, betonte er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Dänemarks Außenminister Lars Løkke Rasmussen in Jerusalem.
Einflussreiche Länder wie Frankreich, Belgien und Kanada planen die Anerkennung eines Staates Palästina während der UN-Generalversammlung in New York.
„Es wird uns weder dem Frieden noch der Sicherheit näherbringen, es wird die Region destabilisieren“, sagte Saar dazu. „Es wird Israel außerdem dazu drängen, einseitige Entscheidungen zu treffen – und das wäre ein schwerwiegender Fehler“, sagte er, offenbar mit Blick auf die angedrohte Annexion großer Teile des Westjordanlands durch Israel.
Fast zwei Jahre nach Beginn des Gazakriegs haben extremistische Palästinenser abermals Raketen aus dem umkämpften Gazastreifen auf Israel abgefeuert. Die israelische Armee teilte mit, zwei Geschosse seien vom zentralen Abschnitt des Küstenstreifens aus auf israelisches Gebiet geflogen. Eine Rakete sei von der Luftabwehr abgefangen worden, eine zweite in einem offenen Gebiet niedergegangen. Zuvor hatte es in israelischen Grenzorten sowie der Stadt Netivot Raketenalarm gegeben.
Es war zunächst unklar, welche der palästinensischen Terrororganisationen hinter dem Angriff stand. Seit Beginn des Gazakriegs war Israel mit tausenden von Raketen aus dem Gazastreifen attackiert worden. Diese Angriffe sind jedoch inzwischen deutlich seltener geworden.
Bei einer Solidaritätsdemonstration in London für die als Terrororganisation eingestufte pro-palästinensische Gruppe Palestine Action sind abermals zahlreiche Menschen festgenommen worden.
Die Polizei der britischen Hauptstadt erklärte am späten Samstag, sie habe mehr als 425 Menschen in Gewahrsam genommen. Mehr als 25 Menschen seien wegen mutmaßlichen „Angriffen auf Polizeibeamte und anderen Verstößen gegen die öffentliche Ordnung“ festgenommen worden.
Die Regierung hatte Palestine Action auf der Grundlage eines Anti-Terror-Gesetzes aus dem Jahr 2000 Anfang Juli als terroristische Vereinigung eingestuft und verboten. Mitgliedschaft oder Unterstützung der Gruppe ist damit eine Straftat, die mit bis zu 14 Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Zuvor waren Mitglieder der Gruppe auf einen Luftwaffenstützpunkt in Südengland eingedrungen und hatten Flugzeuge mit roter Farbe besprüht.
Seit dem Verbot wurden in Großbritannien vor dem jüngsten Protest bereits mehr als 800 Menschen festgenommen, 138 Verdächtige wurden wegen Unterstützung oder Aufrufs zur Unterstützung einer Terrororganisation angeklagt.
Die UNO und Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International hatten das Verbot von Palestine Action als Bedrohung für die Meinungsfreiheit kritisiert.
WEITERE ISRAEL-MELDUNGEN
Mehrere Tote bei Schussattentat in Jerusalem – APA, 8.9.2025
Bei einem Schussattentat in Jerusalem sind mindestens fünf Menschen getötet worden. Der israelische Rettungsdienst Magen David Adom teilte mit, vier männliche Opfer seien am Ort des Anschlags im Norden der Stadt für tot erklärt worden. Eine Frau starb nach Krankenhausangaben später an den Folgen ihrer schweren Verletzungen. Nach Angaben des Rettungsdienstes wurden insgesamt zwölf Personen in Krankenhäuser gebracht. Sieben davon hätten schwere Verletzungen erlitten.
Der Rettungsdienst Zaka teilte mit, zwei mutmaßlich palästinensische Attentäter seien getötet worden. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hielt nach dem Anschlag nach Angaben seines Büros eine Lageberatung mit Sicherheitsrepräsentanten ab.
Die Exekutive bezeichnete die mutmaßlichen Täter als Terroristen. Die genaue Identität und das Motiv waren zunächst jedoch nicht klar. Der Nahost-Konflikt hatte sich zuletzt rund um eine angesagte Großoffensive von Israels Militär in Gaza-Stadt und stockender Verhandlungen mit der militanten Palästinenserorganisation über eine Feuerpause im Gaza-Krieg und über die Freilassung der verbliebenen, israelischen Geiseln in der Gewalt der Hamas noch einmal zugespitzt.
Ein Wachmann aus einem naheliegenden Busbahnhof sagte dem israelischen TV-Sender Channel 13, zwei bewaffnete Männer seien an einer Kreuzung in einen Bus eingedrungen, es seien Schüsse gefallen. „Der Bus ist vorn von Schüssen durchlöchert“, sagte er. Einer der Angreifer habe auch ein Messer getragen.
„Als ich am Einsatzort ankam, sah ich mehrere Schussverletzte am Boden liegen, einige von ihnen waren bewusstlos“, berichtete ein Sanitäter. „Ich leistete einem etwa 45-jährigen, schwer verletzten Mann medizinische Hilfe.“ Der durch Schüsse getroffene Mann sei bei Bewusstsein gewesen und ins Krankenhaus gebracht worden.
Die Polizei teilte mit, die beiden Attentäter seien in einem Fahrzeug zur Ramon-Kreuzung in Nord-Jerusalem gekommen. An einer Bushaltestelle hätten sie das Feuer eröffnet. Ein Sicherheitsbeamter und ein bewaffneter Zivilist hätten auf sie geschossen und sie „ausgeschaltet“. Zahlreiche Polizeikräfte seien zur Sicherung des Anschlagsorts im Einsatz, auch mit Sprengstoffexperten. Forensische Teams kümmerten sich um die Spurensicherung.
Nach dem Anschlag wurden nach Angaben von Augenzeugen Militärsperren zwischen Jerusalem und Ramallah, in deren Nähe palästinensische Ortschaften im besetzten Westjordanland liegen, für den Verkehr gesperrt. In Qalandiya habe es eine Razzia der Armee gegeben.
Jerusalem: Tote und Verletzte bei Schussattentat – ORF, 8.9.2025
Bei einem Schussattentat in Jerusalem sind am Montag sieben Menschen getötet worden, darunter die beiden Angreifer. Mindestens elf Personen wurden nach Angaben des Roten Davissterns verletzt, fünf davon schwer. Die Polizei geht von einem Terrorakt aus. Bei den Angreifern handelte es sich offenbar um militante Palästinenser.
Die Polizei teilte mit, die beiden Attentäter seien in einem Fahrzeug zur Ramon-Kreuzung im Norden Jerusalems gekommen. An einer Bushaltestelle hätten sie das Feuer eröffnet. Ein Sicherheitsbeamter und ein bewaffneter Zivilist hätten auf sie geschossen und sie „ausgeschaltet“.
Einer der beiden Angreifer soll auch ein Messer getragen haben, sagte ein Wachmann, der auf einem nahe gelegenen Busbahnhof seinen Dienst versah.
Großeinsatz der Polizei
Zahlreiche Polizeikräfte seien zur Sicherung des Anschlagsorts im Einsatz, auch mit Sprengstofffachleuten. Forensische Teams kümmerten sich um die Spurensicherung.
Bei den fünf israelischen Todesopfern handle es sich um einen Mann im Alter von rund 50 Jahren und drei weitere Männer in ihren Dreißigern. Die Identität des fünften Todesopfers ist noch unbekannt. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hielt nach dem Anschlag nach Angaben seines Büros eine Lageberatung mit Sicherheitsvertretern ab.
Hamas: Täter waren militante Palästinenser
Die Polizei teilte mit, man gehe von einem Anschlag aus. Zufahrtswege seien gesperrt worden. Die Identität und das Motiv der Angreifer sind noch nicht bekannt. Die Übergänge zwischen Jerusalem und dem besetzten Westjordanland wurden vorübergehend gesperrt. Im Dorf Kalandija im Westjordanland gab es laut Berichten eine Razzia der israelischen Armee.
Die islamistische Terrororganisation Hamas erklärte, bei den Angreifern handle es sich um zwei militante Palästinenser. Die Attacke sei eine „Reaktion“ auf die „Verbrechen der Besatzung“ und den „Völkermord an unserem Volk“.
red, ORF.at/Agenturen
Link:
Israels Verteidigungsminister droht Hamas mit ‚Hurrikan‘ – 8.9.2025
TEL AVIV (dpa-AFX) – Der israelische Verteidigungsminister Israel Katz hat vor einer Offensive in der Stadt Gaza erneut eine scharfe Warnung an die islamistische Terrororganisation Hamas ausgesprochen. „Heute wird ein gewaltiger Hurrikan über den Himmel der Stadt Gaza hereinbrechen und die Dächer der Terror-Hochhäuser werden beben“, schrieb Katz in einem Post auf der Plattform X.
„Dies ist die letzte Warnung an die Mörder und Vergewaltiger der Hamas in Gaza und in den Luxushotels im Ausland: Lasst die Geiseln frei und legt die Waffen nieder – oder Gaza wird zerstört und ihr werdet vernichtet“, schrieb Katz weiter. Die israelische Armee bereite sich weiter auf eine Ausweitung des Einsatzes vor.
Zuvor hatte bereits US-Präsident Donald Trump eine „letzte Warnung“ an die Hamas ausgesprochen, um kurz vor Israels drohender Großoffensive in der Stadt Gaza eine diplomatische Lösung zu erzwingen. Israel habe seine Bedingungen akzeptiert, es sei an der Zeit, dass auch die Hamas sie akzeptiere, schrieb Trump auf seiner Plattform Truth Social. Die Hamas zeigte sich daraufhin zu „sofortigen Verhandlungen“ bereit. Man begrüße „jeden Schritt, der dazu beiträgt, die Aggression gegen unser Volk zu beenden“.
Nach Informationen des israelischen Senders Channel 12 sieht der Vorschlag die Übergabe aller 48 Geiseln – sowohl der lebenden als auch der toten – am ersten Tag des Inkrafttretens einer Waffenruhe vor. Im Gegenzug wird Israels Armee ihre Offensive in der Stadt Gaza einstellen. Ferner soll Israel demnach Tausende palästinensische Häftlinge aus seinen Gefängnissen entlassen, darunter Hunderte, die wegen der Tötung von Israelis zu lebenslanger Haft verurteilt wurden./le/DP/zb
© 2025 dpa-AF
ROUNDUP/Militär: Drohne auf Flughafen im Süden Israels eingeschlagen 7.9.2025
TEL AVIV (dpa-AFX) – Eine Drohne aus dem Jemen ist israelischen Militärangaben zufolge im Bereich des Flughafens Ramon im Süden Israels eingeschlagen. Die Armee teilte mit, es habe keinen Raketenalarm gegeben und man untersuche den Vorfall.
Das israelische Nachrichtenportal „ynet“ berichtete, eine Person sei leicht verletzt worden. Die israelische Luftfahrtbehörde teilte mit, die Ankunftshalle sei getroffen und der Luftraum über dem Ramon-Flughafen sei für den Flugverkehr gesperrt worden.
Zuvor hatte die Armee mitgeteilt, drei aus dem Jemen abgefeuerte Drohnen seien von der Luftabwehr abgefangen worden.
Am Abend reklamierte die jemenitische Huthi-Miliz Drohnenangriffe auf mehrere Orte in Israel für sich. Darunter sei einer, der direkt den Flughafen Ramon getroffen habe, teilte ein Sprecher der Miliz mit.
Huthi-Miliz greift Israel seit Beginn des Gaza-Kriegs regelmäßig an
Anfang Mai war bereits eine von der Huthi-Miliz auf Israel abgefeuerte Rakete im Bereich des internationalen Flughafens Ben Gurion bei Tel Aviv eingeschlagen.
Seit Beginn des Gaza-Kriegs im Oktober 2023 greift die Huthi-Miliz Israel regelmäßig mit Raketen und Drohnen an – als Ausdruck ihrer Solidarität mit der islamistischen Hamas. Israel attackiert seinerseits immer wieder Ziele im Jemen. Bei einem Luftangriff waren zuletzt der Huthi-Ministerpräsident Ahmed al-Rahaui, neun seiner Minister sowie zwei weitere Huthi-Vertreter getötet worden./le/DP/mis
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07.09.2025 09:50 Uhr
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Erneut Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert – 7.9.2025
TEL AVIV/GAZA (dpa-AFX) – Fast zwei Jahre nach Beginn des Gaza-Kriegs haben extremistische Palästinenser erneut Raketen aus dem umkämpften Gazastreifen auf Israel abgefeuert. Die israelische Armee teilte mit, zwei Geschosse seien vom zentralen Abschnitt des Küstenstreifens aus auf israelisches Gebiet geflogen. Eine Rakete sei von der Luftabwehr abgefangen worden, eine zweite in einem offenen Gebiet niedergegangen. Zuvor hatte es in israelischen Grenzorten sowie der Stadt Netivot Raketenalarm gegeben.
Es war zunächst unklar, welche der palästinensischen Terrororganisationen hinter dem Angriff stand. Seit Beginn des Gaza-Kriegs war Israel mit tausenden von Raketen aus dem Gazastreifen attackiert worden. Diese Angriffe sind jedoch inzwischen deutlich seltener geworden./le/DP/zb
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URAINE-KRIEG im n-tv Liveticker
Detaillierte Meldungsübersicht. Daraus eine Auswahl:
+++ 10:31 Russland rekrutiert gut 340.000 neue Soldaten – Kiew geht von Zielerreichung des Kremls aus +++
Russland nimmt seit Jahresbeginn rund 280.000 Soldaten unter Vertrag und ist auf dem besten Weg, seine Rekrutierungsziele zu erreichen, sagt Vadym Skibitskyi, der stellvertretende Leiter des ukrainischen Geheimdienstes (HUR), in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Ukrinform. Der HUR berichtete im August, dass der Kreml bis Jahresende 343.000 Personen rekrutieren wolle und seine monatlichen Rekrutierungsziele übertreffe. „Unseren Daten zufolge hat der Kreml bis zum 1. September 2025 rund 280.000 Militärangehörige unter Vertrag genommen“, so Skibitskyi. Russland verdanke seinen Rekrutierungserfolg einer starken finanziellen Unterstützung und Propagandakampagnen, so Skibitskyi. Moskau leistet „hohe Zahlungen“ an Vertragssoldaten, wobei der aktuelle Satz für die Unterzeichnung eines ersten Vertrags bei 2 Millionen Rubel (knapp 21.000 Euro) liegt. Russland rekrutiert weiterhin mindestens 35.000 Soldaten pro Monat, sagt Skibitskyi. „Alles deutet darauf hin, dass sie ihren Rekrutierungsplan bis Ende des Jahres vollständig erfüllen werden“, sagt er.
+++ 09:58 Wadephul kontert Söder und gibt Versprechen zu Sicherheitsgarantien ab +++
Außenminister Johann Wadephul versucht, Zweifel an der Beteiligung Deutschlands an Sicherheitsgarantien für die Ukraine im Falle eines Waffenstillstands oder einer Friedenslösung auszuräumen. „Natürlich wird Deutschland seinen Teil zu Sicherheitsgarantien für die Ukraine beitragen“, sagt der CDU-Politiker laut Redemanuskript bei der Eröffnung der jährlichen Konferenz der deutschen Botschafterinnen und Botschafter im Auswärtigen Amt in Berlin. Wie die Garantien konkret aussehen könnten, sagt er allerdings nicht. CSU-Chef Markus Söder hatte sich gegen Überlegungen gestellt, die Bundeswehr im Rahmen von Sicherheitsgarantien für die Ukraine in dem Land einzusetzen. Damit geht er anders vor als Kanzler Friedrich Merz, der in dieser Frage aktuell noch nichts ausschließen will. „Es ist für mich kaum vorstellbar, dass Nato-Truppen dort stationiert sind. Das würde Russland keinesfalls akzeptieren. Denn es wäre die Vorstufe des Beitritts der Ukraine in die Nato“, sagte Söder der „Rheinischen Post“. Wadephul betonte indes laut Manuskript: „Russland wird sein aggressives Verhalten fortsetzen und noch stärker gegen uns richten – wenn wir es nicht davon abhalten.“
+++ 09:26 Ukraine hofft, „dass Trump richtig sauer wird“ +++
Während Unterstützerstaaten die Zukunftsperspektive der Ukraine diskutieren, trifft der bisher schwerste Angriff Russlands die Hauptstadt Kiew. Darüber ist auch der US-Präsident „unhappy“, in dem angegriffenen Land hofft man auf neue Sanktionen. ntv-Reporter Jürgen Weichert berichtet aus Odessa.
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+++ 08:59 Russland will raus aus Antifolterkonvention +++
Russlands Präsident Wladimir Putin will aus der europäischen Antifolterkonvention austreten. Er habe dem Parlament einen Gesetzentwurf zum Austritt aus der Europäischen Konvention zur Verhütung von Folter vorgelegt, meldete die staatliche Nachrichtenagentur TASS. Die der Konvention beigetretenen Staaten verpflichten sich, gegen unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen oder Strafen vorzugehen. Die Ukraine wirft Russland vor, Kriegsgefangene teilweise zu foltern. Zudem berichten Menschenrechtsorganisationen von Folter und menschenunwürdiger Behandlung in russischen Gefängnissen. Russland bestreitet die Vorwürfe.
+++ 08:29 Umstrittener Blackwater-Gründer Prince bewirbt sich um Drohnengeschäfte in der Ukraine +++
Angesichts von Berichten, wonach Donald Trumps Regierung den Einsatz privater US-Militärfirmen nach dem Ende des Ukraine-Kriegs vor Ort in Erwägung zieht, berichten Quellen dem „Guardian“, dass ein umstrittener Amerikaner bereits um Geschäfte wirbt. Demnach würde Erik Prince, Gründer des inzwischen aufgelösten Söldnerunternehmens Blackwater, seine Dienste bereits anpreisen. Den Quellenangaben zufolge warb Prince für sich selbst im wertvollen ukrainischen Drohnensektor und suchte bereits Treffen mit führenden Akteuren der Branche. „Erik ist dabei, Drohnenunternehmen zu kaufen“, sagt eine der Quellen, und eine andere bestätigte, dass Prince auf der Jagd nach Drohnenherstellern mit einer Präsenz in der Ukraine sei. Prince‘ ehemaliges Unternehmen Blackwater machte vor allem mit seiner Arbeit im Irak erhebliche Schlagzeilen. Mitarbeiter sollen sich der Ermordung von Zivilisten, Misshandlungen und des Waffenschmuggels schuldig gemacht haben.
+++ 07:56 Drittes Todesopfer in Kiew geborgen – 5 Tote, 44 Verletzte nach russischem Großangriff +++
Bei dem riesigen russischen Drohnen- und Raketenangriff auf die Ukraine in der Nacht zum Sonntag werden mindestens 5 Menschen getötet und 44 weitere verletzt. Allein in der Hauptstadt Kiew werden eine Frau und ihr neugeborenes Kind getötet und 20 Menschen verletzt, wie die örtlichen Behörden mitteilten. Tymur Tkachenko, der Leiter der Kiewer Militärverwaltung, bestätigt am Morgen, dass ein drittes Todesopfer unter den Trümmern geborgen wurde.
+++ 06:48 Trump kündigt „sehr bald“ stattfindendes Gespräch mit Putin an +++
US-Präsident Donald Trump kündigt CNN zufolge vor Reportern an, zeitnah mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sprechen. „Sehr bald. In den nächsten paar Tagen. Sehen Sie, wir werden es schaffen. Die Russland-Ukraine-Situation. Wir werden es schaffen“, ergänzt der Präsident. Russland hatte in der Nacht zum Sonntag seinen größten kombinierten Luftangriff seit Beginn der Ukraine-Invasion gestartet. 823 Drohnen und Raketen wurden dabei eingesetzt und zum ersten Mal ein Regierungsgebäude in Kiew angegriffen.
+++ 06:15 Russland bestreitet Angriff auf Kiewer Regierungsgebäude +++
Das russische Verteidigungsministerium bestreitet, dass russische Streitkräfte das Gebäude des Ministerkabinetts in Kiew angegriffen haben. Das russische Verteidigungsministerium behauptet, dass russische Streitkräfte Drohneneinrichtungen und Luftwaffenstützpunkte in der Ukraine getroffen hätten. Konkret seien zwei Industriebetriebe am Rande der Stadt Kiew getroffen worden. Der Kreml hat oft bestritten, dass russische Streitkräfte zivile Ziele in der Ukraine getroffen haben, obwohl umfangreiches Filmmaterial, Bildmaterial und offizielle ukrainische Berichte das Gegenteil belegen. Experten gehen jedoch davon aus, dass genau dies und zwar immer intensiver geschieht. So soll die Zivilbevölkerung zermürbt und der Druck auf Präsident Selenskyj erhöht werden.
+++ 05:41 Trump kündigt Besuch von europäischen Spitzenpolitikern an +++
US-Präsident Donald Trump kündigt Gespräche mit europäischen Politikern über eine Lösung des Ukraine-Kriegs an. „Einzelne europäische Spitzenpolitiker kommen am Montag oder Dienstag in unser Land“, sagt Trump. Wen er damit meint, ist unklar. Das Weiße Haus äußert sich dazu nicht.
+++ 03:12 US-Präsident Donald Trump: „Ich bin nicht glücklich mit der gesamten Situation“ +++
Nach dem größten russischen Luftangriff auf die Ukraine seit Kriegsbeginn zeigt sich US-Präsident Donald Trump unzufrieden. „Ich bin nicht glücklich mit der gesamten Situation“, sagt Trump vor Journalisten. „Ich bin nicht begeistert über das, was dort passiert.“ Zuvor hatte er bereits seine Bereitschaft zu weiteren Sanktionen gegen Russland bekräftigt. US-Finanzminister Scott Bessent verkündete, die US-Regierung sei „bereit den Druck auf Russland zu erhöhen“. Wichtig sei aber, dass auch die EU mitziehe.
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+++ 23:29 Ukraine: Russland rüstet seine Raketen für möglichen Krieg mit der Nato auf +++
Der stellvertretende Leiter des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Vadym Skibitsky, äußert sich in einem Interview mit dem Medium Ukrinform zur russischen Waffenproduktion in diesem Jahr. Ihm zufolge produziert die Rüstungsindustrie 2500 Raketen wie Marschflugkörper, ballistische Raketen und Hyperschallraketen. Zum Vergleich: Bei vielen schweren nächtlichen Luftangriffen auf die Ukraine setzen die Kreml-Sreitkräfte laut ukrainischen Angaben insgesamt rund 10 bis 70 Marschflugkörper, ballistische Raketen und Hyperschallraketen ein. Bei der Entwicklung konzentriere sich Russland auf die Verbesserung der Genauigkeit und Erhöhung der Effektivität der Sprengköpfe sowie auf die Reichweitenverlängerung, so Skibitsky. „Ziele in der Ukraine zu treffen, erfordert einen bestimmten Einsatzradius, aber die Vorbereitung auf einen Krieg mit der Nato bis 2030 erfordert eine viel größere Reichweite.“ Kiew nennt Zahlen zu Waffen Ukraine: Russland rüstet seine Raketen für möglichen Krieg mit der Nato auf
+++ 22:15 US-Diplomat Kellogg: Russland eskaliert den Krieg mit Angriff auf das ukrainische Kabinett +++
Aus Sicht des Sondergesandten des US-Präsidenten, Keith Kellogg, hat Russland nicht die Absicht, den Ukraine-Krieg auf diplomatischem Wege zu beenden. Das habe der heutige Angriff auf die Ukraine verdeutlicht, bei dem das Kabinettsgebäude beschädigt wurde. „Die Gefahr jedes Krieges liegt in der Eskalation. Russland scheint die Lage mit dem größten Angriff des Krieges auf die Büros des ukrainischen Kabinetts in Kiew zu eskalieren“, schreibt Kellogg bei X. Dazu veröffentlicht er ein Video der ukrainischen Premierministerin Julia Swyrydenko aus dem Kabinettsgebäude und wies darauf hin, dass er dasselbe Gebäude vor zwei Wochen mit ihr besucht habe. „Die Geschichte zeigt, dass Ereignisse durch solche Aktionen außer Kontrolle geraten können. Deshalb arbeitet Präsident Trump daran, diesen Krieg zu beenden. Der Angriff war kein Signal dafür, dass Russland diesen Krieg auf diplomatischem Wege beenden will“, so der US-Diplomat.
+++ 21:53 Selenskyj hofft nach russischem Großangriff auf „starke Reaktion“ der USA +++
Nach dem größten russischen Luftangriff auf die Ukraine seit Kriegsbeginn äußert der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seine Hoffnung auf eine entschlossene Reaktion der USA. Es sei wichtig, dass es eine „breit angelegte Reaktion der Partner“ gebe, sagte Selenskyj in seiner allabendlichen Videoansprache und fügte an: „Wir zählen auf eine starke Reaktion Amerikas. Genau das brauchen wir.“ Russland hat die Ukraine in der vergangenen Nacht nach ukrainischen Angaben mit mindestens 810 Drohnen und einem Dutzend Raketen angegriffen. In Kiew wurden mehrere Hochhäuser beschädigt, der Regierungssitz geriet in Brand. Bei den Angriffen wurden mehrere Menschen getötet.
+++ 21:26 Bodenangriffe von Belarus aus? Ukrainischer Grenzschutz beobachtet derzeit keine Truppenbildung +++
Ukrainische Grenzschutzbeamte beobachten auf belarussischem Gebiet keine Bildung militärischer Gruppen, die eine Bedrohung für die Ukraine darstellen könnten. Dies erklärt der Sprecher des staatlichen Grenzdienstes, Andrij Demtschenko, laut einem Ukrinform-Korrespondenten im ukrainischen Fernsehen. Provokationen würden jedoch während der russisch-belarussischen Übungen nicht ausbleiben. „Unseren Informationen zufolge sollen sie morgen enden, und die aktive Phase der gemeinsamen Übungen zwischen Belarus und Russland wird vom 12. bis 16. September stattfinden. Bislang gibt es keine Hinweise auf eine Truppenstationierung in der Nähe unserer Grenze, geschweige denn auf die Bildung von Gruppen“, sagte Demtschenko. Gleichzeitig sagt er, bleibe die Lage bedrohlich und die Grenzschutzbeamten würden die Situation im Rahmen der Übungen in Belarus beobachten.
Ukraine-Krieg im Liveticker +++ 21:09 Luftalarm in der Region Kiew +++
In der Region Kiew ertönt am frühen Abend Luftalarm. Wie die ukrainische Militärverwaltung bei Telegram mitteilt, wurden russische Drohnen in der Oblast gesichtet. „Im Luftraum wurden Drohnen gesichtet. Die Luftabwehr nimmt sie ins Visier. Bleiben Sie in Schutzräumen, bis der Luftangriffsalarm beendet ist. Achten Sie auf Ihre eigene Sicherheit“, rät die regionale Militärverwaltung in der Mitteilung. Die Luftwaffe der ukrainischen Streitkräfte meldet zudem mehrere Gruppen feindlicher Drohnen in der Region Tschernihiw in südwestlicher Richtung, insbesondere eine Drohne in Richtung Boryspil.
+++ 20:34 Selenskyj: „Putin stellt die Welt auf die Probe“ +++
Nach neuen, intensiven russischen Angriffen aus der Luft fordert der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Weltgemeinschaft zu Reaktionen auf. „Das ist ein klares Zeichen, dass Putin die Welt auf die Probe stellt, ob sie das akzeptiert und ob sie sich damit abfindet“, sagt der Staatschef in seiner abendlichen Videobotschaft. Russland versuche der Ukraine Schmerzen zuzufügen und immer dreistere Schläge zu verüben. Dem müsse mit „Sanktionen gegen Russland, gegen mit Russland verbundene Personen und starken Zöllen und anderen Handelseinschränkungen für Russland“ begegnet werden, sagte er weiter. „Ihre Verluste müssen spürbar sein“, unterstreicht der Präsident.
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+++ 20:01 US-Finanzminister Bessent: Wirtschaftlicher Druck könnte Putin zu Verhandlungen bringen +++
Zusätzlicher wirtschaftlicher Druck der USA und Europas kann nach Einschätzung von US-Finanzminister Scott Bessent den russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu bewegen, Friedensgespräche mit der Ukraine aufzunehmen. „Wenn die USA und die Europäische Union eingreifen und weitere Sanktionen und Sekundärzölle gegen die Länder verhängen, die russisches Öl kaufen, wird die russische Wirtschaft völlig zusammenbrechen, und das wird Präsident Putin an den Verhandlungstisch bringen“, sagt Bessent in der NBC-Sendung „Meet the Press“. Die Regierung von US-Präsident Donald Trump sei bereit, den Druck auf Russland zu erhöhen. Allerdings müssten die europäischen Partner sich den USA anschließen, „denn wenn die USA und die EU dies gemeinsam tun, befinden wir uns in einem Wettlauf: Wie lange kann das ukrainische Militär standhalten und wie lange kann die russische Wirtschaft durchhalten?“
+++ 19:23 Trump: Bin bereit für zweite Stufe von Russland-Sanktionen +++
US-Präsident Donald Trump ist nach eigenen Worten bereit für eine zweite Stufe von Sanktionen gegen Russland. „Ja, das bin ich“, antwortet er auf die entsprechende Frage eines Journalisten in Washington. Einzelheiten zu möglichen Maßnahmen nennt er jedoch nicht.
+++ 18:17 Kiesewetter fordert Taurus-Marschflugkörper für die Ukraine +++
Nach den bislang schwersten russischen Luftangriffen auf die Ukraine seit Kriegsbeginn fordert CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter eine deutlich stärkere militärische Unterstützung für das Land. Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ fordert Kiesewetter unter anderem, Waffen mit größerer Reichweite wie etwa Taurus-Marschflugkörper zu liefern und der Ukraine von europäischen Staaten eingefrorene russische Vermögenswerte zu Verfügung zu stellen. „Statt auf völlig unrealistische Verhandlungen und einen Waffenstillstand zu hoffen und somit Zeit durch kontraproduktive Pseudoverhandlungen zu vergeuden, sollte vor allem Deutschland sich ein Beispiel an den nordischen und baltischen Ländern nehmen“, sagte Kiesewetter. Russland wolle „keinen Frieden-für-Land-Deal“, sondern zeige „täglich seine Vernichtungsabsicht“.
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+++ 17:36 Selenskyj berät mit Macron über „angemessene Reaktion“ auf russischen Großangriff+++
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat nach dem größten russischen Drohnenangriff auf die Ukraine seit Kriegsbeginn mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron gesprochen. „Wir haben unsere diplomatischen Bemühungen, die nächsten Schritte und die Kontakte mit Partnern koordiniert, um eine angemessene Reaktion sicherzustellen“, teilt Selenskyj auf Telegram mit.
+++ 16:58 Ukrainischer Geheimdienst: Nordkorea will Tausende Arbeiter nach Russland schicken +++
Nach ukrainischen Angaben plant Nordkorea, Tausende seiner Bürger zum Arbeiten nach Russland zu schicken. Das berichtet Wadym Skibitski, stellvertretender Leiter des ukrainischen Verteidigungsnachrichtendienstes, laut der staatlichen Nachrichtenagentur Ukrinform. „Nordkorea plant derzeit, Tausende von Spezialisten nach Russland zu entsenden, um Erfahrungen zu sammeln – nicht nur im militärisch-industriellen Komplex, sondern auch im Baugewerbe und anderen Industriezweigen“, so Skibitski. „Wir wissen mit Sicherheit, dass bereits über tausend Arbeiter eingetroffen sind.“ Die nordkoreanischen Arbeiter sollen laut dem ukrainischen Geheimdienstler in russischen Rüstungsunternehmen und im Baugewerbe eingesetzt werden.
+++ 16:15 Klitschko: Putin hat mit Angriff auf Kiew „rote Linie“ überschritten +++
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko warnt nach dem russischen Luftangriff auf die ukrainische Hauptstadt vor einer Eskalation des Krieges durch Russland und seinen Präsidenten Wladimir Putin. Der Angriff berge eine klare politische Botschaft aus Moskau, sagt Klitschko der „Bild“-Zeitung. „Es ist aus meiner Sicht kein Zufall, dass Putin erstmals in drei Jahren auch ein Regierungsgebäude angegriffen hat. Die ganze Welt muss erkennen: Putin will den Krieg immer weiter eskalieren und ist zu keiner diplomatischen Lösung bereit. Das beweist auch der Angriff auf das Regierungsgebäude, was bislang als rote Linie galt.“
+++ 15:52 Regierungssitz in Kiew beschädigt bei russischen Luftangriffen +++
Bei den schweren russischen Luftangriffen auf die Ukraine ist auch der Regierungssitz in Kiew getroffen worden. Das Gebäude geriet in Brand, mehrere Hochhäuser wurden den Rettungsdiensten zufolge durch Drohnenangriffe beschädigt. „Zum ersten Mal wurden das Dach und die oberen Stockwerke des Regierungssitzes wegen eines feindlichen Angriffs beschädigt“, erklärt die ukrainische Regierungschefin Julia Swyrydenko bei X. Im Gebäude sei niemand verletzt worden. Landesweit wurden mehrere Menschen getötet und verletzt.
+++ 15:24 Starmer äußert sich entsetzt über „feige Angriffe“ auf Kiew +++
Der britische Premierminister Keir Starmer äußert sich entsetzt über den größten russischen Luftangriff seit Kriegsbeginn, bei dem auch das wichtigste Regierungsgebäude in Kiew in Brand geriet. „Ich bin entsetzt über den jüngsten brutalen Angriff auf Kiew und die gesamte Ukraine, der über Nacht stattfand und bei dem Zivilisten getötet und die Infrastruktur beschädigt wurden“, erklärt Starmer. „Zum ersten Mal wurde das Herz der ukrainischen Zivilregierung beschädigt. Diese feigen Angriffe zeigen, dass (der russische Präsident Wladimir) Putin glaubt, er könne ungestraft handeln. Mit dem Frieden meint er es nicht ernst.“
+++ 14:56 Ukrainische Behörden: Mindestens vier Tote bei russischem Luftangriff – ein Kind +++
Bei dem größten russischen Drohnenangriff auf die Ukraine seit Kriegsbeginn sind nach Angaben der ukrainischen Behörden mindestens vier Menschen getötet worden. Unter den Toten sei ein Kleinkind. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht von vier Todesopfern. Das Innenministerium teilt mit, bei den Angriffen auf die Hauptstadt Kiew seien mehr als 20 Menschen verletzt worden. In Kiew und der umliegenden Region herrschte über elf Stunden lang Luftalarm.
+++ 14:31 Nach russischem Rekordangriff: Selenskyj nennt Tötungen „vorsätzliche Verbrechen“ +++
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisiert Russland scharf für den größten Drohnenangriff auf die Ukraine seit Kriegsbeginn. Bei der nächtlichen Attacke gab es tote und verletzte Zivilisten. „Solche Tötungen jetzt, da echte Diplomatie schon vor langer Zeit hätte beginnen können, sind ein vorsätzliches Verbrechen und eine Verlängerung des Krieges“, schreibt Selenskyj bei X. Der ukrainische Staatschef appelliert erneut an die Verbündeten, die ukrainische Luftabwehr zu stärken.
+++ 13:53 General Syrskyj: Im August fünf Mal mehr Land in Pokrowsk erobert als verloren +++
Die ukrainischen Truppen verloren im vergangenen Monat fünf Quadratkilometer an der Front im Raum Pokrowsk an die russischen Invasoren. Zugleich gelang es aber, ein Fünffaches dessen zurückzugewinnen. 26 Quadratkilometer habe man im August zurückerobert, erklärt der Oberbefehlshaber der ukrainischen Armee, Aleksandr Syrskyj, auf Facebook. Dennoch: Der Frontabschnitt von Pokrowsk bleibe einer der schwierigsten. „Hier haben die Russen ihre Hauptanstrengungen konzentriert und die größte Offensivgruppe gebildet, die versucht, unsere Verteidigungslinien zu durchbrechen“, so der General. „Unsere Einheiten haben in der vergangenen Woche etwa 350 feindliche Angriffe abgewehrt.“
+++ 13:34 Kadyrow: Frieden nur möglich, wenn Ukraine ein Bezirk Russlands wird +++
Tschetschenen-Führer Ramsan Kadyrow plädiert dafür, den Ukrainekrieg fortzuführen. Er sei „überhaupt kein Befürworter einer Beendigung der Feindseligkeiten in der aktuellen Situation“, sagte Kadyrow der kremlnahen Agentur Ria Novosti. Die Ziele der „militärischen Sonderoperation“ seien nicht aus der Luft gegriffen, „sie sind eine Garantie für die Sicherheit unseres gesamten Landes“, so der tschetschenische Präsident. Frieden an den Grenzen sei nur möglich, „wenn die Ukraine zu einer Region oder einem Bezirk Russlands wird“.
+++ 12:57 Melnyk zu europäischen Truppen in der Ukraine: nur „Scheindebatte“ +++
Der frühere ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, sieht in den Diskussionen um eine Entsendung deutscher oder europäischer Friedenstruppen in sein Land derzeit nur eine „Scheindebatte“. „Solange man nicht weiß, was genau diese Truppen tun werden und mit welchem Mandat, kann doch kein deutscher Politiker ernsthaft behaupten, dass man 5000 oder 10.000 Soldaten schickt“, sagte Melnyk dem „stern“. Erst, wenn Sicherheitsgarantien eine vertragliche Form annähmen, könne er sich eine Beteiligung europäischer Truppen vorstellen, so der Diplomat, der inzwischen ukrainischer Botschafter bei den Vereinten Nationen ist.
+++ 12:28 Jäger: „Putin hat ein Imageproblem gegenüber Xi“ +++
Russland setzt auf Eskalation statt Verhandlung: Die Ukraine meldet den größten Luftangriff seit Kriegsbeginn. „Russland versucht, diesen Krieg mit der Brechstange politisch zu gewinnen“, sagt der Politologe Thomas Jäger. Er warnt davor, auf diplomatische Signale zu hoffen, solange Putin keinen echten Druck verspürt.
Moskau zerstört zivile Strukturen Jäger: „Putin hat Imageproblem gegenüber Xi“
+++ 11:36 Zahl der Todesopfer nach russischem Rekordangriff steigt auf sechs +++
Beim schwersten russischen Luftangriff seit Beginn der Vollinvasion 2022 sind landesweit mindestens sechs Menschen ums Leben gekommen, Dutzende wurden verletzt. Getroffen wurde neben vielen Wohngebäuden auch der Regierungssitz in Kiew. Von den mindestens 810 Drohnen und 13 Raketen, mit denen die Russen die Ukraine überzogen, konnten die Verteidiger nach eigenen Angaben 747 Drohnen und vier Raketen abschießen oder unschädlich machen. So wurden noch mehr Opfer verhindert. Ende August waren bei einem massiven russischen Drohnen- und Raketenangriff auf Kiew 25 Menschen getötet worden.
+++ 11:16 Geheimdienstchef Budanov sieht Gefahr russischer Mobilmachung +++
Der ukrainische Geheimdienstchef Kyrylo Budanov hält eine erneute russischen Mobilmachung für möglich. „Leider ist dies eine ernsthafte Gefahr“, sagt Budanov im Interview mit dem Sender „Apostrof“. Nach der unpopulären Mobilmachung im Jahr 2022 hatte der Kreml diesen Schritt bislang vermieden. Für Russland selbst wäre eine Mobilmachung „schmerzhaft, aber realistisch“, so Budanov. Putin wäre dann in der Lage, die neu eingezogenen Soldaten „als Kanonenfutter“ einzusetzen. Bereits jetzt erkämpft die Kreml-Armee ihre Erfolge bei hohen Verlusten, weil im russischen Militärapparat dem Leben einzelner Soldaten kein Wert beigemessen wird. Wehrpflichtige werden nicht an der Front eingesetzt. Rekruten für den Ukrainekrieg versucht man bislang vor allem mit Geldangeboten zu gewinnen.
+++ 10:52 Ukraine zählt 170 Frontgefechte seit gestern +++
Der ukrainische Generalstab bilanziert aus den vergangenen 24 Stunden 170 Gefechte an der Frontlinie, allein 52 davon in der Region um die Donbass-Stadt Pokrowsk. Aber auch in den Sektoren von Novopavlivka, Toretsk, Lyman, Kramatorsk und Siversk haben die Invasoren ihre Angriffe intensiviert. Mit 106 Gleitbomben und 71 Luftschlägen griffen die Russen an, zudem zählten die Ukrainer mehr als 5300 Beschüsse. Über 100 davon aus Mehrfachraketenwerfern.
+++ 10:26 Kiew: ntv-Reporter erlebt Löscheinsatz live in TV-Schalte +++
Nach schweren russischen Luftangriffen in der Nacht verfolgt ntv-Reporter Jürgen Weichert die Rettungseinsätze in Kiew. Während dichter Rauch über dem Regierungsviertel aufsteigt, schildert er live in einer TV-Schalte, wie ungewöhnlich Löschhubschrauber dort derzeit sind.
Russische Angriffe erschüttern Kiew ntv-Reporter erlebt Löscheinsatz live in TV-Schalte
+++ 10:02 US-Experte: Putins Invasion läuft nicht nach Plan +++
Der renommierte US-Militärexperte John Spencer bilanziert die russische Sommeroffensive als gescheitert. Putins Armee kämpfe „in vielen Fällen noch immer um Dörfer, die nur wenige Kilometer von den ursprünglichen Positionen Russlands zu Beginn der Vollinvasion vor mehr als dreieinhalb Jahren entfernt liegen“, schreibt der Inhaber des Lehrstuhls für Kriegsstudien am Madison Policy Forum auf „X“. Keine einzige Regionalhauptstadt habe die Kreml-Truppe einnehmen können. „Putins Fähigkeit, westliche Staats- und Regierungschefs einzuschüchtern, ist seine größte Einzelleistung in einem Krieg, in dem seine Armee weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist“, so Spencer.
+++ 08:44 Ukraine meldet größten russischen Luftangriff seit Kriegsbeginn +++
Die Ukraine meldet den bislang größten russischen Drohnenangriff seit Kriegsbeginn. Russland habe in der Nacht mit 810 Drohnen und 13 Raketen angegriffen, teilt die ukrainische Luftwaffe mit. Die 13 Raketen waren demnach neun Marschflugkörper vom Typ Iskander-K und vier ballistische Raketen. 805 Drohnen – das ist laut Ukraine die höchste Zahl an Drohnen, die Russland seit Beginn seiner Invasion im Februar 2022 eingesetzt hat. 751 Drohnen und vier Raketen sind demnach von der Luftabwehr abgefangen worden. Im ganzen Land herrschte in der Nacht Luftalarm, erstmals wurde in Kiew das Regierungsgebäude beschädigt, die Löscharbeiten laufen demnach noch.
WEITERE UKRAINE-MELDUNGEN
KOMMENTAR – ANALYSE – HINTERGRUND
Der Krieg als Rückfall, als Zäsur in der Fortschrittsvorstellung: Von Vegetius zu Kant und wieder zurück – Herfried Münkler, Frankfurter Hefte, 6.10.2022
COMMENT: Der Essay des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler (*1951) (WIKIPEDIA) ist eine „Betriebsanleitung“ für die europäischen politische Antwort auf den Ukraine-Krieg. Ausführlicher zum Problemkomplex Ukrainekrieg nimmt Münkler in seinem mehr als 400 Seiten starken 2023 veröffentlichten Buch „Die Welt in Aufruhr“ Stellung. Mehr Artikel von Herfried Münkler finden sich in den Frankfurter Heften.
Man muss sich noch einmal die Erwartungen vor Augen führen, die mit der Vorstellung einer auf wirtschaftlichen Verflechtungen begründeten europäischen und – perspektivisch – globalen Friedensordnung verbunden waren, um nachvollziehen zu können, welch tiefe Zäsur der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine darstellt –, nicht nur für die machtpolitischen Verhältnisse am Schwarzen Meer oder für das Sicherheitsempfinden der Europäer, sondern auch für die Zukunftserwartungen in aller Welt.
Die nach dem Ende des Kalten Krieges aufgekommene Vorstellung, es könne zu einem zunächst europäischen, später weltweiten Frieden auf der Grundlage von »immer weniger Waffen« kommen, ist dahin, und es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass die jetzt lebenden Generationen eine Rückkehr dieser Vorstellung als realistische Option für die Neugestaltung der internationalen Konstellationen erleben werden. Insofern ist der Ukrainekrieg nicht nur ein Ereignis, das die geopolitischen Verhältnisse am südöstlichen Rand Europas grundlegend verändert hat, sondern auch ein »Geschichtszeichen«, über das Immanuel Kant gesagt hat, dass es so schnell nicht vergessen werde.
Darum bestimmt es, um den von den Reinhart Koselleck geprägten Begriff aufzunehmen, den »Erwartungshorizont« von Generationen. Kant hat die Vorstellung vom Geschichtszeichen auf die Französische Revolution von 1789 bezogen und das mit der Vorstellung einer kontinuierlichen Entwicklung zum Besseren verbunden. Der Ukrainekrieg dagegen steht als »Geschichtszeichen« für eine Zäsur in der Fortschrittsvorstellung, für den Rückfall in Verhältnisse, von denen die meisten bis vor Kurzem geglaubt haben, wir hätten sie definitiv hinter uns gelassen.
Sicherlich ist der Krieg in der Ukraine für diese allgemeine Erwartungsumkehr nicht allein verantwortlich. Auch die Pandemie, vor allem deren endlose Fortdauer, dazu eine in die Höhe geschossene Inflationsrate mitsamt wachsender Staatsverschuldung, die neuerliche Erfahrung der Güterknappheit, die man im Westen Deutschlands seit den 50er Jahren so nicht mehr kannte, der Umstand, dass rechtspopulistische bis rechtsradikale Parteien in einigen Ländern Europas in bedrohliche Nähe zur politischen Macht gekommen sind, weiterhin die fortbestehende Gefährdung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in den USA – das alles kommt bei der Verdunklung des Erwartungshorizonts in den westlichen Gesellschaften zusammen.
Aber der Krieg und die Bilder von den zerstörten Städten im Donbass, mit denen die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg wieder hochgekommen sind, sind doch die eigentliche Ursache dafür, dass wir den weiteren Verlauf des 21. Jahrhunderts nicht mehr mit jener Zuversicht erwarten, wie wir das in den letzten drei Jahrzehnten getan haben. Worst-Case-Szenarien haben die Oberhand gewonnen.
Was die Erhaltung des Friedens anbetrifft, so ist der Satz des spätrömischen Militärtheoretikers Flavius Vegetius, wer den Frieden wolle, solle sich auf den Krieg vorbereiten (si pacem vis para bellum), erneut der am ehesten erfolgversprechende Versuch, die Worst-Case-Konstellationen systematisch zur Grundlage des Denkens und Handels zu machen, um den Eintritt des Schlimmsten unwahrscheinlich zu machen. Das ist bitter, denn eigentlich hatten wir uns nach dem Ende des Kalten Krieges darauf eingestellt, das Vegetius-Modell der Friedenssicherung hinter uns gelassen zu haben.
Seit dem 16. Jahrhundert hat sich die europäische Staatenordnung nach diesem Vegetius-Modell entwickelt: Man unterhielt ein stehendes Heer, baute Festungen, in denen Kanonen und Mörser mitsamt Pulver gelagert waren, und sorgte sich um ein tüchtiges Offizierskorps, mit dem man Krieg führen konnte. Damit nahm man Abschied vom Just-in-time-Modell der vorangegangenen Jahrhunderte, bei dem die Feudalkrieger erst aufgeboten oder Soldaten angeworben und ausgerüstet wurden, wenn sich ein Krieg tatsächlich abzeichnete.
Das war die Kriegführung von Gesellschaften mit geringem Mehrprodukt. Das ständige Vorbereitet-Sein auf den Krieg hatte ein erhebliches Mehrprodukt zur Voraussetzung, denn es kostete Geld, viel Geld, und die für das stehende Heer getätigten Ausgaben waren obendrein unproduktiv.
Kosten ohne Nutzen?
Dessen Kosten hatten die Untertanen zu tragen, die in wachsendem Maße mit Steuern und Abgaben belegt wurden. Das von ihnen erarbeitete Mehrprodukt kam ihnen allenfalls indirekt zugute – als Schutz vor Feinden und deren Praktiken des Plünderns und Mordens. In der Regel floss es jedoch ohne erfahrbaren Nutzen in einen immer größer werdenden Militärhaushalt. Kosten ohne Nutzen, wie viele meinten – unter ihnen auch der Königsberger Philosoph Immanuel Kant.
Zugegeben: die Kosten der Vegetius-Ordnung schwankten; es gab Zeiten, in denen sie niedrig waren, weil weit und breit kein Feind in Sicht war. Aber es gab auch Zeiten, in denen sie für lange Zeit auf hohem Niveau verharrten, weil die machtpolitischen Konstellationen instabil waren und man jederzeit mit Pressionen oder Angriffen der Nachbarn rechnen musste, beziehungsweise diesen präventiv zuvorkommen wollte. Die Militärausgaben schwankten gemäß der Parabellum-Logik in einer gewissen Bandbreite, aber sie verschwanden nie.
Das galt auch für die drei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges, als fast überall in Europa die Militärausgaben auf unter zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sanken, weil das Risiko eines großen Krieges für sehr gering angesehen wurde. Doch ganz auf das Militär verzichten wollte man in Europa nicht, zumal man es für Auslandseinsätze zwecks Bekämpfung von Terrorgruppen und zur Beendigung von Bürgerkriegen brauchte. Die NATO wurde nicht aufgelöst, und die Atomwaffen blieben im Arsenal der großen Mächte. Die Vegetius-Ordnung wurde heruntergefahren, aber sie bestand fort.
Daneben entwickelte sich jedoch, teils in Konkurrenz, teils komplementär, die Vorstellung einer Friedensordnung, die tendenziell ohne Militär und ohne die Option zum Einsatz von Waffen auskommen wollte. Sie gründete sich auf die von besagtem Immanuel Kant in seiner Schrift Zum ewigen Frieden entwickelte Vorstellung, wonach der Handel auf Dauer nicht mit dem Krieg zusammen bestehen könne, weswegen man um des Wohlergehens der Menschen willen eine politische Ordnung schaffen müsse, in welcher der Krieg keine Rolle mehr spiele.
Was Kant am Ende des 18. Jahrhunderts als an die Politik adressiertes Postulat der Philosophie entwickelt hatte, wurde im darauffolgenden Jahrhundert von einigen Soziologen als Entstehung neuer Gesellschaftsformationen begriffen, die infolge ihrer Funktionsprinzipien keine Kriege mehr führen würden. So wies Auguste Comte in seinem Drei-Stadien-Gesetz Krieg und militärischem Geist eine eigene Epoche zu, die nunmehr, da das Zeitalter der Wissenschaft und Industrie begonnen habe, zu Ende gehe und durch eine der friedlichen Produktion abgelöst werde. Die Friedenswahrung wurde damit in eine Fortschrittsperspektive eingebaut, in der nicht nur der Krieg verschwinden, sondern auch die Kriegsvorbereitung überflüssig sein würde.
Herbert Spencer wiederum konstatierte, kriegerische seien mit industriellen Gesellschaften inkompatibel, und ging davon aus, dass Erstere den Letzteren weichen müssten. Schon bald werde der Krieg als Modus der Konfliktaustragung nur noch in rückständigen Gesellschaften am Rande der industriellen Zivilisation anzutreffen sein. Was Kant postuliert hatte, wurde von Comte, Spencer und anderen in die sozioökonomische Realentwicklung eingeschrieben. Demgemäß hielten viele Beobachter vor dem Sommer 1914 einen großen Krieg in Europa für unwahrscheinlich, wenn nicht prinzipiell ausgeschlossen. Sie wurden durch den Ersten Weltkrieg eines anderen belehrt.
Von dieser Erwartungsenttäuschung, diesem Bruch in der geschichtsphilosophischen Selbstverortung haben sich der Optimismus der bürgerlichen Klassen und die liberale Grundeinstellung eines Großteils der Gesellschaft nie mehr erholt. Auch die globale Ökonomie erlebte eine Disruption mit langwährenden Folgen: Erst in den 70er Jahren erreichte die Weltwirtschaft wieder das Niveau des Güteraustauschs, das sie in den Jahren vor Kriegsausbruch innegehabt hatte.
Keiner kann voraussagen, ob der Ukrainekrieg ähnliche Folgen haben wird. Zwar ist das unmittelbare Kriegsgeschehen nach wie vor räumlich begrenzt, aber auszuschließen ist ein tiefer Bruch in der globalen Ökonomie und den gesellschaftlichen Mentalitäten keineswegs. Und vor allem: Auf lange Zeit werden die Europäer wieder zum Vegetius-Modell der internationalen Ordnung zurückkehren und Staatshaushalte wie gesellschaftliche Mentalitäten an der Vorgabe des si pacem vis para bellum ausrichten – ausrichten müssen, denn sie tun das ja nicht, weil sie von sich aus darauf gekommen wären, sondern in Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Sie haben die Erfahrung gemacht, dass ihre eigene Entscheidung, den Weg zu einem »Frieden mit immer weniger Waffen« zu beschreiten, nicht durchzuhalten war, weil sich eine Macht innerhalb ihres geopolitischen Raums zu einer Politik der kriegerischen Veränderung des Status quo entschlossen hatte. Das ist eine einschneidende Erfahrung, die die Friedensbewegung und alle, die sich ihren Zielen verbunden fühlten, in ihrem Kern getroffen hat: Die eigenen Motive und Zielsetzungen werden bedeutungslos, wenn auch nur ein einziger hinreichend mächtiger Akteur des betreffenden Raumes andere Absichten verfolgt.
Oder schärfer formuliert: die eigene Friedensorientierung ist politisch irrelevant, wenn nicht sämtliche relevanten Akteure diese Orientierung teilen oder – alternativ dazu – es keine Macht gibt, die gegen Friedensbrecher vorzugehen und sie an die Regeln des Friedens zu binden in der Lage ist. Doch eine solche Macht kann es in der Konfrontation mit einem nuklear bewaffneten Regelbrecher nicht geben. Das wiederum heißt, dass die Vegetius-Ordnung auf unabsehbare Zeit die Politik dominieren wird. Das ist die wohl folgenreichste Zäsur in der an Disruptionen überreichen Gegenwart.
Um die Folgen dessen zu begreifen, muss man sich die mit dem kantischen Friedensmodell verbundenen Erwartungen sowie dessen west- und mitteleuropäische Erfolgsgeschichte der letzten sieben Jahrzehnte noch einmal ansehen. Diese Ordnung ist ja keineswegs zustande gekommen, weil kantianische Philosophen an der Macht waren, sondern weil einige zutiefst pragmatische Politiker unter dem Eindruck zweier Weltkriege nach einer prinzipiellen Alternative zur Konfliktaustragung in Form von Krieg gesucht und dabei ein auf wirtschaftlicher Verflechtung beruhendes Projekt der europäischen Integration entwickelt haben, das sich als »Ordnung des Friedens und des Wohlstands«, wie sich die EU heute selbst bezeichnet, bewährt hat.
Das »Europa der Sechs« hat im Verlauf der 60er Jahre eine solche Attraktivität entwickelt, dass ihm weitere Staaten beitreten wollten und man nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zu dem Ergebnis gelangte, man solle das in West- und Südeuropa bewährte Modell auf Ostmitteleuropa übertragen, unter anderem auch, um dafür zu sorgen, dass sich dort die Kriege der Zwischenkriegszeit von 1919 bis 1938 nicht wiederholten. Die jugoslawischen Zerfallskriege waren eine Warnung, dass die ethnischen Konflikte in diesem Raum sehr schnell wiederaufleben konnten.
Tatsächlich ist es der EU auf dem Balkan mit dem Versprechen des Wohlstandstransfers gelungen, die Kriegsgewalt zu beenden. Man hatte militärische Gewalt eingesetzt, um die Konfliktparteien zu trennen, aber den Frieden stabilisiert hat danach eher wirtschaftliche als militärische Macht. Währenddessen vollzog sich in Ostmitteleuropa eine friedliche Entwicklung zu einem allmählich wachsenden Wohlstand. Man war zuversichtlich, auf dem richtigen Weg zu sein.
Unter diesen Umständen blieb nur noch Russland, das aber zu groß und von seiner politischen Ordnung her ungeeignet war, ein Bestandteil der EU zu werden. Der Blick auf die politischen Konstellationen legte freilich die Vermutung nahe, dass die russischen Eliten mit der nach dem Zerfall der Sowjetunion in Osteuropa entstandenen politischen Ordnung unzufrieden waren und den Status quo verändern wollten. Russland war eine latent revisionistische Macht, bei der man damit rechnen musste, dass diese Dispositionen bei entsprechender Gelegenheit akut wurden.
Die Frage lautete somit, wie man das Interesse des Landes an der europäischen Friedensordnung wecken konnte. Darauf gab es drei mögliche Antworten: als erstes durch die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung eigener militärischer Fähigkeiten, und zwar solcher, die geeignet waren, die russische Führung von jeglicher Veränderung des Status quo in Europa abzuhalten; als zweites durch ein Entgegenkommen der Europäer gegenüber kleineren Revisionsbegehren der Russen, also durch Appeasement, oder, drittens durch den Anschluss Russlands an das westliche Wohlstandsprojekt, was hieß: durch eine wirtschaftliche Verflechtung, von der beide Seiten profitierten und bei deren Infragestellung oder Auflösung jede Seite erhebliche Nachteile haben würde.
Ersteres, die Parabellum-Politik gegenüber Russland wäre darauf hinausgelaufen, dass man das eigene Friedensprojekt aus Furcht vor seiner möglichen Beschädigung durch Russland selbst aufgegeben beziehungsweise auf den Binnenraum der EU beschränkt und Russland gegenüber auf das Vegetius-Modell gesetzt hätte. Das kam nicht infrage, solange Russland nicht als akut revisionistischer Akteur agierte und hätte in der eigenen Bevölkerung in Anbetracht der erheblichen finanziellen Nachteile auch keine Zustimmung gefunden.
Auch ein Appeasement gegenüber Russland war ausgeschlossen, weil die Europäer dann selbst den Status quo infrage gestellt und obendrein über die Köpfe der Betroffenen hinweg verhandelt hätten, um neue Grenzen zu ziehen, die Russland zufrieden stellen sollten.
So blieb also nur das Modell eines Wohlstandstransfers, das über die Hebung des russischen Lebensstandards die Macht im Osten von europäischen Kapitalzuflüssen abhängig machen und sie auf diese Weise pazifizieren sollte. Tatsächlich ist man dabei jedoch, wie sich jetzt zeigt, selbst von russischen Energielieferungen abhängig geworden.
Bittere Erfahrung des Scheiterns
Mehr noch als der russische Angriffskrieg wird die Erfahrung dieser Abhängigkeit und der mit ihr verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen dazu führen, dass es das Projekt einer Friedenssicherung durch wirtschaftliche Verflechtung, nennen wir es das Kant-Comte-Spencer-Modell, in Zukunft schwer haben wird, als grundsätzliche Alternative zur Vegetius-Ordnung akzeptiert zu werden, denn auch das Argument der geringeren Kosten wird angesichts der aktuellen Knappheitserfahrungen bei Energie und Rohstoffen keine große Überzeugungskraft mehr entfalten können.
Vermutlich werden spätere Generationen im Rückblick konstatieren, dass zu Beginn der 2020er Jahre eine große Chance vertan wurde, die Logik des Parabellum zu überwinden. Das macht zugleich verständlich, warum die Europäer mit den Deutschen an der Spitze so lange am Kant-Comte-Spencer-Modell festgehalten haben – auch dann noch, als absehbar war, dass Putin und die russische Führung den Vorgaben und Erwartungen dieses Modells nicht folgten. Sie haben gehofft, Russland doch noch auf der Spur eines ökonomisch geprägten Kosten-Nutzen-Kalküls zu halten.
Umso bitterer ist die Erfahrung des Scheiterns, unter anderem mit der paradoxen Konsequenz, dass viele zutiefst überzeugte Liberale inzwischen bedingungslose Anhänger der Vegetius-Ordnung geworden sind, während erhebliche Teile der politischen Rechten mit einer fast kantschen Positionierung hausieren gehen und mit Russland Hals über Kopf Frieden machen wollen, um möglichst schnell wieder zum wirtschaftlichen Austausch zurückkehren zu können.
Die Rückkehr zum Vegetius-Modell, von der hier angenommen wird, dass sie eine auf lange Zeit sein wird, ist jedoch nicht gleichbedeutend damit, dass es bei den Bemühungen um eine Beendigung des Krieges in der Ukraine keine Fortschritte geben wird, im Gegenteil: gerade hier muss sich die deutsche wie die europäische Politik um ein Vorankommen gegenüber der gegenwärtigen Situation bemühen. Das begann bei der Wiederaufnahme der Getreideexporte aus der Ukraine, setzt sich fort in einem regelmäßigen Austausch von Kriegsgefangenen und verliert dabei das Schicksal der ukrainischen Zivilisten nicht aus dem Auge, die aus den von russischem Militär besetzten Donbassgebieten auf russisches Territorium verbracht worden sind und von denen vermutlich viele in von der ukrainischen Regierung kontrollierte Gebiete ihres Landes zurückkehren wollen.
Das größere Ziel dieser Politik der kleinen Fortschritte ist aber die Herstellung eines politischen Zustands, in dem die Waffen schweigen und dem die Regierung der Ukraine uneingeschränkt zugestimmt hat, also eines Verhandlungsfriedens, der kein russischer Siegfrieden sein darf und kein ukrainischer Siegfrieden sein muss. Aber bis dahin ist es vermutlich ein langer Weg, zu dessen Zielerreichung aller Voraussicht nach europäische Sicherheitsgarantien für die territoriale Integrität der Ukraine gehören. Die aber können nur auf der Grundlage des Vegetius-Modells gegeben werden.
Das ist, zugegeben nicht der große Fortschritt, der zu Beginn dieses Jahres noch auf der politischen Tagesordnung gestanden hat und der mit dem russischen Angriff vom 24. Februar in weite Ferne gerückt (worden) ist. Aber politischer Fortschritt ist nun einmal immer Fortschritt auf der Grundlage der gegebenen Verhältnisse. Das unterscheidet ihn von den großen Entwürfen der Philosophen und Gesellschaftstheoretiker, die an zeitlosen normativen Idealen oder langfristigen Trends orientiert sind und nicht an den realen Gegebenheiten eines bestimmten Zeitpunkts.
Wer beides miteinander verwechselt oder gar vermischt, befördert nicht den Fortschritt, sondern macht nur die kleinen Fortschritte unbedeutsam. Er spricht ihnen eine Bedeutungslosigkeit angesichts von normativen Entwürfen zu, die geeignet ist, einer Politik der kleinen Fortschritte den Elan zu nehmen. Das ist weder klug noch politisch visionär, sondern nur selbstbezogen und eitel.
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Wirtschaft
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USA
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NAHER OSTEN – MENA WATCH (Mena-Watch auf Wikipedia)
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EUROPA
Norwegen wählt: Steuern, Energie und ein riesiger Staatsfonds – ORF, 8.9.2025
Am Montag wählen die Norwegerinnen und Norweger ein neues Parlament und stellen damit die Weichen, wer das Land in den kommenden vier Jahren regieren wird. Der Wahl mag außerhalb des Landes nicht die große mediale Aufmerksamkeit zukommen. Beobachtet wird sie international dennoch genau – auch weil diesmal der Hunderte Milliarden schwere Nationalfonds zum Politikum wurde.
Zwei Billionen Dollar (1,7 Billionen Euro) auf der hohen Kante zu haben, davon träumen zweifellos viele Staaten. Norwegen ist mit seinem Staatlichen Pensionsfonds in dieser privilegierten Lage. Allerdings bescherte der Fonds Norwegen heuer auch die erste große Debatte des Wahlkampfs.
Das lag in dem Fall nicht an der Herkunft des Geldes – der Fonds speist sich aus den Einnahmen durch das florierende Öl- und Gasgeschäft des Landes. Vielmehr war es der Krieg Israels gegen die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen, der den Fonds zum Wahlkampfthema werden ließ.
Konkret entzündete sich die Kritik an Investitionen des Fonds in israelische Unternehmen bzw. in solche mit Bezug zu Israel. Nach einer überraschend heftigen Debatte gab der Fonds Anfang August bekannt: Man haben Aktien an elf israelischen Unternehmen verkauft, Verträge mit externen israelischen Beratern beendet und die Richtlinien für Investitionen in dem Land geändert.
Stoltenberg bestreitet Auswirkungen auf Wahl
Ende August stieß der Fonds überdies seine Anteile an dem US-Baumaschinenhersteller Caterpillar ab, da Israel mit den Baumaschinen palästinensisches Eigentum zerstöre. Das wiederum ließ diese Woche mit Drohungen gepaarte Kritik aus der US-Politik laut werden.
Norwegens Finanzminister Jens Stoltenberg wurde in der Debatte nicht müde zu betonen, dass die Investitionsentscheidungen des Fonds nicht durch die Politik getroffen würden. Und er bestritt, dass das Thema Auswirkungen auf die Wahl haben würde. Solche hätten sich in den Meinungsumfragen nicht gezeigt. „Das ist kein dominierendes Thema“, sagte Stoltenberg Ende August gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
Überraschende Wende für Sozialdemokraten
Man mag das als Zweckoptimismus abtun. Fest steht allerdings, dass die Arbeiterpartei (AP) von Stoltenberg in allen Umfragen seit Wochen stabil in Führung liegt. Vergangene Woche veröffentlichte der öffentlich-rechtliche Sender NRK seine „Superumfrage“, die bei den vergangenen Wahlen als recht zuverlässige Prognose galt.
Sie sah die Partei von Premierminister Jonas Gahr Störe mit 28 Prozent klar voran. Mit einem Abstand von rund sechs Prozent folgt die rechtspopulistische Fortschrittspartei von Sylvi Listhaug, die damit immer noch ein Plus von rund zehn Prozent verbuchen würden. Während die Konservativen (Höyre) von Ex-Premierministerin Erna Solberg deutlich abgeschlagen auf rund 15 Prozent kommen.Noch um den Jahreswechsel hatte die Situation ganz anders ausgesehen. Störe war angezählt, seine Minderheitsregierung aus AP und der bäuerlichen Zentrumspartei im Dauerstreit gefangen. Ende Jänner zerbrach die Koalition schließlich. In vielen anderen Ländern wäre nun wohl eine Neuwahl angestanden. Doch die norwegische Verfassung kennt diese Möglichkeit nicht. Gewählt wird strikt alle vier Jahre.
Die Zentrumspartei stützte die AP im Parlament weiter, Störe bildete die Regierung um und holte Stoltenberg als Finanzminister. Der ehemalige norwegische Ministerpräsident und langjährige NATO-Generalsekretär gilt als populärster Politiker Norwegens. Mit ihm gelang Störe und seiner AP tatsächlich die Wende.
Ungleichheit als größte Wählersorge
Das mag auch mit der geopolitischen Lage und besonders der zweiten Amtszeit von Präsident Donald Trump in den USA zusammenhängen. Norwegens Regierung konnte sich in den vergangenen Monaten vor allem durch außenpolitische Kompetenz profilieren.
Zuletzt veränderten sich auch die drängendsten Sorgen, die Wählerinnen und Wähler angaben. Noch im April waren Verteidigung und nationale Sicherheit hier in einer Umfrage der Tageszeitung „Aftenposten“ ganz oben gestanden. Bei einer entsprechenden Umfrage im August rangierte der Punkt aber nur noch auf Platz sechs. Am meisten sorgten sich Wählerinnen und Wähler nun über Ungleichheit. Auch Wirtschaft, Jobs und Steuern rangierten weit oben.
Bruchlinien in Steuerfrage
In der Steuerfrage zeigt sich auch eine der großen Bruchlinien zwischen den Lagern. Störes Regierung erhöhte 2022 die seit Jahrzehnten bestehende Vermögenssteuer leicht, was auch eine gesellschaftliche und mediale Debatte zur Folge hatte. Die Sozialdemokraten sprachen sich im Wahlkampf auch gegen Steuersenkungen im großen Stil aus.
Genau mit solchen werben sowohl die Rechtspopulisten als auch die Konservativen. Den Umfragen zufolge dürfte das Mitte-rechts-Lager allerdings eine Mehrheit verfehlen. Es wäre dann am vermutlichen Wahlgewinner Störe, eine Regierung links der Mitte zu formen. Ob und wie ihm das gelingt, ist allerdings eine andere Frage.
Exportartikel Energie
Das liegt zum einen an der Unsicherheit, welche der kleineren Parteien überhaupt die Vierprozenthürde für den Einzug ins Parlament schaffen. So zittern etwa die Grünen um ihren Einzug. Zum anderen könnte inhaltlich gerade Norwegens entscheidender Wirtschaftsfaktor zum Knackpunkt werden: die Energie – in Form von Öl und Gas und als elektrischer Strom.
Bei der Öl- und Gasförderung versuchen die Sozialdemokraten, einen Kurs zwischen Klimaschutz und Interessen der fossilen Industrie zu fahren – auch mit dem Hinweis, dass Europa ohne norwegisches Gas keine Unabhängigkeit von Russland erlangen könne. Die Position unterscheidet sich wenig von jener der konservativen Höyre. Während die rechtspopulistische Fortschrittspartei für eine starke Ausweitung der Förderung eintritt.
Zumindest unter den Parteien, die Störe für eine stabile Koalition brauchen könnte, wird die Öl- und Gasförderung teils aber auch deutlich kritischer gesehen. Die sozialistische Linkspartei (SD) und die Grünen fordern etwa, dass keine neuen Bohrlizenzen mehr vergeben werden.
Streitpunkt Strommarkt
Keinen Widerstand hätten die Sozialdemokraten hier von der Zentrumspartei zu erwarten. Dafür tut sich eine andere Bruchlinie auf. Als die Koalition aus AP und Zentrumspartei im Jänner zerbrach, stand im Zentrum der Streit über Stromexporte in die EU. Die EU-kritische Zentrumspartei machte die Frage auch zu einem zentralen Thema ihres Wahlkampfs.
Ein Drosselung der Stromexporte beziehungsweise eine Entflechtung des norwegischen Strommarkts von dem der EU hätte freilich gröbere Konsequenzen, nicht zuletzt weil Norwegen trotz Nicht-EU-Mitgliedschaft Teil des EU-Binnenmarktes ist und damit auch dessen Regeln unterliegt. All das macht die Wahl in dem skandinavischen Land spannender, als sie auf den ersten Blick scheinen mag. Und auch die nach der Wahl anstehende Koalitionssuche wird nicht zuletzt in den EU-Staaten beobachtet werden.
mars, ORF.at
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Vertrauensvotum: Frankreichs Regierung steht vor dem Sturz – ORF, 7.9.2025
Erst seit Dezember 2024 ist Francois Bayrou Premierminister Frankreichs, nun könnte seine Amtszeit aber vorzeitig enden: Am Montag wird er in der Nationalversammlung die Vertrauensfrage stellen. Kommentatorinnen und Kommentatoren sehen seinen Sturz und das Ende seiner Minderheitsregierung als gesetzt. Präsident Emmanuel Macron müsste damit das siebte Mal seit seiner Amtsübernahme 2017 einen Regierungschef suchen.
Bayrou bezeichnete das Votum im Vorfeld als Entscheidung zwischen „Chaos und Verantwortung“. Wie sein Vorgänger Michel Barnier hat auch er mit breitem Widerstand gegen seine Sparpläne zu kämpfen: Im Lichte der wirtschaftlichen Lage Frankreichs hatte der Zentrumspolitiker im Juli Einsparungen in Höhe von 44 Milliarden Euro für das kommende Jahr vorgeschlagen, um das Staatsdefizit auf unter 4,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu senken.
Mit einem Haushaltsdefizit von zuletzt 5,8 Prozent ist Frankreich weit vom europäischen Grenzwert von drei Prozent entfernt. Frankreichs Schuldenberg beträgt derzeit 113 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit ist Frankreich nach Griechenland und Italien das Land im Euro-Raum mit der höchsten Schuldenquote.
Bayrous Pläne sehen unter anderem vor, die öffentlichen Ausgaben mit Ausnahme der Verteidigung einzuschränken, Pensionen und Sozialleistungen einzufrieren und zwei der insgesamt elf Feiertage abzuschaffen. Gewerkschaften und die Oppositionsparteien kritisierten das Vorhaben scharf. Für Mittwoch wurde angesichts der Regierungskrise zu einem Generalstreik aufgerufen. Für den Premier ist die Vertrauensfrage eine Flucht nach vorn.
Bayrous „politisches Harakiri“
„Da die französische Regierung im Palais Bourbon keine Mehrheit hat, ist der Ausgang dieser Abstimmung vorhersehbar: Francois Bayrou wird sie verlieren und danach zurücktreten“, schreibt der Rechtsprofessor Christoph Schönberger in einem Gastkommentar für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. „Mit Zustimmung von Staatspräsident Macron, der die Sondersitzung anberaumen musste, begeht sein Premierminister politisches Harakiri“, schreibt er.
Die Oppositionsparteien – also die Linkspartei La France Insoumise (LFI), die Kommunisten, die Grünen, die Sozialisten und die rechtspopulistische Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen – kündigten im Vorfeld an, bei der Vertrauensfrage gegen Bayrou zu stimmen. Sollte Bayrou stürzen, drängt Le Pen auf Neuwahlen: „Je schneller es wieder an die Urnen geht, desto schneller bekommt Frankreich einen Haushalt“, sagte sie am Dienstag.
Macron lehnt Neuwahlen bisher ab
Die Entscheidung für eine Auflösung des Parlaments liegt bei Präsident Macron. Obwohl das Land aktuell in drei miteinander verfeindete Blöcke geteilt ist, hat er Neuwahlen oder seinen Rücktritt bisher ausgeschlossen. Macrons zweite Amtszeit endet 2027.
Grafik: APA/ORF; Quelle: Französisches Innenministerium
Befürchtet wird, dass das derzeitige Regierungslager, das aus Mitte-rechts-Parteien besteht, bei Neuwahlen schrumpft, während Links- und Rechtspopulisten dazugewinnen. Zugleich besteht das Risiko, dass sich im Parlament erneut eine Blockadesituation ergibt.
Gleichzeitig würde auch ohne Neuwahlen eine verfahrene Situation auf einen etwaigen Nachfolger oder eine etwaige Nachfolgerin Bayrous warten. So würde der nächste Premier ebenfalls einer Minderheitsregierung vorstehen, die für jedes Gesetzesvorhaben neue Allianzen schmieden muss. Aktuell hat kein Lager die Mehrheit in der Nationalversammlung. Als Nachfolger für Bayrou sind unter anderen der konservative Justizminister Gerald Darmanin sowie Verteidigungsminister Sebastien Lecornu im Gespräch.
Bayrou und Macron mit verheerenden Umfragewerten
Bayrou hatte die Vertrauensabstimmung zuletzt als richtungsweisend für sein Land bezeichnet. Es gehe dabei nicht um seine eigene Zukunft, sondern es stehe „das Schicksal Frankreichs“ auf dem Spiel, sagte er Ende August in einem Interview mit mehreren französischen TV-Sendern. Sollte das Kabinett gestürzt werden, werde es zu einem Politikwechsel kommen. Die Folge wäre aus seiner Sicht eine „laxere“ Politik.
Sollte Bayrou am Montag tatsächlich scheitern, dann muss das nicht zwangsläufig das Ende seiner politischen Karriere bedeuten. So wurde zuletzt über ein mittlerweile viertes Antreten des 74-Jährigen bei den Präsidentschaftswahlen gemutmaßt. Geplant sei ein Antreten 2027 derzeit nicht, sagte der 74-Jährige dem Sender RTL. „Aber es bleibt eine Möglichkeit.“
„Nur noch eine Chance“
„Der bevorstehende Sturz des französischen Premierministers bedeutet, dass ihm nur noch eine Chance bleibt, seinen Traum von der Präsidentschaft zu verwirklichen“, schrieb Politico am Donnerstag. Bayrous Strategie bestehe nun darin, „sein Amt als Premierminister niederzulegen und damit zu zeigen, dass er bereit ist, aus Prinzip zu kämpfen.“ Seit Jahren spreche er sich gegen übermäßige Ausgaben aus. „Bayrou hofft, dass seine Selbstverbrennung den Weg für eine phönixgleiche Wiederauferstehung ebnen kann“, heißt es weiter.
Das Vertrauen der Bevölkerung in Bayrou und Macron litt zuletzt jedenfalls stark. Das geht aus einer Umfrage, die am Donnerstag veröffentlicht worden war, hervor. Laut der Befragung von Verian für das Magazin „Le Figaro“ kommt Bayrou auf eine Zustimmung von 14 Prozent. Das sei der „niedrigste Wert, der jemals für einen Premierminister in diesem Barometer verzeichnet wurde“, schrieb „Le Parisien“. Macrons Zustimmungswerte fielen auf 15 Prozent und damit auf den niedrigsten Wert seit 2017.
kale, ORF.at/Agenturen
Links:
- Französisches Präsidialamt
- Französische Regierung
- Französische Nationalversammlung
- „FAZ“-Kommentar
- Politico-Artikel
- „Le Figaro“-Umfrage
- „Le Parisien“-Artikel
DEUTSCHLAND – WAHLUMFRAGEN
UMFRAGEN
08:51 | DGB-Umfrage: Mehrheit der Deutschen möchte weniger arbeiten | 1 | RND.de | |
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05:35 | Pressestimme: ‚Handelsblatt‘ zu den hohen AfD-Umfragewerten | 377 | dpa-AFX | |
So | DGB-Umfrage: Chefs blockieren oft Wunsch nach längerer Arbeitszeit | 643 | dts Nachrichtenagentur | |
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So | DGB-Umfrage: Mehrheit würde gern weniger arbeiten | 689 | dpa-AFX | |
So | Umfrage September 2025: Nutzt du noch Festnetz-Telefonie? | 1 | Caschys Blog | |
So | Neue Insa-Umfrage: Union weiter knapp vor AfD – Grüne legen zu | 2.205 | dts Nachrichtenagentur |
ÖSTERREICH – WAHLUMFRAGEN – APA-WAHLTREND
Regierung berät über Staffelung der Pensionserhöhung – APA, 7.9.2025
Bedeckt hält sich die Regierung über die laufenden Verhandlungen über die Erhöhung der Pensionen für 2026. Seit dem Vorstoß von Kanzler Christian Stocker (ÖVP), der sich Anfang der Woche für eine Erhöhung unterhalb des gesetzlichen Anpassungsfaktors von 2,7 Prozent aussprach, und dem anschließenden Pochen der SPÖ auf eine volle Anpassung für kleinere bzw. mittlere Pensionen läuft die Diskussion in Richtung einer sozialen Staffelung. Die Details bleiben vorerst unklar.
Stocker hatte im ORF-„Sommergespräch“ von einem Zielwert von zwei Prozent für die Pensionserhöhung gesprochen. Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) meinte darauf, dass dies nicht zulasten jener gehen dürfe, die keine hohen Pensionen haben. Und: Es sei „nicht vorstellbar, dass man sehr weit herunter kommt“. Andere SPÖ-Vertreter wiederum meinten, dass kleine und mittlere Pensionen jedenfalls die vollen 2,7 Prozent erhalten sollten – ohne jedoch genaue Zahlen zu nennen. Am konkretesten wurde noch der Kärntner Landeshauptmann und SPÖ-Chef Peter Kaiser, der die Grenze bei jenen Pensionen ansetzen wollte, die unterhalb des Medians liegen.
Mit diesen Positionierungen wurde praktisch eine soziale Staffelung ins Spiel gebracht. In diese Richtung äußerte sich am Wochenende auch ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian, der sich die 2,7 Prozent für das „Gros“ der Pensionisten wünschte und darauf verwies, dass es auch in den vergangenen Jahren eine je nach Pensionshöhe abgestufte Erhöhung gegeben habe. Am Sonntag vermeldete die „Kronen Zeitung“, dass die soziale Staffelung an sich fix ist – verhandelt werde aber noch über die genauen Grenzen und Prozentpunkte.
Eine offizielle Bestätigung dafür gab es aus Regierungskreisen nicht – auch nicht für eine von der Zeitung genannte Verhandlungsrunde am morgigen Montag sowie eine angestrebte Einigung noch in dieser Woche.
In TV-Auftritten verwiesen SPÖ-Vertreter am Sonntag nur auf bisherige Äußerungen. Verkehrsminister Peter Hanke nannte eine Staffelung in der ORF-„Pressestunde“ „eine der Optionen“. Er wolle sich in die Gespräche nicht einmischen – es sei aber wichtig dass wir „einen Sparsinn haben“. Bundesgeschäftsführer Klaus Seltenheim wiederum pochte im „Hohen Haus“ nur auf eine volle Anpassung für kleine und mittlere Pensionen, ohne dies näher zu konkretisieren.
Ein Aufmachen des Gehaltsabschluss für den öffentlichen Dienst hält Hanke für „nicht leicht“. „Es wäre aber schon gut miteinander zu reden.“ Das würde der Republik, ihrer Finanzkraft und der Spargesinnung gut tun. „Aber dafür braucht es Partner“, meinte er in Richtung Gewerkschaft.
Wegen Propaganda: Prozessstart gegen „Aula“-Chefredakteur in Graz – GMX, 6.9.2025
Er war einst Chefredakteur der Zeitschrift „Aula“, nun muss er sich jedoch vor Gericht verantworten. Martin Pfeiffer ist angeklagt, „nationalsozialistische Propaganda-Stereotype“ verbreitet zu haben.
Der ehemalige Chefredakteur und Herausgeber der Zeitschrift „Aula“ muss sich ab 15. September im Grazer Straflandesgericht unter anderem wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verantworten. Martin Pfeiffer soll laut Anklage zumindest von 2005 bis Juni 2018 – teilweise auch als Autor der in der Zeitschrift publizierten Beiträge – „nationalsozialistische Propaganda-Stereotype“ verwendet haben. Die Anklage listet rund 250 Beispiele auf von Rassenlehre bis Antisemitismus.
Pfeiffer, der zu seiner Zeit als Chefredakteur auch FPÖ-Bezirkspolitiker in Graz war, soll etwa Rassismus, Herrenrassen- und völkisches Denken sowie einen biologisch-rassistischen Volksbegriff und nationalsozialistische Rassentheorien propagiert haben. Es wurden Begriffe wie „rassisch Minderwertige“ verwendet sowie „Rassenmischung“ durch Integration als Gefahr und „Europide“ als Vertreter einer überlegenen Rasse dargestellt. Personengruppen wurden laut Anklage im „Aula“-Jargon als „Neger“ oder „Zigeuner“ bezeichnet. Über sie wurde vorwiegend negativ berichtet und gehetzt. Sie wurden pauschal als kriminell, arbeitsscheu und minder intelligent dargestellt, so der Vorwurf des Anklägers.
„Aula“-Buchdienst für Literatur und Ton- und Bildträger
Weiter wurde das „Jüdische“ als Gefahr dargestellt und vor der „Judaisierung der Welt“ gewarnt. Nationalsozialismus, Führungspersönlichkeiten und Mitglieder der NSDAP, Nazikämpfer und die Nazi-Wehrmacht sollen verteidigt und glorifiziert worden sein. Zudem sei der Genozid an den europäischen Juden (Holocaust) und anderen durch das NS-Regime verfolgten Gruppen relativiert und Partei für verurteilte Holocaust-Leugner ergriffen worden sein. In der „Aula“ soll auch die grausame Realität in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern beschönigt worden sein.
NS-Propagandamaterial gleichkommende Literatur und Ton- und Bildträger über Führungspersönlichkeiten und Mitglieder der NSDAP wurden beworben und über den „Aula“-Buchdienst zum Kauf angeboten, so die Anklage. Vorgeworfen wird auch, dass Neonazis, neonazistischen Gruppierungen und verurteilten Holocaustleugnern eine Plattform geboten und Sympathien für deren Ideologie zum Ausdruck gebracht und das Verbotsgesetz unsachlich kritisiert und dessen Abschaffung gefordert wurden.
Prozess mehrere Tage im großen Schwurgerichtssaal
Der Prozess gegen Pfeiffer ist für zumindest für zwei Wochen anberaumt und findet ab 15. September beinahe täglich im großen Schwurgerichtssaal des Straflandesgerichts in Graz statt. In der ersten Woche will sich der Richter ausschließlich mit der Befragung des Angeklagten beschäftigen. Am Montag, 22. September, sollen erste Zeugen befragt werden. Für den 24. September sind die Schlussvorträge geplant und ein Urteil könnte am 26. September fallen. Vorerst sind neun Prozesstage geplant. Die „Aula“ wurde übrigens 2018 eingestellt. Von der Nachfolgezeitschrift „Neue Aula“ erschien nur eine Ausgabe. (apa/bearbeitet von lla)
Zwischen Aufbruch und Unsicherheit: Die Kärntner Tourismusreform auf dem Prüfstand – Gernot Riedel, Tourismuspresse, 7.9.2025
In den letzten Wochen und Monaten gehen die touristischen Wogen in Kärnten hoch. Nicht nur der verhaltene Saisonverlauf, u.a.durch den regnerischen Juli, sondern vor allem die Reform des Kärntner Tourismusgesetzes sorgt landauf, landab für Aufregung.
Doch warum ist es eigentlich in Kärnten so schwierig, etwas auf den Boden zu bringen, während andere Bundesländer dies, teils schon vor vielen Jahren, erfolgreich umgesetzt haben?
Ich selbst habe in meinen mehr als 30 Jahren als Destinations-Geschäftsführer vieles erlebt – von Skigebietsfusionen (z.B Serfaus-Fiss-Ladis), Zusammenschlüssen wie SkiAmade (damals als Gastein-Geschäftsführer) oder auch die Ergebnisse der Fusionierungen in Tirol, als Geschäftsführer der Kitzbüheler Alpen St.Johann.
Für mich galt immer eine grundsätzliche Erfolgsformel und Zielsetzung: Kooperation dann, wenn wir dadurch gemeinsam stärker, besser und effizienter sind. Sind einer oder mehrere Faktoren nicht oder zu wenig erfüllt, macht Kooperation u.U.keinen Sinn und muss wohlüberlegt sein. Denn nur des Zusammenschließens willen braucht man solche, doch aufwändigen Prozesse, nicht in Angriff nehmen.
Nachdem ich selbst Kärntner bin, viele Jahre auch in Kärnten tätig war (als Geschäftsführer der Region Wörthersee), scheint hier also das Problem wohl eher in der Herangehensweise zu liegen. Denn eines ist jedenfalls unabdingbar: gute und transparente Kommunikation des Vorhabens, ins Boot holen wesentlicher Partner und Entscheidungsträger, Überzeugungsarbeit an der Basis.
Warum funktioniert´s anderswo?
Ein kurzer Blick auf andere Bundesländer könnte aufzeigen, wie es funktioniert:
- In den erfolgreichen Bundesländern (Tirol, Steiermark, Vorarlberg, Salzburg) wurden Reformen meist frühzeitig, offen und gemeinsam mit allen Beteiligten erarbeitet. Teils aber auch mit dem notwendigen politischen Nachdruck…
- Es gab eine klare Kommunikation zu Zielen, Nutzen und neuen Aufgabenverteilungen – das erhöhte die Akzeptanz und Motivation.
- Die politischen Gremien arbeiteten, in letzter Konsequenz, über Parteigrenzen hinweg zusammen, und Wirtschafts-, Gemeinde- und Branchenvertreter waren aktiv eingebunden.
- Kultur des Miteinanders: Die lokale Identität blieb durch regionale Ansprechpartner erhalten, während Management, Digitalisierung und Marketing gemeinsam gemeistert wurden.
In meinen Augen macht also eine Reform durchaus Sinn, wie andere Beispiele seit Jahren zeigen. Und ja, auch dort gab es anfangs teils massiven Widerstand. Doch aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, daß das Miteinander, welches auch anderswo nicht immer von Begeisterung oder Freiwilligkeit geprägt war, fast immer einen Mehrwert gebracht hat.
Fazit
Widerstand ist ein normaler Begleiter von Strukturreformen. Erfolgreich umgesetzt wurden diese dort, wo politische Führung, professionelle Landesorganisationen, Betriebe, Sozialpartner und Gemeinden an einem Strang zogen, Sorgen ernst genommen und transparente Prozesse gelebt haben.
Und – aus eigener Erfahrung – würde ich jedenfalls behaupten, daß fast alle ähnlichen Fusionierungen, nach Überwinden natürlicher anfänglicher Schwierigkeiten, letzten Endes meist genau jene Ziele erreicht haben, die bei solchen Prozessen an oberster Stelle stehen.
Abschließend ein Zitat von Winston Churchill: „Veränderung bedeutet nicht immer Verbesserung, aber um zu verbessern, muss man sich verändern.“
WIRTSCHAFTS-NACHRICHTEN für Österreich
ÖSTERREICHISCHES PARLAMENT
ORF-MELDUNGSBÜNDEL ÖSTERREICH
Inland
Pensionsanpassung: Stimmen für Staffelung mehren sich
Hanke für „pragmatischen Optimismus“
Neues Schuljahr beginnt auch im Westen und Süden
Totale Mondfinsternis stellte sich über Österreich ein
Erneut Behinderungen durch „Öffi“-Baustellen in Wien
Wirtschaft
Weniger Borkenkäfer: Knappheit bei Rundholz in OÖ
Vorarlbergs Freibäder mit Saison zufrieden
ORF – Meldungen für die slowenische Volksgruppe (deutsch)
ORF – Meldungen für die slowenische Volksgruppe (slowenisch)
ORF – Meldungen für Volksgruppen in Österreich
CYBERSICHERHEIT
Newsletter des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vom 6.8.2025
Wie ihr beim Gaming den Spaß behaltet und wie ihr nicht nur eure Spiele-Accounts möglichst gut absichert, ist Thema in der neuen Newsletter-Ausgabe. Wir klären euch über die dunklen Seiten des Gaming auf und verraten, wie ihr euren Accountschutz optimiert. …
RELIGION
Teenager wird heiliggesprochen: Carlo Acutis starb mit 15 Jahren, nun soll er als Heiliger verehrt werden – GMX, 6.9.2025
Er wird „Cyber-Apostel“, „Internet-Patron“ und „Gottes Influencer“ genannt: Die Rede ist von Carlo Acutis, einem Teenager, der mit 15 Jahren gestorben ist und am Sonntag heiliggesprochen werden soll. Was steckt hinter dem Kult um ihn und wer war er?
Der „Schutz-Patron des Internets“, der selige Carlo Acutis, war ein ganz normaler Teenager – mit einigen Besonderheiten. So könnte man den Italiener, der mit 15 Jahren starb, in kurzen Worten beschreiben. Am Sonntag, den 7. September, soll der 2006 verstorbene Jugendliche heiliggesprochen werden.
Um Carlo Acutis hat sich ein regelrechter Kult entwickelt. Die Popularität der italienischen Stadt Assisi, der Geburtsort des heiligen Franziskus und Bestattungsort von Carlo Acutis, hat durch ihn neuen Aufwind bekommen. Im vergangenen Jahr ging Acutis‘ Herz-Reliquie auf Europa-Tour.
Hinter „Gottes Influencer“ steckt ein Jugendlicher, der sozial gut integriert war, der Playstation spielte, Fußballfan war und Actionfilme mochte. Aber hinter Carlo Acutis steckt auch ein Teenager, der bereits sehr früh den Weg zum Glauben fand – und das in einer Familie, die nicht besonders religiös war.
Schon als Kleinkind mit Gott verbunden
„In allen Dingen war er stets der Zeit voraus“, erzählt seine Mutter in einem Interview mit „Spirit“, einer Sendung der katholischen Hilfsorganisation „Kirche in Not Deutschland“. Laut Antonia Salzano Acutis sprach Carlo sein erstes Wort mit drei Monaten, mit fünf Monaten konnte er sprechen. „Er war gerade mal drei Jahre alt, da wollte er bereits, sobald er eine Kirche sah, hineingehen. Dann blieb er vor dem gekreuzigten Jesus oder beim Tabernakel stehen – er sehnte sich nach diesem Kontakt mit Gott, den er sein ganzes Leben lang aufrechterhielt“, sagt seine Mutter. Zum Glauben fand er durch sein polnisches Kindermädchen.
Die Erstkommunion empfing Carlo Acutis mit sieben Jahren, zu diesem Anlass schrieb er auf: „Mit Jesus vereint zu sein, das ist mein Lebensprogramm.“ Seitdem ging er seiner Mutter zufolge jeden Tag zur Heiligen Messe und hielt täglich vor und nach der Messe eucharistische Anbetung. Mit fünf Jahren betete er bereits jeden Tag den Rosenkranz. „Er liebte es, die Heilige Schrift zu lesen“, so Antonia Salzano Acutis.
Ein ganz normaler Teenager?
„Carlo war ein sehr offener, sympathischer und fröhlicher Junge, einer, der immer lächelte. Und vor allem einer, der sich niemals beschwerte. Er war immer positiv, optimistisch und sehr gehorsam“, beschreibt Carlos Mutter seinen Charakter.
„Er war auch ein Junge der heutigen Zeit“, erzählt sie weiter. „Er liebte die Technologie. Er galt als Computergenie. Als er neun war, las er bereits Texte über Ingenieurwesen und Informatik, die wir in der Buchhandlung der polytechnischen Universität Mailand gekauft hatten. Aber er nutzte dies alles, um die gute Nachricht zu verbreiten: das Evangelium.“ Wie Carlos Mutter betont, mochten ihn seine Freunde und Mitmenschen sehr gerne, er stieß bei nicht-religiösen Menschen nie auf Ablehnung.
Zu Carlos Hobbys zählte auch das Erstellen von Internetseiten. Bereits mit elf Jahren soll er sein wohl bekanntestes Werk geschaffen haben: ein Internetverzeichnis eucharistischer Wunder. Nach seinem Tod wurde eine daraus entwickelte Ausstellung in Pfarreien und Wallfahrtsorten auf der ganzen Welt gezeigt.
Carlo Acutis starb sehr plötzlich
Anfang Oktober 2006 erkrankte Carlo – zunächst schien es eine ganz normale Erkältung zu sein. Doch dann wurde bei ihm eine akute Leukämie diagnostiziert. Innerhalb weniger Tage starb Carlo Acutis am 12. Oktober 2006 im Alter von 15 Jahren an Herzversagen.
„Der Tod war für Carlo wirklich der Übergang in das wahre Leben“, sagt seine Mutter. „Er hatte überhaupt keine Angst. Er sagte, dass wir von Raupen zu Schmetterlingen werden, wenn wir sterben. Und dort in der Ewigkeit beginnt das wahre Leben.“
Auf Fragen nach seiner Zukunft habe er bereits vor der Erkrankung oft geantwortet, dass man sich lieber um das Hier und Jetzt kümmern solle – wer wisse schon, was einmal sei und ob man dann noch am Leben sei. „Er hat sehr seltsame Antworten gegeben. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, sie erschreckten mich. Er sprach manchmal wie ein weiser alter Mann. Aus dem Mund eines Kindes solche Worte zu hören, erstaunte mich“, so Antonia Salzano Acutis. Als er ins Krankenhaus kam, sagte er demnach: „Mama, ich werde von dort nicht mehr lebend herauskommen. Aber mach dir keine Sorgen, denn ich werde dir viele Zeichen schicken.“
Der Weg zu Heilig- und Seligsprechung: Die beiden Wunder
Vier Jahre nach seinem Tod soll Carlo Acutis sein erstes Wunder vollbracht haben. Dieses war notwendig für die spätere Seligsprechung. Ein brasilianischer Junge, der eine angeborene Krankheit an der Bauspeicheldrüse hatte, soll im Februar 2011 vollständig genesen sein. Diese Heilung wurde mit einer Reliquie von Carlo Acutis in Verbindung gebracht, die der Junge im Oktober 2010 berührt haben soll. Das Wunder wurde vom Papst anerkannt und so wurde Carlo Acutis im Oktober 2020 in Assisi seliggesprochen.
Für das Verfahren zur Heiligsprechung war ein weiteres Wunder vonnöten. Eine junge Frau hatte sich bei einem Fahrradunfall im Juli 2022 schwere Kopfverletzungen zugezogen und lag im Koma. Ihre Mutter betete offenbar einen Tag lang vor Carlo Acutis‘ Sarg und bat um Heilung. Zurück am Krankenbett soll die Tochter wieder geatmet haben. Auch dieses Wunder erkannte der damalige Papst Franziskus an. Heiliggesprochen werden soll Carlo Acutis nun am 7. September 2025 von Papst Leo XIV. im Vatikan.
Skurrilitäten rund um Carlo Acutis
Skurril mutet Carlo Acutis‘ Bestattungsort an: Seinem Wunsch nach wurde er in Assisi beerdigt, 2019 jedoch exhumiert. Der Leichnam des 15-Jährigen wurde anschließend in einem Sargmonument in der Kirche Santa Maria Maggiore in Assisi beigesetzt.
Im Oktober 2020 konnte man durch eine Glasscheibe in die Grabkammer blicken, auch heute noch wird die Platte immer wieder zur Verehrung des Toten entfernt. Zu sehen ist Carlo Acutis dort in Trainingsjacke, Sneakern und Jeans, in den gefalteten Händen hält er einen Rosenkranz.
Auch sein Herz wurde entnommen und 2022 in einem Seitenaltar des Doms San Rufino in Assisi bestattet. Die Reliquie ging im Juli 2024 auf Europatour, auch in München und im Kloster Weltenburg war sie zu sehen.
So wundersam die Geschichte um Carlo Acutis scheint, es gibt auch viele Fragezeichen. Seine bekannteste Website, das Verzeichnis eucharistischer Wunder, lässt sich nur bis September 2008 zurückverfolgen – zu diesem Zeitpunkt war er aber schon zwei Jahre tot.
Gute Werbung für die Kirche
Seine Mutter fördert seine Verehrung mit vielen Interviews, sie schrieb auch ein Buch über ihn. Doch nicht alles, was sie sagt, scheint zu stimmen. So behauptete sie, wie auch andere von Acutis‘ Anhängern in den sozialen Medien, bei seiner Exhumierung sei der Leichnam unversehrt gewesen – was die katholische Kirche später dementierte. Gesicht und Hände wurden für die öffentliche Aufbahrung wiederhergestellt, der Körper behandelt.
Ein Internet-Freak, ein ganz normaler Teenager, wird heiliggesprochen: Nicht zuletzt für die Kirche ist dieser Akt auch gute Werbung. Der 15-Jährige ist mit seiner Internetaffinität und seinen positiven Eigenschaften ein ideales Vorbild für junge Christen. Zu seiner Heiligsprechung werden mehr als 100.000 Menschen erwartet. Sie alle wollen dabei sein, wenn der erste Millennial zu einem Heiligen wird.
Verwendete Quellen
- Kirche in Not Deutschland: Warum wird Carlo Acutis als Heiliger verehrt?
- Wayback Machine: www.miracolieucaristici.org
- Kirche in Not Deutschland: Seliger Carlo Acutis – Influencer Gottes und Cyber-Apostel der Eucharistie
- Katholisch.de: Carlo Acutis wird ein Seliger: Kult um 15-Jährigen sorgt für Aufsehen
- Domradio.de: Traditionelles Christentum modern gelebt
- carloacutis.de: Homepage des Seligen Carlo Acutis
Der Heilige im Kapuzenpullover: Ein Teenager wird zum Hoffnungsträger der Kirche – Andrea Spalinger, (Text), Michele Borzoni (Bilder), 7.9.2025
Eine Million Gläubige pilgern jedes Jahr nach Assisi in Italien, um einen toten Jungen zu sehen, der Kranke heilt, Ungläubige bekehrt und den Teufel auszutreiben hilft. Nun wurde er vom Papst heiliggesprochen. Was hat ein solcher Kult in der heutigen Zeit noch zu suchen? (Lesezeit: 24 Minuten)
Ein Paar mittleren Alters kniet vor dem Sarg nieder, beide versinken ins Gebet, ihre Hände kleben an der Scheibe, hinter der ein aufgebahrter Körper liegt. Die Frau küsst das Glas immer wieder. Neben ihr legt eine ältere Frau eine vollgepackte weisse Plastiktüte auf den Sarg und murmelt leise vor sich hin. Ihr Blick ist starr auf die Tüte gerichtet, sie scheint nichts um sich herum wahrzunehmen.
Eine Gruppe von Teenagern drückt sich an den Betenden vorbei und blickt staunend in den Glasschrein. Das ist also der neue Hoffnungsträger der Kirche? Der aufgebahrte Junge hinter der Scheibe trägt einen dunkelblauen Kapuzenpullover, Jeans und Nike-Turnschuhe. Er könnte einer von ihnen sein. Und er sieht gar nicht aus, als wäre er seit Jahren tot. Er scheint eher friedlich zu schlafen in dem steinernen Sarg, der wirkt, als würde er über dem Boden schweben.
Das Paar und die ältere Frau verharren minutenlang wie entrückt vor dem Sarg. Derweil strömen durch die alte Holztür immer mehr Menschen in die kleine Basilika. Gruppen von Pensionierten, Familien mit Kindern, verliebte Paare und ungewöhnlich viele Jugendliche.
Die Schlange vor dem Sarg wird immer länger. Trotzdem ist es in der Kirche fast vollkommen still. Die junge Nonne, die neben dem Sarg steht, um die Leute zu Ruhe und Ordnung zu ermahnen, starrt gelangweilt auf ihr Mobiltelefon. Keiner drängt, die Pilger warten geduldig, bis sie an der Reihe sind.
Sie glauben, der Junge im Kapuzenpullover könne Wunder vollbringen – und dass alles, was mit ihm in Berührung kommt, selbst eine besondere Kraft erhält. Viele legen deshalb ihr Kruzifix oder ihren Rosenkranz auf den Sarg, oder gleich eine ganze Tüte voller Devotionalien, die sie im Shop neben der Kirche gekauft haben.
Die Szenen in der Basilika Santa Maria Maggiore in Assisi erscheinen unwirklich. Was hat ein solcher Heiligenkult in der modernen Welt noch zu suchen? Heilige, das sind doch mythische Figuren aus einer anderen Zeit, die über Wasser gingen oder ihre Völker vor Lavaströmen bewahrten. Was soll dieser Teenager mit ihnen gemein haben? Und wer ist er überhaupt, dieser Junge, der da aufgebahrt liegt?
Eine Mutter mit einer Mission
Er heisst Carlo Acutis, ist in Mailand aufgewachsen und 2006 im Alter von 15 Jahren an Leukämie gestorben. «Seither bekomme ich jeden Tag Nachrichten aus aller Welt über wundersame Ereignisse», erzählt seine Mutter, Antonia Salzano, bei einem Gespräch im Garten eines Landhauses oberhalb des mittelalterlichen Stadtkerns von Assisi. Die Familie hat das Grundstück gekauft, um es in ein Pilgerzentrum zu verwandeln.
Für Antonia Salzano ist klar, dass ihr verstorbener Sohn täglich Wunder vollbringt: Er heilt Menschen von schweren Krankheiten, er hilft verlorenen Seelen, zum Glauben zurückzufinden, und er soll auch an Teufelsaustreibungen mitwirken.
Die katholische Kirche ist zurückhaltender als die Mutter. Zumindest zwei Wunder hat sie aber offiziell anerkannt und damit den Weg für die Heiligsprechung von Carlo Acutis bereitet. An diesem Sonntag, dem 7. September 2025, wurde der Junge mit dem Kapuzenpullover von Papst Leo XIV. auf dem Petersplatz in Rom zum Heiligen erklärt.
Über zehntausend Heilige und Selige
Im offiziellen Verzeichnis aller katholischen Seligen und Heiligen, dem «Martyrologium Romanum», sind 6650 Heilige und Selige sowie 7400 Märtyrer aufgeführt. Es wurde 2004 zum letzten Mal aktualisiert. Seither sind 981 weitere Heilige und fast 3000 Selige hinzugekommen. Die Seligsprechung ist der erste Schritt auf dem Weg zur Heiligsprechung, nicht jeder Selige wird aber ein Heiliger.
Selige wie Heilige sind laut katholischem Glauben bei Gott im Himmel und agieren dort als Fürsprecher der Lebenden. Selige werden meist nur regional verehrt, in ihrem Land, ihrem Bistum oder ihrer Bruderschaft. Die Verehrung von Heiligen hingegen ist für die Kirche weltweit verbindlich.
Die meisten von uns begegnen Heiligen nur noch auf Gemälden in Museen oder Kirchen. Für strenggläubige Katholiken sind sie jedoch allgegenwärtig. Sie haben einen Lieblingsheiligen und tragen dessen Bild oder Anhänger immer bei sich. In schwierigen Zeiten wenden sie sich, je nach Herausforderung oder Problem, auch an andere Heilige. Denn jeder Heilige hat sein Fachgebiet. So hilft der heilige Antonius beim Wiederfinden verlorener Gegenstände, der heilige Gerhard beschützt die Schwangeren und die heilige Barbara die Bergleute.
Die meisten dieser Heiligen sind Figuren aus einer fernen Zeit: geköpfte Märtyrer, sich aufopfernde Jungfrauen oder Asketen in schäbigen Kutten. Carlo Acutis fällt aus der Reihe. Er ist keine Überfigur aus der Vergangenheit, er ist einer von uns, junge Menschen können sich mit ihm identifizieren. Er ist der erste heilige Millennial. Der erste Heilige in Markenkleidern.
Seine Botschaft ist altbekannt: Er predigte Frömmigkeit und Nächstenliebe. Doch Carlo ist der erste Heilige, der das Wort Gottes online verbreitet hat. Der Vatikan wird ihn deshalb zum Schutzpatron des Internets erklären – und versucht, sich damit ein moderneres Image zu geben.
Er hat es nötig. Seine Werte sind in der säkularisierten westlichen Welt immer schwerer zu vermitteln. Und es sind auch sonst keine einfachen Zeiten für die katholische Kirche. Skandale wegen sexuellen Missbrauchs durch Geistliche oder der Vertuschung durch deren Vorgesetzte haben ihrem Ansehen schwer geschadet. Da kommt eine Identifikationsfigur mit einem Lebenslauf wie Carlo Acutis gerade recht.
Er liebte Fussball, seine Hunde und die Playstation
Carlo wird 1991 in London geboren, wo sein Vater als Investmentbanker arbeitet. Kurz darauf ziehen seine italienischen Eltern zurück in die Heimat. Der Junge wächst im Mailänder Viertel Porta Romana auf. Als Einzelkind wird er behütet und verwöhnt. Die Familie ist wohlhabend, dem Vater gehört eine Versicherungsgesellschaft. Sie leben in einer grossen Wohnung mit mehreren Angestellten.
Carlo liebt Fussball, Karate und seine Playstation. Er hat vier Hunde, zwei Katzen und einen Goldfisch. Die Menschen mögen ihn, weil er sie zum Lachen bringt. Er macht Videos von Verwandten, Freunden und seinen Haustieren, die er am Computer zu witzigen Animationsfilmchen mit Synchronstimmen zusammenschneidet. So erzählt es seine Mutter, Antonia Salzano.
«Carlo war ein ganz normaler Junge, wäre da nicht dieser starker Glaube gewesen.» Schon als Zweijähriger bleibt der Sohn vor jeder Kirche stehen und will hinein, um ein Blumensträusschen vor eine Heiligenstatue zu legen. Die Eltern, selbst keine praktizierenden Katholiken, sind irritiert. Carlo bringt sie in Verlegenheit mit all seinen Fragen zur Religion.
Beten lernt Carlo von seinem polnischen Kindermädchen Beata. Die religiöse junge Frau erzählt ihm auch Geschichten aus der Bibel, die ihn faszinieren.
Mit sieben Jahren feiert Carlo frühzeitig seine Erstkommunion. Von da an besucht er täglich die Messe und empfängt das Abendmahl, die Eucharistie. Für ihn sind die christlichen Rituale nichts Abstraktes. Er glaubt, dass das Brot und der Wein beim Abendmahl tatsächlich der Körper und das Blut des auferstandenen Christus sind. Je häufiger er das Abendmahl empfängt, desto näher fühlt er sich dem Sohn Gottes.
Er nennt die Eucharistie seine «Autobahn in den Himmel», ein Spruch, der später einmal Poster und Souvenirartikel zieren wird.
Wenn Antonia Salzano über ihren Sohn spricht, redet sie so schnell, dass sie zwischendurch um Luft ringen muss. Es scheint, als habe sie Angst, nicht all das sagen zu können, was über Carlo gesagt werden muss. Wenn der Sohn ein Heiliger ist, kann man ihm mit Worten kaum gerecht werden. Und wenn man Antonia Salzano zuhört, wird es schwierig, zwischen Realität und Heiligenerzählung zu unterscheiden.
Auf seinem Schulweg kommt Carlo an Obdachlosen, Drogenabhängigen und Migranten vorbei. Ende der 1990er Jahre leben im Mailänder Stadtzentrum viele Menschen auf der Strasse. Der grossgewachsene Junge mit dem dunklen Lockenschopf bleibt gerne stehen, um mit ihnen zu reden. Im Winter bringt er Decken, Thermoskannen mit Tee oder warmes Essen mit. «Er hat mithilfe unserer Hausangestellten ohne unser Wissen eine eigene kleine Caritas aufgebaut», erzählt die Mutter.
Carlo hat selbst nur wenig Kleider und Spielzeug. Er will nicht viel besitzen, während andere Hunger leiden. Wenn ihm die Mutter ein zweites Paar Schuhe kaufen will, sagt er, eines reiche. «Er konnte auch anstrengend sein, man hatte immer ein schlechtes Gewissen um ihn herum», sagt sie und lacht laut.
Antonia Salzano lacht so gern, wie sie redet. Sie ist in Rom geboren und damit eigentlich Süditalienerin. Sie ist eine Frau mit grossem Herzen und grossen Worten. Wenn es um ihren Sohn geht, manchmal mit allzu grossen Worten.
Das ist für die Kirche nicht unproblematisch. Die Kanonisierung, wie das Verfahren der Selig- und der Heiligsprechung genannt wird, wird meist erst viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte nach dem Tod des Kandidaten abgeschlossen. Heilige haben in der Regel keine lebenden Eltern, die das Bild des Verehrten und damit auch jenes der Kirche mitprägen.
Antonia Salzano ist ein Risiko. Vor der Heiligsprechung haben ihr die vatikanischen Behörden verboten, Interviews zu geben. Wer mit ihr spricht, muss einen seitenlangen Vertrag unterschreiben und zusichern, dass das Gesagte erst zur Heiligsprechung erscheint. Man will Polemik im Vorfeld verhindern und das Narrativ um den jungen Heiligen kontrollieren.
Geschickte Legendenbildung
Carlo ist anders und trotzdem beliebt bei seinen Klassenkameraden. Ihre Sticheleien über seine Frömmigkeit nimmt er gelassen. Er hilft ihnen bei den Hausaufgaben und mit dem Computer. Damit kennt er sich aus. Glaubt man seiner Mutter, ist Carlo ein frühreifes Genie, das mit fünf Monaten sprechen kann und mit neun Jahren Informatikbücher auf Universitätsniveau liest.
Der Junge kann nicht verstehen, wieso die Menschen vor Fussballstadions und Konzertsälen Schlange stehen, aber nicht vor Kirchen. «Wir müssen den Glauben besser verkaufen», sagt er zu seiner Mutter. Mit elf Jahren hilft er seinem Pfarrer, eine Website für die Kirchgemeinde einzurichten. Und er beginnt sein grosses Projekt: ein Online-Verzeichnis aller eucharistischen Wunder.
Die Kirche hat über 140 solche übernatürliche Vorkommnisse anerkannt, die mit geweihten Hostien und Wein zusammenhängen. Wie etwa das Wunder, das sich 1411 im kroatischen Ludbreg ereignete. Ein Priester zweifelte an der Gegenwart von Christus, worauf sich der geweihte Wein beim Abendmahl in Blut verwandelte. Oder das Wunder von Tumaco: Nach einem schweren Seebeben im Jahr 1906 drohte die kolumbianische Küstenstadt von einem Tsunami zerstört zu werden. Doch ein mutiger Pfarrer konnte die monströse Welle mit einer Reliquie in der Hand zum Rückzug bewegen.
Carlo will mit seinen Eltern all die 140 wundersamen Orte besuchen. Wegen seines frühen Todes wird ihm dies nicht gelingen, er schafft es aber, seine virtuelle «Wunder-Ausstellung» fertigzustellen.
Der Vater hofft, sein Sohn werde später einmal das Versicherungsgeschäft übernehmen, das er selbst von seinem Vater geerbt hat. Aber Carlo interessiert sich nicht für weltliche Absicherungen. Er vertraut auf Gott. Er will Priester werden.
Die Mutter hat sich zu diesem Zeitpunkt längst mit der Religiosität ihres Sohnes angefreundet und sich selbst dem Glauben hingegeben. Als Carlo sechs Jahre alt gewesen sei, habe ihr ein älterer Priester in Bologna gesagt: «Du hast einen speziellen Sohn, der eine wichtige Mission für die Kirche übernehmen wird.» Da habe ihr spiritueller Weg begonnen, sagt Salzano.
Sie bezeichnet ihren Sohn als ihren Lehrer und als ihren Retter.
«Carlo hat nicht nur mich konvertiert, auch einer unserer Hausangestellten, ein Hindu aus Mauritius, liess sich seinetwegen taufen», erzählt die Mutter. «Und nun lässt er die Menschen in Massen konvertieren.»
Antonia Salzano erzählt Anekdoten aus dem Leben ihres Sohnes, die alle auf ein Ziel hinauslaufen: seine Heiligsprechung. Auch die Ereignisse nach seinem Tod schilderte sie von Beginn an als übernatürlich. Legenden und historische Fakten vermischen sich. Doch das Resultat wird am Ende alles rechtfertigen.
Ohne das Lobbying der Mutter wäre der Prozess der Heiligsprechung von Carlo Acutis nie so schnell abgeschlossen worden – und wahrscheinlich erst gar nie in Gang gekommen. Anfang Oktober 2006 wird Carlo krank. Er ist damals 15 Jahre alt und besucht das Mailänder Jesuiten-Gymnasium Istituto Leone XIII. Erst glauben die Eltern, er habe eine Grippe, doch sein Zustand verschlechtert sich schnell. Die Ärzte im Spital diagnostizieren eine akute Leukämie. Nach einer Blutwäsche fällt der Teenager ins Koma. Am 12. Oktober stirbt er.
Zwei Tage später findet in seiner Pfarrkirche in Mailand die Totenmesse statt. Nicht nur Angehörige, Nachbarn, Klassen- und Fussballkameraden erscheinen in grosser Zahl, auch viele Randständige aus dem Viertel wollen sich verabschieden. Die Mutter wird das später als Beweis anführen, dass ihr Sohn schon damals verehrt worden sei.
Besondere Beziehung zu Assisi
Beerdigt wird Carlo später auf dem Friedhof in Assisi, wo seine Familie ein Ferienhaus besitzt. Er hat dies selbst so gewünscht. Er liebte das mittelalterliche Städtchen in Umbrien, in dem die Religion so präsent ist wie kaum irgendwo sonst.
Hier lebten und wirkten gegen Ende des 12. Jahrhunderts die heilige Klara und der heilige Franz von Assisi. Klara begründete den Klarissenorden, San Francesco, wie ihn die Italiener nennen, den Orden der Franziskaner. Dieser war sehr populär und verbreitete sich nach dem Tod des Begründers in ganz Europa, und Assisi wurde dank dem heiligen Franz zu einem der bedeutendsten Pilgerorte des Christentums. Auch Carlo fühlt sich hingezogen zu San Francesco, dem Heiligen der Armen und Randständigen, der Tiere und der Natur.
Antonia Salzano fällt es erst schwer, den Plan Gottes zu akzeptieren. Sie wirft ihm vor, ihr den Sohn zu früh genommen zu haben. Dann beschliesst sie, dem Tod Carlos einen Sinn zu geben: Wenn dieser schon nicht Priester werden konnte, muss Gott Höheres mit ihm vorhaben. Die Mutter widmet ihr Leben nur noch einem Ziel.
Carlo hatte jüngere Kinder, die er im Katechismus unterrichtete, immer ermuntert: «Auch ihr könnt Heilige werden! Ihr müsst nur täglich zur Messe gehen, den Rosenkranz beten, die Beichte ablegen. Und natürlich gut zu euren Mitmenschen sein.» Er selber hatte sein ganzes Leben nach diesen Grundsätzen gelebt. Wer, wenn nicht er, hätte es also verdient, heiliggesprochen zu werden?
Heilige spielten im Christentum von Beginn an eine wichtige Rolle. Schon im 2. Jahrhundert n. Chr. wurden Märtyrer verehrt, die wegen ihres Glaubens hingerichtet worden waren. Nach dem Ende der Christenverfolgung wurden dann vor allem Mönche, Einsiedler und Jungfrauen, die sich durch eine asketische Lebensführung auszeichneten, als Heilige gefeiert. Später auch besonders fromme Bischöfe und weltliche Herrscher.
Heilige dienten schon damals als Vorbilder für die Gläubigen und als Fürsprecher bei Gott. Und sie waren in der Lage, Wunder zu vollbringen.
Nach katholischem Glauben bezeugen Wunder die Nähe einer Person zu Gott. Der Heilige vollbringt dabei selbst keine Wunder, er kann Gott jedoch zu einem göttlichen Zeichen bewegen.
Ursprünglich kam der Anstoss von unten. Menschen, deren Gräber oder Reliquien vom Volk verehrt wurden, galten als heilig. Die Kirchenhierarchie beäugte die Volksfrömmigkeit mit Misstrauen und versuchte, die Praxis im Mittelalter unter Kontrolle zu bringen. Ab dem 13. Jahrhundert wurden Heiligsprechungen schliesslich in Rom besiegelt, und Heilige bekamen eine offizielle päpstliche Urkunde.
«Die Kirche sendet mit der Wahl von Heiligen Signale aus», sagt der Theologe und Kirchenhistoriker Günther Wassilowsky. «Sie kann damit bestimmte Frömmigkeits- und Lebensmodelle prämieren. Oder sie kann gezielt bestimmte Gruppen von Gläubigen ansprechen und an sich binden.»
Johannes Paul II. (1978–2005) und Franziskus (2013–2025) haben dieses Instrument ausgiebiger genutzt als alle anderen Päpste. Der polnische Papst hat während seines Pontifikats 482 Heiligsprechungen vollzogen – und damit doppelt so viele wie seine Vorgänger in den 400 Jahren davor. Der Argentinier hat ihn sogar noch übertroffen. Er hat insgesamt 981 Personen heiliggesprochen.
Der Heiligenhimmel wird immer vielfältiger
Unter Johannes Paul II. und Franziskus wuchs der Kreis der Heiligen nicht nur stark, er wurde auch vielfältiger. Wassilowsky, Professor an der Berliner Humboldt-Universität und spezialisiert auf das Papsttum und frühneuzeitliche katholische Rituale und Praktiken, spricht von einer «Globalisierung des Heiligenhimmels».
Zu den mehrheitlich europäischen Geistlichen kamen Ureinwohnerinnen aus Nordamerika, ugandische Märtyrer und philippinische Missionare hinzu – und auch immer mehr Laien. Papst Franziskus sprach gerne vom «Heiligen von nebenan» und meinte damit Heilige, die mitten im Leben stehen und Identifikationsfiguren fürs Volk sind.
Der Prozess der Kanonisierung wurde seit dem Hochmittelalter immer wieder angepasst, bis er schliesslich einer Art Gerichtsverfahren mit strikten Regeln glich. Da Heilige nun offizielle Aushängeschilder der katholischen Kirche waren, stand der Ruf der gesamten Institution auf dem Spiel, wenn man Unwürdige aufs Podest hob. Zudem musste das Verfahren an die wissenschaftlichen Fortschritte angepasst werden, wenn es glaubwürdig bleiben wollte.
Mittlerweile sind für eine Heiligsprechung nicht nur Tausende von Seiten an historischen und theologischen Gutachten nötig, sondern auch Expertenberichte von Medizinern mit Blutbildern, CT-Scans und MRI. «Die Heiligsprechung ist zu einem der komplexesten und langwierigsten Verfahren überhaupt geworden», sagt Günther Wassilowsky, der selber schon Gutachten für Kanonisierungsverfahren geschrieben hat.
Bis zu einer Heiligsprechung vergehen meist viele Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte. Ein Kandidat braucht eine starke Lobby – Massen von Anhängern, die für ihn beten, und einflussreiche und finanzstarke Unterstützer. Denn Heiligsprechungsverfahren gleichen politischen Kampagnen.
Das letzte Wort hat der Papst
Kurz nach dem Tod ihres Sohnes gründet Antonia Salzano den Verein Carlo Acutis. Sie lässt Flugblätter, Gebetskärtchen und Plakate drucken, um ihren Jungen den Gläubigen näherzubringen. Sie lässt dessen virtuelle «Wundersammlung» in über zwanzig Sprachen übersetzen, um junge Leute in aller Welt zu erreichen. Sie verbreitet die Botschaft ihres Sohnes über soziale Netzwerke und organisiert Veranstaltungen in Kirchen in Italien und überall in Europa.
Die Mutter schickt oder bringt auch Reliquien, also Überreste des Körpers oder winzige Teilchen von Kleidungsstücken und Gebrauchsgegenständen von Carlo, in alle Welt. Strenggenommen ist ein solcher Reliquienkult erst nach der Heiligsprechung erlaubt, doch Antonia Salzano weiss, je mehr Gläubige zu Carlo beten und je mehr Wunder dieser vollbringt, desto besser stehen seine Chancen.
Unterstützung bekommt sie von der Mailänder Erzdiözese. Diese eröffnet eine Untersuchung darüber, ob Carlo Acutis ein Heiliger sein könnte. Es ist der erste Schritt auf dem langen Weg zur Heiligsprechung. Das Bistum muss alles, was Carlo online veröffentlicht hat, analysieren und Zeugnisse von Nachbarn, Freunden, Lehrern und Priestern sammeln. Als Leiter wird ein sogenannter Postulator eingesetzt, eine Art Wahlkampfmanager. Er muss erst die Verantwortlichen in der Diözese überzeugen, später dann jene in der Kurie in Rom.
Im Fall von Carlo Acutis übernimmt Nicola Gori diese Rolle, ein Freund der Familie. Gori arbeitet als Journalist für den katholischen «Osservatore Romano» und hat im Auftrag von Antonia Salzano bereits eine Biografie über ihren Sohn geschrieben. Er verfasst einen über tausendseitigen Bericht. Der Teenager habe die modernen Kommunikationsmittel geschickt genutzt, um Gutes zu tun, und grosses Talent gehabt, Menschen zu Gott hinzuführen, schreibt er darin.
2012 stellt die Mailänder Diözese abschliessend fest, dass es keine Hinweise auf eine Sünde von Carlo Acutis gebe. Sie übergibt den «Fall» an die zuständige Behörde der Kurie in Rom: das Dikasterium für Selig- und Heiligsprechungen. Dieses existiert seit 1588. Seine Arbeit ist geheim, und die Mitglieder äussern sich nicht zu Verfahren. Bekannt ist nur, dass die Behörde mehrere tausend Anträge vor sich herschiebt, die bis ins 16. Jahrhundert zurückgehen. Denn solche Verfahren verjähren nie.
Das Dikasterium muss den Bericht des Postulators in einem aufwendigen Verfahren überprüfen und gutheissen. Das letzte Wort hat der Papst. Er allein entscheidet, abhängig von seinen Vorlieben und Präferenzen, welcher Kandidat «verehrungswürdig» ist.
Eine riskante Angelegenheit
Heute ist es einfacher als früher, das Leben potenzieller Heiliger zu durchleuchten. Es ist aber auch leichter, kompromittierende Informationen zu finden. «Die Auswahl eines Heiligen ist riskanter geworden», sagt der Theologe Günther Wassilowsky. «Eine so wichtige Personalentscheidung des Papstes darf sich später auf keinen Fall als fragwürdig erweisen.»
Die Kirche kann es sich heute zum Beispiel nicht mehr leisten, jemanden heiligzusprechen, der sexuellen Missbrauch begangen oder diesen als Vorgesetzter geduldet oder vertuscht hat.
Carlo Acutis hat einen klaren Vorteil: Die Vergangenheit eines 15-Jährigen ist einfacher zu überprüfen als die eines 80-jährigen Klerikers, der jahrzehntelang hohe Ämter innehatte. Bereits 2018, sechs Jahre nachdem die Mailänder den Fall an Rom übergeben haben, erklärt Papst Franziskus Carlo Acutis für «verehrungswürdig». Damit beginnt offiziell der Prozess der Seligsprechung.
Und dafür braucht es ein Wunder. Vor einer Seligsprechung muss eine rational nicht erklärbare Tat des Kandidaten bewiesen werden, vor einer Heiligsprechung eine weitere.
Früher gingen Heilige übers Wasser oder hielten mit blossen Händen Lavaströme auf. Seit Wunder jedoch wissenschaftlich nachgewiesen werden müssen, sind sie gewöhnlicher geworden. Ausnahmslos alle in den letzten 75 Jahren anerkannten Wunder waren Heilungen von Kranken.
Selbst diese sind mit dem Fortschritt der Medizin aber schwieriger zu beweisen. Krankengeschichten müssen bis ins letzte Detail analysiert und Fachärzte befragt werden. Es reicht nicht, dass Antonia Salzano jeden Tag Nachrichten von Menschen bekommt, die behaupten, dank ihrem Sohn geheilt worden zu sein. Solche Ereignisse müssen von mehreren Experten für medizinisch unerklärlich und damit für wundersam befunden werden.
Das Wunder, das Carlo Acutis am Ende zuerkannt wird, ist die Heilung von Matheus, einem dreijährigen Knaben aus Brasilien. Dieser litt an einer angeborenen Erkrankung der Bauchspeicheldrüse und musste künstlich ernährt werden. Bevor Matheus am 12. Oktober 2013, dem 7. Todestag von Carlo Acutis, in einer Kirche in seiner Heimatstadt ein Stück von dessen Pullover küsste, gaben ihm die Ärzte nur noch wenige Tage zu leben. Am nächsten Tag ass das Kleinkind ein Steak, Bohnen und Reis, und auf den Scans sah seine Bauchspeicheldrüse plötzlich ganz normal aus.
Weder die Ärzte in Brasilien noch jene in Rom können die Heilung des Kleinkinds medizinisch erklären. 2020 anerkennt der Vatikan das Wunder – noch im selben Jahr wird Carlo Acutis seliggesprochen. Der päpstliche Abgesandte bezeichnet den Jugendlichen in seiner Predigt als Vorbild für alle Christen. Tausende von Personen nehmen an der pompösen Seligsprechung in der Basilika di San Francesco in Assisi teil, über eine halbe Million verfolgen die Feier via Facebook-Streaming in aller Welt.
Per Webcam von überall erreichbar
«Wir waren nicht vorbereitet auf diesen Ansturm, erst bei der Seligsprechung wurde uns klar, was für eine Anziehungskraft Carlo hat», sagt Domenico Sorrentino, der Erzbischof von Assisi. Sorrentino empfängt uns in seinem Bischofspalast, direkt neben der Kirche Santa Maria Maggiore, wo Carlo aufgebahrt liegt. Der Komplex wird auch «Santuario della Spogliazione» (Heiligtum der Entkleidung) genannt, weil sich der heilige Franz von Assisi hier vor Gott ausgezogen und ein Leben in Armut gewählt haben soll.
Domenico Sorrentino wurde 2006 zum Erzbischof von Assisi berufen – in dem Jahr, in dem Carlo verstorben ist. «Damals kamen ein paar tausend Besucher jährlich ins Santuario, mittlerweile sind es über eine Million.»
Die Pilgerinnen und Pilger kommen von weit her, um den seligen Blogger zu sehen. Aus Sizilien und Osteuropa, aus den USA und den Philippinen und vor allem aus Mittel- und Südamerika. Die meisten kommen mit einem Anliegen. Sie beten am Sarg von Carlo in der Hoffnung, von einer Krebserkrankung zu genesen, endlich schwanger zu werden oder eine Arbeit zu finden.
Und wer es nicht schafft, hierher zu reisen, der kann den Internet-Heiligen auch aus der Distanz um Hilfe bitten. Denn Sorrentino hat über dem Sarg eine Webcam montieren lassen, über die Gläubige den Jugendlichen im Kapuzenpullover rund um die Uhr sehen und zu ihm beten können.
In Assisi zeigt sich: Heiligenkult ist kein Phänomen der Vergangenheit. Heilige sind als Identifikationsfiguren ungebrochen populär, offenbar sogar populärer denn je.
Vielleicht ist es ein Zeitphänomen. Auch in der säkularen Welt wird ein Kult um Personen betrieben wie nie zuvor: Influencerinnen, Musiker und Fussballstars werden verehrt wie Heilsbringer. Fans reisen um die halbe Welt zu Auftritten ihrer Idole, Fanartikel sind zu einem Milliardengeschäft geworden. Heilige und Reliquien scheinen das religiöse Pendant zu diesem Trend zu sein.
Vielleicht haben wir Heilige und ihre Wunder aber auch nötiger denn je, weil der Glaube daran, dass unsere Welt immer besser, wohlhabender und sicherer wird, erschüttert ist. Wer möchte angesichts von Umweltkatastrophen, Hunger und Kriegen nicht an Wunder glauben und an einen Jungen, der über seinen Tod hinaus Gutes tut?
Und so pilgern jeden Tag Tausende nach Assisi, und in den sozialen Netzwerken wächst die Anhängerschaft des Internet-Heiligen rasant. Davon profitiert nicht nur die Marke Acutis, sondern auch die katholische Kirche. In einer Zeit, in der ihre Gotteshäuser immer leerer werden und ihre Geistlichen fast nur noch mit Skandalen für Schlagzeilen sorgen, ist der junge Laie ein perfekter Werbeträger. Einer, der sich vor Veränderungen nicht fürchtete, sondern diese nutzte, um Gutes zu tun.
Der Vatikan nutzt Carlos Heldengeschichte für die eigene Erneuerung. Einst verteufelte er neue Technologien. Nun preist der Papst das Internet als «Geschenk Gottes».
Nur dreieinhalb Jahre nach der Seligsprechung anerkennt das Dikasterium in Rom ein zweites, auf Carlos Fürsprache zurückgeführtes Wunder: die Heilung von Valeria, einer jungen Frau aus Costa Rica. Sie hatte in Florenz studiert und 2022 bei einem Fahrradunfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Wegen einer Hirnblutung gaben ihr die Ärzte keine Überlebenschancen. Da fuhr ihre Mutter nach Assisi und betete einen Tag lang am Sarg von Carlo. Als sie am Abend ans Krankenbett der Tochter zurückkehrte, erwachte diese aus dem Koma.
Nun fehlt nur noch der Segen des Kirchenoberhaupts, und auch dieser lässt nicht lange auf sich warten: Am 1. Juli 2024 beschliessen Papst Franziskus und die Kardinäle im Apostolischen Palast die Heiligsprechung von Carlo Acutis. Knapp zwanzig Jahre sind seit dem Tod des Teenagers vergangen, sein Kanonisierungsverfahren war damit eines der kürzesten in der Geschichte. Zu verdanken ist das dem professionellen Lobbying der Mutter. Aber auch Papst Franziskus. Ohne ihn wäre es nie so schnell gegangen.
Der Millennial Carlo ist für den argentinischen Papst, der sich eine jüngere und volksnähere Kirche wünscht, ein idealer Kandidat. Mit alten Männern in Kutten, wie dem heiligen Franz von Assisi, kann man junge Frauen und Männer nicht mehr in die Kirche locken. Carlo Acutis, der Apostel des Internets, ist ein zeitgemässeres Vorbild.
«Die Jungen von heute sind mit Herausforderungen konfrontiert, die unsere Generation nicht kannte», sagt Carlos Mutter, Antonia Salzano. «Sie sind gefangen in der virtuellen Welt und kommen in der realen Welt nicht mehr zurecht.» Carlo habe die Chancen wie auch die Gefahren der modernen Kommunikationsmittel erkannt und das Internet genutzt, um Gutes zu tun. Damit könne er ein Vorbild für die Jungen sein.
Das hat auch die katholische Kirche erkannt. Mit der Heiligsprechung des 15-Jährigen kann sie eines der wichtigsten Themen der heutigen Zeit positiv besetzen. Anstatt die sozialen Netzwerke zu verteufeln, nutzt sie diese zur Missionierung.
Nach 13 Jahren kein Zeichen von Verwesung?
Bereits im April 2019 sind Carlos sterbliche Überreste aus dem Grab in Assisi exhumiert und in den steinernen Sarg im rechten Seitenschiff der Basilika Santa Maria Maggiore gelegt worden. Antonia Salzano erzählt uns, dass der Körper ihres Sohnes nach 13 Jahren unter der Erde weitgehend intakt gewesen sei. Ein Körper, der nicht verwest, wird von den Gläubigen als übernatürlicher Hinweis gesehen und passt besser zum Mythos eines Heiligen als ein mit Silikon präparierter Körper.
Doch Erzbischof Domenico Sorrentino sagt, Carlos Körper habe den normalen Prozess der Verwesung durchlaufen und sei mit Kunst und Liebe wieder zusammengefügt worden. Die Kirche bemüht sich, den Prozess der Heiligsprechung heute so glaubwürdig wie möglich zu gestalten.
Von der Kirche Santa Maria Maggiore bis zur Kathedrale San Rufino sind es nur 400 Meter, und wer will, kann auf diesem kurzen Weg schnell wieder aus der Moderne ins Mittelalter abtauchen. Auf einem Altar in der Kathedrale in einem prächtigen Gold-Reliquiar steht das Herz von Carlo Acutis. Es ist die wertvollste Reliquie des Jungen. Damit möglichst viele Menschen mit ihr in Berührung kommen, war sie auch schon auf Tournee durch Europa. In Köln, Amsterdam und Lissabon konnten Gläubige Carlos Herz sehen und zu ihm beten.
«Wer nicht gläubig ist, mag das kurios finden, aber es geht hier nicht um Magie», erklärt der Erzbischof, Domenico Sorrentino. «Es ist nicht so, dass man diese Reliquie berührt, und dann passiert etwas. Es geht darum, dass der Heilige unter uns weiterlebt, unter anderem durch seine Reliquie.»
Die Verehrung von Körpern von Märtyrern und Heiligen hat im Christentum eine lange Tradition. Ursprünglich wurde an ihren Gräbern gebetet und das Abendmahl gefeiert. Im 6. Jahrhundert fing man dann an, ihre Körper zu zerschneiden, um sie an möglichst vielen Orten anbeten zu können. Dem Herz kam dabei eine besondere Bedeutung zu.
Über die Jahrhunderte verschwanden viele angeblich echte Reliquien wie etwa das Herz des italienischen Jugendseelsorgers und Ordensgründers Don Bosco oder ein Tüchlein mit Blutstropfen von Johannes Paul II. Von anderen Reliquien, wie etwa der heiligen Vorhaut, der angeblichen Vorhaut Christi, tauchten unzählige Kopien auf, so dass keiner mehr wusste, welche die echte war.
Bei der Exhumierung von Carlo Acutis 2019 wurden dem Körper neben dem Herz verschiedene andere Organe und Körperteile entnommen. Der Erzbischof ist für die Aufbewahrung und die Verteilung dieser Reliquien zuständig. Körperteile und Haare liegen an einem sicheren Ort in seinem Büro. Es sind die wertvollsten Reliquien, sogenannte Reliquien ersten Grades. Sorrentino hat aber auch Reliquien zweiten Grades im Angebot, also Gegenstände, mit denen Carlo in Berührung gekommen ist, wie etwa Kleidungsstücke.
Der Erzbischof will uns seinen Reliquienschatz nicht zeigen, die heiligen Überreste sind für ihn eine ernsthafte Sache, er will sie nicht als kuriose Attraktion verstanden wissen. Nur seine persönliche Reliquie, ein winziger Teil des Herzbeutels von Carlo, eingeschlossen in einem silbernen Döschen, lässt er uns sehen.
Das Interesse an Reliquien von Carlo sei gross, sagt der Geistliche. Er bekomme Anfragen von Kirchen, Schulen und Ordensgemeinschaften aus aller Welt. Die Interessenten müssen sich gemäss Kirchenrecht erst an die lokalen Bistümer wenden, und diese leiten die Anfragen an Sorrentinos Büro weiter. Nonnen, die für das Bistum arbeiten, präparieren dann die Reliquien. Sie legen winzige Teilchen eines Organs, ein Haar oder ein Stückchen eines T-Shirts von Carlo in ein schmuckes Schaukästchen, ein sogenanntes Reliquiar, und verschicken es an die Antragsteller.
Für Aufregung im Bischofspalast sorgte ein Medienbericht, laut dem Haare von Carlo im Internet zum Verkauf angeboten wurden. Sorrentino hat deswegen Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Er wisse nicht, ob echte oder gefälschte Reliquien verkauft würden, beides sei jedoch ein schweres Verbrechen, sagt er. Er befürchte, dass der Teufel die Hand im Spiel habe.
Der Bischof betont, dass die Verteilung von Reliquien vollkommen transparent ablaufe und das Bistum keinen finanziellen Vorteil daraus ziehe. Laut Kirchenrecht dürfen Reliquien nicht verkauft werden. In der Vergangenheit haben sich viele Empfänger aber mit Spenden für die Reliquien bedankt. Auch in Assisi dürfte das geschehen, darüber redet aber niemand.
Nicht geregelt ist der Umgang mit Reliquien dritten Grades, das sind Rosenkränze, Gebetskarten und andere Gegenstände, die mit dem Sarg von Carlo Acutis oder einem seiner Körperteile in Berührung gekommen sind. Auch sie sollen eine besondere Kraft haben.
Antonia Salzano und ihr Verein Carlo Acutis verteilen fleissig solche Reliquien, um Werbung zu machen. Pilger tragen sie täglich von Assisi in die Welt hinaus, zusammen mit allen möglichen Souvenirs von Carlo: kleinen Statuetten, Rosenkränzen und Gebetstafeln des zukünftigen Heiligen. Teetassen, T-Shirts und Stofftaschen mit seinem Konterfei. Oder Stifte, Magnete und Postkarten, auf denen einer seiner weisen Sprüche steht.
Heilige sind gut fürs Geschäft
Besitzer von Souvenirläden, Gelaterien und Restaurants sind sich einig: Carlo ist gut fürs Geschäft. In den letzten Jahrzehnten gingen die Besucherzahlen in Assisi stetig zurück. Bis der junge Heilige im Kapuzenpullover kam.
Viele im Ort können sich noch an Carletto, wie sie ihn hier liebevoll nennen, erinnern. Der Familie Acutis gehört einer der Palazzi im Centro storico von Assisi. An den Wochenenden und während der Schulferien war Carlo oft hier. Dann sahen die Leute den Jungen mit seinen vier Hunden im Ort spazieren oder mit der Mutter einkaufen.
Er war ein netter Junge, er grüsste auf der Strasse, alle mochten ihn. Das erzählen Bewohner. Doch wer würde in dieser Stadt auch etwas Schlechtes über einen Heiligen sagen, von dem ihre Zukunft abhängt? Was Wahrheit und was Legende ist, ist einmal mehr schwer zu unterscheiden.
Die Einzigen, die der Carletto-Hype kaltlässt, sind zwei ältere Frauen, die für einen Nachmittagsschwatz auf der Piazza vor der Kathedrale sitzen. Für sie ist San Francesco die unbestrittene Nummer eins, und sie machen sich Sorgen, dass ihr alter Heiliger wegen des jungen Heiligen in Vergessenheit gerät.
Der Erzbischof winkt ab. «Carlo ist ein Spross von Francesco. Er hat diesen verehrt. Die beiden sind doch keine Konkurrenten.» Sorrentino hat ein Buch über Francesco und Carlo geschrieben und könnte stundenlang über sie reden. Die beiden Heiligen hätten viel gemeinsam gehabt: Sie seien reich gewesen und hätten doch bescheiden gelebt. Sie hätten sich um Arme und Benachteiligte gekümmert. Und sie hätten nie sich selbst in den Mittelpunkt gestellt, sondern Jesus.
Auch Nicola Gori, der Postulator im Fall der Heiligsprechung von Carlo Acutis, bezeichnete Carlo als «Franz von Assisi des 21. Jahrhunderts». Papst Franziskus – der den Heiligen der Armen derart bewunderte, dass er als Papst seinen Namen wählte – dürfte diese Parallele gefallen haben.
Am 27. April will Franziskus Carlo Acutis auf dem Petersplatz heiligsprechen. Dann erkrankt er und stirbt eine Woche vor der geplanten Kanonisierung. Auch sein Nachfolger, Papst Leo XIV., erkennt jedoch den Wert des Internet-Heiligen für die Kirche. Er wird die Zeremonie am 7. September nun nachholen.
«Ich bin sein Arm auf Erden»
Nicht einmal 19 Jahre nach seinem Tod wird Carlo einen Platz im Heiligenhimmel bekommen. Antonia Salzano wird dann offiziell Mutter eines Heiligen sein. «Natürlich fühlt sich das komisch an, es gäbe sicher Frauen, die sich besser geeignet hätten, aber Gott tut manchmal unerwartete Dinge. Vielleicht amüsiert es ihn ja, dass ausgerechnet ich diese Rolle übernehme.»
Doch wie verhält man sich als Mutter eines Heiligen? Viele Vorbilder gibt es in der Geschichte ja nicht. «Es ist eine enorme Verantwortung», sagt Antonia Salzano.
In den letzten Jahren war sie ständig unterwegs, um die Botschaft ihres Sohnes unter die Leute zu bringen. Sie hat auch mehrere Bücher über ihn geschrieben, das letzte zusammen mit ihrem Mann. Zwischendurch empfängt sie Gläubige aus aller Welt, die die Hilfe ihres Sohnes brauchen. «Jeden Tag bekomme ich Nachrichten über neue Wunder, die Carlo vollbracht hat. Er ist da oben, und ich bin sein Arm hier auf Erden.»
Nach dem Tod von Carlo hat Antonia Salzano Zwillinge bekommen, einen Sohn und eine Tochter. Carlo habe ihr die Kinder geschickt, er sei ihr im Traum erschienen, um ihr die Schwangerschaft anzukündigen, sagt sie. Die Zwillinge sind mittlerweile 15 Jahre alt, so alt wie ihr Bruder war, als er starb.
Es ist nicht einfach, als Geschwister eines Heiligen aufzuwachsen. In ihrer Familie dreht sich alles um den älteren Bruder, den sie nie gekannt haben. Als sie klein waren, nahm die Mutter sie zu religiösen Veranstaltungen überall auf der Welt mit, bis es ihnen zu viel wurde, ständig von Gläubigen bestaunt und angefasst zu werden.
Zur Heiligsprechung ist die Familie aber vollzählig nach Rom gereist. Auch der Erzbischof von Assisi hat die Veranstaltung am Sonntagmorgen in der ersten Reihe mitverfolgt. Mehr als 80 000 Gläubige reisten an zu Ehren des Jugendlichen im Kapuzenpullover.
UNTERNEHMEN
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GESELLSCHAFTSSEISMOGRAPH BÖRSEN
*** nicht aktualisiert ***
Reset wie 1948: Droht die große Enteignung – rtl+, 14.8.2025
Zwangshypotheken, entwertete Konten, 90 Prozent Verlust beim Geldvermögen – die Währungsreform von 1948 zeigt, wie radikal ein Reset ablaufen kann. Und er könnte wiederkommen.
Raimund und Etienne sprechen in dieser Podcast-Folge darüber, wie solche Eingriffe in der Vergangenheit aussahen und warum die Reset-Gefahr auch in der Gegenwart nicht gebannt ist. Könnten sogar die USA im Zentrum eines neuen Resets stehen? Was passiert dann mit Geld, Schulden, Immobilien und Aktien? Und wie schützen Sie Ihr Vermögen am besten? Fragen und Anregungen bitte an brichtaundbell@ntv.de
Währungsreform von 1948 Das sind die wichtigsten Fragen zum „Reset-Szenario“ – n-tv, ab 31.7.2025
Zwangshypotheken, entwertete Konten, 90 Prozent Verlust beim Geldvermögen – die Währungsreform von 1948 zeigt, wie radikal ein Reset ablaufen kann. Dieses Szenario haben Raimund Brichta und Etienne Bell in der vorherigen Folge „Brichta und Bell – Wirtschaft einfach und schnell“ vorgestellt und selten so viel Feedback erhalten. In dieser Woche klären sie weitere wichtige Fragen: von den Auswirkungen auf Gold über Kryptos hin zu KI.
AKTIENEMPFEHLUNGEN – BUY & SELL
Aktuell (—):
Aktien um 10 Euro je Stück sind FETT hervorgehoben.
Die erwarteten stolzen Kursgewinne sind dem Übermut der tollen Analystenzunft zu verdanken! Hirn selbst einschalten und kritisch bewerten. MERKE: Klappern gehört zum Geschäft. Es geht letztlich nicht so sehr um die Beratung der Anleger, sondern um die spekulativ selbst gehaltenen Aktien der Häuser (Banken, Fonds, Anlagegesellschaften etc.), für die die Analysten tätig sind: wenn viele kaufen, steigen die Kurse, und 5% Plus sind zwar weniger als 15% oder 35%, aber besser als 5% Minus. Zudem lassen sich schnell noch eigentlich „schlechte“ Aktien im Portfolio des Hauses (Banken, Fonds, Anlagegesellschaft etc.) verkaufen, für die der Analyst tätig ist, sofern die werten privaten Anleger den Kaufempfehlungen folgen. So schaut’s aus im Schneckenhaus! Nochmals: Hirn selbst einschalten. Die Finanzbranche lebt vom Trübe-Machen des Wassers!
NICHT ZULETZT: Verkaufsempfehlungen werden ungern gegeben, da sie auf das Portfolio der Häuser (Banken, Fonds, Anlagegesellschaft etc.) rückschließen lassen, zu denen die Analysten gehören. Verkaufsempfehlungen werden aus zwei Gründen gegeben: a) es ist tatsächlich Feuer am Dach des analysierten Unternehmens, b) das Haus möchte die Aktien des zum Verkauf empfohlenen Unternehmens billiger zurückkaufen, sofern den Verkaufsempfehlungen gefolgt wird. Letztlich agieren an der Börse die Optimisten, und die wollen positive Nachrichten hören, also werden sie von den Häusern und ihren Analysten entsprechend bedient.
UND ZU ALLERLETZT: die Analysten bespiegeln sich untereinander: wer hat was empfohlen oder nicht empfohlen, es kommt zu herdenpsychologischen Erscheinungen derart: der Leithammel hat empfohlen, also machen wir das auch. Die jeweiligen Analysen werden entsprechend (um)formuliert. Das zweite Moment: die Konkurrenz, die u.U. zu skurrilen Interpretationen des analysierten Unternehmens führt.
FAZIT: was die Analystenzunft von sich gibt, kann aufschlussreich sein, muss es aber nicht, vermittelt einen zusätzlichen Eindruck zu einzelnen Aktiengesellschaften. Wichtig ist der Blick auf zweierlei: a) entscheidend: auf die volkswirtschaftliche Situation des Landes, der Welt; b) sekundär (!) auf das Unternehmen und seine Branche: Charakter des Managements, klare, gut durchschaubare Produktpalette, Langlebigkeit des Unternehmens und seine Stetigkeit im Gebaren.
Renten- und Aktienmärkte
Man halte sich vor Augen: Aktienmärkte sind die Pfützen in der Welt der Veranlagungsmöglichkeiten. Anleihenmärkte (Rentenmärkte, Kapitalmärkte) sind die großen Ozeane ebendort. Daher sind Aktienmärkte volatil und reagieren auf den leisesten Windhauch mit u.U. kräftigen Ausschlägen. Die Seelen der Anleger sind sehr verletzlich: Angst und Gier bestimmen hier jegliches Handeln, die vernünftige Veranlagungsentscheidung steht an zweiter Stelle. Das verursacht in den kleinen Geldpfützen der Aktienmärkte hohe Wellen. Aber dort stehen nach erster Erschütterung später die rationalen Kaufs- und Verkaufsentscheidungen felsenfest – bis zur nächsten Seelenerschütterung.
Anleiheanleger sind cooler und gezügelter im Gemüt. Hier geht es eher um Langfristperspektiven. Alles dreht sich um den Zins und wie er sich weiterentwickelt. Wer an der Zinsschraube dreht, dreht am Schicksal ganzer Volkswirtschaften. Da ist das aufgeregte Gegackere an den Aktienmärkten geradezu uninteressant.
Aber kommen Anleihemärkte einmal ins Rutschen – nach oben oder nach unten – dann ist Feuer am Dach. Schon 0,5 oder gar 1 Prozent Veränderung in einem Anleihenindex sind eine „Weltbewegung“ im Milliarden- oder Billionengeldmeere der Anleiheozeane.
Dazu kommt: Die Anleiherenditen konkurrenzieren mit den Aktienrenditen. Eine hohe Anleiherendite jenseits der 3 Prozent wirkt umso „giftiger“ auf die Aktienkursentwicklungen, je höher sie ist. Liegt sie unter 3 Prozent, begünstigt sie die Aktienkäufe, Je deutlicher sie unter 3 Prozent liegt, umso eher. Das ist die Regel. Die Ausnahme – so, wie wir sie gerade sehen – bestätigt diese Regel. Früher oder später wird sie ihre dominante Stellung als Regel wieder einnehmen.
Diese Verhältnisse sind es, die im Tagesblick in der Regel die Berichte zu den Anleihemärkten wiedergeben lassen, dass aufgeregte Geflattere und Gegackere an den Aktienmärkten im Detail interessiert in der Regel nicht die Bohne.
Zur Renditebestimmung bei Anleihen: notiert die Anleihe zu 100 Prozent, dann stimmen Anleihezinssatz (der Couponzins) und Anleiherendite überein. Sinkt der Anleihekurs unter 100 Prozent, steigt die Rendite, umgekehrt gilt: steigt der Anleihekurs, so sinkt die Rendite. So einfach ist das. Und so weltbewegend in der Tat.
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Allgemeine Empfehlungen: Es geht vornehmlich um die Zukunft der Energiegewinnung und die Energielieferanten. Renner bleiben Telekommunikations-Unternehmen, deren Dienstleistungen in einer digitalisierten Wirtschaft und Gesellschaft unabkömmlich sind. Unter den Logistik-Aktien sind in der Regel die Post-Aktien interessant. Diese Branchen sind weniger konjunkturabhängig als z.B. Konsumaktien, darunter die Post-Aktien noch am ehesten.
Hinzu kommt, dass die klassischen erdölverarbeitenden Energielieferanten (Up- und Downstream) mehr oder weniger energisch in großem Stil auf Alternativenergien umstellen. Es bleibt ihnen angesichts des Klimawandels, der öffentlichen Meinung und der in absehbarer Zeit erschöpften Welt-Erdölreserven auch nichts anderes übrig. Über das Kapital für den weltlebensnotwendigen Umbau verfügen sie dank ihrer Aktionäre. Es geht aus Sicht der Unternehmen um zukunftsträchtige Geschäftsmodelle in einer überschaubaren Branche – Energie – und aus Sicht der Aktionäre um steigende Unternehmenswerte / Aktienkurse als Inflationsschutz und sichere, möglichst stabil wachsende Dividenden, ebenfalls hinsichtlich des Inflationsschutzes.
Anti-Nachhaltigkeits-Bewegung in den USA als 180-Grad-Wendung in der Veranlagungsgebarung
Der aktuelle politische Druck in den USA zwingt eine Reihe großer Vermögensverwalter, darunter die weltgrößten wie Blackwater und Vanguard (verwaltetes Vermögen: 20 Billionen US-Dollar), nachhaltige Unternehmen potentiellen Anlegern nicht mehr zu empfehlen. Sie selbst verkaufen solche Unternehmen aus ihren Portfolios. Es gibt sogar seitens republikanisch regierter Bundesstaaten wie insbesondere Texas Kaufverbote für staatliche Pensions- u.a. Fonds.
Ausgestiegen sind bereits US-amerikanische Großbanken wie JP Morgan, Goldman Sachs, Wells Fargo, Bank of America, Citigroup (verwaltetes Vermögen: 9 Billionen). Ähnliches betrifft die Kreditvergabe. Offen bleibt, wie private und Unternehmensanleger (nicht-staatliche Fonds) künftig disponieren werden.
Unter den angebotenen Finanzanlagen kursieren seit geraumer Zeit besondere Nachhaltigkeitsprodukte in Form sog. ESG-Fonds (mehr dazu hier), die hohe Renditen versprachen und daher recht starken Zulauf hatten; die Renditen wurde seit Erhöhung der Kreditzinsen gebremst, da dadurch kreditfinanzierte Nachhaltigkeitsprojekte (Windparks, Solaranlagen etc.) weniger rentabel wurden.
In der Europäischen Union will man sich weiter an entsprechende Nachhaltigkeitsauflagen festhalten. Bislang wurden in europäische ESG-Fonds 9 Billionen Euro investiert, was 61 Prozent des gesamten Fondmarktvolumens entspricht. Der Zufluss hat sich 2024 allerdings um die Hälfte auf 37 Milliarden Euro reduziert. Zudem wurden mehr ESG-Fonds geschlossen als eröffnet. Nicht nur die hohen Zinsen, die die ESG-Fonds-Renditen beeinträchtigten, führten dazu, sondern auch „grüne Schönfärberei“: es stellte sich da und dort heraus, dass die versprochene Nachhaltigkeit mehr auf dem Papier als in der Wirklichkeit bestand. (Quelle: Wirtschaft vor Acht, ARD, 10.1.2025 (KURZVIDEO, bis 17.1.2025 verfügbar))
FAZIT: Es bleibt abzuwarten, was das für den Klimaschutz in den USA und weltweit künftig bedeutet. Für Österreich stellt sich die Frage, wie eine künftige Regierung sich in Sachen Klimaschutz verhalten wird.
Aktienkauf – der Erwerb einer Unternehmensbeteiligung – bedeutet Übernahme eines Risikos in Hinblick auf das künftige Unternehmensschicksal. Die Dividende stellt eine Risikoprämie dar.
Aktienanalytischer Blick auf Aktien im Euroraum und speziell Österreich (Stand: 24.2.2025):
ACHTUNG – STEUERVERÄNDERUNGEN ANTE PORTAS:
Ins Gerede kommen in absehbarer Zeit auf EU-Ebene und auf Österreich-Ebene vermutlich Aktienbesteuerung (Verkaufsgewinne, Dividenden) ebenso wie Vermögens- und Erbschaftssteuer. Diese Steuern sind in Veranlagungsüberlegungen mit einzubeziehen.
Im Folgenden sind Aktien um 10 Euro je Stück und darunter FETT hervorgehoben.
Neu aufgenommene Aktien werden mit ### gekennzeichnet.
Beobachtenswert ist der Umweltschutz- und Wasserwirtschaftswert Veolia
Ein Kaufsignal liefern weiterhin ENI, UNICREDIT und TOTAL ENERGIES, im Vergleich zum 3.2.2025 stabile Bewertung mit jeweils fünf Sternen bewertet.
Ein Kaufsignal liefern ENEL, PORR, SHELL, VERBUND, ### VIENNA INSURANCE GROUP mit jeweils vier Sternen bewertet.
Im Vergleich zum 3.2.2025 erweiterte stabile Bewertung mit jeweils vier Sternen bewertet.
Ein niedriges KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis) zeichnet aus:
RWE, TOTAL ENERGIES, ### UNICREDIT SPA, PORR, OMV, ### UNIQA, EVN, ENEL, TELECOM AUSTRIA, ### STRABAG, WIENERBERGER, SHELL, PALFINGER.
Aufsteigende Reihenfolge: die erste Aktie RWE ist die mit dem niedrigsten KGV = 4,8, PALFINGER die mit dem höchsten KGV = 9,3.
Im Vergleich zum 3.2.2025 erweiterte stabile Bewertung.
Ein niedriges dynamisches KGV (PEG, Price-Earning-to-Growth) weisen u.a. auf:
ENI, UNICREDIT, ### KONTRON AG, OMV, SHELL, PORR, WIENERBERGER, PALFINGER,
Nicht mehr dazu gehören: VIENNA INSURANCE GROUP, TELECOM AUSTRIA.
Aufsteigende Reihenfolge: die erste Aktien ENI = 0,5 ist die mit dem niedrigsten, PALFINGER die mit dem höchsten PEG = 1,4.
Im Vergleich zum 3.2. 2025 ist die Auswahl verändert, einzelne Aktien kamen dazu, andere fehlen nun!
Als Aktien mit langfristigem Kurspotential werden u.a. gesehen:
TOTAL ENERGIES, ENI, VERBUND, E.ON.SE, EVN, RWE.
Aufsteigende Reihenfolge: am Anfang der Reihe steht jene mit der größten Langfristchance.
Im Vergleich zum 3.2.2025 bleibt die Auswahl stabil, die Reihenfolge hat sich geändert.
Als Aktien mit hoher Sicherheit werden u.a. bewertet VIENNA INSURANCE GROUP, VERBUND; die Bewertungen bleiben unverändert zum 3.2.2025.
Aufsteigende Reihenfolge: am Anfang der Reihe steht jene Aktie mit der größten Sicherheit.
Aktien mit hoher Dividendenrendite sind:
OMV, ORANGE, TELEFONICA, ENI, UNIQA, ENEL.
Aktien mit der größten Dividendenrendite stehen am Anfang der Reihe: OMV 12,6%, am Ende die mit der niedrigsten: Enel 6,7%, jeweils vor Steuer.
Im Vergleich zum 3.2.2025 bleibt die Auswahl gleich, die Reihenfolge hat sich geändert.
KAUFKRITERIEN neben den aktienanalytischen Kennzeichnungen sind der Reihe nach: WER? – Qualität und Charakter (Psychologie!) des Managements, Häufigkeit des Managementwechsels, Unternehmenskultur; WAS? – Produkteinfachheit: „einfach gestrickte“, leicht zu durchschauende/transparente Produkte oder Dienstleistungen, eher kleine Produktpalette bzw. enger umschriebenes Dienstleistungsangebot, Konstanz der Nachfrage; WIE? – Sicherheit, Widerstandsfähigkeit gegenüber wirtschaftlichen Wechselfällen, finanzielle Stabilität des Unternehmens, Konkurrenzsituation; WO? – geographische und „politische“ Lage möglichst fern von Krisengebieten inkl. solchen mit politischer Unruhe oder in Ländern mit totalitären Systemen oder deutlich defekten Demokratien (illiberale Demokratien); WANN? – Lebensdauer bzw. Überlebensdauer (Weltkriege etc.) des Unternehmens bisher, Stetigkeit der Dividendenzahlungen.
FAZIT: vor dem Kauf einer Unternehmensbeteiligung sich zur Aktiengesellschaft schlau machen: WER, WAS, WIE, WO, WANN.
ZWEI DINGE sind zusätzlich zu beachten:
# Langfristanlage durch Erwerb von Defensiv-Aktien (u.a. Energie, Telekom),
# Verbleib in einem Währungsraum, das ist der Euroraum. Daher werden die allseits seit Jahren gehypten US-Aktien hier mit Absicht außen vor gelassen, um das Währungsrisiko klein zu halten. Gleiches gilt für den Erwerb von Schweizer Aktien, wie die Vergangenheit mit Blick auf das sehr wechselhafte Wechselkursverhältnis Schweizer Franken / Euro gezeigt hat.
Die Europäischen Union als Veranlagungsrisiko?
Das Staatssystem der Europäischen Union kommt einer defekten Demokratie gleich und erstreckt sich in den Währungsraum (Euroland), in dem gehandelt wird. Man spricht auch von einem Demokratie-Defizit der Europäischen Union. Risiken dieser defekten Demokratie, um einige zu nennen, sind: Regelungen „von oben herab“ auf nicht sehr transparente Weise und Steuervorgaben, die sich durch Negieren realer Alltagserfordernisse auszeichnen, Überwachungsbestrebungen, hoher Bürokratieaufwand für Unternehmen und Bürger. All dies markiert Abgehobenheit und Bürgerferne der EU-Politik.
Kennzeichnend für das Gebaren (Governance) der EU ist ein Ineinandergreifen von EU-Exekutive (Kommission mit ihren Kommissariaten) und einem nicht gut überschaubaren Geflecht zahlreicher, der EU nahestehenden und von ihr geförderten Institutionen, Organisationen und Einrichtungen, die auf vielen Ebenen EU-Kommissionsvorgaben umsetzen helfen. Sie helfen insbesondere dabei, die von EU-Rat- und EU-Kommission angedachten, aber für Bürger und Unternehmen noch nicht „akzeptablen“ Vorgaben „schmackhaft“ zu machen, um so zu einer ausreichend hohen Akzeptanz in der Bevölkerung zu führen, die eine politische Umsetzung ermöglicht.
Junker sagte 1999 dazu sehr verkürzt und sinngemäß: was wir heute als EU nicht durchsetzen, das werden wir dann schon später durchsetzen. Dem Lobbyismus Richtung EU-Exekutive (insbesondere seitens der Unternehmen) steht ein „Lobbyismus“ seitens der EU in Richtung auf die Einrichtungen der Mitgliedsländer sowie auf die Unternehmen und die Bevölkerung gegenüber, dessen Räderwerk für den Normalbürger praktisch nicht durchschaubar ist. Inwieweit kommt dies einem autokratischen Verhalten von der Maschek-Seite gleich?
Hauptziel der EU-Bestrebungen ist die Etablierung der Vereinigten Staaten von Europa, die den derzeit bestehenden Verbund der Mitgliedsstaaten ersetzen soll. Das deutet auch der Wechsel der Namensgebungen im Zeitverlauf an:
# Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, umgangssprachlich auch Montanunion, 1951)
# Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, 1957 inklusive EURATOM)
# Europäische Gemeinschaften (EG, 1965 ff., Fusion von EWG, EURATOM und einzelnen EG-Organen, Fusions- und Folgeverträge)
# Europäische Gemeinschaft (EG, seit 1993 ff., Maastricht- und Folgeverträge)
# Europäische Union (EU, 2007, Lissabon- und Folgeverträge)
1948 1948 Brüsseler Pakt | 1951 1952 Paris | 1954 1955 Pariser Verträge | 1957 1958 Rom | 1965 1967 Fusions- vertrag | 1986 1987 Einheitliche Europäische Akte | 1992 1993 Maastricht | 1997 1999 Amsterdam | 2001 2003 Nizza | 2007 2009 Lissabon | ||||||||||||||||||||||
Europäische Gemeinschaften | Drei Säulen der Europäischen Union | ||||||||||||||||||||||||||||||
Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) | → | ← | |||||||||||||||||||||||||||||
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) | Vertrag 2002 ausgelaufen | Europäische Union (EU) | |||||||||||||||||||||||||||||
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) | Europäische Gemeinschaft (EG) | ||||||||||||||||||||||||||||||
→ | Justiz und Inneres (JI) | ||||||||||||||||||||||||||||||
Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) | ← | ||||||||||||||||||||||||||||||
Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) | → | Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) | ← | ||||||||||||||||||||||||||||
Westunion (WU) | Westeuropäische Union (WEU) | ||||||||||||||||||||||||||||||
aufgelöst zum 1. Juli 2011 | |||||||||||||||||||||||||||||||
Problematisch bleibt dabei: je größer die Zentralisation von Staatsmacht, umso größer die Machtfülle, die mit „eiserner Harke“ über berechtigte (!) Einzelinteressen der Mitgliedsstaaten und damit der Bürger drüberfährt. Das Prinzip der Subsidiarität bleibt dabei auf der Strecke, so wie dieses Prinzip z.B. Österreich 1994 anlässlich der Vorabstimmungskampagnen versprochen wurde. Wurde das Versprechen eingelöst?
Beispiele der Machtfülle durch Zentralisierung liefern alle großen Staaten, u.a. Russland und China, die geradezu Musterbeispiele dafür darstellen.
Ein Problem des Staates an sich ist das Machtmonopol, das bei ihm liegt und liegen muss, will er Gesellschaft – das Staatsvolk – und die Abläufe darin mit Erfolg, also: durchsetzungskräftig organisieren. Das Problem ergibt sich aus dem Spannungsfeld zwischen unbeschränkter Freiheit des Individuums (Libertarismus) und unbeschränkter Freiheit des Staates (Totalitarismus).
Wie dieses Machtmonopol ausgestaltet wird, unterliegt in Demokratien dem Willen des Wahlvolkes, in nicht-demokratischen Staaten dem Willen des autoritären, totalitären oder autokratischen Machthabers. In defekten Demokratien ist die Mitbestimmung des Volkes eingeschränkt. Defekte Demokratien existieren in einer Grauzone, deren Konstituenten und ihre gegenseitige Einflussnahme nicht leicht zu bestimmen sind. Somit ist auch der Defektheitsgrad einer defekten Demokratie nicht leicht zu bestimmen und unterliegt, je nach politischer resp. ideologischer Perspektive, unterschiedlichen Wertungen.
Die idealtypische Dreiteilung der Regierungsformen existiert in der Wirklichkeit nicht: keine Demokratie der Welt entspricht der idealen Form, weist also im Ansatz Eigenschaften einer defekten Demokratie auf, kein totalitärer Staat schränkt die individuellen Freiheiten vollständig ein, es verbleibt den Bürgern dort ein mehr oder weniger großer Freiheitsraum.
Hinsichtlich des staatlichen Machtmonopols, das zudem bei anwachsender Zentralisation der Staatsgewalt zur Zunahme neigt, ergibt sich die Erkenntnis: so wenig Staat wie möglich, so viel Staat wie nötig als einer Einrichtung, die mit einem mit Rechtsgewalt in das Leben seiner Bürger eingreifenden Machtmonopol versehen ist, das für das „Funktionieren“ einer Gesellschaft unaufgebbar ist.
Die dafür notwendigen rechtlichen Verregelungen des Alltagslebens durch Allgemeines Gesetzbuch, Strafgesetzbuch, Angestelltengesetz etc.etc. sind zahllos und gelten bei ausnahmslos jeder Handlung, werden aber – ebenso regelhaft – dem Bürger erst dann bewusst, wenn es zu schwerwiegenden Regelverstößen oder Regelbruch-Sanktionierungen kommt.
Rechtliche Verregelungen sind Ausdruck der jeweiligen Ausprägungen eines Rechtsstaates; dieser wird in einer idealen Demokratie nicht durch Willküreinwirkungen korrumpiert: das ist ein wesentliches Kennzeichen demokratischer Rechtsstaatlichkeit. Auf Rechtsstaatlichkeit pflegen sich auch autoritäre, totalitäre oder autokratische, kurz: diktatorische Systeme zu berufen, doch wird der Rechtsstaat dort durch Willküreingriffe korrumpiert: Rechtsbiegung als Kennzeichen von Autokratien etc. In einer defekten Demokratie wird die Rechtsstaatlichkeit (leicht) eingeschränkt, womit das Risiko entsteht, in eine Autokratie abzugleiten.
Nur in formalrechtlicher Hinsicht war zum Beispiel auch der NS-Staat ein Rechtsstaat, besaß er doch gemäß der NS-Grundsätze umgearbeitete Gesetze aus der Weimarer Republik und neue Gesetze im Sinne der NS-Ideologie, auf die er sich in der Rechtsprechung berief und von denen viele in einem „normalen“, d.h. hier NS-konformen Rechtssetzungsprozess entwickelt wurden. Daran ändert nichts die Gepflogenheit, den NS-Staat in inhaltlich-ethischer Hinsicht als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Ein krasses Beispiel für einen NS-Rechtserlass im autokratischen Sinn ist unter diesem Link einsehbar.
Kennzeichnend für die Biegsamkeit des Rechts je nach Staatsraison ist die Tatsache, dass Juristen nach einem Regimewechsel ihre Posten in der Regel nicht verloren, sondern im neuen Regime weiter im Dienst des Rechts ihre berufliche Tätigkeit frei oder im öffentlichen Dienst ausübten. So wurden Juristen und Richter nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes ohne weiteres in den öffentlichen Dienst der entstehenden Bundesrepublik Deutschland übernommen. Vergleichbares geschah nach dem Fall der UdSSR oder DDR.
Das „Funktionieren“ einer Gesellschaft dank dafür sorgender Rechtsstaatlichkeit bedeutet in einer Demokratie das Herstellen eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen einerseits den rechtsstaatlich gesicherten Freiheitsbedürfnissen des Individuums unter für ihn zureichenden wirtschaftlichen Gegebenheiten und andererseits den „Freiheitsbestrebungen“, somit Machtbestrebungen des Staates, mit dem Ziel, ein Höchstmaß an Gemeinwohl resp. Sozialfrieden in Freiheit herzustellen. Als Garant dafür dient die Gewaltenteilung und ein entsprechend stark regulierter und damit gewaltgebändigter Polizei- und Geheimdienstapparat sowie als vierte Gewalt die Sicherstellung einer freien Presse. MOTTO: Nimm Freiheitsbeschränkungen mit Blick auf das Gemeinwohl aus Überzeugung an, wir helfen dir dabei durch politische Aufklärung und sachliche Bildungsarbeit!
Das „Funktionieren“ einer Gesellschaft dank dafür sorgender Rechtsstaatlichkeit bedeutet in einer Autokratie, im Autoritarismus und vor allem im Totalitarismus Ausgesetztheit vor rechtsbeugenden willkürlichen Staatseingriffen auf die ohnehin reduzierten Freiheitsmöglichkeiten des Individuums unter nicht selten unzureichenden wirtschaftlichen Gegebenheiten zu Gunsten der Machtbestrebungen des Staates mit dem Ziel, ein Höchstmaß an „Gemeinwohl“ resp. „sozialem Frieden“ in Unfreiheit zu erzwingen. Als Garant dafür dient die Einschränkung, womöglich Aufhebung der Gewaltenteilung sowie ein entsprechend stark ausgeprägter und mit gering regulierter Gewalt ausgestatteter Polizei- und Geheimdienstapparat sowie eine allgegenwärtige Brachial-Propaganda unter Ausschaltung der Pressefreiheit. MOTTO: Kusch, sonst trifft dich der Polizeiknüppel und du landest im Gulag, folgst du nicht den Propaganda-vermittelten Staatszielen!
Das „Funktionieren“ einer Gesellschaft dank dafür sorgender Rechtsstaatlichkeit in einer defekten Demokratie gibt in (noch) geringem Ausmaß jene Prinzipien auf, die eine Demokratie hervorheben. Als Garant dafür dient eine Einschränkung der Gewaltenteilung und ein nicht allzu gestärkter und nicht allzu sehr mit herabgesetzter regulierter Gewalt ausgestatteter Polizei- und Geheimdienstapparat sowie eine verhältnismäßig subtil eingesetzte Propaganda und Beeinflussungsmaschinerie. MOTTO: Folge der politischen Verführung und glaube, es sei deine Entscheidung, sonst zwiebeln wir dich mit Exekutivmaßnahmen!
Eine solche Beeinflussungsmaschinerie hat die exekutiv im Grunde genommen schwach aufgestellte EU entwickelt, was zu eben der Ausbildung dieser „Schattenexekutive“ geführt hat. Sie trägt damit – nicht so ohne weiteres sichtbar für den Normalbürger – ein Kennzeichen einer defekten Demokratie. Damit steht die Gefahr im Raum, weiter an demokratischen Eigenschaften einzubüßen und zu einem politischen und wirtschaftlichen Risiko heranzureifen. In der Tat bemüht sich die EU um Stärkung ihrer Polizeigewalt (Frontex, 2004, weiterer Ausbau) und damit um Ausbildung eines weiteren Kennzeichens defekter Demokratien insofern der Vorwurf stimmte, dass Frontex auch innerhalb der EU eingesetzt werden könnte.
Was die Beeinflussungsmaschinerie der EU betrifft, hat 2011 der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger (1929-2022) die Europäische Union als “sanftes Monster Brüssel“ bezeichnet und von der „Entmündigung Europas“ gesprochen. Er anerkennt segensreiche Folgen ihres Wirkens, macht aber zugleich auf die strukturellen Defizite dieser überstaatlichen Einrichtung aufmerksam, die durch massive Öffentlichkeitsarbeit, um nicht zu sagen: Propaganda – geschickt durch das vorbeschriebene Geflecht an Organisationen, Instituten, Einrichtungen etc. vermittelt –, übertüncht werden. Bezeichnend ist sein Ausspruch: „Je dünner die Legitimität [ihres politischen Handelns], umso dicker der Glibber der PR.“
Die geschilderte Gefahr liegt nicht darin, sich im Euro-Währungsraum zu bewegen. Sie liegt darin, dass infolge mangelnder demokratischer Kontrolle politisch einer Gesinnungsethik und nicht einer Verantwortungsethik gefolgt wird. Damit einher ginge eine Abgehobenheit von den Realitäten des täglichen Lebens der Bürger und Unternehmen. Das führte kurz über lang zu einer Schwächung des Euros im Währungskonzert. Ein Risiko erwüchse dann eher daraus, dass es nicht sicher ist, ob der Währungsraum „Euro“ eines Tages zerbricht, zum Beispiel dadurch, dass im Konzert mit anderen Währungen die derzeit ohnehin angekratzte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Europäischen Union noch weiter geschwächt würde und der Euro fortgesetzt an Wert verlöre. Letzteres erleichterte das Auseinanderbrechen der Europäischen Union, die Eigeninteressen der Mitgliedsländer träten wieder stärker hervor.
Dieses Auseinanderbrechen der Europäischen Union ist derzeit unwahrscheinlich, aber denkmöglich als Folge von: fortgesetzter Wirtschaftsschwäche; weiter zunehmender Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Zunahme nationalkonservativer bis rechtsextremer Haltungen; fortgesetztem „Rütteln an den Ketten“ seitens ehemaliger UdSSR-Bruderstaaten; fortgesetzter Aufnahme neuer Mitgliedsländer speziell aus dem Balkan und dem ehemaligem UdSSR-Einflussbereich (Serbien, Ukraine); gravierenden, von den Bevölkerungen der Mitgliedsstaaten nicht mitgetragenen außen- und innenpolitischen Entscheidungen.
Bräche die EU, so bräche spätestens dann auch der Euro; im Übrigen weist die Geschichte der Währungsunionen auf deren Brüchigkeit hin: sie halten in der Regel nicht lange. Den Anleger zwingt unter anderem auch dies beizeiten zu überlegen, in welcher Währung er außerhalb des Euroraumes investieren soll. Angesichts des unsicheren Status des US-Dollars als Weltwährung ist dies eine herausfordernde Frage. Sie stellt sich glücklicherweise derzeit nicht, sondern taucht nur schemenhaft als Denkmöglichkeit am Horizont einer eher ferneren Zukunft auf. Aber: sie taucht auf und kann blitzesschnell elefantengroß im Raum stehen.
FAZIT: die Europäische Union birgt für den Anleger derzeit nur am Zukunftshorizont sich abzeichnende Risiken. Sie entspringen u.a. daraus, dass die EU weniger aus der Position der Stärke als eher aus der der Schwäche handelt. Im Vergleich zur Situation des Kalten Krieges und damit zur Gründerzeit der EU-Vorläufereinrichtungen, in der es nur einen wirtschaftsmächtigen geopolitischen Spieler und gleichzeitigen Verbündeten – die USA – gab, steht die Europäische Union heute zwischen zwei Wirtschaftsblöcken: dem des USA-geführten Westens und dem des sog. globalen Südens. Das erzeugt Druck, allzumal Zeitdruck, treibt die EU an und lässt sie, will sie nicht aufgerieben werden, nach Machtvergrößerung durch Zentralisierung streben – ein Demokratierisiko ersten Ranges, damit in der weiteren Folge ein Wirtschafts- und letztlich Veranlagungsrisiko.
Grundsätzliches zur Währungsspekulation
Währungs-Spekulation ist ein äußerst schwieriges, glitschiges, hochriskantes Geschäft, bedarf langjähriger Erfahrung, tagtäglicher Marktbeobachtung und eines guten Magens: Schocks und erratische Marktbewegungen müssen ausgehalten werden – psychisch und finanziell. Einer der bekanntesten und erfolgreichsten Währungsspekulanten im deutschsprachigen Raum ist Folker Hellmeyer (Hellmeyer-Website, Hellmeyer-Kurzportrait (Goldseiten), Hellmeyer auf Netfonds usf.).
Zweck der Währungsspekulation?
Wie bei den Warenoptionsmärkten dient auch der Währungsoptionsmarkt dazu, sehr starke Schwankungen im Wert einer Währung (Devise) zu verhindern: sehr starken Verteuerungen oder Verbilligungen einer Währung im Devisenmarkt (Währungs- oder FOREX-Markt) wird so gegengesteuert. Dafür sorgen die vielen Marktteilnehmer, von denen ein Teil den künftigen Wert einer Währung (Devise) höher, der andere diesen Wert tiefer einschätzt. Dies führt dazu, dass sich eine Art mittlerer Wert für diese Währung einstellt. Währungsoptionsmärkte sind rund um den Globus nahezu 24/7, also nahezu täglich rund um die Uhr, offen (Warenoptionsmarkt, Optionen im Freihandel).
Anders ausgedrückt: Die Spekulanten sichern sich mit ihrem Engagement gegen das Risiko eines Währungsverfalls oder eines Währungsanstiegs ab. Währungsanstiege sind ein Risiko für Käufer auf Warenmärkten, Währungsabwertungen sind ein Risiko für Verkäufer auf Warenmärkten. Gleiches gilt selbstverständlich auch für Dienstleistungen im internationalen Dienstleistungsaustausch. Die gegenläufigen Interessen auf dem Währungsoptionsmarkt „mitteln“ sich aus.
Allgemein gesprochen handelt es sich bei den Geschäften auf Optionsmärkten um Absicherungsgeschäfte oder Hedging.
Nochmals anders ausgedrückt: Auf aggregiertem Niveau (Makroebene) sorgt der Währungsoptionsmarkt für die Stabilität einer bestimmten Währung im Konzert der anderen Währungen im Devisen- resp. Währungsmarkt (Kassa- oder Spot-Markt, das Pendant zum Optionsmarkt).
Eine stabile Währung ist für die Volkswirtschaft, in deren Bereich diese Währung als Zahlungsmittel dient, eine Lebensnotwendigkeit für das optimale Funktionieren der volkswirtschaftlichen Grundvorgänge Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen. Erratische Schwankungen im Währungs- oder Devisenmarkt erschweren auf der Ebene der Unternehmen (Mikroebene) innerhalb und außerhalb einer Volkswirtschaft erheblich Kalkulationen mit Sicht auf künftig geplante Käufe und Verkäufe. Erratische Schwankungen einer Währung schwächen die Wirtschaftsleistung der zugehörigen Volkswirtschaft, eine stabile Währung fördert sie. Dies gilt auch für Volkswirtschaften außerhalb des entsprechenden Währungsraumes, sofern sie mit dieser Volkswirtschaft handelnd in Verbindung stehen.
FAZIT: Währungsoptionsmärkte sind für das Wirtschaftsgeschehen im Konzert der verschiedenen Volkswirtschaften überlebenswichtig.
Die heilige Trias
Diese Zusammenhänge bleiben in der Regel für Otto Normalverbraucher genauso verborgen wie die Bedeutung der nicht-demokratisch agierenden Zentralbanken, die mit ihren Zinsentscheidungen tief in das Wirtschaftsleben und somit in das Alltagsgeschehen der Menschen eingreifen. Warenmärkte, Währungsmärkte und Zentralbanken sind in einem fortlaufenden Marktgeschehen untrennbar und maßgeblich untereinander verbunden. Dabei modulieren und moderieren die Zentralbanken über den Zinssatz die Abläufe in Waren- und Währungsmärkten und den zugehörigen Optionsmärkten.
Für Otto Normalverbraucher sind Spekulanten auf diesen Märkten in aller Regel ganz, ganz böse Subjekte, die sich mit ihren Spekulationsgewinnen die Taschen vollstopfen.
Wer sind diese Subjekte auf Währungsoptionsmärkten?
Auf Währungs- und Währungsoptionsmärkten agieren in großer Zahl Staatsstellen, staatliche und private Pensionsfonds, multinationale und andere Unternehmen, Finanzinstitute (Banken u.a.), Hedgefonds u.a.
Otto Normalverbraucher verkennt in aller Regel den Sinn dieser Märkte und die Rolle der Spekulanten dort; denn:
Die Währungsoptionsmärkte zeichnen für das Wohl und Wehe im höchstpersönlichen Alltagsleben des kleinen Mannes auf der Straße verantwortlich, indem sie für relative Währungsstabilität sorgen. Doch Märkte sind keine Subjekte. Somit sind präzise gesprochen nicht „die Märkte“, sondern die Teilnehmer an Währungsoptionsmärkten – also die risikoübernehmenden Spekulanten – für das Wohl und Wehe von Otto Normalverbrauchers alltäglichem Leben verantwortlich.
Daher lässt sich interpretieren: In der Erhaltung der Währungsstabilität liegt der soziale Sinn der Spekulation. Dabei dient der Spekulationsgewinn als Entgelt für die risikobehaftete Sorge um eine stabile Währung.
Es kommt zu einem „paradoxen“ Effekt: die Befriedung der Einzelinteressen der Subjekte, den Spekulanten, trägt vermittels des Marktgeschehens zur Optimierung des Gemeinwohls bei.
Die Umsätze in Devisen- und Währungsoptionsmärkten sind die größten weltweit und erreichen täglich Milliarden bis Billionen von Währungseinheiten. Im Jahr 2022 wurden allein im Devisenmarkt täglich durchschnittliche Umsätze in Höhe von 7,5 Billionen US-Dollar gehandelt. Zu beachten ist, dass dabei immer Währungspaare gehandelt werden und zudem die Umsätze „doppelt“ anfallen: als Verkaufs- und als Kaufpreis in Summe. Das plustert das tägliche Handelsvolumen ordentlich auf.
Was für die Währungsoptionsmärkte gilt, gilt ebenso für die Warenoptionsmärkte: es geht um die Stabilisierung von in großen Mengen gehandelten Waren wie Weizen, Schweinehälften Orangensaft, Kaffee und vieles andere mehr. Die aufgezählten Waren stehen für solche, die für die Bevölkerungen hohe Bedeutung haben.
Wozu Optionsmärkte gut sind
Aber es gibt doch nach wie vor Preissprünge auf den Warenmärkten, von erratischen Ausschlägen an den Devisenmärkten war auch schon die Rede: wie passt das ins Bild?
Ohne die Terminbörsen wären die Ausschläge um einiges stärker, die Preise höher.
Drei Beispiele dazu:
#1 Hitler verbot die große Bremer Kaffeebörse. Daraufhin sicherte sich der Großhandel gegen Preisanstiege bei Kaffee ab, indem er von Haus aus deutlich höhere Preise für den Handel, die Geschäfte, einforderte. Resultat war der berühmt-berüchtigte Blümchenkaffee: die Konsumenten sparten am Kaffee, indem sie möglichst wenig davon zum Aufbrühen verwandten, also sah man durch den dünnen Kaffee das Blümchen am Grund der Kaffeetasse.
# 2 Waren, die nicht abgesichert werden können, weisen größere Preissprünge und höhere Preise auf; bremsend auf den Warenpreis (Aktienpreis, Devisenkurs) wirkt allein die Konkurrenz oder eine schwache Nachfrage oder ein überreichliches Angebot.
# 3 Die erste Warenoptionsbörse wurde 1848 in Chicago gegründet. Hintergrund war der bereits gewachsene Welthandel mit Waren, die großteils noch mit Segelschiffen über die Weltmeere transportiert wurden. Zwar befuhren die ersten Dampfschiffe Ende der 1830er Jahre den Atlantik, doch die eigentliche Verdrängung des Segelschiffs als Transportmittel setzte erst ab den 1870er Jahren ein.
Die Notwendigkeit, sich gegen den Verlust der Waren infolge Schiffuntergangs zu schützen oder sich überhaupt vor unerwarteten Preisveränderungen während der langen Schiffsfuhren abzusichern, führte zur Einrichtung der Chicagoer Warenbörse (Chicago Board of Trade), 1848 zunächst als Kassen- oder Spotmarkt, 1864 dann als Warenterminmarkt. Fortan konnten Käufer und Verkäufer Warenpreise vereinbaren für Warenlieferungen in ein, zwei, drei, sechs Monaten, was die Sicherheit der unternehmerischen Kalkulation erheblich erhöhte, da nun die Preisrisiken nicht von den Warenverkäufern und -käufern selbst, sondern von den Spekulanten übernommen wurden. Es entstand eine hochspezialisierte Zunft von Spekulanten, darunter viele Versicherungen.
Die Spekulanten hatten die Zeit und die Informationsmittel, sich über Warenpreisänderungen am Warenursprungsort und über Transportverzögerungen oder Schiffsunfälle zu informieren. Schlechte Kaffee- oder Kakao-Ernten, transportverzögernde Windflauten oder Schiffsunglücke blieben für sie kein Geheimnis, entsprechend diesen Informationen disponierten sie am Warenterminmarkt ihre Preisvorstellungen, doch in der Vergangenheit geschlossene Warenpreise für eine bestimmte Ware zu einem bestimmten Termin blieben davon unberührt.