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FAZIT DES TAGES – oder: Nachrichten aus dem irrwitzigen Weltzirkus
- Israel-Hamas-Hisbollah-Krieg: Demonstrationen in Israel gegen Netanjahus Gaza-Pläne.
Staatsräson mit Rissen: Merz in Rechtfertigungsnot auch in
eigener Partei. – KOMMENTAR - Ukraine-Krieg: Landgewinne für Russland, heftige Nadelstiche der Ukraine.
Trump überlegt, beim Alaska-Treffen mit Putin auch Selenskyj dabeizuhaben.
Europäer gegen Landaufteilung: Ukraines Grenzen dürfen nicht verändert werden - USA auf Rohstoffsuche in Brasilien.
Hetzjagd: weg mit unliebsamen Beamten.
Zölle, was ist das? Zölle verursachen eine wirtschaftliche
Abwärtsspirale – KOMMENTAR
Die Epstein-Affäre – KOMMENTARE, HINTERGRÜNDE - AFRIKA: Große Hunger-Krise im Sudan
Verlorener Posten der Eliten: Das Verhältnis zwischen den Jungen und den Herrschenden ist angespannt – KOMMENTAR - SYRIEN im Wiederaufbau.
- SPANIEN: Kleinstadt verbietet muslimische Feste.
- DEUTSCHLAND: Merz im Alleingang: Schwesterpartei wurde über Waffenstopp an Israel nicht informiert.
„Wir wollen keinen AfD-Bürgermeister!“ – HINTERGRUND - ÖSTERREICH: 21.000 neue Unternehmer.
Ausbau der Video-Überwachung.
Kein Familiennachzug mehr, so Innenminister Karner.
Koralmbahn sorgt für Optimismus: Kärnten wird Hochschulbildungs-Land.
Wiens renommiertes Kaffeehaus „Bräunerhof“ neu übernommen.
Polizeieinsatz auf dem Peršmanhof: Neues und Geschichtliches dazu. – KOMMENTAR - Weitere COMMENTS vorhanden
MÄRKTE
Themenreigen – MEDIZIN: Kinderimpfung Pflicht: Haemophilus-influenzae-Bakterium haben dennoch in Hamburg bei Immunschwachen zugeschlagen.
Viel Stoff – Nutze die Suchfunktion!
Apropos Weltzirkus: Zirkus ist was für Kinder und Junggebliebene, Staunen und Lachen über die Clowns! Im Weltzirkus tummeln sich viele Zauberkünstler und Clowns. Lachen wir also, Lachen ist die beste Medizin gegen Depressionen.
EMPFEHLUNG
INFORADIO als Nachrichtensender am laufenden Band ist mit einem DAB-fähigen Radio zu empfangen. Es wird betrieben von RTR – KommAustria.
Das INFORADIO ist eine wertvolle Ergänzung zu anderen Agenturmeldungen und zum ORF.
Dazu allerdings ca. 15 bis 20 Minuten Zeit für konzentriertes Zuhören einplanen.
MÄRKTE
DJI – BAHA *** DJI – KGV *** Rendite 10-jg. US-Anleihen
DAX Deutsche Börse *** DAX – KGV *** Rendite 10-jg. Bundesanl. *** Euro-Bund Futures
COMMENT – ERGÄNZT (è): Und schon sind sie wieder da, die Dollarzeichen in den Augen der gierigen Anleger. Steht der DAX nach einer Konsolidierungsphase über den Sommer – seit Mitte Mai – vor einem weiteren Ausbruch nach oben? Das könnte sein.
Schon länger funktioniert Börse nach üblichen Bewertungen nicht mehr. Es ist zu viel Geld im Umlauf, die Schattenbanken (Private Finance, Finanzierungsunternehmen) treiben. Sie treiben im Übrigen auch die Zentralbanken vor sich her, deren Regularien für Schattenbanken nicht greifen.
Da wird auch ein besonnener Wochenausblick (siehe unten) letztlich kein Einsehen bringen.
Paradebeispiel für die unter dem Gelddruck stehenden Spielregeln der Börse ist SENTIX mit seiner Beobachtung und Analyse von Anlegereinschätzungen. Früher ein ziemlich verlässliches Mittel, kurzfristige Börsenbewegungen vorherzusehen, dürfte das heute nicht wirklich mehr zutreffen. Was haben wir nicht schon alles für Prognosen von
SENTIX gelesen … è Hätten wir nach diesen Prognosen gehandelt, wären wir längst verarmt.
è Die SENTIX-Konjunkturprognose bleibt allerdings einigermaßen brauchbar.
Die Volatilität am Frankfurter Parkett in der zweiten Hälfte der Handelszeit (siehe oberen dreifach-Chart rechts für den DAX im Tagesverlauf) hat damit zu tun, dass man sich über das Wochenende nicht übermäßig exponieren möchte.
WOCHENAUSBLICK: Dax-Erholung stockt – Konjunkturrisiken versus Ukraine – 8.8.2025
FRANKFURT (dpa-AFX) – Nach der jüngsten kräftigen Erholung des Dax dürfte sich der deutsche Leitindex in der neuen Woche schwertun. Zwar werden die Aktienkurse durch die vage Aussicht auf eine Waffenruhe in der Ukraine gestützt, doch die globalen Konjunktursorgen bleiben als potenzielle Belastung. Sie wurden zuletzt durch schwache Arbeitsmarktdaten aus den USA massiv geschürt, die die Märkte zu Monatsbeginn stark unter Druck gesetzt hatten.
COMMENT: Problem der US-amerikanischen Arbeitsmarkt-Berichterstattung: sie ist nicht zuverlässig und je nach Institution, die diese Daten erhebt, widersprüchlich. Deshalb allerdings wird Trump die Verantwortliche für die Statistik nicht hinausgeworfen haben.
Insofern richtet sich die Aufmerksamkeit der Anleger vor allem auf die am Dienstag anstehenden US-Verbraucherpreise. Analyst Patrick Franke von der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) geht davon aus, dass der Preisauftrieb im Juli gemessen am Kernindex ohne Energie und Nahrungsmittel gegenüber dem Vormonat noch einmal angezogen hat. Wegen der umfangreichen vorgezogenen Importe und des unklaren „Haltbarkeitsdatums“ der US-Zölle könnte es eine Weile dauern, bevor diese in vollem Umfang in den Verbraucherpreisdaten auftauchten. Von daher dürften die Teuerungsraten in den kommenden Monaten weiter anziehen.
Allerdings sei die US-Preisstatistik derzeit von echten Problemen geplagt, fuhr Franke fort. Hintergrund seien offenbar vor allem die von US-Präsident Donald Trump und seinen Gefolgsleuten auch in den Statistikagenturen der Regierung vorgenommenen Mittel- und Personalkürzungen. Dies mache es für die Notenbank Fed nicht leichter, zu entscheiden, wann beziehungsweise ob der Zeitpunkt für eine weitergehende Lockerung der Geldpolitik gekommen ist.
Einerseits stehen dem Helaba-Experten zufolge nun noch größere Fragezeichen hinter den zentralen Indikatoren, die die die US-Notenbank für ihre Zinsentscheidung braucht. Andererseits bleibe der politische Druck auf die Fed hoch, die Zinsen zu senken. Denn Trump gilt als vehementer Verfechter niedriger Zinsen.
Doch selbst wenn Fed-Chef Jerome Powell dem Druck nachgibt und die Zinsen senkt, spricht dies nicht automatisch für steigende Kurse am Aktienmarkt. „Wer jetzt allein auf baldige Zinssenkungen hofft, ignoriert die Risiken“, sagte Armin Micheli von Dr. Bauer & Co. Vermögensmanagement in München. Die Berichtssaison der Unternehmen verlaufe durchwachsen, geopolitisch bleibe die Lage angespannt, und saisonal sei der August traditionell ein schwacher Börsenmonat.
„Kurzum: Die Luft nach oben ist dünn“, resümierte Micheli. Ein Rücksetzer sei wahrscheinlicher als ein Höchststand. Für steigende Kurse brauche es mehr als Hoffnung – es brauche harte Fakten, und die fehlten derzeit.
Chefvolkswirt Ulrich Kater von der Dekabank richtete den Blick gen Deutschland. In der neuen Woche werde mit der Konjunkturumfrage des Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW am Dienstag ein weiterer Baustein zur Beurteilung der gegenwärtigen Aufschwungkräfte in Deutschland bereitgestellt. Angesichts der neuen US-Zölle sei jedoch kaum zu erwarten, dass sich die Stimmung in den deutschen Unternehmen gebessert habe.
In diesem Umfeld könnten die Märkte Kater zufolge eher auf politische Entwicklungen reagieren. Dabei ruhen die Hoffnungen der Anleger derzeit vor allem auf dem anberaumten Treffen der Präsidenten der USA und Russlands. Trump und Wladimir Putin wollen sich voraussichtlich in der neuen Woche erstmals persönlich zu Gesprächen über eine Beendigung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine treffen. Beide Seiten teilten mit, die Zeit sei reif für einen solchen Gipfel. Tag und Ort stehen bisher nicht fest.
Derweil müssen die Anleger in der neuen Woche erneut eine Reihe von Geschäftszahlen verarbeiten. Am Dienstag etwa steht der Rückversicherer Hannover Rück im Fokus. Am Mittwoch folgen unter anderem der Energieversorger Eon, der Panzergetriebe-Hersteller Renk und der Reisekonzern Tui .
Dicht gepackt ist auch die Agenda für den Donnerstag. Dann berichten zum Beispiel der Energiekonzern RWE, der Industriekonzern Thyssenkrupp und der Spezialchemiekonzern Lanxess über ihre Geschäfte im Zeitraum zwischen April und Juni./la/jsl/he
— Von Lutz Alexander, dpa-AFX —
© 2025 dpa-AFX
GESELLSCHAFTSSEISMOGRAPH BÖRSEN
findet sich am Ende des Tagesblicks
HELLMEYER (Märkte u.a.m.)
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ISRAEL-IRAN-HAMAS-HISBOLLAH-KRIEG
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ISRAEL-IRAN-KRIEG im n-tv Liveticker
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ISRAEL – NAHOSTKONFLIKT im FAZ-Liveblog
Zehntausende Menschen haben in Tel Aviv Medienberichten zufolge gegen die von der israelischen Führung geplante Ausweitung des Gaza-Kriegs demonstriert.
Aufgerufen zu der Kundgebung hatte das Forum der Angehörigen jener Geiseln, die die islamistische Hamas in den Gazastreifen verschleppt hat. Die Geiselfamilien fürchten um das Leben ihrer Liebsten, sollte das Militär die Pläne umsetzen.
„Mein Jossi wurde wegen der Intensität der Kämpfe getötet“, rief Nira Scharabi, die Witwe der ums Leben gekommenen Geisel Jossi Scharabi einem Bericht der Zeitung „Haaretz“ zufolge in die Menge. Ihn habe eine israelische Rakete am Ort seiner Gefangenschaft getötet. „Die Entscheidung des Sicherheitskabinetts, einen Militäreinsatz zur Einnahme des (ganzen) Gazastreifens zu starten, bringt das Leben der Geiseln wissentlich in Gefahr.“
Das israelische Sicherheitskabinett unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte am Freitag beschlossen, dass das Militär die Stadt Gaza einnehmen soll.
Die Londoner Polizei nimmt bei einer Demonstration gegen das Verbot der propalästinensischen Gruppe „Palestine Action“ nahe dem Parlament 466 Menschen fest.
Großbritannien hatte die Gruppe im Juli verboten, nachdem deren Mitglieder in einen Luftwaffenstützpunkt eingedrungen waren und dort Flugzeuge beschädigt hattenDer türkische Außenminister Hakan Fidan fordert ein geschlossenes Vorgehen der muslimischen Staaten gegen die israelischen Pläne zur Besetzung von Gaza-Stadt. Die muslimischen Länder müssten zudem die internationale Gemeinschaft mobilisieren, erklärt Fidan nach Gesprächen in Ägypten. Zudem sei die Organisation für Islamische Zusammenarbeit zu einer Dringlichkeitssitzung einberufen worden.
Die syrische Regierung hat geplante Gespräche mit den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) in Paris abgesagt und stellt damit ein im März unterzeichnetes Integrationsabkommen infrage.
Die Führung in Damaskus werde nicht an Verhandlungen mit einer Seite teilnehmen, die darauf abziele, “die Ära des früheren Regimes wiederzubeleben”, meldete die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana am Samstag unter Berufung auf Regierungskreise.
Die Regierung wirft der kurdisch geführten Organisation vor, “separatistische Persönlichkeiten zu beherbergen, die an feindseligen Handlungen beteiligt sind”. Sie mache die SDF für die Folgen verantwortlich, einschließlich der Wiedereinführung von Sanktionen und der „Herbeirufung ausländischer Interventionen“.
Die Regierung reagierte damit auf ein Forum, das die SDF am Freitag veranstaltet hatte. Dort wurde eine Überprüfung der von Präsident Ahmed al-Scharaa erlassenen Verfassungserklärung gefordert. “Die derzeitige Verfassungserklärung entspricht nicht den Bestrebungen des syrischen Volkes”, hieß es in einer Abschlusserklärung des Forums. Zudem kritisierten die Teilnehmer die islamistisch geführte Regierung Syriens wegen konfessioneller Zusammenstöße in der südlichen Provinz Suweida und in der Küstenregion.
Der UN-Sicherheitsrat kommt am Sonntag zu einer Sitzung über die Pläne Israels zur Kontrollübernahme in der Stadt Gaza zusammen.
Die seltene Wochenendsitzung soll um 16 Uhr stattfinden, wie die Nachrichtenagentur AFP am Samstag aus Diplomatenkreisen erfuhr. Mehrere der 15 Mitgliedsstaaten des Sicherheitsrats hatten demnach die Einberufung beantragt.
UN-Generalsekretär António Guterres kritisierte die Pläne der israelischen Regierung unterdessen scharf.
Guterres sei „zutiefst alarmiert“, erklärte ein Sprecher und fügte hinzu: „Diese Entscheidung bedeutet eine gefährliche Eskalation und birgt die Gefahr, dass sich die bereits katastrophalen Folgen für Millionen Palästinenser noch verschärfen.“
Das israelische Sicherheitskabinett hatte in der Nacht zum Freitag einen Plan gebilligt, der die Einnahme der Stadt Gaza durch die israelische Armee vorsieht.
COMMENT: Lieber Herr Guterres, wären Sie doch gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit am 1.1.2017 zuhöchst alarmiert über die Aktivitäten der Hamas gewesen, vielleicht hätte sich da etwas verhindern lassen. Sie prügeln den Sack, hochverehrter Herr Generalsekretär, und meinen den Esel. Prügeln Sie gefälligst den Esel!
WEITERE ISRAEL-MELDUNGEN
INTERVIEW zu Bildern aus Gaza: Die Hamas inszeniert viel – trotzdem ist nicht alles Propaganda – n-tv, 5.8.2025
Wie glaubhaft sind Fotos, die aus dem Gazastreifen kommen? Christopher Resch, Referent bei Reporter ohne Grenzen und zuständig für den Nahen Osten, sagt: Die Hamas wisse um die Macht der Bilder, dennoch sei ein grundsätzliches Misstrauen unangebracht. Im Interview mit ntv.de spricht er zudem über den möglichen Grund, warum Israel keine internationalen Journalisten nach Gaza lässt.
ntv.de: Das Foto eines abgemagerten, 18 Monate alten Jungen aus Gaza hat eine Diskussion ausgelöst. Internationale und auch deutsche Medien haben das Foto verwendet, um damit die Hungersnot in Gaza zu bebildern, ohne zu erwähnen, dass der Junge Vorerkrankungen hat. Wie aussagekräftig sind die Bilder, die wir aus dem Gazastreifen bekommen?
Christopher Resch: Es wurden journalistische Fehler gemacht. Mehrere Medien haben nicht deutlich gekennzeichnet, was der Junge genau hat. Doch diese Details sind wichtig, weil die Vorerkrankungen wohl ein Grund dafür sind, dass der Junge so abgemagert aussieht. Zugleich, und das ist wichtiger, hat das Kind auch an Hunger gelitten und leidet vermutlich immer noch. In erster Linie sieht man also ein Kind, dem es ohne diesen brutalen Krieg, in einer besseren Versorgungslage, nicht so schrecklich gehen würde.
Kann man aus dem Fall ableiten, dass wir generell misstrauisch sein sollten, wenn wir Bilder aus Gaza sehen?
Nein. Der Fall eignet sich vielleicht für eine medienkritische Betrachtung, aber das Kind selbst existiert ja. Es geht ihm real schlecht. Und es gibt viele weitere Bilder von hungernden Kindern und Erwachsenen. Wir kennen alle die Aufnahmen rund um die Ausgabestellen der „Gaza Humanitarian Foundation“, wo die israelische Armee mutmaßlich auf Menschen geschossen hat. Der Fall taugt nicht dazu, zu sagen, solche Bilder seien allesamt Propaganda und jeder Journalist in Gaza stecke mit der Hamas unter einer Decke. Beides weise ich zurück.
Dass die Hamas auch Bilder inszeniert, ist aber doch hinlänglich belegt.
Die Hamas weiß genau, wie mächtig Bilder sind. Die inszenieren mit Sicherheit viel und das auch in einem Ausmaß, das weit über den Fall des Jungen hinausgeht. Es wäre zudem naiv, zu sagen, unter ihrer Herrschaft ließe sich journalistisch unabhängig arbeiten, das war vor dem Krieg schon nicht so. Und auch heute geht zumindest in den Gebieten, die noch von der Hamas kontrolliert werden, nicht viel an ihr vorbei – was wiederum nicht automatisch bedeutet, dass die Bilder nicht echt oder manipuliert sind. Man muss dazu sagen: Zensur und Einflussnahme gibt es in jedem Krieg. Auch das israelische Militär möchte ihr eigenes Narrativ verbreiten. Das macht es für die Öffentlichkeit schwer, sich ein eigenes Bild zu verschaffen.
Wer sind denn die Menschen, die aus Gaza berichten?
Das sind zum einen langjährige Journalisten, die für Nachrichtenagenturen wie AFP oder für Al-Jazeera gearbeitet haben. Einige können auch noch immer weitgehend eigenständig arbeiten, sind nicht mit der Hamas verbunden und lassen sich auch nicht alles abnehmen. Andere sind quasi über Nacht zu Kriegsreportern geworden. Man braucht im Grunde nur ein vernünftiges Handy, schon ist man journalistisch tätig, auch wenn man vorher keine Ausbildung oder Erfahrung hatte. Und das kann die Hamas kaum kontrollieren, auch wenn sie das gerne würde.
Was könnte denn helfen, die unübersichtliche Lage zu entwirren?
Reporter ohne Grenzen fordert, und da sind wir bei Weitem nicht allein, dass die israelischen Behörden endlich unabhängige, internationale Journalisten in den Gazastreifen lassen. Dann hätten wir diese Glaubwürdigkeits-Debatte sehr viel weniger. Wir könnten auch die Desinformation, die seit Tag eins durch Social Media geschwemmt wird, eindämmen. Ich finde es schon bemerkenswert, dass die Armee eines demokratischen Staates sich so stark dagegen sperrt. Ich kann mir das nur dadurch erklären, dass es darum geht, Kriegsverbrechen zu verschleiern, und darum, das Narrativ selbst bestimmen zu wollen. Das hängt auch mit der Motivation zusammen, dem Narrativ der Hamas möglichst keinen Raum zu geben. Aber das ist ein Fehlschluss.
Warum?
Ich denke, dass das Pendel in der derzeitigen weltweiten Wahrnehmung eher in Richtung der Palästinenser ausschlägt. Das liegt natürlich an der humanitären Katastrophe in Gaza, an den Bildern, die wir aus Gaza bekommen. Wenn die israelische Armee der Ansicht ist, die palästinensischen Journalisten würden solche Bilder nur inszenieren, wäre es doch ein Leichtes, dem entgegenzuwirken, indem man internationale Berichterstatter hineinlässt. Aber man hat wahrscheinlich die Sorge, dass Kriegsverbrechen ans Licht kommen.
Reporter ohne Grenzen nennt die palästinensischen Gebiete die derzeit gefährlichsten Orte der Welt für Journalisten. Woran machen Sie das fest?
Das liegt vor allem an der Art und Weise, wie Israel Krieg führt. Fast 200 Medienschaffende wurden in Gaza durch die israelische Armee getötet. Dabei sind Journalisten ein Teil der Zivilbevölkerung und dazu besonders schützenswert, weil sie sich aufgrund ihres Berufs exponieren müssen. Es ist klar, dass die Hamas diesen Krieg mit dem Terror vom 7. Oktober ausgelöst hat. Aber wir haben an zahlreichen Beispielen, auch gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof, aufgezeigt, dass die israelische Armee den Schutz der Zivilbevölkerung viel zu wenig in ihre Planungen einberechnet.
Sie berichten außerdem von Journalisten, die offenbar gezielt getötet wurden.
Auch diese Fälle gibt es. Die israelische Armee sagt, das seien Hamas-Kader gewesen, also Kombattanten. Aber wenn wir dann nach glaubwürdigen Belegen fragen, kommt wenig. Wir würden keine Journalisten verteidigen, wenn sie in Wirklichkeit Hamas-Leute wären. Aber wenn wir keine Beweise dafür bekommen, können wir als Menschenrechtsorganisation nicht einfach sagen: Gut, dann ist das so, bringt sie halt um.
Hat Reporter ohne Grenzen noch regelmäßig Kontakt zu Journalisten im Gazastreifen?
Grundsätzlich haben wir im Zweifel lieber etwas weniger Kontakte in Krisengebieten, die dafür aber eng, erprobt und verlässlich sind. Viele unserer langjährigen Kontakte in Gaza haben es geschafft, rauszukommen, was uns selbstverständlich sehr freut. Gleichzeitig gehen uns mehr und mehr verlässliche Kollegen verloren. Wir stehen aber natürlich weiterhin mit Journalisten in Gaza in Kontakt.
Wie ist denn die Internetverbindung vor Ort?
Die Verbindung ist schlecht. In den ersten Kriegsmonaten wurde das Internet immer mal wieder gezielt zerstört, wenn Gebäude mit Providern bombardiert oder Störsender eingesetzt wurden. Ein Vorgehen, das wir von allen modernen Armeen kennen. Nahe der Grenze empfängt man manchmal ägyptisches Handynetz oder man versucht es über elektronische Sim-Karten. Wenn wir mit einer Quelle über einen Whatsapp-Call sprechen, dann gibt es sekündliche Abbrüche oder Verzögerungen.
Und was berichten Ihre Kontakte von den Arbeitsbedingungen vor Ort?
Es ist sehr schlimm. Schon früh in diesem Krieg gab es Vertreibungen. Die Leute haben ihren Wohnort verloren, Familien wurden getrennt. Aktuell ist unsere Beobachtung, dass die Hungersnot stark zunimmt. Die Menschen sind fast nirgendwo sicher, selbst die humanitären Zonen wurden schon bombardiert. Es ist ein Kampf ums Überleben. Ich habe größten Respekt davor, wenn Menschen unter diesen Bedingungen versuchen, journalistisch zu arbeiten. Natürlich haben sie auch ein Eigeninteresse, das hätte ich auch, wenn ich in diesem Krieg leben müsste. Das heißt aber nicht, dass nicht stimmt, was sie berichten, oder dass sie von der Hamas gesteuert sind.
Noch einmal grundsätzlich: Warum ist es für uns so wichtig, Bilder aus dem Gazastreifen zu sehen?
Bilder zeigen nie die ganze Wahrheit, aber sie sollten die Wirklichkeit dokumentieren oder sich ihr zumindest annähern. Sie sind wichtig, um einen möglichst akkuraten Eindruck zu bekommen, bestenfalls kombiniert mit Text und Videoanalysen. Wir sind visuelle Menschen, wir möchten die Dinge durch Bilder verstehen. Häufig fehlt uns für alles andere zudem schlicht die Zeit. Aber Bilder emotionalisieren auch und sind deswegen anfällig dafür, instrumentalisiert zu werden. Nehmen wir das markerschütternde Video der Hamas vom Wochenende, in dem eine abgemagerte israelische Geisel gezeigt wird. So was gibt die Hamas gezielt heraus mit dem Versuch, den Kriegsverlauf zu ihren Gunsten zu beeinflussen.
Inwiefern?
Das Video soll den Druck auf die israelische Regierung erhöhen, einen Deal zu schließen, damit die Geiseln freikommen. Und es gab in Israel ja auch umgehend wieder Proteste. Die Rechtsextremisten in Israels Regierung nutzen das Video wiederum für sich und sagen sinngemäß: „Die Hamas ist so grausam, jetzt müssen wir den Krieg erst recht weiterführen.“ Journalisten bleibt in dieser Situation nur übrig, kritisch zu bleiben.
Mit Christopher Resch sprach Marc Dimpfel
Quelle: ntv.de
URAINE-KRIEG im n-tv Liveticker
Detaillierte Meldungsübersicht. Daraus eine Auswahl:
+++ 11:50 Medwedew macht vor Trump-Treffen wieder Stimmung gegen Europäer +++
Der frühere Kremlchef Dmitri Medwedew, der Vizechef des nationalen Sicherheitsrates in Moskau ist, wirft den Europäern vor, sie wollten eine Einigung auf einen Frieden verhindern. Moskau behauptet, Russen und Amerikaner würden intensiv an einem Plan zur Lösung des Ukraine-Konflikts arbeiten. In Kiew, Berlin und Brüssel wird dagegen befürchtet, dass beide auf Gebietsabtritte der Ukraine an die russischen Besatzer hinwirken könnten. Selenskyj, der nicht eingeladen ist, lehnt Gebietsabtretungen an Russland strikt ab und fordert vehement, in Verhandlungen über die Zukunft der Ukraine einbezogen zu werden. Die Europäer fordern, dass die Ukraine an den Verhandlungen zur Zukunft des eigenen Landes teilhaben darf.
+++ 11:17 Russland verlegt massenhaft Truppen Richtung Saporischschja +++
Die russischen Truppen verlegen massenhaft Soldaten, Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, militärische Ausrüstung an die Front bei Saporischschja. Es sei die größte Verstärkung der russischen Truppen in diesem Bereich im diesjährigen Sommer, schreibt der ukrainische Nachrichtendienst Ukrinform. Er bezieht sich auf Petro Andrjuschtschenko, den ehemaligen Berater des Bürgermeisters von Mariupol, der dazu im Onlinedienst Telegram Bilder und Videos postete.
+++ 10:48 Ukraine: Haben Dorf in Sumy befreit +++
Ukrainische Streitkräfte haben eigenen Angaben zufolge das Dorf Bezsalivka im Gebiet Sumy befreit. Laut einem Bericht des Generalstabs töteten ukrainische Truppen während der Kämpfe 18 russische Soldaten. Bezsalivka ist ein Dorf in der Gemeinde Bilopillia im Gebiet Sumy mit 91 Einwohnern. Vor rund zwei Monaten hatte Selenskyj bekannt gegeben, dass ukrainische Verteidigungskräfte im Grenzgebiet der Oblast Sumy russische Streitkräfte zurückdrängen würden.
+++ 10:13 Selenskyj: Ukraine unterstützt europäische Erklärung „voll und ganz“ +++
Die Ukraine begrüßt die gemeinsame Erklärung europäischer Staats- und Regierungschefs zur Erreichung des Friedens bei gleichzeitiger Wahrung ukrainischer und europäischer Interessen. „Das Ende des Krieges muss gerecht sein, und ich bin allen dankbar, die heute für den Frieden in der Ukraine an der Seite der Ukraine und unseres Volkes stehen, der die lebenswichtigen Sicherheitsinteressen unserer europäischen Nationen verteidigt“, schreibt Präsident Wolodymyr Selenskyj auf X. „Die Ukraine schätzt und unterstützt voll und ganz die Erklärung von Präsident Macron, Ministerpräsidentin Meloni, Bundeskanzler Merz, Ministerpräsident Tusk, Premierminister Starmer, Präsidentin Ursula von der Leyen und Präsident Stubb zum Frieden für die Ukraine.“
+++ 07:51 Bericht: Putin änderte Taktik, um Trump zurückzugewinnen +++
Einem Bericht der „New York Times“ zufolge, hat der russische Machthaber Wladimir Putin im Angesicht von Trumps Ultimatum seine Strategie geändert. Bei einem Treffen mit Trumps Sondergesandtem, Steve Witkoff, erweckte er den Eindruck, dass Russland bereit sei, über Verteilung von Land zu verhandeln – trotz bisheriger Weigerungen diesbezüglich. Laut NYT sprach Putin dabei eine Sprache, die Trump versteht – die Sprache der Immobilienbranche. So gelang es ihm, ein persönliches Treffen mit dem US-Präsidenten ohne Selenskyj auszuhandeln, bei dem er seine Argumente vortragen und einen Deal aushandeln kann. „Es war eine sehr gute Woche für Putin“, zitiert die NYT Sam Greene, Professor für russische Politik am Kings College London. „Er hat sich aus einer Position großer Verwundbarkeit befreit. Er hat diesen gesamten Prozess so gesteuert, dass er mehr oder weniger genau seinen Vorstellungen entspricht.“
+++ 07:06 Selenskyj: Putin wird ohne „echten Frieden“ wieder angreifen +++
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnt davor, dass das Ausbleiben eines „echten Friedens“ Russland die Möglichkeit zu einer erneuten Invasion geben könnte. Falls Russland nicht mit Strafmaßnahmen konfrontiert werde, werde Putin letztendlich seine Aggression gegen die Ukraine wieder aufnehmen, so der ukrainische Präsident. Dabei verweist er auf das Ausbleiben schneller Maßnahmen während der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 sowie auf die verspätete Hilfe vor Beginn des Angriffskrieges 2022. „Putin durfte die Krim einnehmen, was zur Besetzung der Regionen Donezk und Luhansk führte. Er wurde nicht präventiv bestraft, als er Truppen an unseren Grenzen zusammenzog. Dies führte zu einem umfassenden Krieg und zur Besetzung weiterer Teile der Ukraine. Jetzt will Putin, dass man ihm die Eroberung des südlichen Teils unserer Region Cherson, von Saporischschja, des gesamten Gebiets der Regionen Luhansk und Donezk sowie der Krim verzeiht“, sagt Selenskyj. „So wie wir Russland kennen, wird es ein drittes Mal geben, wo es ein zweites Mal gab. Deshalb stehen wir fest zu den klaren Positionen der Ukraine“, fügt der Präsident hinzu.
+++ 06:21 Drohne trifft russische Ölraffinerie – Großbrand und Explosionen +++
Drohnen haben laut „Kyiv Independent“ eine Ölraffinerie im russischen Saratow getroffen und einen Großbrand und Explosionen ausgelöst. Auf russischen sozialen Medien veröffentlichte Aufnahmen zeigen offenbar Drohnen am Himmel und die Aktivierung von Luftabwehrsystemen. Anwohner berichteten, dass sie eine laute Explosion gehört hätten, bevor die Anlage in Flammen aufging. Der Gouverneur von Saratow, Roman Busargin, bestätigt Schäden an einem der Industriegelände der Region. Bei dem Angriff soll eine Person getötet und weitere verletzt worden sein.
+++ 05:12 Weißes Haus: Trump offen für Dreier-Gipfel, bislang aber bilaterales Treffen geplant +++
US-Präsident Donald Trump ist offen für ein Dreier-Gipfeltreffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj in Alaska. Vorerst plane das Weiße Haus auf Wunsch Putins jedoch ein bilaterales Treffen, sagt ein Vertreter des Weißen Hauses. Das Weiße Haus erwägt einem Bericht zufolge jedoch zumindest, Selenskyj nach Alaska einzuladen. Dies berichtet NBC News unter Berufung auf einen hochrangigen US-Beamten und drei über die internen Gespräche informierte Personen. Diese sagten demnach, der Besuch sei noch nicht endgültig geplant und es sei unklar, ob Selenskyj letztendlich für Treffen in Alaska sein werde. Der Regierungsbeamte sagte, es sei „absolut“ möglich. Sollte Selenskyj anreisen, sei indes nicht klar, ob er und Putin jemals im selben Raum sein würden, sagte eine der gebrieften Personen.
+++ 03:54 Russland meldet ukrainischen Drohnenangriff auf Industrieanlage in Saratow +++
Bei einem ukrainischen Drohnenangriff auf die russische Region Saratow wird nach Angaben des dortigen Gouverneurs eine Industrieanlage beschädigt. Alle notwendigen Rettungsdienste seien vor Ort im Einsatz, teilt Roman Busargin auf Telegram mit. Um welche Art von Anlage es sich handelt, gibt er nicht an. Eine ukrainische Stellungnahme liegt bislang nicht vor.
+++ 01:30 Vitali Klitschko: Jeder in der Ukraine ist kriegsmüde +++
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hat den Menschen in der Ukraine eine große Kriegsmüdigkeit attestiert und die Notwendigkeit für Verhandlungen mit Russland betont. Infolge des seit fast dreieinhalb Jahren andauernden russischen Angriffskriegs sei „jeder in unserem Staat, in unserem Land müde von diesem Krieg“, sagte Klitschko am Freitag der „Bild“-Zeitung in Kiew. Der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt plädierte für eine „diplomatische Lösung“ mit Russland, bei der Gebietsabtretungen nicht ausgeschlossen wurden. „Leider haben wir für diesen Krieg einen riesigen Preis bezahlt: Die Leben von unseren Patrioten, von unseren Soldaten, von unseren Bürgern“, fügte Klitschko hinzu. Hunderte Städte seien zerstört worden und „ein großer Teil der Ukraine ist von Russland okkupiert“.
+++ 00:20 Gemeinsame Erklärung: EU-Politiker begrüßen Trumps Friedensbemühungen +++
Vor dem geplanten Treffen von US-Präsident Donald Trump und Kremlchef Wladimir Putin zur Ukraine machen europäische Staaten einen eigenen Vorschlag. „Wir halten weiterhin an dem Grundsatz fest, dass internationale Grenzen nicht mit Gewalt verändert werden dürfen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Frankreich, Italien, Deutschland, Polen, Großbritannien, Finnland und der EU-Kommission. Der derzeitige Frontverlauf sollte der Ausgangspunkt für Verhandlungen sein, heißt es weiter. Man begrüße Donald Trumps Arbeit, das Töten in der Ukraine zu beenden und einen gerechten Frieden zu schaffen. Zugleich könne nur ein Ansatz erfolgreich sein, der aktive Diplomatie, Unterstützung für die Ukraine und Druck auf Russland miteinander verbinde.
+++ 23:54 Bericht: Das Weiße Haus erwägt, Selenskyj zum Alaska-Gipfel einzuladen +++
Das Weiße Haus erwägt einem Bericht zufolge, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach Alaska einzuladen, wo Präsident Donald Trump in der kommenden Woche mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammentreffen soll. Dies berichtet NBC News unter Berufung auf einen hochrangigen US-Beamten und drei über die internen Gespräche informierte Personen. Diese sagten demnach, der Besuch sei noch nicht endgültig geplant und es sei unklar, ob Selenskyj letztendlich für Treffen in Alaska sein werde. Der Regierungsbeamte sagte, es sei „absolut“ möglich. Sollte Selenskyj anreisen, sei indes nicht klar, ob er und Putin jemals im selben Raum sein würden, sagte eine der gebrieften Personen.
+++ 22:11 Selenskyj erwartet ukrainische Teilnahme an Verhandlungen mit Russland +++
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert eine Teilnahme Kiews an Verhandlungen über ein Ende des russischen Angriffskrieges. „Der Weg zum Frieden für die Ukraine muss gemeinsam und nur gemeinsam mit der Ukraine bestimmt werden, das ist eine Frage des Prinzips“, sagt Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache.
+++ 21:47 Selenskyj: Haben uns mit sieben Staaten abgestimmt +++
Die Ukraine hat sich hat nach Angaben ihres Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei dem Treffen in Großbritannien mit Vertretern von Großbritannien, den USA, Frankreich, Deutschland, Italien, Finnland und Polen abgestimmt. „Der Weg zum Frieden für die Ukraine sollte gemeinsam und nur gemeinsam mit der Ukraine bestimmt werden, das ist das entscheidende Prinzip“, sagt Selenskyj in seiner allabendlichen Videoansprache.
+++ 20:24 Putin weiht Lula in „Friedenspläne“ für Ukraine ein +++
Der russische Präsident Wladimir Putin und sein brasilianischer Amtskollege Luiz Inacio Lula da Silva beraten nach brasilianischen Angaben über die Möglichkeit eines Friedens in der Ukraine. Putin habe Lula über seine Gespräche mit den USA und „die jüngsten Friedensbemühungen zwischen Russland und der Ukraine“ informiert, teilt der brasilianische Präsidentenpalast mit. Das Gespräch findet vor einem geplanten Treffen Putins mit US-Präsident Donald Trump in der kommenden Woche statt. Russland und Brasilien gehören der BRICS-Staatengruppe an. Lula ist einer der Wortführer dieser Staaten im Streit mit Trump über US-Zölle.
+++ 18:50 Europäer machen Gegenvorschlag zu Putins Waffenstillstand-Plänen +++
In Großbritannien kommen westliche Regierungsvertreter vor dem Trump-Putin-Gipfel zusammen. Anwesend waren der britische Außenminister David Lammy, US-Vizepräsident JD Vance, der US-Verteidigungsminister Marco Rubio, der US-Sondergesandten für die Ukraine, Keith Kellogg, und US-Sondergesandte Steve Witkoff. Sicherheitsberater aus andere europäischen Staaten und der Ukraine waren per Video-Anruf zugeschaltet. Wie das „Wall Street Journal“ berichtet, unterbreiten die Europäer dabei einen eigenen Vorschlag für einen Waffenstillstand. Putins Vorschlag ab, den gesamten Donbass als russisches Staatsgebiet im Tausch für einen Waffenstillstand und weitere Verhandlungen anzuerkennen, lehnen die Europäer ab. Stattdessen müssten erst die Waffen ruhen, ehe über Gebietsabtretungen verhandelt wird. Diese würde es ohnehin nur geben, wenn sich Russland aus vielen anderen Regionen in der Ukraine vollständig zurückzieht. Dazu fordern die europäischen Vertreter Sicherheiten für die Ukraine – darunter auch die Option auf einen Nato-Beitritt.
+++ 17:34 Kanada senkt Preisobergrenze für russisches Öl drastisch +++
Kanada wird die Preisobergrenze für russisches Öl senken. Die Nachricht folgt auf die Erklärung der EU, ab dem 3. September im Rahmen ihres 18. Sanktionspakets gegen Moskau eine neue dynamische Obergrenze für die russischen Ölpreise einzuführen. Die überarbeitete Obergrenze – 47,60 US-Dollar pro Barrel – ersetzt die statische Obergrenze von 60 US-Dollar pro Barrel, die von der G7 im Dezember 2022 eingeführt wurde. „Durch die weitere Senkung der Preisobergrenze für russisches Rohöl erhöhen Kanada und seine Partner den wirtschaftlichen Druck und schränken eine wichtige Finanzierungsquelle für Russlands illegalen Krieg ein“, sagt der kanadische Finanzminister François-Philippe Champagne. Die Preisobergrenze bei Öl ist eine von Staaten oder Staatengruppen festgelegte maximale Summe, die für den Kauf von Öl aus einem bestimmten Land gezahlt werden darf.
+++ 12:22 London: Russland mit Geländegewinnen in der Ostukraine +++
Russland hat in den vergangenen Monaten immer mehr Territorium im Osten der Ukraine eingenommen. Wie das britische Verteidigungsministerium in seinem regelmäßigen Geheimdienst-Update zum Ukraine-Krieg schreibt, eroberten die russischen Bodentruppen im Juli höchstwahrscheinlich etwa 500 bis 550 Quadratkilometer an ukrainischem Territorium. Ähnlich viel Fläche sei im Juni eingenommen worden, nachdem diese Vorstöße bereits seit März zugenommen hätten. Taktische Fortschritte macht Russland demnach im Gebiet Donezk. Fast das gesamte Donezker Territorium südlich der Stadt Pokrowsk ist nach britischer Einschätzung mittlerweile von russischen Kräften besetzt. In der nordukrainischen Oblast Sumy nahe den russischen Gebieten Kursk und Belgorod habe Russland dagegen in den vergangenen beiden Wochen keinerlei beobachtbare Zugewinne verzeichnen können.
+++ 11:47 Ukrainischer Geheimdienst bestätigt Angriff auf Krim-Radarstation +++
Der ukrainische Militärgeheimdienst (HUR) bestätigt einen Angriff auf die Radarstation Jenissei auf der von Russland besetzten Krim, wie „Kyiv Independent“ berichtet. Am Vortag hatten Drohnen mehrere wichtige Militärziele auf der Halbinsel angegriffen, darunter ein schnelles Landungsboot und drei Radarstationen. Geheimdienst-Einheiten der Division „Geister“ hätten in einer „kürzlich durchgeführten“ Operation „eine der wertvollsten Radarstationen im russischen Arsenal“ angegriffen, heißt es in einer Erklärung. Demnach sei die Radarstation Jenissei Bestandteil russischer Luftabwehrsysteme. HUR bezeichnet die Aktion als „erheblichen Schlag“ gegen die Fähigkeiten der Kreml-Truppen auf der Krim.
+++ 09:54 Ukraine: Russische Drohne greift Minibus an +++
Die Ukraine meldet zwei Tote nach einem russischen Angriff auf einen Minibus in einem Vorort von Cherson. Das öffentliche Verkehrsmittel sei am Morgen von einer Drohne getroffen worden, berichtet Ukrainska Pravda unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft der Region Cherson. 16 Menschen wurden demnach verletzt. Zunächst war von sechs Verletten die Rede. Die Staatsanwaltschaft hat eine Untersuchung wegen möglicher Kriegsverbrechen eingeleitet.
WEITERE UKRAINE-MELDUNGEN
Vor Trump-Putin-Gipfel: Europäer wollen mehr „Druck“ auf Russland – ORF, 10.8.2025, 12:10
Eine Reihe europäischer Staaten will bei Friedensverhandlungen für die Ukraine mitreden. Entsprechend meldeten sie sich am Sonntag im Vorfeld des Treffens von US-Präsident Donald Trump und Kreml-Chef Wladimir Putin mit einer gemeinsamen Erklärung zu Wort. Die Europäer fordern mehr „Druck“ auf Russland. Die Sorge ist, dass Trump und Putin sich die Sache untereinander ausmachen könnten.
Trump und Putin werden einander laut Plan am Freitag im US-Bundesstaat Alaska treffen und dort Möglichkeiten zur Beendigung des mittlerweile seit knapp dreieinhalb Jahren daauernden Kriegs in der Ukraine ausloten. Die Initiative war von den USA ausgegangen. Der Kreml lud Trump im Gegenzug nach Moskau ein. Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj ist – bisher – nicht zu dem Gipfel eingeladen.
„Wir sind überzeugt, dass nur ein Ansatz erfolgreich sein kann, der aktive Diplomatie, Unterstützung für die Ukraine und Druck auf die Russische Föderation zur Beendigung ihres illegalen Krieges kombiniert“, teilten in der Erklärung vom Wochenende EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Polen und Finnland mit.
Kiew warnt vor „Entscheidungen ohne die Ukraine“
„Wir begrüßen die Bemühungen von Präsident Trump, das Töten in der Ukraine zu beenden“, hieß es in der Erklärung weiter. Die europäischen Staats- und Regierungschefs seien bereit, „diese Bemühungen diplomatisch zu unterstützen und unsere umfangreiche militärische und finanzielle Hilfe für die Ukraine fortzusetzen“. Das könne „unter anderem durch die Arbeit der Koalition der Willigen sowie durch die Aufrechterhaltung und Verhängung restriktiver Maßnahmen gegen Russland“ geschehen.
Selenskyj hatte zuvor mehrfach vor „Entscheidungen ohne die Ukraine“ gewarnt, da das eine „Entscheidung gegen den Frieden“ sei. Die Ukrainer würden ihr Land „nicht den Besatzern“ überlassen. „Dieser Krieg muss ehrlich beendet werden, und es liegt an Russland, den Krieg zu beenden, den es begonnen hat“, betonte Selenskyj in seiner täglichen Videobotschaft Samstagabend.
„Putin will, dass ihm die Eroberung des Südens unserer Regionen Cherson und Saporischschja und der kompletten Gebiete Luhansk, Donezk und der Krim verziehen wird“, sagte Selenskyj. Er dankte den europäischen Verbündeten für ihre Unterstützung.
Keine Grenzverschiebung mit Gewalt
„Sinnvolle Verhandlungen können nur im Rahmen eines Waffenstillstands oder einer Verringerung der Feindseligkeiten stattfinden“, schrieben der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz, Kommissionspräsidentin von der Leyen, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni, Polens Regierungschef Donald Tusk, Großbritanniens Premierministers Keir Starmer und Finnlands Präsident Alexander Stubb. Notwendig seien außerdem robuste und glaubwürdige Sicherheitsgarantien, die es der Ukraine ermöglichten, ihre Souveränität wirksam zu verteidigen.
Der Weg zum Frieden in der Ukraine könne jedoch nicht ohne die Ukraine beschlossen werden, hieß es in der Erklärung weiter. „Wir halten weiterhin an dem Grundsatz fest, dass internationale Grenzen nicht mit Gewalt verändert werden dürfen“, darum solle der derzeitige Frontverlauf „der Ausgangspunkt für Verhandlungen sein“.
Nachdenken über „Gebietstausch“
Anlass zur Sorge, Trump und Putin könnten einen Friedensplan unter sich ausmachen, waren zuletzt Überlegungen Trumps über einen möglichen „Gebietsaustausch“ zwischen Moskau und Kiew. Darüber werde aber „später oder morgen“ gesprochen. „Es ist kompliziert, wirklich nicht einfach“, hatte der US-Präsident gemeint.
Trump und Putin haben sich zuletzt 2019 am Rande eines Gipfels der G-20-Staatengruppe in Japan persönlich getroffen. Der Kreml-Chef hat den Boden der USA zuletzt 2015 betreten – unter der Präsidentschaft des Demokraten Barack Obama. Der US-Präsident hatte im Wahlkampf mehrfach angekündigt, den Ukraine-Krieg „in 24 Stunden“ beenden zu können – wovon er sehr schnell weit weg war.
Seit seinem Wiedereinzug ins Weiße Haus im Jänner telefonierte er mehrmals mit seinem russischen Amtskollegen. Dabei zeigte er sich zunächst sehr wohlwollend gegenüber Putin, in den vergangenen Wochen jedoch zunehmend ungeduldig und verärgert. Zuletzt hatte Trump Moskau ein Ultimatum für die Beendigung des Krieges gesetzt und mit Sanktionen, auch gegen Verbündete Russlands, gedroht. Das Ultimatum lief am Freitag ab – genau an dem Tag, an dem der US-Präsident nun sein Treffen mit Putin für den 15. August ankündigte.
Beratungen in Großbritannien
Zur Vorbereitung des Gipfeltreffens zwischen Trump und Putin kamen am Samstag in Großbritannien westliche Regierungsvertreter zu Gesprächen zusammen. Nationale Sicherheitsberater der Verbündeten Kiews – darunter die USA, EU-Mitgliedsstaaten und Großbritannien – trafen sich zur Abstimmung ihrer Standpunkte.
An dem Treffen im Landsitz Chevening House in der Grafschaft Kent nahmen neben dem britischen Außenminister David Lammy und US-Vizepräsident JD Vance unter anderem der ukrainische Präsidialamtschef Andrij Jermak und Sicherheitsvertreter mehrerer EU-Staaten teil. Dabei sei „über die nächsten Schritte für einen Frieden in der Ukraine“ gesprochen worden, schrieb Lammy auf X. US-Vizepräsident Vance teilte ebenfalls über die Onlineplattform mit, es sei über einen „Weg hin zum Frieden im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine“ beraten worden.
Sehr schwierige Ausgangslage
Die russische Armee kontrolliert derzeit rund 20 Prozent des ukrainischen Territoriums. Moskau fordert als Voraussetzung für einen möglichen Waffenstillstand von der Ukraine die Abtretung der vier teilweise von russischen Truppen besetzten Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson sowie der 2014 annektierten Krim. Außerdem soll Kiew auf westliche Waffenlieferungen und eine mögliche NATO-Mitgliedschaft verzichten.
Diese Forderungen hat die Regierung in Kiew mehrfach für inakzeptabel erklärt. Sie fordert den Abzug russischer Truppen aus ukrainischem Hoheitsgebiet und westliche Sicherheitsgarantien, darunter weitere Waffenlieferungen und die Stationierung eines europäischen Truppenkontingents zur Überwachung eines Waffenstillstandes im Land.
red, ORF.at/Agenturen
Link:
- Ukrainischer Präsident
- Weißes Haus
- Russischer Präsident
- EU-Kommission
- Britisches Außenministerium
- US-Außenministerium
Gespräche in Alaska: Europäer mit eigenem Ukraine-Vorschlag – 10.8.2025
BERLIN (dpa-AFX) – Vor dem geplanten Treffen von US-Präsident Donald Trump und Kremlchef Wladimir Putin zur Ukraine machen europäische Staaten einen eigenen Vorschlag. „Wir halten weiterhin an dem Grundsatz fest, dass internationale Grenzen nicht mit Gewalt verändert werden dürfen. Der derzeitige Frontverlauf sollte der Ausgangspunkt für Verhandlungen sein“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Frankreich, Italien, Deutschland, Polen, Großbritannien, Finnland und der EU-Kommission./tam/DP/zb
Vitali Klitschko: Jeder in der Ukraine ist kriegsmüde – 10.8.2025
Kiew – Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko sieht eine große Kriegsmüdigkeit in der Ukraine sowie die Notwendigkeit einer Verhandlungslösung im Krieg mit Russland, bei der für ihn offenkundig auch Gebietsverzichte denkbar sind. „Jeder in unserem Staat, in unserem Land ist müde von diesem Krieg“, sagte er der „Bild“ am Freitag in Kiew.
Klitschko weiter: „Leider haben wir für diesen Krieg einen riesigen Preis bezahlt: Die Leben von unseren Patrioten, von unseren Soldaten, von unserer Bürgern. Hunderte von Städten sind zerstört. Ein großer Teil der Ukraine ist von Russland okkupiert.“
Als Konsequenz daraus plädiert der ehemalige Box-Champion für eine Verhandlungslösung mit Russland: „Wir müssen eine diplomatische Lösung finden.“ Dabei sind für ihn Gebietsabtretungen offenbar nicht ausgeschlossen. Angesprochen auf entsprechende Forderungen Russlands, sagte Klitschko nur, es sei „viel zu früh darüber zu sprechen“.
Außerdem sei das nicht seine Verantwortung, sondern eine Frage für Präsident Wolodymyr Selenskyj. Klitschko fügte hinzu: „Er muss schwierige Entscheidungen treffen.“ Denn: „Ein Teil der Menschen wird nie bereit, ein Teil unseres Landes an Russland zu geben.“
© 2025 dts Nachrichtenagentur
COMMENT: Vielleicht könnten es Gebietsänderungen im Zuge eines Friedensvertrages sein, ganz gewaltfrei. Aber das will Europa nicht, denn: dann hätte sich Putin durchgesetzt, so die emotionalisierte Denkart. Darf daran erinnert werden: Politik ist die Kunst des Möglichen – und der Verhandlungen, nicht unbedingt der Justamentstandpunkte.
Schon vor dem Krieg hätte verhandelt werden müssen. Der Ukraine, präziser: dem ukrainischen Parlament und jedem einzelnen seiner Mitglieder, musste klar sein nach allem was Putin und russische Politiker zuvor seit spätestens 2007 sagten:
ein NATO-Beitritt kommt für Russland – aus Sicht Russlands! – aus Sicherheitsgründen nicht in Frage;
zumindest der Osten und Süden der Ukraine ist – aus Sicht Russlands! – aus Sicherheitsgründen der russischen Föderation wieder einzuverleiben; der Versuch, das demokratiepolitisch zu begründen, schlug fehlt (Volksbefragung auf der Krim ergab, wie vermutet wird, gelenkter Weise prorussische Ergebnisse und wurde international nicht anerkannt).
Dass Russland auch auf die Ressourcen schielte und die seltenen Erden heute, dürfte für Moskau eine bedeutende Rolle gespielt haben. Und für den Westen: hier liegt geopolitisch-ressourcenmäßig eine weitere Möglichkeit, Russland zu schwächen. Wir holen uns die guten Sachen und drehen Euch Russen die lange Nase.
Seit den 1990er Jahren vom Westen aufgestachelt, hat sich die Ukraine dem Westen zunehmend zugewandt: es winkten Geld und „Freiheit“.
Dem Westen wiederum stachen die geopolitische Scharnierstellung der Ukraine ins Auge: ins westliche Boot holen und Russland schwächen. Zudem stachen dem Westen die ukrainischen Ressourcen ins Auge, dazumal vor allem Erdöl (USA), heute die seltenen Erden. Doch die liegen nun einmal im Osten der Ukraine.
Hochrangiges Treffen mit Ukraine vor Trump-Putin-Gipfel – 9.8.2025
LONDON (dpa-AFX) – Wenige Tage vor dem Gipfel zwischen US-Präsident Donald Trump und Kremlchef Wladimir Putin stimmen sich hochrangige Regierungsvertreter aus den USA, der Ukraine und mehreren europäischen Verbündeten in Großbritannien ab. Nationale Sicherheitsberater der beteiligten Länder wollen sich im Laufe des heutigen Tages treffen, wie aus einer Mitteilung der britischen Regierung hervorgeht. Gastgeber werden demnach der britische Außenminister David Lammy und US-Vizepräsident JD Vance sein.
Die Zusammenkunft dürfte auf Lammys offiziellem Landsitz Chevening südöstlich von London stattfinden. Dort hat der Minister gerade Vance zu Besuch, der in Großbritannien im Urlaub ist. Welche europäischen Länder dabei sind, blieb zunächst unklar.
Der britische Premier Keir Starmer besprach das Treffen vorab telefonisch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die beiden hätten Trumps Wunsch nach einer Beendigung des barbarischen Krieges begrüßt, hieß es aus der Downing Street. Starmer und Selenskyj seien sich einig, dass der Druck auf Putin aufrechterhalten werden müsse, damit dieser seinen illegalen Krieg gegen die Ukraine beende.
Trump will sich am Freitag im US-Bundesstaat Alaska mit Putin treffen. Medienberichten zufolge will Putin unter anderem, dass Russland die volle Kontrolle über die ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk bekommt. Selenskyj lehnt solche Gebietsabtretungen entschieden ab./trs/DP/zb
© 2025 dpa-AFX
ROUNDUP 3: Trump und Putin reden über Gebietsabtretungen der Ukraine – 9.8.2025, 14:35
KIEW/WASHINGTON/MOSKAU (dpa-AFX) – US-Präsident Donald Trump und Kremlchef Wladimir Putin scheinen bei ihren Überlegungen für ein Kriegsende von großen Gebietsabtretungen der Ukraine auszugehen – Kiew lehnt dies strikt ab. „Die Ukrainer werden ihr Land nicht dem Besatzer schenken“, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videobotschaft in Kiew. „Die Antwort auf die territorialen Fragen der Ukraine steht in der Verfassung der Ukraine. Davon wird niemand abweichen, und niemand kann abweichen.“
Nach US-Medienberichten hat Putin vor einem Gipfel mit Trump gefordert, dass Russland die volle Kontrolle über die ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk bekommt. Dies würde die Preisgabe mehrerer Tausend Quadratkilometer Fläche und strategisch wichtiger Städte durch die ukrainische Armee bedeuten.
Berichte: Moskau will Donezk und Luhansk ganz
Einem Bericht der Zeitung „Wall Street Journal“ zufolge machte Putin diesen Vorschlag bei dem Besuch von US-Unterhändler Steve Witkoff am Mittwoch in Moskau. Am Freitag bestätigten das Weiße Haus und der Kreml, dass ein Gipfeltreffen Trumps mit Putin am 15. August im nördlichen US-Bundesstaat Alaska stattfinden soll.
Russland hat Teile der Gebiete Donezk und Luhansk im Kohle- und Industrierevier Donbass schon 2014 besetzt und sie in Volksrepubliken umbenannt. Kurz vor der Invasion am 24. Februar 2022 erkannte Moskau die Gebilde als unabhängig an und erklärte sie nach Scheinreferenden im Herbst 2022 zu russischem Staatsgebiet.
In Luhansk halten die ukrainischen Verteidiger nur noch wenige Quadratkilometer. Doch im heftig umkämpften Gebiet Donezk kontrolliert die ukrainische Armee noch ein Viertel der Fläche. Die russische Armee rückt allmählich, aber unter Verlusten vor. Eine Räumung würde bedeuten, dass die Ukraine die Kette gut befestigter Städte Slowjansk, Kramatorsk und Kostjantyniwka aufgeben müsste und anschließend wehrloser wäre.
Trump spricht von Gebietsaustausch
Trump sprach in Washington vage von einem Austausch von Gebieten, die bislang entweder von russischen oder ukrainischen Truppen gehalten würden, „zum Wohl beider Seiten“. Details nannte er nicht. „Wir schauen auf Territorium, das seit dreieinhalb Jahren umkämpft ist.“ Es solle auch etwas zurückgegeben werden.
Dabei könnte es sich um kleine Brückenköpfe der russischen Armee in den ukrainischen Frontgebieten Sumy und Charkiw handeln. Russische Soldaten scheinen auch die Grenze zum Gebiet Dnipropetrowsk überschritten zu haben. Die Ukraine nimmt für sich in Anspruch, als Rest einer Offensive von 2024 noch Soldaten im russischen Gebiet Kursk stehen zu haben.
Über mögliche Tauschgeschäfte hat Trump nach dpa-Informationen auch die europäischen Partnerländer nach dem Witkoff-Besuch informiert. Unklar ist den Medienberichten zufolge, was die russische Gegenleistung über eine reine Einstellung der Kämpfe hinaus sein könnte. Ebenso offen ist die Frage von Sicherheitsgarantien für die Ukraine.
Was wird aus Saporischschja und Cherson?
Unklar bleibt auch das Schicksal der südukrainischen Gebiete Saporischschja und Cherson. Russland hat sie ebenfalls annektiert, beherrscht sie aber nur zum Teil. Der breite Strom Dnipro trennt beide Seiten. Durch die Eroberungen im Süden hat sich Russland eine Landbrücke zur bereits 2014 annektierten Halbinsel Krim geschaffen.
Selenskyj kritisierte den von Trump und Putin gewählten Gipfelort Alaska. „Sehr weit weg von diesem Krieg, der in unserem Land tobt, gegen unser Volk, und der sowieso nicht ohne uns beendet werden kann, ohne die Ukraine“, sagte er. Die Ukraine fürchtet genau wie die europäischen Staaten, als Hauptbetroffene bei den Entscheidungen der großen Atommächte außen vor zu bleiben.
Das Weiße Haus hatte bei den ersten Erwähnungen eines Gipfels davon gesprochen, dass auf das Zweiertreffen Trumps mit Putin ein Dreiertreffen mit Selenskyj folgen solle. Moskau lädt dagegen Trump zum zweiten Treffen nach Russland ein – damit ist Selenskyj erneut ausgeladen.
Trump sieht Hindernisse bei Selenskyj
Trump will ein Ende des Krieges erreichen. Seit seinem Amtsantritt im Januar hat er aber Druck nicht auf Russland als Angreifer, sondern auf die angegriffene Ukraine ausgeübt. Trumps Ultimatum an Putin, den Krieg einzustellen, verstrich am Freitag und löste sich in den Vorbereitungen für den Gipfel auf.
Bei einem Auftritt im Weißen Haus mit den Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans deutete Trump die Hürden der ukrainischen Verfassung als Hindernis für eine Lösung. Selenskyj müsse sich beeilen, politische Zustimmung in seinem Land zu organisieren „denn wir stehen kurz vor einem Deal“. Der ukrainische Präsident solle aber alles bekommen, was er brauche, „denn er muss sich vorbereiten, etwas zu unterschreiben“.
Die ukrainische Bevölkerung ist nach dreieinhalb Jahren unter pausenlosen russischen Angriffen kriegsmüde.
Eine Abtretung von Gebieten würde aber schwere innenpolitische Verwerfungen hervorrufen./fko/DP/zb
© 2025 dpa-AFX
COMMENT: Abseits dieser Meldung: die Tage Selenskyjs als Regierungschef dürften wie auch immer früher oder später angezählt sein. Einstweilen treibt die Ukraine einem sackgassenähnlichen Zustand zu; Änderungen dieses Kurses sind bei den erratischen Vorgängen dank Trump nicht ausgeschlossen.
Ein Sackgassenausgang war seit sehr langem absehbar. Man kann sich seine Nachbarn nicht aussuchen. Man kann sie gegebenenfalls fliehen und neue suchen. Das ist aber der Ukraine, da geographisch nun einmal gebunden, eben nicht möglich. Erzwingen lässt sich nichts, auch nicht mit Justamentstandpunkten. Und Verfassungsänderungen, ja, die sind auch möglich. Die Neutralitätserklärung aus dem Sommer 1991, später vom ukrainischen Parlament abgesegnet, hat man ja auch über Bord geworfen. So ist das mit dem „In-Stein-gemeißelt“. Nix ist fix, und ewig dauert auch nichts.
ZENTRALBANKEN
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Ukraine-Krieg
Klitschko für Verhandlungen: Jeder „müde von diesem Krieg“
Ausland
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Flüchtlinge in Frankreich aus Kühltransporter gerettet
USA
Aktien Global News: Rohstoffdiplomatie: USA suchen Zugang zu Brasiliens Seltenen Erden und Niobium – St George Mining (Australien) / Pressetext, 9.8.2025
Frankfurt, 09. August 2025 (pta001/09.08.2025/08:00 UTC+2) – Die weltweite Rohstoffdynamik verändert sich – und Brasilien rückt zunehmend in den Fokus der USA. Im Juni dieses Jahres präsentierten die U.S. Chamber of Commerce und ihre brasilianische Partnerorganisation AmCham Brasil einen gemeinsamen Maßnahmenplan. Ziel ist der Abschluss eines bilateralen Abkommens über sogenannte kritische und strategische Mineralien wie Seltene Erden und Niobium – beides Rohstoffe, die für Energie- und Technologiebereiche immer bedeutender werden.
US-Handelskammer bringt Fünf-Punkte-Plan mit Brasilien auf den Weg
Der Vorschlag geht über symbolische Diplomatie hinaus und umfasst fünf Kernbereiche: strategische Aktionsplanung, geologische Erkundung, Projektfinanzierung, technologische Innovation sowie Nachhaltigkeit unter Einbindung der lokalen Bevölkerung. Grundlage hierfür sind unter anderem die Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA): Demnach könnte die Nachfrage nach Lithium bis 2040 um 500 % steigen. Für Graphit und Nickel wird mit einer Verdopplung gerechnet, während der Bedarf an Kobalt und Seltenen Erden um 50–60 % zulegen dürfte. Auch Kupfer wird – getrieben durch Elektromobilität und Energiespeicherung – voraussichtlich rund 30 % stärker nachgefragt.
Zollkonflikt bringt neue Dynamik in Gespräche mit Brasiliens Bergbauindustrie
Ein möglicher Handelsstreit brachte die Verhandlungen unerwartet in Bewegung: Ab August wollen die USA Einfuhrzölle von bis zu 50 % auf brasilianische Produkte erheben. Gleichzeitig signalisiert Washington Gesprächsbereitschaft in Bezug auf ein Rohstoffabkommen. Gabriel Escobar, ranghöchster US-Diplomat in Brasilien, traf sich mit Vertretern der brasilianischen Bergbaubranche und unterstrich die strategische Rolle des Landes als Lieferant seltener Rohstoffe – ein klares Zeichen für Offenheit gegenüber Verhandlungen.
Brasiliens Rohstoffvorkommen im Fokus geopolitischer Interessen
Mit den größten Graphitreserven weltweit, den zweitgrößten Vorkommen an Seltenen Erden und der drittgrößten Nickelbasis gehört Brasilien zu den global bedeutendsten Rohstoffnationen. Besonders hervorzuheben: Über 90 % des global geförderten Niobiums stammen aus Brasilien. Die USA sehen darin eine Chance, sich von der dominierenden chinesischen Lieferkette unabhängiger zu machen. Ein Abkommen mit Brasilien könnte sowohl die Versorgungssicherheit stärken als auch zur Stabilisierung der Handelsbeziehungen beitragen.
Seltene Erden und Niobium als zentrale Bausteine für Zukunftstechnologien
Seltene Erden gelten als unverzichtbare Komponenten moderner Technologien – sie finden sich in Windkraftanlagen, Elektromotoren, Smartphones und auch militärischen Systemen. Niobium zeichnet sich durch hohe Festigkeit, Korrosionsresistenz und supraleitende Eigenschaften aus. Es wird unter anderem in der Luft- und Raumfahrt, im Fahrzeugbau sowie in Hightech-Anwendungen genutzt. Die Nachfrage ist hoch – und die Herkunft der Materialien spielt eine zunehmend strategische Rolle.
Weltweite Konzerne sichern sich Zugang zu Rohstoffquelle
Zu den Schlüsselfiguren in der globalen Lieferkette gehören Unternehmen wie Lynas Rare Earths (Australien, AU000000LYC6), MP Materials (USA, US5533681012) sowie das brasilianische Niob-Unternehmen CBMM, das allerdings nicht börsennotiert ist. Für Anleger eröffnen sich dennoch Optionen, etwa über NioCorp Developments (Kanada, CA6544846091), Arafura Rare Earths (Australien, AU000000ARU5) oder Rare Element Resources (Kanada, CA75381M1023), um von der wachsenden Nachfrage nach strategischen Rohstoffen zu profitieren.
St. George Mining setzt auf Brasiliens Rohstoffpotenzial
Ein Unternehmen, das zuletzt von sich reden machte, ist St George Mining (Australien, AU000000SGQ8). Im Februar 2025 übernahm der australische Explorer das Araxá-Projekt im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais – in direkter Nachbarschaft zu den führenden Niob-Vorkommen von CBMM. Frühere Bohrungen bestätigten eine hohe Konzentration an Seltenen Erden und Niobium. Aktuell laufen Studien zur wirtschaftlichen Umsetzung. St. George positioniert sich damit in einer vielversprechenden Ausgangslage – denn das Interesse der USA an Brasiliens Rohstoffreichtum nimmt deutlich zu.
…
(Ende)
Aussender: | Aktien Global News Friedrich-Ebert-Anlage 35 60327 Frankfurt Deutschland | |
Ansprechpartner: | Eva-Maria Reuter | |
Tel.: | +49 251 9801560 | |
E-Mail: | e.reuter@dr-reuter.eu | |
Website: | www.dr-reuter.eu | |
ISIN(s): | – (Sonstige) | |
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Schwarze Listen: US-Beamte bedroht und gekündigt – ORF, 9.8.2025
Es erinnert an die McCarthy-Ära nach dem Zweiten Weltkrieg, als in den USA angebliche Kommunisten und Sympathisanten verfolgt wurden. Die Non-Profit-Organisation American Accountability Foundation (AAF) hat in den vergangenen Monaten Informationen über US-Bundesbedienstete veröffentlicht, die angeblich die Agenda von US-Präsident Donald Trump unterlaufen sollen. Reuters berichtete am Donnerstag, dass nur noch die Hälfte von ihnen ihren Job habe, viele seien bedroht worden, zwei hätten sogar das Land verlassen.
AAF war 2020 gegründet wurden, das Ziel definierte Direktor Tom Jones, ehemaliger Mitarbeiter der republikanischen Senatoren Ron Johnson, Ted Cruz, Jim DeMint und John Ensign, damals gegenüber Fox News darin, „eine große Handvoll Sand zu nehmen und ihn in die Zahnräder der Biden-Regierung zu werfen“.
Nachdem Trump die Präsidentschaftswahl gewonnen hatte, suchte man sich ein anderes Ziel: Viele Bundesbeamte seien liberal eingestellt und könnten hinter den Kulissen daran arbeiten, Trumps Agenda zu untergraben, hieß es von Jones. Deshalb habe die „Öffentlichkeit ein Recht darauf habe, ihre Identität zu erfahren“.
Drei Listen veröffentlicht
Seit Oktober hat die AAF drei „Watchlists“ veröffentlicht. Die erste, eine „DHS-Beobachtungsliste“, nannte 60 Bundesbeamte aufgrund ihrer Arbeit im Bereich Einwanderungspolitik im Heimatschutzministerium und im Justizministerium als „Zielpersonen“. Darunter befanden sich laut Reuters fast ein Dutzend Einwanderungsrichter.
Im Jänner veröffentlichte die Organisation zwei weitere Listen: eine, in der Beamte im Bildungsministerium identifiziert wurden, die angeblich „politische Ideologien“ verfolgten, und eine, in der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeführt waren, die sich in anderen Bundesbehörden für Diversitätsinitiativen engagierten.
Die Websites enthalten Fotos und persönliche Angaben aus öffentlichen Aufzeichnungen und sozialen Netzwerken sowie Vorwürfe „subversiver“, „spaltender“ und „linker“ Verfehlungen, wie Spenden an Demokraten oder die Unterstützung von Hilfsorganisationen für Einwanderer. Juristisch dürfen Beamte für solche privaten Aktivitäten auch nicht bestraft werden.
Gekündigt, bedroht, geflohen
Mindestens 88 der 175 Beamten hätten den Staatsdienst verlassen oder wurden in den Zwangsurlaub geschickt, so Reuters: Einige wurden im Rahmen von Trumps Massenentlassungen im Bundesdienst entlassen, andere sind aus Angst vor Kündigung oder Versetzung selbst gegangen. Mindestens zwei seien aus Sorge um ihre Sicherheit aus dem Land geflohen.
Reuters sprach mit mehreren Dutzend der Bundesangestellten, die sich auf den Listen wiederfanden. Einige berichteten von plötzlichen Drohungen nach der Veröffentlichung – sowohl virtuell als im Alltag: In Texas habe ein Mann ein Fenster im Haus einer Einwanderungsrichterin eingeschlagen und sie als „Verräterin“ bezeichnet.
In Georgia erhielt eine Mitarbeiterin der Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention (CDC) Polizeischutz, nachdem sie wegen ihrer Arbeit an Initiativen zur Verbesserung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung in einkommensschwachen und von Minderheiten bewohnten Communitys namentlich genannt worden war. Andere berichteten, sie hätten aus Angst ihr Aussehen verändert und ihre Social-Media-Profile gelöscht.
Keine Rechtsmittel möglich
Juristisch können die Betroffenen kaum etwas machen: Danielle Citron, Professorin an der University of Virginia School of Law und Spezialistin für Onlinedatenschutz, sagte gegenüber Reuters, dass die Websites sich „an der Grenze zur Illegalität bewegen, diese Grenze aber nicht überschreiten“, da etwa keine Privatadressen oder Telefonnummern genannt werden.
Allerdings: „Sie sind darauf ausgelegt, Menschen zum Schweigen zu bringen, einzuschüchtern und andere dazu anzustacheln, den auf der Website genannten Personen Schaden zuzufügen, so Citron. Auch Betroffene berichteten gegenüber Reuters, mit rechtlichen Schritten keinen Erfolg gehabt zu haben.
Zynische Antwort
Auf den Websites heißt es, man könne seinen Namen entfernen lassen – aber nur mit dem Nachweis, gekündigt zu haben oder entlassen worden zu sein. Jones sagte gegenüber Reuters, man bedauere nur, „dass nicht mehr Menschen auf unseren Listen die Regierung verlassen und ihre Posten an Patrioten übergeben haben, die die Agenda umsetzen werden, für die das amerikanische Volk im November gestimmt hat“.
Seit Trumps Amtsantritt haben laut Reuters mehr als 200.000 Bundesbedienstete den Staatsdienst verlassen. Nach Angaben der Partnership for Public Service, einer gemeinnützigen Organisation, nahmen rund 154.000 Mitarbeiter Abfindungsangebote an, während schätzungsweise 55.000 entlassen bzw. freigestellt wurden. In mehreren Bundesbehörden wie dem FBI und dem Heimatschutzministerium mussten sich Mitarbeiter Lügendetektorentests unterziehen, um ihre Loyalität zur Führung zu beweisen.
Finanzierung aus ultrakonservativen Quellen
Nebulos ist die Finanzierung der AAF. Fest steht, dass im Vorjahr die Heritage Foundation 100.000 Dollar beigesteuert hat: Die nationalistisch-konservative Denkfabrik ist Urheberin von „Project 2025 – Presidential Transition Project“, einem autokratisch anmutenden, detaillierten Plan zur Umgestaltung der Exekutive, den Trump stets abgestritten hatte, dem seine Politik aber in vielen Aspekten folgte. Laut „Guardian“ kommen zudem beträchtliche Summen über „Dark Money“-Spendenfonds, die die ursprünglichen Spender bewusst verschleiern. Laut US-Medien sind auch Gruppen involviert, die Trumps Budgetchef Russell Vought und seinem hochrangigen Berater Stephen Miller nahestehen.
ckör, ORF.at
Links:
- Reuters-Bericht
- American Accountability Foundation
- DHS-Watchlist
- DEI-Watchlist
- Bildungsministeriumswatchlist
- „Guardian“-Bericht
KOMMENTARE – ANALYSEN – HINTERGRÜNDE
INTERVIEW/KOMMENTAR – «Es entsteht eine Abwärtsspirale, wie wir sie in den 1930er Jahren schon einmal gesehen haben» – was Zölle so gefährlich macht und weshalb Trump trotzdem daran glaubt – Michael Schilliger, Florian Schoop, NZZ, 8.8.2025
Das grosse Gespräch über Zölle mit Douglas A. Irwin – einem Mann, der sie sein ganzes Leben studiert hat. Und trotzdem überrascht ist, wie heftig das Thema die Weltpolitik in Beschlag nimmt.
COMMENT: Der Artikel behandelt viele negative und positive Aspekte von Zällen, die es bei der Bewertung von Zölle zu beachten gilt. Das Thema ist komplex.
Das grosse Gespräch über Zölle mit Douglas A. Irwin – einem Mann, der sie sein ganzes Leben studiert hat. Und trotzdem überrascht ist, wie heftig das Thema die Weltpolitik in Beschlag nimmt.
Michael Schilliger, Florian Schoop 08.08.2025, 05.31 Uhr
19 min
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Seit Donald Trump die Welt mit Zöllen überdeckt, ist Chaos ausgebrochen. Wer zahlt nun wie viel für was? Waren Zölle nicht eigentlich längst tot? Und wo wird dieser globale Handelskrieg enden?
Douglas Irwin ist so etwas wie der Mann mit Überblick – und sein Klassiker «Free Trade under Fire» eine Gebrauchsanweisung für eine Welt, die im Zollchaos versinkt.
Der Wirtschaftshistoriker ist Professor für Ökonomie am Dartmouth College im US-Gliedstaat New Hampshire. Kaum einer kennt sich mit dem Wesen der Zölle besser aus als er. Ein Gespräch über Kasinos, Stahlfabriken und die Frage, wieso Zölle zwar Industrien schützen können, Jobs aber trotzdem verlorengehen.
Herr Irwin, als Trump im April die neuen Zölle ankündigte, waren alle entsetzt und sagten, das würde nie funktionieren. Trump aber sagte: «Diese Länder küssen meinen Arsch.» Er hatte recht: Staatschefs kommen in die USA. Mit unglaublichen Angeboten wollen sie Trump dazu bringen, die Zölle zu senken – so auch der Schweizer Bundesrat. Es scheint also zu funktionieren.
Ist das ein direktes Zitat? Er sagte wirklich: «Sie küssen meinen Arsch»?
Ja. Und er doppelte nach: «Sie brennen darauf, mit uns einen Deal zu machen, sie sagen: ‹Bitte, bitte, Sir, ich mach alles dafür.›»
(Er seufzt.) Nun, für Trump ist es dann wohl ein Sieg, nicht aber für den amerikanischen Verbraucher oder die amerikanische Wirtschaft. Die Importpreise steigen, die Konjunktur verlangsamt sich, es werden weniger Stellen geschaffen. Aber wenn es ihm einfach darum geht, dass andere Länder zu ihm kommen und sagen: «Ich möchte ein Abkommen erzielen und werde massiv in den Vereinigten Staaten investieren», wenn sie sagen: «Herr Präsident, hier ist ein Flugzeug, hier sind Geschenke» – einfach, weil das seine Eitelkeit verlangt, dann gewinnt er, ja.
Aus Sicht der Verhandlungspartner ist das «Arschküssen» aber auch ein Erfolg. Nämlich dann, wenn sie damit erreichen, dass die Zölle von 30 auf 15 Prozent gesenkt werden – so wie im Fall der EU.
Gut, aber vor Trumps Amtsantritt im Januar 2025 lagen die Zölle für Güter aus der EU etwa bei 2 oder 3 Prozent. Die Frage ist: Was ist der Startpunkt?
Als wir Sie für dieses Interview kontaktierten, entschuldigten Sie sich und sagten in Bezug auf die Zölle: «That’s bad for all of us.» Aber ist es das wirklich? Die US-Regierung nimmt doch gerade mit Zöllen Hunderte Milliarden Dollar ein.
Ja, aber sie ziehen dieses Geld von den amerikanischen Verbrauchern ab, die Waren aus der Schweiz kaufen. Es ist also eigentlich eine inländische Steuer. Derjenige, der die Waren importiert, muss die Steuern zahlen. Und normalerweise gibt er sie dann, über einen höheren Preis, an die Verbraucher weiter.
Er könnte den Preis auch gleich halten und die Kosten selbst übernehmen.
Wenn wir von 39 Prozent reden, hat niemand mehr genügend grosse Margen. Es wird also letztlich eine Steuer für Unternehmen sein, die Güter importieren. Und natürlich werden sie, weil die Preise steigen, auf günstigere Bezugsquellen umsteigen und beispielsweise Uhren aus anderen Ländern kaufen.
Ist es für ein kleines Land wie die Schweiz überhaupt möglich, einen Handelskrieg mit einem grösseren Land wie den USA zu gewinnen?
(Lacht.) Nicht wirklich, nein. Beide Seiten verlieren. Aber sie verlieren nicht im gleichen Ausmass. Wir hängen nicht so sehr von der Schweiz ab, wie die Schweiz von uns abhängt.
Sie sagen, am schädlichsten seien Zölle ausgerechnet für die Menschen, bei denen man vorgibt, sie damit zu schützen, Arbeiter und Menschen, die wenig verdienen. Warum?
Weil Menschen mit niedrigerem Einkommen gemessen an ihrem Budget am meisten Geld für Handelswaren ausgeben. Also für Dinge, die man im Laden kauft. Reiche Menschen tun das zwar auch, aber am meisten Geld geben sie für Dienstleistungen aus. Für Sachen also, die nicht gehandelt werden und somit auch nicht mit Zöllen belegt sind.
Aber wenn man mit den eingenommenen Zollgeldern die Steuern senken würde, profitierten davon auch Menschen mit geringerem Einkommen.
Ja, aber raten Sie, wer noch mehr davon profitiert? Reiche Menschen.
Nehmen wir den konkreten Fall des Unternehmens Thermoplan, das Kaffeemaschinen für Starbucks herstellt, und davon natürlich viele in die USA exportiert. Der CEO hat nun gesagt: Vielleicht müssen wir die Produktion in die USA verlagern. Ist das nicht letztlich doch ein Sieg für Trump?
Wenn sie tatsächlich in die USA ziehen, wäre das etwas, das Trump als Erfolg verkaufen könnte. Aber die Frage ist, ob das wirklich geschehen wird. Dafür muss man jetzt einmal rechnen: Wie viel höher wären die Kosten für die Firma im Vergleich zur Schweiz? Wäre die Qualität die gleiche? Würden sie in die USA ziehen oder nicht gleich in ein anderes Land mit viel niedrigeren Arbeitskosten, die die Zölle kompensieren? Die Frage ist: Was wollen Sie mit Zöllen erreichen?
Das können Sie besser beantworten. Sie haben Ihr ganzes Leben der US-Handelspolitik gewidmet.
Einfach gesagt: Zölle sind Steuern auf ausländische Waren, die in die USA eingeführt werden. Regierungen verfolgten damit zu verschiedenen Zeitpunkten verschiedene Ziele. Der erste Grund, weshalb die USA und die meisten anderen Länder Zölle einführten: Sie wollten Geld einnehmen. Das geht weit zurück in der Geschichte, weil es damals einfacher war, Zölle zu erheben, als Einkommens- oder Verbrauchssteuern einzutreiben. Importe gelangten meist über Häfen in bestimmte Länder. Das lässt sich einfach besteuern.
Könnte man sagen, Zölle waren die ersten Steuern?
Sie sind sogar eine der grundlegenden Steuern. In den USA war das zweite Gesetz, das der erste Kongress im Rahmen der Verfassung verabschiedete, ein Zollgesetz – weil die Regierung nach dem Krieg gegen England dringend Einnahmen benötigte. Mit zunehmender Entwicklung und Infrastruktur der Länder ging man dann zu Einkommensteuern und anderen Steuern über.
Einnahmen waren also schon immer ein Thema – so wie jetzt wieder mit Trump, der damit prahlt, Milliarden in die Staatskasse zu holen.
Genau. Ein zweites Ziel war, ausländische Waren vom eigenen Markt fernzuhalten und inländische Hersteller und Produzenten zu schützen. Weil es mächtige Branchen sind, bei denen sich die Politiker einschmeicheln wollen. Oder weil man die Branche für die Landesverteidigung für unabdingbar hält.
Was ist das dritte Ziel?
Reziprozität, also Gegenseitigkeit: Land A hat einen Zoll, also führt Land B auch einen Zoll ein. Danach haben beide einen Anreiz, im bilateralen Handel die Zölle zu senken.
Sie sagten zu Beginn: Es sei schwierig zu sagen, was das Ziel von Trump sei. Wieso ist das ein Problem? Er kann doch alle Ziele gleichzeitig verfolgen.
Nein, die Ziele widersprechen sich. Wenn Sie den eigenen Markt schützen wollen, dann gehen Importe stark zurück. Das bedeutet aber auch: Sie können mit Zöllen keine grossen Einnahmen erzielen. Wenn Sie aber mit Zöllen die Staatskassen füllen möchten, sollten Sie die Zölle nicht so hoch ansetzen, dass die Importe einbrechen. Sie wollen nämlich nach wie vor viele Importe, die Sie besteuern können. Und wenn es Ihnen um Abkommen und Gegenseitigkeit geht, sollten Ihnen Einnahmen oder Marktbeschränkungen sowieso egal sein. Schliesslich möchten Sie ja Handelsbarrieren abbauen.
Konzentrieren wir uns auf das Argument mit dem Schutz der eigenen Industrie. Trump sagt, er wolle Arbeitsplätze in die USA zurückbringen. Im Sinne von: «Ihr wollt an unserem Markt teilhaben. Dann müsst ihr zahlen. Das Geld werden wir in unserem Land investieren und so Arbeitsplätze schaffen.» Das klingt ja ganz vernünftig.
Wenn man diese Argumentation mit den Arbeitsplätzen auf die Spitze treibt, könnte man sagen: Meine Güte, wir sollten gar nichts mehr importieren! Produzieren wir gleich alles hier! Aber hier ist der Trick: Exporte schaffen auch Arbeitsplätze. Autos, Flugzeuge – das sind Exportgeschäfte. Wir können aber nicht exportieren, wenn wir nicht gleichzeitig auch importieren.
Wieso?
Wir retten Arbeitsplätze in bestimmten Sektoren, zum Beispiel in der arbeitsintensiven Fertigung. Aber wir verlieren Arbeitsplätze in vielen anderen Branchen aus einer ganzen Reihe von Gründen. Wenn wir für die Boeing-Flugzeuge fortan nur Stahl aus den USA verwenden dürfen, der viel teurer ist, werden die Flugzeuge auch teurer. Dann kauft eine europäische Fluggesellschaft halt Airbus-Flugzeuge. Es entsteht eine Abwärtsspirale, wie wir sie in den 1930er Jahren schon einmal gesehen haben.
Sie sagen, wir hätten das alles schon einmal erlebt, mit negativen Folgen. Wieso tut Trump das alles?
Ich denke, Trump hat eine sehr vereinfachte, meiner Meinung nach irreführende Sicht auf den internationalen Handel. Man muss da seine Karriere als Geschäftsmann mit seiner Erfahrung im Immobilien- und Kasinogeschäft berücksichtigen. Er tendiert zu dem, was Ökonomen als Nullsummenspiele bezeichnen: Wenn du gewinnst, muss ich verlieren. Wenn Sie also ein Kasino besitzen, möchten Sie nicht, dass alle Besucher Ihres Kasinos Geld verdienen. Die Besucher zahlen für die Dienstleistung: den Spass am Glücksspiel. Aber es ist nicht so, dass sie dabei finanziell gewinnen können. Und so betrachtet Trump Transaktionen.
Für einen Geschäftsmann ist das nicht unvernünftig.
Natürlich. Ein Unternehmen zu führen, ist so etwas wie ein Nullsummenspiel. Sie versuchen, Ihre Konkurrenz zu schlagen und viel Umsatz zu erzielen. Aber so funktioniert internationale Handelspolitik nicht. Dass amerikanische Verbraucher etwas verlieren, wenn die Amerikaner T-Shirts aus China kaufen und dabei Geld sparen, weil diese günstiger sind als T-Shirts aus den USA – ich glaube nicht, dass die Verbraucher das so sehen.
Dass aber die Arbeitsplätze in der US-Textilindustrie verschwunden sind, ist unbestritten. Sie sagen jedoch: Zölle bringen diese nicht zurück.
Die Idee von Zöllen leuchtet auf den ersten Blick ein: T-Shirts aus China werden teurer. Die Zölle unterdrücken die Konkurrenz, so dass mehr eigene Produkte verkauft werden können. Das rettet schliesslich Arbeitsplätze. Ein anderes Beispiel: Autos. Klingt logisch, dass wir ausländische Marken fernhalten wollen, um Ford und General Motors zu schützen.
Ja, das leuchtet ein.
Die einheimische Stahlproduktion wird davon profitieren, aber sie ist teuer. Ford und General Motors haben beispielsweise angekündigt, dass sie aufgrund der Stahlzölle Millionen, wenn nicht Milliarden Dollar mehr zahlen müssen. Das erhöht ihre Produktionskosten in den USA im Vergleich zu Toyota, Honda, Hyundai, Volkswagen, BMW und vielen anderen. Und so belastet es unsere heimischen Produzenten, indem es ihre Inputkosten erhöht und den Export von amerikanischen Autos verteuert.
Was gut ist für die Stahlindustrie, ist nicht gut fürs Land.
Es gibt vielleicht 100 000 bis 200 000 Stahlarbeiter in den USA, aber Millionen Arbeitskräfte in der Autoindustrie, in der Landwirtschaftsmaschinen-Branche, also überall dort, wo Stahl verarbeitet wird. Und es trifft auch jeden Steuerzahler.
Wieso?
Jede Brücke braucht Stahl: Das betrifft Gliedstaaten und Kommunen mit begrenzten Budgets für Infrastruktur. Jeder Wolkenkratzer in New York benötigt Stahl – wenn die Kosten steigen, wird das Projekt kleiner oder ganz gestrichen. Der Stahlindustrie bringt das Vorteile, sie kann wachsen. Aber die Kosten für alle anderen Sektoren bleiben unsichtbar. Und wenn man an die Jobs denkt, die an diesen Bauprojekten, in der Auto- oder Maschinenindustrie hängen – und daran, dass sie im Wettbewerb mit ausländischen Rivalen ihre Position verlieren werden –, dann wird klar, was auf dem Spiel steht.
Sie sagen, durch Zölle gehen mehr Arbeitsplätze verloren, als neue geschaffen werden.
Ja, es gibt einige Studien, die genau das belegen.
Es gibt aber auch reale Verlierer der Globalisierung, etwa im sogenannten Rust Belt in den USA, wo viele Industriejobs verlorengingen.
Vieles davon ist allerdings auf den technologischen Fortschritt zurückzuführen. Das Beispiel Stahl zeigt das hervorragend: In den USA produzieren wir noch immer viel davon, aber wir brauchen heute viel weniger Arbeitskräfte als früher: In den 1980er Jahren hat es zehn Arbeitsstunden gebraucht, um eine Tonne Stahl zu produzieren. Heute braucht es dafür eine Arbeitsstunde. Die Jobs gingen nicht wegen billiger Importe verloren, sondern wegen besserer Maschinen und Technologie.
Gibt es ein Beispiel seit dem Zweiten Weltkrieg, wo Zölle eine fast tote Industrie wiederbelebt haben?
Das ist eine gute Frage. Man muss unterscheiden, ob man eine tote Industrie wiederbelebt oder eine Industrie am Leben zu erhalten versucht. Mit anderen Worten: Ist die Industrie nur dank den Zöllen überhaupt lebensfähig? Oder braucht sie kurzfristig Zölle, um durch eine schwierige Zeit zu kommen?
Durch eine Rezession beispielsweise?
Genau. In einer Rezession sagen Branchenvertreter oft: «Wir stehen kurz vor dem Bankrott. Wir brauchen Zölle.» In den 1980er Jahren etwa, da hatten wir in den USA eine schwere Rezession. Die Arbeitslosenquote lag bei über zehn Prozent. Die Automobilindustrie wurde hart getroffen. Wir haben mit Japan ein freiwilliges Exportverbot für Autos ausgehandelt. Das hat die Anzahl der in den USA verkauften japanischen Fahrzeuge begrenzt. Und die US-Industrie erholte sich.
Klingt gut.
Da gibt es aber ein methodisches Problem: Wenn man in einer Rezession Zölle erhebt und sie nach der Rezession wieder zurücknimmt, weil sich die Industrie erholt hat, könnte es so aussehen, als seien die Zölle dafür verantwortlich. Es ist jedoch sehr schwierig, den Effekt der Zölle von der wirtschaftlichen Erholung zu trennen.
Gibt es eine Situation, in der ein Zoll sinnvoll sein könnte?
Unter ganz bestimmten Umständen. Wenn zum Beispiel ein Land eine Art Monopolstellung bei einem bestimmten Rohstoff hat. China macht das im Fall von seltenen Erden, für die es Exportzölle erhebt.
Derjenige, der die seltenen Erden ausführt, muss den Zoll bezahlen.
Genau. Und dieser schlägt das natürlich einfach auf den Preis. Wenn man sozusagen der exklusive oder ein sehr spezialisierter Lieferant ist, kann man von Handelsbeschränkungen und Preiserhöhungen profitieren. Aber im amerikanischen Kontext ist das viel schwieriger. Denn wie wir bei Trump gesehen haben, werden Zölle nicht nach dieser sorgfältigen Kosten-Nutzen-Abwägung verhängt. Sie werden entweder aus einer Laune heraus verhängt, wie im Fall Trump, oder, wie bei früheren Regierungen, weil die heimische Industrie politisch sehr einflussreich ist und viele Wählerstimmen kontrolliert. Politiker wollen Stimmen, und Protektionismus ist ein Weg, Stimmen zu bekommen.
Historisch gesehen ist die Ära des Freihandels vergleichsweise kurz. Die meiste Zeit der Geschichte lebten wir in einer Welt der Zölle, nicht wahr?
Ja. Wenn man sich die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ansieht, waren die Zölle manchmal hoch, manchmal moderat. Aber der Handel lief einfach weiter, weil es viele Innovationen gab, die zu niedrigeren Transportkosten, zu niedrigeren Kommunikationskosten führten. Dann haben wir diese Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Eine Zeit hoher Zölle, viel Protektionismus, die Weltwirtschaftskrise und viele Verwerfungen. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg, da kommen wir in diese kurze, aber doch immerhin siebzig bis achtzig Jahre dauernde Phase, in der man Zollschranken versucht hat abzubauen. Das endete, würde ich heute sagen, mit dem Brexit.
Um die Jahrhundertwende und in den 1920er Jahren hatten wir ein hohes Mass an Globalisierung, fast wie heute. Gleichzeitig aber auch hohe Zölle. Wie geht das zusammen: globaler Handel und hohe Zölle?
Stimmt, wobei es schon damals Länder gab, die eine Freihandelspolitik verfolgten. Grossbritannien zum Beispiel. Hinzu kommt, dass es eine Zeit starker Innovation war. Dampfschiffe, die Eisenbahn, das senkte die Transportkosten; Telegraf, Telegramm, Kommunikation wurde einfacher. Und so erlebten wir eine zunehmende Integration, nicht weil unsere Politik sie vorangetrieben hätte, sondern weil die Technologie es tat.
Innovation glich die hohen Zollkosten aus.
Genau. Das wiederholte sich in den 1980er und 1990er Jahren mit dem Internet. Länder öffneten da jedoch ihre Volkswirtschaften – anders als in den 1920er Jahren. Der Bremseffekt der Zölle fiel weg. Das führte zu dem, was manche als Hyperglobalisierung bezeichnen. Dazu kam der Container, deutlich günstigere Transportkosten zwischen verschiedenen Märkten, insbesondere von und nach Asien. All diese Dinge bewegten sich in die gleiche Richtung: Märkte wurden zusammengeführt.
In Ihrem Buch «Free Trade under Fire» gibt es ein Zitat, das aktueller nicht sein könnte: «Mit unserem hohen Lebensstandard können wir in Amerika aufgrund niedrigerer Löhne und niedrigerer Produktionskosten nicht erfolgreich mit ausländischen Produzenten konkurrieren.» Man könnte meinen, es stamme von heute. Doch das Zitat ist aus dem Jahr 1929, vom damaligen US-Präsidenten Herbert Hoover.
Ja, die Idee des Protektionismus reicht weit zurück.
Und jetzt kommen wieder Zölle wie in den 1920er Jahren?
Es klingt ähnlich, ja. Aber wir sehen noch keine so starke Abschottung von Ländern, weil die Kosten für den Warentransport immer noch niedrig sind. Es ist also ähnlich, wie wenn Sie im Auto auf das Bremspedal drücken. Ich würde sagen, die Technologie gibt Gas. Sie entwickelt sich ständig weiter und führt Märkte zusammen. Zölle hingegen treten auf das Bremspedal.
Viele sehen angesichts des aktuellen Handelskriegs und der geopolitischen Spannungen Parallelen zu den 1920er Jahren. Wie treffend finden Sie diesen Vergleich?
Was mich an die 1920er und 1930er Jahre erinnert: Es war damals nicht einfach ein Handelskrieg. Es war ein sich anbahnender Systemkonflikt in Europa: Faschismus und ähnliche Strömungen. Und es ging um Grossmachtpolitik. Deutschland wollte sich nach dem Ersten Weltkrieg rächen.
Jetzt befinden wir uns wieder in einer Phase, in der solche Grossmachtpolitik relevant zu werden scheint.
Genau. Geopolitische und strategische Fragen treten in den Vordergrund – und die Wirtschaft verliert an Bedeutung.
Wie meinen Sie das?
Lange hatten wir eine Phase, in der es primär um wirtschaftliches Wachstum und die Verbesserung des Lebensstandards ging. Wir dachten: Importe aus China schaden vielleicht einigen Branchen, aber hey – sie liefern uns günstige Produkte, die Konsumenten profitieren. Jetzt sagen wir: Ja, vielleicht kosten sie Jobs – aber wir sorgen uns auch um unsere Sicherheit. Was, wenn China uns den Zugang zu gewissen Produkten verwehrt? Oder was, wenn die Elektronik, die sie liefern, kompromittiert ist? Können wir diesen Produkten noch trauen?
Gab es solche Befürchtungen schon früher?
Schon in den 1920er und 1930er Jahren bereitete die Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten Sorgen. So wie wir heute diese neue Prioritätensetzung haben: Wachstum ist nicht alles, wir müssen Rivalen in Schach halten, die uns angreifen oder unsere Sicherheit gefährden könnten.
Sie sagten, Zölle seien wie das Bremspedal eines Autos. Sie sind aber auch eine Art sehr emotionales Instrument, also etwas, das sagt: «Halt, stopp, das ist meins, nicht deins!»
Das ist eine sehr gute Beschreibung. Trump bedient genau diese Emotionen, wenn er sagt: Früher waren wir eine grossartige Nation und haben selbst produziert. Doch dann haben wir es anderen überlassen und wurden abgezockt. Die Realität sieht anders aus: Die USA sind heute vor allem eine Dienstleistungswirtschaft. Wir produzieren immer noch viel, aber mit viel Technologie, mit Maschinen und weniger mit Arbeitskräften.
Trump arbeitet also mit einem verklärten Selbstbild der Amerikaner.
Ja, das Bild von Stahlwerken, von Industrie, von Arbeitern wird romantisiert. Man träumt davon, Jobs zurückzuholen, die es so gar nicht mehr gibt – oder die auch gar niemand mehr wirklich will.
Wenn Trump nun mit diesem Bild spielt und sich als «Tariff Man» darstellt, als Zoll-Mann, ist er dann einfach politisch clever und nutzt die gegenwärtige Unsicherheit aus – oder versteht er nicht, was Zölle bedeuten?
Das ist schwer zu trennen. Die meisten Menschen verstehen die technische Bedeutung von Zöllen nicht. Aber sie verstehen die Botschaft, die Idee: «Wir mögen China nicht, wir wollen unabhängig sein. Also müssen wir unsere Produktion zurückholen.»
Es geht also um eine «Wir gegen die»-Mentalität?
Genau. Die Botschaft ist: «Die haben uns etwas weggenommen, und nun sollen sie dafür bezahlen.»
Treten Zollerhöhungen vor allem in unsicheren Zeiten auf, also dann, wenn ohnehin gesellschaftliche Spannungen bestehen?
Eine wichtige Frage. Es ist zurzeit wohl eine Mischung. Schauen wir uns die China-Zölle an: Sie waren eine Reaktion auf die Veränderung von China. Das Land wurde immer stärker, wurde zum direkten Konkurrenten der USA. Die Beziehung hat sich damit verschlechtert, Zölle wurden eingeführt.
Im Falle von China sind Zölle ja eigentlich gerechtfertigt: Das Land hat einen unfairen Vorteil, weil der Staat viele Industrien subventioniert.
China ist in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall. Selbst ohne die Sicherheitsbedenken, zum Beispiel bei staatlich kontrollierter Technologie, ist da schon einiges im Argen. China unterstützt privatwirtschaftliche Unternehmen massiv – mit fast unbegrenztem Zugang zu Krediten. Das verzerrt den Wettbewerb für amerikanische Firmen erheblich. China spielt also nicht nach denselben Regeln.
Interessant ist aber auch, dass Trumps Zollpolitik Schule macht: In Europa diskutiert man gegenwärtig über höhere Zölle auf billige chinesische Produkte.
Klar, denn wenn die USA Zölle auf chinesische Produkte erheben – wohin gehen dann all diese chinesischen Waren? Sie werden in andere Märkte umgeleitet, zum Beispiel nach Europa. Das nennt man Dumping – und das ist eine reale Bedrohung. Es ist daher eine logische Reaktion, wenn Europa sagt: Wir müssen unsere Zölle für China ebenfalls erhöhen. Man will sich ja nicht überfluten lassen mit billigen Produkten aus China.
Einen Handelskrieg mit China beurteilen Sie also anders als einen mit der Schweiz.
Richtig, die US-Regierung hat Zölle erhoben, ohne dass uns Länder wie die Schweiz oder beispielsweise auch Kanada etwas angetan hätten. In unserem Nachbarland ist die Verbitterung darüber sehr gross. Dort sagt man: Seit Jahrzehnten handeln wir friedlich miteinander. Wir haben euch im Irak geholfen und in all den Kriegen, in die ihr verwickelt wart. Wir sind euer engster Verbündeter – und nun behandelt ihr uns so?
Ist das die grösste Gefahr bei Zöllen?
Wirtschaftlich gesehen sind Zölle einfach schädlich. Wenn man sie einführt, schaden sie anderen Sektoren der Wirtschaft. Aussenpolitisch hingegen sind sie gefährlich. Wir verhängen Zölle gegen unsere Verbündeten: Kanada, Mexiko, Deutschland, Japan, die Schweiz und viele mehr.
Was ist gefährlich daran?
Wenn wir in Zukunft auf sie angewiesen sind, wenn wir Hilfe brauchen in Sicherheitsfragen, beim Klima, bei der Migration, könnte uns das teuer zu stehen kommen. Wenn man sich von seinen Freunden entfremdet, dann reduziert man die globale Zusammenarbeit, das globale Vertrauen – und gefährdet dadurch sich selbst.
Sie verglichen Zölle einst mit dem Spiel «Whack-a-Mole», wo man den Kopf eines Maulwurfs herunterschlagen muss, während an einem anderen Ort sofort ein neuer Kopf auftaucht.
Lassen Sie es mich so erklären: Wir führen Zölle auf Stahl ein. Das hilft der Stahlindustrie. Aber es schadet der Autoindustrie. Das heisst, wir müssen nun der Autoindustrie mit Zöllen helfen. Das schadet aber den Konsumenten, die Autos werden teurer. Es ist also ein Teufelskreis. Dieses «Whack-a-Mole»-Spiel spielen wir auch mit Ländern.
Wie meinen Sie das?
Als wir in den USA hohe Zölle für China eingeführt haben, haben wir aufgehört, Produkte aus China zu importieren. Aber raten Sie mal, was dann passierte: Wir haben plötzlich viel mehr Waren aus Vietnam importiert. Doch nicht von vietnamesischen Unternehmen, sondern von chinesischen Firmen, die nach Vietnam umgezogen sind.
So gesehen ist Trumps Ansatz, Zölle für alle Länder zu erheben, clever . . .
. . . wenn es nicht diese grossen Unterschiede bei Zöllen für die verschiedenen Länder gäbe.
Sie beschreiben Zölle als grundlegendes Übel und Freihandel als Win-win-Situation. Wieso sind dann so unterschiedliche Gruppen wie Nationalisten, Arbeiter, religiöse Gruppierungen, Menschenrechtler und Umweltaktivisten – also Linke wie Rechte – gegen Freihandel?
Das liegt auch an der Geschichte, die man über Zölle erzählt. Es ist diese simple Logik, wonach Zölle vermeintlich sinnvoll sind. Dass man der eigenen Industrie hilft, dass man sie schützt vor fremder Konkurrenz. Aber es ist eben komplizierter. Man kann nicht alle Sektoren einer Wirtschaft schützen. Das bedeutet, wenn man einen schützt, verletzt man gleichzeitig unweigerlich andere Sektoren.
Wieso ist es eigentlich viel einfacher, Zölle zu verhängen, als sie wieder aufzuheben?
Wenn man Zölle erhebt, dann gibt es immer Gruppen, die davon profitieren. Wenn Sie die Zölle also wieder aufheben wollen, gibt es Widerstand. Diese Sektoren werden kämpfen, sie werden ihre Privilegien verteidigen. Zölle können wie im Fall der Schweiz über Nacht auf 39 Prozent steigen. Aber der Weg zurück ist viel schwieriger.
Ist das auch der Grund, wieso Zölle auf landwirtschaftliche Produkte viel besser akzeptiert sind?
Nicht nur. Die Bauern sind mächtig. Auch in den USA. In Iowa wird viel Mais produziert. Da ist es schwierig, hinzugehen und zu sagen: Ich möchte einen niedrigeren Preis für Mais. Es geht am Ende um Wählerstimmen, und dieser Wählerblock ist sehr mächtig. Dazu kommt das Selbstbild vieler Länder. Das ist auch in der Schweiz so.
Wie meinen Sie das?
Auch in der Schweiz und anderen europäischen Ländern gibt es eine Romantisierung des Landwirtschaftssektors.
Und deswegen werden Landwirtschaftszölle global kaum angetastet?
Absolut, nach dem Zweiten Weltkrieg hat es rund vierzig Jahre gedauert, bis es Zollverhandlungen gab über landwirtschaftliche Produkte.
Wie entscheidend ist der Mythos der Selbstversorgung? Also der Wunsch, die eigene Landwirtschaft zu schützen, weil man sie im Falle eines Kriegs brauchen wird?
Dieses Argument taucht immer wieder auf. So etwa auch in Japan: Dort ist Reis im Vergleich zum Rest der Welt zwei- bis dreimal so teuer. Man akzeptiert dies aber, weil man im Kriegsfall abgeschnitten wäre als Land. Und man behauptet, japanischer Reis sei besser als chinesischer. Obwohl bei einer Blindverkostung wohl die wenigsten einen Unterschied merken würden.
Trump sagt immer: Die hohen Zölle seien eine Reaktion auf das hohe Handelsbilanzdefizit. Was genau meint er damit?
Das Handelsbilanzdefizit in den USA entstand so: Wir importieren viel mehr aus anderen Ländern, als wir in diese Länder exportieren. Trump sagt deshalb: Andere Länder sollten mehr bei uns kaufen und wir weniger bei ihnen. Was er nicht sagt: Andere Länder investieren viel mehr in die USA als umgekehrt.
Das heisst, die USA haben zwar ein Handelsbilanzdefizit, doch gleichzeitig fliesst über die Kapitalmärkte viel Geld zurück, weil andere Länder zum Beispiel Anleihen der US-Regierung kaufen?
Ja. Und solche Kapitalströme sind die treibende Kraft hinter Handelsungleichgewichten. Das heisst: Nur Zölle auf Importe zu verhängen, wird das Problem nicht lösen.
Aber mal ehrlich – müssen wir uns überhaupt mit dem Handelsbilanzdefizit herumschlagen? Trump redet ständig davon, während die Regierungen vor ihm jahrzehntelang offenbar gut damit leben konnten.
Nun, Trump würde sagen: Wir werden seit vierzig Jahren über den Tisch gezogen. Ich verstehe aber grundsätzlich schon, warum sich viele wegen des Handelsbilanzdefizits unwohl fühlen.
Warum?
Ein riesiger Treiber der Nachfrage nach US-Vermögenswerten war in den frühen 2000er Jahren China. Wir kauften ihre Waren, und sie wollten im Gegenzug US-Staatsanleihen kaufen. Ihre Devisenreserven stiegen von ein paar hundert Millionen auf vier Billionen Dollar. Sie kauften also nur Papier, keine amerikanischen Produkte.
Wie sehr sorgen Sie sich, dass die jetzige Situation zu einem grossen Crash führen wird?
Wenn es zu einer schweren Rezession oder Depression kommt, dann liegen meist viele verschiedene Ursachen dahinter. Nicht nur Zölle oder Handelskriege. Interessant an der jetzigen Situation ist: Als im April die Zollerhöhungen erstmals angekündigt wurden, fiel der Aktienmarkt drei Tage hintereinander. Doch das hat die Regierung nicht umgestimmt.
Was dann?
Die Renditen auf amerikanische Staatsanleihen. Diese begannen zu steigen, weil die Leute sie verkauften. Das hat die Regierung nervös gemacht. Denn jeder kleine Anstieg der Zinsen bedeutet enorme zusätzliche Kosten für den Staatshaushalt.
Passiert das gerade wieder?
Nicht so stark. Dennoch sind viele Ökonomen in den USA besorgt über die aktuelle Situation und über das, was noch auf uns zukommen wird.
Sie haben sich Ihr ganzes Leben lang mit Zöllen beschäftigt. Hätten Sie jemals gedacht, dass dieses Thema so heftig zurückkehren wird?
Ehrlich gesagt, nein. Handelspolitik entwickelt sich normalerweise langsam – Sektor für Sektor, Schritt für Schritt. Ich dachte, wir hätten die Zeiten hinter uns, in denen man flächendeckend plötzlich massive Zollerhöhungen einführt. Die aktuelle Entwicklung zeigt vor allem, wie viel Macht beim Präsidenten der Vereinigten Staaten liegt.
Und welchen Schaden diese Person anrichten kann.
Ja, für diese Zölle gibt es ja keinen nationalen Konsens. Der Kongress wurde nicht konsultiert. Das war eine Entscheidung von einer einzigen Person. Es gibt auch rechtliche Zweifel, ob der Präsident das überhaupt machen darf.
Es scheint fast so, als wäre diese Fähigkeit, Zölle gegen die ganze Welt zu erheben, noch folgenschwerer, als wenn der Präsident einem einzelnen Land den Krieg erklären würde.
Das kann man durchaus so sagen, ja.
Douglas A. Irwin ist Professor für Ökonomie am Dartmouth College in New Hampshire.
Douglas A. Irwin (*1962)
KOMMENTARE u.a. ZUR EPSTEIN-AFFÄRE IN DEN USA
KOMMENTAR – «Trump erweist sich als Feigling und Nebelwerfer», sagt Ilija Trojanow – Ilija Trojanow, NZZ, 9.8.2025
Der Schriftsteller hat in seinem Roman «Die doppelte Spur» vor Jahren schon Verschwörungstheorien beleuchtet. Ein Essay über Jeffrey Epstein, Donald Trump und die Scheinheiligkeit einer entgleisten Moralpolitik.
Jede Epoche kennt ihre Cause célèbre, ihren vieldiskutierten Skandal. Die öffentliche Empörung schlägt hohe Wellen, bald schon werden Bücher über den Fall verfasst und Filme gedreht – etwa die Affäre Dreyfus oder der Watergate-Skandal. Ob «Spiegel»-Affäre oder Fichenskandal, es galt stets offenzulegen, was in den Hinterzimmern der Macht an Missbrauch und Verschleierung ausgeheckt wurde, um Recht und Gerechtigkeit zu stärken sowie – auf einer metaphysischen Ebene – die Gemeinschaft von der jeweiligen Schande zu reinigen durch das erzeugte Aufsehen: im wahrsten Sinne des Wortes durch ein kollektives «Aufblicken und Hinsehen». Der Fall «Jeffrey Epstein» scheint sich nahtlos in diese Tradition einzufügen – doch das täuscht.
Vor sieben Jahren habe ich für den Roman «Die doppelte Spur», der die Grauzone zwischen Verschwörung und Verschwörungstheorie zu beleuchten sucht, alles über Epstein gelesen, was damals im Internet zu finden war, inklusive der manchmal sehr ergiebigen Meldungen aus der Rubrik «Vermischtes». Das Bild, das sich ergab, war eindeutig und daher wie geschaffen für unsere ambivalenzfreie Zeit: Ein toxisches Gemisch aus materieller Gier und sexueller Perversion, unter der Regie eines dubiosen Finanzjongleurs sowie mit Beteiligung eines Freundeskreises von Prominenten – Präsidenten, Prinzen, Professoren –, für die die Gesetze des Landes nur gelten, wenn alle anderen Stricke reissen. Einer von ihnen: Donald Trump.
Monetarisierung der Empörung
Seitdem echauffiert sich das moralische Entsetzen zwar lautstark, aber auch reichlich verworren. Man wird den Eindruck nicht los, dass es bei vielen eher um politisches Kalkül als um einen ethischen Kampf geht.
Was zudem meist übersehen wird, ist der quasireligiöse Aspekt dieses Trauerspiels. Präsident Donald Trump, ein «gottloser» Baulöwe und Kasino-König, wurde von Millionen von Bürgerinnen und Bürgern mit frommem Furor gewählt, um als moralische Abrissbirne die Labyrinthe aus Sex, Geld und Lüge niederzuwalzen, um dem Elitenfilz den Garaus zu machen. Sinnbildlich repräsentiert durch den Fall Epstein, bei dem sich niederträchtiges Verbrechen (Kindesmissbrauch) paarte mit niederträchtiger Vertuschung (durch eine unüberschaubare Zahl Grosskopfeter).
Doch der Drachentöter offenbart sich nun als unzuverlässiger Kammerjäger. Es wäre für Donald Trump ein Leichtes gewesen, diesen «Sumpf trockenzulegen», mit kernigen Aussagen, energischen Untersuchungen sowie transparenten Verlautbarungen. Wie schwer kann es denn sein, als moralische Instanz gegen Pädophilie vorzugehen, selbst wenn auch nur pro forma, mit der ihm üblichen Theatralik?
Sein Handeln, oder vielmehr sein Nichthandeln, sowie seine zynischen Kommentare beweisen beim Kampf gegen ein widerliches Verbrechen – den jahrelangen, systematischen Missbrauch von Mädchen – die Leere seines pompösen Pathos. Er, der sich im Licht der reinsten Empörung sonnte und höchst erfolgreich den Outlaw spielte (Roland Reagan, sein Vorgänger als politischer Entertainer, inszenierte sich hingegen als Sheriff), windet und wendet sich nun wie ein Wiesel.
Und auf einmal ist die Lichtgestalt – wie in einem reisserischen Hollywood-Thriller – als Schattenfigur demaskiert, sogar als Bösewicht. Dass sich die leibhaftige Hoffnung namens Trump just bei der vermeintlichen Schicksalsschlacht als Feigling und Nebelwerfer erweist, beschädigt seinen Erlösermythos. Solch ein Abfall vom Glauben ist der Hauptgrund, wieso für viele seiner Anhänger all sein Tricksen, Lügen und Vertuschen erst jetzt sichtbar wird und unerträglich erscheint.
Was dem Fall Epstein ein kaum erträgliches Ausmass gibt, ist die weitverbreitete Monetarisierung der Empörung. Medien aller Couleur stürzen sich seit Jahren auf den Fall, Blogs, Podcasts und Social Media schleudern mit Dreck um sich, zum Wohle von Bankkonto und Rating. Nicht um Gerechtigkeit für die Opfer zu erkämpfen, sondern in den allermeisten Fällen um die eigene politische Marke zu stärken und das Geschäftsmodell «Epstein-Fall» auszuschlachten.
Der Skandal wird zur Handelsware, die Justiz zur Schaufensterpuppe. Eine Justizministerin wie Trumps enge Verbündete Pam Bondi, die übrigens an Trumps Truth Social Millionen verdient, betätigt sich als oberste Verdunklerin. Und kaum jemand erinnert an die Opfer – an eine grauenhafte Liste zerbrochener Leben. An Menschen wie Virginia Giuffre, deren Suizid am 25. April 2025 auf einer Farm im Westen Australiens der Presse kaum mehr als eine Randnotiz wert war.
Die Traumata der Opfer werden selten ergründet, ihre Gesichter sind uns weitaus weniger vertraut als die Fratzen der Täter und Mitläufer, etwa das Foto der grinsenden Partylöwen Trump und Epstein. Das glitzernde Panorama aus Privatjets, Karibikinseln und Luxusresidenzen überlagert unsere Wahrnehmung. Gesten echter Empathie bleiben bei diesen Sound-and-Light-Shows aus Empörung und Sensationslust auf der Strecke. Die Instrumentalisierung der Tragödie für politische Zwecke ist ein alarmierendes Zeichen für die Verrohung der Sitten.
Die Flüchtigkeit des Unrechts
Wie wenig es bei alldem um die Opfer geht, offenbart ein anders gelagerter Fall, jener des Einzelgängers Edgar Maddison Welch, eines bis dahin unbekannten Mannes, dessen Motto lauten könnte: Es gibt nichts Gutes, ausser man tut es! Als er vor Jahren vernahm, dass Hillary Clinton Kinder im Keller eines Pizzarestaurants in Washington (DC) satanisch missbrauche, brach er kurzentschlossen auf – bewaffnet mit einem halbautomatischen Gewehr AR-15, einem Revolver und einem Klappmesser –, um diesen vermeintlichen pädophilen Ring zu zerschlagen. Er war gewillt, wenn nötig sein eigenes Leben zu opfern.
Nach einer fünfstündigen Fahrt betrat Welch das Restaurant «Comet Ping Pong», drang in die Küche ein, schoss auf das Vorhängeschloss einer Tür (der einzige Schuss dieser Befreiungsaktion) und fand Kochutensilien vor. Nirgends gefangene Mädchen, nirgends gequälte Kinder – das Restaurant besass gar keinen Keller. Welch stellte sich der Polizei.
Sosehr wir uns über seine Naivität gegenüber einer abstrusen Verschwörungstheorie mokieren könnten, Welch handelte als Einziger unter den zig Millionen, die an die angebliche Affäre «Pizzagate» glaubten, moralisch konsequent. Er gab zu Protokoll, er habe «etwas Licht auf die Sache werfen» wollen, denn «mein Herz zerbrach schier bei dem Gedanken, dass unschuldige Menschen leiden». Er bewaffnete sich, um missbrauchte Kinder zu retten. Alle anderen hingegen mästeten ihre Empörung wie eine Stopfgans.
Diejenigen, die scheinbar aufräumen sollten, haben die Absolution verschachert, bevor sie die Schuldigen zur Strecke gebracht haben. Was bleibt, sind Leaks mit geschwärzten Namen, Akten, die nie auftauchen werden, sowie eine Öffentlichkeit, die eine nicht entfernbare Augenbinde trägt. In dieser Dunkelheit ist Jeffrey Epstein längst zu einem düsteren Mythos geworden. Unverzeihlich ist dabei nicht die himmelschreiende Ungerechtigkeit, sondern die Einsicht, dass jegliche rituelle Heilung und Erlösung zur Farce geworden ist. Am Ende bleibt die unerträgliche Flüchtigkeit des Unrechts.
Unser Autor
Ilija Trojanow
Der Autor und Übersetzer lebt in Wien. Gerade ist von ihm in der Anderen Bibliothek «Das Buch der Macht. Wie man sie erringt und (nie) wieder loslässt» erschienen.
Ilija Trojanow (*1965) (WIKIPEDIA). Dort heißt es u.a.: Auch hier ist für Trojanow die Gier die Triebfeder des Krieges, der schon lange unter der Oberfläche des Friedens gegoren habe.
Siehe dazu: Festredner Trojanow: „Die Händchenhalter sitzen auch in Österreich“ – ORF, 26.7.2025“
HINTERGRUND – Prinz Andrew war noch sehr viel tiefer in die Machenschaften von Jeffrey Epstein verstrickt als vermutet – David Signer (London). 5.8.2025
Eine neue Biografie über das schwarze Schaf der britischen Königsfamilie enthüllt weitere Einzelheiten über seine Beziehung zu Jeffrey Epstein. Die Recherchen dürften auch dem Königshaus Schaden zufügen.
Dass Prinz Andrew, der jüngere Bruder von König Charles, eine höchst fragwürdige Figur ist, weiss man. Der Duke of York war eng verbunden mit Jeffrey Epstein, dem Multimillionär und verurteilten Sexualstraftäter, der 2019 im Gefängnis Suizid verübte. Später erhob die US-Australierin Virginia Giuffre Klage gegen Andrew; sie sagte aus, sie sei als Minderjährige von Epstein zum Sex mit dem Prinzen gezwungen worden.
In einem Interview mit der BBC bestritt Andrew, sie jemals getroffen zu haben. Er verhedderte sich jedoch in Widersprüche und wirkte unglaubwürdig. Schliesslich wurde der Fall aussergerichtlich mit einer Millionenzahlung beigelegt. 2022 entzog das Königshaus Andrew alle Ehrenämter.
«Noch sexbesessener als ich», sagte Epstein über Andrew
Nun erscheint eine Biografie über den 65-jährigen Royal, und wenn nur ein Teil daraus stimmt, ist alles noch viel schlimmer als gedacht. Das Buch heisst «Entitled: The Rise and Fall of the House of York» und stammt von Andrew Lownie, einem renommierten Historiker und Biografen. Es erscheint am 14. August, aber die britische Zeitung «Daily Mail» hat bereits einen Auszug publiziert.
Das Buch zeichnet das Bild eines eingebildeten, narzisstischen Aristokraten, der sich benimmt wie ein Kind, aber von allen Respekt einfordert. Brisant sind vor allem die Passagen über sein Verhältnis zu Frauen. «Er ist der einzige Mensch, den ich kenne, der noch sexbesessener ist als ich», soll Epstein über Prinz Andrew gesagt und ihn ein «perverses Tier» genannt haben. Laut Lownie bestellte Andrew im Laufe eines Staatsbesuchs in Thailand im Jahr 2006 mehr als vierzig Frauen auf sein Hotelzimmer. Er jettete damals als britischer Handelsbeauftragter um die Welt.
Epstein soll Andrew auch als nützlichen Idioten bezeichnet haben. Der Prinz habe dem amerikanischen Investmentbanker geholfen, Zugang zu den höchsten Kreisen zu bekommen und sich den Anstrich von Seriosität zu geben. Im Gegenzug versorgte Epstein ihn mit Frauen und Geld. Laut «Entitled» war die Beziehung der beiden noch intensiver und dauerte länger, als bisher bekannt war.
Handgreiflichkeiten zwischen Andrew und Harry
Es gibt schon länger Gerüchte, dass Epstein die sexuellen Handlungen seiner Freunde mit versteckten Kameras filmte. Lownie geht nun jedoch noch einen Schritt weiter und behauptet, Epstein habe kompromittierende Aufnahmen von Andrew und vertrauliche Informationen dem israelischen, dem russischen, dem saudischen und auch dem libyschen Geheimdienst verkauft. Das würde nicht nur den Prinzen, sondern das ganze britische Königshaus erpressbar machen. Einer der 300 Informanten in Lownies Buch geht so weit, das Ende der Monarchie zu prophezeien, wenn alle Details zu Andrew publik würden.
Es ist wenig erstaunlich, dass Andrew auch innerhalb der Familie zunehmend isoliert war. Laut Lownie kam es 2013 zwischen Andrew und Prinz Harry sogar einmal zu einer Handgreiflichkeit, bei der Harry seinem Onkel eine blutige Nase verpasste (was Harry bestreitet).
Andrew selbst sah sich als Casanova. Aber er sei, so zitiert der Biograf eine Frau, die mit dem Prinzen eine Affäre hatte, etwa so subtil wie eine Handgranate gewesen. Der Gipfel seiner Verführungskünste habe darin bestanden, berichtete sie, das Knie einer Frau unter dem Tisch zu reiben. Neben ihm zu sitzen, sei ein Albtraum gewesen. Am liebsten habe er Pennäler-Witze gemacht und zugleich darauf bestanden, mit «Your Royal Highness» angesprochen zu werden.
Der frühere britische Premierminister Boris Johnson bemerkte einmal nach einem Mittagessen mit dem Prinzen, er sei weiss Gott nicht gegen die Monarchie. «Aber noch ein einziges solches Treffen, und ich werde es sein.»
HINTERGRUND – Donald Trump spricht über sein Zerwürfnis mit Jeffrey Epstein und heizt die Gerüchteküche an – Christian Weisflog (Washington) NZZ, 31.7.2025
Der amerikanische Präsident sorgt im Fall des verstorbenen Sexualstraftäters mit eigenen Aussagen für neuen Wirbel. Die Demokraten warnen derweil vor einem «korrupten Deal» zwischen Trump und Epsteins inhaftierter Komplizin Ghislaine Maxwell.
Eigentlich wollte Donald Trump nicht mehr über Jeffrey Epstein reden. «Lasst uns keine Energie für jemanden verschwenden, für den sich niemand interessiert», schrieb der amerikanische Präsident kürzlich auf Truth Social. Doch nun sorgte er mit eigenen Aussagen zu dem Fall selbst für neue Schlagzeilen. Er habe seine Freundschaft mit dem verurteilten Sexualstraftäter vor langer Zeit beendet, nachdem dieser wiederholt Mitarbeiter des Spa-Bereichs in seinem Privatklub Mar-a-Lago abgeworben habe, erklärte Trump am Dienstag. Auf die Frage, ob es sich dabei um junge Frauen gehandelt habe, sagte er: «Die Antwort ist Ja, das waren sie.»
Zu diesen Frauen gehörte auch Virginia Giuffre, wie sich Trump zu erinnern schien: «Ich glaube, sie arbeitete im Spa. Ich denke, sie war eine dieser Personen. Ja, er (Epstein) hat sie gestohlen.» Giuffre war eine Kronzeugin in den Strafverfahren gegen Epstein und dessen Freundin Ghislaine Maxwell wegen Menschenhandels, sexuellen Missbrauchs und der Prostitution von Minderjährigen. Im April nahm sich Giuffre das Leben. Trump betonte am Dienstag: «Sie (Giuffre) hatte sich nie über uns beklagt.»
Undurchsichtige Interviews mit Maxwell
Trotzdem warf der amerikanische Präsident mit seinen Aussagen neue Fragen auf. Gemäss eigenen Angaben wurde Giuffre im Jahr 2000 von Maxwell in Mar-a-Lago als Masseurin für Epstein angeworben. «Du wirst reisen und gutes Geld verdienen», soll Maxwell der damals 17-Jährigen versprochen haben. Trump jedoch sprach auch zwei Jahre danach in einem Interview noch positiv über Epstein. Es mache «grossen Spass», mit dem Investmentbanker Zeit zu verbringen. «Man sagt sogar, dass er schöne Frauen so sehr wie ich mag. Und viele von ihnen sind von der jüngeren Sorte.»
Als Epstein 2019 verhaftet und angeklagt wurde, verortete Trump den Bruch mit dem Sexualstraftäter allerdings erst ungefähr im Jahr 2004. Wie die «Washington Post» berichtete, zerstritten sich Trump und Epstein damals, weil sie beide dieselbe Luxusimmobilie an einem Strand in Florida kaufen wollten. «Ich war kein Fan von ihm», erklärte Trump nach Epsteins Festnahme vor sechs Jahren. Nachdem sich Epstein in Untersuchungshaft das Leben genommen hatte, nährte Trump genau wie seine Anhänger das Gerücht, dass der Financier möglicherweise von einflussreichen Klienten seines Prostitutionsrings getötet wurde. Er versprach seinen Wählern Transparenz und Aufklärung, will nun aber nichts mehr davon wissen.
Trump sorgt in dem Fall aber nicht nur mit seinen widersprüchlichen Erinnerungen für neue Schlagzeilen. Vergangene Woche interviewte der stellvertretende Justizminister Todd Blanche über zwei Tage die inhaftierte Maxwell. Epsteins Lebensgefährtin und Komplizin wurde 2022 zu einer 20-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Das Vorgehen erscheint aus zwei Gründen problematisch. Blanche war einerseits Trumps persönlicher Anwalt und verteidigte diesen im Schweigegeldprozess in New York. Anderseits ist es höchst ungewöhnlich, dass sich ein solch hoher Justizbeamter mit einer möglichen Zeugin trifft. Normalerweise würden solche Interviews von Ermittlern und Staatsanwälten geführt, die bereits mit dem früheren Verfahren vertraut sind.
Bis jetzt ist nicht bekannt, worüber Blanche mit Maxwell gesprochen hat. Der demokratische Senator Dick Durbin forderte am Montag in einem Brief an den stellvertretenden Justizminister deshalb, den Inhalt der Gespräche zu veröffentlichen. Es bestehe die Möglichkeit eines «korrupten Deals» zwischen der Trump-Regierung und Maxwell, schrieb Durbin. Maxwell könnte falsche oder selektive Informationen im Gegenzug für eine Begnadigung durch Präsident Trump liefern, fürchtet der Senator.
Appell an die Gnade des Supreme Court und des Präsidenten
Wie das «Wall Street Journal» vergangene Woche berichtete, informierten Blanche und Justizministerin Pam Bondi den Präsidenten bei einem Treffen im Mai darüber, dass sein Name in den sogenannten «Epstein Files» auftauche. Dies allein ist kein Hinweis auf mögliche Vergehen. Aber bei der Unterhaltung im Mai soll der Beschluss gefasst worden sein, die Überprüfung der Akten in dem Fall abzuschliessen. Vor drei Wochen veröffentlichten das Justizministerium und das FBI eine knappe Erklärung: Epstein habe keine Kundenliste geführt, keine Klienten erpresst und sei durch einen Suizid umgekommen, hiess es darin.
Mit dem dünnen Statement verärgerte Trump jedoch die eigenen Anhänger, einzelne Mitglieder seiner Regierung und republikanische Kongressabgeordnete. «Veröffentlicht die verdammten Dokumente», meinte etwa der konservative Senator Thom Tillis. Der republikanische Vorsitzende des Kontrollausschusses im Repräsentantenhauses, Mike Comer, schickte Maxwell eine Vorladung für eine Anhörung. Doch Maxwell stellt nun Bedingungen. Sie fordert eine Immunität, im Voraus übermittelte Fragen und will erst aussagen, nachdem der Supreme Court ihr Berufungsgesuch beurteilt hat.
Nur wenige Tage nach den Interviews mit Blanche ersuchten Maxwells Anwälte den Supreme Court mit einer finalen Eingabe, ihre Verurteilung zu annullieren. Sie stützten sich dabei auf eine umstrittene Verständigung, die Epstein 2007 in einem ersten Verfahren mit einem Bundesanwalt in Florida ausgehandelt hatte. Epstein bekannte sich teilweise schuldig, erhielt eine geringe Strafe und eine Zusage keiner weiteren Anklagen der Bundesbehörden gegen ihn und seine Mittäter. In einer Erklärung brachten die Anwälte eine Begnadigung durch Trump ins Spiel: «Wir rufen nicht nur den Supreme Court, sondern auch den Präsidenten an, die Ungerechtigkeit zu erkennen, aus Ghislaine Maxwell einen Sündenbock für Epsteins Verbrechen zu machen.»
Eine Begnadigung dürfte für Trump politisch jedoch kaum infrage kommen. Er hat das Vertrauen seiner Anhänger in dem Fall bereits zur Genüge strapaziert. Gleichzeitig hat das Justizministerium dem Supreme Court empfohlen, Maxwells Gesuch abzulehnen. Das Oberste Gericht will sich im September damit befassen. Der Fall wird Trump deshalb auch in den nächsten Wochen weiter begleiten.
AFRIKA
Größte Krise der Welt: Sudan „Katastrophe, auf die wir zusteuern“ – ORF, 10.8.2025
Bald 28 Monate dauert der Bürgerkrieg im Sudan bereits an. Rund die Hälfte der Bevölkerung ist akut von Hunger bedroht, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Freitag mitteilte. „Das ist wirklich eine Katastrophe, auf die wir da zusteuern“, sagt die Nothelferin Sarah Easter von der Hilfsorganisation CARE zu ORF.at. Easter kehrte vor Kurzem aus dem Sudan zurück.
Die humanitäre Helferin hatte zwei Wochen im Juli in der Stadt Port Sudan im Nordosten des Landes verbracht, wo sie Camps für Vertriebene besucht hatte. Die Menschen leben dort „von Tag zu Tag“, „von trockenem Brot zu trockenem Brot, von Reislöffel zu Reislöffel“, sagt sie. Obst, Gemüse oder Fleisch hätten viele seit Monaten nicht gegessen. Untergebracht sind die Menschen, die vor den Kämpfen aus weiten Teilen des Landes geflohen sind, in Schulklassen und Zelten – bei Temperaturen von nahezu 50 Grad.
Humanitäre Hilfe ist mittlerweile rar. Die Solidarität unter den Vertriebenen sei trotz der Notsituation groß. „Wer auch immer dort Essen hat und auch etwas abgeben kann, gibt das auch ab. Mir wurde auch gesagt: ‚Wir überleben entweder zusammen oder gar nicht‘“, so Easter.
COMMENT: Der Grundvertrag alles Sozialen und jeder Gesellschaft. Das er unter Not eingehalten wird, ist beachtlich und positiv zu bewerten, wären nur die Umstände nicht so fürchterlich.
Die Menschen sagten aber auch, „dass sie nicht wissen, ob sie morgen aufwachen werden“.
Die Nothelferin berichtet von Kindern, die wegen des Krieges völlig auf sich gestellt sind, und von Frauen, die vergewaltigt wurden. Sexualisierte Gewalt gegen Frauen werde in dem Bürgerkrieg als „Strategie“ verwendet, so Easter. Für Betroffene bedeutet das oftmals Stigmatisierung und soziale Ausgrenzung. Nicht selten würden sich Männer von ihren Partnerinnen nach einer Vergewaltigung scheiden lassen.
Sudan droht Zersplitterung
Ausgebrochen war der Krieg in dem nordostafrikanischen Land vor bald zweieinhalb Jahren im April 2023. In der Hauptstadt Khartum kam es zu einem blutigen Machtkampf zwischen den Truppen von Militärherrscher Abdel Fattah al-Burhan und der Miliz Rapid Support Forces (RSF) seines früheren Stellvertreters Mohammed Hamdan Daglo, bekannt als Hemeti.
RSF
Die Miliz Rapid Support Forces (RSF) ist aus Reitermilizen in der Region Darfur hervorgegangen, die für Menschenrechtsverbrechen berüchtigt sind.
Der Norden und der Osten des Landes sind inzwischen weitgehend unter Kontrolle der Militärregierung. Die Hauptstadt Khartum wird ebenso wie Port Sudan von der Armee kontrolliert. Die RSF kontrolliert wiederum große Gebiete des Südens und fast die komplette westliche Region Darfur. In dem Gebiet eskalierte auch der jahrelang schwelende Konflikt zwischen ethnischen Minderheiten wie den Masalit und der überwiegend arabischstämmigen Miliz RSF neu. Besonders prekär ist die Lage in der seit Monaten durch die RSF-Miliz belagerten Stadt al-Faschir.
Erst Ende Juli hatte die RSF-Miliz eine Parallelregierung ernannt. Diese wird weltweit aber von keinem Staat anerkannt. Vertreter der UNO und der Afrikanischen Union (AU) warnten, eine Anerkennung der RSF-Regierung könne den Sudan weiter zersplittern.
Sowohl der Armee als auch der RSF werden Kriegsverbrechen wie Angriffe auf Zivilisten und Wohngebiete vorgeworfen. Die RSF geht Beobachtern zufolge aber besonders grausam vor. Ihre Kämpfer brennen ganze Dörfer und Lager ab und vergewaltigen systematisch Frauen und Kinder in Darfur.
UNHCR: Größte Krise der Welt
Der Konflikt in dem knapp 47 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Land löste die größte Hunger- und Flüchtlingskrise der Welt aus: Nach Angaben des UNO-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) wurden in den vergangenen zwei Jahren Zehntausende Menschen getötet, mehr als zwölf Millionen Menschen wurden gewaltsam vertrieben. Vier Millionen Menschen sind aus dem Land geflohen. „Sie fliehen in Länder, die selbst auf humanitäre Hilfe angewiesen sind: in den Tschad oder Südsudan“, sagt Easter.
24,6 Millionen Menschen sind laut der Integrierten Klassifizierung der Ernährungssicherheit (IPC), einer für Hungermonitoring zuständigen UNO-Initiative, von akuter Nahrungsmittelunsicherheit bedroht. Über 638.000 Menschen drohe gar lebensbedrohlicher Hunger. Allein 16 Millionen Kinder sind laut UNO-Nothilfebüro (OCHA) auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Dabei stehen nur zwölf Prozent der für die weltweite Ernährungshilfe benötigten Mittel zu Verfügung. Die weltweiten Kürzungen treffen die Menschen im Sudan hart, berichtet Easter. „Das ist wirklich eine Katastrophe, auf die wir da zusteuern“, sagt die Deutsche. „Was wir leisten können, ist wirklich auf minimalster Ebene: Das ist die Nothilfe“, sagt sie. Die Rede ist von Wasserversorgung, Essensverteilung und Gesundheitsvorsorge. „Langfristig zu denken ist in der finanziellen Lage, in der wir uns befinden, wirklich sehr schwierig.“
„Sudan ist nicht so weit von Europa entfernt“
Bei einer Pressekonferenz in Genf schlug kürzlich auch Sheldon Yett, UNICEF-Vertreter im Sudan, Alarm. „Viele Kinder sind nur noch Haut und Knochen“, so Yett. „Wir stehen kurz davor, eine ganze Generation von Kindern unwiederbringlich zu verlieren – nicht, weil wir nicht das Wissen oder die Mittel hätten, um sie zu retten, sondern weil wir kollektiv daran scheitern, mit der Dringlichkeit und dem Ausmaß zu handeln, die diese Krise erfordert“, sagte er.
Auch UNHCR-Europachef Philippe Leclerc warnte im ORF.at-Interview zuletzt vor der prekären Lage. Nachbarländer des Sudan, die Millionen an Sudanesinnen und Sudanesen aufgenommen haben, würden nicht ausreichend unterstützt. „Der Sudan ist nicht so weit von Europa entfernt“, sagte Leclerc. Wird in der Region keine Hilfe geleistet, dann ist damit zu rechnen, dass sich Menschen aus Verzweiflung in die Hände von Schleppern begeben und sich auf die lebensgefährliche Reise über das Mittelmeer machen.
In den Camps, die Easter besucht hat, war eine Flucht ins Ausland kein Thema. Unter den Binnenvertriebenen im Sudan gebe es „viele, die sagen, sie möchten natürlich zurück in ihre Heimat“, sagt sie: „Aber sie haben nicht das Geld, um überhaupt ein Busticket dafür zu kaufen.“
Katja Lehner, ORF.at/Agenturen
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KOMMENTARE – ANALYSEN – HINTERGRÜNDE
KOMMENTAR – Afrikas politische Eliten führen Krieg gegen die Jungen. Sie werden ihn verlieren – Samuel Mistell, NZZ, 23.7.2025
Afrikas Jugend hat genug von Korruption und schlechten Regierungen. Das sollte auch Europäer interessieren, denn 2050 wird jeder vierte Mensch Afrikaner sein. Afrikas Zukunft ist die Zukunft der Welt.
400 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner sind zwischen 18 und 35 Jahre alt – und sie sind wütend. Protest in Kenyas Hauptstadt Nairobi Ende Juni.
Neulich hatte der Präsident von Kenya eine Idee, wie er die jungen Leute zum Schweigen bringen könnte. Die Jungen, die seit über einem Jahr im ganzen Land gegen ihn demonstrieren. «Schiesst ihnen ins Bein», sagte der Präsident, William Ruto, vor Polizisten. Vielleicht würde das endlich helfen.
Doch die Aussicht, ins Bein geschossen zu werden, schreckt Kenyas Jugend längst nicht mehr. Im vergangenen Jahr hat die Polizei mehr als hundert junge Leute erschossen. Sie hat andere verschleppt, nachts aus ihren Wohnungen geholt. Sie hat gefoltert, manche in Haft getötet. Sie hat Stacheldraht meterhoch um das Zentrum der Hauptstadt Nairobi gezogen, um Proteste zu stoppen. All das in einem angeblich demokratischen Land. Aber die Jungen demonstrieren weiter. Sie fordern ein Ende der Korruption, ein Ende der Gewalt und dass die Regierung Perspektiven schafft.
Es ist nicht nur Kenya. In Afrika eskaliert ein Konflikt der Generationen. In Nigeria, Ghana, Togo, in Moçambique, Uganda, im Sahel – in allen möglichen Ecken des Kontinents haben junge Leute genug. Von ihren sogenannten politischen Eliten. Oft alten Männern, manche über 90, die glauben, ein gottgegebenes Recht zu haben, immer weiter zu regieren.
Es wirkt zunehmend wie Krieg. Einer, den die Alten nicht gewinnen werden. Denn die Jungen sind mehr. 400 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner sind zwischen 18 und 35 Jahre alt. «Sie können uns nicht alle töten», sagen die Demonstranten in Kenya. Das klingt pathetisch. Es ist aber auch schlicht ein demografischer Fakt. Einer, der Veränderung unausweichlich macht. Entweder im Guten oder im Schlechten.
Zehn Millionen Afrikaner jährlich neu auf dem Arbeitsmarkt
Afrika hat ein riesiges Reservoir an begabten Leuten – und eine politische Klasse, die vieles tut, damit sich dieses Potenzial nicht realisiert. 10 Millionen junge Afrikanerinnen und Afrikaner kommen jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt. Nur 3 Millionen von ihnen finden formelle Jobs. Der Rest schafft sich seine eigenen Stellen. Afrika ist ein Kontinent von Millionen von jungen Selfmade-Unternehmern. Man muss das nicht romantisieren. Denn die meisten kommen gerade so durch.
Die Regierungen in vielen afrikanischen Ländern funktionieren parasitär. Ministerien und Parlamente sind voller Leute, die Politik nicht als Möglichkeit sehen, die Zukunft ihres Landes zu gestalten. Sondern um an Geld zu gelangen. Kein Kontinent ist korrupter als Afrika. Keiner ist ungleicher.
Das hat mit der Geschichte zu tun. Afrikanische Institutionen haben ihre Wurzeln im Kolonialstaat. Dieser diente nicht dazu, die Rahmenbedingungen für Fortschritt zu schaffen. Er diente der Plünderung und der Kontrolle: Rohstoffe effizient abzutransportieren, die Wirtschaft zu monopolisieren, sicherzustellen, dass einheimische Arbeitskräfte nicht zu unabhängig vom Staat wurden.
Seit der Unabhängigkeit hat sich vielerorts auf dem Kontinent eine politische Klasse eingenistet, die keine Anstalten machte, Institutionen zu reformieren. Sie plündert bis heute, wie das früher Briten oder Franzosen taten – postkoloniale Kolonialisten. Wer in Kenya Minister oder Parlamentarier wird, hat Zugang zu Land, zu Firmen, zu Bestechungsgeldern. Kenyas Präsident ist arm aufgewachsen, ist aber inzwischen einer der reichsten Männer des Landes. Nicht weil er ein unternehmerisches Genie wäre. Sondern weil er sich früh an die richtigen Politiker hängte.
Die Plünderung ging lange gut. Afrikas Eliten verstanden sich darauf, ethnische Gruppen gegeneinander auszuspielen, wie das früher die Kolonialisten taten. Sie profitierten auch davon, dass der Grossteil ihrer Bevölkerungen ungebildete Kleinbauern waren, die sich leicht von traditionellen Führern dirigieren liessen.
Das ist vorbei. Der Widerstand wird immer grösser. Afrikas Gerontokraten stehen Millionen von jungen Leuten gegenüber, die sich nicht mehr für dumm verkaufen lassen. Die Jungen sind besser gebildet als frühere Generationen. Sie sind vernetzt, wissen, was in anderen Ländern läuft. Sie scharen sich zusammen, oft ohne Anführer. Zum Beispiel hinter einem Hashtag: #Fixthecountry lautete dieser in Ghana. #EndBadGovernance in Nigeria. Die Auslöser der Proteste sind unterschiedlich: in Moçambique eine gefälschte Wahl, in Kenya neue Steuern, in Nigeria Polizeigewalt. Doch überall ist der grössere Konflikt derselbe: junge Leute gegen alte korrupte Elite.
Mit Chat-GPT gegen die Eliten
«Weshalb waren frühere Präsidenten nie mit diesem Chaos konfrontiert?», fragte ein beleidigter kenyanischer Präsident im Juli. «Weshalb so viel Verachtung und Arroganz?» William Ruto hat, wie viele andere afrikanische Regierende, noch nicht begriffen, dass er diesen Krieg nicht gewinnen kann. Weil es ein Krieg gegen die Demografie ist. Afrika ist der jüngste Kontinent der Welt. Das Medianalter in den Ländern südlich der Sahara liegt unter 19 Jahren. 70 Prozent aller Afrikaner sind unter 30. Mehr als 30 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner werden jedes Jahr volljährig. Afrikanische Regierungen sitzen auf einer Zeitbombe.
Afrikas Eliten werden den Krieg auch verlieren, weil die Jungen cleverer sind als sie. Weil sie Technologie und Social Media auf eine positive Weise nutzen. In Kenya setzten Demonstranten Chat-GPT dazu ein, eine umstrittene Steuervorlage in regionale Sprachen zu übersetzen. Damit auch die ältere und ländliche Bevölkerung versteht, worum es geht.
Afrikas Eliten werden den Krieg auch verlieren, weil die Jungen im Gegensatz zu ihnen eine Idee haben: Die einer Regierung, die nicht plündert, sondern sich darum bemüht, dass Arbeitsplätze entstehen. Die Firmen keine Bestechungsgelder abnötigt. Die die Lebenshaltungskosten zu senken versucht. Eine Regierung aus fähigen Leuten.
Man muss das alles gar nicht glorifizieren. Junge Menschen haben schon oft gegen selbstherrliche Eliten gekämpft. Auch in Afrika. Manche Junge wurden später einfach alte Eliten und nicht minder selbstherrlich. Ugandas 80-jähriger Autokrat Yoweri Museveni war einmal ein junger Revolutionär.
Der Unterschied diesmal ist: Kaum je war der demografische Druck für Veränderungen so gross. Afrikanische Eliten haben die Wahl. Entweder sie leiten Reformen ein, sie schaffen Perspektiven für viele Millionen junge Leute. Oder sie versuchen weiter, diese zum Schweigen zu bringen. Das Resultat wird Chaos sein.
Afrikaner wollen nicht weg
Das alles sollte auch in Europa interessieren. Denn was im Nachbarkontinent passiert, hat Auswirkungen nördlich des Mittelmeers.
Westliche Diplomaten lästern gerne hinter vorgehaltener Hand über afrikanische Politiker. Erzählen, dass diese nur gegen ein stattliches Taggeld an Konferenzen auftauchten. Dass sie von europäischen Botschaften erwarteten, Visa zu organisieren, damit die ganze Familie auf Staatskosten Firstclass nach Paris oder Berlin fliegen könne. Dass afrikanische Politiker am liebsten an den vornehmsten Hoteladressen abstiegen.
Doch sie laden die Afrikaner weiter unter diesen Bedingungen ein. Man hat schliesslich gemeinsame Projekte, an denen Geld und Jobs hängen. Es ist nicht nur schlecht, dass die Regierung von Donald Trump die Entwicklungshilfe in eine Sinnkrise gestürzt hat, indem sie die amerikanische Entwicklungsagentur USAID eingestellt hat. Die Hilfe leistet Gutes, doch für viele afrikanische Regime ist sie auch eine lebenserhaltende Massnahme. Uganda zum Beispiel liess sich über die Hälfte seines Gesundheitshaushalts mit Hilfsgeldern finanzieren. Fehlt das Geld plötzlich, stehen afrikanische Regierungen unter Erklärzwang.
Europa duckt sich weg, wenn es um Afrikas Jugend geht. Aus Angst, die verbliebenen Verbündeten auf dem Kontinent vor den Kopf zu stossen, gegenüber China und Russland weiter an Boden zu verlieren – Länder, die sich zwar häufig so aufführen, als würden sie den Afrikanern dabei helfen, sich vom westlichen Joch zu befreien. Sich aber am besten mit den autoritärsten unter Afrikas Herrschern verstehen.
Europa fürchtet auch, dass all diese jungen Afrikaner potenzielle Migranten sein könnten. Dabei holen europäische Länder schon jetzt jedes Jahr Zehntausende junger Afrikaner nach Europa. Weil sie diese als Fachkräfte benötigen. Sie arbeiten als Pfleger und Ärztinnen. Europäische Regierungen kommunizieren das nicht laut, weil es nicht populär ist.
Die allermeisten jungen Afrikaner wollen sowieso nicht weg. Sie wollen in ihren Ländern bleiben, dort arbeiten, Familien gründen. Sie wollen weg, wenn ihnen ihre Regierungen die Perspektiven verbauen.
Nicht Afrikas Junge sind das Problem. Das Problem sind die Regierungen.
Es bringt deshalb wenig, korrupte Regierungen pfleglich zu behandeln. Europa hat das im Sahel versucht, wo sich Regierungen wenig darum scherten, was ausserhalb der Hauptstädte geschah. Ausserhalb der Hauptstädte sind dann Tausende junger Männer jihadistischen Gruppen beigetreten. Nicht weil sie besonders religiös wären. Sondern weil ihnen der Jihadismus ein Einkommen verschafft und Beschäftigung. Inzwischen haben in den Sahel-Staaten Militärs gegen die unfähigen Regierungen geputscht. Das Chaos wird dadurch nicht kleiner. Es weitet sich auf andere Länder aus.
«Afrikas Zukunft wird die Zukunft der ganzen Welt bestimmen», schreibt der Autor Howard French. Bis 2050 wird die Hälfte des globalen Bevölkerungswachstums in Afrika stattfinden. Jeder vierte Mensch wird 2050 in Afrika leben.
Wandel wird deshalb kommen in Afrika. Entweder im Guten oder im Schlechten. Es ist eine Revolution, die kein Pathos braucht. Weil die Statistik sie unausweichlich macht.
Leserstimmen (Auswahl) dazu:
Steigt die Bevölkerung Afrikas von 1,4Mrd. auf 2,5Mrd., werden Kriege und Migrationsströme nicht ausbleiben. Aber auch afrikanische Städte werden unerwartet stark wachsen. Ich war Ostern in New Kairo, sieht fast aus wie in Brandenburg, trotz der Hitze und ein Stück weiter wird an „Sisi City“ gebaut, einer ähnlichen Agglomeration von Planstädten wie dieser, aber für dann insgesamt 7Mio Leute, flächenmässig größer als Paris. Wird einer von dort nach Berlin reisen, das wird ihm wie ein Dorf vorkommen. Die Saudis bauen für 7Mio Bewohner „The Line“, welche am Roten Meer in eine „Mosesbrücke“ münden wird und die arabische Halbinsel mit Africa verbinden. Kinshasa/ Kongo oder Lagos/Nigeria sind bereits jetzt Megacities, die werden sich verdoppeln.
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Das Unglück (Tardition) will es, daß die Jungen -erst einmal an der Macht-, es ganuso machen werden wie die Alten.
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„Afrikas Eliten werden den Krieg auch verlieren, weil die Jungen cleverer sind als sie. Weil sie Technologie und Social Media auf eine positive Weise nutzen. In Kenya setzten Demonstranten Chat-GPT dazu ein, eine umstrittene Steuervorlage in regionale Sprachen zu übersetzen. Damit auch die ältere und ländliche Bevölkerung versteht, worum es geht.“
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Nein, der Kolonialismus als Erklärung greift hier definitiv zu kurz, auch wenn es gerade „in“ ist, warum gab es dann in anderen Weltgegenden, die zum Teil länger oder schlimmer kolonialisiert waren, andere Entwicklungen? Warum sieht die Lage in Äthiopien und Liberia, die nie wirklich kolonialisiert waren, genau gleich aus? Weil es wohl mehr mit kulturellen Faktoren zu tun hat, mit Tribalismus etc., aber das wäre natürlich nicht politisch korrekt. Kolonialismus als Erklärung würde auch bedeuten, dass die Weissen allmächtig und die Schwarzen nicht anders können als die Weissen zu kopieren, keine selbständigen Subjekte sind, letztlich eine rassistische und abwertende Haltung, die definitiv unterkomplex ist.
NAHER OSTEN – MENA WATCH (Mena-Watch auf Wikipedia)
Eine Metro und ein neuer Flughafen für Damaskus: Die Golfstaaten investieren Milliarden in Syrien – Mirco Keilberth (Tunis), NZZ, 8.8.2025
Das stark zerstörte Land braucht eine neue Infrastruktur. In Damaskus wurden nun Verträge für insgesamt zwölf Mega-Projekte unterzeichnet – obwohl die Sicherheitslage im Land weiterhin fragil ist.
Auf einem Treffen von Investoren in Damaskus konnte Syriens Präsident Ahmed al-Sharaa am Mittwoch einen seiner bislang grössten Erfolge bekanntgeben: Delegationen aus mehreren Golfstaaten unterzeichneten während einer feierlichen Zeremonie Investitionsprojekte in Höhe von insgesamt 14 Milliarden Dollar, mit deren Hilfe das Bürgerkriegsland wieder aufgebaut werden soll. Der Wirtschaftsminister von Saudiarabien, Kahlid al-Falih, war mit einer Delegation von 120 Geschäftsleuten angereist. Bereits im Juli hatte das Königreich beschlossen, 6,4 Milliarden Dollar unter anderem im Telekommunikationsbereich zu investieren.
Von der UCC-Holding aus Katar sollen 4 Milliarden Dollar in den Bau eines neuen Flughafens am Stadtrand von Damaskus fliessen, die staatliche Nationale Investitions-Kooperation aus den Vereinigten Arabischen Emiraten will für 2 Milliarden Dollar ein U-Bahn-Netz in der syrischen Hauptstadt bauen. Die Projektentwickler der italienischen Firma UBAKO wollen für 2 Milliarden Dollar im Zentrum von Damaskus gleich mehrere Hochhäuser hochziehen. Als der Chef der syrischen Investitionsbehörde, Talal al-Hilali, dann noch den Bau eines riesigen Einkaufszentrums und den Wiederaufbau zerstörter Wohnviertel verkündete, befanden sich die im Präsidentenpalast tagenden Delegationen bereits in regem Austausch über die Zukunft Syriens.
Erfolgsmeldung in schwierigen Zeiten
Präsident Sharaa wirkte gelöster als bei seinen vorigen internationalen Auftritten. Doch viele Syrer, die die Zeremonie im Staatsfernsehen verfolgten, konnten kaum glauben, was sie sahen: Noch vor wenigen Wochen hatte das saudiarabische Königshaus den syrischen Staatschef scharf kritisiert. 1120 Drusen waren bei Kämpfen in der südlich von Damaskus gelegenen Stadt Suweida ums Leben gekommen. Nachdem am 13. Juli Gefechte zwischen Drusen und Beduinen ausgebrochen waren, hätten die Sicherheitskräfte der Regierung schlichten sollen. Doch sie verhinderten nicht, dass radikale sunnitische Freiwillige aus dem ganzen Land Jagd auf drusische Zivilisten machten.
Auch wenn sich die Lage auf den Strassen inzwischen wieder beruhigt hat, wird in den sozialen Netzwerken gegen die Minderheiten der Alawiten, Drusen, Kurden und Christen gehetzt. Aktivisten, die in Damaskus gegen die zunehmende Spaltung der syrischen Gesellschaft auf die Strasse gingen, wurden von bärtigen Milizionären brutal vertrieben. «Islamisten setzen seit einigen Wochen ihr konservatives Weltbild rücksichtslos durch», sagt ein Menschenrechtsaktivist aus Damaskus, der nicht namentlich genannt werden möchte.
Keine Details, dafür viele Fragen
In Damaskus hat zudem die Kriminalität stark zugenommen. Auf den Strassen der Zwei-Millionen-Metropole können daher nur wenige etwas mit der Euphorie im Präsidentenpalast anfangen. Zu einer Pro-Sharaa-Demonstration in der vergangenen Woche im Zentrum von Damaskus kamen gerade einmal 40 Anhänger.
Da es bislang keinerlei Details zu den zwölf am Mittwoch beschlossenen Bauprojekten gibt, wundern sich viele Syrer in den sozialen Netzwerken, wohin die Gelder aus den Golfstaaten denn tatsächlich fliessen werden. Die italienische Firma UBAKO soll bislang lediglich kleinere Projekte in Libyen umgesetzt haben. Und ein syrischer Journalist fragt: «Was, wenn der Islamische Staat, al-Kaida und andere Islamisten ihr heimlich in Mauretanien oder Libyen gewaschenes Geld nun nach Damaskus bringen? Ein Bauboom in einem völlig unregulierten Umfeld birgt viele Risiken.»
Netzwerk aus internationalen Unterstützern
In Regierungskreisen glaubt man hingegen, die Radikalen im eigenen Lager durch den Wiederaufbau der Wirtschaft im Zaum halten zu können. Sharaa hat es zudem geschafft, ein Netzwerk aus internationalen Unterstützern zu schaffen, die sich in anderen Ländern spinnefeind sind.
Eine Baufirma aus den Vereinigten Arabischen Emiraten soll den Hafen von Tartus erneuern, wo bald wieder russische Kriegsschiffe stationiert werden könnten. Im Mai unterzeichnete Sharaa bereits einen Vertrag zum Aufbau des landesweiten Energienetzes mit einem Konsortium von Firmen aus Katar, der Türkei und den USA. Auch Tom Barrack, Donald Trumps Sonderbeauftragter für Syrien, war am Mittwoch nach Damaskus gekommen. Der Behördenchef Hilali nannte den Tag einen «Wendepunkt» in der Geschichte des Landes.
EUROPA
Spanische Kleinstadt verbietet muslimische Feste in öffentlichen Einrichtungen – Ute Müller (Madrid), NZZ, 8.8.2025
Im südspanischen Jumilla dürfen das Lammfest und andere islamische Feierlichkeiten in Zukunft nicht mehr in der Sporthalle der Gemeinde stattfinden. Das wird weitherum als ein unzulässiger Verstoss gegen die Grundrechte eingestuft.
Mitten im heissen August schaut ganz Spanien auf das kleine und bis dato unbekannte Städtchen Jumilla unweit von Murcia mit seinen 27 000 Einwohnern. Dort hat die Stadtregierung den muslimischen Einwohnern verboten, öffentliche Einrichtungen zu nutzen, um ihre Feste zu feiern. Dazu gehören Eid al-Fitr, welches das Ende des Ramadan markiert, sowie das Opferfest Eid al-Adha, das auch als das Lammfest bekannt ist. Bisher hatten die rund 1500 muslimischen Einwohner von Jumilla ihre wichtigsten Feierlichkeiten in der Sporthalle der Gemeinde begangen.
Doch nun gab die Stadtregierung einem Ende Juli eingebrachten Antrag der rechtspopulistischen Partei Vox statt und erliess ein entsprechendes Verbot. Diese Initiative sorgte landesweit für Schlagzeilen, die Tageszeitung «El País» sprach gar von «institutioneller Islamophobie».
Verstoss gegen die Grundrechte
Sogar die spanische Bischofskonferenz kritisierte die Massnahme. Sie stehe nicht im Einklang mit der Demokratie. In einer gemeinsamen Erklärung mit der Islamischen Kommission Spaniens hiess es, diese Einschränkung verstosse gegen das Grundrecht eines jeden Menschen zur freien Religionsausübung und betreffe nicht nur eine bestimmte religiöse Gruppe, sondern alle Konfessionen.
In der Tat schreibt die spanische Verfassung zum einen fest, dass niemand wegen seiner Religion diskriminiert werden darf. Zum anderen dürften alle Religionsgemeinschaften ihre Feste in öffentlichen Räumlichkeiten begehen, wie der Verfassungsrechtler Joaquín Urías von der Universität Sevilla im spanischen Rundfunksender SER zu bedenken gab.
Vorrang für spanische Traditionen
Doch in Jumilla will man nicht zurückrudern. «Unsere Identität und unsere Traditionen müssen Vorrang haben», sagte die konservative Bürgermeisterin Seve González gegenüber «El País». Sie findet den Medienrummel übertrieben. Die katholischen Feste seien viel wichtiger, schliesslich seien sie in Jumilla schon immer gefeiert worden.
Es ist das erste Mal in Spanien, dass eine islamische Feier im öffentlichen Raum verboten wurde. «Spanien ist und bleibt für immer das Land der Christen», postete Vox zufrieden auf dem sozialen Netzwerk X. Die Partei hatte in ihrem Antrag noch andere Massnahmen zur Verteidigung der Traditionen des spanischen Volkes gefordert. So sollten etwa auch die spanische Gastronomie und Fleischherstellung gegen die Ausbreitung der rituellen Halal-Schlachtung verteidigt werden.
Derweil will die Islamische Kommission Spaniens gerichtlich gegen die rechten Parteien Partido Popular (PP) und Vox wegen des jüngsten Verbots vorgehen. Die Kommission wurde 1992 ins Leben gerufen, im Jahr, als ein Gesetz zur Religionsfreiheit im Parlament verabschiedet wurde. «Es ist bedauernswert, dass eine Stadtregierung sich nicht für das Zusammenleben der Menschen einsetzt, sondern die Bewohner spaltet», klagte Mohamed El Ghaidouni von der Kommission. Wenn die Politiker die Religionsfreiheit nicht respektierten, bliebe nichts anderes übrig, als sich an die Justiz zu wenden, erklärte er.
Überhaupt sind die Gemüter bei der muslimischen Gemeinde in Spanien aufgewühlt. Erst vor einem Monat hatten Rechtsextreme zur Hatz auf Einwanderer aus Nordafrika geblasen. Das geschah in Torre-Pacheco, einer Stadt, die ebenfalls zur Region von Murcia gehört.
Die rechten Parteien rücken zusammen
Auch bei der den Konservativen nahestehenden Zeitung «El Mundo» wundert man sich, dass der Parteivorstand in Madrid die Stadtregierung in Jumilla nicht zur Ordnung gerufen hat. Derweil rückt der Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo vom PP immer mehr von seinem langjährigen Credo ab, mit Vox nicht zusammenzuarbeiten. Denn die Rechtspopulisten sitzen den Konservativen immer mehr im Nacken. Schon auf dem letzten Parteitag vor der Sommerpause sagte Feijóo, er werde bei den nächsten Wahlen mit Vox koalieren, falls er damit eine absolute Mehrheit erreichen könne. «Wir schulden diesen Wählern unseren Respekt», so Feijóo.
In Jumilla gibt man sich derweil gelassen. «Ich habe den 72 Nationalitäten, die hier leben, überhaupt nichts verboten», so die Bürgermeisterin. «Die Muslime können bei uns beten, so viel sie wollen.»
DEUTSCHLAND – WAHLUMFRAGEN
«Wir wurden null Komma null eingebunden»: Merz ändert das Vorgehen gegen Israel – und bringt seine Partei gegen sich auf – Johannes C. Bockenheimer, Berlin, NZZ, 9.8.2025
Deutschlands Bundeskanzler stoppt den Export von Waffen, die im Gazastreifen eingesetzt werden könnten. In der Union sorgt der Kurswechsel für heftige Kritik.
Die Stimmung ist frostig an diesem Samstagmorgen. CDU-Bundestagsabgeordnete sprechen über ihren Kanzler – und finden kaum ein gutes Wort. Von Enttäuschung ist die Rede, von Frust, einer spricht gar von Fassungslosigkeit. Grund für den Unmut ist die Entscheidung von Friedrich Merz, Israel keine Rüstungsgüter mehr zu liefern, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen könnten.
Die Ankündigung kam am Tag zuvor. Am Mittag verschickte das Bundespresseamt eine Erklärung des Kanzlers. Darin heisst es, Israel habe zwar das Recht, sich gegen den Terror der Hamas zu verteidigen – und auch die Entwaffnung der islamistischen Miliz sei unerlässlich. Doch das verschärfte Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen lasse aus Sicht der Bundesregierung immer weniger erkennen, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Deshalb werde Deutschland vorerst keine Rüstungsexporte mehr genehmigen.
Mit der Führungsspitze seiner eigenen Partei hatte Merz diesen Kurswechsel nicht abgesprochen. Der Bundesvorstand der CDU sei «null Komma null» konsultiert worden, klagt ein Mitglied des Gremiums. Auch die Fraktionsführung im Bundestag wusste von nichts – ebenso wenig wie die bayerische Schwesterpartei CSU. Stattdessen soll Merz die Entscheidung nur mit seinem Vizekanzler Lars Klingbeil, dem SPD-Chef, abgestimmt haben.
Parteispitze und CSU aussen vor
Entsprechend heftig reagiert die Partei nun. «Israel macht ab heute die Drecksarbeit für uns – nur ohne deutsche Waffen», ätzte der JU-Chef Johannes Winkel auf X. Er bezog sich dabei auf Merz’ Aussage vom Juni, Israel erledige derzeit «die Drecksarbeit» für den Westen.
Der Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter sprach seinerseits in der «Jüdischen Allgemeinen» von einem «schweren politischen und strategischen Fehler». Die Regierung habe sich «einem antisemitischen Mob» gebeugt, sagte er.
Der CSU-Aussenpolitiker Stephan Mayer wiederum mahnte in der «Bild»-Zeitung, es sei unerträglich, dass deutsche Staatsbürger weiter von der Hamas als Geiseln gehalten und in Propagandavideos erniedrigt würden; in dieser Lage sei es Pflicht, «unmissverständlich an der Seite Israels zu stehen». Der CDU-Abgeordnete und Rechtsexperte Carsten Müller schliesslich verurteilte den Schritt «aufs Schärfste» – und warnte vor den Folgen für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Israel, Bundeswehr und Nato.
Widerspruch zu früheren Aussagen
Für Unverständnis sorgt die Ankündigung auch, weil Merz als Oppositionsführer noch im Januar ganz anders klang. Er versprach: «Ich werde das faktische Exportembargo der amtierenden Bundesregierung umgehend beenden.» Weiter kündigte er an, Israel werde bekommen, was das Land zur Ausübung seines Selbstverteidigungsrechts benötige. Es müsse «wieder unmissverständlich klarwerden: Deutschland steht nicht zwischen den Stühlen, sondern fest an der Seite Israels». Daran werde es künftig «keinerlei Zweifel mehr geben».
Jetzt also die Kehrtwende – und mit ihr die Irritation in den eigenen Reihen. Parteifreunde rätseln, was Merz dazu bewogen haben könnte. Er habe sich vom SPD-Chef Klingbeil unter Druck setzen lassen, vermutet ein Fraktionsmitglied. Nach dem Koalitionskrach um die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf, die die Union als Verfassungsrichterin ablehnte, habe er der SPD an anderer Stelle entgegenkommen wollen.
Aber so gehe das nicht, sagt der Abgeordnete. Die CDU könne nicht den von Angela Merkel geprägten Grundsatz der deutschen Staatsräson – die Sicherheit Israels als Teil eigener Staatsinteressen – einfach über Bord werfen, nur um einen innenpolitischen Konflikt zu befrieden.
Rückfall in Merkels Führungsstil
Während Merz beim Umgang mit Israel mit Merkels Tradition bricht, greift er an anderer Stelle ausgerechnet eine Gepflogenheit auf, die unter ihr höchst umstritten war: Diskussionen über den Kurs der Partei fanden während der Merkel-Jahre praktisch nicht mehr statt, Entscheidungen kamen von oben.
Merz war einst angetreten, um genau das zu ändern – unter seiner Führung sollte wieder debattiert, gestritten und gezankt werden. Setze er diesen Stil fort, mahnt ein Fraktionsmitglied, müsse er sich ernsthaft Sorgen machen, ob seine Regierung das Ende der Legislaturperiode erlebt.
Auch aus Jerusalem kam scharfe Kritik. Israels Premier Benjamin Netanyahu warf Deutschland vor, mit dem teilweisen Stopp des Waffenexports die Hamas zu belohnen. Seine Enttäuschung habe er Merz persönlich mitgeteilt, erklärte sein Büro. Deutschland unterstütze durch das Embargo «den Terrorismus der Hamas» – verübt von jener Terrororganisation, die den schlimmsten Angriff auf Juden seit dem Holocaust zu verantworten habe.
Und Merz? Verschwand nach seiner Ankündigung von der Bildfläche. Statt sich öffentlich zu erklären oder die Fraktion zumindest im Nachhinein über seinen Kurswechsel zu informieren, delegierte er diese Aufgabe an andere.
Günter Sautter, sein sicherheitspolitischer Berater, soll den Aussenpolitikern der Fraktion am Sonntag in einer kleinen, vertraulichen Videoschalte die Motive ihres Chefs erklären. Mitarbeiter unerwünscht, Öffentlichkeit ohnehin.
KOMMENTARE – ANALYSEN – HINTERGRÜNDE
KOMMENTAR – Merz opfert die deutsche Staatsräson – ein fataler Fehler – Beatrice Achterberg, NZZ, 8.8.2025
Der deutsche Bundeskanzler vollzieht unter dem Druck der SPD eine Kehrtwende in der Haltung zu Israel und will die deutschen Waffenlieferungen einschränken. Damit erinnert er mehr an seine Rivalin Angela Merkel, als ihm lieb sein kann.
Im vergangenen Oktober war Friedrich Merz noch glasklar. An den damaligen deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz gerichtet, stellte er die bissige Frage: «Was sind Ihre Solidaritätsbekundungen eigentlich wert, wenn die Bundesregierung die notwendige Zustimmung für Waffenlieferungen nach Israel verweigert?»
Diese Frage muss sich Merz nun selbst gefallen lassen. Schliesslich vollzog der deutsche Kanzler am Freitag eine folgenschwere Kehrtwende. In einer Presseerklärung heisst es, die deutsche Regierung werde «bis auf weiteres» keine Ausfuhr von Rüstungsgütern genehmigen, die im Gazastreifen zum Einsatz kommen könnten. Vorher hatte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu erklärt, den Gazastreifen vollständig besetzen zu wollen.
Zwar betont Merz, dass die «Entwaffnung der Hamas» «unerlässlich» sei und die Terrormiliz künftig in Gaza keine Rolle spielen dürfe. Verweigerte Waffenlieferungen dürften beim Ziel, die Hamas zu entwaffnen, allerdings nicht helfen. Auch ein Verweis auf die verbleibenden Geiseln, darunter solche mit deutscher Staatsbürgerschaft, fehlt.
Das Schreiben könnte sich aus zwei Gründen als ein fataler Fehler erweisen. Der eine ist aussenpolitisch: Dieser Vertrauensbruch dürfte das deutsch-israelische Verhältnis auf lange Zeit beschädigen. All die Beteuerungen, dass die Bundesregierung fest an der Seite Israels stehe, wirken plötzlich hohl.
COMMENT: Es gibt noch einen dritten Aspekt. Die Abkehr von der „Staatsräson“ bestärkt Antisemiten und auch die AfD. Wenn selbst die Verfechter der proisraelischen Grundhaltung sich, wenn auch nur teilweise, von Israel abwenden, dann zeige das, dass Juden als mies in jeder Hinsicht erkannt worden seien. Fatal.
Etwas anderes: Merz entpuppt sich zunehmend als Wendehals – mit Blick auf die Öffentlichkeit und den auf seine SPÖ-Kollegen in der Regierung. Ebenfalls fatal. Wann kommt es zum Bruch dieser deutschen Regierung?
Bekenntnis zu Israel ist Markenkern der Union
Der zweite Aspekt ist innenpolitischer Natur. Merz hat das Vorgehen weder mit der Bundestagsfraktion von CDU und CSU noch mit der bayrischen Schwesterpartei CSU abgesprochen, dafür aber mit seinem Vizekanzler, dem SPD-Finanzminister Lars Klingbeil – ein Affront gegenüber der eigenen Partei und Fraktion. Merz, der noch im Wahlkampf behauptete: «Links ist vorbei», ist unter dem Druck seines linken Koalitionspartners eingeknickt.
Das klare Bekenntnis zu Israel und seinem Recht auf Selbstverteidigung ist Markenkern von CDU und CSU. Es ohne Vorwarnung und ohne Präsidiumsbeschluss über Bord zu werfen, sorgt in den eigenen Reihen verständlicherweise für erhebliches Entsetzen.
So macht der Chef der Parteijugend von CDU und CSU, Johannes Winkel, aus seiner Enttäuschung über die Entscheidung des CDU-Parteichefs kein Hehl: «Israel macht ab heute die Drecksarbeit für uns, nur ohne deutsche Waffen.» Mit dem Begriff «Drecksarbeit» hatte sich Merz nach dem Angriff auf iranische Atomanlagen unmissverständlich an Israels Seite gestellt.
Merz erinnert ungut an Merkel
Wie aus CDU-Kreisen zu hören ist, wird dort gemutmasst, dass Merz sich im Zuge des Eklats um die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf auf einen Kuhhandel mit Klingbeil eingelassen habe. Brosius-Gersdorf hatte am Donnerstag ihre Kandidatur fürs Bundesverfassungsgericht zurückgezogen. Schon länger drängen SPD-Politiker auf einen Stopp der Waffenlieferungen nach Israel. Sollte sich das bewahrheiten, hätte Merz sich zum Büttel einer Partei gemacht, die in einigen gegenwärtigen Umfragen gerade noch 13 Prozent erreicht.
So oder so: In der Fraktion kocht die Stimmung hoch, und das zu Recht. Denn mit seinem Vorgehen erinnert Merz an seine einstige Rivalin Angela Merkel. In ihrer späten Kanzlerschaft war sie bekannt dafür, sich lieber nach Umfragen und dem sozialdemokratischen Koalitionspartner zu richten als nach ihrer Partei – ein Verhalten, das ihr bis heute vorgeworfen wird, da es konservative Werte auf dem Altar des Machterhalts geopfert hat.
COMMENT: Sommer 2015: die Abschiebung eines syrischen Mädchens aus einem Asyllager ist beschlossen. Merkel besucht das Lager. Das Mädchen bittet, sie nicht zurückzuschicken. Merkel bedauert, das ginge nicht, das sei rechtmäßig beschlossene Sache. I den Sozialen Netzwerken erhebt sich ein Shitstorm: herzlos sei die Kanzlerin, unmenschlich. Am 15.9.2015 kommt die Wende: „Wir schaffen das“ öffnet den syrischen Flüchtlingen Tür und Tor. Nun ist es kein Shitstorm, der aufbraust, sondern eine Hilfswelle, die Deutschland und Österreich, wo hindurch die Flüchtlinge per Sonderzug von Ungarn nach Deutschland fahren, durchbebt.
Die kritischen Stimmen aus CDU und CSU, die dem Kanzler offen widersprechen, dürften sich in den nächsten Tagen mehren. Dann wird Merz entscheiden müssen, ob er seine 180-Grad-Wende rückgängig macht – oder den offenen Bruch mit Teilen seiner eigenen Partei riskiert.
ANALYSE – Die Analyse-Software Palantir ist in Deutschland heftig umstritten. Warum das so ist und wie sie funktioniert – Philipp Wolf, NZZ, 7.8.2025
Während der Bundesinnenminister den bundesweiten Einsatz der Polizei-Software prüft, fordern Kritiker, auf Alternativen zu setzen. Doch diese müssen erst noch entwickelt werden.
Europa muss technologisch wieder unabhängiger werden – das fordern Politiker verschiedener Couleur seit Donald Trumps zweiter Amtszeit. In Deutschland liegt der Fokus der Debatte dieser Tage auf der amerikanischen Software-Firma Palantir. Die Software verletze Grundrechte im Bereich Datenschutz, monieren Kritiker. Und Deutschland müsse eigene Software-Alternativen entwickeln.
Derweil überlegt sich Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) den bundesweiten Einsatz der Palantir-Software zur Datenanalyse. Und Ermittlerinnen und Ermittler sehen sie längst als Game-Changer ohne Alternative, wenn es darum geht, rasch grosse Datenmengen zu verarbeiten.
Doch was hat es mit der vieldiskutierten Software auf sich? Und warum ist sie so umstritten?
Für die Strafverfolgungsbehörden bietet die Software von Palantir einen grossen Vorteil: Sie bringt Daten aus verschiedenen Quellen und Formaten zusammen, analysiert diese und stellt Zusammenhänge her.
Auf Anfrage sagt Palantir, seine Software stütze sich auf bereits vorhandene Informationen innerhalb der Polizei. Neue Daten sammle das Tool keine. Aus Sicht des Unternehmens hilft die Software den Polizeien dabei, immer grössere Datenmengen innert nützlicher Frist zu verarbeiten und so die Lücke zu kriminellen Akteuren zu schliessen.
Bis jetzt setzen die Behörden von Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen Versionen der Palantir-Software ein. In Baden-Württemberg ist die Einführung geplant.
Kriminalkommissar Tobias Lichtlein vom Bayerischen Landeskriminalamt sagt, die Software solle Informationsdefizite verkleinern und das tun, was früher manuell habe gemacht werden müssen: verschiedene Quellen zusammenführen. Gemäss Lichtlein liegt die Hauptaufgabe der Software in Bayern darin, die Daten aus sechs verschiedenen Quellen zu verknüpfen. Früher habe es je nach Ereignis zwei bis drei Tage gedauert, um Daten zu analysieren und daraus Schlüsse zu ziehen. Heute sei dies in wenigen Minuten möglich.
In Bayern begrenzt sich der Einsatz der Software auf die verschiedenen Kriminalpolizeien. Palantir und das Bayerische Landeskriminalamt betonen auf Anfrage der NZZ, dass Beamte, die mit der Software arbeiteten, nur Daten sähen, die für ihre Arbeit freigegeben seien.
Geht es nach den Behörden, die die Palantir-Software nutzen, zahlt sich die schnelle Datenanalyse immer wieder aus. So verweist etwa das Hessische Ministerium des Innern, für Sicherheit und Heimatschutz bei einer Ermittlung gegen Reichsbürger explizit auf die Rolle der Software.
Massenhafte Auswertung von Daten wird kritisiert
Wenn Palantir und Polizeibehörden die Software beschreiben, hört es sich an wie bei einem Wundermittel ohne Nebenwirkungen. Das Tool werde nur unter klar definierten Umständen genutzt, und der Zugriff sei streng begrenzt.
Doch ausserhalb Palantirs und der Behörden klingt das anders. Die Kritiker der Software sind zahlreich. Personen, die die Sachlage derweil unvoreingenommen einschätzen, sucht man allerdings vergebens. Ebenso wie transparente Angaben dazu, wie oft und wofür die Polizeibehörden die Palantir-Software verwenden. Als Reporter der «Süddeutschen Zeitung», des NDR und des WDR kürzlich Einblick in einen Teil der Daten erhielten, kamen sie zu dem Schluss: Bei den Anfragen in Bayern gehe es oft um niederschwellige Straftaten, «etwa im Eigentumsbereich».
Die Software werde oft bei Ereignissen genutzt, die ausserhalb der eigentlichen Anwendungsbereiche wie Staatsschutz oder Terrorismusbekämpfung lägen, sagt auch Manuel Atug. Er ist IT-Sicherheits-Experte, berät die Bundesregierung, den Bundestag und zahlreiche Landtage.
Atug verweist auf einen weiteren Kritikpunkt zu der Software: Sie fördere Dinge zutage, die sie nicht zutage fördern dürfte. Er spricht von «Rasterfahndung» und meint damit: Bei Suchanfragen innerhalb der Palantir-Software werden die Daten von zahlreichen Menschen in die Analysen mit einbezogen, die gar nicht Gegenstand der Ermittlungen sein dürften. Immer wieder würden Daten zu Personen ausgewertet, die in keinem Zusammenhang mit einer Straftat oder den Ermittlungen stünden.
Vor wenigen Tagen hat nun der Verein Gesellschaft für Freiheitsrechte eine Verfassungsbeschwerde erhoben. 2021 hatte das deutsche Bundesverfassungsgericht in einem Urteil Regeln für den Einsatz von Analyse-Software wie jener von Palantir festgelegt. Der Verein sagt, Palantir halte die Regeln nicht ein. Die massenhafte Datenauswertung verletze Grundrechte wie jenes, über die eigenen Daten bestimmen zu dürfen.
Palantir widerspricht und sagt, Kritiker erbrächten keine Belege für ihre Behauptungen. Die Datenverarbeitung innerhalb seiner Software finde stets unter Einhaltung der geltenden Datenschutzgesetze statt. Die Software lasse sich problemlos konfigurieren und an die lokalen Polizeigesetze anpassen.
Für den Bundesinnenminister ist Palantir alternativlos
Nun berichten deutsche Medien übereinstimmend, Bundesinnenminister Dobrindt prüfe, die Palantir-Software bundesweit einzusetzen. Die Bayerische Polizei entschied sich einst im Rahmen eines europaweiten Vergabeverfahrens für Palantir, weil es keine Alternative gab. Gemäss einem Sprecher des Innenministeriums ist dies noch immer der Fall: Nur Palantir erfülle die Ansprüche des Innenministeriums.
Politiker der Grünen und der SPD, aber auch andere Stimmen kritisieren die Überlegungen, Palantir bundesweit einzusetzen. Und zahlreiche Kritiker würden die Software am liebsten ganz aus Deutschland verbannen. Einer der Gründe ist die Nähe Palantirs zu den amerikanischen Geheimdiensten seit der Firmengründung 2003. Ein Risikokapitalfonds der CIA war damals einer von Palantirs ersten Investoren, er steuerte 2 Millionen Dollar bei.
Ein weiterer Kritikpunkt am Unternehmen: der Gründer Peter Thiel. Der Tech-Investor äussert sich immer wieder demokratiekritisch und ist ein entschiedener Unterstützer von US-Präsident Trump. Wer tatsächlich technologisch von den USA unabhängiger werden wolle, könne nicht Software von einem Trump-Vertrauten kaufen, lautet die Kritik.
Was dabei oft vergessengeht: Thiel ist seit der Gründung des Unternehmens 2003 Chairman, das operative Geschäft wird aber vom Mitgründer Alex Karp geleitet. Und dieser ist ein Unterstützer der Demokraten. Im vergangenen US-Präsidentschaftswahlkampf spendete Karp zunächst für Joe Bidens Kampagne. Danach unterstützte er Kamala Harris.
Die deutsche Palantir-Alternative verzögert sich
Die Polizeibehörden, die die Palantir-Software bereits nutzen, sehen die Sache gänzlich anders als die Kritiker. Für die Ermittlerinnen und Ermittler ist das Tool ebenso alternativlos wie für den Bundesinnenminister. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt sagte etwa in einer Stellungnahme, es sei zwar bedauerlich, dass Europa die vergangenen Jahre nicht genutzt habe, um heimische Produkte dieser Leistungsstärke zu entwickeln. Aber die USA seien ein verlässlicher Partner.
Palantir sei zwar nicht alternativlos, sagt der IT-Sicherheits-Experte Atug. Aber Palantir habe im Vergleich zur Konkurrenz zwanzig Jahre mehr Erfahrung. Zeit, in der das Unternehmen das Zusammenführen sowie Verknüpfen unterschiedlichster Daten perfektionieren und sich am Markt etablieren konnte.
Doch Atug fände es ohnehin falsch, ein europäisches Produkt zu entwickeln, das genauso funktioniert wie jenes von Palantir. Es brauche eine Anwendung, die verfassungskonform und transparent sei und die nur auf Daten zugreife, auf die Ermittler rechtmässig zugreifen dürfen.
Atug verweist auf die Initiative P20. Sie wurde 2016 vom Bund und von den Innenministern der Länder mit dem Ziel lanciert, eine gemeinsame und einheitliche Informationsarchitektur zu schaffen. Durch das Projekt sollten beispielsweise Polizeidaten so aufbereitet und gekennzeichnet werden, dass die Behörden diese nutzen können, ohne gegen Datenschutzvorschriften zu verstossen. Doch kommt P20 nur schleppend voran. Ursprünglich war geplant, das Projekt bis 2020 abzuschliessen. Mittlerweile ist von 2030 die Rede.
HINTERGRUND – Ein AfD-Politiker wollte in Ludwigshafen Bürgermeister werden. Doch er wurde von der Wahl ausgeschlossen –– Juristen haben Zweifel an dem Schritt – Anna Schiller, NZZ, 8.8.2025
Die AfD wurde in der Stadt am Rhein bei der Bundestagswahl stärkste Kraft. Ihr Kandidat für das Amt des Bürgermeisters rechnete sich daher gute Chancen aus – bis der Verfassungsschutz ein Dossier erstellte.
Die Stadt Ludwigshafen kann man aus der Ferne deutlich erkennen. Aus den grossen Schornsteinen im Industriegebiet quellen Tag und Nacht weisse Wolken. Sie gehören zum Chemiekonzern BASF und bescherten der Stadt und ihren Einwohnern lange ein gutes Einkommen. Ludwigshafen war eine stolze Arbeiterstadt – und eine Hochburg der Sozialdemokraten.
Doch schon seit geraumer Zeit ist die Stimmung eine andere. Die Stadt am Rhein ist hoch verschuldet. BASF baut Stellen ab. Und die Menschen in der einstigen Arbeiterstadt wählen nicht mehr selbstverständlich die SPD.
Bei der Bundestagswahl in diesem Jahr wurde die AfD in der Stadt erstmals stärkste Kraft. Sie holte 24,3 Prozent. Knapp vor der CDU mit 24,1 Prozent. Die SPD lag nur noch auf dem dritten Platz mit 20,1 Prozent.
Wahlausschuss zweifelt an Pauls Verfassungstreue
Für die im September anstehende Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen rechnete sich die AfD deshalb gute Chancen aus. Sie stellte den 55 Jahre alten Lehrer Joachim Paul als Kandidaten auf. Er sitzt seit 2016 für die AfD im rheinland-pfälzischen Landtag.
Doch vor einigen Tagen schloss der Wahlausschuss der Stadt den AfD-Kandidaten von der Wahl aus. Man begründete diesen ungewöhnlichen Schritt mit Zweifeln an Pauls Verfassungstreue.
Wie inzwischen bekannt wurde, hatte sich die derzeit noch amtierende Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck zuvor an die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in Trier sowie an das rheinland-pfälzische Innenministerium gewandt. Sie bat die Behörden um eine Einschätzung zu Paul.
Paul soll der rechtsextremen Szene nahestehen
Als Oberbürgermeisterin ist Steinruck auch Wahlleiterin. Sie sei gesetzlich dazu verpflichtet, die Aufsichtsbehörden zu informieren, wenn Anhaltspunkte vorlägen, begründete sie den Schritt gegenüber dem Südwestrundfunk. Steinruck war lange SPD-Mitglied, trat 2023 jedoch aus der Partei aus und ist seither parteilos. Sie selbst tritt bei der Wahl im September nicht mehr an.
Der Landesverfassungsschutz, der dem Innenministerium unterstellt ist, lieferte Steinruck Ende Juli ein Dossier zu Paul. Dieses soll sie in der Sitzung des Wahlausschusses am 5. August mit den anderen Mitgliedern geteilt haben. Das elfseitige Papier liegt der NZZ vor.
Der Verfassungsschutz attestiert Paul darin eine Nähe zur rechtsextremen Szene. So sollen in seinem Wahlkreisbüro etwa Veranstaltungen der Neuen Rechten stattgefunden haben. Unter anderen trat dort der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner auf. Auch das «Compact-Magazin», dessen Verbot kürzlich vor Gericht gekippt wurde, soll an einer Veranstaltung beteiligt gewesen sein. Paul habe «keinerlei Berührungsängste» mit der Zeitschrift, heisst es in dem Papier.
Lob für Tolkien und Vorträge zur «Remigration»
Die Verfassungsschützer zitieren ausserdem aus mehreren Texten, die Paul für das österreichische «Freilich-Magazin» geschrieben hat, dem eine Nähe zur FPÖ nachgesagt wird. Im Januar 2023 befasste er sich darin etwa mit den Folgen der Migration aus islamisch geprägten Ländern. «Die Wahrheit ist: Die Gewalt in Berlin und anderswo hat ein Gesicht. Sie ist jung, sie ist männlich, sie ist orientalisch», schreibt der AfD-Politiker. Laut den Verfassungsschützern soll Paul damit sein Feindbild sehr klar definiert haben.
Zudem werden mehrere Texte aufgelistet, in denen sich Paul mit Literatur befasst. Er schwärmt darin etwa von der «konservativen Geisteshaltung» des Romanautors J. R. R. Tolkien. Paul kritisiert ausserdem die Landesregierung dafür, dass sie sich nicht dafür eingesetzt habe, dass eine Neuverfilmung der Nibelungensage in dem Bundesland gedreht werde. Der Film habe für ihn «eine grosse Bedeutung in Bezug auf nationalen Stolz», heisst es in dem Papier des Verfassungsschutzes.
Neben der publizistischen Tätigkeit befasst sich der Inlandgeheimdienst auch mit öffentlichen Auftritten des Politikers. So soll er im November 2023 bei einer Burschenschaft einen Vortrag zum Thema «Schicksalsfrage Einwanderung – Warum Remigration nötig und machbar ist» gehalten haben. «Joachim Paul stellte unter anderem die Probleme von Massenmigration dar und diskutierte im Anschluss mit dem Teilnehmerkreis über mögliche Handlungsperspektiven, um dieser entgegenzuwirken», schreibt der Verfassungsschutz über die Veranstaltung.
Paul sieht sich als Opfer des «Altparteien-Kartells»
Paul selbst bezeichnet die Gründe als hanebüchen. Er sieht sich als Opfer einer Kampagne. Ein «Altparteien-Kartell» habe gut orchestriert verhindert, dass er zur Wahl zugelassen werde, sagte er in einem Video auf X. Die anderen Parteien seien in erster Linie an Pfründen, an Macht und an Geld interessiert. Deswegen wolle man aussichtsreiche Kandidaten aus dem Rennen nehmen. Das «Sammelsurium» aus dem Innenministerium sei nur ein Pro-forma-Grund.
Paul will nun gegen die Entscheidung klagen. Die rechtlichen Hürden für einen Ausschluss von einer Wahl sind hoch, da sie einen starken Eingriff in das passive Wahlrecht einer Person darstellen. Eine mangelnde Verfassungstreue kann als Begründung herangezogen werden, sie muss jedoch gut substanziiert werden. In Rheinland-Pfalz wurde etwa 2012 ein Mitglied der NPD von einer Bürgermeisterwahl ausgeschlossen. Der Mann war allerdings zuvor wegen Volksverhetzung verurteilt worden.
Aus Sicht des Rechtswissenschafters Alexander Thiele von der Business and Law School in Berlin ist die Entscheidung im Falle Pauls verfassungsrechtlich «hochproblematisch». Man könne Pauls Äusserungen unappetitlich finden, das mache sie aber noch nicht verfassungsfeindlich, sagte er dem Magazin «Focus».
Anfang des Jahres war Paul bereits bei den Landratswahlen im Rhein-Pfalz-Kreis angetreten. Damals sah man noch keine Veranlassung, ihn von der Wahl auszuschliessen. Trotz Pauls Nähe zur rechten Szene hätten dem Wahlausschuss des Kreises «keine konkreten Informationen zu einer möglichen fehlenden Verfassungstreue» vorgelegen, teilte eine Sprecherin dem SWR mit.
ÖSTERREICH – WAHLUMFRAGEN – APA-WAHLTREND
Gut 21.000 neue Unternehmer im ersten Halbjahr – APA, 9.8.2025
Im ersten Halbjahr heuer haben sich 21.128 Menschen entschieden, Unternehmerin oder Unternehmer zu werden. Das ist laut Angaben der Wirtschaftskammer (WKÖ) ein Plus von 9,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Die Gründenden, denen es meist um Flexibilität, Selbstbestimmung und eigenen Gestaltungsspielraum geht, waren durchschnittlich knapp 37 Jahre alt und zu gut 45 Prozent weiblich.
Die Kammer sieht eine „Gründerwelle“, um diese aufrechtzuerhalten brauche es unter anderem steuerliche Entlastungen und einen Dachfonds zur Aktivierung privaten Kapitals. Für WKÖ-Chef Harald Mahrer zeigen die Zahlen, dass „wir nicht nur in einer Zeit großer Herausforderungen leben, sondern auch in einer Zeit großer Chancen.“
Ein Vergleich mit der als besonders unternehmensfreundlich geltenden Schweiz zeigt, dass dort im ersten Halbjahr tausende mehr Firmen gegründet worden. Mit 27.811 waren es um 2,6 Prozent mehr als im selben Zeitraum 2024, teilte das Institut für Jungunternehmen (IFJ) kürzlich mit.
COMMENT: Die Schweiz hat eine ungefähr genauso große Bevölkerung wie Österreich, das 9,178 Mio. Menschen zählt.
Video-Überwachung wird ausgebaut – APA, 10.8.2025
Video-Überwachung an potenziell von Kriminalität betroffenen Orten wird erleichtert. Das sieht ein neuer Erlass des Innenministeriums vor. Wie Ressortchef Gerhard Karner (ÖVP) im APA-Interview betonte, solle die Polizei zeitgemäße und moderne Befugnisse erhalten. Derzeit gibt es die Video-Überwachung in Österreich nur an 20 Orten, etwa in Wien am Reumannplatz und in Graz am Jakominiplatz. Künftig könnte sie an einer dreistelligen Zahl von Plätzen eingesetzt werden.
Aktuell sind die Möglichkeiten noch begrenzt. Video-Überwachung kann nur an öffentlichen Orten eingesetzt werden, an denen gefährliche Angriffe bereits stattgefunden haben. Der neue Erlass erweitert diese Option auf Orte, wo „auf Grund der sicherheitspolizeilichen Lageeinschätzung und einer Gefährdungsprognose Anhaltspunkte für zukünftige gefährliche Angriffe oder erkennbare kriminelle Strukturen gegeben sind“.
Diese Ausweitung entspricht, wie Karner betont, auch einem Wunsch der Städte und Gemeinden. Mit diesen werde die Exekutive im engen Austausch dann auch festlegen, wo zusätzlich Überwachung eingeführt werden kann. Derzeit gibt es in sieben Bundesländern Plätze mit Video-Überwachung, nur nicht in Vorarlberg und im Burgenland.
Die Speicherdauer der Aufnahmen wird bei 48 Stunden bleiben. Im Rahmen des polizeilichen Einsatzes erfolgt keine permanente „Mitschau“ an den Überwachungsörtlichkeiten. Hier wird nur zu bestimmten Zeiten, insbesondere bei Schwerpunktaktionen, eine „Live-Übertragung“ vorgenommen.
Dass trotz eines wenige davor eingeführten Messerverbots am Yppenplatz in Wien-Ottakring jüngst dort eine Stich-Attacke stattgefunden hat, lässt Karner nicht an der Maßnahme zweifeln. Wenn die Polizei sage, das Verbot erleichtere es, an solchen Orten robuster „reinzufahren“, sollte man der Exekutive auch die Möglichkeit dazu geben. Dass es trotzdem zu dem Vorfall gekommen ist, bewertete Karner so: „Wenn etwas verboten ist, heißt es leider noch lange nicht, dass es damit verhindert wurde.“
Grundsätzlich sieht der Innenminister eine Ausweitung des Verbots als Teil der Strategie gegen Jugendkriminalität, die man im Herbst voranbringen wolle. Dies sei auch im Regierungsprogramm so festgehalten. Zu den weiteren in dem Zusammenhang geplanten Vorhaben zählen „gefängnisähnliche Aufenthalte“ für Unter-14-Jährige, die eine kriminelle Karriere eingeschlagen haben.
Noch etwas dauern dürfte es mit der Verschärfung der Waffengesetze, die von der Regierung nach dem Amoklauf an einer Grazer Schule angekündigt worden war: „Ich habe durchaus Verständnis für manche Ungeduld in dem Bereich, vor allem in Graz.“ Doch bekomme man praktisch täglich Vorschläge von unterschiedlichen Organisationen und die sollten in die geplante Novelle auch einfließen.
Als „Leitlinien“ für die Verschärfung sollen jedenfalls jene Punkte, die bereits vom Ministerrat festgehalten wurden, dienen. Unter anderem soll ja das Mindestalter für den Erwerb besonders gefährlicher Waffen angehoben werden und der Datenabgleich zwischen den Behörden verbessert werden. Dass die SPÖ nun für eine rückwirkende Regelung plädiert, unterstützt Karner nicht. Er verweist auf den einstimmigen Beschluss im Ministerrat, der keinen entsprechenden Passus enthält. Auf die Frage, ob es noch im Sommer zu einer Verständigung kommen wird, meint er: „Ich bin sehr dafür, hier Qualität vor Geschwindigkeit gelten zu lassen. Die Experten arbeiten mit Hochdruck.“
Nichts wird es auf absehbare Zeit mit der Messenger-Überwachung auch bei „normalen“ Straftaten, wie sie Teile der Polizei wünschen: „Wir haben die Dinge umzusetzen, die im Regierungsprogramm vereinbart sind“, verweist er indirekt auf die ablehnende Haltung der Koalitionspartner in diesem Punkt. Dass die Gefährder-Überwachung überhaupt nach Jahren der Diskussion gelungen sei, kann man laut Minister auch als Meilenstein bezeichnen. Nun gehe es in die Umsetzung. Gestartet wird freilich erst 2027. Wann entschieden ist, welche Software zum Einsatz kommt, ließ der Innenminister offen.
Karner will dauerhaft kaum noch Familiennachzug – APA, 10.8.2025
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) will die Familienzusammenführung von Flüchtlingen dauerhaft auf einem niedrigen Level halten. Bis zu ein Jahr gibt es laut aktuellen Regelungen nur noch in Ausnahmefällen die Möglichkeit eines Nachzugs. Die daran anschließende Kontingentierung „könnte durchaus mit Null beginnen“, meinte er im APA-Interview. Jedenfalls werde man bei einer „sehr niedrigen Quote“ bleiben.
Das Aussetzen des Familiennachzugs verteidigte Karner. Er sei „zutiefst überzeugt“, dass diese Maßnahme zum starken Rückgang an Asylanträgen beigetragen habe. Andere europäische Länder wie Deutschland würden daher dem österreichischen Beispiel folgen.
Zuletzt hat das Innenministerium den Rückbau von Grenzeinrichtungen in Spielberg und Nickelsdorf begonnen. Dass man diese noch brauchen könnte, glaubt Karner eher nicht. Das Ziel sei, illegale Migration Richtung null zu bekommen. Daher werde man „eher abbauen können, als zusätzliche Kapazitäten zu brauchen“. Vorhalte-Kapazitäten habe man aber.
Karner verteidigte auch einmal mehr, dass man eine erste Abschiebung nach Syrien durchgeführt hat: „Wenn wir damit nur eine Straftat verhindert haben, war das schon richtig.“ Die Forderung einer UN-Unterorganisation, nach dem Verbleib des Mannes in Syrien zu forschen, lehnt der Innenminister ab: „Wir schieben im Jahr 13.000 Personen ab. Man kann nicht bei jeder Person nachsehen, wo sie sich aufhält.“
Der nächste Schritt dürften nun auch Abschiebungen in das von der radikalislamischen Taliban beherrschte Afghanistan sein: „Davon ist auszugehen, dass nach Afghanistan abgeschoben wird.“ Karner verwies diesbezüglich darauf, dass Deutschland ja schon den entsprechenden Schritt gesetzt hat.
Kritik äußert der Innenminister im Zusammenhang mit einem EuGH-Urteil Italien betreffend, das eine genauere Definierung sicherer Herkunftsstaaten vorschreibt. Karner sieht zwar Österreich nicht betroffen, jedoch europäischen Handlungsbedarf: „Der Spruch zeigt schon, dass Europa gefordert ist, in manchen Bereichen nachzuschärfen, wenn ich an die Europäische Menschenrechtskonvention denke.“ Er unterstütze daher die gemeinsame Initiative mehrerer Länder, den Gerichten eine klarere Handhabe zu geben für Entscheidungen, die Abschiebungen möglich machten.
Was Überlegungen angeht, in Österreich lebenden Ukrainern eine Rückkehr in ihre Heimat schmackhaft zu machen, nennt Karner eine entsprechende Initiative der Regierung in Kiew als Hintergrund. Nach Einschätzung der österreichischen Behörden wäre in etwa die Hälfte der Ukrainer in Österreich bereit, wieder heim zu kehren. Diese sollte man dabei auch unterstützen. Bei den übrigen habe man schon Erfolge erzielt, sie in den österreichischen Arbeitsmarkt zu integrieren. Entsprechende Bemühungen sollten fortgeführt werden.
Für internationale Verstimmung hatte zuletzt der Einsatz der Polizei bei einem Antifa-Camp am Peršmanhof in Kärnten gesorgt. Gefragt, ob die Exekutive überhaupt eine Ausbildung bezüglich solch historisch sensibler Orte habe, meinte der Innenminister, das sei selbstverständlich der Fall. Würde er jetzt sagen, der Einsatz sei perfekt gelaufen, würde er dafür ebenso zu Recht kritisiert, wie wenn er behaupten würde, es sei alles falsch gewesen. Daher habe er eben eine „multiprofessionelle“ Gruppe als Expertenkommission zur Evaluierung der Vorgänge eingesetzt, von der er sich bis Ende September erste Ergebnisse erhoffe. Zum ersten Mal getagt hat das Gremium am Freitag.
Koralmbahn als Chance: „Kärnten als Eldorado der Weiterbildung positionieren“ – Kleine Zeitung, 9.8.2025
Kärntner Hochschulen intensivieren Zusammenarbeit. Vor allem Angebote zur Weiterbildung und berufsbegleitende Studien seien mit der Koralmbahn eine Chance für Kärnten, meint FH-Rektor Peter Granig.
Weiterbildung als weiteres Standbein
Auch mit Weiterbildungsangeboten will die FH Kärnten punkten. Dazu gehören etwa Lehrgänge und Masterprogramme. Zuletzt stieg die Zahl der Teilnehmer von 1100 auf 1500, „in diesem Jahr peilen wir 1900 an“, sagt Granig. Neben der Bundes- und Landesfinanzierung sei die Weiterbildung eine bedeutende Finanzierungsschiene und somit eine große Chance für jede Kärntner Hochschule. „Es ist ein Wachstumsmarkt mit Zuwachsraten von 20 bis 30 Prozent jährlich. Wir wollen Kärnten als Eldorado der Weiterbildung positionieren“, sagt Granig. Dabei könne auch die vorhandene touristische Infrastruktur genutzt werden. Gleichzeitig räumt er ein, dass Graz für Kärntner Vollzeitstudierende mit der Koralmbahn noch attraktiver werde.
Einen Neustart erlebt in diesen Monaten die Kärntner Hochschulkonferenz, bestehend aus Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, FH Kärnten, Pädagogische Hochschule Kärnten und Gustav-Mahler-Privatuniversität. „Wir arbeiten ausgesprochen vertrauensvoll zusammen“, sagt Granig, derzeit laufe eine Portfolioanalyse durch zwei frühere Rektoren mit dem Ziel gemeinsamer Forschung und der Entwicklung gemeinsamer Studiengänge. Ein Bestreben eine die vier Bildungseinrichtungen: „Wir wollen den Kärntner Hochschulraum stärken.“ Parallel dazu stimme man sich mit den steirischen Hochschulen ab, das nächste Mal Mitte September bei einer gemeinsamen Sitzung in Kärnten.
„Wollen 4000 bis 5000 Studierende“
Die FH Kärnten hatte zuletzt im Wintersemester 3437 prüfungsaktive Studierende, ein Plus von zehn Prozent. „Wir wollen uns auf eine Zahl zwischen 4000 und 5000 einpendeln“, so Granig. „Damit sind wir eine mittelgroße Hochschule mit kritischer Größe.“ Neben Studierenden in Vollzeit- und berufsbegleitenden Programmen sowie im Bereich Weiterbildung sind internationale Studierende ein Wachstumsfeld. Ihr Anteil liegt derzeit bei 16 Prozent, Granig will 20 bis 25 Prozent erreichen. Vor allem die „European University“ – die FH Kärnten ist Teil eines europäischen Verbundes von Hochschulen – soll dabei helfen.
„Müssen ein Containerdorf errichten“
Überdurchschnittliches Wachstum verzeichnet die FH bei Wirtschaftsstudien und der Gesundheitsbereich. Doch gerade im Gesundheitsbereich bleibe man weit hinter den Möglichkeiten, meint Granig. Der Bau des vom Land angekündigten Gesundheitscampus in der St. Veiter Straße in Klagenfurt – unmittelbar anschließend an das Klinikum – verzögert sich weiter. Mit bereits mehr als 1100 Studierenden platze man aber „aus allen Nähten – und es geht nichts weiter“. 2023 kündigte die Landesregierung die Fertigstellung für das Jahr 2027 an, der Baustart hätte längst erfolgen sollen. Ursprünglich waren 50 Millionen Euro veranschlagt, Granig spricht bereits von einem 75-Millionen-Euro-Projekt. „Wenn nicht gebaut wird, müssen wir ein Containerdorf errichten“, warnt er.
Neue Betreiber für Bräunerhof gefunden – ORF, 9.8.2025
Nach der vor kurzem bekannt gewordenen Insolvenz des traditionsreichen Cafe Bräunerhof in der Innenstadt steht das Lokal jetzt vor einer Neuübernahme. Mario Plachutta und Peter Friese, dem unter anderem das Schwarze Kameel gehört, haben den Zuschlag erhalten.
Das 14-köpfige Personal soll behalten werden, berichtete „Der Standard“ (Samstag-Ausgabe). Friese führt in der Innenstadt nicht nur das Schwarze Kameel, sondern auch die Campari-Bar gleich um die Ecke. Mario sowie auch Christoph Plachutta stehen hinter den bekannten Tafelspitz-Restaurants, dem Gasthaus zur Oper, Plachuttas Neuer Markt, Marios und dem Grünspan in Ottakring. Am Montag soll der Einstieg der beiden Gastro-Größen im Bräunerhof bekanntgegeben werden.
Laut „Standard“-Informationen wollen Friese und Plachutta den Charme des denkmalgeschützten Kaffeehauses bewahren. Dem Vernehmen nach zahlen die neuen Pächter „mehr als 700.000 und weniger als eine Million Euro“.
Stammlokal von Bernhard, Werner, Qualtinger
Das Cafe Bräunerhof stand nach einer Insolvenz kurz vor dem Aus. Berühmt wurde es auch als Stammlokal großer Namen: Literat Thomas Bernhard saß hier täglich, Oskar Werner und Helmut Qualtinger gehörten ebenso zur Stammkundschaft. In den vergangenen Jahren jedoch ging es bergab.
Mitte Juli wurde über die bisherige Eigentümerin des Lokals in der Stallburggasse ein Insolvenzverfahren eröffnet. Laut Berichten der Tageszeitung „Der Standard“ waren ausstehende Mietzahlungen über drei Monate sowie eine ungeordnete Buchhaltung ausschlaggebend für die Zahlungsunfähigkeit gewesen.
Mehrere Interessenten
Nach Angaben aus Branchenkreisen gab es mehrere Interessentinnen und Interessenten für eine mögliche Übernahme. Unter anderem prüfte Wolfgang Binder, Obmann der Wiener Kaffeehäuser und Betreiber des Cafe Frauenhuber, eine Übernahme, zog sich jedoch aufgrund des angesetzten Verkaufspreises wieder zurück. Auch die Familien Querfeld und Diglas, die beide mehrere Gastronomiebetriebe in Wien führen, sollen Interesse bekundet haben. Nicht zum Zug gekommen sein soll auch Daniel Jelitzka, der das Cafe Prückel unlängst übernommen hat.
Das Cafe Bräunerhof ist eines von rund 2.000 Cafes in Wien. Etwa 300 davon gelten als klassische Kaffeehäuser, der Großteil davon wird familiengeführt. Neben dem Café Bräunerhof suchen auch andere Wiener Traditionsbetriebe derzeit nach Nachfolgerinnen und Nachfolgern. In der Online-Nachfolgebörse der Wirtschaftskammer können Gastronominnen und Gastronomen ihre Betriebe zur Übergabe ausschreiben.
red, wien.ORF.at
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KOMMENTARE – ANALYSEN – HINTERGRÜNDE
KOMMENTAR – Partisanen und Slowenen als Reibeböcke: Neues und Geschichtliches zum Polizeieinsatz auf dem Peršmanhof – Gerhard Stöger, Falter, 8.8.2025 (nicht verlinkbar)
Vor dem Kärntner Landesmuseum steht derzeit eine Gedenktafel. In Großbuchstaben prangt darauf folgender Satz: „Zum Gedenken an die während und nach dem Zweiten Weltkrieg verschleppten und ermordeten Kinder, Frauen und Männer. Wir wollen nicht vergessen damit Gleiches nie wieder geschieht.“ Klingt nachvollziehbar, enthält aber eine Irritation – neben „Zweiten Weltkrieg“ klafft eine markante Lücke.“
Tatsächlich hat das Künstlerduo zweintopf für dieses spezielle Werk zwei Worte herausgeschnitten. Seine Arbeit vor dem kärnten.museum Klagenfurt, wie das Landesmuseum heute offiziell heißt, ist die Reproduktion einer Gedenktafel auf dem Klagenfurter Domplatz. „Von Partisanen“ lauten die fehlenden Worte, die das Original zieren. Diese ebenso schlichte wie eindrucksvolle künstlerische Intervention gehört zur Ausstellung „Hinschauen! Poglejmo.“, die noch bis 26. Oktober zur Beschäftigung mit der jüngeren Zeitgeschichte des südlichsten Bundeslandes einlädt.
Sie fragt nach dem Kärntner Umgang mit der NS-Geschichte, thematisiert auch die unrühmliche Rolle, die das Landesmuseum selbst dabei spielte, und zeigt, welche besonderen Qualitäten Kärnten einst in der österreichischen Disziplin des Unter-den-Teppich-Kehrens entwickelt hat. Stichwort: Der Nazi von gestern als ehrenwerter Bürger von heute. Ansprechend gestaltet, ist die Informationsdichte hoch und das Material bedrückend; eine Publikation, die all das aufbereitet, soll 2026 folgen.
Peter Pirker, Historiker, Publizist, Kurator der Ausstellung und selbst in Kärnten aufgewachsen, beginnt seine Führung durch die Schau bei der neu gestalteten Gedenktafel und erklärt die Problematik der Originalinschrift. Tatsächlich haben die angesprochenen Partisanen 1945 unmittelbar nach Kriegsende 96 Personen „verschleppt und ermordet“, Kinder waren allerdings keine darunter. Diese Menschen wurden „Opfer außergerichtlicher Tötungen“, wie es im Historikerdeutsch heißt, es handelte sich also tatsächlich um ein Verbrechen.
Ein Verbrechen aber, das im Kontext jahrelanger Verfolgung durch das NS-Regime zu sehen ist, und hier wird es interessant: Die nicht zuletzt von Kärntner Slowenen:innen getragenen Partisanen-Einheiten leisteten einen bedeutenden Beitrag im Widerstand gegen das Nazi-Regime – von dessen Gewalt unter anderem eben auch Kärntner Slowenen:innen massiv betroffen waren.
Der Kampf der Partisanen (und nicht zuletzt auch Partisaninnen) war ein gewichtiger Beitrag im Widerstand gegen die Nazi-Diktatur. Unmittelbar nach Kriegsende diente dieser Kampf dem offiziellen Österreich auch als Beleg dafür, dass man im Land aktiv zur eigenen Befreiung beigetragen habe – genau das hatten die Alliierten 1943 nämlich in der Moskauer Deklaration gefordert.
Wer nun aber nach prominenten Partisanen-Denkmälern der öffentlichen Hand in Kärnten sucht, die diesen Beitrag würdigen, sucht lange. Stattdessen hält sich dort vielfach auch 80 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft noch jenes Narrativ, wonach Partisanen in erster Linie eine Bedrohung waren, Mörder, Verschlepper und Feinde. Das so prominent auf dem Klagenfurter Domplatz platzierte Denkmal ist dafür ein augenscheinliches Beispiel.
Wer, wie ich, im Kärnten der 1980er aufgewachsen ist, hat diese verfälschte Darstellung der Geschichte in jungen Jahren ebenso eingeimpft bekommen wie die „Urangst“, wonach „der Slowene“ stets eine Bedrohung für die Landesgrenzen darstelle und „den Kärntner Slowenen“ daher mit größter Skepsis zu begegnen sei.
Mit den eigentlich im Staatsvertrag geregelten Minderheitenrechten nahm es Kärnten nie so genau, umso größer war dafür der Assimilierungsdruck.
Die Frau meines besten Jugendfreundes ist etwa Tochter Kärntner Slowenen, hat selbst aber nie Slowenisch gelernt. Ihre Eltern haben sie einsprachig erzogen, um ihr das Manko zu ersparen, als „Slowenin“ zur Kärntnerin zweiter Klasse zu werden. Einzelfall ist das keiner, wie die historische Entwicklung über die Verbreitung des Slowenischen als Alltagssprache in Kärnten zeigt.
Peršmanhof und Antifa
Ein wichtiges Partisan:innendenkmal steht, versteckt in der Unterkärntner Einschicht, auf dem Peršmanhof in Bad Eisenkappel; überhaupt ist der Peršmanhof als Gedenkstätte ein zentraler Erinnerungsort. Dass just dort ein antifaschistisches Bildungscamp am 27. Juli für einen verstörenden Polizeieinsatz sorgte, ist zurecht seit zwei Wochen Thema, entscheidende Fragen dazu sind nach wie vor offen: Wer hat da wann warum was angeordnet? Wer trägt die Verantwortung? Welche Konsequenzen wird es geben?
Peter Pirker, der Ausstellungskurator, war nach dem Polizeieinsatz auf dem Peršmanhof, um einen Vortrag zu halten. Er traf dort engagierte junge Menschen, verängstigt und verstört vom Geschehen; einige von ihnen kannte er als Student:innen, die seine Lehrveranstaltungen besuchten.
Man muss kein linksradikaler Hardliner sein, um hinter dem Polizeieinsatz eher einen ideologisch motivierten Überfall als eine routinemäßige Amtshandlung zu vermuten. Und doch meinte auch ein juristisch kundiger Teilnehmer der Führung durch die Ausstellung „Hinschauen! Poglejmo.“ bei meinem Besuch, dass der Verfassungsschutz „natürlich aufmerksam sein müsse“, wenn „die Antifa“ im Spiel sei, wäre diese doch „für ihre Gewalttätigkeit bekannt“.
COMMENT: Die Bemerkung des juristisch kundigen Teilnehmers, so sie denn so geäußert wurde, ist verkürzt und trifft nur einen Teilaspekt. Aus eigener und eingehender Erfahrung mit den jungen Damen und Herren des linken Spektrums an der Wiener Universität, die sich ebenfalls zum Antifaschismus bekennen, ist zu vermerken, dass es einige gab, die nicht gerade durch antifaschistische Gesinnung auffielen. Also so ganz, ganz harmlos einzuschätzen sind Antifa-Anhänger nicht unbedingt. Man muss kein rechtsradikaler Hardliner sein, der nach diesen Erfahrungen die obige Aussage relativiert sehen möchte: sie zeugt von einer gewissen Naivität und Uninformiertheit, zumindest von Undifferenziertheit und sprachlicher Schuhlöffel-Taktik, was so an der Wiener Uni in jene Kreisen abgeht, die sich als antifaschistisch bezeichnen. Schuhlöffel-Taktik im Sinne von: ist doch eh klar, gell?
Dass die jungen Antifa-Besucher des Peršmanhofs womöglich völlig harmlos waren, sei nicht in Abrede gestellt. Dass der Verfassungsschutz u.U. irgendeine nicht zu veröffentlichende Information hatte, die ihn einschreiten ließ, bleibt reine Mutmaßung. Aber es ist allgemein gesehen eine legitime Vermutung: „Hinschauen! Poglejmo.“ Das ist eine der Aufgaben des Verfassungsschutzes.
Da schließt sich ein Kreis, der beim Klagenfurter Denkmal beginnt, das Partisanen als Kindermörder bezeichnet: Wie auch das Wort „Partisan“ ist der Begriff „Antifa“ hierzulande weithin negativ besetzt. „Gewaltbereitschaft“ und „linke Chaoten“ lauten die Assoziationen; „Vermummung“, „illegale Aktionen“, „brennende Autos“, „fliegende Steine“ und „schwarzer Block bei Demonstrationen“.
COMMENT: Wie kommt das denn? Ja, Österreich ist konservativ, vermutlich konservativer als Deutschland. Deutschland war es in den 1960er/1970er Jahren vielleicht noch mehr als heute. Während in Österreich Studentenproteste dieser Zeit (Graz) von der Polizei brutal niedergeknüppelt wurden, ging es in Deutschland bisweilen hoch her – mit illegalen Aktionen, brennenden Autos, fliegenden Steinen, Hausbesetzungen. Ob ein schwarzer Block damals schon als Schutzmaßnahme gegen Polizeiaktionen eingesetzt wurde, quasi als Bollwerk, bleibt Grund zur Recherche.
Gegen das Establishment ging es auf diese Weise, ganz „antifaschistisch“ halt, man wollte kein Faschist sein. Und Uni-Rektoren und Professoren beispielsweise waren sehr wohl suspekte Objekte: Faschisten, ehemalige Nazi auf ehemaligen Nazi-vergifteten Unis, die brav im Nachkriegsdeutschland weiterlehren konnten. Auch außerhalb der Universitäten gab es zu Recht Reibebäume, an denen sich eine echte Antifaschismus-Haltung schon entzünden konnte.
Die erwähnten Aktionen gingen als Bilder um die Welt per Presse, Radio, Fernsehen und den damals noch üblichen Wochenschauen im Kino. Die Welt ist nicht Schwarz-Weiß, und die unterschiedlichen Aspekte mischen sich auf ungute und komplizierende Weise, die eine vereinfachende Beurteilung verunmöglichen. Daher bitte keine sprachliche Schuhlöffel-Taktik.
Tatsächlich steht Antifa einfach nur kurz für Antifaschismus. Wer sich der Antifa zugehörig fühlt, lebt diesen Antifaschismus eben konsequenter als andere. Was daran so besorgniserregend sein soll? Und wie viel Gewalt hierzulande in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich „von links“ ausgegangen ist?
COMMENT: Die Naivität ist erstaunlich und macht betroffen. Richtig ist, dass linker Aktivismus in Österreich nicht gerade durch Gewalttaten geglänzt hat. Für diesen Glanz sorgten und sorgen derzeit schon die Rechten. Und richtig ist, dass am konsequent gelebten Antifaschismus nichts Besorgniserregendes zu finden ist. Wenn er denn konsequent gelebt wird.
Die eigenen Erfahrungen zeigen jedoch eine gespaltene Haltung der linkspolitisch orientierten jungen Damen und Herren: mit dem Mund sind wir maulheldenhaft antifaschistisch (weil‘s schick ist?), mit der bei etlichen Gelegenheiten offen gezeigten Gesinnung kommt irritierend eine Anti-Antifaschismus-Fratze zum Vorschein.
Erschreckender freilich war die mehrfach gemachte Erfahrung, dass der Hinweis darauf, das Rede und gezeigte Gesinnung auseinanderklaffen, sofort abgewiegelt wurde; Dialog- und Lernfähigkeit waren nicht angesagt, sondern Starrköpfigkeit und Trotz, garniert mit einem ordentlichen Ausmaß aufwallender Empörung: wie kannst du nur uns, die Antifaschisten, …
Die Lehre aus dem desaströsen Einsatz auf dem Peršmanhof wäre idealerweise eine innerpolizeiliche Bildungsoffensive zu den Themen „Antifa und ‚Die Linke‘: Vorurteile, Feindbilder und Irrtümer‘ sowie „Erinnerungsorte, Sensibilität und Retraumatisierung: Wie verhalte ich mich bei Einsätzen an Gedenkstätten?“.
COMMENT: Bildung schadet nicht, auch nicht der Polizei, aber dann, bitte, nicht einseitig.
Und Kärnten? Könnte mit 80-jähriger Verspätung auch außerhalb des Museums damit beginnen, den Widerstand der Partisan:innen gegen den Nationalsozialismus zu würdigen.
ÖSTERREICHISCHES PARLAMENT
ORF-MELDUNGSBÜNDEL ÖSTERREICH
Inland
Doskozil will 2030 im Burgenland wieder anreten
Karner will Familiennachzug nahe null halten
Regierung plant ab 2026 verpflichtenden Klimacheck für Gesetze
Großer Engpass bei Gynäkologen mit Kassenvertrag in Wien
Wirtschaft
Wettbewerb für „Campus Althangrund“ startet
Über 21.000 neue Unternehmer im ersten Halbjahr
Regenwasserpläne für niederösterreichische Gemeinden
Österreichische Geschichte
Vergessener NS-Widerstand im Heer am Beispiel Bernardis
MEDIZIN
Drei Todesfälle In Hamburg bricht die Hib-Krankheit aus – n-tv, 8.8.2025
Ein seltener Ausbruch der bakteriellen Krankheit Hib [Haemophilus influenzae Bakterium Typ b] fordert in Hamburg drei Todesopfer. Für gesunde Menschen besteht laut Experten zwar kein größerer Grund zur Sorge. Bei geschwächten Personen kann ein Verlauf allerdings innerhalb weniger Stunden lebensbedrohlich werden.
In Hamburg beobachten Experten einen Ausbruch der bakteriellen Krankheit Haemophilus influenzae Typ b (Hib) mit bislang 16 Erkrankungen und drei Todesfällen. Grund zur Sorge besteht für gesunde Menschen nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) aber nicht. Erwachsene könnten zwar mit Hib im Nasenrachenraum besiedelt sein, Gesunde seien aber in der Lage, den Erreger zu eliminieren, erläuterte eine RKI-Sprecherin. Von einer vermehrten Ausbreitung in Deutschland könne man nicht sprechen.Eine Hib-Infektion verläuft bei gesunden Menschen oft mild. Bei Personen mit geschwächtem Immunsystem kann eine Infektion schwerwiegende Verläufe nehmen, etwa in Form einer Lungenentzündung, Hirnhautentzündung oder Sepsis. Eine Erkrankung kann innerhalb weniger Stunden lebensbedrohlich werden, wie das RKI erklärt.
Hamburg bietet Impfungen in Drogenkonsum-Räumen an
Von dem Ausbruch in Hamburg sind hauptsächlich Personen betroffen, die Drogen gebrauchen, und Personen ohne festen Wohnsitz. Die Erkrankten hätten häufig intensivmedizinisch behandelt werden müssen, sagte eine Sprecherin der Hamburger Sozialbehörde. In zwei Drogenkonsum-Räumen in Hamburg würden nun Impfungen angeboten. „Ziel ist es, möglichst viele Menschen aus der genannten Risikogruppe zu erreichen, eine Immunität herzustellen und so weitere Infektionen zu verhindern.“
Die Übertragung der Krankheit erfolgt durch Tröpfchen, beim Husten, Niesen oder engem Gesichtskontakt. Beim aktuellen Ausbruch könnte Hib vermutlich auch indirekt über Zigaretten, Rauchzubehör, Essensbesteck und Drogenkonsum-Utensilien übertragen worden sein.
Anstieg der Fälle im Vergleich zum Vorjahreszeitraum
Bundesweit wurden laut RKI in diesem Jahr bis zum 20. Juli bislang 27 Fälle gemeldet. Im vergangenen Jahr wurden dem Institut im gleichen Zeitraum 16 Fälle übermittelt, im Jahr 2023 waren es 21 Fälle. Insgesamt gab es 2024 deutschlandweit 33 Erkrankungen und zwei Todesfälle (beide in Hamburg), 2023 waren es 35 Erkrankungen und vier Todesfälle.
Invasive Hib-Erkrankungen – also Fälle, bei denen die Krankheit ausbricht – gehörten zu den eher seltenen meldepflichtigen Erkrankungen in Deutschland. Der Konsum von Drogen, die zum Beispiel mit einer Pfeife inhaliert werden, wird laut RKI als ein Risikofaktor vermutet. Es sei ebenfalls vorstellbar, dass chronische Vorerkrankungen, Rauchen oder Mangelernährung zu einer Immunschwäche beitragen könnten, die eine invasive Hib-Erkrankung begünstige.
Säuglinge werden standardmäßig gegen Hib geimpft
Die Hib-Impfung gehört in Deutschland zu den Standardimpfungen bei Säuglingen. Von einer invasiven Erkrankung sind nach RKI-Angaben in der Regel vor allem Kleinkinder betroffen. Ab einem Alter von fünf Jahren komme diese bei gesunden Kindern quasi nicht mehr vor.
Vor Einführung der Schutzimpfung im Jahr 1990 war Hib eine schwere und häufig tödlich verlaufende Kinderkrankheit. Im Jahr 2018 lag die Impfquote laut RKI bei Schulanfängern bei 91,4 Prozent.
„Bei bestimmten Immunschwächeerkrankungen gibt es auch für Erwachsene eine Impfempfehlung“, hieß es. Im höheren Alter sei aber meist schon der Immunschutz ausreichend. Die Ständige Impfkommission berate derzeit darüber, die Empfehlungen gegebenenfalls anzupassen, so das RKI.
Quelle: ntv.de, mbr/dpa
UNTERNEHMEN
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GESELLSCHAFTSSEISMOGRAPH BÖRSEN
*** nicht aktualisiert ***
AKTIENEMPFEHLUNGEN – BUY & SELL
Aktuell (—):
Aktien um 10 Euro je Stück sind FETT hervorgehoben.
Die erwarteten stolzen Kursgewinne sind dem Übermut der tollen Analystenzunft zu verdanken! Hirn selbst einschalten und kritisch bewerten. MERKE: Klappern gehört zum Geschäft. Es geht letztlich nicht so sehr um die Beratung der Anleger, sondern um die spekulativ selbst gehaltenen Aktien der Häuser (Banken, Fonds, Anlagegesellschaften etc.), für die die Analysten tätig sind: wenn viele kaufen, steigen die Kurse, und 5% Plus sind zwar weniger als 15% oder 35%, aber besser als 5% Minus. Zudem lassen sich schnell noch eigentlich „schlechte“ Aktien im Portfolio des Hauses (Banken, Fonds, Anlagegesellschaft etc.) verkaufen, für die der Analyst tätig ist, sofern die werten privaten Anleger den Kaufempfehlungen folgen. So schaut’s aus im Schneckenhaus! Nochmals: Hirn selbst einschalten. Die Finanzbranche lebt vom Trübe-Machen des Wassers!
NICHT ZULETZT: Verkaufsempfehlungen werden ungern gegeben, da sie auf das Portfolio der Häuser (Banken, Fonds, Anlagegesellschaft etc.) rückschließen lassen, zu denen die Analysten gehören. Verkaufsempfehlungen werden aus zwei Gründen gegeben: a) es ist tatsächlich Feuer am Dach des analysierten Unternehmens, b) das Haus möchte die Aktien des zum Verkauf empfohlenen Unternehmens billiger zurückkaufen, sofern den Verkaufsempfehlungen gefolgt wird. Letztlich agieren an der Börse die Optimisten, und die wollen positive Nachrichten hören, also werden sie von den Häusern und ihren Analysten entsprechend bedient.
UND ZU ALLERLETZT: die Analysten bespiegeln sich untereinander: wer hat was empfohlen oder nicht empfohlen, es kommt zu herdenpsychologischen Erscheinungen derart: der Leithammel hat empfohlen, also machen wir das auch. Die jeweiligen Analysen werden entsprechend (um)formuliert. Das zweite Moment: die Konkurrenz, die u.U. zu skurrilen Interpretationen des analysierten Unternehmens führt.
FAZIT: was die Analystenzunft von sich gibt, kann aufschlussreich sein, muss es aber nicht, vermittelt einen zusätzlichen Eindruck zu einzelnen Aktiengesellschaften. Wichtig ist der Blick auf zweierlei: a) entscheidend: auf die volkswirtschaftliche Situation des Landes, der Welt; b) sekundär (!) auf das Unternehmen und seine Branche: Charakter des Managements, klare, gut durchschaubare Produktpalette, Langlebigkeit des Unternehmens und seine Stetigkeit im Gebaren.
Renten- und Aktienmärkte
Man halte sich vor Augen: Aktienmärkte sind die Pfützen in der Welt der Veranlagungsmöglichkeiten. Anleihenmärkte (Rentenmärkte, Kapitalmärkte) sind die großen Ozeane ebendort. Daher sind Aktienmärkte volatil und reagieren auf den leisesten Windhauch mit u.U. kräftigen Ausschlägen. Die Seelen der Anleger sind sehr verletzlich: Angst und Gier bestimmen hier jegliches Handeln, die vernünftige Veranlagungsentscheidung steht an zweiter Stelle. Das verursacht in den kleinen Geldpfützen der Aktienmärkte hohe Wellen. Aber dort stehen nach erster Erschütterung später die rationalen Kaufs- und Verkaufsentscheidungen felsenfest – bis zur nächsten Seelenerschütterung.
Anleiheanleger sind cooler und gezügelter im Gemüt. Hier geht es eher um Langfristperspektiven. Alles dreht sich um den Zins und wie er sich weiterentwickelt. Wer an der Zinsschraube dreht, dreht am Schicksal ganzer Volkswirtschaften. Da ist das aufgeregte Gegackere an den Aktienmärkten geradezu uninteressant.
Aber kommen Anleihemärkte einmal ins Rutschen – nach oben oder nach unten – dann ist Feuer am Dach. Schon 0,5 oder gar 1 Prozent Veränderung in einem Anleihenindex sind eine „Weltbewegung“ im Milliarden- oder Billionengeldmeere der Anleiheozeane.
Dazu kommt: Die Anleiherenditen konkurrenzieren mit den Aktienrenditen. Eine hohe Anleiherendite jenseits der 3 Prozent wirkt umso „giftiger“ auf die Aktienkursentwicklungen, je höher sie ist. Liegt sie unter 3 Prozent, begünstigt sie die Aktienkäufe, Je deutlicher sie unter 3 Prozent liegt, umso eher. Das ist die Regel. Die Ausnahme – so, wie wir sie gerade sehen – bestätigt diese Regel. Früher oder später wird sie ihre dominante Stellung als Regel wieder einnehmen.
Diese Verhältnisse sind es, die im Tagesblick in der Regel die Berichte zu den Anleihemärkten wiedergeben lassen, dass aufgeregte Geflattere und Gegackere an den Aktienmärkten im Detail interessiert in der Regel nicht die Bohne.
Zur Renditebestimmung bei Anleihen: notiert die Anleihe zu 100 Prozent, dann stimmen Anleihezinssatz (der Couponzins) und Anleiherendite überein. Sinkt der Anleihekurs unter 100 Prozent, steigt die Rendite, umgekehrt gilt: steigt der Anleihekurs, so sinkt die Rendite. So einfach ist das. Und so weltbewegend in der Tat.
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Allgemeine Empfehlungen: Es geht vornehmlich um die Zukunft der Energiegewinnung und die Energielieferanten. Renner bleiben Telekommunikations-Unternehmen, deren Dienstleistungen in einer digitalisierten Wirtschaft und Gesellschaft unabkömmlich sind. Unter den Logistik-Aktien sind in der Regel die Post-Aktien interessant. Diese Branchen sind weniger konjunkturabhängig als z.B. Konsumaktien, darunter die Post-Aktien noch am ehesten.
Hinzu kommt, dass die klassischen erdölverarbeitenden Energielieferanten (Up- und Downstream) mehr oder weniger energisch in großem Stil auf Alternativenergien umstellen. Es bleibt ihnen angesichts des Klimawandels, der öffentlichen Meinung und der in absehbarer Zeit erschöpften Welt-Erdölreserven auch nichts anderes übrig. Über das Kapital für den weltlebensnotwendigen Umbau verfügen sie dank ihrer Aktionäre. Es geht aus Sicht der Unternehmen um zukunftsträchtige Geschäftsmodelle in einer überschaubaren Branche – Energie – und aus Sicht der Aktionäre um steigende Unternehmenswerte / Aktienkurse als Inflationsschutz und sichere, möglichst stabil wachsende Dividenden, ebenfalls hinsichtlich des Inflationsschutzes.
Anti-Nachhaltigkeits-Bewegung in den USA als 180-Grad-Wendung in der Veranlagungsgebarung
Der aktuelle politische Druck in den USA zwingt eine Reihe großer Vermögensverwalter, darunter die weltgrößten wie Blackwater und Vanguard (verwaltetes Vermögen: 20 Billionen US-Dollar), nachhaltige Unternehmen potentiellen Anlegern nicht mehr zu empfehlen. Sie selbst verkaufen solche Unternehmen aus ihren Portfolios. Es gibt sogar seitens republikanisch regierter Bundesstaaten wie insbesondere Texas Kaufverbote für staatliche Pensions- u.a. Fonds.
Ausgestiegen sind bereits US-amerikanische Großbanken wie JP Morgan, Goldman Sachs, Wells Fargo, Bank of America, Citigroup (verwaltetes Vermögen: 9 Billionen). Ähnliches betrifft die Kreditvergabe. Offen bleibt, wie private und Unternehmensanleger (nicht-staatliche Fonds) künftig disponieren werden.
Unter den angebotenen Finanzanlagen kursieren seit geraumer Zeit besondere Nachhaltigkeitsprodukte in Form sog. ESG-Fonds (mehr dazu hier), die hohe Renditen versprachen und daher recht starken Zulauf hatten; die Renditen wurde seit Erhöhung der Kreditzinsen gebremst, da dadurch kreditfinanzierte Nachhaltigkeitsprojekte (Windparks, Solaranlagen etc.) weniger rentabel wurden.
In der Europäischen Union will man sich weiter an entsprechende Nachhaltigkeitsauflagen festhalten. Bislang wurden in europäische ESG-Fonds 9 Billionen Euro investiert, was 61 Prozent des gesamten Fondmarktvolumens entspricht. Der Zufluss hat sich 2024 allerdings um die Hälfte auf 37 Milliarden Euro reduziert. Zudem wurden mehr ESG-Fonds geschlossen als eröffnet. Nicht nur die hohen Zinsen, die die ESG-Fonds-Renditen beeinträchtigten, führten dazu, sondern auch „grüne Schönfärberei“: es stellte sich da und dort heraus, dass die versprochene Nachhaltigkeit mehr auf dem Papier als in der Wirklichkeit bestand. (Quelle: Wirtschaft vor Acht, ARD, 10.1.2025 (KURZVIDEO, bis 17.1.2025 verfügbar))
FAZIT: Es bleibt abzuwarten, was das für den Klimaschutz in den USA und weltweit künftig bedeutet. Für Österreich stellt sich die Frage, wie eine künftige Regierung sich in Sachen Klimaschutz verhalten wird.
Aktienkauf – der Erwerb einer Unternehmensbeteiligung – bedeutet Übernahme eines Risikos in Hinblick auf das künftige Unternehmensschicksal. Die Dividende stellt eine Risikoprämie dar.
Aktienanalytischer Blick auf Aktien im Euroraum und speziell Österreich (Stand: 24.2.2025):
ACHTUNG – STEUERVERÄNDERUNGEN ANTE PORTAS:
Ins Gerede kommen in absehbarer Zeit auf EU-Ebene und auf Österreich-Ebene vermutlich Aktienbesteuerung (Verkaufsgewinne, Dividenden) ebenso wie Vermögens- und Erbschaftssteuer. Diese Steuern sind in Veranlagungsüberlegungen mit einzubeziehen.
Im Folgenden sind Aktien um 10 Euro je Stück und darunter FETT hervorgehoben.
Neu aufgenommene Aktien werden mit ### gekennzeichnet.
Beobachtenswert ist der Umweltschutz- und Wasserwirtschaftswert Veolia
Ein Kaufsignal liefern weiterhin ENI, UNICREDIT und TOTAL ENERGIES, im Vergleich zum 3.2.2025 stabile Bewertung mit jeweils fünf Sternen bewertet.
Ein Kaufsignal liefern ENEL, PORR, SHELL, VERBUND, ### VIENNA INSURANCE GROUP mit jeweils vier Sternen bewertet.
Im Vergleich zum 3.2.2025 erweiterte stabile Bewertung mit jeweils vier Sternen bewertet.
Ein niedriges KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis) zeichnet aus:
RWE, TOTAL ENERGIES, ### UNICREDIT SPA, PORR, OMV, ### UNIQA, EVN, ENEL, TELECOM AUSTRIA, ### STRABAG, WIENERBERGER, SHELL, PALFINGER.
Aufsteigende Reihenfolge: die erste Aktie RWE ist die mit dem niedrigsten KGV = 4,8, PALFINGER die mit dem höchsten KGV = 9,3.
Im Vergleich zum 3.2.2025 erweiterte stabile Bewertung.
Ein niedriges dynamisches KGV (PEG, Price-Earning-to-Growth) weisen u.a. auf:
ENI, UNICREDIT, ### KONTRON AG, OMV, SHELL, PORR, WIENERBERGER, PALFINGER,
Nicht mehr dazu gehören: VIENNA INSURANCE GROUP, TELECOM AUSTRIA.
Aufsteigende Reihenfolge: die erste Aktien ENI = 0,5 ist die mit dem niedrigsten, PALFINGER die mit dem höchsten PEG = 1,4.
Im Vergleich zum 3.2. 2025 ist die Auswahl verändert, einzelne Aktien kamen dazu, andere fehlen nun!
Als Aktien mit langfristigem Kurspotential werden u.a. gesehen:
TOTAL ENERGIES, ENI, VERBUND, E.ON.SE, EVN, RWE.
Aufsteigende Reihenfolge: am Anfang der Reihe steht jene mit der größten Langfristchance.
Im Vergleich zum 3.2.2025 bleibt die Auswahl stabil, die Reihenfolge hat sich geändert.
Als Aktien mit hoher Sicherheit werden u.a. bewertet VIENNA INSURANCE GROUP, VERBUND; die Bewertungen bleiben unverändert zum 3.2.2025.
Aufsteigende Reihenfolge: am Anfang der Reihe steht jene Aktie mit der größten Sicherheit.
Aktien mit hoher Dividendenrendite sind:
OMV, ORANGE, TELEFONICA, ENI, UNIQA, ENEL.
Aktien mit der größten Dividendenrendite stehen am Anfang der Reihe: OMV 12,6%, am Ende die mit der niedrigsten: Enel 6,7%, jeweils vor Steuer.
Im Vergleich zum 3.2.2025 bleibt die Auswahl gleich, die Reihenfolge hat sich geändert.
KAUFKRITERIEN neben den aktienanalytischen Kennzeichnungen sind der Reihe nach: WER? – Qualität und Charakter (Psychologie!) des Managements, Häufigkeit des Managementwechsels, Unternehmenskultur; WAS? – Produkteinfachheit: „einfach gestrickte“, leicht zu durchschauende/transparente Produkte oder Dienstleistungen, eher kleine Produktpalette bzw. enger umschriebenes Dienstleistungsangebot, Konstanz der Nachfrage; WIE? – Sicherheit, Widerstandsfähigkeit gegenüber wirtschaftlichen Wechselfällen, finanzielle Stabilität des Unternehmens, Konkurrenzsituation; WO? – geographische und „politische“ Lage möglichst fern von Krisengebieten inkl. solchen mit politischer Unruhe oder in Ländern mit totalitären Systemen oder deutlich defekten Demokratien (illiberale Demokratien); WANN? – Lebensdauer bzw. Überlebensdauer (Weltkriege etc.) des Unternehmens bisher, Stetigkeit der Dividendenzahlungen.
FAZIT: vor dem Kauf einer Unternehmensbeteiligung sich zur Aktiengesellschaft schlau machen: WER, WAS, WIE, WO, WANN.
ZWEI DINGE sind zusätzlich zu beachten:
# Langfristanlage durch Erwerb von Defensiv-Aktien (u.a. Energie, Telekom),
# Verbleib in einem Währungsraum, das ist der Euroraum. Daher werden die allseits seit Jahren gehypten US-Aktien hier mit Absicht außen vor gelassen, um das Währungsrisiko klein zu halten. Gleiches gilt für den Erwerb von Schweizer Aktien, wie die Vergangenheit mit Blick auf das sehr wechselhafte Wechselkursverhältnis Schweizer Franken / Euro gezeigt hat.
Die Europäischen Union als Veranlagungsrisiko?
Das Staatssystem der Europäischen Union kommt einer defekten Demokratie gleich und erstreckt sich in den Währungsraum (Euroland), in dem gehandelt wird. Man spricht auch von einem Demokratie-Defizit der Europäischen Union. Risiken dieser defekten Demokratie, um einige zu nennen, sind: Regelungen „von oben herab“ auf nicht sehr transparente Weise und Steuervorgaben, die sich durch Negieren realer Alltagserfordernisse auszeichnen, Überwachungsbestrebungen, hoher Bürokratieaufwand für Unternehmen und Bürger. All dies markiert Abgehobenheit und Bürgerferne der EU-Politik.
Kennzeichnend für das Gebaren (Governance) der EU ist ein Ineinandergreifen von EU-Exekutive (Kommission mit ihren Kommissariaten) und einem nicht gut überschaubaren Geflecht zahlreicher, der EU nahestehenden und von ihr geförderten Institutionen, Organisationen und Einrichtungen, die auf vielen Ebenen EU-Kommissionsvorgaben umsetzen helfen. Sie helfen insbesondere dabei, die von EU-Rat- und EU-Kommission angedachten, aber für Bürger und Unternehmen noch nicht „akzeptablen“ Vorgaben „schmackhaft“ zu machen, um so zu einer ausreichend hohen Akzeptanz in der Bevölkerung zu führen, die eine politische Umsetzung ermöglicht.
Junker sagte 1999 dazu sehr verkürzt und sinngemäß: was wir heute als EU nicht durchsetzen, das werden wir dann schon später durchsetzen. Dem Lobbyismus Richtung EU-Exekutive (insbesondere seitens der Unternehmen) steht ein „Lobbyismus“ seitens der EU in Richtung auf die Einrichtungen der Mitgliedsländer sowie auf die Unternehmen und die Bevölkerung gegenüber, dessen Räderwerk für den Normalbürger praktisch nicht durchschaubar ist. Inwieweit kommt dies einem autokratischen Verhalten von der Maschek-Seite gleich?
Hauptziel der EU-Bestrebungen ist die Etablierung der Vereinigten Staaten von Europa, die den derzeit bestehenden Verbund der Mitgliedsstaaten ersetzen soll. Das deutet auch der Wechsel der Namensgebungen im Zeitverlauf an:
# Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, umgangssprachlich auch Montanunion, 1951)
# Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, 1957 inklusive EURATOM)
# Europäische Gemeinschaften (EG, 1965 ff., Fusion von EWG, EURATOM und einzelnen EG-Organen, Fusions- und Folgeverträge)
# Europäische Gemeinschaft (EG, seit 1993 ff., Maastricht- und Folgeverträge)
# Europäische Union (EU, 2007, Lissabon- und Folgeverträge)
1948 1948 Brüsseler Pakt | 1951 1952 Paris | 1954 1955 Pariser Verträge | 1957 1958 Rom | 1965 1967 Fusions- vertrag | 1986 1987 Einheitliche Europäische Akte | 1992 1993 Maastricht | 1997 1999 Amsterdam | 2001 2003 Nizza | 2007 2009 Lissabon | ||||||||||||||||||||||
Europäische Gemeinschaften | Drei Säulen der Europäischen Union | ||||||||||||||||||||||||||||||
Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) | → | ← | |||||||||||||||||||||||||||||
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) | Vertrag 2002 ausgelaufen | Europäische Union (EU) | |||||||||||||||||||||||||||||
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) | Europäische Gemeinschaft (EG) | ||||||||||||||||||||||||||||||
→ | Justiz und Inneres (JI) | ||||||||||||||||||||||||||||||
Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) | ← | ||||||||||||||||||||||||||||||
Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) | → | Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) | ← | ||||||||||||||||||||||||||||
Westunion (WU) | Westeuropäische Union (WEU) | ||||||||||||||||||||||||||||||
aufgelöst zum 1. Juli 2011 | |||||||||||||||||||||||||||||||
Problematisch bleibt dabei: je größer die Zentralisation von Staatsmacht, umso größer die Machtfülle, die mit „eiserner Harke“ über berechtigte (!) Einzelinteressen der Mitgliedsstaaten und damit der Bürger drüberfährt. Das Prinzip der Subsidiarität bleibt dabei auf der Strecke, so wie dieses Prinzip z.B. Österreich 1994 anlässlich der Vorabstimmungskampagnen versprochen wurde. Wurde das Versprechen eingelöst?
Beispiele der Machtfülle durch Zentralisierung liefern alle großen Staaten, u.a. Russland und China, die geradezu Musterbeispiele dafür darstellen.
Ein Problem des Staates an sich ist das Machtmonopol, das bei ihm liegt und liegen muss, will er Gesellschaft – das Staatsvolk – und die Abläufe darin mit Erfolg, also: durchsetzungskräftig organisieren. Das Problem ergibt sich aus dem Spannungsfeld zwischen unbeschränkter Freiheit des Individuums (Libertarismus) und unbeschränkter Freiheit des Staates (Totalitarismus).
Wie dieses Machtmonopol ausgestaltet wird, unterliegt in Demokratien dem Willen des Wahlvolkes, in nicht-demokratischen Staaten dem Willen des autoritären, totalitären oder autokratischen Machthabers. In defekten Demokratien ist die Mitbestimmung des Volkes eingeschränkt. Defekte Demokratien existieren in einer Grauzone, deren Konstituenten und ihre gegenseitige Einflussnahme nicht leicht zu bestimmen sind. Somit ist auch der Defektheitsgrad einer defekten Demokratie nicht leicht zu bestimmen und unterliegt, je nach politischer resp. ideologischer Perspektive, unterschiedlichen Wertungen.
Die idealtypische Dreiteilung der Regierungsformen existiert in der Wirklichkeit nicht: keine Demokratie der Welt entspricht der idealen Form, weist also im Ansatz Eigenschaften einer defekten Demokratie auf, kein totalitärer Staat schränkt die individuellen Freiheiten vollständig ein, es verbleibt den Bürgern dort ein mehr oder weniger großer Freiheitsraum.
Hinsichtlich des staatlichen Machtmonopols, das zudem bei anwachsender Zentralisation der Staatsgewalt zur Zunahme neigt, ergibt sich die Erkenntnis: so wenig Staat wie möglich, so viel Staat wie nötig als einer Einrichtung, die mit einem mit Rechtsgewalt in das Leben seiner Bürger eingreifenden Machtmonopol versehen ist, das für das „Funktionieren“ einer Gesellschaft unaufgebbar ist.
Die dafür notwendigen rechtlichen Verregelungen des Alltagslebens durch Allgemeines Gesetzbuch, Strafgesetzbuch, Angestelltengesetz etc.etc. sind zahllos und gelten bei ausnahmslos jeder Handlung, werden aber – ebenso regelhaft – dem Bürger erst dann bewusst, wenn es zu schwerwiegenden Regelverstößen oder Regelbruch-Sanktionierungen kommt.
Rechtliche Verregelungen sind Ausdruck der jeweiligen Ausprägungen eines Rechtsstaates; dieser wird in einer idealen Demokratie nicht durch Willküreinwirkungen korrumpiert: das ist ein wesentliches Kennzeichen demokratischer Rechtsstaatlichkeit. Auf Rechtsstaatlichkeit pflegen sich auch autoritäre, totalitäre oder autokratische, kurz: diktatorische Systeme zu berufen, doch wird der Rechtsstaat dort durch Willküreingriffe korrumpiert: Rechtsbiegung als Kennzeichen von Autokratien etc. In einer defekten Demokratie wird die Rechtsstaatlichkeit (leicht) eingeschränkt, womit das Risiko entsteht, in eine Autokratie abzugleiten.
Nur in formalrechtlicher Hinsicht war zum Beispiel auch der NS-Staat ein Rechtsstaat, besaß er doch gemäß der NS-Grundsätze umgearbeitete Gesetze aus der Weimarer Republik und neue Gesetze im Sinne der NS-Ideologie, auf die er sich in der Rechtsprechung berief und von denen viele in einem „normalen“, d.h. hier NS-konformen Rechtssetzungsprozess entwickelt wurden. Daran ändert nichts die Gepflogenheit, den NS-Staat in inhaltlich-ethischer Hinsicht als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Ein krasses Beispiel für einen NS-Rechtserlass im autokratischen Sinn ist unter diesem Link einsehbar.
Kennzeichnend für die Biegsamkeit des Rechts je nach Staatsraison ist die Tatsache, dass Juristen nach einem Regimewechsel ihre Posten in der Regel nicht verloren, sondern im neuen Regime weiter im Dienst des Rechts ihre berufliche Tätigkeit frei oder im öffentlichen Dienst ausübten. So wurden Juristen und Richter nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes ohne weiteres in den öffentlichen Dienst der entstehenden Bundesrepublik Deutschland übernommen. Vergleichbares geschah nach dem Fall der UdSSR oder DDR.
Das „Funktionieren“ einer Gesellschaft dank dafür sorgender Rechtsstaatlichkeit bedeutet in einer Demokratie das Herstellen eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen einerseits den rechtsstaatlich gesicherten Freiheitsbedürfnissen des Individuums unter für ihn zureichenden wirtschaftlichen Gegebenheiten und andererseits den „Freiheitsbestrebungen“, somit Machtbestrebungen des Staates, mit dem Ziel, ein Höchstmaß an Gemeinwohl resp. Sozialfrieden in Freiheit herzustellen. Als Garant dafür dient die Gewaltenteilung und ein entsprechend stark regulierter und damit gewaltgebändigter Polizei- und Geheimdienstapparat sowie als vierte Gewalt die Sicherstellung einer freien Presse. MOTTO: Nimm Freiheitsbeschränkungen mit Blick auf das Gemeinwohl aus Überzeugung an, wir helfen dir dabei durch politische Aufklärung und sachliche Bildungsarbeit!
Das „Funktionieren“ einer Gesellschaft dank dafür sorgender Rechtsstaatlichkeit bedeutet in einer Autokratie, im Autoritarismus und vor allem im Totalitarismus Ausgesetztheit vor rechtsbeugenden willkürlichen Staatseingriffen auf die ohnehin reduzierten Freiheitsmöglichkeiten des Individuums unter nicht selten unzureichenden wirtschaftlichen Gegebenheiten zu Gunsten der Machtbestrebungen des Staates mit dem Ziel, ein Höchstmaß an „Gemeinwohl“ resp. „sozialem Frieden“ in Unfreiheit zu erzwingen. Als Garant dafür dient die Einschränkung, womöglich Aufhebung der Gewaltenteilung sowie ein entsprechend stark ausgeprägter und mit gering regulierter Gewalt ausgestatteter Polizei- und Geheimdienstapparat sowie eine allgegenwärtige Brachial-Propaganda unter Ausschaltung der Pressefreiheit. MOTTO: Kusch, sonst trifft dich der Polizeiknüppel und du landest im Gulag, folgst du nicht den Propaganda-vermittelten Staatszielen!
Das „Funktionieren“ einer Gesellschaft dank dafür sorgender Rechtsstaatlichkeit in einer defekten Demokratie gibt in (noch) geringem Ausmaß jene Prinzipien auf, die eine Demokratie hervorheben. Als Garant dafür dient eine Einschränkung der Gewaltenteilung und ein nicht allzu gestärkter und nicht allzu sehr mit herabgesetzter regulierter Gewalt ausgestatteter Polizei- und Geheimdienstapparat sowie eine verhältnismäßig subtil eingesetzte Propaganda und Beeinflussungsmaschinerie. MOTTO: Folge der politischen Verführung und glaube, es sei deine Entscheidung, sonst zwiebeln wir dich mit Exekutivmaßnahmen!
Eine solche Beeinflussungsmaschinerie hat die exekutiv im Grunde genommen schwach aufgestellte EU entwickelt, was zu eben der Ausbildung dieser „Schattenexekutive“ geführt hat. Sie trägt damit – nicht so ohne weiteres sichtbar für den Normalbürger – ein Kennzeichen einer defekten Demokratie. Damit steht die Gefahr im Raum, weiter an demokratischen Eigenschaften einzubüßen und zu einem politischen und wirtschaftlichen Risiko heranzureifen. In der Tat bemüht sich die EU um Stärkung ihrer Polizeigewalt (Frontex, 2004, weiterer Ausbau) und damit um Ausbildung eines weiteren Kennzeichens defekter Demokratien insofern der Vorwurf stimmte, dass Frontex auch innerhalb der EU eingesetzt werden könnte.
Was die Beeinflussungsmaschinerie der EU betrifft, hat 2011 der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger (1929-2022) die Europäische Union als “sanftes Monster Brüssel“ bezeichnet und von der „Entmündigung Europas“ gesprochen. Er anerkennt segensreiche Folgen ihres Wirkens, macht aber zugleich auf die strukturellen Defizite dieser überstaatlichen Einrichtung aufmerksam, die durch massive Öffentlichkeitsarbeit, um nicht zu sagen: Propaganda – geschickt durch das vorbeschriebene Geflecht an Organisationen, Instituten, Einrichtungen etc. vermittelt –, übertüncht werden. Bezeichnend ist sein Ausspruch: „Je dünner die Legitimität [ihres politischen Handelns], umso dicker der Glibber der PR.“
Die geschilderte Gefahr liegt nicht darin, sich im Euro-Währungsraum zu bewegen. Sie liegt darin, dass infolge mangelnder demokratischer Kontrolle politisch einer Gesinnungsethik und nicht einer Verantwortungsethik gefolgt wird. Damit einher ginge eine Abgehobenheit von den Realitäten des täglichen Lebens der Bürger und Unternehmen. Das führte kurz über lang zu einer Schwächung des Euros im Währungskonzert. Ein Risiko erwüchse dann eher daraus, dass es nicht sicher ist, ob der Währungsraum „Euro“ eines Tages zerbricht, zum Beispiel dadurch, dass im Konzert mit anderen Währungen die derzeit ohnehin angekratzte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Europäischen Union noch weiter geschwächt würde und der Euro fortgesetzt an Wert verlöre. Letzteres erleichterte das Auseinanderbrechen der Europäischen Union, die Eigeninteressen der Mitgliedsländer träten wieder stärker hervor.
Dieses Auseinanderbrechen der Europäischen Union ist derzeit unwahrscheinlich, aber denkmöglich als Folge von: fortgesetzter Wirtschaftsschwäche; weiter zunehmender Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Zunahme nationalkonservativer bis rechtsextremer Haltungen; fortgesetztem „Rütteln an den Ketten“ seitens ehemaliger UdSSR-Bruderstaaten; fortgesetzter Aufnahme neuer Mitgliedsländer speziell aus dem Balkan und dem ehemaligem UdSSR-Einflussbereich (Serbien, Ukraine); gravierenden, von den Bevölkerungen der Mitgliedsstaaten nicht mitgetragenen außen- und innenpolitischen Entscheidungen.
Bräche die EU, so bräche spätestens dann auch der Euro; im Übrigen weist die Geschichte der Währungsunionen auf deren Brüchigkeit hin: sie halten in der Regel nicht lange. Den Anleger zwingt unter anderem auch dies beizeiten zu überlegen, in welcher Währung er außerhalb des Euroraumes investieren soll. Angesichts des unsicheren Status des US-Dollars als Weltwährung ist dies eine herausfordernde Frage. Sie stellt sich glücklicherweise derzeit nicht, sondern taucht nur schemenhaft als Denkmöglichkeit am Horizont einer eher ferneren Zukunft auf. Aber: sie taucht auf und kann blitzesschnell elefantengroß im Raum stehen.
FAZIT: die Europäische Union birgt für den Anleger derzeit nur am Zukunftshorizont sich abzeichnende Risiken. Sie entspringen u.a. daraus, dass die EU weniger aus der Position der Stärke als eher aus der der Schwäche handelt. Im Vergleich zur Situation des Kalten Krieges und damit zur Gründerzeit der EU-Vorläufereinrichtungen, in der es nur einen wirtschaftsmächtigen geopolitischen Spieler und gleichzeitigen Verbündeten – die USA – gab, steht die Europäische Union heute zwischen zwei Wirtschaftsblöcken: dem des USA-geführten Westens und dem des sog. globalen Südens. Das erzeugt Druck, allzumal Zeitdruck, treibt die EU an und lässt sie, will sie nicht aufgerieben werden, nach Machtvergrößerung durch Zentralisierung streben – ein Demokratierisiko ersten Ranges, damit in der weiteren Folge ein Wirtschafts- und letztlich Veranlagungsrisiko.
Grundsätzliches zur Währungsspekulation
Währungs-Spekulation ist ein äußerst schwieriges, glitschiges, hochriskantes Geschäft, bedarf langjähriger Erfahrung, tagtäglicher Marktbeobachtung und eines guten Magens: Schocks und erratische Marktbewegungen müssen ausgehalten werden – psychisch und finanziell. Einer der bekanntesten und erfolgreichsten Währungsspekulanten im deutschsprachigen Raum ist Folker Hellmeyer (Hellmeyer-Website, Hellmeyer-Kurzportrait (Goldseiten), Hellmeyer auf Netfonds usf.).
Zweck der Währungsspekulation?
Wie bei den Warenoptionsmärkten dient auch der Währungsoptionsmarkt dazu, sehr starke Schwankungen im Wert einer Währung (Devise) zu verhindern: sehr starken Verteuerungen oder Verbilligungen einer Währung im Devisenmarkt (Währungs- oder FOREX-Markt) wird so gegengesteuert. Dafür sorgen die vielen Marktteilnehmer, von denen ein Teil den künftigen Wert einer Währung (Devise) höher, der andere diesen Wert tiefer einschätzt. Dies führt dazu, dass sich eine Art mittlerer Wert für diese Währung einstellt. Währungsoptionsmärkte sind rund um den Globus nahezu 24/7, also nahezu täglich rund um die Uhr, offen (Warenoptionsmarkt, Optionen im Freihandel).
Anders ausgedrückt: Die Spekulanten sichern sich mit ihrem Engagement gegen das Risiko eines Währungsverfalls oder eines Währungsanstiegs ab. Währungsanstiege sind ein Risiko für Käufer auf Warenmärkten, Währungsabwertungen sind ein Risiko für Verkäufer auf Warenmärkten. Gleiches gilt selbstverständlich auch für Dienstleistungen im internationalen Dienstleistungsaustausch. Die gegenläufigen Interessen auf dem Währungsoptionsmarkt „mitteln“ sich aus.
Allgemein gesprochen handelt es sich bei den Geschäften auf Optionsmärkten um Absicherungsgeschäfte oder Hedging.
Nochmals anders ausgedrückt: Auf aggregiertem Niveau (Makroebene) sorgt der Währungsoptionsmarkt für die Stabilität einer bestimmten Währung im Konzert der anderen Währungen im Devisen- resp. Währungsmarkt (Kassa- oder Spot-Markt, das Pendant zum Optionsmarkt).
Eine stabile Währung ist für die Volkswirtschaft, in deren Bereich diese Währung als Zahlungsmittel dient, eine Lebensnotwendigkeit für das optimale Funktionieren der volkswirtschaftlichen Grundvorgänge Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen. Erratische Schwankungen im Währungs- oder Devisenmarkt erschweren auf der Ebene der Unternehmen (Mikroebene) innerhalb und außerhalb einer Volkswirtschaft erheblich Kalkulationen mit Sicht auf künftig geplante Käufe und Verkäufe. Erratische Schwankungen einer Währung schwächen die Wirtschaftsleistung der zugehörigen Volkswirtschaft, eine stabile Währung fördert sie. Dies gilt auch für Volkswirtschaften außerhalb des entsprechenden Währungsraumes, sofern sie mit dieser Volkswirtschaft handelnd in Verbindung stehen.
FAZIT: Währungsoptionsmärkte sind für das Wirtschaftsgeschehen im Konzert der verschiedenen Volkswirtschaften überlebenswichtig.
Die heilige Trias
Diese Zusammenhänge bleiben in der Regel für Otto Normalverbraucher genauso verborgen wie die Bedeutung der nicht-demokratisch agierenden Zentralbanken, die mit ihren Zinsentscheidungen tief in das Wirtschaftsleben und somit in das Alltagsgeschehen der Menschen eingreifen. Warenmärkte, Währungsmärkte und Zentralbanken sind in einem fortlaufenden Marktgeschehen untrennbar und maßgeblich untereinander verbunden. Dabei modulieren und moderieren die Zentralbanken über den Zinssatz die Abläufe in Waren- und Währungsmärkten und den zugehörigen Optionsmärkten.
Für Otto Normalverbraucher sind Spekulanten auf diesen Märkten in aller Regel ganz, ganz böse Subjekte, die sich mit ihren Spekulationsgewinnen die Taschen vollstopfen.
Wer sind diese Subjekte auf Währungsoptionsmärkten?
Auf Währungs- und Währungsoptionsmärkten agieren in großer Zahl Staatsstellen, staatliche und private Pensionsfonds, multinationale und andere Unternehmen, Finanzinstitute (Banken u.a.), Hedgefonds u.a.
Otto Normalverbraucher verkennt in aller Regel den Sinn dieser Märkte und die Rolle der Spekulanten dort; denn:
Die Währungsoptionsmärkte zeichnen für das Wohl und Wehe im höchstpersönlichen Alltagsleben des kleinen Mannes auf der Straße verantwortlich, indem sie für relative Währungsstabilität sorgen. Doch Märkte sind keine Subjekte. Somit sind präzise gesprochen nicht „die Märkte“, sondern die Teilnehmer an Währungsoptionsmärkten – also die risikoübernehmenden Spekulanten – für das Wohl und Wehe von Otto Normalverbrauchers alltäglichem Leben verantwortlich.
Daher lässt sich interpretieren: In der Erhaltung der Währungsstabilität liegt der soziale Sinn der Spekulation. Dabei dient der Spekulationsgewinn als Entgelt für die risikobehaftete Sorge um eine stabile Währung.
Es kommt zu einem „paradoxen“ Effekt: die Befriedung der Einzelinteressen der Subjekte, den Spekulanten, trägt vermittels des Marktgeschehens zur Optimierung des Gemeinwohls bei.
Die Umsätze in Devisen- und Währungsoptionsmärkten sind die größten weltweit und erreichen täglich Milliarden bis Billionen von Währungseinheiten. Im Jahr 2022 wurden allein im Devisenmarkt täglich durchschnittliche Umsätze in Höhe von 7,5 Billionen US-Dollar gehandelt. Zu beachten ist, dass dabei immer Währungspaare gehandelt werden und zudem die Umsätze „doppelt“ anfallen: als Verkaufs- und als Kaufpreis in Summe. Das plustert das tägliche Handelsvolumen ordentlich auf.
Was für die Währungsoptionsmärkte gilt, gilt ebenso für die Warenoptionsmärkte: es geht um die Stabilisierung von in großen Mengen gehandelten Waren wie Weizen, Schweinehälften Orangensaft, Kaffee und vieles andere mehr. Die aufgezählten Waren stehen für solche, die für die Bevölkerungen hohe Bedeutung haben.
Wozu Optionsmärkte gut sind
Aber es gibt doch nach wie vor Preissprünge auf den Warenmärkten, von erratischen Ausschlägen an den Devisenmärkten war auch schon die Rede: wie passt das ins Bild?
Ohne die Terminbörsen wären die Ausschläge um einiges stärker, die Preise höher.
Drei Beispiele dazu:
#1 Hitler verbot die große Bremer Kaffeebörse. Daraufhin sicherte sich der Großhandel gegen Preisanstiege bei Kaffee ab, indem er von Haus aus deutlich höhere Preise für den Handel, die Geschäfte, einforderte. Resultat war der berühmt-berüchtigte Blümchenkaffee: die Konsumenten sparten am Kaffee, indem sie möglichst wenig davon zum Aufbrühen verwandten, also sah man durch den dünnen Kaffee das Blümchen am Grund der Kaffeetasse.
# 2 Waren, die nicht abgesichert werden können, weisen größere Preissprünge und höhere Preise auf; bremsend auf den Warenpreis (Aktienpreis, Devisenkurs) wirkt allein die Konkurrenz oder eine schwache Nachfrage oder ein überreichliches Angebot.
# 3 Die erste Warenoptionsbörse wurde 1848 in Chicago gegründet. Hintergrund war der bereits gewachsene Welthandel mit Waren, die großteils noch mit Segelschiffen über die Weltmeere transportiert wurden. Zwar befuhren die ersten Dampfschiffe Ende der 1830er Jahre den Atlantik, doch die eigentliche Verdrängung des Segelschiffs als Transportmittel setzte erst ab den 1870er Jahren ein.
Die Notwendigkeit, sich gegen den Verlust der Waren infolge Schiffuntergangs zu schützen oder sich überhaupt vor unerwarteten Preisveränderungen während der langen Schiffsfuhren abzusichern, führte zur Einrichtung der Chicagoer Warenbörse (Chicago Board of Trade), 1848 zunächst als Kassen- oder Spotmarkt, 1864 dann als Warenterminmarkt. Fortan konnten Käufer und Verkäufer Warenpreise vereinbaren für Warenlieferungen in ein, zwei, drei, sechs Monaten, was die Sicherheit der unternehmerischen Kalkulation erheblich erhöhte, da nun die Preisrisiken nicht von den Warenverkäufern und -käufern selbst, sondern von den Spekulanten übernommen wurden. Es entstand eine hochspezialisierte Zunft von Spekulanten, darunter viele Versicherungen.
Die Spekulanten hatten die Zeit und die Informationsmittel, sich über Warenpreisänderungen am Warenursprungsort und über Transportverzögerungen oder Schiffsunfälle zu informieren. Schlechte Kaffee- oder Kakao-Ernten, transportverzögernde Windflauten oder Schiffsunglücke blieben für sie kein Geheimnis, entsprechend diesen Informationen disponierten sie am Warenterminmarkt ihre Preisvorstellungen, doch in der Vergangenheit geschlossene Warenpreise für eine bestimmte Ware zu einem bestimmten Termin blieben davon unberührt.