Tagesblick – 2.8.2025 Samstag

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FAZIT DES TAGES – oder: Nachrichten aus dem irrwitzigen Weltzirkus

  • Israel-Hamas-Hisbollah-Krieg: Deutscher Außenminister „käpft“ gegen Israels Reputationsverlust in der Welt an, mahnt zugleich ein Ende des Krieges, das Ende des Hungerns in Gaza, die Rückgabe der Geiseln durch die Hamas und deren Entmachtung an.
    Präsident der jüdischen Gemeinde Graz kritisiert IKG-Präsident: zu einseitig, Kriegs- und Hungerleiden existieren tatsächlich.
    ANALYSE: Aussicht auf Zwei-Staaten-Lösung im Nahostkonflikt gleich Null.
    ANALYSE: Israels Strategiewechsel seit dem 7. Oktober 2023: von der Reaktion zum Gegenangriff.
  • Ukraine-Krieg: Russischer Vormarsch in Tschassiw Jar bestätigt. Schlagabtausch Trump-Medwedew lässt Trump drohen: Atom-U-Boote werden näher an Russland beordert – ein bisschen mehr an Eskalation.
  • USA: Trump feuert Leiterin des Statistikamtes, denn sie habe die Zahlen zu Ungunsten der Republikaner manipuliert; auch andere müssen unter Trump leiden.
  • EUROPA: Hoteliers haben die Nase von Boooking.com voll.
    Keine Kinder in Europa gefährden Wirtschaft und Gesellschaft.
    Asylgesuche im Rückwärtsgang: Deutschland und Österreich mit sinkenden Zahlen.
  • DEUTSCHLAND: Faule Kredite nahmen bis Anfang Juli zu.
    Schwach gefüllte Gasspeicher Anfang Juli.
    Migration belastet Schulen, Bildung sinkt seit 2015.
  • ÖSTERREICH: EVN-Kunden verlangen Rückzahlungen.
    Kühler Juli, fast wie damals.

  • Weitere COMMENTS vorhanden

MÄRKTE – Abwärts nach Spekulationshype: auf Wirtschaftsaussichten und Geopolitik wird wieder mehr fokussiert.

ZEITDIAGNOSEN: Fünf Merkmale der heutigen Zeit: von der Körperkultur bis zur Kinderlosigkeit, von Panik bis Künstliche Intelligenz, und alles ist verhandelbar als Generaleinstellung.

WIRTSCHAFTSMELDUNGEN IM ÜBERBLICK – Gemischte Wirtschaftsmeldungen in den USA. Weltweit dominieren eher rote Vorzeichen.

Themenreigen – TECHNIK: Die Wunder des visuellen Mikrophons. BILDUNG: Jugendliche lesen kaum noch, viele verstehen den Sinn des Gelesenen nicht mehr, die Folgen sind dramatisch. JUGEND: Mädchen und junge Frauen verdummen, meint eine Kinderbuchautorin: Wisch-und-Weg-Handy und Social Media als Faktoren. RELIGION: Hoffnung auf Annäherung zwischen Juden und Moslems nährt ein neues Buch.

Viel Stoff – Nutze die Suchfunktion!

Apropos Weltzirkus: Zirkus ist was für Kinder und Junggebliebene, Staunen und Lachen über die Clowns! Im Weltzirkus tummeln sich viele Zauberkünstler und Clowns. Lachen wir also, Lachen ist die beste Medizin gegen Depressionen. 

EMPFEHLUNG

INFORADIO als Nachrichtensender am laufenden Band ist mit einem DAB-fähigen Radio zu empfangen. Es wird betrieben von RTR – KommAustria.

Das INFORADIO ist eine wertvolle Ergänzung zu anderen Agenturmeldungen und zum ORF.

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MÄRKTE

DJI – BAHA *** DJI – KGV *** Rendite 10-jg. US-Anleihen

DAX Deutsche Börse *** DAX – KGV *** Rendite 10-jg. Bundesanl. *** Euro-Bund Futures

COMMENT: DAX fällt auf aus dem Frühjahr stammende Unterstützungslinie. Vernunft kehrt ein. Weder wirtschaftlich noch geopolitisch ist die Lage rosig. Wann der Ukraine-Krieg endet, weiß niemand, stattdessen gibt es in diesem geopolitischen Eck eskalative Verhärtungen.

US-Aktionen: Weltkonjunktur dürfte sich schlechter entwickeln als erwartet – Jens Erhard, The Market, 1.8.2025, 4:47

US-Präsident Donald Trump feiert immer mehr Verhandlungserfolge. Mit dem 15%-Zollsatz für EU-Exporte in die USA will er «unfaire» Handelsbeziehungen korrigieren. Warum sich die deutsche Börse vor diesem Hintergrund relativ freundlich entwickelt, bleibt erklärungsbedürftig.

COMMENT: Jens Erhard (WIKIPEDIA) ist in Finanzkreisen und unter Vermögensverwaltern ein renommierter deutscher Kommentator und selbst bekannter Vermögensverwalter. Hat er mit seinen Aussagen mit beigetragen, den Markt zu einem kleinen reinigenden Gewitter zu verhelfen?

Noch vor kurzem hieß es:

An den Börsen ist das Spekulationsfieber zurück – Mark Dittli, The Market, 25.7.2025

Die Finanzmärkte stecken die Zollpolitik der amerikanischen Regierung anscheinend problemlos weg. Doch Zölle sind Steuern – und diese können die Wirtschaft noch empfindlich treffen. In qualitativ niederwertigen Marktsegmenten beginnt bereits ein gefährliches Spekulationsfieber.

COMMENT: Auch Mark Dittli (WIKIPEDIA) ist ein wohlbekannter Schweizer Finanzkommentator. Sein warnender kurzer und prägnanter Kommentar stammt aus der letzten Woche und blieb wohl kaum ungelesen.

FAZIT:

Seit ca. drei Jahren vertritt der Tagesblick die Meinung, die Zeit des „großen“ Zugreifens bei Aktien sei noch nicht gekommen. Kleine Mengen zu kaufen schadet nichts, Kasse halten ist aber sicher vernünftig. Vielleicht war diese Haltung zu übervorsichtig, immerhin sind seither die Aktienkurse explodiert. Die Inflation, besser: der Kaufkraftverlust trug dazu einiges bei.

Fr NACHBÖRSE/XDAX +0,1% auf 23.455 Punkte1.755Dow Jones News
Fr MÄRKTE USA/Zollfrust sorgt für Verkäufe – Apple trotz starker Zahlen unter Druck1.911Dow Jones News
Fr Devisen: Euro baut Gewinne aus – Fed-Kugler kündigt Rücktritt an737dpa-AFX
Fr Aktien New York Schluss: Schwacher Arbeitsmarkt schockt Investoren710dpa-AFX
Fr MÄRKTE EUROPA/Sehr schwach – Zölle drücken Stimmung566Dow Jones News
Fr Aktien Wien Schluss: ATX geht deutlich schwächer ins Wochenende455dpa-AFX
Fr XETRA-SCHLUSS/DAX mit größtem Tagesverlust seit Anfang April546Dow Jones News
Fr Aktien Europa Schluss: Schwacher US-Arbeitsmarkt erhöht Kursdruck394dpa-AFX
Fr ROUNDUP/Aktien Frankfurt Schluss: Konjunkturängste setzen Dax schwer unter Druck608dpa-AFX
Fr US-Anleihen: Deutliche Kursgewinne – Schwacher Arbeitsmarktbericht stützt350dpa-AFX
Fr Deutschen Anleihen: Schwacher US-Arbeitsmarktbericht stützt Kurse220dpa-AFX

ZEITDIAGNOSEN – ZEITTHEMEN

Von der Katastrophenpanik bis zur Kinderlosigkeit und zum Körperkult: fünf Punkte, die unsere Gegenwart ausmachen – Hans Ulrich Gumbrecht, NZZ, 17.7.2025

Das erste Viertel des 21. Jahrhunderts unterscheidet sich fundamental von den vorangehenden Epochen. Gedanken zur Identität unserer Zeit.

1979 brachte Jean-François Lyotard den Begriff der «Postmoderne» in Umlauf. Seine Initiative, einen Begriff für die eigene Epoche zu finden, begründete er damit, dass alle Ansätze des philosophischen Denkens auf eine «Symptomatologie der jeweiligen Gegenwart» zulaufen müssen. Sollte er damit recht haben, so stellt sich die Frage: Was sind die Grundzüge unserer Zeit? Also jene des ersten Viertels des einundzwanzigsten Jahrhunderts? Und lassen sich diese symptomatologisch auf die Zukunft hochrechnen?

Als Ausgangspunkt für die Identifikation der Gegenwart könnten sich Themen der «meistgelesenen» Beiträge in Tageszeitungen eignen, und als Kontrasthintergrund stehen uns Bilder und Interpretationen des vorigen Jahrhunderts zur Verfügung.

Doch zu solchen Reflexionen kommt es derzeit erstaunlich selten. Die als meistgelesen ausgezeichneten Themen haben neben jeweils lokalen Ereignissen Tag für Tag beinahe ausschliesslich mit Donald Trump zu tun, und das «Phänomen Trump» scheint sich gegen ernsthafte historische Analysen zu sperren. Unter Gegnern löst der US-Präsident eine Entrüstung aus, die nicht weiter als zu pauschalen Kritiken unserer Zeit als Dekadenz-Epoche führt, während bei seinen Anhängern das «Make America great again»-Motiv Sehnsucht nach einer besseren amerikanischen Vergangenheit weckt, deren Profil vage, wenn nicht beliebig bleibt.

1. Vor uns liegt die Katastrophe

Gerade in diesem Desinteresse an einer historischen Identität der Gegenwart und in der Oberflächlichkeit einschlägiger Meinungen kommt paradoxerweise ein übergreifendes Symptom für die Signatur des einundzwanzigsten Jahrhunderts zum Vorschein. Bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts dominierte das «historische Weltbild», das den Menschen die Überzeugung gab, dass die Summe aller Veränderungen einem historischen Gesetz folgte, welches auf ein in der Zukunft liegendes Ziel hinstrebte und das Schicksal der gesamten Menschheit prägte. Diese Grundstruktur artikulierte sich in den gegensätzlichen Konzeptionen von Sozialismus und Kapitalismus, welche die Welt bis zum Ende des Kalten Krieges bestimmten.

Die neue Zeitlichkeit dagegen hat die früher zur Verwirklichung von Menschheitsprojekten offen gehaltene Zukunft durch ein Panorama vielfältiger auf uns zukommender Bedrohungen ersetzt – von ökologischen Krisen bis zur Versklavung durch künstliche Intelligenz. Statt wie im historischen Weltbild als Phase einer Entwicklung zu erscheinen, dehnen sich die vor der angesagten Katastrophenzukunft liegende Gegenwart und die Vergangenheit zu einer ebenso komplexen wie verwirrenden Sphäre zentrifugaler Impulse und Initiativen aus. In diesem Weltbild unter der vor uns liegenden Bedrohung ist jede Vergangenheit wiederholbar, wie es Trumps Maga-Bewegung verspricht, während für positive Zukunftsvisionen kein Raum mehr bleibt.

Wenn Ereignisse oder Handlungen aber nicht mehr als Teil von Entwicklungen aufgefasst werden, dann verlieren die übergeordneten Zielvorstellungen ihren Status als motivierende Projekte und Normen. Seit der Aufklärung hatte zum Beispiel die parlamentarische Demokratie mit der zu ihr gehörenden Gewaltenteilung als entscheidende Orientierung zukünftiger Wirklichkeit gegolten.

2. Alles ist verhandelbar

Weil die richtungslos zentrifugale Gegenwart nun jegliche Alternative aufnimmt, werden alle überkommenen Normvorstellungen verhandelbar. Darin liegt nach der Umstellung der Zeitlichkeit ein zweites Symptom unserer Gegenwart. Nicht zufällig ist das Wort «negotiable» zum verbalen Emblem der Trump-Regierung geworden, welche als Exekutive die Unabhängigkeit der Parlamente wie der rechtlichen Institutionen ignoriert und damit das Prinzip der Gewaltenteilung zum Gegenstand interner Verhandlungen degradiert. Auch aussenpolitisch sollen die immer neuen Ankündigungen amerikanischer Zölle andere Regierungen zu Verhandlungen zwingen, ohne dass das Weisse Haus klar umschriebene Ziele verfolgt.

Der Primat des Verhandelns nimmt nicht nur Prinzipien und zu Ideologien verhärteten Wertpositionen ihren Status bedingungsloser Geltung, sondern unterläuft auch auf ihnen beruhende transnationale Allianzen wie die Nato oder die Europäische Union. An ihre Stelle kehren meist bilaterale Verhandlungen zwischen Nationen zurück, aus denen Bündnisse eines anderen Typs entstehen wie die 2006 von Brasilien, Russland, Indien und der Volksrepublik China gegründete Brics-Gruppe. Selbst Kriege werden heute wieder zwischen Nationen und nicht mehr zwischen ideologischen Lagern geführt.

3. Künstliche Intelligenz überholt uns

Während sich genaue Gründe für die Umstellungen in der Zeitlichkeit und in den Formen der Weltgestaltung nur schwer ausmachen lassen, hängt ein neues Selbstbild der Menschen als drittes Gegenwartssymptom deutlich von technologischen Innovationen ab. Mit der Einführung elektronischer Suchmaschinen um 1995 hatte individuell erworbenes, bewahrtes und beständig erweitertes Wissen seine sprichwörtlich gewordene Macht verloren. Bald entlasteten funktional ausgerichtete Programme die Menschen auch weitgehend vom Gebrauch ihres Wissens und lösten damit eine bis heute unbewältigte Krise der überkommenen Bildungsinstitutionen aus.

Schliesslich wurde um 2012 zum ersten Mal «deep learning» beobachtet, das heisst eine von menschlichen Interventionen unabhängige Selbstoptimierung der Programme durch Algorithmen. Dadurch ist künstliche Intelligenz zu einer einschüchternden Konkurrenz für den menschlichen Geist geworden, der nach kompetenten Prognosen während des nächsten Jahrzehnts vom Rechner überholt werden wird. Damit muss der von Descartes’ kanonischem Satz «cogito ergo sum» (ich denke, also bin ich) vorausgesetzte Anspruch, dass allein der Mensch autonom denken kann, trotz aller Sehnsucht nach Ausflüchten und Beschönigungen seine Gültigkeit verlieren.

4. Körperkult statt körperliche Arbeit

Schon bevor die Computer zu einer Dimension unseres Alltags wurden, hatten Technologien des Industriezeitalters Arbeit fortschreitend von physischer Anstrengung entlastet. Eine massive gesellschaftliche Reaktion auf diesen Prozess und ein viertes Symptom des einundzwanzigsten Jahrhunderts hat sich als ein Wandel im Status der Körper von Instrumenten der Produktion zu Gegenständen ästhetischer Freude vollzogen.

Er erklärt den Triumphzug von praktiziertem Sport und Zuschauersport, die wachsende Aufmerksamkeit und die ansteigenden Ausgaben für elaborierte Formen des Essens, bei denen Kalorienaufnahme zur Nebensache wird, die nicht mehr klassen- oder berufsspezifische Faszination von Kleidung im Wechsel ihrer Moden und die chirurgische Verfahren einschliessende Vielfalt von Massnahmen zur Gestaltung individueller Körper.

An diese Verschiebung im menschlichen Selbstbild vom Denken hin zum Körper als primärem existenziellem Wert scheinen sich die Inhalte der global registrierten Zukunftsdrohungen angepasst zu haben. Schon um die Jahrtausendwende dominierten ökologische Katastrophenszenarien einer anstehenden Unbewohnbarkeit des Planeten Erde. Inzwischen sind als Folge beschleunigter Fortschritte der Medizin demografische Aspekte zentral geworden: Wie sollen angesichts steigender Lebenserwartungen die älteren, nicht mehr wirtschaftlich produktiven Generationen versorgt, aber auch intellektuell und kulturell beschäftigt werden?

5. Kinderlose Gesellschaft

Erst während der letzten Monate hat sich angesichts überraschend schnell fallender Geburtenraten die seit dem achtzehnten Jahrhundert bestehende Furcht vor einem unaufhaltsamen Anwachsen der Menschheit in eine Angst vor den Konsequenzen einer abnehmenden Weltbevölkerung verkehrt.

Ausgerechnet Elon Musk gehört mit seinen Warnungen in apokalyptischem Ton – und auch mit dem Ehrgeiz, zu möglichst vielen Schwangerschaften beizutragen – zu den noch wenigen Zeitgenossen, die auf diese Situation reagiert haben. Die Konvergenz von steigendem durchschnittlichem Lebensalter und fallenden Geburtenzahlen ist zum fünften Symptom der Gegenwart geworden.

Aus dem Blick auf unsere Gegenwart des nicht mehr frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts, in dem wir vor Eindrücken des Menschheitsendes die Formen der Welt täglich verhandeln lassen und uns als Individuen die breite Zeit mit Konzentration auf den Körper vertreiben, ergibt sich ein dramatischer Kontrast zu der Zeit von 1925, als nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die Ideologien des Kommunismus und des Faschismus mit doppelter Energie und Zuversicht in einen kollektiven Kampf um die utopische Gestaltung der Zukunft eintraten.

Doch dieser Gegensatz sollte weder Niedergeschlagenheit angesichts geschwundener Energien noch Erleichterung über geschmolzene Ideologien veranlassen. Denn historische Vergleiche gehören zu einem Repertoire des Denkens, das längst hinter uns liegt. So kommt auch die Frage nach der Identität des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu spät, was ihren intellektuellen Charme ausmachen könnte.

Hans Ulrich Gumbrecht ist emeritierter Albert-Guérard-Professor für Literatur an der Stanford University und Distinguished Emeritus Professor an der Universität Bonn.

GESELLSCHAFTSSEISMOGRAPH BÖRSEN

findet sich am Ende des Tagesblicks

HELLMEYER (Märkte u.a.m.)

ISRAEL-IRAN-HAMAS-HISBOLLAH-KRIEG

ISRAEL-NAHOST-KONFLIKT im n-tv-Liveticker

01.08.2025 16:50

„Solche Taten sind Verbrechen“ Wadephul verurteilt Siedlergewalt und ermahnt Israel

Bei seinem Besuch im Westjordanland spricht sich Außenminister Wadephul für die Perspektive eines palästinensischen Staates aus. Die Hamas dürfe dabei keinerlei Einfluss erhalten, betont der CDU-Politiker. Zugleich richtet er eine klare Warnung an die israelische Regierung.

ISRAEL-NAHOST-KONFLIK-FAZ-Liveblog

Außenminister Wadephul hat im Westjordanland die Ortschaft Taybeh besucht,

die in den vergangenen Monaten mehrfach überfallen worden war. Er sah sich dort unter anderem zwei ausgebrannte Autos an und sprach mit dem Bürgermeister und drei Geistlichen. „Wir sind hier von Siedlern umgeben. Wir können nicht in Stabilität und Sicherheit leben“, klagte einer von ihnen. Dabei seien sie doch friedliche Menschen. Taybeh ist mehrheitlich von christlichen Palästinensern bewohnt. 

„Solche Taten sind Verbrechen, sie sind Terror und sie gehören endlich polizeilich verfolgt“, sagte Wadephul zu den Überfällen. „Israel muss als Besatzungsmacht und als Rechtsstaat Sicherheit und Ordnung durchsetzen und Straftaten verfolgen“, sagte Wadephul. „Es muss die palästinensische Bevölkerung vor diesen Straftätern schützen.“ 

Die Bundesregierung setze sich auf europäischer Ebene für weitere Sanktionen gegen gewalttätige Siedler ein. Die Position der Bundesregierung sei eindeutig: „Die Politik des Siedlungsbaus ist völkerrechtswidrig.“ Das habe er am Vortag auch seinen Gesprächspartnern in Jerusalem gesagt. „Die illegalen Siedlungen sind ein Stein gewordenes Hindernis für die Zweistaatenlösung“, kritisierte Wadephul.

Außenminister Johann Wadephul stuft die humanitäre Notlage der Bevölkerung im Gazastreifen als „unerträglich“ ein

und befürchtet deswegen eine weitere diplomatische Isolation Israels. Ob und wie schnell sich die Situation in dem abgeriegelten Küstenstreifen verbessere, sei entscheidend, sagte der CDU-Politiker in den ARD-„Tagesthemen“. „Es muss sich fundamental verbessern für die Menschen im Gazastreifen. Darauf schaut die ganze Welt. Und das droht Israel in eine immer schwierigere Situation zu bringen.“

Bei seinem Besuch in Israel habe er deutlich gemacht, wie hoch der Druck sei. „Wir brauchen jetzt endlich einen Waffenstillstand und eine Einigung darüber, wie die Geiseln freigelassen werden.“ Die internationale Lage habe sich so zugespitzt, dass sich Israel bedauerlicherweise international immer mehr in einer isolierten Position befinde. Dies könne Deutschland nicht kaltlassen.

Das israelische Militär fängt nach eigenen Angaben eine aus dem Jemen abgefeuerte Rakete ab.

In mehreren Gebieten des Landes seien Sirenen ausgelöst worden, teilt die Armee mit. Die meisten Raketen oder Drohnen wurden abgefangen oder erreichten israelisches Territorium nicht. Israel hat eine Reihe von Vergeltungsangriffen auf Ziele im Jemen ausgeführt. Die Huthi-Miliz im Jemen verübte in der Vergangenheit wiederholt Angriffe auf Israel und begründete das unter anderem mit der Solidarität mit den Palästinensern im Gazastreifen. Am Freitag sind nach israelischen Angaben insgesamt 126 Paletten mit Lebensmitteln aus sechs Ländern über dem Gazastreifen abgeworfen worden. Das teilt die israelische Armee auf der Plattform X mit. An der koordinierten Aktion hätten sich Deutschland, Spanien, Frankreich, Jordanien, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate beteiligt.

Angesichts der humanitären Krise im Gazastreifen will Italien erneut kranke palästinensische Kinder und ihre Begleitpersonen zur Behandlung ausfliegen lassen.

Außenminister Antonio Tajani erklärte, man arbeite an einem entsprechenden Evakuierungsplan. Insgesamt sollen rund 50 Menschen ausgeflogen werden.

Zudem kündigte Tajani an, auch Hilfsgüter aus der Luft über dem Gazastreifen abwerfen zu lassen. Die ersten Luftabwürfe seien geplant und könnten bereits am 9. August erfolgen, teilte das italienische Verteidigungsministerium mit. Zusätzlich plant Italien, weitere fünf Millionen Euro für den Kauf von Lebensmitteln bereitzustellen.

Außenminister Johann Wadephul hat Israel mit deutlichen Worten vor einer Annexion des Westjordanlandes gewarnt.

„Jegliche Annexionsphantasien, sie es für Gaza oder für das Westjordanland, die auch von Teilen der israelischen Regierung hervorgebracht werden, lehnen wir klar ab“, sagte der CDU-Politiker. „Sie würden von Deutschland nicht anerkannt werden.“

Ausgang der Annexionssorgen sind Äußerungen israelischer Politiker und eine jüngst vom Parlament gefasste Resolution. In ihr wird die rechts-religiöse Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dazu aufgefordert, die „Souveränität“ des Staates Israel auf alle jüdischen Siedlungen im Westjordanland auszudehnen.

Der US-Sondergesandte für den Nahen Osten, Steve Witkoff, hat eine Verteilstelle für Hilfsgüter der von den USA und Israel unterstützten Stiftung Gaza Humanitarian Foundation (GHF) besucht.

Der US-Botschafter in Israel, Mike Huckabee, veröffentlichte am Freitag im Onlinedienst X Fotos des Besuchs ohne eine genaue Ortsangabe. „Wir haben mit der israelischen Armee und Leuten vor Ort gesprochen“, schrieb Huckabee. GHF verteile „mehr als eine Million Mahlzeiten am Tag“. Das sei „eine unglaubliche Leistung“, fügte er hinzu. Dass die GHF die bisher zuständigen UN-Organisationen als Hauptverteiler von Hilfsgütern im Gazastreifen abgelöst hat, ist hoch umstritten. 

ISRAEL-IRAN-KRIEG im n-tv Liveticker

WEITERE ISRAEL-MELDUNGEN

FrWadephul in Sorge: Israel international immer isolierter411dpa-AFX
FrIsraels Generalstabschef: Ohne Einigung gehen Kämpfe weiter367dpa-AFX
FrIsrael: 126 Paletten mit Hilfslieferungen über Gazastreifen abgeworfen211dpa-AFX
FrWadephul fürchtet Isolation Israels wegen Vorgehen in Gaza229dts Nachrichtenagentur
FrROUNDUP: Wadephul warnt Israel vor Annexion des Westjordanlandes229dpa-AFX

Präsident der jüdischen Gemeinde Graz kritisiert Deutsch – ORF, 1.8.2025

Der schon zuvor mit Kritik bedachte Auftritt des Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Oskar Deutsch in der ZIB2 sorgt auch in den eigenen Reihen für Unmut.

Elie Rosen, Präsident der jüdischen Gemeinde in Graz, sagte in der „Kronen Zeitung“, die humanitäre Situation im Gazastreifen vollkommen zu negieren habe sicherlich nicht dazu beigetragen, die Wogen zu glätten, sondern vielmehr die Frage aufgeworfen, „ob auf unserer Seite ausreichend Sensibilität vorhanden ist“.

Das Interview habe die Lage, die ohnehin schon sehr angespannt sei, jedenfalls nicht entschärft, sagte Rosen. Deutsch hatte das Vorgehen Israels im Gazakrieg verteidigt.

Kritisch gesehen wurde auch, dass der IKG-Präsident gemeint hatte, dass man nicht wisse, ob im Gazastreifen tatsächlich eine Hungersnot drohe.

Deutsch spreche die Propaganda-Bildverbreitung im Internet und die vielen Fake-Bilder an, meinte dazu Rosen: „Dabei übersieht er allerdings, dass es ein humanitäres Problem in Gaza gibt, das niemand verleugnen kann.“ Überall, wo Krieg herrsche, litten und hungerten Menschen. Als Vertreter einer Religionsgesellschaft sei man gut beraten, zu entpolarisieren und auch darzustellen, dass eine differenzierte Diskussion innerhalb der jüdischen Gemeinden möglich ist, meinte der Präsident der jüdischen Gemeinde Graz.

red, ORF.at/Agenturen

COMMENT: Elie Rosen ist nicht irgendwer. Er hat sich in österreichisch-jüdischen Belangen auf vielfältige Weise einen Namen gemacht. Ist die Kritik an Oskar Deutsch ein Griff nach der IKG-Macht in Österreich? Erst Präsident der jüdischen Gemeinde in Baden, die er aus dem Dornröschenschlaf erweckt hat, dann in Graz und zugleich vertretungsweise in Salzburg, dazwischen maßgebliche Mitwirkung in der Wiener Gemeinde. Und was wird die die Position des gelernten, gut 50-jährigen Juristen künftig sein?

Interessant auch, wo die Kritik mitgeteilt wird: in der Kronenzeitung. Wen will Rosen damit erreichen?

KOMMENTARE – ANALYSEN

ANALYSE – Die Zweistaatenlösung ist im Nahostkonflikt zur Utopie geworden – Riachard C. Schneider, NZZ, 25.7.2025

Seit dem 7. Oktober wird die Lage für Israeli und Palästinenser immer prekärer. Vorschläge für einen Weg in eine friedliche Zukunft gibt es viele, doch sie taugen nichts. Das liegt an Politik und Gesellschaft.

Die Idee, dass Israel und Palästina entlang der Grenzen von 1967 friedlich nebeneinander koexistieren, ist in weite Ferne gerückt. Während die Zweistaatenlösung von der internationalen Staatengemeinschaft immer noch mantraartig beschworen wird, zerbröckelt jede Grundlage für einen funktionierenden palästinensischen Staat.

Schuld daran ist die gesellschaftliche und politische Realität. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die «offizielle» Regierung der Palästinenser, hat versagt. Sie entstand 1994 als Verwaltungsorgan für Teile des Westjordanlands und des Gazastreifens. Doch aus der Keimzelle eines Staates wurde längst ein finanziell abhängiges und politisch machtloses sowie korruptes Gebilde.

Gründe für das Scheitern der Palästinensischen Autonomiebehörde

Das hat verschiedene Ursachen:

  1. Der PA fehlt es vor allem an Legitimität. Der Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ist seit Januar 2005 im Amt, ohne jemals wiedergewählt worden zu sein. Die letzten Parlamentswahlen fanden 2006 statt und mündeten in eine Katastrophe mit der gewaltsamen Übernahme Gazas durch die islamistische Hamas ein Jahr später. Seitdem regiert die PA nur noch im Westjordanland, und Neuwahlen werden aus Furcht vor einer Machtverschiebung zugunsten der Islamisten immer wieder verschoben.
  2. Finanziell ist die PA von aussen abhängig. Mehr als 70 Prozent des Haushalts werden durch internationale Geldgeber gedeckt, Israel hält Steuereinnahmen für die PA im Millionenbereich zurück, um politischen Druck auszuüben. Die PA ist damit chronisch unterfinanziert und jederzeit erpressbar.
  3. Die PA hat sich längst zu einem Patronagesystem entwickelt. Beamtengehälter und Subventionen dienen vor allem der Erhaltung von Loyalitäten und nicht der Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen.

In dieser Gemengelage droht die PA zu kollabieren, erst recht, wenn der inzwischen 89-jährige Präsident Abbas stirbt. Es fehlt an funktionierenden Strukturen und visionären Führungsfiguren.

Mögliche Nachfolger von Mahmud Abbas

Doch wer könnte Mahmud Abbas beerben? Vor allem drei Namen werden immer wieder genannt:

  1. Hussein al‑Sheikh. Er ist der Generalsekretär des Zentralkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und gilt als Vertrauter von Präsident Abbas, der ihn im April dieses Jahres zum Vizepräsidenten ernannte. Sheikh ist zwar ein erfahrener Politiker, doch er gilt als Teil des alten, von den Palästinensern verhassten Regimes. Er dürfte nicht der Mann sein, der Reformen durchsetzen und mit den Israeli einen Frieden aushandeln könnte.
  2. Mohammed Dahlan. Der ehemalige Sicherheitschef von Gaza musste beim Putsch der Hamas 2007 fliehen und wurde von Präsident Abbas aus der Fatah ausgeschlossen. Dahlan versuchte nach der Macht zu greifen und wurde Abbas gefährlich. Seitdem lebt er in den Vereinigten Arabischen Emiraten, hat beste Kontakte in den Golfstaaten, verfügt über Geld und Netzwerke. Für viele Fatah-Aktivisten gilt Dahlan bis heute als Verräter. Er wurde beschuldigt, den Palästinenserführer Yasir Arafat vergiftet zu haben, ausserdem wurden ihm enge Kontakte zum CIA und dem israelischen Inlandgeheimdienst Shin Bet vorgeworfen. Seine Rückkehr ins Westjordanland könnte zu Unruhen und Machtkämpfen führen.
  3. Marwan Barghouti. Er sitzt seit 2002 in einem israelischen Gefängnis, verurteilt zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen mehrerer Terroranschläge während der Zweiten Intifada. Barghouti wird von den Palästinensern als charismatische Symbolfigur des Widerstands bewundert. Barghouti wäre ohne Zweifel der Einzige, der Hamas und Fatah miteinander versöhnen könnte. Doch selbst wenn die Israeli ihn freilassen würden, bliebe offen, ob der einstige Führer der Tanzim-Miliz nach jahrzehntelanger Gefangenschaft die politische Routine beherrscht, um mit den Israeli über einen Palästinenserstaat zu verhandeln.

Diese drei Kandidaten könnten die Nachfolge Abbas’ antreten, aber keiner bringt die nötige Legitimität, genügend Reformwille oder die politische Erfahrung mit, die nötig wären, um eine handlungsfähige PA zu formen. Nach dem Tod von Präsident Abbas könnte damit ein Machtvakuum eintreten, das zu heftigen Auseinandersetzungen rivalisierender Gruppen und Politiker führt.

Für die Zukunft der PA noch wichtiger ist die Frage, was mit der Hamas und Gaza geschehen soll. Die PA wäre kaum in der Lage, das Chaos in dem Küstenstreifen zu kontrollieren. Je länger die Zivilbevölkerung in Gaza leidet, desto stärker entwickelt sich der Nährboden für neue radikale islamistische Gruppierungen. Doch ein dauerhafter Frieden zwischen Palästinensern und Israeli ist ohne einen umfassenden politischen Neuaufbau, der Gaza und das Westjordanland unter eine Führung stellt, kaum vorstellbar.

Alternativen zur Zweistaatenlösung

Ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu einer Zweistaatenlösung ist inzwischen ein grosser Teil der israelischen Gesellschaft. Der 7. Oktober hat die israelische Gesellschaft tief erschüttert. Das Trauma des genozidalen Überfalls der Hamas hat die Bereitschaft, den Palästinensern einen eigenen Staat zuzugestehen, gegen null sinken lassen. Friedensbewegungen in Israel werden auf lange Zeit marginalisiert bleiben, die politische Mitte erodiert, die radikale Rechte dominiert den Diskurs.

Annexionsdebatten sind schon jetzt ins Zentrum politischer Zukunftsüberlegungen gerückt. Dabei wissen die meisten Israeli, dass die Kontrolle über sechs Millionen Palästinenser im Westjordanland und in Gaza zunehmend unhaltbar ist, moralisch wie praktisch. Dennoch fürchten sie heute mehr denn je, dass ein Ende der Kontrolle der palästinensischen Gebiete zu noch mehr Gewalt führen würde.

Was also bleibt, wenn die Zweistaatenlösung tot ist? Viele preisen das Einstaatmodell als einzige Alternative an. Doch dies hätte für beide Seiten fatale Konsequenzen.

Für Israeli würde es das Ende des jüdischen Nationalstaats bedeuten und die Wahrscheinlichkeit, in naher Zukunft eine Minderheit im Staat zu werden. Damit einher ginge die Angst vor dem Verlust politischer Kontrolle, eine tiefe Identitätskrise des zionistischen Selbstbildes und der Staatsräson sowie die unmögliche Akzeptanz gemeinsamer staatlicher Institutionen.

Die Palästinenser hätten bei diesem Modell zwar die Chance auf eine Staatsbürgerschaft und das Ende der Besatzung, doch auch sie würden ihre nationale Identität und ihr Geschichtsbewusstsein verlieren. Hinzu käme die fehlende Tradition der pluralistischen Demokratie, die Gefahr politisch-ideologischer Konflikte untereinander sowie mit der jüdischen Bevölkerung.

Das könnte den neuen Staat rasch destabilisieren. Ohne einen fundamentalen Mentalitätswandel beider Gruppen droht ein endloser Konflikt.

Ein gemeinsamer Staat bleibt eine Utopie

Auch das Einstaatmodell bleibt eine Utopie. Andere, hybride Vorschläge dürften ebenfalls an der Realität scheitern:

  1. Eine Konföderation: zwei unabhängige Staaten mit offener Grenze und einigen gemeinsamen Institutionen. Das wäre jedoch eher der zweite Schritt nach einer Zweistaatenlösung. Im Augenblick dürfte diese Formel an der Frage der Souveränität und der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung Palästinas scheitern, da Israel auf Sicherheitsgarantien in jedem Fall bestehen würde.
  2. Eine Annexion mit begrenzter Autonomie: Israel annektiert das Westjordanland und gewährt den Palästinensern eine begrenzte Selbstverwaltung. Was mit Gaza geschieht, bleibt vorerst offen. Internationale Ächtung und langfristige Instabilität wären bei diesem Vorgehen vorprogrammiert.
  3. Eine internationale Verwaltung: ein UN‑Mandat über Gaza und Teile des Westjordanlandes während eines mehrjährigen Übergangs. Die Geschichte jedoch lehrt, dass die Vereinten Nationen so gut wie nie ein Stabilitätsfaktor waren. Ausserdem hat noch kein Staat auf Zeit je dauerhaft funktioniert.

Die Zweistaatenlösung ist also nicht nur politisch blockiert, sie ist strukturell am Ende. Auch alle anderen Alternativen erfordern ein neues Selbstverständnis beider Völker, was derzeit undenkbar erscheint. Ein Ausweg aus dem Konflikt ist weiterhin nicht in Sicht, ein souveräner Palästinenserstaat ferner denn je. Das verheisst für die Zukunft nichts Gutes.

ANALYSE – Israel ändert seine militärische Strategie – von der Reaktion zur Eliminierung von Gefahren – Richard C. Schneider, NZZ, 2.7.2025

Das Massaker vom 7. Oktober hat in Israel ein Umdenken ausgelöst. Dass die eigene Sicherheit höchste Priorität hat, ist nicht mehr verhandelbar. Das schafft Konflikte mit internationalen Normen.

Es gehört zur DNA Israels, dass Sicherheit stets oberste Priorität geniesst. Doch sie wurde selten strategisch geplant und eher taktisch umgesetzt. Über Jahrzehnte hinweg dominierte eine Kultur des Ad-hoc-Handelns: Akute Gefahren wurden unmittelbar adressiert, strategische Langzeitwirkung blieb sekundär. Dieses Muster prägte sowohl politische wie auch militärische Entscheidungsprozesse.

Doch mit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 erlebte diese Haltung einen Schock und offensichtlich eine Wende. Wie man in den vergangenen anderthalb Jahren erleben konnte, beginnt sich Israel von der jahrzehntelangen Praxis reaktiver Zurückhaltung zu lösen und präventive Sicherheit als neue Militärdoktrin zu etablieren. Wurde früher zumeist über das «Ob» diskutiert, steht jetzt nur noch das «Wann» im Vordergrund.

Die Geschichte Israels ist eng mit Krisen verbunden, die sich schnell zuspitzten. Entsprechend reagierte Israel auf das Unmittelbare. Das war bei der Sinai-Intervention 1956 so, erst recht beim Sechstagekrieg 1967 und auch beim Überraschungsangriff der Ägypter und Syrer im Oktoberkrieg 1973. Das israelische Muster war stets gleich: Die Reaktion erfolgte auf eine unmittelbare Bedrohung, nicht auf deren antizipierte Möglichkeit. Man handelte, weil man musste, nicht weil man konnte.

Militärisch galt das Prinzip: Abschreckung durch begrenzte Operationen. Politisch war es vor allem ein Management des Status quo und nur selten – wie beim Oslo-Abkommen 1993 – eine echte Initiative. Strategisch gab es eigentlich nie einen übergeordneten Masterplan, sondern immer nur situative Improvisation. Sie brachte das Land manchmal an den Rand der Katastrophe.

Der 7. Oktober hat das Sicherheitskonzept verändert

Gegenüber nichtstaatlichen Akteuren wie der Hamas, dem Hizbullah oder dem Islamischen Jihad dominierte über Jahrzehnte ebenfalls die sogenannte «Containment»-Logik: Eskalationen wurden eingedämmt, jedoch selten präventiv unterbunden. Luftangriffe, Operationen am Boden, punktuelle Mobilisierungen dienten alle der Rückkehr zum Zustand vor der Krise. Das zeigte sich besonders deutlich in den ersten vier Gaza-Kriegen seit 2008.

Der Preis dafür war ein permanenter Ausnahmezustand. Dieser wurde als Dauerzustand verwaltet, nicht aber überwunden. Das führte häufig zu «Inszenierungen» von Schlag und Gegenschlag: Aus Gaza flogen ein paar Raketen auf Israel. Die Luftwaffe reagierte mit Bombenangriffen auf «Positionen der Hamas», die diese natürlich längst verlassen hatte, weil sie die israelische Vergeltung antizipiert hatte. Beide Seiten wussten das. Es war beinahe so etwas wie eine stille Übereinkunft.

Mit dem 7. Oktober hat sich die Tektonik dieser manchmal durchaus zweifelhaften Sicherheitsarchitektur verschoben. Die Bilder des Massakers, die Unfassbarkeit der stundenlangen Untätigkeit staatlicher Institutionen, die systematische Gewalt der Hamas – all das erzeugte ein Trauma, das tiefer reicht als jede vorherige Eskalation. Es war nicht nur ein punktuelles militärisches Versagen, sondern ein fundamentales Sicherheitsversagen. Und es stellte die bisherige Logik infrage: War das strategische Zögern Israels nicht selbst Teil des Problems geworden?

Die Reaktion Israels war entsprechend radikal. Innerhalb kürzester Zeit wurden nicht nur militärische Massnahmen in Gaza intensiviert, sondern auch die strategische Rhetorik neu ausgerichtet. Die politische und militärische Zurückhaltung, die über Jahrzehnte als Ausdruck moralischer Überlegungen galt, wird inzwischen als politisches Versäumnis gewertet. Die Lehre aus dem Oktober 2023: Wer defensiv denkt, riskiert existenzielle Katastrophen. Wer nicht präventiv handelt, verliert den Handlungsspielraum und damit die Möglichkeit zu überleben.

Israel will Gefahren nicht mehr nur «verwalten»

In gewissem Sinne greift Israel nun auf ein bereits vorhandenes, altes Konzept zurück: die sogenannte Begin-Doktrin – benannt nach dem Ministerpräsidenten Menachem Begin. Sie legitimierte bereits 1981 den präventiven Angriff auf den irakischen Atomreaktor in Osirak. Auch später wurde dieses Prinzip selektiv angewandt, etwa 2007 in Syrien bei der Zerstörung einer Atomanlage im Bau oder mutmasslich in Iran mit Geheimdienstoperationen.

Doch was immer nur die Ausnahme war, wird gerade neue Normalität. Ein deutliches Beispiel für dieses Umdenken ist der Luftkrieg Israels gegen das iranische Atomprogramm. Ganz offensichtlich wollen die israelischen Politiker eine Gefahr nicht mehr «verwalten», sondern eliminieren. Am besten, bevor sie sich materialisiert.

Dabei steht weniger das Recht auf Selbstverteidigung im Vordergrund als die strategische Forderung nach Sicherheit als aktives Konzept. Der Staat, so das neue Denken, hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, Handlungsräume zu nutzen, bevor andere Akteure in der Region sie schliessen.

Diese Verschiebung ist nicht nur rein sicherheitstechnischer Natur. Sie wird politisch ermöglicht durch eine Verschiebung der gesamten politischen Landschaft Israels nach rechts, wie sich das in den letzten Jahren bereits gezeigt hat. Die derzeitige israelische Regierung ist eine Koalition von Netanyahus Likud-Partei, zwei rechtsextremen und mehreren ultraorthodoxen Parteien. Sie hat sich ideologisch von der liberal-säkularen Gründungsidentität entfernt.

Die Agenda der Regierung ist geprägt von territorialem Souveränitäts- und Besitzdenken, religiöser Identität und Selbstvergewisserung sowie einem klaren Vorrang nationaler Sicherheit – koste es, was es wolle. Dadurch entstehen logischerweise Spannungen zwischen den internationalen Erwartungen an israelische Mässigung und innenpolitischen Forderungen nach entschlossener Stärke. Die Mehrheit der Regierungskoalition sieht in internationalen Normen nicht mehr bindendes Recht. Sie sind ein Hindernis bei der Notwendigkeit, das Überleben der Nation zu garantieren.

Gesellschaftlicher Wandel Israels hat Politik verändert

Diese Verschiebung ist erst durch einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel in Israel möglich geworden. Die aschkenasisch geprägte Oberschicht, die Jahrzehnte das liberale Rückgrat des Landes war, verliert zunehmend an Einfluss. Heute stellen religiös-konservative Gruppen wie die Misrachim, die Juden aus den orientalischen Ländern, Ultraorthodoxe und nationalreligiöse Siedler die Mehrheit unter den jüdischen Wählern.

Was in Europa nicht begriffen wird, ist Israels Blick auf Sicherheit. Dieser ist geprägt von unmittelbarer Bedrohung, von durchlebten Erfahrungen und einer wachsenden Skepsis gegenüber Kompromisslösungen. Der 7. Oktober wird als blutiges Ergebnis solcher falschen Kompromisse gewertet, für die auch Netanyahu als langjähriger Ministerpräsident mitverantwortlich war.

Was bedeutet nun dieser Wandel ganz konkret?

Erstens wird die Einsatzbereitschaft der israelischen Streitkräfte permanent hochgehalten. Nicht nur jetzt unmittelbar, da noch gekämpft wird, sondern auch zukünftig. Das ist bereits beschlossene Sache. Szenarien zukünftiger präventiver Militäreinsätze, zum Beispiel gegen neue iranische Bestrebungen im Nuklearbereich, sind ab jetzt nicht mehr nur Planspiele. Sie werden Teil realer Vorbereitungen sein.

Und zweitens verliert die Rücksicht auf internationale Reaktionen an Bedeutung. Zwar bleibt Israel auf diplomatische Partnerschaften mit den USA, den arabischen Nachbarn oder der EU angewiesen. Doch dass die eigene Sicherheitsbeurteilung Vorrang hat, ist nicht mehr verhandelbar. Strategische Notwendigkeiten werden zukünftig vor völkerrechtlichen Erwartungen stehen.

Dieser neue Kurs provoziert unweigerlich ethische Fragen: Darf ein Staat präventiv handeln, wenn keine akute Bedrohung vorliegt? Welche Normen gelten, wenn sich eine Gesellschaft im permanenten Sicherheitsmodus befindet? Und wie lässt sich der Anspruch auf moralisch berechtigte Selbstbehauptung mit dem System internationaler Regeln vereinbaren?

In Israel lautet die Antwort zunehmend: Wir entwickeln moralische Regeln nicht, weil wir zuerst moralisch denken und dann überlegen, wie man Sicherheit schafft. Sondern weil wir Sicherheit brauchen, entstehen moralische Regeln, was erlaubt oder verboten ist.

Die historischen Erfahrungen von Shoah, Vertreibung und fortwährender Delegitimierung durch Feinde in der Region sowie nun das genozidale Massaker vom 7. Oktober bilden die Basis dieses neuen Denkens. Prävention erscheint den Israeli nicht mehr als aggressiver Akt, sondern als existenzielle Notwendigkeit.

Dass der liberale Westen und die Entwicklungs- und Schwellenländer damit ihre Probleme haben werden, ist offensichtlich. Verteidigung, die Prävention zur neuen Maxime macht, gilt als aggressiver Widerspruch zu den multilateralen Spielregeln.

Doch genau deswegen sehen sich viele Israeli im Recht. Solche Kritik ist für sie der Beweis, dass die Welt ihre Lebensrealität nicht versteht oder gar nicht verstehen will. Ob der neue Kurs aber tatsächlich erfolgreich sein wird, ist keineswegs garantiert. Denn präventive Strategien provozieren neue Spannungen und Risiken.

URAINE-KRIEG im n-tv Liveticker

Detaillierte Meldungsübersicht. Daraus eine Auswahl:

+++ 08:55 Ukraine meldet 172 Gefechte seit gestern +++
In den vergangenen 24 Stunden verzeichnete der ukrainische Generalstab 172 Gefechte zwischen den eigenen Verteidigungskräften und russischen Invasoren entlang der Frontlinie. Die meisten davon im Sektor Pokrowsk, wo die Verteidiger nach eigenen Angaben 66 feindliche Angriffe erfolgreich abwehren konnten.

+++ 07:58 Deepstate: Russen machen Fortschritte in Tschassiw Jar +++
Die russische Armee erzielt Fortschritte in Tschassiw Jar, Toretsk und anderen Ortschaften in der Oblast Donezk. Das berichtet das DeepState-Überwachungsprojekt. Vorgestern Früh hatte der Kreml bereits die vollständig Besetzung des seit Monaten umkämpften Tschassiw Jar gemeldet, doch widersprach die Ukraine der Behauptung. Nach ukrainischer Darstellung befinden sich in der Stadt nahezu keine Zivilisten mehr, russische Truppen nutzen noch vorhandene Gebäude als Deckung für ihre Angriffe.

Schlacht um Tschassiw Jar Oberst Reisner erklärt drei Brennpunkte an der Ukraine-Front

+++ 06:17 Blogger melden Explosion in russischer Raffinerie +++
Militärbeobachter, darunter der amerikanische Blogger Igor Sushkin, melden eine große Explosion in der russischen Ölraffinerie von Nowokujbyschewsk in der Region Samara. Der Explosion soll ein ukrainischer Drohnenangriff vorausgegangen sein. Samara liegt etwa 1.000 km entfernt von der Grenze zur Ukraine. Laut Sushkin raffiniert der Komplex 8,8 Millionen Tonnen Öl pro Jahr – 176.000 Barrel pro Tag.

+++ 05:31 Putin: Moskau baut neue Hyperschallrakete „Oreschnik“ – Startplätze in Belarus +++
Der russische Präsident Wladimir Putin sagt, Moskau habe mit der Produktion seiner neuesten Hyperschallrakete namens „Oreschnik“ begonnen und bestätigt Pläne, die Waffe noch in diesem Jahr in Belarus einzusetzen. Putin erklärt dies während eines Interviews mit den staatlich kontrollierten russischen Medien bei einem Treffen mit dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko im orthodoxen Kloster Walaam in der Nähe von St. Petersburg. Belarus, ein enger Verbündeter des Kremls, grenzt sowohl an die Ukraine als auch an Russland und diente Moskau während seiner umfassenden Invasion der Ukraine als wichtiges Aufmarschgebiet. Russische Truppen haben von weißrussischem Territorium aus Angriffe auf die Ukraine gestartet, und die beiden Länder führen häufig gemeinsame Militärübungen durch. Laut Putin haben die russischen und belarussischen Streitkräfte bereits Startplätze in Belarus für das Oreschnik-Raketensystem ausgewählt.

+++ 03:10 Insider: USA und Nato entwickeln neues Modell für US-Waffenlieferungen +++
Die USA und die Nato arbeiten laut Insidern an einem neuen Modell zur Lieferung von US-Waffen an die Ukraine. Die Nato-Staaten sollen dabei die Käufe oder Transfers finanzieren, sagen drei mit der Angelegenheit vertraute Personen. Demnach soll die Ukraine die von ihr benötigten Waffen in Tranchen von rund 500 Millionen Dollar priorisieren. Die Nato-Verbündeten würden dann unter der Koordination von Generalsekretär Mark Rutte untereinander aushandeln, wer für die Posten auf der Liste spendet oder bezahlt. Laut einem europäischen Insider sollen auf diesem Weg Waffen im Wert von zehn Milliarden Dollar für die Ukraine bereitgestellt werden.

+++ 22:14 Militärexperte Lange zu angekündigter Verlegung von Atom-U-Booten: Medwedews Drohungen „unverantwortlich“ +++
US-Präsident Donald Trump begründet seine Ankündigung, zwei Atom-U-Boote zu verlegen, mit „provokativen Äußerungen“ von Dmitri Medwedew, dem Vizechef des russischen nationalen Sicherheitsrates. Dazu gibt es erste Reaktionen. Der deutsche Militärexperte Nico Lange schreibt auf X: „Vermutlich unpopuläre Meinung, aber gut, dass jemand Medwedew und der russischen Propaganda mal klar macht, wie unverantwortlich die ständigen völlig überzogenen Drohungen sind. Jedenfalls besser, als jede Medwedew-Äußerung immer nur in den Nachrichten zu wiederholen.“ Medwedew äußert sich zum Krieg in der Ukraine immer wieder mit besonders drastischem Vokabular.

+++ 21:38 Belgorod meldet Tote nach ukrainischem Drohnenangriff +++
In der russischen Region Belgorod an der Grenze zur Ukraine sind zwei Männer nach Behördenangaben bei einem Drohnenangriff getötet worden. Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow spricht in seinem Kanal bei Telegram von einem ukrainischen Terrorangriff. Ein 18-Jähriger und der zweite Mann seien gerade auf dem Weg zu einer Bushaltestelle gewesen, als sie von der Drohne tödlich getroffen worden seien. Bei den ukrainischen Drohnenattacken, die Teil des Abwehrkampfes gegen den russischen Angriffskrieg sind, kommen immer wieder auch Zivilisten ums Leben. Die Zahl der Opfer und die Schäden auf russischer Seite stehen aber in keinem Verhältnis zu den verheerenden Zerstörungen und den vielen Toten und Verletzten in der Ukraine durch die seit mehr als drei Jahren andauernde russische Invasion.

+++ 19:19 Trump kündigt Entsendung von Atom-U-Booten nach Medwedew-Äußerungen an +++
US-Präsident Donald Trump kündigt als Reaktion auf Äußerungen des früheren russischen Präsidenten Dmitri Medwedew die Stationierung von zwei Atom-U-Booten an. Er habe angeordnet, dass die U-Boote in „entsprechenden Regionen“ Position bezögen, für den Fall, dass diese „törichten und aufrührerischen Äußerungen“ mehr als nur das seien, schreibt Trump auf Truth Social. Unklar ist, ob Trump sich auf U-Boote mit Atomwaffenfähigkeit oder lediglich auf atomgetriebene U-Boote bezieht. Medwedew ist Vize-Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates. Er und Trump streiten sich bereits seit Tagen öffentlich. Ausgangspunkt war Trumps neues Ultimatum, bei dem er die Frist für eine Waffenruhe oder einen Frieden zwischen Russland und der Ukraine auf zehn Tage verkürzte – und mit Sanktionen drohte. Medwedew drohte daraufhin unter anderem eine direkte militärische Auseinandersetzung zwischen Russland und den USA an. Jedes Ultimatum sei demnach ein Schritt auf dem Weg zum Krieg. Trump forderte Medwedew auf, auf seine Worte zu achten, da dieser „sehr gefährliches Gelände“ betrete. Medwedew konterte mit einer Anspielung auf das russische Nuklear-System „Tote Hand“. Dieses ist dafür ausgelegt, halbautomatisch Atomraketen zu starten, sollte die russische Führung durch einen feindlichen Schlag ausgeschaltet werden. Mehr dazu lesen Sie hier.

+++ 17:55 Insider: Russische Öltanker meiden Indien wegen US-Sanktionen +++
Mindestens zwei mit russischem Öl beladene Tanker auf dem Weg nach Indien ändern Insidern zufolge wegen neuer US-Sanktionen ihren Kurs. Eines der Schiffe steuert nun China an, das andere Ägypten, wie aus Händlerkreisen und Daten des Anbieters LSEG und hervorgeht. Die US-Regierung hat diese Woche weitere Sanktionen verhängt, die auch den Transport von russischem Öl betreffen. US-Präsident Donald Trump droht zudem mit Zöllen von 100 Prozent für Länder, die russisches Öl kaufen, sollte Moskau keinem umfassenden Friedensabkommen mit der Ukraine zustimmen. Indien ist der weltweit drittgrößte Ölimporteur und der größte Abnehmer von russischem Rohöl über den Seeweg.

„ALL DAS IST NICHT GUT!“ Trump bestraft Indien – auch für Kauf russischer Waffen und Öl

+++ 17:24 Selenskyj bekräftigt Bereitschaft zu Treffen mit Putin +++
Der ukrainische Präsident Selenskyj zeigt sich erneut zu einem persönlichen Treffen mit Kremlchef Putin bereit. „Die Ukraine ruft dazu auf, über den Austausch von Erklärungen und Treffen auf technischer Ebene hinaus zu Gesprächen zwischen den Führern überzugehen“, schreibt Selenskyj auf X. „Was wir brauchen, ist die Bereitschaft Russlands.“ Putin hatte zuvor einen „dauerhaften und stabilen Frieden“ in der Ukraine als sein Ziel genannt. Er hoffe auf eine Fortsetzung der Friedensgespräche, bei der Arbeitsgruppen mögliche Kompromisse erörtern könnten. „Die Bedingungen bleiben natürlich unverändert“, fügte der Kreml-Chef mit Bezug auf die russischen Forderungen hinzu. Sie laufen für die Ukraine auf die Abtretung großer Gebiete, eine Entwaffnung und die Einsetzung einer moskaufreundlichen Regierung hinaus – damit faktisch auf eine Kapitulation. Dies lehnt Kiew ab. Die bisherigen direkten Gespräche zwischen Unterhändlern beider Länder hatten keinen Durchbruch in Richtung einer Waffenruhe gebracht.

+++ 16:38 „Was Putin Lukaschenko sagt, hat es knallhart in sich“ +++
Bei Wladimir Putins jüngstem Treffen mit Alexander Lukaschenko geht es auch um das neue Ultimatum vonseiten Donald Trumps. ntv-Korrespondent Rainer Munz bewertet das Gespräch und erläutert, warum der Besuch des US-Sondergesandten Steve Witkoff „mehr oder weniger sinnlos“ ist.

Unbeeindruckt von Trump-Ultimatum „Was Putin Lukaschenko sagt, hat es knallhart in sich“

+++ 16:13 Putin will Kiew Schuld an stockenden Gesprächen geben +++
Der russische Präsident Putin versucht, der Ukraine die Schuld an stockenden Gesprächen über eine Friedenslösung zu geben. Gespräche seien immer nützlich, sagt Putin bei einem Treffen mit dem belarussischen Machthaber Lukaschenko auf der nordrussischen Klosterinsel Walaam. Sie sollten aber nicht mit Erwartungen überfrachtet werden und besser im Verborgenen laufen. „Wenn die Führung der Ukraine meint, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt sei, sondern man warten müsse, bitte schön, dann sind wir bereit zu warten“, sagt der Kremlchef der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge. Er bezieht dies auf Äußerungen des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, dass sinnvolle Gespräche eigentlich erst nach einem Machtwechsel in Moskau möglich seien. Kurz nach Putins Auftritt schreibt Selenskyj auf dem Portal X, wenn Russland wirklich sprechen wolle, sei er jederzeit zu einem Treffen mit dem Kremlchef bereit.

Kremlchef sucht Schuld bei Kiew Putin spricht von Frieden, hält aber an Kriegszielen fest

+++ 15:26 Nach massivem Angriff auf Kiew: Zahl der Todesopfer steigt weiter an +++
Die Zahl der Todesopfer vorangegangener Drohnen- und Raketenangriffe auf Kiew ist erneut gestiegen. 31 Menschen wurden den ukrainischen Angaben zufolge durch die Attacken getötet, die Russland in der Nacht zu Donnerstag ausführte. Zuvor waren 26 Tote bestätigt. Die meisten Opfer, darunter fünf Kinder, gab es bei einem Raketenangriff auf ein neunstöckiges Wohnhaus, wie ein Sprecher der Rettungskräfte mitteilt. Auch außerhalb von Kiew gibt es weitere Tote. In der Region Saporischschja wurde laut ukrainischen Angaben am Freitagmorgen ein 63-jähriger Mann getötet, als eine Granate ein Wohnhaus traf. Ein weiteres Todesopfer wird aus der Region Charkiw gemeldet. Nach einem Angriff vom Donnerstag stieg zudem die Opferzahl in der Stadt Kramatorsk in Donezk auf drei Tote.

+++ 14:54 Putin über mögliche neue Friedensgespräche: Ziele Moskaus bleiben unverändert +++
Der russische Präsident Putin hofft nach eigenen Angaben auf eine Fortsetzung der Friedensgespräche mit der Ukraine. Arbeitsgruppen könnten dabei mögliche Kompromisse erörtern, sagt Putin bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. Die Ziele Moskaus blieben jedoch unverändert. Die Gespräche sollten „ohne Kameras und in einer ruhigen Atmosphäre“ geführt werden. Moskau verlangt unter anderem, dass Kiew vier teilweise von der russischen Armee besetzte Regionen der Ukraine komplett an Russland abtritt – eine Forderung, welche Kiew als vollkommen inakzeptabel betrachtet. Mehr dazu lesen Sie hier.

+++ 14:24 Putin spricht von russischem Vorrücken an gesamter Frontlinie – entgegen Kiews Darstellung +++
Die russischen Streitkräfte rücken nach Angaben von Präsident Putin entlang der gesamten Frontlinie in der Ukraine vor. Dies geschehe trotz des Bestrebens des Westens, die russische Offensive aufzuhalten. Russlands Armee hat eigenen Angaben zufolge vor wenigen Tagen die Stadt Tschassiw Jar in der ostukrainischen Region Donezk eingenommen, was Putin nun bekräftigt. Sollte sich dies bestätigen, wäre es für Russland ein großer strategischer Erfolg, denn von Tschassiw Jar aus könnte das Militär auf weitere wichtige Städte in der Region Donezk vorstoßen, darunter Slowjansk und Kramatorsk. Die Ukraine bestreitet dies. Laut Staatschef Selenskyj handelt es sich bei Berichten über eine russische Einnahme von Tschassiw Jar um Falschmeldungen. „Die ukrainischen Einheiten verteidigen unsere Stellungen und wir schlagen jeden russischen Vorstoß in den Oblasten Donezk, Sumy und Charkiw zurück“, sagt er. (Siehe Eintrag von 06:04 Uhr) [siehe Eintrag weiter oben von heute früh und gestrige NZZ-Meldung im Tagesblick]

+++ 13:19 Fahrzeug-Nachfrage bricht ein: Russische Autobauer reduzieren reihenweise Arbeitszeit +++
Das Likinsky-Buswerk (LiAZ) schließt sich der wachsenden Zahl russischer Automobilhersteller an, die auf eine Vier-Tage-Woche umstellen. Die Automobilindustrie des Landes gerät aufgrund der einbrechenden Nachfrage zunehmend unter Druck, wie die staatliche Nachrichtenagentur RIA Nowosti berichtet. „Dies ist eine notwendige Maßnahme, die durch einen Rückgang des Busmarktes um 60 Prozent infolge des Rückgangs der Käufe von Neufahrzeugen verursacht wurde“, erklärt das Unternehmen. Das Gorki-Automobilwerk (GAZ) kündigte im Juli bereits eine ähnliche Maßnahme an, die nach dem Ende des Betriebsurlaubs am 3. August beginnen soll. KamAZ wird am 1. August kürzere Arbeitszeiten für nicht ausgelastete Abteilungen einführen, während AvtoVAZ sich darauf vorbereitet, am 29. September zu folgen. Nach Angaben von Autostat ist der Gesamtabsatz von Neufahrzeugen (Pkw, Lkw und Busse) in der ersten Jahreshälfte 2025 mit knapp über 601.800 verkauften Einheiten im Vergleich zum Vorjahr um 28 Prozent zurückgegangen.

+++ 11:24 Reiche sieht Rüstung als möglichen Motor für deutschen Wirtschaftsaufschwung +++
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche bezeichnet die Rüstungsindustrie als „essenziellen Bestandteil“ für eine resiliente Volkswirtschaft. „In den vergangenen Jahrzehnten möglicherweise unterschätzt und auch nach dem Fall der Mauer wenig beachtet, ist nicht erst seit dem Ukrainekrieg klar, dass unser Land sich verteidigen können muss“, sagt Reiche in Kassel bei einem Besuch des Rüstungskonzerns KNDS, der unter anderem den Kampfpanzer Leopard 2 produziert. Wirtschafts- und Sicherheitspolitik gehörten untrennbar zusammen, so die CDU-Politikerin. Die Rüstungsindustrie zeige beachtliche Wachstumszahlen und große technologische Sprünge. Mit Blick auf die Schwächephase der deutschen Wirtschaft sagt Reiche, die Rüstungsindustrie könne einen Beitrag dafür leisten, wirtschaftlich stärker zu werden. Zu einem möglichen Staatseinstieg bei KNDS hält sich Reiche jedoch bedeckt. Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte laut Medienberichten zuletzt gesagt, Deutschland erwäge einen Einstieg, es gebe aber noch keine Entscheidung.

COMMENT: Das ist keine Neuigkeit. Kriegswirtschaften verschaffen Wirtschaftsaufschwung, sofern es keine Liefer- oder Finanzierungsprobleme gibt.

+++ 10:46 Spektakuläre Rettung: Eingekesselter Soldat erhält E-Bike per Drohne und kann fliehen +++
Der 4. Brigade der ukrainischen Nationalgarde soll ein Coup gelungen sein, berichtet die US-Ausgabe des „Business Insider„. Demnach retteten die Soldaten einen eingekesselten Kameraden mithilfe eines E-Bikes. Dieses soll per Drohne eingeflogen worden sein. Der Soldat mit Rufnamen „Tankist“ sei der letzte Überlebende seiner Einheit gewesen. In der Region nahe der Stadt Siversk seien ihm alle Rettungswege versperrt gewesen. Kurzerhand versuchte das ukrainische Militär, ihn mit einem, an einer Drohne befestigten, E-Bike zu retten. Die erste Drohne wurde abgeschossen, die zweite hatte ein technisches Problem, im dritten Anlauf gelang es dem Bericht zufolge. Der Soldat – so sollen es Videoaufnahmen zeigen – konnte mit dem E-Bike aus der Gefahrenzone kommen, fuhr allerdings später auf eine Mine. Von dort konnte er sich demnach zu Fuß in eine wenige hundert Meter entfernte ukrainische Stellung retten. Ein zweites, per Drohne, geschicktes E-Bike brachte ihn am Ende gänzlich aus der Gefahrenzone. In einem gut 16-minütigen Video ist ein ukrainischer Soldat zu sehen, bei dem es sich um „Tankist“ handeln soll. Eigentlich sollen Drohnen des Typs Baba Yaga oder Heavy Shot ein maximales Gewicht von gut 22 Kilo tragen können. Dem „Business Insider“-Bericht zufolge habe das E-Bike jedoch knapp 40 Kilo gewogen. Mehr dazu lesen Sie hier.

Ukrainer verletzt und umzingelt Videos zeigen spektakuläre Soldaten-Rettung per E-Bike

+++ 10:12 Deutschland liefert der Ukraine zwei weitere Patriot-Systeme +++
Die Bundeswehr liefert kurzfristig zwei weitere Patriot-Raketenabwehrsysteme in die Ukraine. In einem ersten Schritt würden in den nächsten Tagen Startgeräte („Launcher“) geschickt, teilt das Verteidigungsministerium mit. In einem zweiten Schritt würden innerhalb der nächsten zwei bis drei Monate weitere Systemanteile übergeben, um damit die Luftverteidigung der Ukraine mit zusätzlichen Batterien zu stärken. Durch gemeinsame Anstrengungen der Partner würden diese für den Einsatz in der Ukraine vorbereitet und einsatzbereit übergeben. Mit dem US-Verteidigungsministerium sei vereinbart, dass Deutschland im Gegenzug als erste Nation, und damit beschleunigt, neu produzierte Patriot-Systeme der neuesten Generation erhalte. Bezahlt werden sie durch Deutschland. Mehr dazu lesen Sie hier.

+++ 09:35 ISW/Tschassiw Jar: Kreml-Soldaten brauchen 26 Monate für 11 Kilometer Strecke +++
Die russischen Streitkräfte erklären die wichtige Stadt Tschassiw Jar für besetzt. Die Ukraine bestreitet das. Fakt ist, dass Russland seit langem zumindest große Teile der Stadt unter Kontrolle hatte. Allerdings benötigten die Kreml-Truppen 26 Monate, um nach der Eroberung des östlich gelegenen Bachmut bis in den westlichen Teil der Stadt Tschassiw Jar vorzudringen. Das entspricht eine Strecke von nur elf Kilometern. Das berichtet das der Thinktank „Institute for the Study of War„. Demnach benötigten die Truppen zunächst von Mai 2023 bis März 2024, für ein Vorrücken von Bachmut bis zu Stadtgrenze von Tschassiw Jar. Hernach dauert es weitere anderthalb Jahre, bis der Kreml die Stadt für besetzt erklärt. Eine ukrainische Quelle schätzt, dass das russische Militär bei der Belagerung von Tschassiw Jar knapp 5000 tote Soldaten zu beklagen hat. Damit dürften Kämpfe in der Region zu den verlustreichsten für das russische Militär gehören. Bei der Belagerung Bachmuts verloren die Kreml-Truppen nach Angaben des einstigen Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin rund 20.000 Kämpfer.

+++ 08:54 Nächtliche Explosionen über Taganrog: Bürgermeisterin schweigt über vermuteten Drohnenangriff +++
In der russischen Stadt Taganrog in der Region Rostow ist in der Nacht eine Reihe von Explosionen zu hören. Nach Angaben des russischen Telegram-Kanals Baza wird vermutet, dass es sich um einen ukrainischen Drohnenangriff handelt. Anwohner berichten demnach, sie hätten etwa zehn Explosionen am Himmel über der Stadt gehört. Berichten zufolge seien sowohl Flugabwehrsysteme als auch Hubschrauber an der Abwehr beteiligt gewesen. Die Bürgermeisterin von Taganrog, Switlana Kambulowa, bestätigt später den Einsatz der örtlichen Luftabwehr, äußert sich jedoch nicht weiter zu dem Drohnenangriff.

WEITERE UKRAINE-MELDUNGEN

FrPutin gibt der Ukraine Schuld an stockenden Gesprächen152dpa-AFX
FrPatriot-Lieferung an die Ukraine kann anlaufen163dpa-AFX
FrDeutschland liefert zwei weitere Patriot-Systeme an die Ukraine320dts Nachrichtenagentur

Trump schickt Atom-U-Boote Richtung Russland los – APA, 2.8.2025

Als Reaktion auf Aussagen des ehemaligen russischen Staatschefs Dmitri Medwedew hat US-Präsident Donald Trump nach eigenen Angaben die taktische Verlegung zweier Atom-U-Boote angeordnet. Auf die Frage eines Journalisten des ultrakonservativen US-Senders Newsmax, ob die Boote dann näher an Russland seien, sagte er: „Ja, sie sind näher an Russland“.

Trump hatte den Schritt am Freitag im Kontext seiner Auseinandersetzung mit Medwedew auf seiner Plattform Truth Social verkündet. Die Verlegung geschehe „nur für den Fall, dass diese törichten und provokativen Äußerungen mehr als nur das sind“, schrieb der Republikaner. Wohin genau die U-Boote verlegt werden sollten, sagte Trump zunächst nicht, er sprach lediglich von „geeigneten Regionen“.

Der Republikaner erklärte auch nicht, um welche U-Boote es sich genau handelt. Laut einem früheren Bericht des Forschungsdienstes des US-Kongresses hat die Navy sowohl atomgetriebene U-Boote ohne und mit Atomwaffen an Bord.

Der öffentliche Streit zwischen Trump und Medwedew zieht sich bereits seit Tagen. Ausgangspunkt war, dass Trump sein Ultimatum an Kremlchef Wladimir Putin von 50 auf zehn Tage verkürzt hatte: In dieser Zeit soll eine Waffenruhe zwischen Russland und der von Moskau angegriffenen Ukraine erreicht werden. Die Frist läuft Ende kommender Woche ab – danach will Trump Sanktionen gegen Russlands Handelspartner verhängen, sollte es keine Einigung geben.

Medwedew drohte daraufhin auf der Plattform X unter anderem eine direkte militärische Auseinandersetzung zwischen Russland und den USA an. Jedes Ultimatum sei demnach ein Schritt auf dem Weg zum Krieg. Trump bezeichnete er unter anderem als „Opa“. Medwedew ist seit Kriegsbeginn wegen seiner notorischen antiwestlichen Ausfälle – teils garniert mit Atomdrohungen – bekannt.

Trump sagte später vor Journalisten über die Verlegung der U-Boote: „Nun, wir mussten das tun.“ Es sei eine unangemessene Drohung ausgesprochen worden – deshalb müssten die USA vorsichtig sein. „Ich tue das also aus Gründen der Sicherheit für unsere Bevölkerung.“ Medwedew habe über „Atom“ gesprochen – und wenn es darum gehe, müssten die USA vorbereitet sein. „Und wir sind absolut vorbereitet“, betonte Trump.

Auf die Frage, ob sich seine Sicht auf Putin verändert habe, sagte Trump dem Sender Newsmax: „Er ist offensichtlich ein harter Brocken“, in dieser Hinsicht habe sich seine Einschätzung nicht geändert. Aber er sei überrascht, dass Putin und er zahlreiche gute Gespräche gehabt hätten, die zu einem Ende des Krieges hätten führen können – und plötzliche flögen Bomben.

Der US-Präsident hatte am Donnerstag angekündigt, dass sein Sondergesandter Steve Witkoff nach seinem Besuch in Israel weiter nach Russland reisen soll. Details zu Witkoffs geplanter Reise nannte er nicht. Am Freitag hielt sich Witkoff zunächst noch im Nahen Osten auf und machte sich ein Bild von der Lage im Gazastreifen.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine geht unterdessen unvermindert weiter. Bei einem schweren russischen Drohnenangriff auf die ostukrainische Stadt Charkiw wurden laut Behörden mindestens elf Menschen verletzt. Unter den Verletzten seien ein fünf Monate alter Säugling und zwei Kinder im Alter von neun und zehn Jahren, teilten die Behörden mit. Die Drohne schlug demnach in der Nähe eines Wohnblocks ein, in dem Scheiben zu Bruch gingen. Fünf Verletzte werden im Krankenhaus behandelt, wie der Militärgouverneur Oleh Synjehubow in seinem Kanal bei Telegram mitteilte.

In der Region Dnipropetrowsk schrieb Regionalgouverneur Serhij Lysak, bei russischen Drohnenangriffen seien drei Menschen verletzt worden. Dabei seien mehrere Gebäude, Wohnhäuser und Autos beschädigt worden.

Bei ukrainischen Drohnenangriffen auf mehrere russische Gebiete wurden nach Behördenangaben drei Menschen getötet. Zwei weitere Menschen wurden demnach in der Nacht auf Samstag bei den Angriffen auf die Regionen Pensa, Rostow und Samara verletzt.

In Pensa wurde laut Gouverneur Oleg Melnitschenko das Gelände eines Unternehmens attackiert, dabei seien eine Frau getötet und zwei weitere Menschen verletzt wurden. In Rostow wurde laut Gouverneur Juri Sljusar in einer Industrieanlage ein Angehöriger des Wachpersonals bei einem per Drohnenangriff ausgelösten Brand getötet. In der Region Samara stürzten Trümmerteile einer Drohne nach Angaben von Gouverneur Wjatscheslaw Fedorischtschew auf ein Haus, dabei sei ein älterer Mann getötet worden.

Der Rostower Gouverneur Sljusar schrieb im Onlinedienst Telegram von einem „massiven Luftangriff“, den das russische Militär abgewehrt habe. Das russische Verteidigungsministerium schrieb von insgesamt 112 ukrainischen Drohnen, die die Luftabwehr binnen neun Stunden über dem eigenen Staatsgebiet abgefangen habe. 34 davon habe es alleine oberhalb der Region Rostow zerstört.

BERICHT: Entsendung von Atom-U-Booten: Trump eskaliert Streit mit Medwedew – Christian Weisflog (Washington), NZZ, 1.8.2025

Seit Tagen liefern sich der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew und der amerikanische Präsident ein Wortgefecht in den sozialen Netzwerken. Am Freitag ging Trump einen Schritt weiter: Er ordnete die Verlegung von zwei Atom-U-Booten an.

Am Freitag erreichte das tagelange Wortgefecht zwischen Dmitri Medwedew und Donald Trump eine neue Qualität. Auf Truth Social bezeichnete Trump die bisherigen Äusserungen des ehemaligen russischen Präsidenten als «höchst provokativ». Er habe deshalb angeordnet, zwei Atom-U-Boote «in den entsprechenden Regionen» zu positionieren, schrieb der amerikanische Präsident. «Nur für den Fall, dass diese hetzerischen Äusserungen mehr sind als das.» Worte könnten oft unbeabsichtigte Konsequenzen haben.

«Russland hat in allem recht»

Medwedew ist ein langjähriger Weggefährte des Kremlchefs Wladimir Putin. Von 2008 bis 2012 amtierte er formal als Präsident, während Putin die Fäden der Macht als Ministerpräsident weiter in den Händen hielt. Heute ist Medwedew stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrats. Vor allem aber sorgt er mit provokativen Posts in den sozialen Netzwerken regelmässig für Schlagzeilen. Am Montag kritisierte er Trump für dessen verschärfte Sanktionsdrohungen: «Jedes neue Ultimatum ist eine Gefahr und ein Schritt hin zu einem Krieg», schrieb Medwedew. Er warnte Trump davor, dem Beispiel seines Amtsvorgängers Joe Biden zu folgen: «Wähle nicht den Weg des schläfrigen Joe!»

Am Donnerstag reagierte Trump auf die Äusserungen. In einem neuen Beitrag um Mitternacht bezeichnete er die russische Wirtschaft als «tot». Zudem nannte er Medwedew einen «ehemaligen gescheiterten Präsidenten», der sich immer noch für einen Präsidenten halte. Er wies ihn an, besser auf seine Worte zu achten. «Er begibt sich auf sehr gefährliches Territorium.»

Nur wenige Stunden später schrieb Medwedew auf der Nachrichtenplattform Telegram auf Russisch: «Wenn irgendwelche Worte eines ehemaligen russischen Präsidenten eine solch genervte Reaktion des so gefürchteten amerikanischen Präsidenten auslösen, heisst das, Russland hat in allem recht und verfolgt weiterhin seinen Weg.» Medwedew empfahl Trump zudem, sich die apokalyptische Fernsehserie «Walking Dead» anzuschauen, und erwähnte das russische Nuklear-System «Tote Hand». Dieses soll im Falle eines Enthauptungsschlags gegen die russische Führung einen automatischen oder halbautomatischen nuklearen Gegenangriff auslösen.

Putin warnt vor zu hohen Erwartungen

Trump erklärte nicht, wohin er die U-Boote genau beordert hat und um welche Art von Atom-U-Booten es sich handelt. Die nuklear betriebenen und mit Atomwaffen ausgerüsteten Unterseeboote könnten ihre Ziele aus Tausenden von Kilometern treffen, schreibt die «New York Times». Diese Boote müssten nicht neu positioniert werden. Bemerkenswert ist allerdings, dass Trump überhaupt das erste Mal mit den nuklearen Fähigkeiten der USA droht. Bisher waren es vor allem Putin und Medwedew, die dem Westen immer wieder mit dem Einsatz von Atomwaffen drohten. Trump selbst warf Biden vor, mit den Waffenlieferungen an die Ukraine einen Atomkrieg zu riskieren.

In den vergangenen Monaten zögerte Trump schärfere Sanktionen gegen Russland immer wieder hinaus. Am Dienstag legte sich der amerikanische Präsident aber auf ein Datum fest. Moskau müsse sich bis am 8. August zu einem Waffenstillstand in der Ukraine bereit erklären, sonst drohten Wirtschaftssanktionen, meinte Trump. Kürzlich willigte er auch ein, Kiew auf Rechnung der Europäer mehr Patriot-Abwehrraketen zu liefern. Neue amerikanische Gelder für verstärkte Waffenlieferungen an die Ukraine will Trump bis jetzt jedoch nicht ausgeben. Obwohl er selbst einräumt, dass schärfere Wirtschaftssanktionen kaum eine Wirkung auf Putin haben werden.

Er wisse nicht, ob höhere Zölle einen Einfluss auf Russland hätten, meinte Trump am Dienstag. Putin wolle den Krieg vermutlich weiterführen. Tatsächlich zeigt sich der Kremlchef bis jetzt nicht beeindruckt von den Sanktionsdrohungen. Putin warnte am Freitag vor zu grossen Hoffnungen auf einen schnellen Frieden: «Alle Enttäuschungen gründen auf zu hohen Erwartungen.»

KOMMENTARE – ANALYSEN

KOMMENTAR – Jetzt geht der Kreml aufs Ganze – Georg Häsler, Cian Jochem, NZZ, 10.7.2025

Der russische Operationsplan verfolgt das Ziel, die ukrainischen Bodentruppen auseinanderzureissen. Dem Generalstab in Kiew bleiben noch zwei Möglichkeiten, einen Durchbruch zu verhindern.

Russischer Vormarsch: Graphik hier

Für Formalitäten hat der ukrainische Armeechef auf seinem Truppenbesuch keine Zeit: Mit besorgter Miene hört General Olexander Sirski seinen unterstellten Kommandanten zu. Die Lage sieht nicht gut aus. Dazu herrscht in den Unterständen und den Hecken nahe der Front eine schwüle Hitze. Wer kann, trägt nur das T-Shirt ohne den Splitterschutz – so lange, bis die Russen wieder angreifen.

Später schreibt Sirski in einem Telegram-Post, er lasse keinen Frontabschnitt ausser acht, insbesondere nicht diejenigen, wo er neue Offensiven des Gegners erwarte. Zuerst hat er zwei Tage die Region Charkiw besucht, dann die Gegend von Slowjansk weiter südlich. Dort hätten seine Soldaten in den vergangenen Tagen über sechzig gegnerische Angriffe abgewehrt.

Sirski befürchtet eine russische Grossoffensive im Nordosten: «Die Russen versuchen, mit ihrer Überzahl Druck auszuüben, aber wir müssen wachsam sein und wirksame taktische und technologische Lösungen anwenden, um ein Vorrücken der Angreifer zu verhindern», so schliesst der höchste ukrainische Offizier seinen Kurzbericht ab und fordert militärische Denkarbeit gegen die schiere Masse des Gegners.

Zusammenhängende Sommeroffensive

Der Versuch des amerikanischen Präsidenten Donald Trump, einen Waffenstillstand zu erzwingen, scheint endgültig gescheitert zu sein. Während die Ukraine wertvolle Zeit verloren hat, vermochte Russland den Druck zu erhöhen. Die Intensität der Luftangriffe mit Drohnen hat praktisch nach jedem Telefonanruf aus Washington zugenommen. Der Kreml zielt auf den ukrainischen Wehrwillen, das verbleibende Zentrum der Kraftentfaltung, seit die USA und auch die Europäer vor allem mit sich selbst beschäftigt sind.

Eine Analyse der NZZ vom Juni zeigt, dass die russische Armee schon vor Wochen auch am Boden eine Sommeroffensive begonnen hat: an drei geografisch scheinbar weit voneinander entfernten Orten gleichzeitig.

Drei militärische Hotspots: 

Lage um Kursk und Pufferzone

aktuelle Situation um Pokrowsk und Tassiw Jar:

Das operative Schwergewicht liegt gegenwärtig noch immer im Donbass, wo die ukrainische Festung Pokrowsk und eine weitere Stadt weiter nördlich in den nächsten Wochen umfasst werden könnten. Offensive Aktivitäten sind auch nördlich von Charkiw und im Hinterland von Sumi zu erkennen. Dort vermochten die russischen Bodentruppen unterdessen bis auf die Stellung in einem Dorf alle ukrainischen Verbände aus der Region Kursk herauszudrängen, nachdem Kiew in einem Überraschungscoup vor einem Jahr rund fünfzig Kilometer tief in russisches Gebiet vorgestossen war.

Doch was hat Russland genau vor? Der Generalstab versteht die einzelnen Offensiven als Aktionen einer einzigen, einheitlich geführten Operation. Die einzelnen Bewegungen müssen deshalb in einem operativen Gesamtrahmen betrachtet werden.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat am St. Petersburger Wirtschaftsforum im Juni die «militärische Logik» des Vorgehens gleich selbst erklärt: «Wo der Fuss eines russischen Soldaten hintritt, gehört es uns», flüsterte Putin in den Saal und lieferte dem versammelten Publikum seine persönliche Beurteilung der Lage: Die Ukraine verliere ihre Kampfbereitschaft und habe die Front überdehnt – völlig selbstverschuldet.

Zwei Brückenköpfe nordöstlich von Charkiw

Russland sei gezwungen, nach den ukrainischen Offensiven auf russisches Gebiet entlang der Grenzen Sicherheitszonen einzurichten. «Sie haben ohnehin schon zu wenig Personal», analysierte Putin weiter, «und sie ziehen ihre Streitkräfte dorthin ab, die ohnehin schon an den entscheidenden Schauplätzen des bewaffneten Kampfes fehlen.» Putin gibt sich kaum noch Mühe, die operative Absicht zu verschleiern: Der russische Generalstab will die ukrainische Armee auseinanderreissen – und dann an geeigneter Stelle den Durchbruch wagen.

Im Nachhinein gelingt es Moskau nun, den ukrainischen Überraschungsangriff auf Kursk als Fehlschlag darzustellen – und gleichzeitig als Begründung für eine Ausdehnung der Operation zu benutzen. Doch eigentlich wurde Kiew vor allem von seinen westlichen Partnern im Stich gelassen, insbesondere von den USA, die regelmässig den russischen Drohungen nachgeben, sobald sich die ukrainische Armee aktiv verteidigt. Die Biden-Administration hat die Chance von Kursk verspielt, dann kam Trump an die Macht.

Der Kreml folgt auch deshalb in der kommunikativen Begleitung seiner Operation konsequent dem Muster der Täter-Opfer-Umkehr – auch im Raum Charkiw, wo der ukrainische Armeechef Sirski eine weitere Grossoffensive befürchtet. Bereits im Mai 2024 sind in diesem Raum russische Verbände über die Grenze vorgestossen und haben – nach russischer Lesart – eine Sicherheitszone errichtet. Als Begründung dienten Aktionen bewaffneter Gruppen aus der Ukraine auf russischem Gebiet zwei Monate zuvor.

Doch der russische Aufmarsch nordöstlich von Charkiw begann wesentlich früher, wohl bereits Ende 2023. Der Generalstab in Moskau schuf dafür die «Nordgruppe der Truppen», ein Kommando, das selbständig eine räumlich-zeitlich begrenzte Aktion durchführen kann.

Der Blick auf die Karte zeigt zudem: Die russische Armee bildete bei ihrer Offensive vor allem zwei Brückenköpfe, um später entweder weiter in Richtung der ukrainischen Grossstadt Charkiw zu stossen oder auf der östlichen Seite des taktisch entscheidenden Flüsschens Donez Richtung Kupjansk. Das wäre dann aber eine raumgreifende, koordinierte Aktion, für die die Nordgruppe noch über zu wenig Truppen verfügt.

Eingraben als letzte Möglichkeit

Laut öffentlich zugänglichen Quellen, darunter der Online-Kartendienst Deepstate, hat sich der russische Kräfteansatz im Raum nordöstlich von Charkiw zwischen Anfang 2024 und diesem Sommer um eine Division erhöht. Dazu hat der Generalstab der Nordgruppe neu die tschetschenische Speznas-Brigade «Achmat» unterstellt, dazu Teile des Afrikakorps, das aus privaten Militärfirmen hervorgegangen war.

Solche Verbände mögen brutale Vorausaktionen unternehmen, für eine gestaltende Aktion reichen die unmittelbar im Raum vorhandenen Kräfte aber nicht aus. Erst bei einer ganzheitlichen Betrachtung der Operation wird ersichtlich, weshalb General Sirski statt vom russischen Druck auf Pokrowsk im Donbass von einer russischen Offensive bei Charkiw spricht.

Dem Kommandanten der sogenannten Spezialoperation, Generalstabschef Waleri Gerasimow, stehen nordwestlich der Grossstadt zusätzliche Truppen für einen möglichen Angriff zur Verfügung, die sich teilweise als Reserven für einen Einsatz in der Region Kursk bereithielten. In den vergangenen zwei Jahren gelang es Gerasimow, sowohl die Truppen im Donbass zu verstärken als auch freie Kräfte aufzustellen.

Während das Gros der ukrainischen Armee seit der gescheiterten Sommeroffensive entlang der gesamten Frontlinie abgenützt wird, hat sich Gerasimow neue Handlungsfreiheit verschafft. Sirski dagegen bleiben in der gegenwärtigen Lage noch zwei grundsätzliche Varianten, die Ukraine vor einer militärischen Niederlage zu bewahren:

  1. Verzögerung: Es geht darum, während der russischen Sommeroffensive möglichst wenig Gelände zu verlieren und Einkesselungen grösserer Truppenteile zu vermeiden. Im Herbst könnte die Front dann konsolidiert und ein Ausgangspunkt für Verhandlungen geschaffen werden. Gegenwärtig scheint Kiew diesen Weg zu gehen – in der Hoffnung, dass die USA ihre Militärhilfe wiederaufnehmen.
  2. Operativer Rückzug: Die ukrainischen Bodentruppen könnten sich schrittweise von der Front lösen und neue, von natürlichen und künstlichen Hindernissen geschützte Stellungen beziehen. Es geht darum, eine Kapitulation zu verhindern und die Armee auch bei einem ungünstigen Verhandlungsergebnis zum Schutz der Souveränität zu erhalten. Ein Indiz, dass diese Variante geprüft wird, ist der Aufbau einer ukrainischen Befestigungslinie 20 Kilometer hinter der Front vom Raum Charkiw bis nach Saporischja im Südwesten der Ukraine.

Für eine Überraschung irgendwo entlang der Front fehlen die Kräfte, auch die Nadelstiche in der Tiefe des russischen Raums bringen ausser im Informationsraum kaum einen Effekt. Den Ukrainern fehlen Kampfflugzeuge wie der F-35, um mindestens teilweise die Luftüberlegenheit zu gewinnen. Dazu Munition für die Himars-Raketenartillerie, die Taurus-Lenkwaffen, Nachschub für die Luftverteidigung – die Liste ist in den westlichen Hauptstädten bekannt.

Europa hat sich in die Sommerferien verabschiedet, Trump denkt immerhin darüber nach, wieder defensive Waffen in die Ukraine zu schicken. Doch das Risiko eines russischen Durchbruchs wächst. Öffnet sich irgendwo eine Lücke, können die Besetzer plötzlich manövrieren und die Brückenköpfe bei Sumi und Charkiw für raumgreifende Aktionen nutzen. Sirski gingen dann allmählich die Optionen aus.

Doch der Entscheid, rechtzeitig von der Verzögerung in den operativen Rückzug überzugehen, liegt nicht beim Armeechef, sondern bei Präsident Wolodimir Selenski in Kiew und dessen Dilemma: zwischen der militärischen Notwendigkeit und dem politischen Prinzip Hoffnung, dass die westlichen Verbündeten doch noch zu ihren grossen Worten stehen. Der Kreml geht derweil aufs Ganze – politisch und militärisch.

Mitarbeit: Simon Huwiler

ZENTRALBANKEN

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Wirtschaft

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USA

BERICHT – US-Arbeitsmarktdaten: Trump feuert Statistikchefin – ORF, 1.8.2025

Der Zickzackkurs der US-Regierung von Donald Trump bei Zöllen geht weiter – und setzt US-Handelspartner und die weltweite Wirtschaft unter Druck. Auch im eigenen Land bekommt Trump zunehmend Probleme, die er auf eigene Art lösen will: Wegen enttäuschender Arbeitsmarktzahlen feuerte Trump die Chefin der Statistikbehörde Bureau of Labor Statistics (BLS). Und bei der Fed gibt es einen Rücktritt.

„Wir brauchen akkurate Arbeitsmarktzahlen. Ich habe mein Team angewiesen, diese von Biden ernannte politische Beamtin SOFORT zu entlassen“, schrieb Trump Freitagabend auf seinem Kurznachrichtendienst Truth Social über Erika McEntarfer. Sie werde durch jemanden ersetzt, der weitaus kompetenter und qualifizierter sei, so Trump. McEntarfer war 2023 von Biden nominiert und 2024 vom US-Senat mit, laut BBC, deutlicher Mehrheit bestätigt worden.

Die Zahlen zum Arbeitsmarkt seien manipuliert worden, um die Republikaner und vor allem ihn schlecht aussehen zu lassen, so Trump in einem Posting auf seinem sozialen Netzwerk Truth Social, ohne Beweise zu liefern. Die „gute Nachricht“ aber sei, dass es den USA „großartig“ gehe, so Trump gewohnt verbal ausladend.

COMMENT: In der Tat ist es um die statistische Erfassung der Befindlichkeit des US-Arbeitsmarktes nicht sonderlich gut bestellt. Dass aber dort gegen Trump manipuliert wird, ist höchstwahrscheinlich wieder eine Ausgeburt der politisch-abstrusen Phantasien des US-Präsidenten.

Arbeitsmarkt unter Erwartungen

Der Arbeitsmarkt hatte sich im Sommer merklich abgekühlt, wie am Freitag aus offiziellen Daten der US-Regierung hervorging. Im Juli kamen außerhalb der Landwirtschaft 73.000 neue Stellen hinzu, Ökonomen hatten deutlich mehr erwartet. Zudem wurde die Zahl der im Juni geschaffenen Stellen von ursprünglich 147.000 auf nur noch 14.000 nach unten korrigiert. Auch andere Zahlen wurden korrigiert. Das sei grundsätzlich nicht ungewöhnlich, so die „Washington Post“, das liege auch an der Qualität der von den Firmen gelieferten Daten.

Nach der Veröffentlichung weiteten die wichtigsten Aktienindizes an der Wall Street ihre Verluste aus. Zum Handelsende notierte der Dow Jones 1,23 Prozent leichter bei 43.588,58 Punkten und damit auf dem Stand von Ende Juni. Niedriger notierten auch der S&P 500 und der NASDAQ Composite. Allerdings ist der S&P 500 seit April um 28 Prozent gestiegen.

Zölle um eine Woche verschoben

Dabei waren die Märkte weltweit schon durch Trumps Zickzackkurs in Sachen Zölle unter Druck: Die eigentlich für Freitag angekündigten Zölle für Importe in die USA wurden kurzfristig am Freitag um eine Woche verschoben. Zugleich verhängte Trump nach Ablauf der Frist für Länder ohne Handelsabkommen mit den USA per Dekret neue Zölle und belastet unter anderem die Schweiz mit einem Zollsatz von 39 Prozent.

Die Abgaben belaufen sich auf Sätze zwischen zehn und 41 Prozent, wie das Weiße Haus in der Nacht auf Freitag mitteilte. Weiters hob Trump die Zölle auf ausgewählte kanadische Waren von 25 auf 35 Prozent an, für viele Waren aus Brasilien belaufen sich die Zölle auf 50 Prozent. Zur Begründung hieß es, die Maßnahme sei zum Schutz der nationalen Sicherheit notwendig und angemessen.

Viele Fragen offen

Für Exporte aus Indien in die USA werden so künftig 25 Prozent Zoll fällig. Für Taiwan und Vietnam gilt ein Satz von 20 Prozent, für Südafrika 30 Prozent. Die Abgaben für Israel wurden auf 15 Prozent und die für Pakistan auf 19 Prozent festgelegt. Für Länder, die nicht in einem Anhang des Dekrets aufgeführt sind, gilt ein allgemeiner Zollsatz von zehn Prozent. Mit einigen Ländern wird noch verhandelt, darunter mit China und Mexiko.

Dabei gibt es offene Fragen etwa auch in Sachen Zolldeal mit der EU. Die EU war nach dem Deal zwischen Trump und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eigentlich davon ausgegangen, dass die neue 15-Prozent-Obergrenze für fast alle Importe am Freitag in Kraft tritt. Dabei wurde auch erwartet, dass die aktuellen Sonderzölle auf Autos und Autoteile in Höhe von 27,5 Prozent auf diesen Satz abgesenkt werden. Bisher gibt es dazu keine Angaben, wie es weitergeht, war zuletzt unklar.

Trump erhöht Druck auf Powell

Trump erhöhte unterdessen einmal mehr den Druck auf den Chef der unabhängigen US-Notenbank Federal Reserve (Fed), Jerome Powell: Er solle endlich die Zinsen senken, so Trump. Falls sich Powell weiterhin weigere, solle das Direktorium der Fed die Kontrolle übernehmen. „Und tun, was jedermann weiß, was zu tun ist.“ Trotz der ständigen Forderungen Trumps nach Lockerungen hatte die Fed am Mittwoch den Leitzins in der Spanne von 4,25 bis 4,50 Prozent unverändert gelassen.

Allerdings gab es zwei Gegenstimmen, die beide aus dem siebenköpfigen Direktorium der Fed kamen. Das gilt als sehr ungewöhnlich: Zwei Abweichler unter den Gouverneuren gab es zuletzt Ende 1993. Christopher Waller und Michelle Bowman votierten für eine Senkung.

Das Direktorium ist Teil des Offenmarktausschusses (FOMC), der unter Vorsitz des Fed-Chefs den geldpolitischen Kurs bestimmt. Er besteht aus zwölf stimmberechtigten Mitgliedern: den sieben Fed-Direktoren, dem Präsidenten der regionalen Notenbank von New York und vier der übrigen elf Chefs der regionalen Fed-Ableger.

Fed: Vorzeitiger Rücktritt gibt Trump neue Chance

Trump bekommt nun mit dem vorzeitigen Rücktritt von US-Notenbankerin Adriana Kugler Gelegenheit, seinen Einfluss auf die Fed zu erhöhen. Kugler werde ihr Amt zum 8. August und damit vor Ablauf der regulären Amtszeit im Jänner 2026 niederlegen, teilte die US-Notenbank am Freitag mit. Die im September 2023 ernannte Gouverneurin kehrt als Professorin an die Georgetown University zurück. Er sei „sehr happy“ über den freien Platz, so Trump.

In ihrem Rücktrittsschreiben erklärte Kugler, sie habe ihre Rolle „mit Integrität, einem starken Engagement für den Dienst an der Öffentlichkeit und einem datengestützten Ansatz“ ausgeübt. Der Präsident kann nun einen Nachfolger für Kugler für die verbleibende Amtszeit ernennen. Es wird darüber spekuliert, dass er den Posten mit einem potenziellen zukünftigen Fed-Chef besetzen könnte. Powells Amtszeit läuft im Mai aus.

US-Finanzminister Scott Bessent hatte am Donnerstag in einem Interview mit CNBC erklärt, er rechne bis Jahresende mit Klarheit über die Nachfolge des von Trump in dessen erster Amtszeit als Fed-Präsident nominierten Powell. „Wir stellen eine sehr gute Kandidatenliste zusammen“, so Bessent, es würden jedenfalls zwei Sitze frei. Waller wird als möglicher Nachfolger Powells gehandelt, als Anwärter gelten auch der einstige Fed-Direktor Kevin Warsh und Trumps Topwirtschaftsberater Kevin Hassett.

red, ORF.at/Agenturen

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NAHER OSTEN – MENA WATCH (Mena-Watch auf Wikipedia)

EUROPA

Marktdominanz: Hotellerie sagt Booking.com Kampf an – ORF, 1.8.2025

Tausende Hotels aus Europa haben Klage gegen die Buchungsplattform Booking.com eingebracht. Sie werfen dem Portal vor, seine marktbeherrschende Stellung auszunutzen und der Hotellerie jahrelang Preisbindungsklauseln auferlegt zu haben. Hunderte österreichische Hotels haben sich der Sammelklage angeschlossen, auch Walter Veit, Präsident der Österreichischen Hotelvereinigung (ÖHV), unterstützt die Initiative, wie er am Freitag sagte.

Die Klage wird von dem europäischen Branchenverband HOTREC koordiniert und zielt darauf ab, die Verluste aufgrund von Bestpreisklauseln geltend zu machen. Der Europäische Gerichtshof hatte im September des Vorjahres geurteilt, dass solche Klauseln nicht notwendig seien für die wirtschaftliche Lebensfähigkeit von Booking.com und anderen Buchungsplattformen. Das Gericht entschied, dass das Kartellverbot in dem Fall sehr wohl greifen kann.

Auf Portalen wie Booking.com können Nutzer und Nutzerinnen eine Vielzahl an Hotels und anderen Unterkünften vergleichen und auch direkt buchen. Für jede erfolgreiche Vermittlung über die Seite bezahlt das Hotel eine Provision. Beim Zimmerpreis wird das einkalkuliert, wer bucht, zahlt also indirekt.

Hotels günstigere Angebote untersagt

Bei Buchungen direkt beim Hotel fällt eine Provision naturgemäß nicht an, hier könnten die Zimmer also billiger sein. An diesem Punkt setzten die Bestpreisklauseln von Booking.com an, die es Hotels untersagten, Zimmer über eigene Vertriebskanäle günstiger anzubieten.

In Österreich wurde die Anwendung der Klauseln bereits vor zehn Jahren auf Initiative der ÖHV und der Fachgruppe Hotellerie der Wirtschaftskammer verboten. Trotzdem könnten auch österreichische Betriebe durch die Anwendung in den vergangenen 20 Jahren einen erheblichen finanziellen Schaden erlitten haben. Es geht um viel, Schätzungen gehen von mehr als 30 Prozent der Kommissionen aus.

Wird ein Zimmer über Booking.com gebucht, verlangt die Plattform derzeit zwischen zwölf und 20 Prozent Provision pro Zimmerbuchung, berichtete das Ö1-Morgenjournal am Freitag. Die Hotels hätten sich nur deshalb auf diese hohen Zahlungen eingelassen, weil man an Booking.com nicht vorbeikomme, wie ÖHV-Präsident Veit sagte.

Ohne Alternative

Veit gegenüber Ö1: „Wenn ich nicht auf Booking bin und meine Zimmer international anbringen möchte, dann kann ich mir das nicht leisten, weil ich nicht gefunden werde. Booking hat diese Marktmacht ausgenützt und von den Hotels extrem hohe Aufschläge kassiert. Darin haben zahlreiche Gerichte Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht erkannt, und deshalb steht uns, den Hoteliers, Schadenersatz zu, und dieses Geld wollen wir uns jetzt zurückholen.“

Veit hat sich selbst der Klage angeschlossen, so wie mittlerweile mindestens 400 andere österreichische Hotelbetriebe. Für die Kosten kommt ein externer Prozessfinanzierer auf, der nur im Erfolgsfall verdient, die Teilnahme für Hotels ist damit nicht mit Risiko behaftet.

Booking.com scheint der Klage gelassen entgegenzusehen, einen Grund für Schadenersatzansprüche sieht die Plattform nicht – der EuGH habe die Bestpreisklausel nicht als eindeutig wettbewerbswidrig klassifiziert, sondern entschieden, „dass solche Bewertungen von Fall zu Fall vorgenommen werden müssen“. Falls erforderlich, werde das Unternehmen weiterhin vor Gericht seine Position darlegen, dass Paritätsklauseln keine wettbewerbswidrige Wirkung haben.

Gelassenheit kann Booking.com auch an den Tag legen, weil das Portal bei Onlinebuchungen mit Abstand die Nummer eins ist. „Booking hat einen Marktanteil in Österreich von ungefähr 75, 76 Prozent, und eigentlich sind alle anderen Plattformen fast unbedeutend“, sagte dazu Oliver Fritz, Tourismusexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) gegenüber Ö1.

Auch Vorteile vorhanden

Damit habe Booking.com tatsächlich eine marktbeherrschende Stellung, gleichzeitig biete es den Hotels aber auch einiges, sagte Fritz. Die Betriebe erreichen eine große Anzahl an potenziellen Kunden und Kundinnen. Das Buchungssystem sei etabliert und funktioniere, und viele Hotels würden es nur für einen Teil ihrer Zimmer nützen, etwa um Restangebote anzubringen.

In Österreich würden derzeit etwa 20 Prozent aller Hotelübernachtungen über Portale wie Booking.com abgewickelt, sagte Fritz, die Tendenz sei klar steigend. Auch wenn Reisende den Ausgang der Sammelklage nicht unmittelbar spüren dürften, könnte das Urteil ein Präzedenzfall für die Regulierung digitaler Buchungsplattformen werden.

Frist verlängert

Am Mittwoch hat HOTREC die Frist, bis zu der Hotels sich der Klage anschließen können, auf den 29. August verschoben. Angesprochen werden Betriebe, bei denen Gäste zwischen 2004 und 2024 über Booking.com gebucht haben.

Mit 2025 hat Booking.com die Bestpreisklauseln im Europäischen Wirtschaftsraum abgeschafft. Begründet wurde das mit dem EU-Digitalgesetz Digital Markets Act (DMA), das mit schärferen Regeln für große Plattformen Wettbewerb bei digitalen Diensten fördern will.

aloh, ORF.at/Agenturen

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BERICHT – Neuer OECD-Bericht warnt vor «beispiellosem Einbruch»: Die tiefe Geburtenrate gefährdet den Wohlstand – Albert Steck, Nzz, 9.7.2025

Das wirtschaftliche Wachstum droht in den westlichen Ländern um 40 Prozent zurückzugehen. In der Schweiz und in Deutschland könnte die Demografie zu einem noch stärkeren Rückgang führen.

Eigentlich ist es eine Binsenwahrheit: «Damit die Wirtschaft wachsen kann, braucht es Arbeitskräfte, welche die nötige Wertschöpfung erbringen.» So banal die Erkenntnis auch ist: Die Länderorganisation OECD setzt sie ins Zentrum ihres neuen Beschäftigungs-Reports, den sie am Mittwoch publiziert hat. Statt eines Mangels an Jobs wie früher erlebe die westliche Welt zunehmend einen Mangel an Arbeitskräften, hält die OECD fest – und warnt vor den tiefgreifenden Folgen dieses Wandels.

Der wirtschaftliche Aufstieg in den letzten Jahrzehnten war nur möglich, weil die Zahl der Beschäftigten Jahr für Jahr konstant gewachsen ist. Doch dieser Effekt verkehrt sich nun ins Gegenteil – aus zwei Gründen: Die Geburtenraten erreichen in allen Ländern neue Tiefststände: In der Schweiz kommen pro Frau gerade noch 1,3 Kinder auf die Welt, in Deutschland sind es 1,4.

Hinzu kommt die Welle an Pensionierungen bei den geburtenstarken Jahrgängen aus der Babyboomer-Generation. «Dies führt dazu, dass eine immer kleinere Zahl an Arbeitskräften das Einkommen für eine immer grössere Zahl von Menschen erwirtschaften muss, die zwar konsumieren, aber nicht produzieren», schreibt die OECD in ihrem Bericht.

Dies wirkt sich direkt auf unseren Wohlstand aus. «Die meisten OECD-Länder werden mit einem beispiellosen Einbruch des Pro-Kopf-BIP-Wachstums konfrontiert sein», schreibt die Organisation in ihrer Analyse. Und weiter: «Dies wird die Fähigkeit, den Lebensstandard zu verbessern, erheblich beeinträchtigen.»

Trend zu kürzerer Arbeitsdauer

Die OECD-Ökonomen untermauern ihre Aussage mit konkreten Berechnungen. Bisher erreichten die 38 Mitgliedstaaten ein durchschnittliches Pro-Kopf-Wachstum der Wirtschaft von 1,0 Prozent im Jahr. Dieses Tempo werde nun aber um 40 Prozent zurückgehen. Somit verlangsame sich das jährliche Wachstum in den kommenden Jahrzehnten bis 2060 auf nur noch 0,6 Prozent.

Für Europa sagt die OECD einen noch stärkeren Wachstumseinbruch voraus. So können die Schweiz und Deutschland mit einem jährlichen Plus von nur gerade 0,1 bis 0,3 Prozent rechnen. Österreich und Italien droht gar eine schrumpfende Wirtschaftsleistung pro Kopf. Denn diese Länder sind von der erwarteten Abnahme der Erwerbsbevölkerung überdurchschnittlich tangiert.

Diese Wachstumsprognose basiert auf der Annahme, dass die Arbeitsproduktivität der Beschäftigten im gleichen Tempo zunimmt wie bisher. Dank den Fortschritten der künstlichen Intelligenz könnte sich dies als zu pessimistisch erweisen. Umgekehrt aber ist es laut dem OECD-Bericht auch denkbar, dass eine alternde Gesellschaft generell nur noch geringere Produktivitätszuwächse schafft. Schon in den letzten Jahren war dieser Trend rückläufig.

Eine weitere Option, um die Wirtschaftsleistung zu steigern, bestünde darin, dass die Beschäftigten mehr Arbeitsstunden leisten würden. Auch hier verläuft die Entwicklung allerdings genau umgekehrt: Laut OECD arbeiten die Erwerbstätigen heute im Schnitt 6 Prozent weniger lang als noch vor zwanzig Jahren. Auch dieser Rückgang muss durch eine höhere Produktivität wettgemacht werden.

Potenzial der älteren Beschäftigten nutzen

Welche Möglichkeiten hat eine Gesellschaft also, um trotz diesen negativen Vorzeichen ihr Wachstumspotenzial zu vergrössern? Wenig sinnvoll ist es laut der OECD, auf eine höhere Geburtenrate hinzuwirken. Denn der Effekt materialisiere sich erst in etwa zwanzig Jahren. Stattdessen empfiehlt die Organisation, den bestehenden Pool an Arbeitskräften besser auszuschöpfen. Als mögliche Massnahme nennt sie die Förderung der Arbeitsmigration. In der Schweiz, wo die Zuwanderung schon heute sehr hoch ist, kommt eine solche Strategie kaum infrage.

Somit bleiben im Wesentlichen zwei Hebel, mit denen die Schweiz ihr künftiges Wachstum fördern kann: zunächst durch eine verbesserte Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt. Zwar ist ihre Erwerbsbeteiligung bereits stark gestiegen. Doch die Arbeitspensen liessen sich laut der OECD noch deutlich erhöhen.

Das grösste ungenutzte Potenzial aber sieht die Länderorganisation bei den älteren Beschäftigten. Es brauche eine bessere Beschäftigungspolitik für diese Gruppe – zumal diese von einer besseren Gesundheit profitiere und auch der Anteil der körperlich anstrengenden Jobs zurückgehe. Zu diesem Zweck sollen die berufliche Mobilität und das lebenslange Lernen gefördert werden.

Dass die Politik handle, sei auch deshalb wichtig, weil die Renten- und Gesundheitssysteme immer mehr kosteten, betont der Bericht. Dabei gehe es auch um die Frage der Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Denn die Älteren hätten bisher überdurchschnittlich vom höheren Wohlstand profitiert. Dagegen seien es primär die Jungen, welche die zusätzlichen Lasten aufgrund einer stagnierenden Wirtschaft zu tragen hätten.

In Deutschland und Österreich gehen die Asylgesuche viel stärker zurück als in der EU – der Grund ist die Geopolitik – Meret Baumann (Wien), NZZ, 22.7.2025

Die neuen Regierungen in Wien und Berlin haben die Migrationspolitik verschärft und können sinkende Asylzahlen vorweisen. Nationale Massnahmen haben aber nur eine begrenzte Wirkung.

In Österreich geht die Zahl der Asylsuchenden weiterhin stark zurück. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres verzeichneten die Behörden rund 8600 Anträge, das sind fast 37 Prozent weniger als in derselben Periode des Vorjahres. Damit setzt sich eine mittlerweile seit 2023 anhaltende Entwicklung fort. Im Rekordjahr 2022 waren von Januar bis Juni über 32 000 Gesuche gestellt worden.

Der Rückgang entspricht einem europaweiten Trend. Allerdings betonte Innenminister Gerhard Karner in einer Medienkonferenz am Montag, dass die Anträge in der gesamten EU «nur» um 23 Prozent abgenommen hätten. Prozentual zur Bevölkerung liegt Österreich deshalb nur noch auf dem zehnten Platz, nachdem das Land jahrelang am zweitmeisten Gesuche pro Kopf entgegengenommen hatte, wie Karner ausführte.

Laut dem Innenminister ist dies massgeblich die Folge des «strengen, harten, aber gerechten» Kurses, den die Regierung in der Migrationspolitik verfolge. So sei unter dem Druck des vorübergehenden Vetos aus Wien gegen den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien der dortige Grenzschutz personell und technisch besser ausgerüstet worden. Das habe die Kosten für eine Schleppung über die bulgarische Grenze von rund 1000 auf 9000 Euro erhöht.

Arbeitspflicht und Stopp für Familienzusammenführungen

Im Übrigen haben weiträumigere Kontrollen an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn die Übertritte von Migranten einbrechen lassen: Dieses Jahr wurden in der zweiten Juli-Woche im Burgenland 86 Personen aufgegriffen, während es 2022 in derselben Woche laut dem Innenministerium knapp 1700 gewesen waren.

Karner verwies weiter auf politische Massnahmen in Österreich, die das Land für Asylsuchende unattraktiver machen sollten – unter anderem den Stopp des Familiennachzugs. Dieser habe noch vor einem Jahr in den Monaten Mai und Juni 2000 Anträge ausgemacht, nun waren es in diesen Monaten nur noch 130 Personen, die auf diesem Weg um Asyl ersuchten. Die seit März amtierende Regierung hatte die europarechtlich garantierte Familienzusammenführung kürzlich unter Berufung auf die Notstandsklausel ausgesetzt.

Tatsächlich stellten nach dem Ablauf einer Wartefrist im letzten Jahr sehr viele Frauen und Kinder Asylgesuche, was insbesondere an den Wiener Schulen für Überforderung sorgte. Allerdings gingen die Zahlen rasch wieder zurück. Das bestätigten letztlich auch Karners Ausführungen, weil der Stopp für die Monate Mai und Juni noch gar nicht galt. Die Regierung beschloss die entsprechende Verordnung erst Ende Juni.

Als weitere Gründe für den Rückgang nannte der Innenminister eine letztes Jahr eingeführte Arbeitspflicht und die Umstellung auf eine sogenannte Sachleistungskarte in Betreuungseinrichtungen des Bundes. Letztere soll Geldüberweisungen ins Ausland unterbinden. Allerdings gelten beide Massnahmen vorerst nur für einen kleinen Teil der Asylsuchenden, weil die meisten in Einrichtungen der Bundesländer untergebracht sind.

Deutschland ist nicht mehr Zielland Nummer eins

Wichtiger dürfte deshalb der geopolitische Kontext sein. Insbesondere der Sturz des Asad-Regimes in Syrien im vergangenen Dezember wirkte sich aus und führte zu einem abrupten und drastischen Rückgang der Gesuche von Syrern, wie die Asylagentur der EU schreibt. Sie sind seither nicht mehr die grösste Gruppe von Antragstellern, und Deutschland ist erstmals seit mehr als zehn Jahren nicht mehr das Zielland, das am meisten Gesuche verzeichnet. Im Mai etwa wurden in Spanien rund 13 000 Anträge gestellt, in Italien und Frankreich waren es rund 12 000. Deutschland folgt mit knapp 10 000 Asylgesuchen erst an vierter Stelle.

Das zeigt, dass sich neben einem generellen Rückgang die Fluchtrouten verlagert haben. Gemäss der Halbjahresstatistik der Grenzschutzagentur Frontex ist die vor allem von Migranten aus dem Nahen Osten genutzte Balkanroute fast zum Erliegen gekommen, während über das zentrale und westliche Mittelmeer wieder mehr Menschen nach Europa gelangen – hauptsächlich aus afrikanischen Ländern.

Das wirkt sich in den Hauptzielländern derjenigen aus, die über die Balkanroute kamen: Deutschland und Österreich. Die Zahl der Asylanträge in Deutschland ging von Januar bis Juni gegenüber derselben Periode des Vorjahres sogar um 45 Prozent zurück. In beiden Staaten ist Syrien auch nicht mehr das Hauptherkunftsland, sondern Afghanistan.

DEUTSCHLAND – WAHLUMFRAGEN

UMFRAGEN

FrUrlaubsguru-Umfrage: Deutsche bevorzugen neue Reiseziele und soziale ErlebnisseAviation.Direct
FrUmfrage: Wärmepumpe gefragteste Heiztechnologie266dts Nachrichtenagentur
FrStackoverflow-Umfrage: Softwareentwickler vertrauen KI-Tools immer weniger1Golem.de
FrHausbesitzer in Deutschland: Umfrage attestiert Wärmepumpen steigende Beliebtheit2Spiegel Online
FrUmfrage von NDR und WDR: Rechtsextremisten in Deutschland besitzen mehr als 1700 Waffen328news aktuell

Weit über europäischem Schnitt Flut an faulen Krediten macht deutschen Banken zu schaffen – n-tv, 7.7.2025

In Deutschland gehen viele Unternehmen pleite, zudem sinkt die Nachfrage nach Gewerbeimmobilien. Mit solchen Krisensektoren verbundene Kredite bergen ein hohes Risiko für die Banken. Im europäischen Vergleich sind deutsche Geldhäuser besonders stark betroffen.

Deutschlands Banken haben im europäischen Vergleich mit dem höchsten Anstieg fauler Kredite zu kämpfen. Fast ein Viertel (24,9 Prozent) mehr ausfallgefährdete Kredite – sogenannte „Non-performing loans“, kurz: NPL – als ein Jahr zuvor standen hierzulande in den Bilanzen für 2024, wie eine Analyse des Beratungsunternehmens Bearingpoint ergab. Im Schnitt der 163 untersuchten Geldhäuser in Europa lag der NPL-Zuwachs bei 1,1 Prozent.

Hauptursachen für den sprunghaften Anstieg in Deutschland seien „die stark gestiegene Anzahl an Unternehmensinsolvenzen sowie die massiven Wertverluste und steigenden Kreditausfälle im gewerblichen Immobiliensektor“, erklärte Bearingpoint.

Im vergangenen Jahr hatte es in Deutschland mit 21.812 Insolvenzen so viele Firmenpleiten gegeben wie seit 2015 nicht. Mit einem deutlichen Anstieg hatten Experten gerechnet, nachdem die staatliche Unterstützung aus der Corona-Pandemie ausgelaufen war. Zudem belasten hohe Energiepreise, Bürokratie und politische Unsicherheit die Unternehmen. Für das laufende Jahr wird ein weiterer Anstieg der Unternehmensinsolvenzen hierzulande erwartet.

Betroffene Banken vergeben weniger Kredite

Der Markt für Gewerbeimmobilien steht in vielen Ländern seit längerem unter Druck, etwa weil wegen des Homeoffice-Trends weniger Büroflächen gebraucht werden. Auch etliche Geschäfte stehen leer, weil Konsumenten reichlich im Internet einkaufen.

Ein Kredit gilt dann als „non-performing“, wenn die Wahrscheinlichkeit als gering eingeschätzt wird, dass der Kreditnehmer das Geld vollständig zurückzahlt. Banken drohen in solchen Fällen Verluste. Das könnte sich dann auch auf die Vergabe neuer Kredite auswirken.

Insgesamt jedoch zeige sich der europäische Bankensektor in einem weiterhin schwierigen wirtschaftlichen Umfeld widerstandsfähig, so das Fazit von Bearingpoint. Viele Banken konnten ihre Nettogewinne trotz gestiegener Kosten halten oder gar ausbauen. Die durchschnittliche Gesamtkapitalquote sei im dritten Jahr in Folge auf 23,5 Prozent im Jahr 2024 gestiegen.

Quelle: ntv.de, jog/dpa

Sorge vor kaltem Winter wächst Gasspeicher sind erst halb voll  n-tv, 9.7.2025

Der russische Krieg gegen die Ukraine hat gezeigt: Leere Gasspeicher können ein massives Problem sein. Doch bereits in diesem Frühjahr liegen die Füllstände der Gasspeicher deutlich unter den Vorjahren. Und ein extrem kalter Winter könnte ein Problem werden.

Die Befüllung der deutschen Gasspeicher läuft weiterhin nur schleppend. „Derzeit sind rund 70 Prozent der deutschen Gasspeicherkapazitäten durch Marktakteure gebucht – entsprechend können sie zu diesem Anteil befüllt werden“, erklärte die Initiative Energien Speichern (Ines) in ihrem Juli-Update zur Gasversorgungslage. „Für eine sichere Versorgung auch bei sehr kalten Temperaturen reicht ein Füllstand von 70 Prozent jedoch nicht aus.“

Die Füllstände der Gasspeicher waren in diesem Frühjahr deutlich niedriger als in den Vorjahren – zum 1. April lagen sie im Schnitt bei 29 Prozent. Laut Ines schreitet auch die Einspeicherung seitdem nur langsam voran. Bis Ende Juni lag der Füllstand bei 51 Prozent – deutlich unter dem langjährigen Mittel von knapp 70 Prozent zu diesem Zeitpunkt. Auf Basis der derzeit vermarkteten Kapazitäten wird dieser Wert nun erst zum 1. November erreicht.

Der Bundesregierung stehen laut Ines Instrumente zur Verfügung, um den Füllstand darüber hinaus zu steigern. Allerdings sei eine vollständige Befüllung der Gasspeicher bis zum 1. November 2025 „bereits heute technisch nicht mehr möglich“, erklärten die Experten.

Und ausgehend von den derzeit absehbaren 70 Prozent Füllstand zu Beginn der Heizsaison würden die Speicher bei einem „extrem kalten Winter“ bis Ende Januar vollständig entleert, warnt Ines. „Eine vollständige Versorgung ist dann bei aktuellen Verbrauchsmustern nicht mehr möglich.“ Selbst eine vollständige Befüllung der Gasspeicher in den Nachbarstaaten würde demnach nicht ausreichen. „Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie die Bundesregierung Gas-Versorgungssicherheit im kommenden Winter vollständig gewährleisten wird“, erklärte Ines-Geschäftsführer Sebastian Heinermann.

Ines ist ein Zusammenschluss von Betreibern deutscher Gas- und Wasserstoffspeicher. Nach eigenen Angaben repräsentiert der Verband über 90 Prozent der deutschen Gasspeicherkapazitäten und etwa 25 Prozent aller Gasspeicherkapazitäten in der EU.

Quelle: ntv.de, ghö/AFP

Seit 2015 geht es wieder bergab: Die Folgen der unkontrollierten Zuwanderung machen Deutschlands Schulen zu schaffen – Mathias Brodkorb, NZZ, 26.7.2025

Nach dem Pisa-Schock nahm die Leistungsfähigkeit von deutschen Schülern zunächst zu. Doch damit ist es vorbei. Dabei wird in Schulen die Zukunft der deutschen Exportnation verhandelt. Dennoch fällt der Politik wenig ein.

Welche Schullaufbahn er inzwischen wohl eingeschlagen hat? Eine Frau ist im August 2015 gemeinsam mit ihrem Sohn in einer Berliner Notunterkunft für Flüchtlinge unterwegs.

Seit 25 Jahren vermisst die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) international Schülerleistungen mit ihrem Projekt Pisa. Als die erste Studie im Jahre 2001 das Licht der Öffentlichkeit erblickte, löste das in Deutschland Katerstimmung aus. Das Land der Dichter und Denker war plötzlich bloss Mittelmass.

Heute ist die Lage noch viel ernster geworden. Egal, wohin man auch blickt: Die Leistungen der Schüler beim Lesen, in Mathematik und Naturwissenschaften sind schlechter als zu Beginn der Erhebung.

Dabei hatte es zunächst so ausgesehen, als würde alles schrittweise besser. Allerlei Bildungsreformen wurden eingeleitet und schienen Erfolge zu zeitigen. Zehn Jahre lang nahmen die Schülerleistungen tatsächlich messbar zu. Mit dem Jahr 2012 begann dann der Abstieg, erst in Mathematik und Naturwissenschaften, nach dem Jahr 2015 auch im Lesen. Innerhalb der letzten zehn Jahre haben alle Schüler durchschnittlich ein ganzes Schuljahr verloren. Jeder fünfte Schüler verfehlt sogar in allen Bereichen das schulische Mindestniveau. Diese «Risikoschüler» sind aussichtsreiche Kandidaten für künftige Schulabbrüche.

Es ist um diese Befunde merkwürdig still geworden in Deutschland. Eigentlich müssten sie das ganze Land in eine andauernde Alarmbereitschaft versetzen. Es steht nicht weniger als Deutschlands Wohlfahrtsmodell auf dem Spiel. Das Land wurde nicht mit niedrigen Löhnen, sondern mit Zukunftstechnologien und der Qualität seiner Produkte Exportweltmeister. Mehr als fünfzig Prozent seines Reichtums erwirtschaftet es – noch – auf den Weltmärkten. Wenn es so bleiben soll, braucht es nichts so dringend wie gut qualifizierte Fachkräfte.

«In vielen Schultoiletten stinkt es»

Fachkräfte sind allerdings aus demografischen Gründen längst Mangelware. Schon vor zwei Jahrzehnten wurden viel zu wenige Kinder geboren, um die Alten zahlenmässig ersetzen zu können, die in Rente gehen. Wenn dann auch noch die schulischen Leistungen der wenigen einbrechen, geht es irgendwann an die Substanz. Eigentlich dürfte Deutschlands Politik nicht mehr ruhig schlafen.

Statt ernsthafte politische Debatten zu führen, wird mit Geld um sich geworfen. Anfang des Jahres 2025 änderte der Deutsche Bundestag das Grundgesetz und machte den Weg frei für ein 500 Milliarden Euro umfassendes Schuldenpaket für «zusätzliche» Investitionen. 100 Milliarden Euro davon fliessen direkt an die Länder. Und wohin man auch schaut: Alle wollen davon namhafte Beträge in den Schulbau stecken. Die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aus Baden-Württemberg freute sich besonders. Endlich sei Geld für die Sanierung der Schulen da: «In vielen Schultoiletten stinkt es.»

Diese Logik ist so ulkig, dass es unerklärlich scheint, dass niemand laut darüber lachen muss. Wie kann man auf die Idee kommen, die Sanierung von Schultoiletten sei eine «Investition in Bildung», also in die bessere Lernentwicklung der Schüler? Wie kann man ernsthaft glauben, dass neuer Putz an den Wänden, neue Fussbodenbeläge, neue Fenster usw. die Kinder besser in Mathematik machten?

Keine Besserung in Sicht

Auch Olaf Köller beklagt die mangelnde Ernsthaftigkeit der bildungspolitischen Debatte. Er ist einer der renommiertesten Bildungsforscher Deutschlands und Mitglied des Deutschen Pisa-Konsortiums. Mit seinem Team bereitet er sich gerade auf die Auswertung der dieses Jahr erhobenen Daten vor. Nächstes Jahr soll mit Pisa 2025 dann die neue Studie erscheinen.

Zu den Ergebnissen kann er sich noch nicht äussern. Aber wenn man ihn fragt, ob wenigstens Aussicht auf Besserung bestehe, nährt er diese Hoffnung nicht: «Wir werden wahrscheinlich gegenläufige Tendenzen sehen. Die Einbeziehung der ukrainischen Schüler in die Untersuchung könnte das Ergebnis nach unten ziehen, das Ausschleichen des Corona-Effektes mutmasslich nach oben. Für eine Verbesserung der Gesamtergebnisse spricht meines Erachtens aber nichts.»

Die Ignoranz der deutschen Politik ist erklärungsbedürftig. Vielleicht hat sich langsam ein Gewöhnungseffekt eingestellt: immer neue Studien. Mit den Achseln zucken und weitermachen wie gehabt. Hinzu kommt der Froscheffekt: Die Wirkungen unzureichender Bildungspolitik wirken sich auf die Gesellschaft nur scheibchenweise aus, wenn Jahr für Jahr Absolventenjahrgang um Absolventenjahrgang auf den Arbeitsmarkt strömt. Bis die Wirkungen voll durchschlagen, vergehen nicht nur Jahre, sondern Jahrzehnte. Es ist wie mit dem Frosch, der nicht bemerkt, dass sich das Wasser in seinem Kochtopf langsam erwärmt. Gute Bildungspolitik ist nur als langfristig angelegte Strategiepolitik zu haben.

Mit Corona lässt sich nicht alles erklären

Hinzu kommt dann noch ein Sondereffekt. Pisa 2022 spiegelte auch die Wirkungen der Corona-Pandemie wider. Als damals die Schüler getestet wurden, hatten sie monatelange Schulschliessungen und Online-Unterricht in den Knochen. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn sich das nicht auch negativ auf die Leistungen ausgewirkt hätte. Möglicherweise ist die Unernsthaftigkeit der bildungspolitischen Debatte auch eine Folge der Hoffnung, dass es nach Corona bestimmt von selbst wieder aufwärtsgehen werde.

Aber schon für das Jahr 2022 sprechen die Daten dagegen. Der deutsche Pisa-Abstieg begann in Mathematik und Naturwissenschaften bereits nach 2012, im Lesen nach 2015. Da war von Corona weit und breit noch nichts zu sehen.

Schon damals aber gab es einen weiteren Sondereffekt, der längst kein Sondereffekt mehr ist. Ab dem Jahre 2015 strömten in bis anhin unbekannter Grössenordnung Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache in das Schulsystem. Das war wie der Rest der Gesellschaft nicht auf die Flüchtlingswellen vorbereitet. Schon damals herrschte Lehrermangel. Die Unterrichtslage wurde dadurch Jahr um Jahr prekärer.

Im Jahr 2015 hatte noch ein Drittel aller Schüler in Deutschland einen Migrationshintergrund, heute sind es über vierzig Prozent – Tendenz weiter steigend. Vor allem in Wohnvierteln mit problematischer sozialer Lage kommt es vor, dass ihr Anteil an allen Schülern die Marke von achtzig Prozent übersteigt.

Solche «Problemschulen» stehen vor einer doppelten Herausforderung. An regulären Unterricht ist schon aus sprachlichen Gründen selten zu denken. Das wirkt sich zwangsläufig auf das Leistungsniveau aller Schüler aus. Und viele Lehrer versuchen aus diesen «Problemschulen» zu fliehen, indem sie sich an Schulen in besseren Stadtvierteln bewerben. Der allseitige Lehrermangel macht’s möglich. Als Ersatz für sie können immer häufiger nur noch Seiteneinsteiger gefunden werden, denen es an einer pädagogischen Ausbildung fehlt. Eigentlich brauchte man aber gerade in den «Problemschulen» die besten Lehrer des Landes.

Lage von Kindern mit Migrationshintergrund alarmierend

Die daraus resultierenden Probleme kann man den derzeit verfügbaren Pisa-Daten entnehmen. Die Forscher bezeichnen die Lage von Kindern mit Migrationshintergrund aus der ersten Generation als regelrecht «alarmierend». Allein zwischen 2012 und 2022 verlieren sie in Mathematik ganze 63 Leistungspunkte. Das entspricht dem Lernfortschritt von zwei Schuljahren. Ihr Leistungsabstand zu Schülern ohne Migrationshintergrund beträgt sogar 102 Leistungspunkte, also mehr als drei Schuljahre.

Aber auch im oberen Leistungssegment des Schulsystems gebe es massive Probleme, betont Olaf Köller. Im Jahr 2012 haben noch vierzig Prozent der Gymnasiasten das Fach Mathematik gut beherrscht. Zehn Jahre später hat sich deren Anteil halbiert. Auch im Bereich Lesen ist der Rückgang des Anteils leistungsstarker Schüler an Gymnasien gross. Nur in den Naturwissenschaften blieb er bei etwa zehn Prozent konstant – auf ohnehin niedrigem Niveau. Da sich trotz dem Leistungseinbruch wenig am Notendurchschnitt in den Schulen geändert hat, spitzt der Bildungsforscher Köller die Sache zu: «Was vor 15 Jahren in Mathe noch eine Vier war, ist heute eine Zwei.»

Für ihn ist es daher zu kurz gesprungen, die gegenwärtigen Probleme des Schulsystems allein den Migrationseffekten anzulasten: «Zumindest die schlechten Ergebnisse in den Gymnasien können dadurch nicht erklärt werden. Lassen Sie es mich so sagen: Mit der Mathematikdidaktik des 20. Jahrhunderts werden Sie die Schüler des 21. Jahrhunderts nicht hinter dem Ofen hervorholen.»

Der Schulpädagoge Klaus Zierer von der Universität Augsburg sieht das anders: «Natürlich wirken sich Migrationseffekte auch auf das Gymnasium aus. Auch dort steigt der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund.» Ein anderer Faktor sei aber noch entscheidender. Bereits seit Jahrzehnten strömten immer mehr Schüler an die Gymnasien: «Wir wissen auch durch Pisa, dass viele von ihnen über kein Gymnasialniveau verfügen.»

Wenn dann die Zahl der Durchfaller trotzdem nicht zunehme und sich die Noten sogar weiter verbesserten, lasse das nur eine Schlussfolgerung zu: «Das Leistungsniveau wird insgesamt abgesenkt, und dann werden natürlich auch die Besten schlechter.» Die Lösung des Problems ist für Zierer daher klar: weniger Schüler auf das Gymnasium lassen und das Anforderungsniveau wieder anziehen.

Auch Ausbildungsberufe werden anspruchsvoller

Es gibt im deutschen Schulsystem also sowohl oben als auch unten Probleme. Das Land könne sich aber keine Schulabgänger ohne Abschlüsse mehr leisten, betont Köller. Das liege nicht nur an der demografischen Mangelsituation, sondern auch an der Entwicklung der Ausbildungsberufe: «Das Anforderungsprofil wird dort immer anspruchsvoller – und zugleich werden die Schülerleistungen schlechter. Das kann natürlich nicht gutgehen.»

Noch gravierender für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sei allerdings der Einbruch bei den Bestleistern: «Deutschland braucht Spitzenkräfte, wenn es weiter auf dem Weltmarkt bestehen und seinen Reichtum sichern will.» Die Lage sei längst «katastrophal» geworden. Köller, der sich schon seit vielen Jahren in der Bildungsforschung engagiert und die Politik berät, wirkt im Gespräch mit dieser Zeitung ein wenig verzweifelt: «Man hat den Ernst der Lage bis heute nicht erkannt.»

Eine Ausnahme hiervon ist möglicherweise Karin Prien. Erst war sie Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, nun ist sie zur Bundesbildungsministerin aufgestiegen. Diese Amtsbezeichnung hält nicht, was sie verspricht. Schule ist in Deutschland Ländersache. So steht es in der Verfassung. In der Sache hat Karin Prien also nichts zu melden, auch wenn sich alle medialen Augen auf sie richten, wenn es um den Zustand des deutschen Bildungssystems geht.

So war es auch im Frühsommer des Jahres 2025. Anfang Juli war Prien auf der Dachterrasse eines Neubaus des Axel-Springer-Konzerns in Berlin zu Gast. Philipp Burgard, der Chefredakteur der deutschen Tageszeitung «Die Welt», stellte ihr eine Frage: Was sie denn von der dänischen Vorgehensweise halte, in bestimmten Stadtteilen eine Obergrenze für Menschen mit Migrationshintergrund von dreissig Prozent festzusetzen?

Der Journalist wollte von der Bundesbildungsministerin wissen, ob das auch ein Weg für Deutschlands Schulen sein könne. Die deutsche Bundesbildungsministerin erklärte das bei Sommerlaune zu einem immerhin «denkbaren Modell» neben vielen anderen und löste damit unfreiwillig eine Debatte aus. Oder eher keine Debatte, sondern ein typisch deutsches und gänzlich überflüssiges Sommerloch-Scharmützel.

Bildungsministerin Prien in der Kritik

Schon die Höhe der genannten Quote ging ja an der deutschen Wirklichkeit vorbei. Längst weisen mehr als vierzig Prozent der Schüler in Deutschland einen Migrationshintergrund auf. Wohin also sollten die restlichen mehr als zehn Prozent, wenn an jeder Schule nicht mehr als dreissig Prozent von ihnen beschult würden?

Die Sache kann schon mathematisch nicht aufgehen. Vor allem darauf stützten sich zahlreiche Debattenteilnehmer. Priens Vorschlag, der gar keiner gewesen war, sondern bloss eine Reaktion auf eine rein hypothetisch gestellte Frage, war so schnell niedergeredet wie geäussert. Eigene Vorschläge zur Beseitigung eines offenkundigen Missstandes hatten Priens Kritiker nicht vorzuweisen. Typisch deutsch eben.

Der dänische Weg ist auch ein ganz anderer als in der deutschen Debatte unterstellt. Die Fehler der Gesellschaftspolitik der Vergangenheit werden dort nicht wie in Deutschland den Schulen vor die Tür gekippt. Es gibt an Dänemarks Schulen keine Quoten für Kinder mit Migrationshintergrund. Solche Quoten gibt es stattdessen für Stadtteile, in denen mehr als dreissig Prozent nichtwestlicher (!) Migranten leben.

Um die soziale Mischung in den betroffenen Stadtteilen zu verbessern, werden ganze Wohnblöcke abgerissen oder umgestaltet. Zahlreiche Familien mit nichtwestlichem Migrationshintergrund müssen zwangsweise umziehen und in ihren ehemaligen Wohnungen Platz machen für Bewohner westlicher Herkunft.

Schulen baden die Fehler der Politik aus

Das kostet Geld und ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Aber ganz offensichtlich funktioniert es. Wenn dadurch in einem Stadtteil sowieso nur maximal dreissig Prozent der Kinder aus nichtwestlichen Kulturen stammen, braucht man auch keine Quoten an den Schulen.

Und genau das ist der entscheidende Punkt: Schulen haben zwar eine wichtige Funktion für die Gesellschaft. Auch der Erfolg ihrer Arbeit entscheidet über deren langfristige Zukunft. Aber sie taugen umgekehrt nicht als Reparaturwerkstätten für gesellschaftspolitisches Versagen.

Es wird daher Zeit, die Bildungspolitik von der Bildungspolitik zu befreien. Es wird Zeit für die Einsicht, dass auch an den Schulen die Zukunft der deutschen Exportnation und damit von deren Wohlfahrtsmodell verhandelt wird.

Es bedarf der Einsicht, dass Milliarden und Abermilliarden, die für die Sanierung von Schultoiletten verausgabt werden, rein gar nichts am Leistungsniveau der Schüler im Fach Mathematik verändern können. Und es wird Zeit für die Einsicht, dass keine Schule erfolgreich sein kann, wenn sie von der Gesellschaft überfordert wird.

KOMMENTARE – ANALYSEN

KOMMENTAR – So schafft es Deutschland nicht: Zu viele Tabus verhindern die Integration von Ausländern – Benedict Neff, NZZ, 9.7.2025

Die deutsche Bildungsministerin lanciert eine Debatte über Ausländerquoten an Schulen: Die Reaktion der Multikulti-Fraktion ist hysterisch. Dabei trifft die Ministerin einen wunden Punkt.

Bereits ein lautes Nachdenken kann empörte Reaktionen auslösen. Die deutsche Bildungsministerin Karin Prien äusserte sich vor einigen Tagen auf Welt TV zu einer Obergrenze für Ausländer an deutschen Schulen. Dies sei «ein denkbares Modell». Auf eine genaue Zahl wollte sich die Ministerin nicht festlegen, sie brachte aber eine Grössenordnung von 30 bis 40 Prozent ins Spiel. Hintergrund der Idee sind die Probleme an deutschen Schulen: Viele Schüler sprechen bei der Einschulung kein Deutsch, in Städten wie Hamburg und Berlin liegt der Ausländeranteil in manchen Klassen bei bis zu 90 Prozent, Lehrer sind überfordert, und die Leistungen von deutschen Schülern sind im internationalen Vergleich in letzter Zeit schlechter geworden.

Gegen die Idee der Ministerin wurde rhetorisch alles aufgeboten, was die deutschen Multikulti-Fanatiker in Verbänden, Parteien und in den Medien zu bieten haben: Von Ausgrenzung war die Rede, von populistischen Plattitüden, einem gefährlichen Signal, Stigmatisierung, Rassismus, Ghettoisierung. Die «Süddeutsche Zeitung» brachte in einem Kommentar auch gleich das Grundgesetz in Position. Ein solcher «Eingriff in die Freiheitsrechte von Kindern» würde dem Gesetz zuwiderlaufen, Diskriminierung sei nicht hinnehmbar.

Was die Gegner aber ganz besonders zu freuen schien: Die Idee sei nicht realisierbar. Viel zu kompliziert, nicht praktikabel, logistisch nicht umsetzbar. Und selbst wenn man den unsinnigen und illegalen Versuch starten würde, eine solche Quote (die eigentlich ein «Deckel» sei) umzusetzen, dann würde sie am Ende an den privilegierten Familien und ihrem Dünkel scheitern. Denn sobald die Schulklasse ihrer Kinder mit Migranten aus weniger guten Bezirken aufgefüllt würde, würden sie ihre Söhne und Töchter in Privatschulen schicken.

Die Das-geht-nicht-Attitüde

Linke Politiker und Journalisten lieferten eine Abwehrreaktion aus ideologischen Gründen. Ja, Deutschland verändert sich gerade ein bisschen. Die aktuelle Regierung will – wieder einmal – die Migration steuern, die Rechtspopulisten wollen nun sogar anständiger werden, aber die Kräfte, die in ihrer Multikulti-Ideologie verharren, gibt es natürlich auch noch. Diese sehen in Ausländerquoten einen Skandal. Und hier zeigt sich ganz konkret, wie ausländerfeindlich gutgemeinte linke Politik mitunter sein kann. Denn die Massnahme soll nicht ausgrenzen, sondern ausländischen Kindern die Chance bieten, von einer stärkeren Klasse zu profitieren und sich eher zu integrieren.

Bemerkenswert ist aber auch die ausgeprägte Das-geht-nicht-Attitüde. Dies ausgerechnet von Kreisen, die sonst voller Esprit sind, wenn es darum geht, den Staat im grossen Stil mit sozial- und klimapolitischen Ideen umzubauen. Aber die Phantasie scheint doch ihre Grenzen zu haben: Ein Heizungsgesetz ist vorstellbar, auch eine Umbenennung von Spielplätzen in «Spiel- und Aktionsflächen», um niemanden auszuschliessen. Aber wo käme man denn hin, wenn plötzlich Schulbusse von Neukölln nach Grunewald fahren würden!

Dabei sind die Ergebnisse aus Studien sowie die Erfahrungen von Lehrern und Eltern ziemlich eindeutig: Eine Klasse aus grossmehrheitlich migrantischen Schülern, die die Schulsprache nicht beherrschen, bringt eine schlechtere Leistung. Das ist wenig überraschend. Andreas Schleicher, Direktor für Bildung und Kompetenzen bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), betont: «Bildungssysteme, die Schüler mit Migrationshintergrund gleichmässig verteilen, haben einen ganz entscheidenden Vorteil.» Umso mehr muss es das politische Ziel sein, diesem Ideal näher zu kommen.

Das Beispiel Dänemark

Will Deutschland eine zunehmende Segregation der Gesellschaft vermeiden und die Menschen zusammenhalten, muss das Land grösser denken. Dänemark etwa fährt unter dem Motto «Ein Dänemark ohne Parallelgesellschaften» eine konsequente Strategie gegen die Isolation von Migranten. Das geht so weit, dass es nicht Quoten für Migranten an Schulen, sondern eine Quote für ganze Stadtviertel gibt. Wo sich viele Menschen konzentrieren, die nicht arbeiten oder zur Schule gehen, nichtwestlicher Abstammung sind, und wo die Kriminalität hoch ist, greift die Regierung rabiat ein. Auch mit Zwangsumsiedlung.

Dabei geht es nicht um die Schikanierung von Migranten, sondern um das Funktionieren des Gemeinwesens zum Wohle aller. Karin Prien hat hierzu einen Gedankenanstoss geliefert. Sie weist auf Probleme hin, die ungelöst sind und die sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen werden. 2015 machte das Land eine grosse Geste, indem es rund eine Million Syrer aufnahm. In der Integrationspolitik wirkt Deutschland aber immer noch ratlos, bedenkenträgerisch, wie versteinert. Im Zweifel will man den neuen Mitbürgern nichts zumuten oder verwechselt, wie die Reaktionen auf Prien zeigen, Integration gar mit Diskriminierung.

Ein Leserkommentar von vielen:

Diese Diskussion dreht sich nur um Symptome. Die Ursache der mangelnden Deutschkenntnisse von Kindern im schulpflichtigen Alter erscheint offensichtlich eine übermässige, gesellschaftlich überforderte Migration von Menschen aus für Deutschland fremden Kulturen. Dass sich viele, oder sogar eine Mehrheit dieser Migranten nie in unsere Gesellschaft integrieren werden, stand von Anfang klar. Dafür bedarf es ein gewisses Bildungsniveau der Eltern der Kinder, das nicht vorhanden war. Merkel meinte: „Das schaffen wir!“ Nun wissen wir: Das schafft Deutschland nicht. Deutschland mit ihrer geringen Geburtenrate braucht eine Einwanderung, aber bitte von gut ausgebildeten Fachkräften oder von vermögenden Menschen, die viel Steuern bezahlen.

ÖSTERREICH – WAHLUMFRAGENAPA-WAHLTREND

Energie

155.000 EVN-Kunden beantragten Rückzahlung – ORF, 2.8.2025

Nach einer Klage des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) wegen unrechtmäßiger Tariferhöhungen hat der Energieversorger EVN nun Kundinnen und Kunden Geld zurückgezahlt. Die Hälfte der Anspruchsberechtigten hatte die Rückzahlung beantragt.

Die Höhe der Rückzahlungen lag zwischen 50 und 300 Euro. Insgesamt waren 300.000 Kundinnen und Kunden anspruchsberechtigt. Dafür mussten sie allerdings bis 31. Juli einen Antrag stellen. 155.000 Personen kamen diesem Angebot bisher nach. Man werde aber noch bis Montag Anträge annehmen und erwarte dann knapp 160.000 Rückzahlungen, sagte Konzernsprecher Stefan Zach.

Die meisten Anträge wurden online eingebracht (56 Prozent), 70.000 Menschen beantragten die Rückzahlungen telefonisch, 40.000 in den EVN-Servicezentren und 3.000 in den EVN-Infobussen, die in 18 Gemeinden unterwegs waren – mehr dazu in EVN-Rückzahlungen: Großer Bedarf nach Beratung (noe.ORF.at; 3.6.3025). Wie viel die EVN insgesamt zurückzahlte, teilte man auf Anfrage nicht mit.

Weiteres Verfahren steht im Raum

Für all jene, die das Angebot angenommen haben, ist nun kein Rechtsweg mehr offen. Alle anderen können sich einem Verfahren anschließen, das der Verbraucherschutzverein VSV anstrengen will. Diesem war das Angebot der EVN zu niedrig – mehr dazu in VSV klagt EVN wegen Preiserhöhung von 2022 (noe.ORF.at; 23.5.2025). Ob es aber überhaupt zu einem Verfahren kommt, ist noch unklar.

red, noe.ORF.at

Nur etwas zu kühl: Ein Juli wie damals – ORF, 2.8.2025

Nach dem mancherorts heißesten Juni der Messgeschichte hat der Sommer im Juli ein paar Gänge zurückgeschaltet. Es war der kühlste Juli seit 2011. Die Temperaturen lagen aber nur leicht unter dem Mittel der letzten Jahrzehnte, und nicht überall war es zu kühl. Der bisweilen herbstliche Eindruck wurde durch viel Regen und wenig Sonne verstärkt. …

ÖSTERREICHISCHES PARLAMENT

ORF-MELDUNGSBÜNDEL ÖSTERREICH

Inland

Bundesheer: Einjährig-Freiwilligen-Ausbildung startet bald

Präsident der jüdischen Gemeinde Graz kritisiert Deutsch

Wien entfernte heuer 800 alte Fahrräder

Weltrekord: Volksschüler als Lebensretter

Wirtschaft

Kronstorf: Google setzt Schritte für Serverzentrum

Grünes Licht für Anklage gegen Benko

Bahn: Tirol bei Verladekapazität am Anschlag

FORSCHUNG – TECHNIK

Visuelles Mikrofon: Beethoven per „Lichtmikrofon“ hören – ORF, 1.8.2025

Chinesische Forscher haben ein neuartiges „visuelles Mikrofon“ entwickelt: Es nimmt nicht Schall auf, sondern wandelt Licht in hörbare Signale um. Damit lassen sich Töne auch durch geschlossene, schalldichte Fensterscheiben hören – etwa Beethovens Klavierstück „Für Elise“, das die Forscher testweise verwendeten.

Dem deutschen Komponisten, der gegen Ende seines Lebens ertaubte, hätte das zwar nicht geholfen. Die angewandte Technik hätte ihn aber vielleicht fasziniert.

2014: Ein wichtiges Chipspackerl

Grundlagen dafür wurden schon seit einiger Zeit entwickelt. 2014 etwa stellte ein Team des Massachusetts Institute of Technology (MIT) ein System vor, in dem eine Chipspackung eine wichtige Rolle spielte. Auf sie war eine Kamera gerichtet, die hinter einem schallisolierten Fenster stand. In der Nähe des Chipspackerls sang eine Frau ein Kinderlied oder es wurden Gespräche geführt.

Die dabei entstehenden Schallwellen erzeugten auf der Oberfläche der Chipspackerls winzige, weniger als ein Mikrometer hohe Schwingungen. Diese Vibrationen nahm die hochauflösende Kamera auf, ein Algorithmus konnte die Bildinformationen in Audioinformationen übersetzen und damit Kinderlied und Gespräche rekonstruieren – wie das Forschungsteam damals auch in einem YouTube-Video erklärte.

Eine ähnliche, nach Eigenangaben aber verbesserte Methode hat nun ein Forschungsteam um Xu-Ri Yao vom Beijing Institute of Technology in China vorgestellt. „Unsere Methode vereinfacht und reduziert die Kosten für die Verwendung von Licht zur Tonaufnahme“, sagt Yao in einer Aussendung der wissenschaftlichen Gesellschaft Optica. In deren Fachmagazin „Optics Express“ ist soeben auch die entsprechende Studie erschienen.

Ein-Pixel-Bildgebung

Statt eines Chipspackerls verwendeten die chinesischen Forscher nun Papierkarten und Pflanzenblätter als Vibrationsoberfläche für eintreffende Schallwellen. Hauptunterschied zum MIT-Ansatz war aber, dass sie eine „Einzel-Pixel-Bildgebung“ für die Schalldetektion einsetzten. Dafür ist keine hochauflösende Hochgeschwindigkeitskamera nötig, die Bilder mit vielen Pixeln gleichzeitig aufnimmt, sondern eine Kamera, die mit nur einem Lichtdetektor einzelne Pixel aufnimmt.

Um das neuartige visuelle Mikrofon auszuprobieren, testeten die Forscher seine Fähigkeit, die chinesische und englische Aussprache von Zahlen sowie einen Abschnitt aus Beethovens „Für Elise“ zu rekonstruieren. Mit dem Ergebnis – siehe Tonbeispiele – ist die Forschungsgruppe zufrieden.

Das System sei in der Lage, „klare und verständliche Töne zu rekonstruieren“, wobei die Papierkarte bessere Ergebnisse lieferte als das Blatt. Niederfrequente Töne wurden laut den chinesischen Fachleuten genau wiederhergestellt. Töne mit höheren Frequenzen hätten leichte Verzerrungen aufgewiesen, die sich durch einen Signalverarbeitungsfilter aber verbessern ließen.

Aus Schall wird Licht und wieder Schall

Und so funktioniert das neue System: Schall aus einem Lautsprecher trifft auf eine mit einer Lampe beleuchtete Oberfläche (wie z.B. Blätter, siehe Bild). Die Schallwellen bringen die Oberfläche leicht zum Schwingen, das Licht wird je nach Schwingung unterschiedlich stark reflektiert. Linsen und Mikrospiegel leiten die Lichtstrahlen weiter zu einem Ein-Pixel-Detektor, der die winzigen Veränderungen der Lichtintensitäten erfasst. Ein Algorithmus wandelt diese Informationen schließlich in hörbaren Schall um.

Xu-Ri Yao, Beijing Institute of Technology Der Versuchsaufbau

Durch die Methode „konnten wir eine qualitativ hochwertige Geräuschdetektion mit einfacheren Geräten und zu geringeren Kosten erreichen“, so Yao. Ein weiterer Vorteil der Verwendung eines Ein-Pixel-Detektors sei, dass er eine relativ kleine Datenmenge erzeugt. Daten könnten also leicht auf Speichermedien heruntergeladen oder in Echtzeit ins Internet hochgeladen werden können, was lange oder sogar kontinuierliche Tonaufnahmen ermögliche.

„Derzeit existiert diese Technologie nur im Labor und kann in speziellen Szenarien eingesetzt werden, in denen herkömmliche Mikrofone nicht funktionieren“, so Yao. Das System soll auf andere Schwingungen ausgeweitet werden, etwa auf die Erkennung der menschlichen Herzfrequenz, wodurch verschiedene Informationen über den Körper erfasst werden könnten. Auch soll es empfindlicher, genauer und „tragbar genug für den bequemen täglichen Gebrauch“ gemacht werden.

Lukas Wieselberg, ORF Wissen

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BILDUNG

Junge lesen kaum noch. Die Folgen sind gravierend – Dietmar Hansch, NZZ, 2.7.2025

Kaum etwas hat den Aufstieg des Westens mehr geformt und gefördert als die Volksalphabetisierung. Die schwindende Lesekompetenz gefährdet nicht weniger als unsere wissensbasierte Zivilisation.

Wie Studien seit Jahren zeigen, geht die Leseaktivität in der Bevölkerung, insbesondere aber bei den Jugendlichen, kontinuierlich zurück. Für Schlagzeilen sorgte jüngst eine Meldung im «Guardian», wonach die Lesefreude der britischen Kinder auf ein Allzeittief gesunken sei. Auf X und in anderen Medien entspann sich eine Diskussion darüber, als wie gravierend und schlimm dieser Befund nun einzuschätzen sei. Auch in dieser Zeitung wurde die Debatte referiert. Erwartbar gab es Warner – etwas überraschend aber auch durchaus bedeutende Intellektuelle, die sich in Anti-Alarmismus versuchten: Das Schriftliche werde halt durch Audio und Video ersetzt, es würden sich nun einfach andere Kompetenzen entwickeln, so etwa der britische Zoologe und Bestsellerautor Matt Ridley.

Wer hat recht? Sind Audio und Video dem geschriebenen Wort wirklich gleichwertig? Gleichwertig in Bezug auf welchen Zweck? Einen Krimi kann man gut als Hörbuch hören. Ein Physik-Lehrbuch allerdings kaum. Doch warum heute überhaupt noch Physik lernen und nicht einfach die KI fragen? Ist die Aneignung von tiefgründigem und umfassendem Wissen – offenbar der Hauptzweck des Lesens – überhaupt noch nötig und sinnvoll? Sogar in der Bildungspolitik ist doch überall von Kompetenzorientierung die Rede, weil eingelerntes Wissen zu schnell veralte. Wozu noch im Kopf haben, was man doch in der Hand hat, jederzeit zu präsentieren auf dem kleinen «digitalen Silbertablett». Nun, sich nur noch darauf zu verlassen, wäre ein Irrtum, wie er fundamentaler nicht sein könnte.

Wissen im Kopf, statt nur in der KI

Natürlich – als biologische Wesen können wir unsere Sinnesoberflächen von Multimedia grandios bespielen lassen. Wenn wir uns aber zuvorderst als geistig-kulturelle Wesen weiterentwickeln wollen, wenn wir Autonomie und Kontrolle behalten wollen, dann müssen wir Wissen auch im Kopf haben, nicht zuletzt, um die aufkommende KI richtig befragen, bewerten und regulieren zu können.

Das entscheidende Argument aber hat schon Goethe formuliert: «Man sieht nur, was man weiss.» Und nur was man sieht beziehungsweise spürt, kann man geniessen. Während der Wein-Novize nur wenige Geschmacksaspekte zu unterscheiden vermag, verfügt der Sommelier über Hunderte von Begriffen, und seine auch theoretische Unterweisung wird für den Novizen sehr hilfreich sein.

Wahrnehmung und Wissen entwickeln sich immer in Wechselwirkung. Gelerntes abstraktes Begriffswissen kann deshalb sehr helfen, den persönlichen Erfahrungsweg abzukürzen und die sinnliche Erlebenswelt enorm zu differenzieren und zu intensivieren. Der scheinbare Reichtum der Aussenwelt ist in Wirklichkeit der Reichtum unserer Innenwelt. Nur wer kulturgeschichtliches Vorwissen hat, kann den Assoziationsreichtum, der in einer Ausstellung verborgen ist, voll in sich zum Wiederklingen bringen.

Information bleibt am selben Platz

Lebenserfüllung und Glück haben viel mit Wissenserfülltheit zu tun. Und es gäbe noch viele weitere Argumente dafür, warum eines für uns Menschen als Geisteswesen essenziell ist: die Aneignung und Verinnerlichung grosser Wissensmengen und ihre innere Organisation zu adäquaten begrifflichen Weltmodellen.

Vereinfacht gesagt, zerfällt dieser Prozess in zwei Schritte: Zuerst müssen wir uns Wissensbausteine einprägen. Und dann müssen wir diese Bausteine innerlich zu komplexen und kohärenten Modellen organisieren. Das Erste braucht möglichst wirksame «Prägestempel» und Wiederholung; das Zweite braucht Zeit zur Verarbeitung und Musse zur spielerischen Reflexion.

Damit ist leicht erkennbar: Der beste Weg, sich solchen inneren Reichtum anzueignen, ist das Lesen – und zwar das analoge Lesen, das Lesen von Papierbüchern. Die stabile Form macht Papierbücher und -seiten für das erste Einprägen geeigneter – eine bestimmte Information steht immer gleichförmig am gleichen Platz und nicht einmal hier oder dort, je nach Format und Werbeeinblendung. Deshalb ist sie für allfällige Wiederholungen auch leichter auffindbar. Ein Papierbuch hat man gut in Griff und Überblick: Was man sucht, so erinnert man sich vielleicht noch, stand am Buchende oben auf einer rechten Seite. Und schon hat man es, zumal, wenn es angestrichen wurde. All das ist bei digitalen Büchern deutlich schwieriger. Mancher muss als Erstes einmal googeln, wie viele Seiten das Papierbuch eigentlich hat, um allein eine Vorstellung vom Umfang des digitalen Textes zu bekommen.

Weiterhin wird die Aneignung eines Textes durch händische Unterstreichungen, Randbemerkungen oder gar Exzerpte sehr gefördert. Studien haben gezeigt, dass multisensorisches Lernen unter Einbezug der Handschrift effektiver ist und auch Vorteile hat gegenüber dem Schreiben mit Tastatur. Zentral ist natürlich, dass Digitalgeräte eine Fülle von Ablenkungsmöglichkeiten bergen, die die Konzentration zum Teil massiv herabsetzen. Entsprechend deutet die Studienlage darauf hin, dass analoges Lesen zu besserem Inhaltsverständnis führt. Allein die Anwesenheit eines inaktiven Digitalgerätes setzt bei Schülern schon die Konzentration herab.

Video- und Audioformate können im Sinne multisensorischen Lernens wertvolle Ergänzungen bei der Wissensvermittlung sein. Für eine wirkliche Aneignung anspruchsvoller Lerninhalte sind sie allein jedoch ungeeignet. Zum einen setzt auch hier die Flüchtigkeit dieser Formate ihre erste Einprägewirkung herab. Vor allem aber: Die zeitliche Kontrolle über den Informationsstrom ist zu beschwerlich. Beim Lesen können wir zu jeder Zeit innehalten, nachdenken, Satz oder Absatz ein zweites Mal lesen. Für die innere Organisation komplexen Wissens ist dies essenziell. Das Anhalten und Zurücksetzen von Videos oder Podcasts ist dagegen so fummelig, dass man es in praxi längst nicht so oft macht, wie es nötig wäre.

Für die Bildung ist Lesen also unabdingbar, die zentralen Bildungsinhalte sollte man sich auf analogem Wege aneignen.

Die Intelligenz nimmt bereits ab

Selbst dem Bildungsbürger ist heute wenig bewusst, wie revolutionär sich das Lesen auf Kultur- und Gesellschaftsentwicklung ausgewirkt hat, wie sehr es sogar unsere psychoneurale Identität umgeprägt hat. Dies kann man in dem wichtigen Buch «Die seltsamsten Menschen der Welt» des Harvard-Anthropologen Joseph Henrich nachlesen.

Es wird hier gezeigt, dass die durch den Protestantismus initiierte breite Alphabetisierung der Bevölkerung der entscheidende Faktor war, der zur Herausbildung eines besonderen Sets psychischer Befähigungen geführt hat. Hierzu gehören das abstrakt-analytische Denken, eine erhöhte Selbstdisziplin, das Bestreben, sich als Individuum zu verstehen und die persönlichen Fähigkeiten weiterzuentwickeln, sowie die Fähigkeit, sich in Institutionen zu integrieren, die nach abstrakten, unpersönlichen Regeln funktionieren. Dies war der Nährboden, auf dem dann die wissenschaftlich-industrielle Revolution zu florieren begann, aus der unsere modernen, liberaldemokratischen Wohlstandsgesellschaften erwachsen sind.

So, wie intensives Bodybuilding den Körper sichtlich verändert und leistungsfähiger macht, stärkt eine intensive Lesekultur den Geist und verändert nachweislich das Gehirn – sie führt unter anderem zu Veränderungen im präfrontalen Cortex insbesondere im Bereich der Sprachzentren sowie zu einer Verdickung des Corpus callosum (der «Datenautobahn», die beide Hirnhälften verbindet).

Es sind wohl mehr als nur Korrelationen, wenn parallel zur quantitativen Leseaktivität auch die Fähigkeit zum inhaltlichen Verständnis komplexerer Texte abnimmt. Und: Entgegen dem Trend früherer Jahrzehnte beginnt inzwischen auch der IQ der Durchschnittsbevölkerung zu stagnieren oder gar zu sinken (inverser Flynn-Effekt).

Die Lesekultur ist die tragende Säule der westlichen Zivilisation. Wollen wir wirklich testen, wie standfest sie bleibt nach dem Wegbrechen dieser Stütze? Menschen sind durch und durch analoge Wesen. Weder können wir die Fortpflanzung digitalisieren noch die Kernprozesse unserer Selbstbildung. Es gilt, die Lesekultur zu erhalten, die Digitalisierung in den Schulen auf ein vernünftiges Mass zu begrenzen und die kulturtragenden Bildungsinhalte weiter bzw. wieder auf analoge Weise zu vermitteln: mit Papier und Stift.

Dietmar Hansch ist Arzt, Psychotherapeut und Publizist. Bis Mai 2023 leitete er den Schwerpunkt Angsterkrankungen an der Privatklinik Hohenegg in Meilen.

Junge lesen kaum noch. Viele können es gar nicht mehr richtig. Ist das schlimm? – NZZ, 14.6.2025

Zwei führende konservative Intellektuelle, Matt Ridley und Niall Ferguson, streiten darüber, ob die sinkende Lesekompetenz der Jugendlichen den Untergang der Zivilisation bedeutet.

Auslöser für den Schlagabtausch war eine Schlagzeile, die wohl kaum jemanden überraschte. «Die Lesefreude britischer Kinder sinkt auf ein Allzeittief», titelte die Zeitung «Guardian». Nicht einmal mehr ein Drittel der Kinder und Jugendlichen zwischen 8 und 18 Jahren gibt gemäss einer Langzeitstudie noch an, in der Freizeit gerne zu lesen. Vor 20 Jahren waren es über 50 Prozent gewesen. Der Anteil jener, die täglich lesen, hat sich von 38,1 auf 18,7 Prozent halbiert.

Der Publizist und Zoologe Matt Ridley, Autor des Buches «Alphabet des Lebens. Die Geschichte des menschlichen Genoms», kommentierte das Studienergebnis auf X: «So wie die Erfindung der Schrift das Auswendiglernen und Rezitieren überflüssig machte und der Buchdruck das Handschreiben, so machen Video und Audio das Schriftliche langsam überflüssig.» Und er fügte an: «Als Autor ist das schmerzhaft. Aber ist das wirklich von Bedeutung?»

Die Antwort kam von einem der bedeutendsten Historiker der Gegenwart, Niall Ferguson. «Es ist von Bedeutung, Matt. Menschliches Denken kann sich nicht voll entwickeln, ohne die Fähigkeit, Texte zu lesen und sie sich zu merken, ohne selbständig zu denken, Ideen aufzuschreiben und sich an schriftlichen und mündlichen Debatten zu beteiligen.» Dass immer weniger gelesen werde, sei daher ein ernstzunehmendes Problem. «Wir befinden uns mitten in einem katastrophalen Bildungskollaps, den die künstliche Intelligenz noch beschleunigen wird.»

Ähnlich alarmistisch äusserte sich der National Literacy Trust (NLT), die britische Stiftung zur Leseförderung, die die Studie in Auftrag gegeben hatte. «Die Daten sind erneut erschreckend», sagte der NLT-Chef Jonathan Douglas dem «Guardian». «Die Zukunft der Kinder ist gefährdet.» Er fordert tiefgreifende Massnahmen «zur Bewältigung der Krise».

Ein Viertel versteht einfache Texte nicht

COMMENT: Das berichtete auch eine junge Gymnasiallehrerin dem Schreiber des Tagesblicks noch im Mai dieses Jahres. Sinnzusammenhänge im Text werden nicht mehr verstanden. Ganze Texte stoßen bei den jungen Leutchen so auf kopfschüttelndes Unverständnis.

Wie schlimm ist es tatsächlich, wenn junge Menschen nicht mehr lesen? Die Frage beschäftigt nicht nur Eltern, sie flammt auch nach jeder Pisa-Studie neu auf. Diese misst zwar nicht, wie oft oder wie gerne Kinder lesen, aber wie gut sie es können beziehungsweise ob sie das Gelesene tatsächlich verstehen. Und auch da ist seit Jahren in fast allen westlichen Ländern ein klarer Abwärtstrend zu beobachten. In der Schweiz verfügt mittlerweile ein Viertel aller 15-Jährigen nur über eine unzureichende Lesekompetenz, versteht also auch einfache Texte nicht oder nur schlecht.

Dass Erwachsene der nachfolgenden Generation fehlenden Einsatz und mangelnde Kompetenz vorwerfen, ist eine Konstante in der Menschheitsgeschichte. «Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt», soll Aristoteles vor 2000 Jahren gesagt haben.

Oft wird das Lamentieren über die Lesefaulheit diesem altbekannten Schimpfen über die Jugend zugeordnet. Allerdings gibt es auch starke Anzeichen dafür, dass die Sorgen in diesem Fall nicht ganz unberechtigt sein könnten: Während im letzten Jahrhundert die Intelligenz der Durchschnittsbevölkerung stetig anstieg, stagniert sie seit einigen Jahren plötzlich. Zum Teil gehen die durchschnittlichen Leistungen bei IQ-Tests sogar erstmals leicht zurück. Die genauen Ursachen dafür sind nicht bekannt, häufig wird der veränderte Medienkonsum genannt, also die lange Zeit, die Kinder am Handy- oder Computerbildschirm verbringen, statt physische Erfahrungen zu sammeln. Oder eben: dass sie nicht mehr lesen.

COMMENT: Intelligenz ist die Fähigkeit, in bisher unbekannte Verhältnisse so Einblick nehmen zu können, dass man damit umgehen kann. Lernfähigkeit und Denken in Zusammenhängen sind eine Voraussetzung dafür, die sich üben lässt. Fehlt die Übung, ist das ein Faktor, der die Intelligenz mindert.

Matt Ridley zweifelt in seiner Stellungnahme indirekt an, dass es einen Unterschied macht, ob man einen Roman liest oder eine Netflix-Serie schaut, ob man sich via eine Zeitung informiert oder via einen Podcast. Das Medium ändert sich, jedoch nicht unbedingt die Qualität des Inhalts. Tatsächlich sind tiefgründige Podcasts, die oft mehrere Stunden dauern, gerade bei jüngeren Menschen beliebt. Und gewisse Serien sind von einer erzählerischen Komplexität, die mit Werken der Weltliteratur mithalten kann. Allerdings ist unklar, ob man mit solchen Podcasts und Serien tatsächlich jene Leute erreicht, die nicht mehr lesen. Oder ob es eher die verbliebenen Leser sind, die auch die hochstehenden Audio- und Videoformate konsumieren.

Führt Leseabstinenz zu mehr Gewalt?

Viele Eltern animieren ihre Kinder zum Lesen, weil sie sich davon bessere Schulleistungen erhoffen. Interessanterweise öffnet sich sowohl beim Lesen als auch in der Schule der Geschlechtergraben. In beiden Bereichen haben die Mädchen die Buben abgehängt. In der Schweiz beträgt der Mädchenanteil an Gymnasien mittlerweile 60 Prozent. Parallel dazu hat die Lesefreude bei den Buben deutlich stärker abgenommen als bei den Mädchen. Das Bücherlesen ist zu weiten Teilen eine weibliche Beschäftigung.

Eine besonders kulturpessimistische Theorie besagt, dass sich die zunehmende Abkehr vom geschriebenen Wort nicht nur auf Bildung und Intelligenz auswirke, sondern auch auf die Gewaltbereitschaft in einer Gesellschaft. Denn das Lesen – vor allem von Romanen – trainiere die Vorstellungskraft, was direkt mit der Empathie zusammenhänge.

Neurologische Untersuchungen zeigen tatsächlich, dass Personen mit einer ausgeprägten Fähigkeit zum kreativen und flexiblen Denken weniger anfällig für extreme Ideologien sind. «Die kreative Vorstellungskraft ist verknüpft mit der ideologischen Vorstellungskraft», schreibt die führende Forscherin in diesem Bereich, Leor Zmigrod, in ihrem neuen Buch «Das ideologische Gehirn». Starre Denker, die Mühe hätten, sich an neue Situationen anzupassen, seien anfällig für Extremismus. Diese Erkenntnis mit der Lesekrise oder der übermässigen Bildschirmzeit in Verbindung zu bringen, wäre dennoch gewagt: Das letzte Jahrhundert – als es noch keine Smartphones gab – war mindestens so kriegerisch und gewaltsam wie das jetzige, extreme Ideologien waren weit verbreitet.

Ein grosses Menschenexperiment

Auf X schaltete sich auch der amerikanische Ökonom Gene Epstein in die Lesediskussion ein. Er schrieb an Matt Ridley gerichtet: «Matt, ich habe dein wunderbares Buch zur Evolution als Hörbuch gehört. Aber musste es nicht vorher von dir geschrieben werden?» Damit brachte er ein Argument auf, dem nur schwer zu widersprechen ist: Selbst wenn Audio und Video für viele Konsumenten attraktiver sind als reiner Text, so entstehen auch diese Inhalte in der Regel zuerst in geschriebener Form. Denn um Gedanken festzuhalten und weiterzuentwickeln, gibt es bis jetzt keine bessere Methode als das Schreiben. Aber wer weiss, vielleicht wird auch das irgendwann die künstliche Intelligenz für uns übernehmen.

Wird Lesen und Schreiben also bald etwas für Liebhaber und Nostalgiker, so wie Kutschenfahren? Und wenn ja: Ist das schlimm? Die kurze Auseinandersetzung zwischen Matt Ridley oder Niall Ferguson auf X behandelte eine der grossen kulturellen Fragen unserer Zeit. Der gegenwärtige Wandel ist wie ein grosses Menschenexperiment. Mit offenem Ausgang.

Seit 2015 geht es wieder bergab: Die Folgen der unkontrollierten Zuwanderung machen Deutschlands Schulen zu schaffen – Mathias Brodkorb, NZZ, 26.7.2025

Nach dem Pisa-Schock nahm die Leistungsfähigkeit von deutschen Schülern zunächst zu. Doch damit ist es vorbei. Dabei wird in Schulen die Zukunft der deutschen Exportnation verhandelt. Dennoch fällt der Politik wenig ein.

Seit 25 Jahren vermisst die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) international Schülerleistungen mit ihrem Projekt Pisa. Als die erste Studie im Jahre 2001 das Licht der Öffentlichkeit erblickte, löste das in Deutschland Katerstimmung aus. Das Land der Dichter und Denker war plötzlich bloss Mittelmass.

Heute ist die Lage noch viel ernster geworden. Egal, wohin man auch blickt: Die Leistungen der Schüler beim Lesen, in Mathematik und Naturwissenschaften sind schlechter als zu Beginn der Erhebung.

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GESELLSCHAFT – JUGEND

«Sie werden dümmer. Das tut mir weh.» Die Jugendbuchautorin Jana Frey rechnet mit den jungen Frauen ab – Birgit Schmid, NZZ, 31.7.2025

Mädchen würden nur noch Strassenschilder lesen und ihre psychischen Störungen seien für viele wie Trophäen, klagt die deutsche Autorin. Wie kommt sie zu einem so negativen Befund?

Jana Frey beschreibt ihre Jugend in den 1980er Jahren als holpriges Unterwegssein. Man wird durchgeschüttelt: Da war man gerade noch atemlos glücklich, und schon will man wieder verzweifeln. Man wähnt sich allein auf der Welt, und plötzlich wirkt alles, was noch kommen wird, wie eine Verheissung.

Weil die 56-Jährige sich an diese Zeit so intensiv erinnert, begann sie Kinder- und Jugendbücher zu schreiben. Über hundert sind es bis heute, publiziert im Loewe- oder im Arena-Verlag und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Die Bücher für die Kleineren heissen «Streiten gehört dazu, auch wenn man sich lieb hat» oder «Gute Nacht, ihr lieben Tiere». Die Romane für die Grösseren tragen Titel wie «Ich nenn es Liebe» oder «Höhenflug abwärts».

In den Geschichten geht es um die Sorgen und Nöte von jungen Menschen, wie sie jede Generation kennt. Liebe und Sexualität, das Hadern mit dem eigenen Körper, aber auch krassere Erfahrungen: frühe Schwangerschaft, das Abgleiten in Drogen.

Vom Handy abgestumpft

In den letzten Jahren hat Frey jedoch kaum mehr Bücher veröffentlicht. Das habe damit zu tun, sagt die Autorin im Gespräch, dass die Verkaufszahlen eingebrochen seien. Hat sie einst von ihren erfolgreichsten Titeln bis zu 60 000 Bücher verkauft, waren es bei den letzten Büchern noch 2500 bis 3000 Exemplare.

Entsprechend bleiben auch die Anfragen für Lesungen aus, die sie früher ständig vor Schulklassen machte. Sie wird immer noch dafür engagiert, aber viel seltener. Was sie dabei erlebt, bewog sie vor kurzem, einen Text zu schreiben. Dieser erschien in der «Welt» unter dem Titel «Diese Gespräche mit Mädchen machen mich fassungslos». Es gingen dazu 1500 Kommentare ein.

Frey wundert sich darin über Mädchen, die über nichts mehr miteinander zu reden wüssten. Alle starrten in ihre Smartphones und schauten sich auf Tiktok Videos an. Wolle man sie in ein Gespräch verwickeln, zum Beispiel über Politik, so sei für sie Donald Trump «voll der Kriegstreiber», ohne dass sie begründen könnten, warum.

Sexualisierte Selbstdarstellungen

Sie posierten mit «duck face» für Selfies und seien für ihr Alter zu stark geschminkt. Selbst Jugendliche in der Vorpubertät seien zurechtgemacht, oft regelrecht sexualisiert, als gingen sie auf den Babystrich. Im Gegensatz zu ihnen: die vollverschleierten Mädchen.

Dann gebe es die Mädchen des Typus «rosa Haare und lustiges, kariertes Hemd», die häufig in der Jugendpsychiatrie seien, schreibt Frey. «Sie trägt ein Palästinensertuch, und ich weiss von ihr, sie ist jetzt ein Junge. (Pronomen: he/him).»

Als Jugendbuchautorin beklagt Frey vor allem das fehlende Interesse für Literatur. Neulich habe ihr eine Gymnasiastin aus der neunten Klasse gesagt, sie hasse Bücher. Auf Freys Frage, ob sie wenigstens Mangas oder Comics lese, habe sie geantwortet: «Also ich lese mehr so Strassenschilder.»

Sie fühle sich den Mädchen in diesem Alter nahe, interessiere sich für ihre Welt, schreibt Frey: «Doch zum ersten Mal finde ich zu ihnen keinen Zugang.»

Frey, so macht es den Anschein, sammelt hier die denkwürdigsten Begegnungen, um pauschal ein Urteil über die weibliche Hälfte der Generation Z zu fällen. Dabei hat sie selber drei Töchter (und einen Sohn): Die älteste ist über dreissig, ihre Zwillingsmädchen sind sechzehn. Wie kommt die Autorin zu ihrem dermassen negativen Urteil?

Wer sich ritzt, wird bewundert

Nichts an ihrem Text sei übertrieben, sagt Frey, die in Süddeutschland lebt, am Telefon. In den dreissig Jahren, in denen sie Lesungen mache, habe sie eine grosse Veränderung bemerkt. Frage sie die Kinder, weil eines ihrer Bücher davon handelt: «Habt ihr schon einmal einen Staudamm gebaut? Wisst ihr, wo die Südsee liegt?», werde dies verneint.

Ist die Klage, dass es mit der Jugend immer schlimmer werde, nicht bloss eine Alterserscheinung? Klar, man verkläre die eigene Jugendzeit gerne, sagt sie. «Der Walkman früher war Musik zum Anfassen, jetzt hören alle Spotify.» Dennoch werde ihre Sicht durch Zahlen bestätigt: Immer mehr junge Frauen brauchten psychologische Hilfe: «So krank waren die Jugendlichen noch nie.»

Anders als früher verberge man dies auch nicht mehr, etwa, wenn sich ein Mädchen selbst verletze. Die vom Ritzen vernarbten Arme zeige man wie Trophäen her, oder man poste Selfies aus der Jugendpsychiatrie: «Man ist damit jemand.»

Eigene linke Sozialisation

Frey wuchs in einem linken Haushalt auf, wo viel diskutiert wurde, auch über Politik. Ihr Stiefvater ist der Schweizer Schauspieler Hans-Jörg Frey, der am Theater Basel und am Thalia-Theater in Hamburg arbeitete. Als Jugendliche ging sie gegen Atomkraft demonstrieren. Auch deshalb stören sie fehlende Ambitionen.

Wer liest, vergrössert seine Welt in der Phantasie. Sie habe Bücher wie «Emil und die Detektive», «Nesthäkchen» oder «Die Kinder aus der Krachmacherstrasse» geliebt, sagt sie. Die Kinder heute hätten keine Lieblingsautoren mehr, dafür wüssten sie, wer die Kardashians seien. Auch den Älteren würden Simone de Beauvoir oder Hermann Hesse nichts mehr sagen. Sie meint: «Jugendliche werden dümmer. Das tut mir weh.»

Es gibt sie allerdings noch, die vorbildlichen Mädchen. Zu solchen erzieht sie ihre sechzehnjährigen Zwillinge. Diese gehen in die Waldorfschule. Tiktok und Instagram haben sie nicht auf ihren Handys. Frey verbietet es ihnen. Die Mädchen singen im Chor, spielen Theater. Aber dafür fänden sie immer weniger Gleichgesinnte.

Man kann Jugendliche nicht allein verantwortlich machen für ihr Verhalten, deshalb nimmt sie die Eltern in die Pflicht, die Kinder wollten, weil Kinder in eine Biografie gehörten, aber beide berufstätig seien und ihr Kind fremdbetreuen liessen. Sagt sie, die immer gearbeitet hat. Klar, dass Ritzen oder Magersucht dann ein Hilferuf seien. «Die Mädchen wollen gesehen werden.»

Was ist mit den Jungs? Diese gäben auch Anlass zur Sorge. Man treibe ihnen ihre Wildheit aus, sie erlebe sie als gedämpft und ausgebremst. Sie kämen mit der neuen Rolle aber besser zurecht.

Verlage fürchten das N-Wort

Freys Frustration hat noch mit etwas anderem zu tun. «Die Verlage schreiben ihren Autoren heute vor, was erlaubt ist.» Wörter wie das N-Wort seien auf dem Index. Stattdessen werde man aufgefordert, Regenbogenfamilien in die Geschichten einzubauen.

Das verleidet ihr das Bücherschreiben. Sie schreibe keine Trigger-Warnungen, nur weil sich Verlage vor dem woken Zeitgeist fürchteten. Sie zitiert sinngemäss J. K. Rowling in «Harry Potter»: «Wir fürchten uns doch nicht vor Worten.»

Von ihr kann man das nicht behaupten.

RELIGION

Rezension. Muslime und Juden: Die Mär vom ewigen Konflikt – ORF, 2.8.2025

In seinem Buch „Ohne Judentum kein Islam“ widmet sich der islamische Theologe Mouhanad Khorchide antisemitischen Einstellungen, die bei vielen Muslimen und Musliminnen heute verbreitet sind. Dem Experten zufolge enthalte der Islam bisher ungenütztes Potenzial, um diese zu überwinden.

Wie Khorchide ausführt, haben viele antisemitische Einstellungen ihre Grundlage nicht in eigenen Erfahrungen, sondern in Erzählungen, die häufig unreflektiert weitergegeben würden. Viele davon seien „religiös überformt und emotional aufgeladen“. Ausführlich geht er in „Ohne Judentum kein Islam. Die verleugnete Quelle“ auf die dahinterliegende Auslegung des Islams ein und dekonstruiert diese Stück für Stück.

Von Interesse ist sein neues Buch für alle theologisch und historisch interessierten Leser und Leserinnen, im Besonderen für jene, die „neuen Denkansätzen für eine islamische Theologie“, dem interreligiösen Dialog und Friedensinitiativen etwas abgewinnen können.

Konstruktion eines Feindbildes

Khorchide verknüpft in „Ohne Judentum kein Islam“ Praxis und Theorie. So erzählt er aus seiner Arbeit mit radikalisierten jungen Muslimen im Rahmen eines Präventionsprogramms. Dort habe sich ihm deutlich gezeigt, dass ihre „Radikalisierung nicht durch eine tiefere Auseinandersetzung mit religiösen Texten oder durch das Studium islamischer Lehren“ erfolgte. Identitätsstiftend waren für diese jungen Menschen „emotional codierte Deutungsmuster (gewesen, Anm.), die die Welt in einfache Gegensätze auflösen“.

Im Hintergrund stünden Großerzählungen, deren Ziel es sei, Zugehörigkeit zu stiften und Abgrenzung zu legitimieren. Stabilisiert würden sie durch die Konstruktion eines Feindbildes, wobei der „Feind“ meist nicht bloß als „politischer Gegner“ oder „religiös Andersgläubiger“ dargestellt wird, sondern als existenzielle Bedrohung, dessen Vernichtung notwendig erscheint.

Naheverhältnis von Judentum und Islam

Eine der vorherrschenden muslimischen Großerzählungen über Juden und Jüdinnen sei dabei jene über einen fortwährenden Konflikt zwischen Muslimen und Juden. Ausführlich geht Khorchide auf konkrete Beispiele dafür ein und auf unterschiedliche Auslegungstraditionen, die Belege hierfür im Koran benennen.

Jeder dieser Erzählungen stellt er innerislamische Gegennarrative gegenüber. So verweist er unter anderem darauf, dass die koranische Botschaft durchdrungen ist von jüdischen Erzählfiguren, theologischen Begriffen und institutionellen Praktiken.

Ursprünge des muslimischen Antisemitismus

Neben empirischen Befunden und einer Einordnung der Begriffe des Antisemitismus und des Antijudaismus thematisiert Khorchide in einem eigenen Kapitel, wie sich Islam und Antijudaismus zueinander verhalten. Hierzu stellt er unterschiedliche Positionen vor und zeigt auf, dass umstritten ist, ob der Antisemitismus „eine Grundlage im Islam“ habe oder in muslimische Gesellschaften importiert wurde und erst nachträglich religiös legitimiert worden sei.

Khorchide zufolge würden beide Positionen „wichtige Aspekte in die Debatte“ einbringen, gleichzeitig aber auch „gewisse Verkürzungen“ aufweisen. Der springende Punkt für ihn ist aber, dass die wissenschaftlich gesehen wichtige Auseinandersetzung um die Ursprünge von Judenfeindschaft mit Blick auf die „Praxis der Präventionsarbeit“ nicht zielführend ist, weil sie die in der Praxis vorherrschende Judenfeindschaft unter Muslimen und Musliminnen nicht ändert.

Beispiele für einen konstruktiven Dialog

Khorchide verweist in seinem Buch auf zahlreiche Gelehrte sowie historische Kontexte und diskutiert Koran-Verse und deren Interpretation auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau. Auch wenn „Ohne Juden kein Islam“ stellenweise Wissen um Begriffe und Gelehrte voraussetzt, bietet es für bisher mit dem Thema weniger bewanderte Leser und Leserinnen zahlreiche Anhaltspunkte für eine weitere Auseinandersetzung.

Khorchides Buch ist ein Plädoyer für eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit dem Koran und ein Versuch, einen Beitrag zu einem konstruktiven Dialog zwischen Islam und Judentum zu leisten. Als Positivbeispiele aus der Praxis nennt er etwa das Abraham-Abkommen, ein multilaterales Abkommen, das von Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain unter Mitwirken der USA erarbeitet wurde und Dialogbereitschaft und Zusammenarbeit zwischen den Unterzeichnerstaaten fördern soll.

Khorchide selbst betont mit Blick auf seine Beispiele die Komplexität zahlreicher Auseinandersetzungen und den Umstand, dass zwar auch derartige Abkommen „neue Brücken zwischen manchen Glaubensgemeinschaften bauen“ können, „zugleich aber andere Gräben (etwa zwischen Sunniten und Schiiten, Anm.)“ möglicherweise vertiefen. Und doch erscheinen sie ihm als wichtiger „Startpunkt für Dialog und Vertrauensbildung, der zuvor fehlte“.

Positive Großerzählung – ein Zukunftsprojekt

Khorchide zeichnet in seinem Buch die Vision einer positiven Großerzählung, aus der eine ethisch-theologische Verpflichtung für Muslime und Musliminnen folgt, „jüdisches Leben nicht nur zu dulden, sondern es als einen Teil der eigenen religiösen Existenz zu schützen und zu fördern“. Detailliert führt er dafür auch Belege im Koran an.

Von besonderem Interesse ist sein Plädoyer für eine „tiefgreifende Neudefinition der palästinensischen Identität“, das er gegen Ende des Buches – hier nicht nur als Experte, sondern selbst als Muslim mit palästinensischen Wurzeln – formuliert.

Offen bleibt die Frage, wie dieses Wissen in eine tatsächlich emotionale Großerzählung verwandelt werden kann, die es Khorchide zufolge braucht, um muslimischen Antisemitismus zu überwinden. Im Besonderen, weil er selbst betont, dass hierfür reine Wissensvermittlung nicht ausreicht. Er selbst scheint sein Buch als eine Art Anstoß eines Prozesses zu verstehen und als Einladung – vor allem an Musliminnen und Muslime -, an der Überwindung des muslimischen Antisemitismus mitzuarbeiten.

Irene Klissenbauer, religion.ORF.at

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GESELLSCHAFTSSEISMOGRAPH BÖRSEN

*** nicht aktualisiert ***

AKTIENEMPFEHLUNGEN – BUY & SELL

Aktuell (—): 
Aktien um 10 Euro je Stück sind FETT hervorgehoben.

Die erwarteten stolzen Kursgewinne sind dem Übermut der tollen Analystenzunft zu verdanken! Hirn selbst einschalten und kritisch bewerten. MERKE: Klappern gehört zum Geschäft. Es geht letztlich nicht so sehr um die Beratung der Anleger, sondern um die spekulativ selbst gehaltenen Aktien der Häuser (Banken, Fonds, Anlagegesellschaften etc.), für die die Analysten tätig sind: wenn viele kaufen, steigen die Kurse, und 5% Plus sind zwar weniger als 15% oder 35%, aber besser als 5% Minus. Zudem lassen sich schnell noch eigentlich „schlechte“ Aktien im Portfolio des Hauses (Banken, Fonds, Anlagegesellschaft etc.) verkaufen, für die der Analyst tätig ist, sofern die werten privaten Anleger den Kaufempfehlungen folgen. So schaut’s aus im Schneckenhaus! Nochmals: Hirn selbst einschalten. Die Finanzbranche lebt vom Trübe-Machen des Wassers!

NICHT ZULETZT: Verkaufsempfehlungen werden ungern gegeben, da sie auf das Portfolio der Häuser (Banken, Fonds, Anlagegesellschaft etc.) rückschließen lassen, zu denen die Analysten gehören. Verkaufsempfehlungen werden aus zwei Gründen gegeben: a) es ist tatsächlich Feuer am Dach des analysierten Unternehmens, b) das Haus möchte die Aktien des zum Verkauf empfohlenen Unternehmens billiger zurückkaufen, sofern den Verkaufsempfehlungen gefolgt wird. Letztlich agieren an der Börse die Optimisten, und die wollen positive Nachrichten hören, also werden sie von den Häusern und ihren Analysten entsprechend bedient.

UND ZU ALLERLETZT: die Analysten bespiegeln sich untereinander: wer hat was empfohlen oder nicht empfohlen, es kommt zu herdenpsychologischen Erscheinungen derart: der Leithammel hat empfohlen, also machen wir das auch. Die jeweiligen Analysen werden entsprechend (um)formuliert. Das zweite Moment: die Konkurrenz, die u.U. zu skurrilen Interpretationen des analysierten Unternehmens führt.

FAZIT: was die Analystenzunft von sich gibt, kann aufschlussreich sein, muss es aber nicht, vermittelt einen zusätzlichen Eindruck zu einzelnen Aktiengesellschaften. Wichtig ist der Blick auf zweierlei: a) entscheidend: auf die volkswirtschaftliche Situation des Landes, der Welt; b) sekundär (!) auf das Unternehmen und seine Branche: Charakter des Managements, klare, gut durchschaubare Produktpalette, Langlebigkeit des Unternehmens und seine Stetigkeit im Gebaren.

Renten- und Aktienmärkte

Man halte sich vor Augen: Aktienmärkte sind die Pfützen in der Welt der Veranlagungsmöglichkeiten. Anleihenmärkte (Rentenmärkte, Kapitalmärkte) sind die großen Ozeane ebendort. Daher sind Aktienmärkte volatil und reagieren auf den leisesten Windhauch mit u.U. kräftigen Ausschlägen. Die Seelen der Anleger sind sehr verletzlich: Angst und Gier bestimmen hier jegliches Handeln, die vernünftige Veranlagungsentscheidung steht an zweiter Stelle. Das verursacht in den kleinen Geldpfützen der Aktienmärkte hohe Wellen. Aber dort stehen nach erster Erschütterung später die rationalen Kaufs- und Verkaufsentscheidungen felsenfest – bis zur nächsten Seelenerschütterung.

Anleiheanleger sind cooler und gezügelter im Gemüt. Hier geht es eher um Langfristperspektiven. Alles dreht sich um den Zins und wie er sich weiterentwickelt. Wer an der Zinsschraube dreht, dreht am Schicksal ganzer Volkswirtschaften. Da ist das aufgeregte Gegackere an den Aktienmärkten geradezu uninteressant.

Aber kommen Anleihemärkte einmal ins Rutschen – nach oben oder nach unten – dann ist Feuer am Dach. Schon 0,5 oder gar 1 Prozent Veränderung in einem Anleihenindex sind eine „Weltbewegung“ im Milliarden- oder Billionengeldmeere der Anleiheozeane.

Dazu kommt: Die Anleiherenditen konkurrenzieren mit den Aktienrenditen. Eine hohe Anleiherendite jenseits der 3 Prozent wirkt umso „giftiger“ auf die Aktienkursentwicklungen, je höher sie ist. Liegt sie unter 3 Prozent, begünstigt sie die Aktienkäufe, Je deutlicher sie unter 3 Prozent liegt, umso eher. Das ist die Regel. Die Ausnahme – so, wie wir sie gerade sehen – bestätigt diese Regel. Früher oder später wird sie ihre dominante Stellung als Regel wieder einnehmen.

Diese Verhältnisse sind es, die im Tagesblick in der Regel die Berichte zu den Anleihemärkten wiedergeben lassen, dass aufgeregte Geflattere und Gegackere an den Aktienmärkten im Detail interessiert in der Regel nicht die Bohne.

Zur Renditebestimmung bei Anleihen: notiert die Anleihe zu 100 Prozent, dann stimmen Anleihezinssatz (der Couponzins) und Anleiherendite überein. Sinkt der Anleihekurs unter 100 Prozent, steigt die Rendite, umgekehrt gilt: steigt der Anleihekurs, so sinkt die Rendite. So einfach ist das. Und so weltbewegend in der Tat.

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Allgemeine Empfehlungen: Es geht vornehmlich um die Zukunft der Energiegewinnung und die Energielieferanten. Renner bleiben Telekommunikations-Unternehmen, deren Dienstleistungen in einer digitalisierten Wirtschaft und Gesellschaft unabkömmlich sind. Unter den Logistik-Aktien sind in der Regel die Post-Aktien interessant. Diese Branchen sind weniger konjunkturabhängig als z.B. Konsumaktien, darunter die Post-Aktien noch am ehesten.

Hinzu kommt, dass die klassischen erdölverarbeitenden Energielieferanten (Up- und Downstream) mehr oder weniger energisch in großem Stil auf Alternativenergien umstellen. Es bleibt ihnen angesichts des Klimawandels, der öffentlichen Meinung und der in absehbarer Zeit erschöpften Welt-Erdölreserven auch nichts anderes übrig. Über das Kapital für den weltlebensnotwendigen Umbau verfügen sie dank ihrer Aktionäre. Es geht aus Sicht der Unternehmen um zukunftsträchtige Geschäftsmodelle in einer überschaubaren Branche – Energie – und aus Sicht der Aktionäre um steigende Unternehmenswerte / Aktienkurse als Inflationsschutz und sichere, möglichst stabil wachsende Dividenden, ebenfalls hinsichtlich des Inflationsschutzes.

Anti-Nachhaltigkeits-Bewegung in den USA als 180-Grad-Wendung in der Veranlagungsgebarung

Der aktuelle politische Druck in den USA zwingt eine Reihe großer Vermögensverwalter, darunter die weltgrößten wie Blackwater und Vanguard (verwaltetes Vermögen: 20 Billionen US-Dollar), nachhaltige Unternehmen potentiellen Anlegern nicht mehr zu empfehlen. Sie selbst verkaufen solche Unternehmen aus ihren Portfolios. Es gibt sogar seitens republikanisch regierter Bundesstaaten wie insbesondere Texas Kaufverbote für staatliche Pensions- u.a. Fonds.

Ausgestiegen sind bereits US-amerikanische Großbanken wie JP Morgan, Goldman Sachs, Wells Fargo, Bank of America, Citigroup (verwaltetes Vermögen: 9 Billionen). Ähnliches betrifft die Kreditvergabe. Offen bleibt, wie private und Unternehmensanleger (nicht-staatliche Fonds) künftig disponieren werden.

Unter den angebotenen Finanzanlagen kursieren seit geraumer Zeit besondere Nachhaltigkeitsprodukte in Form sog. ESG-Fonds (mehr dazu hier), die hohe Renditen versprachen und daher recht starken Zulauf hatten; die Renditen wurde seit Erhöhung der Kreditzinsen gebremst, da dadurch kreditfinanzierte Nachhaltigkeitsprojekte (Windparks, Solaranlagen etc.) weniger rentabel wurden.

In der Europäischen Union will man sich weiter an entsprechende Nachhaltigkeitsauflagen festhalten. Bislang wurden in europäische ESG-Fonds 9 Billionen Euro investiert, was 61 Prozent des gesamten Fondmarktvolumens entspricht. Der Zufluss hat sich 2024 allerdings um die Hälfte auf 37 Milliarden Euro reduziert. Zudem wurden mehr ESG-Fonds geschlossen als eröffnet. Nicht nur die hohen Zinsen, die die ESG-Fonds-Renditen beeinträchtigten, führten dazu, sondern auch „grüne Schönfärberei“: es stellte sich da und dort heraus, dass die versprochene Nachhaltigkeit mehr auf dem Papier als in der Wirklichkeit bestand. (Quelle: Wirtschaft vor Acht, ARD, 10.1.2025 (KURZVIDEO, bis 17.1.2025 verfügbar))

FAZIT: Es bleibt abzuwarten, was das für den Klimaschutz in den USA und weltweit künftig bedeutet. Für Österreich stellt sich die Frage, wie eine künftige Regierung sich in Sachen Klimaschutz verhalten wird.

Aktienkauf – der Erwerb einer Unternehmensbeteiligung – bedeutet Übernahme eines Risikos in Hinblick auf das künftige Unternehmensschicksal. Die Dividende stellt eine Risikoprämie dar.

Aktienanalytischer Blick auf Aktien im Euroraum und speziell Österreich (Stand: 24.2.2025):

ACHTUNG – STEUERVERÄNDERUNGEN ANTE PORTAS:
Ins Gerede kommen in absehbarer Zeit auf EU-Ebene und auf Österreich-Ebene vermutlich Aktienbesteuerung (Verkaufsgewinne, Dividenden) ebenso wie Vermögens- und Erbschaftssteuer. Diese Steuern sind in Veranlagungsüberlegungen mit einzubeziehen.

Im Folgenden sind Aktien um 10 Euro je Stück und darunter FETT hervorgehoben.
Neu aufgenommene Aktien werden mit ### gekennzeichnet.

Beobachtenswert ist der Umweltschutz- und Wasserwirtschaftswert Veolia

Ein Kaufsignal liefern weiterhin ENI, UNICREDIT und TOTAL ENERGIES, im Vergleich zum 3.2.2025 stabile Bewertung mit jeweils fünf Sternen bewertet.

Ein Kaufsignal liefern ENEL, PORR, SHELL, VERBUND, ### VIENNA INSURANCE GROUP mit jeweils vier Sternen bewertet.
Im Vergleich zum 3.2.2025 erweiterte stabile Bewertung mit jeweils vier Sternen bewertet.

Ein niedriges KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis) zeichnet aus:
RWE, TOTAL ENERGIES, ### UNICREDIT SPA, PORR, OMV, ### UNIQA, EVN, ENEL, TELECOM AUSTRIA, ### STRABAG, WIENERBERGER, SHELL, PALFINGER.

Aufsteigende Reihenfolge: die erste Aktie RWE ist die mit dem niedrigsten KGV = 4,8, PALFINGER die mit dem höchsten KGV = 9,3.
Im Vergleich zum 3.2.2025 erweiterte stabile Bewertung.

Ein niedriges dynamisches KGV (PEG, Price-Earning-to-Growth) weisen u.a. auf:

ENI, UNICREDIT, ### KONTRON AG, OMV, SHELL, PORR, WIENERBERGER, PALFINGER,

Nicht mehr dazu gehören: VIENNA INSURANCE GROUP, TELECOM AUSTRIA.
Aufsteigende Reihenfolge: die erste Aktien ENI = 0,5 ist die mit dem niedrigsten, PALFINGER die mit dem höchsten PEG = 1,4.
Im Vergleich zum 3.2. 2025 ist die Auswahl verändert, einzelne Aktien kamen dazu, andere fehlen nun!

Als Aktien mit langfristigem Kurspotential werden u.a. gesehen:
TOTAL ENERGIES, ENI, VERBUND, E.ON.SE, EVN, RWE.

Aufsteigende Reihenfolge: am Anfang der Reihe steht jene mit der größten Langfristchance.
Im Vergleich zum 3.2.2025 bleibt die Auswahl stabil, die Reihenfolge hat sich geändert.

Als Aktien mit hoher Sicherheit werden u.a. bewertet VIENNA INSURANCE GROUP, VERBUND; die Bewertungen bleiben unverändert zum 3.2.2025.
Aufsteigende Reihenfolge: am Anfang der Reihe steht jene Aktie mit der größten Sicherheit.

Aktien mit hoher Dividendenrendite sind:
OMV, ORANGE, TELEFONICA, ENI, UNIQA, ENEL.


Aktien mit der größten Dividendenrendite stehen am Anfang der Reihe: OMV 12,6%, am Ende die mit der niedrigsten: Enel 6,7%, jeweils vor Steuer.
Im Vergleich zum 3.2.2025 bleibt die Auswahl gleich, die Reihenfolge hat sich geändert.

KAUFKRITERIEN neben den aktienanalytischen Kennzeichnungen sind der Reihe nach: WER? – Qualität und Charakter (Psychologie!) des Managements, Häufigkeit des Managementwechsels, Unternehmenskultur; WAS? – Produkteinfachheit: „einfach gestrickte“, leicht zu durchschauende/transparente Produkte oder Dienstleistungen, eher kleine Produktpalette bzw. enger umschriebenes Dienstleistungsangebot, Konstanz der Nachfrage; WIE? – Sicherheit, Widerstandsfähigkeit gegenüber wirtschaftlichen Wechselfällen, finanzielle Stabilität des Unternehmens, Konkurrenzsituation; WO? – geographische und „politische“ Lage möglichst fern von Krisengebieten inkl. solchen mit politischer Unruhe oder in Ländern mit totalitären Systemen oder deutlich defekten Demokratien (illiberale Demokratien); WANN? – Lebensdauer bzw. Überlebensdauer (Weltkriege etc.) des Unternehmens bisher, Stetigkeit der Dividendenzahlungen.

FAZIT: vor dem Kauf einer Unternehmensbeteiligung sich zur Aktiengesellschaft schlau machen: WER, WAS, WIE, WO, WANN.

ZWEI DINGE sind zusätzlich zu beachten:

# Langfristanlage durch Erwerb von Defensiv-Aktien (u.a. Energie, Telekom),

# Verbleib in einem Währungsraum, das ist der Euroraum. Daher werden die allseits seit Jahren gehypten US-Aktien hier mit Absicht außen vor gelassen, um das Währungsrisiko klein zu halten. Gleiches gilt für den Erwerb von Schweizer Aktien, wie die Vergangenheit mit Blick auf das sehr wechselhafte Wechselkursverhältnis Schweizer Franken / Euro gezeigt hat. 

Die Europäischen Union als Veranlagungsrisiko?

Das Staatssystem der Europäischen Union kommt einer defekten Demokratie gleich und erstreckt sich in den Währungsraum (Euroland), in dem gehandelt wird. Man spricht auch von einem Demokratie-Defizit der Europäischen Union. Risiken dieser defekten Demokratie, um einige zu nennen, sind: Regelungen „von oben herab“ auf nicht sehr transparente Weise und Steuervorgaben, die sich durch Negieren realer Alltagserfordernisse auszeichnen, Überwachungsbestrebungen, hoher Bürokratieaufwand für Unternehmen und Bürger. All dies markiert Abgehobenheit und Bürgerferne der EU-Politik.

Kennzeichnend für das Gebaren (Governance) der EU ist ein Ineinandergreifen von EU-Exekutive (Kommission mit ihren Kommissariaten) und einem nicht gut überschaubaren Geflecht zahlreicher, der EU nahestehenden und von ihr geförderten Institutionen, Organisationen und Einrichtungen, die auf vielen Ebenen EU-Kommissionsvorgaben umsetzen helfen. Sie helfen insbesondere dabei, die von EU-Rat- und EU-Kommission angedachten, aber für Bürger und Unternehmen noch nicht „akzeptablen“ Vorgaben „schmackhaft“ zu machen, um so zu einer ausreichend hohen Akzeptanz in der Bevölkerung zu führen, die eine politische Umsetzung ermöglicht.

Junker sagte 1999 dazu sehr verkürzt und sinngemäß: was wir heute als EU nicht durchsetzen, das werden wir dann schon später durchsetzen. Dem Lobbyismus Richtung EU-Exekutive (insbesondere seitens der Unternehmen) steht ein „Lobbyismus“ seitens der EU in Richtung auf die Einrichtungen der Mitgliedsländer sowie auf die Unternehmen und die Bevölkerung gegenüber, dessen Räderwerk für den Normalbürger praktisch nicht durchschaubar ist. Inwieweit kommt dies einem autokratischen Verhalten von der Maschek-Seite gleich?

Hauptziel der EU-Bestrebungen ist die Etablierung der Vereinigten Staaten von Europa, die den derzeit bestehenden Verbund der Mitgliedsstaaten ersetzen soll. Das deutet auch der Wechsel der Namensgebungen im Zeitverlauf an:

# Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, umgangssprachlich auch Montanunion, 1951)

# Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG, 1957 inklusive EURATOM)

# Europäische Gemeinschaften (EG, 1965 ff., Fusion von EWG, EURATOM und einzelnen EG-Organen, Fusions- und Folgeverträge)

# Europäische Gemeinschaft (EG, seit 1993 ff., Maastricht- und Folgeverträge)

# Europäische Union (EU, 2007, Lissabon- und Folgeverträge)

1948
1948
Brüsseler
Pakt
1951
1952
Paris
1954
1955
Pariser
Verträge
1957
1958
Rom
1965
1967
Fusions-
vertrag
1986
1987
Einheitliche
Europäische Akte
1992
1993
Maastricht
1997
1999
Amsterdam
2001
2003
Nizza
2007
2009
Lissabon
Europäische GemeinschaftenDrei Säulen der Europäischen Union
Europäische Atomgemeinschaft (Euratom)
Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS)Vertrag 2002 ausgelaufenEuropäische Union (EU)
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)Europäische Gemeinschaft (EG)
Justiz und Inneres (JI)
Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS)
Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ)Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP)
Westunion (WU)Westeuropäische Union (WEU)
aufgelöst zum 1. Juli 2011

Problematisch bleibt dabei: je größer die Zentralisation von Staatsmacht, umso größer die Machtfülle, die mit „eiserner Harke“ über berechtigte (!) Einzelinteressen der Mitgliedsstaaten und damit der Bürger drüberfährt. Das Prinzip der Subsidiarität bleibt dabei auf der Strecke, so wie dieses Prinzip z.B. Österreich 1994 anlässlich der Vorabstimmungskampagnen versprochen wurde. Wurde das Versprechen eingelöst?

Beispiele der Machtfülle durch Zentralisierung liefern alle großen Staaten, u.a. Russland und China, die geradezu Musterbeispiele dafür darstellen.

Ein Problem des Staates an sich ist das Machtmonopol, das bei ihm liegt und liegen muss, will er Gesellschaft – das Staatsvolk – und die Abläufe darin mit Erfolg, also: durchsetzungskräftig organisieren. Das Problem ergibt sich aus dem Spannungsfeld zwischen unbeschränkter Freiheit des Individuums (Libertarismus) und unbeschränkter Freiheit des Staates (Totalitarismus).

Wie dieses Machtmonopol ausgestaltet wird, unterliegt in Demokratien dem Willen des Wahlvolkes, in nicht-demokratischen Staaten dem Willen des autoritären, totalitären oder autokratischen Machthabers. In defekten Demokratien ist die Mitbestimmung des Volkes eingeschränkt. Defekte Demokratien existieren in einer Grauzone, deren Konstituenten und ihre gegenseitige Einflussnahme nicht leicht zu bestimmen sind. Somit ist auch der Defektheitsgrad einer defekten Demokratie nicht leicht zu bestimmen und unterliegt, je nach politischer resp. ideologischer Perspektive, unterschiedlichen Wertungen.

Die idealtypische Dreiteilung der Regierungsformen existiert in der Wirklichkeit nicht: keine Demokratie der Welt entspricht der idealen Form, weist also im Ansatz Eigenschaften einer defekten Demokratie auf, kein totalitärer Staat schränkt die individuellen Freiheiten vollständig ein, es verbleibt den Bürgern dort ein mehr oder weniger großer Freiheitsraum.

Hinsichtlich des staatlichen Machtmonopols, das zudem bei anwachsender  Zentralisation der Staatsgewalt zur Zunahme neigt, ergibt sich die Erkenntnis: so wenig Staat wie möglich, so viel Staat wie nötig als einer Einrichtung, die mit einem mit Rechtsgewalt in das Leben seiner Bürger eingreifenden Machtmonopol versehen ist, das für das „Funktionieren“ einer Gesellschaft unaufgebbar ist.

Die dafür notwendigen rechtlichen Verregelungen des Alltagslebens durch Allgemeines Gesetzbuch, Strafgesetzbuch, Angestelltengesetz etc.etc. sind zahllos und gelten bei ausnahmslos jeder Handlung, werden aber – ebenso regelhaft – dem Bürger erst dann bewusst, wenn es zu schwerwiegenden Regelverstößen oder Regelbruch-Sanktionierungen kommt. 

Rechtliche Verregelungen sind Ausdruck der jeweiligen Ausprägungen eines Rechtsstaates; dieser wird in einer idealen Demokratie nicht durch Willküreinwirkungen korrumpiert: das ist ein wesentliches Kennzeichen demokratischer Rechtsstaatlichkeit. Auf Rechtsstaatlichkeit pflegen sich auch autoritäre, totalitäre oder autokratische, kurz: diktatorische Systeme zu berufen, doch wird der Rechtsstaat dort durch Willküreingriffe korrumpiert: Rechtsbiegung als Kennzeichen von Autokratien etc. In einer defekten Demokratie wird die Rechtsstaatlichkeit (leicht) eingeschränkt, womit das Risiko entsteht, in eine Autokratie abzugleiten.

Nur in formalrechtlicher Hinsicht war zum Beispiel auch der NS-Staat ein Rechtsstaat, besaß er doch gemäß der NS-Grundsätze umgearbeitete Gesetze aus der Weimarer Republik und neue Gesetze im Sinne der NS-Ideologie, auf die er sich in der Rechtsprechung berief und von denen viele in einem „normalen“, d.h. hier NS-konformen Rechtssetzungsprozess entwickelt wurden. Daran ändert nichts die Gepflogenheit, den NS-Staat in inhaltlich-ethischer Hinsicht als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Ein krasses Beispiel für einen NS-Rechtserlass im autokratischen Sinn ist unter diesem Link einsehbar.

Kennzeichnend für die Biegsamkeit des Rechts je nach Staatsraison ist die Tatsache, dass Juristen nach einem Regimewechsel ihre Posten in der Regel nicht verloren, sondern im neuen Regime weiter im Dienst des Rechts ihre berufliche Tätigkeit frei oder im öffentlichen Dienst ausübten. So wurden Juristen und Richter nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes ohne weiteres in den öffentlichen Dienst der entstehenden Bundesrepublik Deutschland übernommen. Vergleichbares geschah nach dem Fall der UdSSR oder DDR.

Das „Funktionieren“ einer Gesellschaft dank dafür sorgender Rechtsstaatlichkeit bedeutet in einer Demokratie das Herstellen eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen einerseits den rechtsstaatlich gesicherten Freiheitsbedürfnissen des Individuums unter für ihn zureichenden wirtschaftlichen Gegebenheiten und andererseits den „Freiheitsbestrebungen“, somit Machtbestrebungen des Staates, mit dem Ziel, ein Höchstmaß an Gemeinwohl resp. Sozialfrieden in Freiheit herzustellen. Als Garant dafür dient die Gewaltenteilung und ein entsprechend stark regulierter und damit gewaltgebändigter Polizei- und Geheimdienstapparat sowie als vierte Gewalt die Sicherstellung einer freien Presse. MOTTO: Nimm Freiheitsbeschränkungen mit Blick auf das Gemeinwohl aus Überzeugung an, wir helfen dir dabei durch politische Aufklärung und sachliche Bildungsarbeit!

Das „Funktionieren“ einer Gesellschaft dank dafür sorgender Rechtsstaatlichkeit bedeutet in einer Autokratie, im Autoritarismus und vor allem im Totalitarismus Ausgesetztheit vor rechtsbeugenden willkürlichen Staatseingriffen auf die ohnehin reduzierten Freiheitsmöglichkeiten des Individuums unter nicht selten unzureichenden wirtschaftlichen Gegebenheiten zu Gunsten der Machtbestrebungen des Staates mit dem Ziel, ein Höchstmaß an „Gemeinwohl“ resp. „sozialem Frieden“ in Unfreiheit zu erzwingen. Als Garant dafür dient die Einschränkung, womöglich Aufhebung der Gewaltenteilung sowie ein entsprechend stark ausgeprägter und mit gering regulierter Gewalt ausgestatteter Polizei- und Geheimdienstapparat sowie eine allgegenwärtige Brachial-Propaganda unter Ausschaltung der Pressefreiheit. MOTTO: Kusch, sonst trifft dich der Polizeiknüppel und du landest im Gulag, folgst du nicht den Propaganda-vermittelten Staatszielen!

Das „Funktionieren“ einer Gesellschaft dank dafür sorgender Rechtsstaatlichkeit in einer defekten Demokratie gibt in (noch) geringem Ausmaß jene Prinzipien auf, die eine Demokratie hervorheben. Als Garant dafür dient eine Einschränkung der Gewaltenteilung und ein nicht allzu gestärkter und nicht allzu sehr mit herabgesetzter regulierter Gewalt ausgestatteter Polizei- und Geheimdienstapparat sowie eine verhältnismäßig subtil eingesetzte Propaganda und Beeinflussungsmaschinerie. MOTTO: Folge der politischen Verführung und glaube, es sei deine Entscheidung, sonst zwiebeln wir dich mit Exekutivmaßnahmen!

Eine solche Beeinflussungsmaschinerie hat die exekutiv im Grunde genommen schwach aufgestellte EU entwickelt, was zu eben der Ausbildung dieser „Schattenexekutive“ geführt hat. Sie trägt damit – nicht so ohne weiteres sichtbar für den Normalbürger – ein Kennzeichen einer defekten Demokratie. Damit steht die Gefahr im Raum, weiter an demokratischen Eigenschaften einzubüßen und zu einem politischen und wirtschaftlichen Risiko heranzureifen. In der Tat bemüht sich die EU um Stärkung ihrer Polizeigewalt (Frontex, 2004, weiterer Ausbau) und damit um Ausbildung eines weiteren Kennzeichens defekter Demokratien insofern der Vorwurf stimmte, dass Frontex auch innerhalb der EU eingesetzt werden könnte.

Was die Beeinflussungsmaschinerie der EU betrifft, hat 2011 der deutsche Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger (1929-2022) die Europäische Union als “sanftes Monster Brüssel“ bezeichnet und von der „Entmündigung Europas“ gesprochen. Er anerkennt segensreiche Folgen ihres Wirkens, macht aber zugleich auf die strukturellen Defizite dieser überstaatlichen Einrichtung aufmerksam, die durch massive Öffentlichkeitsarbeit, um nicht zu sagen: Propaganda – geschickt durch das vorbeschriebene Geflecht an Organisationen, Instituten, Einrichtungen etc. vermittelt –, übertüncht werden. Bezeichnend ist sein Ausspruch: „Je dünner die Legitimität [ihres politischen Handelns], umso dicker der Glibber der PR.“

Die geschilderte Gefahr liegt nicht darin, sich im Euro-Währungsraum zu bewegen. Sie liegt darin, dass infolge mangelnder demokratischer Kontrolle politisch einer Gesinnungsethik und nicht einer Verantwortungsethik gefolgt wird. Damit einher ginge eine Abgehobenheit von den Realitäten des täglichen Lebens der Bürger und Unternehmen. Das führte kurz über lang zu einer Schwächung des Euros im Währungskonzert. Ein Risiko erwüchse dann eher daraus, dass es nicht sicher ist, ob der Währungsraum „Euro“ eines Tages zerbricht, zum Beispiel dadurch, dass im Konzert mit anderen Währungen die derzeit ohnehin angekratzte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Europäischen Union noch weiter geschwächt würde und der Euro fortgesetzt an Wert verlöre. Letzteres erleichterte das Auseinanderbrechen der Europäischen Union, die Eigeninteressen der Mitgliedsländer träten wieder stärker hervor.

Dieses Auseinanderbrechen der Europäischen Union ist derzeit unwahrscheinlich, aber denkmöglich als Folge von: fortgesetzter Wirtschaftsschwäche; weiter zunehmender Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Zunahme nationalkonservativer bis rechtsextremer Haltungen; fortgesetztem „Rütteln an den Ketten“ seitens ehemaliger UdSSR-Bruderstaaten; fortgesetzter Aufnahme neuer Mitgliedsländer speziell aus dem Balkan und dem ehemaligem UdSSR-Einflussbereich (Serbien, Ukraine); gravierenden, von den Bevölkerungen der Mitgliedsstaaten nicht mitgetragenen außen- und innenpolitischen Entscheidungen. 

Bräche die EU, so bräche spätestens dann auch der Euro; im Übrigen weist die Geschichte der Währungsunionen auf deren Brüchigkeit hin: sie halten in der Regel nicht lange. Den Anleger zwingt unter anderem auch dies beizeiten zu überlegen, in welcher Währung er außerhalb des Euroraumes investieren soll. Angesichts des unsicheren Status des US-Dollars als Weltwährung ist dies eine herausfordernde Frage. Sie stellt sich glücklicherweise derzeit nicht, sondern taucht nur schemenhaft als Denkmöglichkeit am Horizont einer eher ferneren Zukunft auf. Aber: sie taucht auf und kann blitzesschnell elefantengroß im Raum stehen.  

FAZIT: die Europäische Union birgt für den Anleger derzeit nur am Zukunftshorizont sich abzeichnende Risiken. Sie entspringen u.a. daraus, dass die EU weniger aus der Position der Stärke als eher aus der der Schwäche handelt. Im Vergleich zur Situation des Kalten Krieges und damit zur Gründerzeit der EU-Vorläufereinrichtungen, in der es nur einen wirtschaftsmächtigen geopolitischen Spieler und gleichzeitigen Verbündeten – die USA – gab, steht die Europäische Union heute zwischen zwei Wirtschaftsblöcken: dem des USA-geführten Westens und dem des sog. globalen Südens. Das erzeugt Druck, allzumal Zeitdruck, treibt die EU an und lässt sie, will sie nicht aufgerieben werden, nach Machtvergrößerung durch Zentralisierung streben – ein Demokratierisiko ersten Ranges, damit in der weiteren Folge ein Wirtschafts- und letztlich Veranlagungsrisiko. 

Grundsätzliches zur Währungsspekulation

Währungs-Spekulation ist ein äußerst schwieriges, glitschiges, hochriskantes Geschäft, bedarf langjähriger Erfahrung, tagtäglicher Marktbeobachtung und eines guten Magens: Schocks und erratische Marktbewegungen müssen ausgehalten werden – psychisch und finanziell. Einer der bekanntesten und erfolgreichsten Währungsspekulanten im deutschsprachigen Raum ist Folker Hellmeyer (Hellmeyer-Website, Hellmeyer-Kurzportrait (Goldseiten), Hellmeyer auf Netfonds usf.).

Zweck der Währungsspekulation?

Wie bei den Warenoptionsmärkten dient auch der Währungsoptionsmarkt dazu, sehr starke Schwankungen im Wert einer Währung (Devise) zu verhindern: sehr starken Verteuerungen oder Verbilligungen einer Währung im Devisenmarkt (Währungs- oder FOREX-Markt) wird so gegengesteuert. Dafür sorgen die vielen Marktteilnehmer, von denen ein Teil den künftigen Wert einer Währung (Devise) höher, der andere diesen Wert tiefer einschätzt. Dies führt dazu, dass sich eine Art mittlerer Wert für diese Währung einstellt. Währungsoptionsmärkte sind rund um den Globus nahezu 24/7, also nahezu täglich rund um die Uhr, offen (Warenoptionsmarkt, Optionen im Freihandel).

Anders ausgedrückt: Die Spekulanten sichern sich mit ihrem Engagement gegen das Risiko eines Währungsverfalls oder eines Währungsanstiegs ab. Währungsanstiege sind ein Risiko für Käufer auf Warenmärkten, Währungsabwertungen sind ein Risiko für Verkäufer auf Warenmärkten. Gleiches gilt selbstverständlich auch für Dienstleistungen im internationalen Dienstleistungsaustausch. Die gegenläufigen Interessen auf dem Währungsoptionsmarkt „mitteln“ sich aus.

Allgemein gesprochen handelt es sich bei den Geschäften auf Optionsmärkten um Absicherungsgeschäfte oder Hedging.

Nochmals anders ausgedrückt: Auf aggregiertem Niveau (Makroebene) sorgt der Währungsoptionsmarkt für die Stabilität einer bestimmten Währung im Konzert der anderen Währungen im Devisen- resp. Währungsmarkt (Kassa- oder Spot-Markt, das Pendant zum Optionsmarkt).

Eine stabile Währung ist für die Volkswirtschaft, in deren Bereich diese Währung als Zahlungsmittel dient, eine Lebensnotwendigkeit für das optimale Funktionieren der volkswirtschaftlichen Grundvorgänge Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen. Erratische Schwankungen im Währungs- oder Devisenmarkt erschweren auf der Ebene der Unternehmen (Mikroebene) innerhalb und außerhalb einer Volkswirtschaft erheblich Kalkulationen mit Sicht auf künftig geplante Käufe und Verkäufe. Erratische Schwankungen einer Währung schwächen die Wirtschaftsleistung der zugehörigen Volkswirtschaft, eine stabile Währung fördert sie. Dies gilt auch für Volkswirtschaften außerhalb des entsprechenden Währungsraumes, sofern sie mit dieser Volkswirtschaft handelnd in Verbindung stehen.

FAZIT: Währungsoptionsmärkte sind für das Wirtschaftsgeschehen im Konzert der verschiedenen Volkswirtschaften überlebenswichtig.

Die heilige Trias

Diese Zusammenhänge bleiben in der Regel für Otto Normalverbraucher genauso verborgen wie die Bedeutung der nicht-demokratisch agierenden Zentralbanken, die mit ihren Zinsentscheidungen tief in das Wirtschaftsleben und somit in das Alltagsgeschehen der Menschen eingreifen. Warenmärkte, Währungsmärkte und Zentralbanken sind in einem fortlaufenden Marktgeschehen untrennbar und maßgeblich untereinander verbunden. Dabei modulieren und moderieren die Zentralbanken über den Zinssatz die Abläufe in Waren- und Währungsmärkten und den zugehörigen Optionsmärkten.

Für Otto Normalverbraucher sind Spekulanten auf diesen Märkten in aller Regel ganz, ganz böse Subjekte, die sich mit ihren Spekulationsgewinnen die Taschen vollstopfen.

Wer sind diese Subjekte auf Währungsoptionsmärkten?

Auf Währungs- und Währungsoptionsmärkten agieren in großer Zahl Staatsstellen, staatliche und private Pensionsfonds, multinationale und andere Unternehmen, Finanzinstitute (Banken u.a.), Hedgefonds u.a.

Otto Normalverbraucher verkennt in aller Regel den Sinn dieser Märkte und die Rolle der Spekulanten dort; denn:

Die Währungsoptionsmärkte zeichnen für das Wohl und Wehe im höchstpersönlichen Alltagsleben des kleinen Mannes auf der Straße verantwortlich, indem sie für relative Währungsstabilität sorgen. Doch Märkte sind keine Subjekte. Somit sind präzise gesprochen nicht „die Märkte“, sondern die Teilnehmer an Währungsoptionsmärkten – also die risikoübernehmenden Spekulanten – für das Wohl und Wehe von Otto Normalverbrauchers alltäglichem Leben verantwortlich.

Daher lässt sich interpretieren: In der Erhaltung der Währungsstabilität liegt der soziale Sinn der Spekulation. Dabei dient der Spekulationsgewinn als Entgelt für die risikobehaftete Sorge um eine stabile Währung.

Es kommt zu einem „paradoxen“ Effekt: die Befriedung der Einzelinteressen der Subjekte, den Spekulanten, trägt vermittels des Marktgeschehens zur Optimierung des Gemeinwohls bei.

Die Umsätze in Devisen- und Währungsoptionsmärkten sind die größten weltweit und erreichen täglich Milliarden bis Billionen von Währungseinheiten. Im Jahr 2022 wurden allein im Devisenmarkt täglich durchschnittliche Umsätze in Höhe von 7,5 Billionen US-Dollar gehandelt. Zu beachten ist, dass dabei immer Währungspaare gehandelt werden und zudem die Umsätze „doppelt“ anfallen: als Verkaufs- und als Kaufpreis in Summe. Das plustert das tägliche Handelsvolumen ordentlich auf.

Was für die Währungsoptionsmärkte gilt, gilt ebenso für die Warenoptionsmärkte: es geht um die Stabilisierung von in großen Mengen gehandelten Waren wie Weizen, Schweinehälften Orangensaft, Kaffee und vieles andere mehr. Die aufgezählten Waren stehen für solche, die für die Bevölkerungen hohe Bedeutung haben.

Wozu Optionsmärkte gut sind

Aber es gibt doch nach wie vor Preissprünge auf den Warenmärkten, von erratischen Ausschlägen an den Devisenmärkten war auch schon die Rede: wie passt das ins Bild?

Ohne die Terminbörsen wären die Ausschläge um einiges stärker, die Preise höher.

Drei Beispiele dazu:

#1 Hitler verbot die große Bremer Kaffeebörse. Daraufhin sicherte sich der Großhandel gegen Preisanstiege bei Kaffee ab, indem er von Haus aus deutlich höhere Preise für den Handel, die Geschäfte, einforderte. Resultat war der berühmt-berüchtigte Blümchenkaffee: die Konsumenten sparten am Kaffee, indem sie möglichst wenig davon zum Aufbrühen verwandten, also sah man durch den dünnen Kaffee das Blümchen am Grund der Kaffeetasse.

# 2 Waren, die nicht abgesichert werden können, weisen größere Preissprünge und höhere Preise auf; bremsend auf den Warenpreis (Aktienpreis, Devisenkurs) wirkt allein die Konkurrenz oder eine schwache Nachfrage oder ein überreichliches Angebot.

# 3 Die erste Warenoptionsbörse wurde 1848 in Chicago gegründet. Hintergrund war der bereits gewachsene Welthandel mit Waren, die großteils noch mit Segelschiffen über die Weltmeere transportiert wurden. Zwar befuhren die ersten Dampfschiffe Ende der 1830er Jahre den Atlantik, doch die eigentliche Verdrängung des Segelschiffs als Transportmittel setzte erst ab den 1870er Jahren ein.

Die Notwendigkeit, sich gegen den Verlust der Waren infolge Schiffuntergangs zu schützen oder sich überhaupt vor unerwarteten Preisveränderungen während der langen Schiffsfuhren abzusichern, führte zur Einrichtung der Chicagoer Warenbörse (Chicago Board of Trade), 1848 zunächst als Kassen- oder Spotmarkt, 1864 dann als Warenterminmarkt. Fortan konnten Käufer und Verkäufer Warenpreise vereinbaren für Warenlieferungen in ein, zwei, drei, sechs Monaten, was die Sicherheit der unternehmerischen Kalkulation erheblich erhöhte, da nun die Preisrisiken nicht von den Warenverkäufern und -käufern selbst, sondern von den Spekulanten übernommen wurden. Es entstand eine hochspezialisierte Zunft von Spekulanten, darunter viele Versicherungen.

Die Spekulanten hatten die Zeit und die Informationsmittel, sich über Warenpreisänderungen am Warenursprungsort und über Transportverzögerungen oder Schiffsunfälle zu informieren. Schlechte Kaffee- oder Kakao-Ernten, transportverzögernde Windflauten oder Schiffsunglücke blieben für sie kein Geheimnis, entsprechend diesen Informationen disponierten sie am Warenterminmarkt ihre Preisvorstellungen, doch in der Vergangenheit geschlossene Warenpreise für eine bestimmte Ware zu einem bestimmten Termin blieben davon unberührt.