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FAZIT DES TAGES
COMMENT – FAZIT:
- Israel: weitere Kämpfe in Rafah, gibt Tötung eines führenden Hamas-Mitglieds bekannt
- Israel: Rückkehr der Hamas in den Norden Gazas und Ausweitung israelischer militärischer Operationen dort
- Israel: Blinken warnt angesichts vieler Toter vor Aufständen in Gaza und spricht von Untersuchungen betreffend Völkerrechtsverletzungen Israels
- Ukraine-Krieg: schwierige militärische Lage für die Ukraine; Russland erobert neun Ortschaften, Kämpfe um Wowtschansk
Märkte – Report
Israel, Ukraine
Meldungen
Themenreigen – Medizin, Ethologie, Umwelt, IT-KI-Robotik-Internet, Migration, Gesellschaft, Geschichte, Menschen
Unternehmen
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HELLMEYER-Report (gekürzt)
- DAX mit neuem Rekordstand
- Deutschland: Auftragsmangel im Wohnungsbau weit verbreitet
- Deutschland: KfW/IFO Barometer: Geschäftsklima (KMU) aufgehellt
- Kein Hellmeyer Report am 15. & 16. Mai 2024!
Märkte: DAX mit neuem Rekordstand
An den Finanzmärkten dominiert weit überwiegend Zuversicht an den Aktienmärkten. Am
Devisenmarkt sind Bewegungen sehr überschaubar. An den Zinsmärkten sind Sorgen
grundsätzlich etwas weniger ausgeprägt (10 Jahres Bunds bei 2,51%, 10 Jahres Treasuries bei
4,50%). Gold und Silber können die erhöhten Niveaus halten.
An den Aktienmärkten zeigte sich der europäische Markt im relativen Vergleich stark. Der DAX
markierte ein neues Allzeithoch sowohl bei dem Schlussstand bei 18.772,85 als auch im Intraday-
Handel bei 18.838,40 Zählern. Gleiches gilt für den EuroStoxx 600, auch hier wurde ein neuer
Rekord markiert. Der EuroStoxx 50 und der S&P 500 stehen knapp unter den bisherigen
Höchstmarken.
Entscheidend für die aktuellen Aktienmarktbewegungen sind einerseits zuletzt
rückläufige Zinssorgen, andererseits ist es eine zumeist konservative Positionierung der
entscheidenden Marktteilnehmer, die dafür sorgte, dass Korrekturbewegungen keine „langen
Beine“ haben und Eindeckungen nach der Korrekturbewegung die Märkte anschieben.
Der Blick auf die aktuellen Konjunkturdaten (siehe Datenpotpourri) liefert ein heterogenes
Ergebnis. Am Freitag stachen die starken britischen Konjunkturdaten hervor. Dagegen
enttäuschten die Industrieproduktionsdaten aus der Eurozone ebenso wie der unerwartete
Einbruch des US-Verbrauchervertrauens der Universität Michigan. Die Preisdaten aus China sind
fortgesetzt unproblematisch mit einem Verbraucherpreisanstieg im Jahresvergleich um 0,3% und
einem Rückgang der Erzeugerpreise um 2,5%.
Hintergründig belastet das geopolitische Umfeld. Die militärische Lage der Ukraine wird täglich
kritischer. Das Risiko einer Eskalation bei der Nutzung der Waffengattungen als auch Ausweitung der Teilnehmerländer im direkten Konflikt nimmt latent zu.
Die Situation im Gazastreifen wird täglich prekärer. Mittlerweile liegt die Zahl der Toten jenseits
der Marke von 35.000. Politisch gerät Israel verstärkt in eine Isolation. Die UN-
Generalversammlung hat sich mit klarer Mehrheit (143 zu 9, 25 Enthaltungen) für eine Empfehlung
einer Vollmitgliedschaft Palästinas entschieden.
Nachrichten in Kurzform:
• Berlin: Das von der KfW ermittelte Geschäftsklima im Sektor kleinerer und mittlerer
Unternehmen (KMU) stieg per April um 5,2 Punkte auf -11,3 Zähler. Es ist der dritte
Anstieg in Folge.
• Berlin: Die Preise für Wohnimmobilien werden gemäß einer Studie der DZ-Bank
2024 um 2,5% sinken. Seit Beginn der Zinserhöhungen Mitte 2022 seien die Preise
für Wohnimmobilien (maßgeblich Bestandsimmobilien, Diskriminierung durch
Heizungsgesetz) um 8% gefallen.
• Madrid: Bei den Wahlen in Katalonien verlor die Partei Junts (harte Separisten, 35
der 135 Sitze). Die Sozialisten sind stärkste Partei (42 der 135 Sitze).
• New York: Die UN-Generalversammlung hat sich mit klarer Mehrheit (143 zu 9, 25
Enthaltungen) für eine Empfehlung einer Vollmitgliedschaft Palästinas entschieden.
D: Auftragsmangel im Wohnungsbau weit verbreitet – „Krisenende nicht in Sicht“
Im Wohnungsbau klagen trotz anstehender Zinssenkung 55,2% (Vormonat 56,2%) der
an der IFO-Umfrage teilnehmenden Unternehmen über fehlende Aufträge. Auch die
Stornierungen bleiben ein großes Problem. Im April meldeten 17,6% (Vormonat 19,6%)
der Betriebe stornierte Projekte.
EZB-Protokoll: Keine neuen Erkenntnisse
Die Zinssenkung der EZB im Juni wird faktisch bestätigt, sofern es nicht neue
Entwicklungen gibt. Der weitere Pfad ist trotz verankerter Inflationserwartungen
unsicher.
UK: Britische Wirtschaft verlässt Rezession
Die britische Wirtschaft hat mit einem starken Wachstum im ersten Quartal ihre
Rezession beendet. Das Bruttoinlandsprodukt legte um 0,6% (Prognose 0,4%) im
Vergleich zum Vorquartal zu. Auch die weiteren Daten fielen stark aus (siehe
Datenpotpourri).
Auftragsmangel im Wohnungsbau weit verbreitet – „Krisenende nicht in Sicht“
Im Wohnungsbau klagen trotz anstehender Zinssenkung 55,2% (Vormonat 56,2%) der an der
IFO-Umfrage teilnehmenden Unternehmen über fehlende Aufträge. Auch die Stornierungen
bleiben ein großes Problem. Im April meldeten 17,6% (Vormonat 19,6%) der Betriebe stornierte
Projekte. Das Geschäftsklima im Wohnungsbau hellte sich zwar deutlich auf, bleibt aber
weiterhin tief im negativen Bereich. Die Erwartungen sind weit von Optimismus entfernt. Der
Abwärtstrend bei den Baugenehmigungen für neue Wohnungen hatte sich zuletzt fortgesetzt.
Ihre Zahl sank im Februar um 18,3% zum Vorjahresmonat auf 18.200, wie das Statistische
Bundesamt herausfand.
O-Ton IFO-Institut: „Die Wohnungsbauer suchen nach Hoffnungssignalen. Ein Ende der Krise
ist jedoch nicht in Sicht.“
Kommentar: Die Situation ist kritisch. Der Bewertung des IFO-Instituts ist zuzustimmen.
Im Tiefbau, wozu der staatlich dominierte Straßenbau gehört, berichteten 22% der Firmen von
einem Auftragsmangel. Die Unternehmen sind dort zufriedener mit den laufenden Geschäften.
O-Ton IFO-Institut: „Der Ausblick auf die kommenden Monate ist im Tiefbau von Skepsis
geprägt, aber nicht so stark wie im Hochbau.“
Kommentar: Die Divergenz erklärt sich dadurch, dass staatliche Projekte nicht zinssensitiv
sind. Sie hängen von politischen Entscheidungen ab.
KfW/IFO Barometer: Geschäftsklima aufgehellt
O-Ton KfW: „Die Stimmung unter den Mittelständlern hellt mit Beginn des Frühlings auf noch
niedrigem Niveau spürbar auf. So zieht das Geschäftsklima im April auf -11,3 Saldenpunkte an
– ein Plus von 5,2 Zählern gegenüber dem Vormonat, was dem Doppelten einer üblichen
Monatsveränderung entspricht. Beide Klimakomponenten verbessern sich, besonders deutlich
lässt allerdings der Pessimismus mit Blick auf die nähere Zukunft nach. So steigen die
Geschäftserwartungen der Unternehmen für die kommenden sechs Monate um beachtliche 7,1
Zähler auf jetzt -11,8 Saldenpunkte, wobei die Nulllinie für den langfristigen Durchschnitt steht.
Das ist der höchste Wert seit einem Jahr. Die Urteile zur aktuellen Geschäftslage ziehen um
3,2 Zähler auf -11,2 Saldenpunkte an. Gegenüber dem Durchschnitt des ersten Quartals (-20,1
Saldenpunkte) ist das April-Niveau der Lageurteile erheblich höher und signalisiert so einen
gelungenen konjunkturellen Einstieg in das Frühlings.“
Kommentar: Die positiven Stimmungsurteile nehmen merklich zu. Hier ist eine Korrelation mit
der verbesserten Weltkonjunkturlage bestimmend (exogen). Entscheidend wird sein, wie sich
das in den harten Wirtschaftsdaten im internationalen Vergleich niederschlägt (proportional
oder unterproportional?). Was implizieren die deutschen Rahmendaten?
Datenpotpourri der letzten 48 Handelsstunden
China: Preise weiter unproblematisch (Raum für Zinssenkungen bei Bedarf)
Die Verbraucherpreise nahmen per Berichtsmonat April im Jahresvergleich um 0,3% (Prognose
0,2%) nach zuvor 0,1% zu.
Dier Erzeugerpreise sanken per April im Jahresvergleich um 2,5% (Prognose -2,3%) nach zuvor
-2,8%.
Eurozone: Daten schlechter als erwartet
Italien: Die Industrieproduktion sank per März unerwartet im Monatsvergleich um 0,5%
(Prognose +0,3%, Vormonat revidiert von 0,1% auf 0,0%). Im Jahresvergleich ergab sich ein
Rückgang um 3,5% nach zuvor -3,3% (revidiert von -3,1%).
Griechenland: Die Industrieproduktion fiel per Berichtsmonat März im Jahresvergleich um 0,6%
nach zuvor +1,6%.
UK: Datensätze schlicht und einfach stark!
Die positive Ausprägung der aktuellen Konjunkturdaten ist insbesondere gegenüber
Deutschland bemerkenswert.
Die Wirtschaftsleistung stieg per 1. Quartal im Quartalsvergleich um 0,6% (Prognose 0,4%)
nach zuvor -0,3%. Im Jahresvergleich kam es zu einer Zunahme um 0,2% (Prognose 0,0%) nach
zuvor -0,2%.
Die Industrieproduktion verzeichnete per März im Monatsvergleich ein Plus in Höhe von 0,2%
(Prognose -0,4%) nach zuvor +1,0% (revidiert von +1,1%). Im Jahresvergleich kam es zu einem
Anstieg um 0,5% (Prognose 0,3%) nach zuvor 1,0% (revidiert von 1,4%).
Die Handelsbilanz wies per März ein Defizit in der Größenordnung von 13,97 Mrd. GBP aus
(Prognose 14,40 Mrd. GBP, Vormonat 14,13 Mrd. GBP). Es ist das geringste Defizit seit
Dezember 2021.
Indien: Industrieproduktion schwächer als erwartet, aber dennoch stark
Die Industrieproduktion nahm per Berichtsmonat März im Jahresvergleich um 4,9% (Prognose
5,1%) nach zuvor 5,7% zu.
USA: Verbrauchervertrauen bricht ein
Der Index des Verbrauchervertrauens stellte sich per Mai gemäß vorläufiger Berechnung auf
67,4 Punkte (Prognose 76.0) nach zuvor 77,2.
Das Federal Budget als wesentliche Teilmenge des öffentlichen US-Haushalts wies per April
(Steuermonat) einen Überschuss in Höhe von 210 Mrd. USD aus (Prognose 244,0 Mrd. USD,
Vorjahr 176 Mrd. USD)
Hier den Hellmeyer Report lesen! (inkl. Graphiken und Tabellen!)
SENTIX
Freudensprung mit Bias-Knick bei Instis – Ergebnisse des sentix Global Investor Survey (19-2024)
Die Hausse am Aktienmarkt löst einen regelrechten Freudensprung aus. Das Aktien-Sentiment steigt weltweit deutlich an. Beachtlich ist hierbei die Bias-Entwicklung: Die Privaten legen weiter zu, die Profis reagieren gänzlich anders. Ihr Bias fällt drastisch zurück.
Somit denken diese in zunehmenden Maße über Gewinnmitnahmen nach. Ein Spreadvergleich zeigt: Wenn die Profis dieses Verhalten zeigen, wird ein oberer Wendepunkt oder eine Zwischenkonsolidierung wahrscheinlich.
Weitere Ergebnisse
- Rohstoffe: Edelmetalle und Rohöl aussichtsreich
- FX: USD/JPY bleibt belastet
- sentix Sektor Sentiment
MÄRKTE
DJI – BAHA *** DJI – KGV *** Rendite 10-jg. US-Anleihen
DAX Deutsche Börse *** DAX – KGV *** Rendite 10-jg. Bundesanl. *** Euro-Bund Futures
WOCHENAUSBLICK: US-Inflationsdaten werden zum Prüfstein für die Dax-Rekordjagd
FRANKFURT (dpa-AFX) – Die Rekordrally des Dax muss sich in der neuen Woche einer Realitätsprüfung unterziehen. Der Höhenflug am deutschen Aktienmarkt basiert derzeit insbesondere auf der Hoffnung, dass die Leitzinsen in den USA doch wieder eher früher als später sinken. Dies würde die Wirtschaft stimulieren und Aktien gegenüber Anleihen attraktiver machen. Doch falls sich am Mittwoch wider Erwarten zeigen sollte, dass die Inflation in den Vereinigten Staaten im April deutlich angezogen ist, könnte es an den Börsen ungemütlich werden. Denn dann könnte sich die US-Notenbank Fed gezwungen sehen, einen härteren geldpolitischen Kurs zu fahren.
Noch aber herrsche Kauflaune am hiesigen Aktienmarkt, schrieb der Kapitalmarktstratege Jürgen Molnar vom Handelshaus Robomarkets: „Der Dax kennt kein Halten mehr.“ Aktuell erlebten die Anleger eine der besten Börsenwelten. So gebe es konjunkturelle Hoffnungsschimmer aus Deutschland, der Eurozone und China. Zudem seien Arbeitsmarktzahlen aus den USA zuletzt schwach ausgefallen, was die geldpolitischen Lockerungsabsichten der Fed unterstreiche. „Für den Dax heißt die nächste Anlaufstelle nun 19 000 Punkte“, resümierte Molnar.
Auch laut Analyst Sven Streibel von der DZ Bank stehen die Börsenampeln weiterhin auf Grün. So sei der Dax immer noch nicht teuer, wenngleich er derzeit auf Rekordniveau notiere. Die Bewertung des Leitindex „reflektiert auf dem aktuell eher durchschnittlichen Level schlicht ein geringeres Weltuntergangsrisiko als noch vor sechs Monaten“ – und das, obwohl der Leitindex ein überdurchschnittlicher Profiteur einer bevorstehenden globalen Konjunkturverbesserung sei.
Wie tragfähig dieses positive Szenario ist, dürfte sich zur Wochenmitte zeigen. „Alle Augen richten sich auf die US-Inflationszahlen“, schrieb Robert Greil, Chefstratege bei der Privatbank Merck Finck. Die Teuerung sollte zwar seiner Auffassung nach minimal gesunken sein, sie dürfte aber anders als in der Eurozone inklusive Deutschland weiter spürbar über drei Prozent verharren.
Greil hält dieses Niveau nach wie vor für deutlich zu hoch, um der US-Notenbank eine baldige erste Leitzinssenkung zu erlauben. Der im Vergleich zu Europa hartnäckigere Inflationstrend in den USA dürfte nun ungewöhnlicherweise dazu führen, dass die Europäischen Zentralbank (EZB) am 6. Juni zumindest einige Monate vor der Fed mit den Leitzinssenkungen beginnt. Der Experte rechnet mit insgesamt drei Leitzinssenkungen der EZB in diesem Jahr, während er bei der Fed frühestens ab Herbst zwei für realistisch hält.
Auch die Analysten der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) mahnen zur Vorsicht. Zwar bleibe in den USA der grundlegende Abwärtstrend bei der jährlichen Kernteuerungsrate ohne Energie und Nahrungsmittel intakt, doch auch im Frühjahr 2024 habe sich diese Kenngröße überraschend störrisch gezeigt. „Die letzten Monate waren eine kalte Dusche für diejenigen, die das Inflationsproblem mental schon beerdigt hatten“, hieß es. Das Risiko, dass die Inflationslage es der Fed nicht erlaube, in absehbarer Zeit die Geldpolitik nennenswert zu lockern, habe zugenommen. Insofern sei eine Atempause für Aktien gar nicht mal so schlecht.
Gleichwohl habe der Dax auch vor dem Hintergrund solider Unternehmensnachrichten seine jüngsten Höchststände erreicht, fuhren die Experten von Helaba fort. Auch deshalb dürften die Anleger auch in der neuen Woche die Berichtssaison der Unternehmen genau verfolgen.
Dabei stehen erneut viele Geschäftszahlen auf der Agenda. So informieren der Agrarchemie- und Pharmakonzern Bayer am Dienstag sowie die Commerzbank, der Energiekonzern RWE und der Versicherer Allianz am Mittwoch über die Ergebnisse des ersten Quartals. Am Donnerstag folgen dann unter anderem der Industriekonzern Siemens und die Deutsche Telekom .
Unter dem Strich zeigte sich Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank, zuversichtlich: „Das Finanzsystem funktioniert gut, innovative Technologien ermöglichen neue Geschäftsmodelle und hohe Gewinne.“ Das alles sei eine sehr angenehme Temperaturzone für die Finanzmärkte, daher auch die Rekordstände an den Aktienmärkten. Der wichtigste Teil dieses Bildes sei die Konjunkturkomponente: „Solange Europa, die USA und die asiatischen Volkswirtschaften weiter wachsen, können Unternehmen mit dem aktuellen, relativ hohen Zinsniveau leben.“/la/ajx/men/he — Von Lutz Alexander, dpa-AFX —
ISRAEL
n-tv aktuell ISRAEL
12.05.2024 22:53
Ein Aufstand nicht unrealistisch Blinken befürchtet Anarchie und Chaos im Gazastreifen
Die Situation im Gazastreifen ist nach wie vor dramatisch. Israels Kampf gegen die Hamas sorgt für viele tote Zivilisten. Ein Fakt, den US-Außenminister Blinken heftig kritisiert. Er warnt vor einem möglichen bewaffneten Aufstand.
12.05.2024 17:01
Wieder Gefechte in Dschabalia Hamas provoziert Katz-und-Maus-Spiel mit Israels Armee
Israels Militärchef klagt über die „Sisyphusarbeit“ seiner Truppen: Die Terroristen der Hamas verstecken sich wieder in Städten in Gaza, aus denen sie eigentlich bereits vertrieben wurden. Die israelische Armee weitet deshalb ihre Operationen im Norden aus, rückt aber auch in Rafah weiter vor.
n-tv aktuell Nahost-Konflikt
—
NACHT IM ÜBERBLICK – ISRAEL
WDH/ROUNDUP: Israel gedenkt seiner getöteten Soldaten – Die Nacht im Überblick
TEL AVIV (dpa-AFX) – Der israelische Staatspräsident Izchak Herzog hat am alljährlichen Gedenktag für die getöteten Soldaten und Terroropfer des Landes den Selbstbehauptungswillen Israels unterstrichen. „Ich erinnere uns und die gesamte Welt daran: Wir wollten niemals diesen schrecklichen Krieg. Nicht diesen und nicht seine Vorgänger“, sagte er am Sonntagabend auf der zentralen Feier an der Klagemauer in Jerusalem. „Aber so lange unsere Feinde uns zerstören wollen, werden wir das Schwert nicht niederlegen.“ Der Gaza-Krieg zwischen Israels Armee und palästinensischen Extremisten geht derweil weiter, im Norden und Süden des Gazastreifens gab es weitere Kämpfe. Die geplante Großoffensive Israels in der Stadt Rafah will die US-Regierung zwar nicht unterstützen, davon abgesehen sicherte sie dem Verbündeten aber erneut ihren Rückhalt zu.
Mit einer Schweigeminute nach Sirenengeheul wurde zu Beginn der Gedenkzeremonie am Sonntag der Toten der Kriege gedacht. Präsident Herzog trug einen eingerissenen Hemdkragen – zerrissene Kleidung ist ein jüdisches Symbol der Trauer. Der israelische Generalstabschef Herzi Halevi sagte in seiner Rede, als Kommandeur der Armee in Kriegszeiten trage er die Verantwortung „für das Versagen, unsere Zivilisten am 7. Oktober zu verteidigen. Ich trage das Gewicht jeden Tag auf meinen Schultern und in meinem Herzen.“ An die Adresse der Familienangehörigen gerichtet sagte er: „Ich bin der Kommandeur, der Ihre Söhne und Töchter in den Kampf geschickt hat, aus dem sie nicht zurückgekehrt sind, und auf die Posten, auf denen sie als Geiseln genommen wurden.“
Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker, das Terroristen der Hamas und anderer islamistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübten. Sie töteten 1200 Menschen, nahmen 250 weitere als Geiseln und verschleppten sie in den Gazastreifen. Im folgenden Krieg wurden nach palästinensischen Angaben rund 35 000 Menschen getötet, wobei die unabhängig kaum zu verifizierende Zahl nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern unterscheidet.
Israelisch-palästinensischer Appell für Versöhnung
Angehörige der Geiseln versammelten sich am Sonntagabend vor dem Hauptquartier der Armee in Tel Aviv. Viele von ihnen trugen brennende Kerzen, andere hielten Schilder mit der Aufschrift „Wir wollen keine weiteren Gräber“.
Die Vereinigung der trauernden israelischen und palästinensischen Familien organisierte am Gedenktag eine eigene Veranstaltung, die die Hoffnung auf Frieden und Versöhnung in den Mittelpunkt stellte. „Wir müssen die Wirklichkeit ändern, um eine bessere Zukunft für unsere Kinder zu schaffen“, sagte eine Palästinenserin, die im Gaza-Krieg ihren Bruder verloren hat.
„Wie viele Generationen voll Trauer braucht es noch, bis wir frei davon sind“, sagte der Sohn der am 7. Oktober getöteten bekannten Friedensaktivistin Vivian Silver. „Wir alle müssen erkennen, dass die Besatzung, der 7. Oktober, der Krieg in Gaza, jüdischer und arabischer Terrorismus, jegliche politische Gewalt nicht unser Schicksal sind.“
Militäraktionen im Gazastreifen gehen weiter
Der Krieg geht indes weiter. Das israelische Militär gab am Sonntag die Tötung eines führenden Mitglieds der Hamas bei einem Luftangriff im Gazastreifen am Freitag bekannt. Der Mann habe zu einer Kampftruppe der Islamisten gehört und sei einer der Kämpfer gewesen, die für die Bewachung der entführten israelischen Soldatin Noa Marciano zuständig gewesen sei. Marciano war nach dem Terrorangriff am 7. Oktober in den Gazastreifen verschleppt und dort später ermordet worden.
Am Sonntag gab es Militäraktionen in verschiedenen Regionen des Gazastreifens. So hätten israelische Soldaten einen erneuten Einsatz in dem Flüchtlingsviertel Dschabalia im Norden des Küstengebiets begonnen, teilte das Militär mit. Auch der militärische Arm der Hamas berichtete von schweren Zusammenstößen seiner Kämpfer mit israelischen Truppen in Dschabalia.
Die israelische Armee setzt außerdem ihre nach eigenen Angaben „präzisen“ Vorstöße in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens sowie im Viertel Al-Saitun im Norden des Küstenstreifens fort. Palästinensische Medien berichteten in der Nacht zu Montag über israelische Luft- und Artillerieangriffe im Osten Rafahs.
Biden-Berater: Lassen Israel nicht im Stich
Die US-Regierung will nach der Veröffentlichung eines Berichts zu möglichen Völkerrechtsverstößen Israels weitere Untersuchungen anstellen. Es gebe „eine Reihe von Vorfällen, die wir weiterhin untersuchen, um die bestmögliche Einschätzung zu bekommen“, sagte Außenminister Antony Blinken am Sonntag im US-Fernsehen. Mit Blick auf den Einsatz amerikanischer Waffen im Gaza-Krieg sei man besorgt über Vorfälle, bei denen „angesichts der Gesamtheit des Schadens, der Kindern, Frauen und Männern zugefügt wurde“, die Einschätzung gerechtfertigt sei, dass Israel in bestimmten Fällen in einer Weise gehandelt habe, die nicht mit dem Völkerrecht vereinbar sei. Allerdings sei das militärische Umfeld „komplex“, weswegen man keine abschließende Bewertung vornehmen könne.
Trotz aller Bedenken versicherte die US-Regierung, man werde weiter hinter dem Verbündeten Israel stehen. Präsident Joe Biden wolle zwar nicht, dass US-Waffen bei einer größeren Invasion in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens zum Einsatz kommen, sagte Biden Sicherheitsberater Jake Sullivan in einem Sonntag ausgestrahlten Interview des US-Senders ABC News. Das bedeute aber nicht, „dass er Israel im Stich lässt oder es von den Waffen abschneidet“.
Blinken hielt Israels Verteidigungsminister Joav Galant in einem Telefonat dazu an, den Schutz von Zivilisten und Hilfskräften in Gaza zu gewährleisten, wie das US-Außenministerium nach einem Gespräch der Ressortchefs mitteilte. Humanitäre Hilfe müsse ungehindert ins Kriegsgebiet gelangen und dort verteilt werden können – auch während Israel die Hamas bekämpfe.
Armee: Neuer Grenzübergang nach Nord-Gaza geöffnet
Am Sonntag hatte Israel nach Angaben eines Militärsprechers den neuen Grenzübergang Western Erez zum nördlichen Gazastreifen für humanitäre Hilfstransporte geöffnet. Dadurch solle die Zahl der Hilfstransporte in den Gazastreifen und insbesondere in den nördlichen Bereich erhöht werden, hieß es. Am Sonntag hätten bereits Dutzende Lastwagen mit Mehl aus dem Hafen von Aschdod den Übergang passiert.
Das Welternährungsprogramm (WFP) hatte vor Hunger im Norden des Gazastreifen gewarnt. Dort schreite die Unterernährung bei Kindern mit großer Geschwindigkeit voran, hieß es in einem Bericht zur Lage in dem Gebiet./czy/DP/stk
WEITERE ISRAEL-MELDUNGEN
Biden-Berater Sullivan: Wir lassen Israel nicht im Stich
WASHINGTON (dpa-AFX) – Die US-Regierung hat Israel versichert, trotz einer zurückgehaltenen Munitionslieferung hinter dem Verbündeten zu stehen. US-Präsident Joe Biden wolle zwar nicht, dass US-Waffen bei einem größeren Militäreinsatz in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens zum Einsatz kämen, sagte Biden Sicherheitsberater Jake Sullivan in einem Sonntag ausgestrahlten Interview des US-Senders ABC News. „Das soll nicht heißen, dass er Israel im Stich lässt oder es von den Waffen abschneidet.“ Biden gehe es um „eine bestimmte Operation“, von der er nicht glaube, dass durch sie die islamistische Hamas besiegt werden könne. „Niemand hat Israel stärker unterstützt als Joe Biden“, sagte Sullivan. Biden habe deutlich gemacht, dass er weiterhin dafür sorgen werde, dass Israel über das verfüge, was es brauche, um sich zu verteidigen.
Die US-Regierung hält wegen Israels Vorgehen in Rafah aktuell eine Lieferung sogenannter schwerer Bomben zurück. Sullivan bekräftigte, dass eine israelische Offensive in Rafah nach Auffassung Washingtons großen Schaden anrichten würde. Dort lebten eine Million Menschen auf engstem Raum, die wegen der Militäreinsätze in anderen Teilen des Gazastreifens dorthin gedrängt worden seien. „Es gäbe wirklich erhebliche zivile Opfer“, warnte Sullivan. Israel würde zwar sicher auch Hamas-Terroristen töten. Dies wäre aber schwierig, da diese als Terroristen nicht typisch militärisch organisiert seien. Das Weiße Haus teilte am Sonntag mit, dass Sullivan in einem Telefonat mit seinem israelischen Kollegen Tzachi Hanegbi über „alternative Vorgehensweisen“, die die Niederlage der Hamas überall im Gazastreifen sicherzustellen sollten, gesprochen habe. Hanegbi habe bestätigt, dass Israel die Bedenken der USA berücksichtige./nau/DP/zb
Blinken warnt Israel vor Chaos und Anarchie im Gazastreifen
WASHINGTON (dpa-AFX) – Die US-Regierung hat Israels Kriegsführung vor allem mit Blick auf die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens kritisiert. Israel sei auf dem besten Weg, einen Aufstand mit vielen bewaffneten Hamas-Kämpfern zu erben, sagte US-Außenminister Antony Blinken am Sonntag im US-Fernsehen. Es drohe ein Vakuum, das von Chaos, Anarchie und wahrscheinlich von der Hamas wieder aufgefüllt werde. „Wir haben mit ihnen über einen viel besseren Weg gesprochen, um zu einem dauerhaften Ergebnis, zu dauerhafter Sicherheit zu gelangen, sowohl im Gazastreifen selbst als auch in der gesamten Region“, betonte Blinken. Partner würden sich gegenseitig die Wahrheit sagen.
Blinken sagte auf Nachfrage, dass die USA die Einschätzung Israels teilten, dass bisher mehr Zivilisten als Terroristen im Gaza-Krieg getötet worden seien. Die Interviewerin bezog sich dabei auf eine Aussage des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu, wonach das israelische Militär bisher 14 000 Terroristen der Hamas getötet habe. Weil die Hamas Zivilisten als menschliche Schutzschilde benutze, seien gleichzeitig 16 000 Zivilisten getötet worden, sagte Netanjahu. Der Premier sagte in dem Interview, dass für Israel der Tod jedes Zivilisten eine Tragödie sei – für die Hamas sei es hingegen Strategie. Blinken monierte, dass Israel zwar Verfahren habe, um das Leid der Zivilisten zu mindern. Diese würden aber nicht „konsequent und effektiv“ angewandt.
Die US-Regierung hatte in einem am Freitag veröffentlichten Bericht erklärt, dass sie es für möglich halte, dass Israel mit von den USA bereitgestellten Waffen im Gazastreifen gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen haben könnte. Aufgrund der Situation in dem Kriegsgebiet sei es aber schwierig, abschließende Feststellungen zu treffen. Auf die Frage, ob die USA es vermeiden würden, Israel für seine Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen, sagte Blinken, Washington messe nicht mit zweierlei Maß. „Wir behandeln Israel, einen unserer engsten Verbündeten und Partner, genauso wie jedes andere Land, auch wenn es darum geht, so etwas wie das humanitäre Völkerrecht und seine Einhaltung zu beurteilen.“/nau/DP/he
Israelisches Militär gibt Tötung von führendem Hamas-Mitglied bekannt
TEL AVIV (dpa-AFX) – Das israelische Militär hat am Sonntag die Tötung eines führenden Mitglieds der islamistischen Hamas bei einem Luftangriff in Gaza am Freitag bekannt gegeben. Der Mann habe zu einer der Kampftruppen der Hamas gehört und sei einer der Hamas-Kämpfer gewesen, die für die Bewachung der entführten israelischen Soldatin Noa Marciano zuständig gewesen sei. Marciano war nach dem Terrorangriff am 7. Oktober in den Gazastreifen verschleppt und dort später ermordet worden. Das israelische Militär hatte die Leiche der 19-Jährigen im November geborgen und nach Israel zurückgebracht.
Am 7. Oktober hatten Terroristen der Hamas und anderer Gruppen in Israel 1200 Menschen getötet und weitere 250 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Nach einem Austausch gegen palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen wurde zuletzt angenommen, dass noch 132 von ihnen in dem Küstenstreifen sein dürften. Vermutet wird aber, dass viele von ihnen nicht mehr am Leben sind./czy/DP/he
Blinken: Untersuchen mögliche Völkerrechtsverstöße Israels weiter
WASHINGTON (dpa-AFX) – Die US-Regierung will nach der Veröffentlichung eines Berichts zu möglichen Völkerrechtsverstößen Israels weitere Untersuchungen anstellen. „Wir haben also eine Reihe von Vorfällen, die wir weiterhin untersuchen, um die bestmögliche Einschätzung zu bekommen“, sagte US-Außenminister Antony Blinken am Sonntag im US-Fernsehen. Mit Blick auf den Einsatz von US-Waffen im Gaza-Krieg sei man besorgt über Vorfälle, „bei denen angesichts der Gesamtheit des Schadens, der Kindern, Frauen und Männern zugefügt wurde“, die Einschätzung gerechtfertigt sei, dass Israel in bestimmten Fällen in einer Weise gehandelt habe, die nicht mit dem Völkerrecht vereinbar sei. Allerdings sei das militärische Umfeld „komplex“, weswegen man keine abschließende Bewertung vornehmen könne.
Blinken gab damit im Wesentlichen wieder, was das US-Außenministerium zuvor in einem Bericht an den US-Kongress übermittelt hatte. Darin heißt es, dass es die US-Regierung für möglich halte, dass Israel mit von den USA bereitgestellten Waffen im Gazastreifen gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen haben könnte. Aufgrund der Situation in dem Kriegsgebiet sei es schwierig, einzelne Vorfälle zu bewerten oder abschließende Feststellungen zu treffen. Präsident Joe Biden hatte Anfang Februar schriftliche Zusicherungen ausländischer Regierungen darüber gefordert, dass mit Militärhilfe aus den USA nicht das Völkerrecht gebrochen wird. Kritiker monierten, die US-Regierung drücke sich nun vor einem klaren Urteil.
Blinken betonte nun, dass sich die islamistische Hamas hinter Zivilisten verstecke – etwa in Krankenhäusern, Schulen, Moscheen oder Wohnhäusern. „Das macht es sehr schwierig, vor allem mitten im Krieg festzustellen, was genau passiert ist, und endgültige Schlussfolgerungen aus einem einzelnen Vorfall zu ziehen.“ Es gebe einen Unterschied zwischen „erklärter Absicht“ und „Ergebnis“, sagte Blinken mit Blick auf Israels Vorgehen im Gazastreifen. „Wir müssen diese Untersuchungen fortsetzen, so wie es Israel selbst tut.“
Blinken machte deutlich, dass die US-Regierung einen größeren Militäreinsatz in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens weiter ablehne. Die US-Regierung hält deshalb eine Lieferung sogenannter schwerer Bomben an Israel zurück. Es handle sich um die einzige Lieferung, die zurückgehalten werde. Man sei dazu in einem „laufenden Gespräch mit Israel“, sagte Blinken. Dabei gehe es um die Auswirkungen, die der Einsatz dieser Waffen in dicht besiedelten Gebieten wie Rafah haben könnten./nau/DP/he
Ägypten will sich Völkermord-Klage gegen Israel anschließen
KAIRO (dpa-AFX) – In einem Zeichen zunehmender Frustration über Israels Krieg im Gazastreifen will sich nun auch das Nachbarland Ägypten der von Südafrika angestrengten Völkermord-Klage gegen Israel anschließen. Der Schritt erfolge „angesichts der zunehmenden Intensität“ und dem wachsenden Ausmaß der israelischen Angriffe in Gaza, teilte das Außenministerium in Kairo am Sonntag mit. Dazu gehörten auch Angriffe gegen Zivilisten und die Zerstörung von Infrastruktur in dem Küstengebiet, was zur Vertreibung der Palästinenser und zu einer „beispiellosen humanitären Krise“ geführt habe, hieß es weiter.
Ende Dezember hatte Südafrika Israel vor dem Internationalen Gerichtshof wegen angeblich im Gaza-Krieg begangener Verstöße gegen die Völkermordkonvention verklagt. Das UN-Gericht verfügte in einem einstweiligen Entscheid, Israel müsse Schutzmaßnahmen ergreifen, um einen Völkermord zu verhindern. Israel hat Völkermord-Vorwürfe wiederholt zurückgewiesen. Das Land beruft sich nach den Massakern der islamistischen Hamas und anderer extremistischer Palästinenserorganisationen in Israel am 7. Oktober 2023 auf das Recht zur Selbstverteidigung.
Ägypten hatte 1979 als erstes arabisches Land mit Israel Frieden geschlossen. Das Land trägt auch Israels Blockade des Gazastreifens mit. Der Gaza-Krieg stellt das Verhältnis der beiden Länder aber auf eine harte Probe. Die Regierung in Kairo sorgt sich, dass bei einer Ausweitung der israelischen Offensive in Rafah im südlichen Teil Gazas eine große Zahl an Palästinensern über die Grenze nach Ägypten kommen könnten.
Der Grenzübergang in Rafah nach Ägypten, über den bislang auch Hilfslieferungen nach Gaza gelangten, ist geschlossen, seit Israels Armee dort zuletzt die Kontrolle auf der palästinensischen Seite übernahm. Der staatsnahe ägyptische Fernsehsender Al-Kahira News berichtete unter Berufung auf hochrangige Regierungsquellen, dass Ägypten sich weigere, die Einfuhr von Hilfsgütern mit Israel zu koordinieren. Grund sei die „nicht hinnehmbare israelische Eskalation“./jot/DP/he
ROUNDUP: Israel weitet Einsätze im Gazastreifen wieder aus – auch im Norden
GAZA/TEL AVIV (dpa-AFX) – Die israelische Armee hat ihre Angriffe im Gazastreifen am Wochenende auch wieder auf Orte ausgeweitet, in denen das Militär schon im Einsatz gewesen war. Israelische Soldaten hätten einen erneuten Einsatz in dem Flüchtlingsviertel Dschabalia im Norden des Küstengebiets begonnen, teilte das Militär am Sonntag mit. Auch der militärische Arm der Terrororganisation Hamas berichtete von schweren Zusammenstößen seiner Kämpfer mit israelischen Truppen in Dschabalia.
Die israelische Armee setzt außerdem ihre nach eigenen Angaben „präzisen“ Vorstöße in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens sowie im Viertel Al-Saitun im Norden des Küstenstreifens fort.
Armee: Hamas baut ihre Infrastruktur wieder auf
Der Armee lagen demnach Geheimdienstinformationen vor, denen zufolge die Hamas versucht hatte, in Dschabalia ihre zuvor zerstörte Infrastruktur wieder aufzubauen. Israel hatte die Zivilbevölkerung in dem Flüchtlingsviertel vor dem neuen Einsatz zur Evakuierung aufgerufen.
Die „Times of Israel“ berichtete am Sonntag, die Armee sei von der Präsenz von 100 000 bis 150 000 Palästinensern in dem Gebiet von Dschabalia ausgegangen. Das Palästinenserhilfswerk UNRWA hatte sich „äußerst besorgt“ über die Evakuierungsaufrufe für Rafah im Süden und Dschabalia im Norden des Küstenstreifens geäußert.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte Israel am Samstag vor einer Ausweitung des Einsatzes. „Wir halten eine Offensive auf Rafah (…) für unverantwortlich“, sagte er in Potsdam.
Familien toter Geiseln: Sie verdienen anständiges Begräbnis
In Israel kam es am Samstagabend zu wütenden Protesten gegen die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. „Solange Netanjahu an der Macht ist, werden die Geiseln nicht zurückkehren (…) Netanjahu führt Israel in den völligen Untergang“, zitierten israelische Medien aus einer Erklärung von Angehörigen der Geiseln.
Am Vorabend des israelischen Gedenktags für gefallene Soldaten und Terroropfer forderten die Angehörigen getöteter Geiseln in der Gewalt der Hamas ein würdiges Begräbnis für ihre Toten.
Am 7. Oktober hatten Terroristen der Hamas und anderer Gruppen in Israel 1200 Menschen getötet und weitere 250 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Nach einem Austausch gegen palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen wurde zuletzt angenommen, dass noch 132 von ihnen in dem Küstenstreifen sein dürften. Vermutet wird aber, dass viele von ihnen nicht mehr am Leben sind.
Das beispiellose Massaker war Auslöser des Gaza-Krieges. Am Samstag rief die israelische Armee die Bevölkerung in der an Ägypten grenzenden Stadt Rafah im Süden Gazas auf, weitere Gebiete im Osten und erstmals auch im Zentrum der Stadt zu verlassen. Israel hatte zu Wochenbeginn den Einsatz von Bodentruppen zunächst in den östlichen Außenbezirken von Rafah begonnen. Seither seien „Dutzende von Terroristen ausgeschaltet“, unterirdische Terrortunnel freigelegt und große Mengen an Waffen sichergestellt worden, sagte Armeesprecher Daniel Hagari. Nicht nur Hilfsorganisationen befürchten, dass eine Ausweitung der israelischen Offensive dazu führen könnte, dass Hunderttausende Zivilisten zwischen die Fronten geraten.
Bericht: USA bieten Israel Geheimdiensthilfe in Rafah an
Die USA haben Israel für den Verzicht auf eine Großoffensive in Rafah einem Medienbericht zufolge Hilfe beim Aufspüren von Anführern der islamistischen Hamas angeboten. Wie die Zeitung „Washington Post“ am Samstag (Ortszeit) unter Berufung auf vier mit dem US-Angebot vertraute Personen berichtete, würden die USA dem israelischen Militär mit geheimdienstlicher Unterstützung helfen, den Aufenthaltsort von Hamas-Anführern sowie unterirdische Tunnel der Terrororganisation zu lokalisieren. Amerikanische Beamte hätten zudem angeboten, Israel Tausende von Notunterkünften bereitzustellen, damit die Armee Zeltstädte für die zu evakuierenden Bewohner von Rafah aufbauen könne.
Die israelische Armee begründet das schon vor Monaten angedrohte militärische Vorgehen in Rafah damit, die letzten Bataillone der Hamas zerschlagen und die unter der Grenze zu Ägypten vermuteten Schmuggel-Tunnel zerstören zu wollen.
Berichte: Israels Militärchef fordert Nachkriegs-Strategie
Israels Armee müsse mangels einer politischen Strategie für die Zeit nach dem Krieg immer wieder an Orten im Gazastreifen wie jetzt in Dschabalia kämpfen, die sie eigentlich zuvor eingenommen und aus denen sie sich bereits wieder zurückgezogen hatte, beklagte Generalstabschef Herzi Halevi Medienberichten zufolge bei Sicherheitsberatungen mit Netanjahu. „Solange es keinen diplomatischen Prozess gibt, um eine Verwaltung im Gazastreifen aufzubauen, die nicht der Hamas angehört, müssen wir immer wieder Kampagnen an anderen Orten starten, um die Infrastruktur der Hamas zu zerstören“, wurde der israelische Militärchef in der „Times of Israel“ zitiert. „Es wird eine Sisyphusarbeit sein.“
Netanjahu hatte kürzlich im US-Fernsehen über die Zukunft des Gazastreifens gesprochen und gesagt, im Fall einer Niederlage der Hamas in dem abgeriegelten Küstengebiet werde es vermutlich „irgendeine Art Zivilverwaltung“ geben, „möglicherweise mithilfe der Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und anderen Ländern“. Dabei gehe es um Staaten, die sich „Stabilität und Frieden“ wünschten. Der emiratische Außenminister Abdullah bin Sajid stellte jedoch am Samstag auf der Online-Plattform X klar, man werde sich an keiner möglichen Zivilverwaltung mit anderen Staaten beteiligen. Sein Land werde sich in keine Pläne hereinziehen lassen, um „Deckung zu geben für Israels Präsenz im Gazastreifen“. Netanjahu habe auch keine Befugnis, solch einen Schritt in die Wege zu leiten.
Biden sieht Hamas in der Pflicht
US-Präsident Joe Biden bekräftigte unterdessen mit Blick auf die indirekten Verhandlungen über eine Waffenruhe und die Freilassung von Geiseln die Verantwortung der Hamas. „Wissen Sie, es gäbe morgen einen Waffenstillstand, wenn (…) die Hamas die Geiseln freilassen würde – Frauen, ältere Menschen und Verwundete“, sagte Biden am Samstag bei einer Wahlkampfveranstaltung in Medina im US-Bundesstaat Washington nach Angaben mitreisender Pressevertreter. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, hatte am Freitag gesagt, die Verhandlungen steckten in der Sackgasse. Ägypten will nun gemeinsam mit den USA die Konfliktparteien zu mehr Kompromissbereitschaft bewegen.
Rakete aus Gaza trifft Wohnhaus in Aschkelon
Eine aus dem Gazastreifen abgefeuerte Rakete schlug unterdessen nach Medienberichten in der Nacht zum Sonntag in einem Wohnhaus in der israelischen Küstenstadt Aschkelon ein. Drei Menschen seien dabei verletzt worden. Die Hamas hatte zuletzt wieder verstärkt israelische Ortschaften vom Gazastreifen aus angegriffen, darunter auch immer wieder den Grenzübergang Kerem Schalom, über den humanitäre Hilfsgüter kommen.
Israel: Südafrika agiert als juristischer Arm der Hamas
Die israelische Regierung forderte unterdessen den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag auf, den erneuten Eilantrag Südafrikas zum Verhindern eines Völkermords an Palästinensern abzulehnen. Südafrika agiere als juristischer Arm der Hamas, schrieb der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Oren Marmorstein, am Samstag auf X. Südafrika hatte sich am Freitag erneut an den IGH gewandt und gefordert, das Gericht müsse Israel zu weiteren Schritten bewegen, um einen Völkermord an Palästinensern zu verhindern. Unter anderem solle Israel sich sofort aus Rafah zurückziehen./ln/DP/he
Israel: Südafrika agiert als legaler Arm der Hamas
TEL AVIV (dpa-AFX) – Die israelische Regierung hat den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag aufgefordert, den erneuten Eilantrag Südafrikas zum Verhindern eines Völkermords an Palästinensern im Gazastreifen abzulehnen. Südafrika agiere als legaler Arm der islamistischen Hamas, schrieb der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Oren Marmorstein, am Samstag auf der Plattform X. Die Maßnahmen Südafrikas beruhten auf falschen Anschuldigungen und bewussten Auslassungen. Südafrika versuche, „den Gerichtshof zynisch auszunutzen“.
Südafrika hatte sich am Freitag erneut an den IGH gewandt und in einem Eilantrag gefordert, das Gericht müsse Israel zu weiteren Schritten bewegen, um einen Völkermord an Palästinensern zu verhindern. Unter anderem solle Israel sich sofort aus Rafah im Süden des Gazastreifens zurückziehen. Die Eskalation der Lage schaffe „neue Tatsachen, die den Rechten der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen irreparablen Schaden zufügen“. Sie stelle eine „extreme Gefahr“ für die humanitären Hilfslieferungen und die Grundversorgung im Gazastreifen sowie für das Überleben des palästinensischen Gesundheitssystems dar./czy/DP/he
Erneut Proteste in Israel gegen Netanjahus Regierung
TEL AVIV (dpa-AFX) – Bei wütenden Protesten in Israel haben Demonstranten erneut ein Ende der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und die Freilassung der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln gefordert. Die Zeitung „Haaretz“ sprach am Samstagabend von Zehntausenden Teilnehmern der Protestkundgebungen. In der Küstenstadt Tel Aviv sei es zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen. Laut der „Times of Israel“ gab es mehrere Festnahmen. „Solange Netanjahu an der Macht ist, werden die Geiseln nicht zurückkehren (…) Netanjahu führt Israel in den völligen Untergang“, zitierten israelische Medien aus einer Erklärung von Angehörigen der Geiseln. Minister in Netanjahus Regierung seien aufgerufen worden, nicht mehr mit ihm zu kooperieren. „Netanjahu opfert das Land und schickt unsere Familien aus politischen Gründen in den Tod“, lautete ein weiterer Vorwurf./ln/DP/he
Israels Armee: Setzen ‚begrenzte‘ Einsätze in Rafah fort
GAZA/TEL AVIV (dpa-AFX) – Die israelische Armee setzt ihre nach eigenen Angaben „präzisen“ Vorstöße in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens fort. „Unsere Operationen gegen die Hamas in Rafah bleiben begrenzt und konzentrieren sich auf taktische Vorstöße, taktische Anpassungen und militärische Vorteile und haben dicht besiedelte Gebiete gemieden“, sagte Armeesprecher Daniel Hagari in einer in der Nacht zum Sonntag verbreiteten Erklärung. Am Samstag hatte die Armee die Bevölkerung aufgerufen, weitere Gebiete im Osten und erstmals auch im Zentrum der Stadt zu verlassen. Israel hatte zu Wochenbeginn den Einsatz von Bodentruppen zunächst in den östlichen Außenbezirken von Rafah gestartet. Seither seien „Dutzende von Terroristen ausgeschaltet“, unterirdische Terrortunnel freigelegt und große Mengen an Waffen sichergestellt worden, sagte Hagari.
Israels militärisches Vorgehen in dem an Ägypten grenzenden Teil des abgeriegelten Küstenstreifens ist international höchst umstritten. Bis zuletzt drängten sich dort mehr als eine Million Menschen zusammen, die aus anderen Teilen des Gazastreifens geflohen waren. Nicht nur Hilfsorganisationen befürchten, dass eine Ausweitung der israelischen Offensive dazu führen könnte, dass Hunderttausende Zivilisten zwischen die Fronten geraten. Die ohnehin prekäre Versorgung der Menschen könnte völlig zusammenbrechen. Die USA, Israels wichtigster Verbündeter, warnen eindringlich vor einer großangelegten Offensive. US-Präsident Joe Biden drohte zuletzt sogar mit der Beschränkung von Waffenlieferungen an Israel.
Die israelische Armee begründet das schon vor Monaten angedrohte militärische Vorgehen in Rafah damit, die letzten Bataillone der Hamas zerschlagen und die unter der Grenze zu Ägypten vermuteten Schmuggel-Tunnel zerstören zu wollen. Mit dem „präzisen“ Einsatz wolle man eine „dauerhafte Niederlage der Hamas“ erreichen und alle Geiseln zurückholen, sagte Hagari. Er betonte, Israel führe Krieg gegen die Hamas, „nicht gegen die Menschen in Gaza“./ln/DP/he
Presse: USA bieten Israel Geheimdiensthilfe in Rafah an
GAZA (dpa-AFX) – Die USA haben Israel für den Verzicht auf eine Großoffensive in Rafah im Süden Gazas einem Medienbericht zufolge Hilfe beim Aufspüren von Anführern der islamistischen Hamas angeboten. Wie die Zeitung „Washington Post“ am Samstag (Ortszeit) unter Berufung auf vier mit dem US-Angebot vertraute Personen berichtete, würden die USA dem israelischen Militär mit geheimdienstlicher Unterstützung helfen, den Aufenthaltsort von Hamas-Anführern sowie unterirdische Tunnel der Terrororganisation zu lokalisieren. Dies sei ein Teil der Bemühungen der US-Regierung, eine umfassende Invasion in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt Rafah im Süden des abgeriegelten Gazastreifens abzuwenden, hieß es.
Amerikanische Beamte hätten zudem angeboten, Israel Tausende von Notunterkünften bereitzustellen, damit die Armee Zeltstädte für die zu evakuierenden Bewohner von Rafah aufbauen könne, hieß es weiter. US-Präsident Joe Biden und seine ranghohen Berater hätten in den vergangenen Wochen solche Angebote gemacht, in der Hoffnung, Israel damit zu einem begrenzteren und gezielteren Einsatz in Rafah bewegen zu können. Israels Armee war zu Wochenbeginn mit Bodentruppen in die östlichen Außenbezirke von Rafah vorgerückt und will dies lediglich als „begrenzte“ Vorstöße verstanden wissen.
„Unsere Operationen gegen die Hamas in Rafah bleiben begrenzt und konzentrieren sich auf taktische Vorstöße, taktische Anpassungen und militärische Vorteile und haben dicht besiedelte Gebiete gemieden“, sagte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari in einer in der Nacht zum Sonntag verbreiteten Erklärung. Am Samstag hatte die Armee die Bevölkerung aufgerufen, weitere Gebiete im Osten und erstmals auch im Zentrum der Stadt zu verlassen. Die USA, Israels wichtigster Verbündeter, warnen seit Längerem eindringlich vor einer großangelegten Offensive in der mit Hunderttausenden Flüchtlingen überfüllten Stadt. Biden drohte zuletzt sogar mit der Beschränkung von Waffenlieferungen an Israel./ln/DP/he
Medien: Israels Militärchef fordert Nachkriegs-Strategie für Gaza
TEL AVIV/GAZA (dpa-AFX) – Der israelische Generalstabschef Herzi Halevi hat Medienberichten zufolge das Fehlen von Plänen für den Aufbau einer Zivilverwaltung im umkämpften Gazastreifen beklagt. Israels Armee müsse mangels einer politischen Strategie für die Zeit nach dem Krieg immer wieder an Orten im Gazastreifen wie zuletzt in Dschabalia im Norden kämpfen, die sie eigentlich zuvor eingenommen und aus denen sie sich zurückgezogen hatte. Das habe Halevi bei Sicherheitsberatungen mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gesagt, hieß es in israelischen Medienberichten. „Solange es keinen diplomatischen Prozess gibt, um eine Verwaltung im Gazastreifen aufzubauen, die nicht der Hamas angehört, müssen wir immer wieder Kampagnen an anderen Orten starten, um die Infrastruktur der Hamas zu zerstören“, wurde Halevi zitiert. „Es wird eine Sisyphusarbeit sein.“
Netanjahu hatte kürzlich im US-Fernsehen über die Zukunft des Gazastreifens gesprochen und gesagt, im Fall einer Niederlage der islamistischen Hamas in dem Gebiet werde es vermutlich „irgendeine Art Zivilverwaltung“ geben, „möglicherweise mithilfe der Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien und anderen Ländern“. Dabei gehe es um Staaten, die sich „Stabilität und Frieden“ wünschten. Der emiratische Außenminister Abdullah bin Sajid stellte jedoch am Samstag auf der Online-Plattform X klar, man werde sich an keiner möglichen Zivilverwaltung mit anderen Staaten beteiligen. Das Land werde sich in keine Pläne hereinziehen lassen, um „Deckung zu geben für Israels Präsenz im Gazastreifen“. Netanjahu habe auch keine Befugnis, solch einen Schritt in die Wege zu leiten./ln/DP/he
7 Monate Krieg in Gaza: Israels Armee meldet heftige Kämpfe – Kritik aus USA (inkl. Video)
Im Norden und im Süden des Gazastreifens hat Israels Armee neue Militäroperationen gestartet. UN-Generalsekretär Guterres fordert einen sofortigen Waffenstillstand, die Befreiung der Geiseln und mehr Hilfe für die Menschen in Gaza.
Aus dem Süden des Gazastreifens in und um Chan Junis werden heftige Kämpfe gemeldet. Gleichzeitig hat Israels Armee neue Militäroperationen gegen die Hamas weiter nördlich in Jabalya gestartet.
Laut den zur Hamas gehörenden Kassam-Brigaden wurden zuletzt mindestens neun israelische Soldaten getötet.
Weitere Kritik an Israel aus den USA
In einem Interview mit CBS kritisierte der US-Außenminister Blinken das Vorgehen Israels im Krieg. Im Gazastreifen seien mehr Zivilisten als Terroristen getötet worden und es gebe eine Kluft zwischen Israels Absichten und Ergebnissen. „In Anbetracht der Gesamtheit des Schadens, der Kindern, Frauen und Männern zugefügt wurde, ist davon auszugehen, dass Israel in bestimmten Fällen in einer Weise gehandelt hat, die nicht mit dem humanitären Völkerrecht vereinbar ist.“
London ermittelt zu britisch-israelischer Geisel
Das Außenministerin in London hat Untersuchungen zur Behauptung der Hamas eingeleitet, eine britisch-israelische Geisel sei im Gazastreifen gestorben.
Die Hamas, die von der britischen Regierung als terroristische Vereinigung eingestuft wird, behauptet, Nadav Popplewell sei an den Verletzungen verstorben, die er bei einem israelischen Luftangriff vor mehr als einem Monat erlitten habe.
Der 51-jährige Popplewell war am 7. Oktober zusammen mit seiner Mutter Channah Peri gefangen genommen und nach Gaza verschleppt worden.
Guterres fordert Waffenstillstand sowie mehr Hilfe für die Menschen in Gaza
Zugeschaltet zu einer Gaza-Konferenz in Kuwait forderte UN-Generalsekretär Antonio Guterres erneut einen sofortigen Waffenstillstand, die Befreiung aller Geiseln sowie verstärkte humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen.
António Guterres sagte: „Es wird ein langer Weg zurück von den Zerstörungen und dem Trauma dieses Krieges sein. Die Menschen im Gazastreifen werden noch stärkere und tiefere Partnerschaften für humanitäre Hilfe und langfristige Entwicklung brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen und ihr Leben wieder aufzubauen.“
300.000 aus Rafah geflohen
Etwa 300.000 Palästinenserinnen und Palästinenser sind unterdessen vor einer drohenden israelischen Bodenoffensive aus Rafah geflohen. Seit die Armee den Grenzposten kontrolliert, kommen erneut kaum noch Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Viele Familien hungern schon seit Wochen und wissen nicht, wohin sie noch fliehen sollen.
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Juden meiden Campus, Gegendemo zum Protestcamp – 8.5.2024 (inkl. Videos)
Zusammenfassung
- Das Anti-Israel-Protest-Camp am Campus „Altes AKH“ der Uni Wien stößt auf Widerstand.
- Gegendemonstrant:innen kritisieren Antisemitismus, Jüd:innen würden sich nicht mehr auf den Campus trauen. Die Polizei ist vor Ort.
- Die Uni kündigte unterdessen gegenüber PULS 24 an, Höfe des Campus in der Nacht sperren zu wollen.
Das Anti-Israel-Protestcamp am Campus „Altes AKH“ der Uni Wien stößt auf Widerstand. Gegendemonstrant:innen kritisieren Antisemitismus, Jüd:innen würden sich nicht mehr auf den Campus trauen. Die Uni kündigte unterdessen gegenüber PULS 24 an, Höfe des Campus in der Nacht sperren zu wollen. Man fordert das Ende der Zusammenarbeit österreichischer und israelischer Unis, ruft auf Flyern und Plakaten zur „Intifada“ auf und unterstellt Israel, im Gazastreifen einen „Genozid“ zu begehen. Nach dem Vorbild von US-Eliteuniversitäten gibt es auch auf dem Campus-Gelände der Uni Wien im alten AKH seit Montag ein pro-palästinensisches Protestcamp.
Im sumpfigen Rasen stehen seither ein paar Zelte. Teilnehmerinnen erzählen PULS 24, dass „mehrere Dutzend“ hier geschlafen hätten. Sie sprechen von einem Zustrom zum Camp. Gegen Mittag waren rund 150 Personen dort anwesend. Die Stimmung war geladen, andauernd wurden Parolen gerufen.
Viele von ihnen wollen nicht mit Journalist:innen reden – auf einem Schild im Camp heißt es auch, man solle nicht mit Medien oder Polizei sprechen. Die beiden Teilnehmerinnen sind sich jedenfalls sicher: Sie wollen bleiben, bis der Krieg beendet wird.
Doch das Protest-Camp und seine Forderungen sorgen zunehmend für Unbehagen am Campus. Man habe Meldungen von jüdischen Studierenden, die nicht wissen, wie sie auf dem Campus kommen können, kritisiert etwa Nora Hasan, Vorsitzende der ÖH Uni Wien (VSStÖ).
Der „Intifada“-Aufruf sei antisemitisch, damit werde zum Töten von Juden aufgerufen, erklärt Hasan im PULS 24 Interview. Die ÖH möchte wieder „einen sicheren Platz am Campus“ und einen „diskriminierungsfreien Raum“ schaffen.
Gegendemonstration
Die Jüdische österreichische Hochschüler:innen (JÖH) und das Bündnis gegen Antisemitismus haben sich unterdessen am Mittwoch ebenfalls am Campus versammelt, um gegen das Camp zu demonstrieren. Die Polizei ist vor Ort und trennt die Kundgebungen auch mit Tretgittern voneinander. Das gelang zu Beginn nicht ganz – es kam zu einigen Schreiduellen als sich pro-palästinensische Aktivist:innen unter die Gegendemo mischten.
Auch Beamtinnen und Beamte vom Verfassungsschutz waren anwesend und machten sich ein Bild. Die Inhalte der Parolen, die teilweise in arabischer Sprache aus dem Protestcamp ertönten, würden auf allfällige strafrechtliche Inhalte geprüft, wurde seitens der Polizei versichert.
Teilnehmer:innen wurden gewarnt, dass das iranische Staatsfernsehen teilweise vom Campus berichten würde. Dennoch folgten circa 100 Personen dem Aufruf. „Rape is not Resistance. Bring them home now“, wird auf einem Plakat an den Hamas-Terrorangriff am 7. Oktober und die Geiseln erinnert.
Antisemtische Gruppen hinter Camp
An einem Campus, an dem auch Jüd:innen studieren, offen zur „Intifada“ aufzurufen, sei „nicht tragbar“, deshalb musste man handeln, sagt Alon Ishay von den jüdischen Studierenden zu PULS 24. Hinter dem Camp würden bekannte antisemitische Gruppierungen stecken, kritisiert er. Viele Jüd:innen würden den Campus meiden, sagt auch er. Am Uni-Campus dürfe nicht zur Gewalt aufgerufen werden.
Uni sperrt Höfe
Von der Universität Wien hieß es unterdessen am Mittwoch auf PULS 24 Anfrage, dass man sich vom ‚Student Intifada Camp‘ distanziere. „Eine Räumung ist nach Einschätzung der Exekutive aktuell nicht möglich. Die Universität prüft in Abstimmung mit der Polizei weiter alle rechtlichen Möglichkeiten“, hieß es.
Auf Grund von „Störaktionen und Beschädigungen“ werde man nun „zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen“ am Campus ergreifen: Die Höfe 2 bis 5 sowie die Höfe 8 und 9 sind bis auf Weiteres von 22 bis 6 Uhr geschlossen, so die Uni.
„Antisemitismus und die Verharmlosung von Terror haben keinen Platz an der Universität Wien. Die Äußerungen des Protest-Camp stehen in Widerspruch zu allem, wofür die Universität Wien steht“, teilte man mit. Quelle: Redaktion / koa
UKRAINE
Karte der Ukraine
n-tv aktuell UKRAINE
+++ 09:54 Russische Armee rückt näher: Ukraine evakuiert Tausende Zivilisten aus Charkiw +++
In den vergangenen Tagen wurden 5762 Zivilisten im Gebiet Charkiw aus ihren Häusern gerettet und in Sicherheit gebracht, wie Gouverneur Oleh Syniehubov mitteilt. Russland hat seine neuen Offensivaktionen in Richtung Lyptsi und Wowtschansk seit Freitag deutlich intensiviert. Mehr als 30 Siedlungen in der Oblast Charkiw wurden etwa am Sonntag von russischer Artillerie und Mörsern beschossen, und die Stadt Wowtschansk wurde von „einer Reihe massiver Granateneinschläge“ getroffen, so Syniehubow. Bei den Angriffen wurden nach Angaben von Syniehubov neun Zivilisten in der Region verletzt.
+++ 09:23 „Hoffnung, dass neuer Minister Auswirkung auf Krieg hat“ +++
Kreml-Chef Putin entlässt seinen Verteidigungsminister Sergei Schoigu, unter dessen Führung der Angriff auf die Ukraine stattgefunden hat. Die Neubesetzung des Postens schürt in der Ukraine Hoffnung auf einen Kurswechsel, denn aktuell sieht es für das Land nicht gut aus, berichtet ntv-Korrespondent Jürgen Weichert.
Weichert zu Schoigu-Entlassung „Hoffnung, dass neuer Minister Auswirkung auf Krieg hat“
+++ 08:58 Szenario: Angreifer erobern Flugplatz in Rumänien – NATO Fallschirmjäger üben Rückeroberung +++
Mit der bislang größten Luftlandeübung der NATO in Europa sollen Fallschirmjäger aus mehreren Staaten des Bündnisses in Rumänien ein Signal der Abschreckung setzen. Unter Führung der deutschen Division Schnelle Kräfte (DSK) wird dabei der Hauptteil des Manövers „Swift Response“ beginnen. In der Nähe der rumänischen Städte Turda und Cincu springen rund 1500 Fallschirmjäger ab, um einen – so das Szenario – von Feindkräften eingenommenen Flugplatz zu befreien, wie die Bundeswehr mitteilt. Die NATO reagiert mit einer derzeit laufenden Übungsserie unter dem Namen „Steadfast Defender“ auf die veränderte sicherheitspolitische Lage, die sich aus dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ergibt. Insgesamt werden während mehrerer Monate rund 90.000 Soldaten mobilisiert, die die Alarmierung, das Verlegen großer Truppenteile und die Abwehr eines Angreifers im Gefecht üben. In Rumänien geht es darum, mit schnell verlegbaren Kräften kurzfristig auf den Fall eines Angriffs zu reagieren. Annahme für die Übung ist es, dass angreifende Soldaten bereits in Rumänien sind.
+++ 08:25 Russland erobert neun Grenzdörfer bei Charkiw – und zahlt einen hohen Preis dafür +++
Nach Angaben des russischen Militärs hat Russland die Kontrolle über mindestens neun Grenzdörfer in Charkiw übernommen. Die Streitkräfte von Wladimir Putin haben die nordostukrainische Region am Wochenende intensiv angegriffen. Die russischen Truppen würden jedoch „keine Rücksicht auf ihre eigenen Verluste nehmen“. So seien mindestens 100 Tote zu beklagen, erklärt der ukrainische Generalstab. Mehrere russische Medien, darunter Mash und Readovka, berichteten, dass Moskaus Truppen in Wowtschansk eingedrungen seien. Die Hauptangriffe Russlands richteten sich gegen Wowtschansk und die Stadt Lyptsi, die etwa 20 Kilometer von der Großstadt Charkiw entfernt liegt, sagte der ukrainische Militärsprecher Nasar Woloschyn.
+++ 07:50 Keine Aufklärung und alte Sowjetwaffen: Russische Blogger kritisieren eigene Militärführung +++
Ein russischer Militärblogger beklagt die Unfähigkeit der russischen Streitkräfte, ukrainische Angriffe auf die russische Infrastruktur abzuwehren. Er behauptet, dass die russische Militärführung die ukrainischen Fähigkeiten konsequent unterschätzt und die russischen Streitkräfte von der Fähigkeit der Ukraine, sich an die russischen Angriffsmethoden anzupassen, lernen sollten. Das berichtet das „Institute for the study of war“. Der Militärblogger kritisiert die Art und Weise, wie die russischen Streitkräfte versuchen, Drohnenangriffe mit veralteten Waffen aus der Sowjetära und ohne Aufklärungsausrüstung zu bekämpfen. Ein prominenter Militärblogger stimmt zu. Seiner Meinung nach fehle es den russischen Streitkräften an Verständnis für asymmetrische Kriegsführung und die russische Militärführung sei zu langsam, um Änderungen vorzunehmen.
1500 Kilometer weit geflogen? Drohne trifft russische Ölanlage fernab der Front
+++ 07:13 Russische Panzer-Verluste durchbrechen Schallmauer +++
Die russischen Streitkräfte verlieren seit Beginn ihrer Invasion in der Ukraine mehr als 3000 Panzer. Das dokumentiert das unabhängige, in den Niederlanden beheimatete Portal Oryx. Von den 3005 Panzern, die seither visuell bestätigt wurden, wurden 2004 zerstört, 157 beschädigt, 329 verlassen und 515 durch ukrainisches Militär erobert. Auch wenn nicht alle Fabrikate eindeutig zuzuordnen sind, machen Panzer aus der Sowjetära einen Anteil von mehr als 40 Prozent aus. Auch unter den Modellen aus russischer Zeit handelt es sich in der Regel um Fahrzeuge, die teils deutlich vor 1991 gebaut und später modernisiert wurden. Der T-90-Panzer, das einzige Modell, das im größeren Stil in der Ukraine eingesetzt wird, welches nach dem Fall der Sowjetunion eingeführt wurde, macht nur einen Bruchteil der Verluste aus. Die Zahl uralter Panzer aus den 50er- und 60er-Jahren, die verloren gingen, ist dagegen höher. Es ist unklar, wie viele Panzer Russland in der Ukraine einsetzt. Im Februar erklärte Oberst Markus Reisner im Interview mit ntv.de, dass die russischen Hauptgruppen wohl über rund 3000 Panzer verfügen würden.
Moskaus Verluste in der Ukraine BBC zählt mehr als 50.000 gefallene russische Soldaten
+++ 06:40 Wohngebäude in Belgorod getroffen: Zahl der Todesopfer steigt auf 15 +++
Bei einem nach russischen Angaben ukrainischen Angriff mit Raketen auf die Region Belgorod am Sonntag ist die Zahl der Opfer gestiegen. Das russische Zivilschutzministerium korrigiert die Opferzahl mittlerweile aus 15 Tote, russische Nachrichtenagenturen berichten zudem von 20 Verletzten, ein Kind wird zudem vermisst. Trümmer einer der abgefangenen Totschka-U-Raketen hatten nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums ein Wohnhaus in der Stadt Belgorod beschädigt. Bilder zeigen, dass mindestens zehn Stockwerke des Gebäudes eingestürzt sind. Während Rettungskräfte in den Trümmern nach Überlebenden suchten, stürzte das Dach ein. Sowohl die Ukraine als auch Russland beteuern, nicht auf Zivilisten zu zielen.
+++ 06:03 Britischer Verteidigungsminister: Schoigu für mehr als 350.000 Opfer verantwortlich +++
Der britische Verteidigungsminister Grant Shapps macht den abgesetzten russischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu für Hunderttausende Tote und Verletzte im Ukraine-Krieg verantwortlich. „Sergei Schoigu hat mit einem illegalen Feldzug in der Ukraine über 355.000 Opfer unter seinen eigenen Soldaten und massenhaftes Leid unter der Zivilbevölkerung zu verantworten“, schreibt Shapps auf X nach Bekanntwerden von Schoigus Postenwechsel in der neuen russischen Regierung. „Russland braucht einen Verteidigungsminister, der dieses katastrophale Erbe überwindet und die Invasion beendet“, schreibt Shapps und fügt mit Blick auf Russlands Staatschef Wladimir Putin an: „Aber alles, was sie bekommen werden, ist eine weitere Marionette Putins.“
+++ 05:35 Nordkorea steht im Verdacht, Russland mit Waffen aus den 70ern zu beliefern +++
Der südkoreanische Geheimdienst prüft den Verdacht, dass Nordkorea Russland mit Artilleriegranaten und anderen in den 1970er-Jahren hergestellten Waffen beliefert hat, teilt der Nationale Geheimdienst (NIS) mit. Sowohl ukrainische als auch US-amerikanische Beamte haben bereits bestätigt, dass Russland Waffen aus nordkoreanischer Produktion für Angriffe auf die Ukraine verwendet hat. „Der NIS analysiert die relevanten Umstände im Detail und verfolgt auch weiterhin die allgemeine militärische Zusammenarbeit zwischen Nordkorea und Russland“, so der Geheimdienst.
+++ 04:23 Ukraine: Russland erzielt „taktische Erfolge“ in Charkiw +++
Beim Vorstoß in der Region Charkiw hat Russland laut der ukrainischen Armee Erfolge erzielt. „Derzeit verzeichnet der Feind taktische Erfolge“, erklärt der ukrainische Generalstab im Onlinedienst Facebook. Insbesondere in der an der russischen Grenze gelegenen Stadt Wowtschansk gingen die Kämpfe demnach weiter. Die russische Armee hat dem Generalstab zufolge in die Region „bis zu fünf Bataillone“ verlegt.
Beschuss rund um die Uhr Russland erzielt „taktische Erfolge“ bei Charkiw
+++ 02:58 Kämpfe um ukrainische Grenzstadt Wowtschansk +++
Die Kämpfe in den Grenzdörfern der Region Charkiw konzentrieren sich nach ukrainischen Angaben nun auch auf Wowtschansk. Die russischen Streitkräfte hätten „ihren Beschuss von Wowtschansk verstärkt“, sagt der Gouverneur der Region Charkiw, Oleh Synehubow. Fast 6000 Einwohner seien aus dem Gebiet evakuiert worden. Mehrere russische Medien berichten, russische Streitkräfte seien in die Stadt eingerückt. Tamaz Gambaraschwili, Chef der Militärverwaltung von Wowtschansk, sagte, die Stadt bleibe unter ukrainischer Kontrolle, nachdem kleine Gruppen von Russen zurückgeschlagen worden seien. Russische Drohnen seien aber „ständig über Wowtschansk“. Die russischen Streitkräfte hätten „beträchtliche Kräfte für ihren Angriff auf die Stadt eingesetzt“ und nähmen „keine Rücksicht auf eigene Verluste“, erklärt der ukrainische Generalstab. Auf russischer Seite seien mindestens 100 Tote zu beklagen. Wowtschansk liegt etwa vier Kilometer von der Grenze zu Russland und 45 Kilometer von der Stadt Charkiw entfernt.
+++ 01:31 Litauens Präsident: Schoigu-Entlassung für russisches Publikum gedacht+++
Die Entlassung von Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu ist nach Einschätzung von Litauens Präsident Gitanas Nauseda als Zeichen für die russische Öffentlichkeit gedacht. „Dies geschieht für den heimischen Markt. Dies geschieht, um diesen Krieg fortsetzen zu können. Machen wir uns keine Illusionen darüber, dass Putin zu friedlichen Verhandlungen bereit ist“, sagt der Staatschef des baltischen EU- und NATO-Landes litauischen Medienberichten zufolge.
+++ 00:01 Blinken: Monatelange Verzögerung der Hilfe für die Ukraine hat ihren Preis +++
Zweifellos hat die „monatelange Verzögerung bei der Genehmigung des Nachtragshaushalts und der Lieferung von Ausrüstung an die Ukraine ihren Preis“, sagt US-Außenminister Antony Blinken gegenüber CBS News. Trotz der Rückschläge sagt Blinken, er glaube, dass die Ukraine „die Linie im Osten halten“ könne, da die russischen Truppen am 10. Mai eine neue Offensive im Gebiet Charkiw gestartet hätten. „Ich bin überzeugt, dass die Ukraine die Linie im Osten effektiv halten kann.“ Sie kann die Vorteile, die sie im Schwarzen Meer erlangt hat, weiter ausnutzen, indem sie so viel über das Schwarze Meer in die Welt transportiert wie vor der russischen Invasion in der Ukraine und indem sie die russischen Streitkräfte unter anderem auf der Krim in Schach hält, um es ihnen zu erschweren, diese Aggression fortzusetzen.
+++ 22:05 Putins langjähriger Chefdiplomat Lawrow bleibt +++
Nach 20 Jahren im Amt soll Sergej Lawrow auch künftig Russlands Außenminister bleiben. Der entsprechende Vorschlag von Kremlchef Wladimir Putin sei bereits beim Oberhaus des Parlaments eingegangen, teilte dieses auf Telegram mit. Der 74-Jährige ist bereits seit 2004 im Amt und damit einer der dienstältesten Außenminister weltweit. Der enge Vertraute Putins gilt als unentbehrlich für Russland in Krisenzeiten. Immer wieder war spekuliert worden, ob Lawrow angesichts dieser langen Amtszeit in der neuen Regierung, die aktuell in Russland gebildet wird, nicht mehr vertreten sein könnte. Stattdessen aber entließ Putin am Sonntagabend überraschend und mitten im Krieg seinen langjährigen Verteidigungsminister Sergej Schoigu.
+++ 21:29 Peskow erklärt, warum Putin Schoigu versetzt +++
Der 65-jährige Andrei Beloussow soll nach dem Willen von Staatsoberhaupt Wladimir Putin an die Spitze der russischen Kriegsmaschinerie rücken – indem er den altgedienten Sergej Schoigu als Verteidigungsminster ablöst. Kremlsprecher Dmitri Peskow begründet diesen Schritt, wie aus einer Meldung der russischen Staatsagentur TASS hervorgeht. Putins Entscheidung, einen Zivilbeamten zum Leiter des Verteidigungsministeriums zu ernennen, ist ihm zufolge in der Notwendigkeit begründet, Innovationen einzuführen. Die Wirtschaft des Sicherheitsblocks im Allgemeinen und des Verteidigungsministeriums im Besonderen soll demnach in die Wirtschaft des Landes integriert werden. Der in Kiew lebende Sicherheitsexperte Jimmy Rushton mutmaßt, dass Putins Entscheidung darin begründet liegt, dass er den Sieg in einer Überproduktion gegenüber der Ukraine und dem Westen liegend sehe.
+++ 21:05 Machtrochade in Moskau: Was passiert nun mit Sergej Schoigu? +++
Sergej Schoigu, der russische Verteidigungsminister seit 2012, soll sein Amt nach dem Willen von Staatsoberhaupt Wladimir Putin nicht mehr weiter ausüben. Schoigu soll nun Sicherheitsratssekretär Nikolai Patruschew ablösen. Patruschew erhalte eine neue Aufgabe, erklärte der Kreml. Die US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) hatte bereits vergangene Woche spekuliert, dass Putin die Macht von Schoigu beschneiden könnte. Kurz zuvor war Vize-Verteidigungsminister Timur Iwanow aufgrund von Korruptionsermittlungen verhaftet worden. Berichten zufolge pflegten Schoigu und Iwanow ein enges Verhältnis. Die langjährige Moskau-Korrespondentin Ina Ruck nennt das „quasi wegbefördert“. Mehr zum Stühlerücken in Moskau lesen Sie hier.
Alle früheren Entwicklungen können Sie hier nachlesen.
NACHT IM ÜBERBLICK – UKRAINE
ROUNDUP: Selenskyj gesteht schwierige Lage ein – Die Nacht im Überblick
KIEW (dpa-AFX) – Die ukrainischen Verteidiger und die russischen Invasoren liefern sich im äußersten Nordosten der Ukraine schwere Kämpfe. Die russische Offensive in der Region erfasse immer mehr Ortschaften, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj am Sonntagabend in seiner Videoansprache. „Es gibt Dörfer, die sich von einer „Grauzone“ in eine Kampfzone verwandelt haben, und die Besatzer versuchen, in einigen von ihnen Fuß zu fassen oder sie einfach zum weiteren Vormarsch zu nutzen“, beschrieb er die Lage. Das russische Militär versuche mit dieser Offensive und mit Vorstößen an anderen Frontabschnitten, die ukrainischen Kräfte auf das Äußerste zu strapazieren.
Vor allem sei die Lage rund um die Stadt Wowtschansk „äußerst schwierig“. Wowtschansk hatte ursprünglich knapp 19 000 Einwohner, von denen nach offiziellen Angaben noch knapp 500 in der unter Dauerfeuer liegenden Stadt ausharrten. Der Ort hat sich inzwischen zum Brennpunkt der aktuellen Kampfhandlungen entwickelt.
Selenskyj sprach von ukrainischen Gegenangriffen und erbittertem Widerstand der Streitkräfte seines Landes. „Unsere Aufgabe liegt auf der Hand – wir müssen dem Besatzer so viele Verluste wie möglich zufügen“, sagte er.
Zugleich warnte Selenskyj die ukrainische Bevölkerung vor unnötiger Panik. „Russische Informationsoperationen sind immer die Nahrung für russische Bodenoperationen“, sagte er. „Der Besatzer ernährt sich von Lügen und der daraus resultierenden Angst.“ Deshalb rate er, „sich nicht von Emotionen leiten zu lassen, nicht der Schlagzeile hinterherzulaufen, jede Meldung zu überprüfen und nach Informationen zu suchen, nicht nach Emotionen oder Gerüchten, und den ukrainischen Verteidigungskräften zu vertrauen“.
US-Außenminister: Ukraine kann Linien halten
US-Außenminister Antony Blinken gab sich in einem Interview des Senders CBS überzeugt, dass die ukrainischen Streitkräfte ihre Stellungen bei Charkiw halten würden. Auch an anderen Fronten werde sich die Ukraine der russischen Aggression erfolgreich entgegenstellen. Auch blieben die USA an der Seite der Ukraine, ebenso wie über 50 andere Staaten, die das Land unterstützten. „Das wird auch so bleiben, und wenn (Kremlchef Wladimir) Putin denkt, dass er die Ukraine und ihre Unterstützer überdauern wird, dann irrt er sich.“
Tote und Verletzte Wohnhaus in russischer Grenzregion Belgorod
In der an Charkiw grenzenden russischen Grenzregion Belgorod starben am Sonntag mindestens 13 Menschen bei mehreren Angriffen. Zunächst wurde ein mehrstöckiges Wohnhaus bei einem Angriff schwer beschädigt. Russlands Verteidigungsministerium teilte mit, das Haus sei von herabstürzenden Trümmern einer ukrainischen Totschka-U-Rakete getroffen worden. Unabhängig überprüft werden konnte das zunächst nicht. Im Verlauf der Bergungsarbeiten gab es erneut Raketenalarm. Nach Militärangaben wurden mehrere Flugkörper abgefangen. Allerdings habe es bei diesen neuen Angriffen weitere Opfer gegeben. Die Zahl der Verletzten der diversen Angriffe wurde mit 31 angegeben.
Am Abend wurden auch aus der Region Kursk Angriffe der ukrainischen Streitkräfte gemeldet. Dabei seien mindestens sieben Menschen verletzt worden, teilten die Behörden der Agentur Tass mit. Die in der Nähe der Grenze zur Ukraine liegenden Regionen sind in den vergangenen Monaten wiederholt mit Raketen und Artillerie angegriffen worden.
Das wird am Montag wichtig
Bundeskanzler Olaf Scholz trifft sich am Montag in Schweden mit den Regierungschefs von Schweden, Dänemark, Finnland, Island und Norwegen. Dabei geht es unter anderem um die Sicherheitslage in Europa und die Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland./cha/DP/zb
WEITERE UKRAINE-MELDUNGEN
Ukraine evakuiert 4000 Menschen aus Grenzregion Charkiw
CHARKIW (dpa-AFX) – Angesichts der derzeitigen russischen Offensive sollen Tausende Bewohner der ostukrainischen Grenzregion Charkiw in Sicherheit gebracht werden. Rund 4000 Menschen seien innerhalb der letzten zwei Tage bereits evakuiert worden, schrieb der Gouverneur von Charkiw, Oleh Synjehubow, am Sonntag auf Telegram. Viele von ihnen könnten bei Freunden und Verwandten untergekommen, für andere würden Unterkünfte bereitgestellt. Synjehubow veröffentlichte auch Fotos von Menschen, die sich mit Gepäck und teils mit Haustieren an Sammelpunkten eingefunden hatten.
Nach mehr als zwei Jahren russischem Angriffskrieg und zwischenzeitlich stockender internationaler Hilfe befindet sich die Ukraine derzeit in einer besonders schwierigen Lage. In der Nacht zum Freitag starteten russische Truppen übereinstimmenden Berichten zufolge im Grenzgebiet zur ukrainischen Millionenstadt Charkiw eine Offensive. Laut russischem Verteidigungsministerium wurden dabei mehrere ukrainische Grenzdörfer bei der Stadt Wowtschansk besetzt. Am Sonntag meldete Moskau die Einnahme von vier weiteren Ortschaften./haw/DP/he
Treuer Gefährte: Russlands Präsident Putin will Ministerpräsident Mischustin nahe bei sich behalten – 10.5.2024
Der russische Präsident Wladimir Putin will den Ministerpräsidenten Michail Mischustin im Amt behalten. Dass die russische Staatsduma Michail Mischustin absegnet, ist so gut wie sicher. Anders steht es um den russischen Verteidigungsminister Schoigu.
Der russische Präsident Wladimir Putin hat dem russischen Ministerpräsidenten Michail Mischustin vorgeschlagen, in der neuen Amtsperiode Regierungschef zu bleiben. Dies ist ein weithin erwarteter Schritt: Mischustin ist ein Technokrat, der kaum Schatten auf den Staatschef wirft.
„Ich bin zuversichtlich, dass wir unter Ihrer Führung alle gestellten Aufgaben lösen werden.“ – Michail Mischustin, Russischer Ministerpräsident
Mischustin versicherte Putin, dass die Regierung ihre Arbeit ohne Unterbrechung fortsetzen und sich dabei von den neuen Dekreten des Präsidenten vom Mai leiten lassen werde.
„Wir werden alles tun, um unsere Wirtschaft weiterzuentwickeln und um das Vertrauen unseres Volkes zu stärken. Ich bin zuversichtlich, dass wir unter Ihrer Führung alle gestellten Aufgaben lösen werden“, sagte Mischustin.
Mischustin hat trotz Sanktionen für stabile Wirtschaft in Russland gesorgt
Mischustin und anderen Technokraten im Kabinett wird zugute gehalten, dass sie trotz der harten Sanktionen des Westens wegen Russlands Angriffskrieg in der Ukraine für eine relativ stabile Wirtschaftsleistung gesorgt haben.
Im Einklang mit der russischen Verfassung reichte der 58-jährige Mischustin, der das Amt des russischen Ministerpräsidenten seit vier Jahren innehatte, am Dienstag den Rücktritt seines Kabinetts ein. Gleichzeitig begann nach einer glanzvollen Amtseinführung im Kreml Putins fünfte Amtszeit als Präsident.
Mischustin, der frühere Leiter der russischen Steuerbehörde, hielt sich mit politischen Äußerungen zurück und vermied während seiner vorherigen Amtszeit Interviews mit den Medien.
Der Sprecher der Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, gab bekannt, dass Putin die Kandidatur Mischustins vorgechlagen hat, die im Laufe einer Sitzung noch an diesem Freitag geprüft werden sollte.
Putin hat bereits angedeutet, dass die russische Staatsduma Michail Mischustin unterstützen wird.
Schoigu bewegt sich auf dünnem Eis
Es wird erwartet, dass die meisten Kabinettsmitglieder ihre Posten behalten, aber es war nicht klar, ob Verteidigungsminister Sergei Schoigu nach der Festnahme seines wichtigsten Mitarbeiters, Vize-Verteidigungsminister Timur Iwanow, im vergangenen Monat auf seinem Posten bleiben kann.
Iwanow, der als stellvertretender Verteidigungsminister für umfangreiche militärische Bauprojekte zuständig war, wurde unter dem Vorwurf der Bestechung verhaftet und sitzt in Untersuchungshaft.
Die Verhaftung von Iwanow wurde weithin als Angriff auf Schoigu und als möglicher Vorläufer seiner Entlassung interpretiert, obwohl er enge persönliche Beziehungen zu Putin unterhält.
Schoigu wurde für die Rückschläge des russischen Militärs in der Anfangsphase der Kämpfe in der Ukraine heftig kritisiert. Er sah sich scharfen Angriffen des Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin ausgesetzt, der vor fast einem Jahr mit seinen Söldner rebellierte, um die Absetzung Schoigus und des Generalstabschefs Waleri Gerassimow zu fordern.
Nach Prigoschins Tod bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz zwei Monate nach dem Aufstand – der weithin als Racheakt des Kremls angesehen wurde – schien Schoigu seine Position zu festigen. Doch die Verhaftung Iwanows, die von vielen als Teil der politischen Machtkämpfe im Kreml interpretiert wurde, zeigte erneut Schoigus Verwundbarkeit.
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Bevor Ungarn blockt: EU plant erste Sanktionen gegen Gas aus Russland
Nach Kohle und Öl will die EU auch Gas aus Russland mit Sanktionen belegen. Ein Experte erklärt, warum damit so lange gewartet wurde.
Zum ersten Mal stehen Sanktionen gegen russisches Gas auf der Tagesordnung der EU. Doch bisher wird nur über begrenzte Schritte nachgedacht: Die EU-Länder könnten weiterhin russisches Flüssiggas kaufen, dürfen es aber nach der Umwandlung nicht weiter exportieren.
Bisher sind nur Kohle und Öl von den Sanktionen betroffen. Und die EU will negative Folgen für die Wirtschaft vermeiden. Der Experte glaubt, dass der Preisschock jetzt „ziemlich klein und begrenzt“ sein wird und erklärt, warum die EU beim Gas gewartet hat.
Warum hat die EU so lange mit Sanktionen gegen russisches Gas gewartet?
Giovanni Sgaravatti ist Energieexperte bei der Denkfabrik Bruegel. Er erklärt im Gespräch mit Euronews: „Da die Speicher im Grunde genommen an sehr sicheren Orten sind und die EU mit den neuen Lieferanten einen neuen Vertrag abgeschlossen hat, hat sie das Gefühl, dass sie mit Sanktionen gegen russisches Gas beginnen kann. Ich denke, der Grund für alle Sanktionen ist, dass wir Russland mehr schaden wollen als uns selbst. Aus diesem Grund wurde Erdgas noch nie mit Sanktionen belegt.“
Während die EU ihre Abhängigkeit von russischem Gas nach EU-Angaben von 40 % im Jahr 2021 auf 8 % im vergangenen Jahr reduziert hat, sind die LNG-Importe zuletzt gestiegen. Besonders in Ländern wie Belgien und Spanien.
Der Reexport, auch bekannt als Umschlag, ist nach wie vor wichtig.
Bruegel-Analyst Giovanni Sgaravatt sagt: „Russland exportiert jährlich LNG im Wert von etwa 8 bis 9 Milliarden Euro in die EU. Ich glaube, im Jahr 2023 waren es 8 Milliarden Euro. Und der Umschlag macht immer noch einen beträchtlichen Teil davon aus, nämlich 10 bis 15 % der Gesamtexporte des Yamal-LNG-Terminals. Es hat also das Potenzial, diese Unternehmen zu beeinträchtigen.“
Bevor Ungarn den EU-Ratsvorsitz übernimmt…
Die EU-Botschafter haben an diesen Mittwoch eine erste Diskussion über das 14. Sanktionspaket gegen Russland geführt. Es soll verabschiedet werden, bevor Ungarn im kommenden Juli die Ratspräsidentschaft übernimmt, da sich Budapest bereits gegen die vorherigen Pakete ausgesprochen hat.
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MELDUNGEN
09:31 | ÜBERBLICK am Morgen/Konjunktur, Zentralbanken, Politik | Dow Jones News | |
08:52 | Übernachtungszahlen steigen im März auf Rekordwert | Dow Jones News | |
07:19 | PRESSESPIEGEL/Zinsen, Konjunktur, Kapitalmärkte, Branchen METALLE – Nach einer langen Periode der Preisstabilität sind die Kurse der wichtigsten Industriemetalle im April sprunghaft gestiegen. Die leichte Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar hat diesen Effekt noch verschärft. Der Industriemetallpreis-Index (IMP-Index) des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat im April um 9,5 Prozent zugelegt. Das ist der stärkste Anstieg seit März 2022. Damit geht eine lange Phase relativer Stabilität zu Ende. Seit über anderthalb Jahren pendelte der Index zumeist um die 500-Punkte-Marke. Hintergrund des jüngsten Preisanstiegs könnten höhere Nachfrageerwartungen bei begrenzten Angebotskapazitäten sein. (Börsen-Zeitung) | Dow Jones News | |
So | USA: Verhandlungen über Waffenruhe im Gaza-Krieg in Sackgasse | dpa-AFX |
WEITERE MELDUNGEN
Verluste doppelt geltend gemacht: Trump droht gigantische Steuernachzahlung
Dass er trotz seines Milliardenvermögens in der Vergangenheit nur wenig Steuern zahlte, hat Donald Trump stets als Beleg für seine Cleverness dargestellt. In einem Fall könnte er es mit der steuerlichen Optimierung allerdings zu weit getrieben haben.
Dem früheren US-Präsidenten Donald Trump droht möglicherweise eine Steuernachzahlung in Höhe von 100 Millionen Dollar (93 Millionen Euro). Wie die „New York Times“ in Zusammenarbeit mit der Investigativ-Plattform „ProPublica“ berichtete, soll er einen Verlust bei einem Bauprojekt in Chicago doppelt geltend gemacht haben, um auf diese Weise Steuern zu sparen. Die beiden Medienhäuser beziehen sich dabei auf eine Untersuchung der US-Bundessteuerbehörde Internal Revenue Service (IRS).
Bei der Immobilie handelt es sich um einen 92-geschossigen Glas-Wolkenkratzer am Chicago River, laut „New York Times“ das höchste und bisher auch letzte größere Bauprojekt Trumps. Dort sollten unter anderem Eigentumswohnungen entstehen. Durch eine Kombination aus Kostenüberschreitungen und der schweren Rezession 2009 als Folge der Finanzkrise habe der damalige Immobilienunternehmer und heutige Politiker aber hohe Verluste eingefahren. Laut dem Zeitungsbericht schrieb er die gleichen Verluste zweimal ab.
Trumps Sohn Eric als Vizepräsident der Trump Organization sagte der Zeitung in einer Stellungnahme, dass die Angelegenheit vor Jahren abgeschlossen worden sei. „Wir sind zuversichtlich in unserer Haltung“, sagte Trump Jr. Ein Sprecher der IRS sagte, dass es der Behörde gesetzlich untersagt sei, sich zu Angelegenheiten privater Steuerzahler zu äußern.
Trump hat sich damit gebrüstet, in der Zeit vor seiner Präsidentschaft jahrelang wenig oder gar keine Bundessteuern gezahlt zu haben, indem er Verluste aus Teilen seines Geschäftsimperiums geltend machte. Trump hatte die USA von 2017 bis 2021 regiert und stellt sich nach seiner Abwahl nun erneut zu Wahl. Bei der Präsidentenwahl im November läuft es auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen ihm und dem demokratischen Amtsinhaber Joe Biden hinaus. Quelle: ntv.de, mbo/dpa
EU-Wahl – Akademien fordern „robuste, offene und freie“ Wissenschaft
Anlässlich der bevorstehenden Europawahl im Juni unterstrichen die nationalen Wissenschaftsakademien aus den 27 EU-Mitgliedstaaten in einem am Montag veröffentlichten Offenen Brief, wie wichtig „ein robustes, offenes und freies Wissenschaftssystem“ für Europas Zukunft sei. Wissenschaft und Innovation seien von zentraler Bedeutung für die Freiheit und die Widerstandsfähigkeit der EU, für ihre globale Wettbewerbsfähigkeit und ihren Wohlstand, heißt es darin.
Ziel müsse es sein, „den offenen und international kooperativen Charakter der wissenschaftlichen Bemühungen zu bewahren, in die gesamte Bandbreite der Wissenschaft zu investieren und zu gewährleisten, dass die Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse in politische Maßnahmen erfolgt“. Die Unterzeichner, darunter Heinz Faßmann, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), sprechen sich u.a. für Investitionen von zumindest 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Wissenschaft und Forschung aus. Österreich erreicht mit der jüngst von der Statistik Austria geschätzten Forschungsquote von 3,34 Prozent für das Jahr 2024 – als eines von wenigen Ländern – erneut das gesteckte Ziel.
„Die Freiheit von Wissenschaft und Forschung sowie die Autonomie von wissenschaftlichen Einrichtungen sind keine Selbstverständlichkeit“, wurde der ÖAW-Präsident in einer Aussendung zitiert: Man wolle mit dem Offenen Brief darauf aufmerksam machen, „dass dieses hohe Gut der Europäischen Union bewahrt werden muss, auch wenn sich die Kräfteverhältnisse nach den EU-Wahlen zugunsten der politischen Ränder verändern sollten“. Ebenso verwies Faßmann auf die Notwendigkeit einer „ausreichenden Dotierung“, um „die Führungsrolle Europas in Wissenschaft und Forschung zu sichern“.
Die nationalen Wissenschaftsakademien fordern zudem, dass die Mitgliedstaaten und die EU-Institutionen wissenschaftliche Erkenntnisse „kontinuierlich und mit Bedacht in ihrer Politikgestaltung“ nutzen, etwa auch, um die großen Herausforderungen wie Klimawandel, internationale Migration oder Ernährungssicherheit anzugehen – sie seien so komplex, „dass sie ohne Wissenschaft und ohne einen vertrauensvollen Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaftsakteuren nicht wirksam in Angriff genommen werden können“.
Service: Offener Brief im Wortlaut: https://www.oeaw.ac.at/fileadmin/NEWS/2024/pdf/
DEUTSCHLAND – WAHLUMFRAGEN
Übernachtungszahlen steigen im März auf Rekordwert
WIESBADEN (Dow Jones)–Die Beherbergungsbetriebe in Deutschland haben im März 35,6 Millionen Übernachtungen in- und ausländischer Gäste verzeichnet. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilte, waren das 12,3 Prozent mehr als im März des Vorjahres und damit die größte Zahl an Übernachtungen, die jemals für einen März registriert wurde. Der bisherige Höchstwert aus dem Jahr 2018 von 33,1 Millionen Übernachtungen wurde um 2,5 Millionen beziehungsweise 7,5 Prozent übertroffen.
Die Zahl der Übernachtungen von Gästen aus dem Inland stieg im März gegenüber dem Vorjahresmonat um 13,2 Prozent auf 30,1 Millionen. Dieser Anstieg dürfte auch damit zusammenhängen, dass im März dieses Jahres in allen Bundesländern außer in Schleswig-Holstein bereits die Osterferien begonnen hatten. Die Zahl der Übernachtungen von Gästen aus dem Ausland stieg unterdessen um 7,8 Prozent auf 5,5 Millionen.
Im ersten Quartal 2024 konnten die Beherbergungsbetriebe insgesamt 88,9 Millionen Übernachtungen verbuchen. Auch das ist der höchste jemals erfasste Wert für das erste Quartal eines Jahres und eine Zunahme von 8,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die Zahl der Übernachtungen von Gästen aus dem Inland stieg dabei um 8,5 Prozent auf 73,9 Millionen. Bei den Gästen aus dem Ausland stieg die Zahl um 7,8 Prozent auf 15,0 Millionen.
Umfrage unter Firmen Unternehmen klagen über häufige Stromausfälle
Strom ist in Deutschland nicht nur teuer. Die Versorgung damit ist bei manchen Betrieben auch unzuverlässig. Laut einer Umfrage der DIHK häufen sich insbesondere die Klagen aus der Industrie.
Viele Firmen in Deutschland klagen über Probleme durch kurzfristige Stromausfälle. Dies ergab eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) bei knapp tausend Unternehmen. 42 Prozent verzeichneten demnach im vergangenen Jahr Stromausfälle unter einer Dauer von drei Minuten, 28 Prozent auch länger dauernde Stromausfälle. Mehrfachnennungen waren dabei durch die Firmen möglich.
Auch wenn vor allem diejenigen Firmen teilgenommen hätten, die von Stromausfällen besonders betroffen seien, zeige die Umfrage, „dass Stromausfälle in Deutschland häufig vorkommen“. Laut einem Sprecher häufen sich insbesondere die Klagen aus der Industrie. Denn diese reagiere etwa wegen der Störung durchlaufender Produktionsprozesse besonders sensibel.
Stromausfälle könnten dabei erhebliche finanzielle Auswirkungen wie Produktionsstopps oder Maschinenschäden haben, erklärte die DIHK. Für ein Drittel der teilnehmenden Unternehmen (32 Prozent) verursachten demnach die Stromausfälle zusätzliche Kosten von bis zu 10.000 Euro. Für 15 Prozent der Befragten beliefen sich die Kosten auf 10.000 bis 100.000 Euro. Ein kleiner weiterer Anteil (zwei Prozent) bezifferte die Folgekosten auf über 100.000 Euro.
DIHK fordert Auskunftsrecht zu Ursachen
In der Hälfte der Unternehmen entstanden durch die Stromausfälle allerdings keine zusätzlichen Kosten, hieß es. Dies liege auch an bereits eingerichteten Absicherungen. Laut Umfrage richteten als Reaktion auf Stromschwankungen im vergangenen Jahr nochmals sieben Prozent der Betriebe Notstromaggregate ein und elf Prozent Energiespeicher.
Bei den Ursachen für Stromausfälle nannten die meisten Umfrageteilnehmer Kabelschäden und Bauarbeiten (13 Prozent), fast ebenso viele sahen aber auch die Netzbetreiber als Verantwortliche (11 Prozent). Acht Prozent konnten die Ausfälle auf Gewitter und drei Prozent auf Netzschwankungen zurückführen. Zwei Drittel der Unternehmen konnten jedoch keine Ursache identifizieren.
„Solange Unternehmen die Ursachen für den Großteil der Stromausfälle nicht kennen, werden Zweifel an der Zuverlässigkeit der Netze wachsen“, sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks der „Welt am Sonntag“. Die Organisation schlägt daher ein Auskunftsrecht über die Ursachen von Stromausfällen und das Überarbeiten der Entschädigungsregelungen vor. Wichtig wäre laut Dercks auch ein Stichproben-Monitoring der Bundesnetzagentur für Stromausfälle unter drei Minuten. Quelle: ntv.de, mbo/AFP
Immobilienpreisentwicklung in ausgewählten Städten von 1984 bis 2023
(Y-Achse = Quadratmeterpreise in Euro, X-Achse-Jahreszahlen, unterschiedlich gefärbte Linien = diverse Stadtbezirke)
Die Preise stiegen stärker um 2008 und besonders stark nach dem Beginn der starken Zinssenkungen in der Finanzkrise, die am 15. September 2008 mit dem Zusammenbruch der Lehman Brothers Bank ihren Lauf nahm. Zuvor waren seit dem 9. August 2007 die Interbankenzinssätze stark gestiegen, was in den USA eine Immobilienkrise auslöste.
Was zunächst sinnvolle Geldpolitik war, entpuppte sich in den Jahren bis zur Energiekrise 2022/2023 als politisch durchaus gewünschte Maßnahme zur Wirtschaftsankurbelung. Folge war eine Umverteilung von unten nach oben: starke Kapitalhalter gönnten sich billige Kredite für Immobilienkäufe.
Frankfurt:
München:
Düsseldorf:
GREIX Stadtteile 2023 – Kölner Innenstadt doppelt so teuer wie Außenbezirke, geringste Preisunterschiede in Stuttgart (inkl. Schaubildern)
Die Kaufpreise für Eigentumswohnungen in deutschen Städten variieren zwischen den jeweiligen Vierteln erheblich. Teuer sind vor allem die Innenstädte, wo der Quadratmeterpreis gegenüber Randlagen oder unbeliebten Vierteln doppelt so hoch sein kann. Im Umkehrschluss bedeuten die großen Preisspannen, dass praktisch alle deutschen Großstädte nach wie vor verhältnismäßig günstige Lagen für Käufer bereithalten. Ausnahme ist München, wo das günstigste Viertel teurer ist als das teuerste Viertel aller anderen Großstädte. Dies zeigt die jüngste Auswertung des German Real Estate Index (GREIX) zu Immobilienpreisen auf Stadtteilebene im Jahr 2023.
Der GREIX ist ein Gemeinschaftsprojekt der Gutachterausschüsse für Grundstückswerte, ECONtribute und dem IfW Kiel. Dabei werden die Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse, die notariell beglaubigte Verkaufspreise enthalten, nach aktuellen wissenschaftlichen Standards ausgewertet. Alle Daten für momentan 19 Städte und ihre Stadtteile sind frei verfügbar unter www.greix.de.
Besonders groß sind die Preisunterschiede für Eigentumswohnungen zwischen dem teuersten und dem günstigsten Stadtbezirk in Köln (Köln-Innenstadt vs. Köln-Porz) und Hamburg (Hamburg-Nord vs. Hamburg-Harburg).
Die Auswertung des GREIX verläuft nicht immer entlang der amtlichen Stadtbezirke, sondern fasst ähnliche Wohngegenden zusammen, um mehr Transaktionen und somit eine bessere Datenqualität zu haben.
Käufer bezahlten in den beiden Städten 2023 im innerstädtischen Vergleich fast den doppelten Quadratmeterpreis für das beliebtere Viertel, in Köln beispielsweise ca. 5.600 €/m² in der Innenstadt und ca. 2.800 €/m² in Porz. Ähnlich hoch war der Preisaufschlag mit 90 Prozent in Berlin (Berlin-Mitte vs. Berlin-West).
Am dichtesten beisammen sind die Preise in Stuttgart, aber auch hier ist ein spürbarer Abstand vorhanden. Der Quadratmeter kostete 2023 im teuersten Stadtviertel gut 35 Prozent mehr als im günstigsten (Stuttgart-Mitte-Nord 5.200 €/m² vs. Stuttgart-Neckar-Ost 3.800 €/m²).
Preisveränderung einzelner Stadtteile: uneinheitliches Bild
„Die Wohnsituation in den deutschen Städten bleibt angespannt, auch wenn die Preise gegenüber 2022 im Schnitt um fast 10 Prozent nachgegeben haben. Für Normalverdiener sind Eigentumswohnungen in zentralen, gut angebundenen Lagen kaum noch erschwinglich. Das ist insbesondere ein Problem, wenn Fachkräfte aus In- und Ausland zum Umzug bewegt werden sollen. Stadtplaner könnten durch eine bessere Anbindung der weniger beliebten und teilweise noch bezahlbaren Randbezirke Abhilfe schaffen“, sagt Jonas Zdrzalek, Kiel Institute Researcher und Projektleiter für den GREIX.
Der innerstädtische Vergleich zeigt auch, dass praktisch alle Städte verhältnismäßig günstige Ausweichmöglichkeiten zu den teuren, meist zentralen Lagen für Kaufinteressenten bieten. In den günstigen Stadtteilen liegen die Quadratmeterpreise in allen Großstädten unterhalb des GREIX-Durchschnitts für 19 Städte von rund 5.000 €/m². Ausnahme ist München. Hier lag der Quadratmeterpreis 2023 im günstigsten Viertel Perlach-Berg am Laim mit 7.200 €/m² über dem teuersten Viertel in allen anderen deutschen Großstädten. In Münchens teuerstem Viertel, Altstadt-Maxvorstadt, kostete der Quadratmeter im Durchschnitt 12.100 €.
Hinweis: Die jüngsten Daten für München sind vom 3. Quartal 2023
Mit Blick auf die Preisentwicklung einzelner Stadtteile gegenüber dem Vorjahr ist das Bild uneinheitlich und kein Muster erkennbar. In Düsseldorf beispielsweise waren die Preise für Eigentumswohnungen im teuren Viertel Unterbilk-Friedrichsstadt am stabilsten, und im günstigen Viertel Bilk-Oberbilk sind sie am deutlichsten.
In Frankfurt a.M. ist es genau umgekehrt, das günstige Viertel Nord-West am Stadtrand war am wertstabilsten, das teure Innenstadtviertel Mitte-West verzeichnete den höchsten Verlust.
In historischer Perspektive ist die Preisschere zwischen teuren und günstigen Vierteln während der letzten 20 Jahre deutlich auseinandergegangen. Seit gut 10 Jahren schließt sie sich allerdings wieder etwas, weil mittlerweile auch die Preise in weniger begehrten Lagen spürbar angezogen haben.
In den 1990er Jahren lag der Quadratmeterpreis im teuersten Viertel einer Stadt im Durchschnitt rund 30 Prozent über dem im günstigsten. 2023 waren es knapp 70 Prozent. Damit hat sich die Preisspanne seit den 90er Jahren bis heute mehr als verdoppelt.
Jetzt Kurzbericht lesen: GREIX – Erhebliche Preisunterschiede innerhalb von Städten
Studie: Verkehrswende wird bei weiterem Zögern deutlich teurer
BERLIN (dpa-AFX) – Je länger die Politik mit Maßnahmen für einen klimaneutralen Verkehr zögert, umso teurer wird die Verkehrswende einer Studie zufolge schließlich werden. „Politisches Zögern hat einen Preis“, heißt es in der Analyse der Agora Verkehrswende, einer gemeinnützigen Organisation für wissenschaftliche Politikberatung. „Der Preis bemisst sich entweder in Geld oder in Treibhausgasen, mit all den damit verbundenen Risiken.“ Mit einer zeitnahen ambitionierten Klimapolitik für den Verkehrssektor könnte die Bundesregierung hingegen sogar etwas sparen im Vergleich zu einem verkehrspolitischen Weiter-so. Aktuelle Maßnahmen verfehlen Ziele
In der Studie untersuchte die Organisation drei verschiedene Szenarien mit unterschiedlich weitreichenden Klimaschutz-Maßnahmen im Verkehrssektor. Als Referenzszenario diente dabei die aktuelle Verkehrswende-Politik einschließlich geplanter, aber noch nicht beschlossener Maßnahmen. „In diesem Referenzszenario sinken die Treibhausgasemissionen des Verkehrs bis 2030 auf 111 Millionen Tonnen und bis 2045 auf rund 15 Millionen Tonnen“, schreiben die Autoren. Damit werde sowohl das Klimaziel für den Verkehrssektor für 2030 sowie das Nullemissionsziel für 2045 verfehlt.
Zwei weitergehende Szenarien beruhen auf der Annahme, dass ambitioniertere Klimaschutz-Programme ab 2025 (Szenario „Wende 2025“) beziehungsweise ab 2030 („Wende 2030“) aufgelegt werden. In diesen beiden Varianten würde die Klimaneutralität im Verkehr bis 2045 erreicht. Das „Wende 2030“-Szenario wäre dabei aber mit deutlich höheren Ausgaben verbunden – auch im Vergleich zum Referenzszenario, in dem alles so bleibt, wie aktuell. Schließlich müssten dort in kürzerer Zeit mehr Anstrengungen unternommen werden, um die Klimaneutralität noch zu erreichen.Alternativszenarien gehen von weniger Autoverkehr aus
Alle drei Szenarien gehen von der gleichen Menge an Mobilität aus. Doch diese verteilt sich je nach Variante unterschiedlich auf die einzelnen Verkehrsträger. Der öffentliche Verkehr – also der Bus-, Bahn-, Fahrrad- und Fußverkehr – spielt in den Szenarien 2025 und 2030 langfristig eine deutlich größere Rolle als beim Referenzszenario. Dort nimmt die Bedeutung des Autoverkehrs bis 2045 sogar zu. Hier steht nicht die Reduzierung des Autoverkehrs im Vordergrund, sondern der Ersatz von Verbrennern durch Elektroantriebe.
Dabei liegt der Elektroanteil beim „Wende 2025“-Szenario deutlich höher als im Referenzszenario und am höchsten in der Variante „Wende 2030“. Beide Wege gehen aber von einer deutlichen Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs aus.Würde die Bundesregierung alles so weiterlaufen lassen wie bisher, müsste sie für die Verkehrswende bis 2045 rund 9,7 Billionen Euro ausgeben – indirekte Kosten für Klimaschäden infolge des weiteren CO2-Ausstoßes mit eingerechnet. Die Klimaziele im Verkehrssektor würde sie trotz dieser enormen Summe verfehlen. Etwas günstiger käme sie weg, wenn sie spätestens ab 2025 Maßnahmen ergreift, mit denen sich das Nullemissionsziel im Verkehr innerhalb der nächsten 20 Jahre noch erreichen ließe. Aufgrund der geringeren Klimaschäden sparte die Regierung in diesem Szenario rund 60 Milliarden Euro.
Spätes Umlenken wird teuer
Deutlich teurer wird ein Umlenken ab 2030. Zwar könnte auch dann noch das Klimaziel erreicht werden. Allerdings bräuchte es dafür größere und vor allem teurere Anstrengungen. Mehr als eine halbe Billion Euro mehr müsste die Bundesregierung dafür aufbringen im Vergleich zu der Situation, in der sich nichts an der Planung ändert.
„Wenn wir schnell und entschlossen handeln, kann der Verkehrssektor bis 2045 klimaneutral werden“, sagte die stellvertretende Direktorin der Agora Verkehrswende, Wiebke Zimmer. „Das gelingt ohne Mehrkosten im Zeitraum bis 2045.“ Anfangs brauche es höhere Investitionen, in Summe aber nicht mehr Geld. „Vor allem braucht es mehr politischen Willen“, betonte Zimmer./maa/DP/he Quelle: dpa-AFX
ÖSTERREICH – WAHLUMFRAGEN
„Exporte im Februar 2024 weiter gestiegen“
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„Insolvenzen zu Jahresbeginn 2024 auf Rekordniveau“
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„Zahl der offenen Stellen wieder gestiegen“
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„Umweltbranche erwirtschafte 2022 53 Mrd. Euro“
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„15 % mehr Pkw-Neuzulassungen im April 2024“
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Rezession im produzierenden Bereich hält an – Vorlaufindikatoren verbessern sich
Laut WIFO-Schnellschätzung stieg die österreichische Wirtschaftsleistung im I. Quartal 2024 um lediglich 0,2% gegenüber dem Vorquartal. Damit hat sich die Konjunktur nach der Stagnation des BIP im IV. Quartal 2023 kaum verbessert. Die Rezession in der Industrie und im Bauwesen hielt weiter an, nur die Marktdienstleistungen expandierten. Für das II. Quartal deuten Vorlaufindikatoren auf eine Fortsetzung der zaghaften Erholung hin. …
Lange MRT-Wartezeiten – Radiologe: „Zu wenig Geräte in Österreich“
Lange Wartezeiten auf MRT- und CT-Untersuchungen haben 2017 zur Ergreifung von Maßnahmen geführt, sieben Jahre später häufen sich nun wieder Berichte über späte Terminvergaben. „Wir haben zu wenig Gerätekapazität in Österreich“, erläuterte der Radiologe Franz Frühwald im APA-Gespräch. Die Zahl der Kassengeräte sei durch den Großgeräteplan limitiert. Die Untersuchungsdauer wurde mit neuen Tomographen zwar verkürzt, diese werden jedoch für immer mehr Diagnosen benötigt
Probleme wurden in Medienberichten zuletzt vor allem bei Magnetresonanztomographien (MR/MRT) in Wien gemeldet. Bis zu rund 60 Tage müssen Betroffene in Diagnosezentren in der Bundeshauptstadt auf eine MRT-Untersuchung warten, geht aus der Online-Wartezeitenabfrage der Sozialversicherung hervor. Ähnliche Zeiträume weist das Portal aber beispielsweise auch für Institute in Vorarlberg aus.
Im Jahr 2017 hatte die damalige Gesundheitsministerin Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) Maßnahmen eingeleitet, um Computertomographie-Untersuchungen (CT) binnen maximal zehn und MRT-Untersuchungen innerhalb von höchstens 20 Arbeitstagen zuzusichern, in dringenden Fällen schneller. Die Lage für die Patientinnen und Patienten besserte sich daraufhin. Die Situation sei damals eine andere gewesen, berichtete Frühwald. Alle Institute hatten gedeckelte Verträge und wurden nach dem Erreichen des Vorjahresumsatzes nicht mehr honoriert, wodurch die technisch möglichen Kapazitäten nicht ausgereizt wurden.
Auslastung bei 100 Prozent
„Jetzt haben wir die Situation, dass alle Geräte, die es außerhalb der Krankenhäuser gibt, 100 Prozent voll ausgelastet arbeiten“, sagte der Leiter eines Diagnoseinstituts in St. Pölten. In immer mehr medizinischen Behandlungsleitlinien ist beim Verdacht auf bestimmte Krankheiten oder Verletzungen ein MRT gefordert, weil auf einem Röntgen beispielsweise nur eine von zehn möglichen Diagnosen zu erkennen sei, erklärte Frühwald zum gestiegen Bedarf solcher Untersuchungen. Hinzu komme Personalmangel, „der derzeit die Situation schwierig macht und zu weiteren Wartezeiten führt“.
„Wir werden mit der Beschleunigung der Geräte die Wartezeit-Problematik nicht beheben können“, führte der Universitätsdozent weiter aus. In den Anfängen der MR-Technologie gab es „Timeslots“ von 90 Minuten pro Patient, mittlerweile sind wir herunten auf zehn bis 15 Minuten, sagte Joachim Bogner, Geschäftsführer des Medizingeräteherstellers Siemens Healthineers Österreich, in dem Gespräch mit der APA. Durch Innovationen und u.a. mithilfe Künstlicher Intelligenz konnte die Untersuchungsdauer verkürzt werden, ohne die Qualität der Körperschnittbilder zu drücken. Das hilft, mehr Patienten pro Gerät zu untersuchen, aber „natürlich ist die Technik jetzt nicht das alleinige Allheilmittel“, sagte Bogner.
Entscheidungskriterien beim Großgeräteplan als Problem
„Schuld ist der Großgeräteplan“, hielt Frühwald fest. Hier werde zwischen Sozialversicherung und Landesregierung entschieden, „wo etwas hinkommt“, nahm der Mediziner die Politik in die Pflicht. Die Entscheidungskriterien seien „sehr wenig nachvollziehbar“. Das Ergebnis ist, dass es außerhalb von Spitälern „dramatisch“ an Geräten fehlt, „die man insbesondere in der MRT-Krise brauchen würde, um dieser Situation Herr zu werden“, sagte Frühwald.
Private MRT- und CT-Geräte sind nicht im Großgeräteplan geregelt, die Untersuchungskosten dafür werden aber auch nicht von der Sozialversicherung übernommen. „Es ist keineswegs das Ziel, zu erreichen, dass Patienten etwas dazu zahlen oder überhaupt die Kosten übernehmen müssen“, betonte Frühwald. Es sei aber zu beobachten, dass das Angebot zunehmend privat stattfindet und Betroffene, wenn sie schwer krank sind, sich das MRT selbst zahlen, sagte der Facharzt.
KI als Unterstützungstechnologie
Die Innovationen in der Medizintechnik betreffen vor allem die Geschwindigkeit, erläuterte Bogner von Siemens Healthineers. Bestehende Geräte können teilweise auch mit Updates hochgerüstet werden. KI hilft beispielsweise dabei, das „Rauschen“ bei der Aufnahme zu minimieren und so die Bildqualität zu verbessern. Mehr Forschung und Entwicklung brauche es noch in Sachen Künstlicher Intelligenz als „Unterstützungstechnologie“ bei der Diagnoseerstellung, berichtete Bogner. „Die Zahl der Radiologen wird größer, für die KI-Technologien eine immer wichtigere Rolle in ihrem Arbeitsalltag spielen“, beobachtet er.
Bei Untersuchungen des Brustkorbs werden beispielsweise Bildserien aus 3.000 bis 4.000 Einzelbildern erstellt, erläuterte Frühwald. „Die müssen Sie durchschauen, fast wie einen Film.“ Dabei sei es schwierig, alles zu erfassen. Algorithmen können hier helfen, „zumindest große Dinge auszuschließen“. Bei KI-unterstützten Mammographien zur Brustkrebsfrüherkennung gebe es aber beispielsweise Systeme mit hoher Falsch-Positiv-Rate. Letztverantwortlich ist nach wie vor der diagnostizierende Arzt, betonte der Radiologe.
Auch die Strahlenbelastung bei CT-Geräten wurde über die Jahre verringert, ebenso bei allen anderen Röntgengeräten. Deshalb hatte der Berufsfachverband für Radiologietechnologie in Österreich kürzlich eine Kampagne gestartet, um darüber zu informieren, dass die klassische Bleischürze zum Schutz vor Strahlung überwiegend ausgedient hat. Außer beim Röntgen bei Zahnärzten wird bei radiologischen Untersuchungen weitgehend darauf verzichtet. Die Menschen seien seit 50 Jahren an Bleischürzen gewöhnt, jetzt gehe es darum, ihnen klar zu machen, dass das nicht mehr nötig ist, sagte Frühwald.
Die heutige reduzierte Strahlenbelastung neuer Geräte, etwa durch den Einsatz spezieller Zinn-Filter, könnte auch weitere Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten wie bei der Mammographie ermöglichen. Diskutiert bzw. von Fachgesellschaften gefordert werden vor allem Lungenkrebs-Screenings per CT, wodurch derartige Karzinome in früheren Stadien erkannt und besser behandelt werden könnten. Es sei aber für die Allgemeinheit und viele Mediziner schwer verständlich, warum ein Screening für eine Krebsart, die zu 99 Prozent selbst durch Rauchen verschuldet ist, finanziert werden sollte, erläuterte Frühwald. In fernerer Zukunft sind laut Bogner aus technischer Sicht jedoch beispielsweise auch Ganzkörper-Screenings denkbar.
Service: Wartezeitenabfrage CT/MRT der Sozialversicherung: https://go.apa.at/lxQ3O2LU
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Kommentar: Wer tut sich das noch an? – Matthias Strolz, 3.5.2024
Richtige Politiker brauchen eine dicke Haut, aber vor allem ein großes Herz. Kompetenz ist ebenso wichtig wie eine Vision. Doch auch die Wähler sind in der Pflicht, meint Neos-Gründer Matthias Strolz. Den wichtigsten Job in der Demokratie haben nämlich die Bürger. …
Umfrage: Wie Österreicher ihre Politiker sehen (inkl. zahlreicher Schaubilder)
Abgehoben, korrupt, unfähig: Die Österreicher haben ein äußerst negatives Bild von Politikern. Volksabstimmungen könnten daran etwas ändern.
Politiker-Umfrage: Die Mehrheit der Österreicher hat wenig Vertrauen in Politiker. Vor allem der Eindruck von Korruption und Bestechlichkeit der gewählten Repräsentanten hat in den vergangenen vier Jahrzehnten deutlich zugelegt, wie unsere aktuelle Umfrage zeigt. Unique Research hat im Auftrag von Der Pragmaticus rund 800 Österreicher online befragt, wie sie zu Politikern stehen. …
Die Lage: Inside Austria: Warum das Migrationsthema den Wahlkampf bestimmen wird – M. Völker, Der Spiegel, 8.5.2024
Die Lage: Inside Austria: Ein Hauch von Ausverkauf – W. Mayr, Der Spiegel, 30.4.2024
MEDIZIN
Studie der Med Uni Graz untersuchte „Superfood“ Aroniabeere
Die Aroniabeere gilt als gesundheitsförderndes „Superfood“. Ihre Stoffe sollen das Immunsystem stärken und das Krebsrisiko verringern. Doch ihr eilt der Ruf voraus, bei einigen Menschen Magen-Darm-Beschwerden hervorzurufen. Die Medizinischen Universität führte eine Studie unter 40 Frauen durch, bei der etwa die Hälfte Aroniasaft ohne Beschwerden vertrug, wurde mitgeteilt. Die gesunden Stoffe, sogenannte Polyphenole, konnten zudem vom Körper aufgenommen werden.
Aroniabeeren stammen ursprünglich aus Nordamerika, werden aber auch in Österreich angebaut. Neben Vitaminen weist die Beere einen hohen Gehalt an Polyphenolen auf – chemische Verbindungen, die nur in Pflanzen vorkommen und das Immunsystem stärken sowie vorbeugend gegen bestimmte Krebsarten wirken sollen. Allerdings war laut Med Uni Graz noch nicht klar, wie gut der Körper diese Stoffe tatsächlich aufnehmen kann.
Für die Studie tranken die Teilnehmerinnen sechs Wochen lang entweder zwei Mal täglich 100 Milliliter Aroniasaft oder eine Placebo-Mischung. „Rund die Hälfte der Frauen hat von Unverträglichkeiten berichtet“, so die Med Uni Graz in der Aussendung. Immunologin Sandra Holasek vom Otto Loewi Forschungszentrum in Graz hob hervor, dass die gesundheitsfördernden Stoffe von jenen, die den Saft vertrugen, auch gut aufgenommen werden konnten: „Die Vielfalt des Mikrobioms nahm kontinuierlich zu. Es wurden mehrere Gallensäuren produziert, die bei der Verstoffwechselung der Polyphenole helfen können.“
Verträglichkeit von Aroniasaft sehr unterschiedlich
Laut Studienautorin Holasek ist die Aroniabeere ein „Superfood“ mit potenziellen Vorteilen für das Herz-Kreislauf-System und den Stoffwechselprozess. „Die Verträglichkeit von Aroniasaft ist sehr unterschiedlich“, hob die Ernährungswissenschafterin hervor.
„Die Aroniabeere wurde von vielen landwirtschaftlichen Betrieben als ‚Zukunft‘ bezeichnet, der Absatz ist aber gering geblieben“, sagte Nahrungsmittelexperte Fritz Treiber von der Universität Graz zur APA. „Der Geschmack ist nicht überzeugend, sagen wir so“, schilderte der Molekularbiologe.
Service: Zur Studie „Interindividual differences in aronia juice tolerability linked to gut microbiome and metabolome changes-secondary analysis of a randomized placebo-controlled parallel intervention trial“: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/38461313/
Ohne große Nadel: Saugnapf zur Blutentnahme entwickelt
Inspiriert von Blutegeln haben Schweizer Forschende einen Saugnapf zur Blutentnahme entwickelt. Damit lässt sich ohne große Nadel Blut für medizinische Tests gewinnen. Vor allem Menschen mit Nadelphobie könnten vom Saugnapf profitieren, wie die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich) am Donnerstag mitteilte. Denn für ganze 70 Prozent aller medizinischen Entscheidungen seien Blutproben notwendig, schrieben die Forscherinnen und Forscher in ihrer Studie.
Das Blutabnahme-Gerät wurde in der Fachzeitschrift „Advanced Science“ vorgestellt. Der rund zweieinhalb Zentimeter große Saugnapf aus Silikon wird am Oberarm oder am Rücken angebracht. Darin befinden sich ein Dutzend winzige Nadeln, sogenannte Mikronadeln. Wird der Saugnapf auf die Haut gepresst, punktieren die Nädelchen die Haut. Der Unterdruck im Saugnapf sorgt dafür, dass sich innerhalb weniger Minuten genügend Blut darin sammelt, das dann für diagnostische Untersuchungen verwendet werden kann.
Mit dem Saugnapf wird laut den Forschenden zwar jeweils weniger Blut gewonnen als bei der klassischen Blutentnahme mit einer Nadel am Arm, aber deutlich mehr als mit einem kleinen Stich in den Finger. Diagnostische Messungen würden dadurch genauer, hieß es von der ETH. Außerdem sei der Saugnapf so einfach anzuwenden, dass ihn auch Personen ohne medizinische Ausbildung verwenden können.
Eine mögliche Anwendung sehen die Forschenden in der Diagnose von Malaria. Bisher haben sie ihr neues Gerät aber nur an Schweinen getestet. Bis es bei Menschen breit angewandt wird, sind laut den Forschenden weitere Tests notwendig.
Patientensicherheit: US-Studie ermittelt häufige Schäden im ambulanten Bereich
Boston – Jeder 15. Patient erleidet im ambulanten Bereich einen behandlungsbedingten Schaden, bei 1 von 50 kommt es sogar zu lebensgefährlichen Komplikationen. Zu diesem Ergebnis kommt eine US-Studie in den Annals of Internal Medicine (2024; DOI: 10.7326/M23-2063 ).
Die „Harvard Medical Practice Study I“ hatte vor 35 Jahren erstmals die Häufigkeit von iatrogenen Schäden in Krankenhäusern ermittelt. Ein ausgebildetes Pflegepersonal hatte damals mit einer Checkliste in mehr als 30.000 Krankenakten von Klinikpatienten nach unerwünschten Folgen einer medizinischen Behandlung und möglichen Behandlungsfehlern gesucht. Die Hinweise wurden dann in einem zweiten Schritt von Ärzten auf ihre Plausibilität hin überprüft.
Troyen Brennan vom Brigham and Women’s Hospital in Boston und Mitarbeiter berichteten im New England Journal of Medicine (1991; DOI: 10.1056/NEJM199102073240604 ), dass es bei 3,7 % der Krankenhauspatienten zu unerwünschten Ereignissen gekommen war, von denen 27,6 % auf Fahrlässigkeit („negligence“) zurückgeführt wurden: Bei 2,6 % der Patienten hatten die unerwünschten Ereignisse permanente Schäden hinterlassen und bei 13,6 % sogar zum Tod geführt.
Diese Zahlen wurden vom „Institute of Medicine“ in dem im Jahr 2000 veröffentlichten Bericht „To err is human“ auf das ganze Land extrapoliert. So entstand die Zahl von jährlich 44.000 bis 98.000 behandlungsbedingten Todesfällen, die in der Öffentlichkeit für Aufsehen sorgten und seither die Sensibilität für die Patientensicherheit erhöht haben.
Die SafeCare-Studie hat kürzlich erneut die Häufigkeit von Patientenschäden untersucht. Erneut gingen Pflegekräfte die Patientenakten durch, und die Hinweise wurden danach wie in der „Harvard Medical Practice Study I“ von Ärzten überprüft, wobei die elektronische Speicherung der Patientendaten die Identifizierung der unerwünschten Ereignisse erleichtert haben dürfte.
Nach den von David Bates vom Brigham and Women’s Hospital in Boston und Mitarbeitern im vergangenen Jahr im New England Journal of Medicine (2023; DOI: 10.1056/NEJMsa2206117 ) vorgestellten Ergebnissen erlitten 663 von 2.809 Patienten (23,6 %) mindestens ein unerwünschtes Ereignis. Dies waren zu 39,0 % Arzneimittelnebenwirkungen, zu 30,4 % chirurgische Komplikationen (etwa Blutungen, Harnverhalt, Blutdruckabfall), zu 15,0 % Pflegefehler (etwa Dekubitus oder Probleme beim intravenösen Zugang) und zu 11,9 % Infektionen.
Die Quote war damit deutlich höher als in der „Harvard Medical Practice Study I“. Es kam aber seltener zu schwerwiegenden (7,5 %) oder lebensbedrohlichen Komplikationen (1,2 %) mit 7 Todesfällen (0,2 %). Auch der Anteil der unerwünschten Ereignisse, die als vermeidbar eingestuft wurden, war mit 6,8 % deutlich geringer als in der „Harvard Medical Practice Study I“. Darunter war nur 1 der 7 Todesfälle.
Jetzt stellt das Team um David Bates erstmals Ergebnisse für den ambulanten Bereich vor, den die „Harvard Medical Practice Study I“ nicht erfasst hatte. Die Forscher hatten eine Zufallsstichprobe von 3.103 elektronischen Gesundheitsakten von erwachsenen Patienten aus 11 ambulanten Pflegeeinrichtungen analysiert.
Die Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen war niedriger als im stationären Bereich. Bates gibt die Quote mit 7,0 % an. Am häufigsten waren Arzneimittelnebenwirkungen (63,8 %), gefolgt von Infektionen (14,8 %), chirurgischen oder verfahrensbedingten Ereignissen (14,2 %), Pflegefehlern (8,3 %) und perinatalen/mütterlichen Komplikationen (0,7 %). Bates stufte 17,4 % der unerwünschten Ereignisse als schwerwiegend und 2,1 % als lebensbedrohlich ein. Todesfälle wurden jedoch nicht beobachtet.
Insgesamt 23,2 % der unerwünschten Ereignisse waren nach Einschätzung von Bates vermeidbar. Der Anteil war damit deutlich höher als bei den stationären Patienten. Hinzu kommt, dass sich in den USA etwa ein Viertel der Bevölkerung in ambulanter Behandlung befindet, während Krankenhausaufenthalte eher selten sind. Die Forscher bezeichnen die Ergebnisse deshalb als alarmierend. Es seien dringend Maßnahmen zur Eindämmung ambulanter Schäden erforderlich, sagte Erstautor David Levine. © rme/aerzteblatt.de
Männer und Frauen leiden unterschiedlich stark unter den 20 häufigsten Erkrankungen
Seattle/Washington – Frauen leiden häufiger unter Morbiditäts-bedingten Erkrankungen, die die Lebensqualität herabsetzen, aber das Überleben nicht gefährden. Bei Männern stehen dagegen Mortalitäts-bedingte Erkrankungen im Vordergrund, die tödlich ausgehen können.
Dies geht aus einer Analyse der Global Burden of Disease Study 2021 in Lancet Public Health (2024; DOI: 10.1016/S2468-2667(24)00053-7 ) hervor, die aber nicht klären kann, welche Anteile das biologische Geschlecht und der gesellschaftlich zugewiesene Gender daran haben.
Kennzeichnend für die stärkere Anfälligkeit von Männern im Vergleich zu Frauen auf potenziell tödliche Erkrankungen ist COVID-19. Unter den 20 Krankheiten mit der höchsten Krankheitslast gemessen an den „disability-adjusted life years“ (DALY), also den verlorenen Lebensjahren in voller Gesundheit, war der Unterschied zwischen Männern und Frauen im Jahr 2021 nirgends so groß wie bei COVID-19.
Auf 100.000 Männer kamen nach den Berechnungen von Luisa Sorio Flor vom Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) in Seattle 3.978 DALY bei Männern gegenüber nur 2.211 bei Frauen. Das ist immerhin ein Unterschied von 1.767 DALY oder 44,5 %.
Dabei bleibt unklar, ob Männer bei Infektionen schwerer erkranken, oder ob sie sich leichter infizieren, weil sie unvorsichtiger sind oder in Berufen arbeiten, in denen sie dem Virus besonders stark ausgesetzt sind.
An zweiter Stelle folgen ischämische Herzkrankheiten, die bei Männern häufiger und früher auftreten, so dass es bei Männern zu 1.612 mehr DALY auf 100.000 Personen kommt. Auf Platz 3 folgen Verkehrsunfälle, durch die Männer 1.012 DALY pro 100.000 Personen mehr verlieren als Frauen.
Auch Schlaganfälle (810 DALY/100.000), Krebserkrankungen der Atemwege (542 DALY/100.000), Zirrhose oder andere Lebererkrankungen (529 DALY/100.000) und chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (531 DALY/100.000) setzen Männern mehr zu als Frauen. Alle diese Erkrankungen sind potenziell tödlich.
Erst an achter und neunter Position folgen zwei Erkrankungen, die bei Frauen häufiger sind als bei Männern. Dies sind chronische Rückenschmerzen, durch die Frauen 479 DALY pro 100.000 Personen mehr verlieren als Männer und Depressionen mit einem Plus von 348 DALY/100.000 bei Frauen.
Beide Erkrankungen sind zwar belastend und häufig auch chronisch. Sie führen aber nicht zum Tod – wenn man vom Suizidrisiko bei schweren Depressionen einmal absieht. Von den übrigen elf Erkrankungen verursachten fünf (Kopfschmerzen, Angststörungen, andere Erkrankungen des Bewegungssystems, Morbus Alzheimer und global gesehen auch HIV/AIDS) bei Frauen mehr DALY als bei Männern.
Männer verlieren bei den übrigen sechs Krankheiten mehr Jahre in voller Gesundheit als Frauen. Dies sind Tuberkulose, Stürze, untere Atemwegsinfektionen, chronische Nierenerkrankungen, Diabetes und Hörverlust.
Die Neigung der Männer zu Mortalitäts-bedingten Erkrankungen dürfte auch die gegenüber Frauen um mehrere Jahre geringere Lebenserwartung erklären.
Die Forscher haben die Daten mit einer ähnlichen Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 1990 verglichen. Bis auf COVID-19, das es damals noch nicht gab, hat sich über die Jahre wenig an der Geschlechterverteilung geändert.
Wenn Krankheiten seltener geworden sind wie ischämische Herzerkrankungen, Schlaganfälle, Tuberkulose oder COPD, dann ist es in der Regel bei beiden Geschlechtern zu einem Rückgang gekommen. Der Einfluss von biologischem Geschlecht und/oder gesellschaftlichem Gender auf die Gesundheit scheint eine Konstante zu sein.
Es gibt jedoch regionale Unterschiede. In den Ländern Afrikas südlich der Sahara und in der Karibik war der Unterschied zwischen Männern und Frauen bei COVID-19 besonders groß. Ischämische Herzerkrankungen treten vor allem in Zentral- und Osteuropa sowie in Zentralasien bei Männern sehr viel häufiger auf als bei Frauen.
Bei vielen Erkrankungen vergrößert sich die Schere zwischen den Geschlechtern mit zunehmendem Alter. Ausnahme sind Verkehrsunfälle und HIV/AIDS, die vor allem bei jüngeren Menschen auftreten. © rme/aerzteblatt.de
Männer in Deutschland sterben im Durchschnitt fünf Jahre früher als Frauen
Berlin – Männer in Deutschland sterben im Schnitt fünf Jahre früher als Frauen und sind zudem häufiger von schweren Erkrankungen betroffen. Darauf weist die AOK zum Vatertag hin und untermauert dies mit einer aktuelle Auswertung des Gesundheitsatlas Deutschland des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).
Danach gibt es in Deutschland jedes Jahr 450 Herzinfarkte je 100.000 Männer, aber nur 200 je 100.000 Frauen ab 30 Jahren. Einen Schlaganfall erleiden 2,01 Prozent der Männer, bei den Frauen sind es 1,63 Prozent. An einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) sind 7,87 Prozent der Männer und 6,22 Prozent der Frauen ab 40 Jahren erkrankt. Auch bei Darmkrebs erkrankt mit 0,89 Prozent der männliche Teil der Bevölkerung häufiger als der weibliche mit 0,74 Prozent.
„Fünf Jahre Differenz in der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen sind eindeutig zu viel und auch die Betroffenheit von schweren und teils unheilbaren Erkrankungen wie etwa COPD von Männern im Vergleich zu Frauen muss stärker in den Fokus rücken“, sagte die AOK-Vorstandsvorsitzende Carola Reimann.
Einige der Risikofaktoren könnten Männer selbst beeinflussen – zum Beispiel, indem sie einen gesünderen Lebensstil wählten, bewusster mit dem Thema Alkoholkonsum umgingen, sich mehr bewegten, weniger rauchten und mehr Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch nähmen.
Bei Männern scheinen die Themen Gesundheit, Arztbesuche und Prävention laut Reihmann oft noch eine Tabuzone zu sein, bei einigen vielleicht aus Angst als „unmännlich“ oder „schwach“ wahrgenommen zu werden. „Am Wichtigsten ist, dass Männer ihre Gesundheit selbst stärker zum Thema machen“, sagte Reimann. © hil/aerzteblatt.de
Wie der Hirnstamm das Immunsystem reguliert
New York – US-Forscher haben im Hirnstamm ein Kontrollzentrum für das Immunsystem entdeckt. Es erhält mit den Nervus vagus Informationen über Entzündungsreaktionen im Körper und kann diese offenbar auch steuern. Die in Nature (2024; DOI: 10.1038/s41586-024-07469-y ) vorgestellten Forschungsergebnisse liefern neue Ansatzpunkte für die Behandlung von chronisch-entzündlichen Erkrankungen.
Der Hirnstamm ist für die Überwachung lebenswichtiger Funktionen zuständig. Es gibt dort unter anderem Kontrollzentren für die Herzfrequenz, den Blutdruck, die Atmung und die Körpertemperatur. Ein weiteres Kontrollzentrum für das Immunsystem wird vermutet, seit ein Team um Kevin Tracey vom Baylor College in Houston vor zwei Jahrzehnten zeigen konnte, dass die elektrische Stimulierung des Nervus vagus Mäuse vor einem septischen Schock schützt, indem sie die Produktion des Tumor-Nekrose-Faktors in der Leber hemmt (Nature 2000; DOI: 10.1038/35013070 ).
Die Kerne des Nervus vagus befinden sich im Hirnstamm. Ein Team um Charles Zuker von der Columbia University in New York kann jetzt an Mäusen zeigen, dass ein starker Entzündungsreiz, der durch Lipopolysaccharide im Bauchfell ausgelöst wurde, bestimmte Nervenzellen im Nucleus caudatus des Tractus solitarius (cNST) des Hirnstamms aktivierte. Dieser Reiz blieb aus, wenn bei den Tieren der Nervus vagus durchtrennt wurde. Dies zeigt, dass der Hirnstamm über den Nervus vagus über Entzündungsreaktionen im Körper informiert wird.
Das Kontrollzentrum bleibt nicht untätig, wie ein weiteres Experiment zeigt, in dem der cNST deaktiviert wurde. Die Folge war eine dramatische Steigerung der Immunantwort. Die Konzentration der proinflammatorischen Zytokine wie Interleukin 1-beta vervierfachte sich, während antiinflammatorische Zytokine wie Interleukin 10 im gleichen Maße zurückgingen.
Eine gegenteilige Wirkung hatte die künstliche Aktivierung des cNST: Die Konzentration der proinflammatorischen Zytokine ging um fast 70 % zurück, während die antiinflammatorischen Werte um fast das Zehnfache anstiegen. Das cNST ist offenbar an der Feinabstimmung der Immunreaktion beteiligt. Das Ziel könnte die Vermeidung von Schäden durch eine zu starke Entzündungsreaktion sein.
Weitere Experimente ergaben, dass die Informationen im Nervus vagus über zwei unterschiedliche Neurone weitergeleitet werden. Die Stimulation der TRPA1-Neurone hatte eine Abschwächung der Entzündungsreaktion zur Folge, während die Aktivierung von CALCA-Neuronen sie verstärkte.
Dies könnte therapeutisch genutzt werden, wie die Forscher an einem Mäusemodell der Colitis ulcerosa zeigen. Die schwere Darmentzündung kann bei den Nagern mit Dextransulfa-Natriumsalz im Trinkwasser ausgelöst werden. Eine Aktivierung der TRPA1-Neurone verhinderte dies bei den Versuchstieren.
Die Aktivierung der TRPA1-Neurone erfolgte in den Experimenten chemogenetisch durch den Einbau von Rezeptoren in die Zellen, die dann durch Chemikalien aktiviert wurden. Diese Methode ist therapeutisch beim Menschen nicht möglich. Es müsste nach Wirkstoffen gesucht werden, die über einen anderen Weg die TRPA1-Neurone aktivieren. © rme/aerzteblatt.de
Der Magie der Pilze auf der Spur
Psychotrope Rauschpilze, auch als ‚Magic Mushrooms‘ bekannt, synthetisieren das Halluzinogen Psilocybin. Heimisch in Tirol ist vor allem der unscheinbare spitzkegelige Kahlkopf (Psilocybe semilanceata), der gerne auf überdüngten Wiesen und am Waldrand in mittleren Lagen wächst. Obwohl das von den Pilzen erzeugte Psilocybin als ein dem LSD verwandtes Rauschmittel dem Betäubungsmittelgesetz unterliegt, hat es durchaus psychotherapeutisches – jedoch nicht risikofreies – Potential.
Die Hauptwirkung der mit dem Botenstoff Serotonin (5-Hydroxy-Tryptamine, 5-HT) verwandten Tryptamine wie Psilocybin ist eine Aktivierung spezifischer Serotonin (5-HT) Rezeptoren in den neuronalen Synapsen des Gehirns, worauf auch das Potenzial zur Behandlung therapieresistenter Depressionen beruht.
Eine der grundlegenden und bisher ungeklärten Fragen war, wie diese Pilze den psychotropen Wirkstoff Psilocybin erzeugen, und wie die an der Biosynthese beteiligten Pilzenzyme modifiziert werden können, um dem Psilocybin verwandte Substanzen mit verändertem Wirkungsprofil künstlich herzustellen. Die genetischen Grundlagen und die Abfolge der biosynthetischen Reaktionsschritte konnten im Rahmen unseres internationalen FWF-Projekts bereits geklärt werden. „Nun ist es unserem Team am Institut für Genetische Epidemiologie gelungen, erstmalig den Mechanismus des entscheidenden, letzten Syntheseschrittes durch die Methyltransferase PsiM des kubanischen Kahlkopfs (Psilocybe cubensis) im Detail aufzuklären“, beschreibt Bernhard Rupp die zentrale Erkenntnis der nun im anerkannten Fachjournal Nature Communications veröffentlichten Forschungsarbeit Methyl Transfer in Psilocybin Biosynthesis. Dieses für die Naturstoffbiosynthese hochinteressante Enzym entwickelte sich aus RNA- Methyltransferasen und bewerkstelligt die Methylierung des vom Pilz synthetisierten Substrates Norbaeocystin zu Baeocystin, und dessen weitere, zweite Methylierung zum Psilocybin – das Enzym verarbeitet also sein erstes Produkt Baeocystin nach Wiederbeladung mit der Methylquelle SAM zum Endprodukt Psilocybin – der letzte Schritt am Wege zur Magie der Pilze. Die Dephosphorylierung des Psilocybins zum psychoaktiven Psilocin bewerkstelligt eine Phosphatase im Verdauungstrakt des Konsumenten.
Mittels Röntgenstrukturanalyse einer Vielzahl makromolekularer Substrat-Enzym-Komplexe konnte erstmalig das Halluzinogen Psilocybin und seine Vorstufen in biologisch relevanten Enzymkomplexen gebunden analysiert werden und der Reaktionsmechanismus in atomarem Detail aufgeklärt werden. Kritische, die Substratspezifität bestimmende molekulare Ankerpunkte wurden erkannt, die wegweisend für die Biosynthese neuer substituierter Tryptamine sind.
Das internationales Forschungsprojekt „Strukturelle Basis der Biosynthese von Psilocybin“ wurde unterstützt vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF Projekt I-5192) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (HO2515/11-1). Beteiligte Mitarbeiter: Kai Rogge, Sebastian Dörner, Maximilian Müll, Dirk Hoffmeister (Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie Hans-Knöll- Institut), Jesse Hudspeth (Colorado School of Mines, Austrian Fulbright-Marshall Fellow), Sebastiaan Werten und Bernhard Rupp (Institut für Genetische Epidemiologe, MUI).
Links: Methyl transfer in psilocybin biosynthesis. Hudspeth, J., Rogge, K., Dörner, S., Müll, M., Hoffmeister, D., Rupp, B. and Werten, S. (2024) Nature Coomunications: https://www.nature.com/articles/s41467-024-46997-z, 15, 2709.
ESFR News: Unlocking secrets of a key enzyme in magic mushrooms – https://www.esrf.fr/home/news/general/content-news/general/unlocking-key-enzyme-in-magic-mushrooms.html
Institut für Genetische Epidemiologie der
Medizinischen Universität Innsbruck:
+43 (0) 512 507 57106
ETHOLOGIE – VERHALTENSFORSCHUNG
Elefanten grüßen einander mit Geräuschen, Gesten und Gerüchen
Afrikanische Elefanten setzen ihre Körper vom Rüssel bis zum Schwanz zum Gruße ein, Grollen dabei tief tönend und produzieren diverse Gerüche, berichten Wiener Verhaltensforscherinnen. Sieht ein Artgenosse sie nicht an, grüßen die Dickhäuter ihn eher mit Tönen und Anstupsen, sonst zeigen sie Gesten wie Ohrenwackeln und Rüsselschwingen. Auch Pinkeln, Koten und Schweiß absondern gehört zum Begrüßungsrepertoire. Dies wurde im Fachmagazin „Communications Biology“ verlautbart.
Angela Stöger und Vesta Eleuteri vom Department für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Universität Wien beobachteten 89 Begrüßungen zwischen neun Elefanten und Elefantinnen im Jafuta Reservat in Simbabwe. Dabei konnten sie 1.282 individuelle Willkommenszeichen erkennen, und zwar 1.014 körperliche und 268 stimmliche.
Meist setzten die Tiere Kombinationen von Gesten und Tönen ein, zum Beispiel Ohrenwackeln oder Ohrenspreizen zusammen mit einem „Elefantengrollen“ (sogenannten Rumble-Lauten). Dazu erfolgten wohl eher unbewusste Zeichen wie Schwanzwedeln. „Die häufigste Kombination ist der Rumble mit einer Ohrengeste, wie dem mehrfachen Ein- und Aufklappen der Ohren“, wurde Stöger in einer Aussendung zitiert. Dies war vor allem bei Begrüßungen unter Weibchen gängig.
Auch Urinieren, Kot absetzen und Schweißabsonderungen aus nur Elefanten eigenen „Schläfendrüsen“ ist in 71 Prozent der Fälle Teil der Begrüßung. Dies ließe darauf schließen, dass dabei auch Gerüche eine wichtige Rolle spielen, so die Biologinnen: „Zudem unterstützen Gesten wie das Schwanzwedeln und Ohrenwackeln vermutlich auch diese Kommunikation via Geruch.“
„Wenn ihr Partner sie beobachtet, strecken oder schwingen Elefanten den Rüssel oder strecken auch die Ohren ab“, so Eleuteri: „Gibt es hingegen keinen Blickkontakt, berühren sie den anderen oder benutzen Gesten, die Geräusche produzieren.“ Sie klatschen dann etwa mit ihren Ohren laut auf den Nacken. Demnach berücksichtigen die Tiere in ihrer Kommunikation, ob sie Sichtkontakt haben oder nicht.
Service: https://doi.org/10.1038/s42003-024-06133-5
UMWELT
Schon 61 Tote durch extreme Hitze in Thailand
Bangkok – In Thailand sind wegen der teilweise extremen Hitze in diesem Jahr bereits 61 Menschen gestorben. Landesweit seien seit Jahresbeginn 61 Menschen an Hitzschlag gestorben, teilte das Gesundheitsministerium in Bangkok mit. Die meisten Hitzetoten gab es demnach im stark landwirtschaftlich geprägten Nordosten des Landes. Im gesamten Jahr 2023 hatte es 37 Hitzetote gegeben.
In dem südostasiatischen Land herrschten wochenlang extrem hohe Temperaturen. Für die Hauptstadt Bangkok gaben die Behörden im April eine Woche lang täglich Hitzewarnungen heraus, weil die „gefühlte Hitze“ auf über 52 Grad Celsius stieg.
Die Regenzeit in Thailand begann in diesem Jahr später als üblich, die Phase der Trockenheit und drückenden Hitze dauerte länger als üblich. In den vergangenen Tagen sorgten Gewitter in einigen Regionen für Abkühlung. Im Gegenzug warnten die Behörden jedoch vor Überschwemmungen.
Wissenschaftler warnen regelmäßig davor, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel zu häufigeren, längeren und stärkeren Hitzeperioden führt. Dieses Jahr werden die Bedingungen durch das Klimaphänomen El Niño noch verschärft.
Zudem erwärmt sich Asien laut der Weltwetterorganisation der Vereinten Nationen schneller als der globale Durchschnitt. © afp/aerzteblatt.de
Kleines Temperaturplus bringt Kohlenstoffplus aus Tundra
Werden Tundraböden im Norden und in Gebirgslagen wärmer, erhöht sich darin die Kleinstlebewesen-Aktivität. Das führt dazu, dass mehr gebundener Kohlenstoff in die Atmosphäre entweichen kann. Wie hoch dieser oft als eines der größten Fragezeichen in Klimaprognosen bezeichnete Effekt aber ausfällt, ist offen. Ein Forschungsteam mit Beteiligung aus Tirol lieferte kürzlich einen Teil der Antwort im Fachblatt „Nature“: Schon ein kleines Temperaturplus zeigt ordentlich Wirkung.
n die umfassende Zusammenfassung mehrerer einschlägiger Untersuchungen (Metastudie) gingen Daten von insgesamt 28 Standorten in Tundragebieten in der Arktis und anderen nördlichen Tundragebieten, sowie in sehr hohen Lagen weiter südlich wie der tibetanischen Hochebene ein. Den Gegenden ist gemein, dass die im Schnitt niedrigen Temperaturen den Nährstoffumsatz im Boden deutlich begrenzen. Das führt über längere Sicht dazu, dass dort viel Kohlenstoff quasi ungenutzt liegen bleibt. Das ist aus Klimasicht gut, da er so nicht in die Atmosphäre gelangt und dort den Temperaturanstieg noch weiter anheizt.
Umgekehrt wird stark befürchtet, dass die rasch fortschreitende Erhitzung aus diesen Speicherstätten für geschätzt die doppelte Menge des in der Atmosphäre befindlichen Kohlenstoffes massive Quellen für Treibhausgase macht. Das könnte diese Weltgegenden an einen Kipppunkt führen, der letztlich den Klimawandel noch weiter entgleisen ließe, so die Befürchtung.
Teufelskreis wird geschaffen
„Tauen die Böden auf, verstärkt sich die Atmung dieses Ökosystems, da Mikroorganismen beginnen, das Material zu zersetzen. Dabei entstehen Treibhausgase wie Kohlendioxid, aber auch Methan und Lachgas. Dieser Effekt führt zu einer Art Teufelskreis, da die Treibhausgase die Erderwärmung antreiben und diese wiederum die Permafrostböden vermehrt belasten“, so die mit ihren jahrelangen Messungen in Russland an der Publikation beteiligte Forscherin Christina Biasi vom Institut für Ökologie der Uni Innsbruck an Freitag in einer Aussendung.
Auch ihre mit sogenannten Open-Top-Kammern (OTCs) gewonnenen Daten tragen nun dazu bei, dass die Wissenschafter annehmen, dass das Problem eher größer sein könnte als bisher erhofft. Mit OTCs werden Teile der Tundraböden überdacht, was dort zu einer Temperaturerhöhung führt. Gleichzeitig wird gemessen, was dort in Folge dessen an Ausgasung passiert.
Diese Erwärmungsexperimente an verschiedenen Orten brachten im Schnitt einen Lufttemperaturanstieg um 1,4 Grad Celsius, was wiederum die Bodentemperatur um rund 0,4 Grad erhöhte und die Bodenfeuchtigkeit um 1,6 Prozent reduzierte, heißt es in einer Mitteilung der Universität Umeå, wo die Hauptautorin der Studie, Sybryn Maes, arbeitet. Schon diese relativ kleine Veränderung steigerte die Ökosystem-Atmung während der Periode in der in diesen Weltregionen die Pflanzen wachsen um durchschnittlich 30 Prozent. Da manche der Messungen ganze 25 Jahre umfassten, könne man für einige Orte festhalten, dass diese Veränderungen auch über derart lange Zeiträume – und vermutlich noch länger – nachwirken. Diese Erkenntnis sei zuvor wenig beachtet worden, so die Wissenschafterinnen und Wissenschafter.
Anstieg liegt weit über den Erwartungen
Bereits auf Basis von früheren Untersuchungen war klar, „dass wir mit der Erwärmung wahrscheinlich einen Anstieg der Atmung feststellen würden. Wir fanden nun aber einen bemerkenswerten Anstieg – fast viermal größer als bisher geschätzt“, so Maes. Allerdings gebe es regionale Unterschiede, was vor allem vom dort verfügbaren Stickstoff oder dem pH-Wert der Böden abhängt.
Als Regionen, in denen mit größeren Steigerungen zu rechnen ist, wurden Teile Sibiriens und Kanadas identifiziert. Weniger stark dürften zum Beispiel die Tundraböden in Hochasien reagieren, heißt es in der Arbeit. Aber: „Wir erwarten eine Zunahme der Atmung in der kompletten arktischen und alpinen Tundra“, so Matti Kummu von der Aalto University (Finnland). Um das aber noch regional feiner herunterzubrechen, brauche es noch mehr Messdaten. Insgesamt könnten die neuen Erkenntnisse dazu führen, dass die großen Modelle zur Erderwärmung verbessert werden, halten die Studienautoren fest.
Service: https://doi.org/10.1038/s41586-024-07274-7
Klimafitte Bäume zum Aufforsten von Schadflächen werden rar
Borkenkäfer und Dürren ließen in Mitteleuropa jüngst Bäume auf tausenden Hektar absterben, erklären österreichische und deutsche Wissenschafter. Sie untersuchten die Eignung von 69 heimischen Baumarten zum Aufforsten der Schadflächen. Dabei zeigte sich, dass es gebietsweise kaum Baumarten gibt, die flexibel genug sind, den voranschreitenden Klimawandel bis zum Ende des Jahrhunderts zu überstehen. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Nature Ecology and Evolution“ erschienen.
„Bäume, die heute gepflanzt werden, müssen sowohl unter den aktuellen Bedingungen, als auch unter zukünftig deutlich wärmeren Bedingungen zurecht kommen“, so Johannes Wessely vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien in einer Aussendung: „Würde man wärmeliebende Bäume pflanzen, welche gut an die Bedingungen am Ende des 21. Jahrhunderts angepasst sind, so riskiert man in den nächsten Jahren massive Verluste der Jungbäume durch Kälte und Frost.“ Baumarten, die gut an das aktuelle Klima angepasst sind, würde es wiederum in Zukunft deutlich zu warm werden.
„In Österreich sind laut der Studie im Durchschnitt zwölf Baumarten je Quadratkilometer klimatisch fit für das 21. Jahrhundert, während es unter stabilen Klimabedingungen noch achtzehn Arten gewesen wären“, schrieben die Forscher: Im europäischen Durchschnitt sind sogar nur neun Baumarten je Quadratkilometerder globalen Erwärmung gewachsen. Von den klimafitten Bäumen könne wiederum nur ein Drittel wichtige Waldfunktionen übernehmen, also einen guten Lebensraum für Tiere schaffen, sie ernähren, effektiv Kohlenstoff speichern und Nutzholz abwerfen.
Die Wissenschafter plädieren, die Wälder bunter zu mischen: „Drei Baumarten auf einer Fläche bringen bereits viel und machen den Wald deutlich besser und stabiler als bei einer Baumart“, erklärte Rupert Seidl vom Department für Life Science Systems der Technischen Universität München der APA: „Fünf Baumarten wären noch besser.“ Wichtig sei vor allem, dass Baumarten mit unterschiedlichen Eigenschaften gemischt werden, und nicht nur sehr ähnliche.
Mehrere Optionen für Österreich
In Österreich wären im Gebirge die Weißtanne, die Rotbuche und der Bergahorn gut geeignet, in tieferen und mittleren Lagen wie etwa dem Waldviertel die Stieleiche, Winterlinde und Hainbuche, berichtet Seidl: „Sehr dünn wird das Baumportfolio aber zum Beispiel in der Westhälfte Frankreichs und auf großen Teilen der Iberischen Halbinsel.“ Dort gebe es Gebiete, wo nur zwei bis vier der natürlich in Europa vorkommenden Baumarten flexibel genug sind, um bis zum Ende des 21. Jahrhunderts bestehen zu können.
„Aber auch in den Zentralalpen haben wir eine unterdurchschnittliche Zahl von Baumarten, die zur Aufforstung geeignet sind“, erklärt er: „Die Bergregionen weisen heute noch zum Teil sehr harsche Bedingungen auf, die sich rasant verändern.“ Daraus ergäbe sich eine geringe Schnittmenge an Baumarten, die sowohl mit den heutigen als auch mit den zukünftigen Umständen zurechtkommen.
Für den Leiter des Forschungsprogramms „Walddynamik, Waldwachstum und Klima“ an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), Arthur Gessler, bietet die neue Studie wichtige Informationen darüber, „welches Artenportfolio für heutige waldbauliche Maßnahmen zur Verfügung steht und welches auch noch zum Ende des Jahrhunderts für einen gegebenen Standort geeignet ist. Meines Wissens ist dies die erste Studie dieser Art und sehr bedeutsam“, so der Forscher gegenüber dem deutschen Science Media Center (SMC). Angesichts der Geschwindigkeit der Klimaveränderung und der äußerst bescheidenen Maßnahmen zum Einbremsen der Erhitzung würden die Temperatur- und Niederschlagsveränderungen für Europas Wälder massiv, so mehrere Experten. Gessler: „Die Studie zeigt aber auch, dass wir über nicht-heimische Baumarten reden müssen“, deren Vor- und Nachteile man jedoch intensiv diskutieren sollte.
Service: https://doi.org/10.1038/s41559-024-02406-8
IT – KI – ROBOTIK – INTERNET
Experte warnt vor Erstarken von „Schurken-KIs“ und fordert „Plan B“
Es könnte noch ein paar Jahre oder auch Jahrzehnte dauern, bis Künstliche Intelligenz (KI) quasi „übermenschlich“ wird. Vorbereiten müsste man sich jedenfalls bereits jetzt darauf, zeigte sich der oft als „KI-Pate“ titulierte Informatiker Yoshua Bengio überzeugt. Er plädiert für multilaterale, unabhängige KI-Labore, die sich auf das mögliche Auftauchen von „Schurken-KIs“ vorbereiten und diese im Fall der Fälle bekämpfen.
Dass zukünftige Systeme eine existenzielle Bedrohung für die Menschheit darstellen würden, sei nicht zwangsläufig so, aber „beim derzeitigen Stand der Technik ist eine Gefährdung der Demokratie, der nationalen Sicherheit und der Verlust der Kontrolle an übermenschliche KI-Systeme sehr plausibel. Das ist keine Science-Fiction“, so Bengio, Professor an der Universität Montréal (Kanada) und Vorreiter im Bereich Deep Learning, also dem Training mit großen Datenmengen zur Lösung komplexer Aufgaben, gegenüber der APA. Umso bedeutender sei es, sich auf die möglichen Risiken vorzubereiten.
Aktuell werde viel über Deepfakes, das sind realistisch wirkende Stimmen, Bilder oder Videos, die mittels KI erstellt oder bearbeitet werden, diskutiert – etwa im Hinblick auf die Manipulation von Wahlen. Größere Sorgen machen dem kanadischen Experten Dialogsysteme, die eingesetzt werden, Menschen zu überzeugen. „Es gibt bereits einige Studien, die darauf hindeuten, dass sie vergleichbare oder bessere Leistungen erbringen als Menschen, wenn es darum geht, jemanden dazu zu bringen, seine Meinung zu einem bestimmten Thema zu ändern“, sagte Bengio. Die Interaktionen könnten dabei für jede Person individuell gestaltet werden.
Sicherheitsbehörden in aller Welt würde wiederum die leichte Verfügbarkeit von Wissen zu denken geben. „Die Systeme könnten missbraucht werden, alle Arten von Waffen zu entwerfen oder zu bauen“, so Bengio, der 2018 zusammen mit Geoffrey Hinton und Yann LeCun mit dem Turing Award, einer der in der Informatik höchst angesehenen und prestigeträchtigsten Auszeichnungen, geehrt wurde. Die Palette reiche von Cyberangriffen bis hin zu biologischen und chemischen Waffen. Es herrsche Sorge darüber, dass KI-Unternehmen nicht über ausreichende Sicherheitsvorkehrungen verfügen.
Natürlich gebe es auch immense Vorteile und Chancen durch KI, das sei gar nicht das Thema. „Aber wenn es Terroristen dadurch leichter gemacht wird, wirklich schlimme Dinge zu tun, dann müssen wir Entscheidungen mit Bedacht treffen. Und es sollte nicht der CEO eines Unternehmens sein, der diese Entscheidungen trifft“, sagte der Experte, der gestern, Dienstagabend, auch einen Vortrag im Rahmen der Feierlichkeiten zum 20-jährigen Jubiläum der Fakultät für Informatik und zum 50-jährigen Jubiläum der Informatik-Lehre an der Universität Wien gehalten hat.
Horrorvision: Kontrollverlust an übermenschliche KI-Systeme
Am beängstigenden sei aber der mögliche Kontrollverlust an übermenschliche KI-Systeme, die sich außerhalb des Computers, auf dem sie laufen, verbreiten, zudem lernen könnten, Menschen zu manipulieren, und letztendlich vielleicht sogar selbst Roboter oder andere industrielle Geräte steuern.
Wenn es gelinge, KI-Systeme zu entwickeln, die smarter sind als die Menschen und ein „Selbsterhaltungsziel“ verfolgen, „dann ist das so, als ob wir eine neue Spezies erschaffen – und das ist keine gute Idee. Zumindest bis wir die Folgen besser verstehen. Wie groß das Risiko ist, weiß niemand. Aber das ist ein Teil des Problems“, erläuterte Bengio.
Wie schnell sich die Technologie in diese Richtung weiterentwickeln werde, sei umstritten. Schätzungen würden zwischen drei Jahren und mehreren Jahrzehnten schwanken. Die aktuell massiven Investitionen könnten den Prozess jedenfalls beschleunigen. Relevant sei letzten Endes nur, „die Risiken in den Griff zu bekommen und dabei zu berücksichtigen, dass, wenn es schnell gehen muss, es zu spät sein könnte, die richtigen Rechtsvorschriften und internationalen Verträge zu schaffen“.
Einen Ansatz, dieser Bedrohung entgegenzuwirken, sieht Bengio darin, ein multilaterales Netzwerk von öffentlich finanzierten, gemeinnützigen KI-Laboren aufzubauen, die sich auf das mögliche Auftauchen von abtrünnigen KI-Systemen vorbereiten. Im Fall der Fälle könnte dann eine sichere und defensive KI dagegen eingesetzt werden. Eine kooperative Gruppe von Demokratien sollte gemeinsam an der Gestaltung mitwirken, weil sich die möglicherweise negativen Auswirkungen der KI nicht an Grenzen halten würden.
Entsprechende Verteidigungsmethoden und viele Aspekte der Forschung daran müssten vertraulich behandelt werden, um es der „Schurken-KI“ zu erschweren, die neuen Abwehrmaßnahmen zu umgehen, wie er auch in einem Artikel im „Journal of Democracy“ empfiehlt.
Die größte Wirkung hätte eine KI-Regulierung, bei der die Entwickler nachweisen müssten, dass die KI-Systeme sicher sind und die Kontrolle nicht verloren gehen könne.
„Im Moment weiß niemand, wie man das macht. Aber wenn man so etwas vorschreibt, würden die Unternehmen, die ja das Geld und das Talent haben, schon jetzt viel mehr Forschung betreiben, um sichere Systeme zu bauen, und ihre Energie in den Schutz der Öffentlichkeit stecken“, so der Experte. Ein Unternehmen, das neue Medikamente herstelle, müsse schließlich auch wissenschaftlich nachweisen, dass die Anwendung sicher sei. Diese Anstrengungen gebe es in der KI-Industrie aber nicht, weil es im harten Wettbewerb keine Priorität habe.
Letztendlich gebe es noch zahlreiche Herausforderungen im Hinblick auf das wissenschaftliche Verständnis von KI-Sicherheit, aber auch die politische Verantwortung sicherzustellen, dass beim Bau einer sicheren KI, sobald das möglich ist, entsprechende Protokolle befolgt werden. Nur so sei zu erreichen, „dass keine einzelne Person, kein einzelnes Unternehmen und keine einzelne Regierung diese Art von Macht missbrauchen kann“, so Bengio.
Service: Artikel im „Journal of Democracy“: https://www.journalofdemocracy.org/ai-and-catastrophic-risk
Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI): 15 cybersicherheitsrelevante Punkte
1. Cyberangriffe auf Gesundheitseinrichtungen
Kliniken, Arztpraxen und andere medizinische Einrichtungen geraten immer wieder ins Visier von Hackern. Aktuell sind die Universitätsmedizin Mainz, die Zentrale der Katholischen Jugendfürsorge der Diözese Augsburg (KJF Augsburg) sowie die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) betroffen. Im Fall Mainz wurden E-Mail-Adressen von 280.000 Personen erbeutet und im Darknet veröffentlicht. In Augsburg sind nach einem illegalen Zugriff auf Teile der IT-Infrastruktur u.a. Personal-, Finanz-, Patienten- und Gesundheitsdaten von 18 zugehörigen und drei ehemals zur KJF gehörenden Einrichtungen und Kliniken abgegriffen worden. Bei der KVH wurden Heise online zufolge im Rahmen eines Phishing-Angriffs die E-Mails eines Mitarbeitenden aus dem Beratungscenter entwendet. Quellen (u.a.): https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/mainz/daten-der-unversitaetsmedizin-mainz-geklaut-100.html sowie https://www.heise.de/news/Cyberangriffe-treffen-Uniklinik-und-Krankenhaeuser-9705081.html
Der Fall der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen zeigt, wie Angreifende den „Faktor Mensch“ als schwächstes Glied der Sicherheitskette ausnutzen. Hier erfahren Sie mehr zum sogenannten Social Engineering: https://www.bsi.bund.de/dok/132176
2. KI ermöglicht Phishing in „nie dagewesener Qualität“
Der Umfang, die Geschwindigkeit und Schlagkraft von Angriffen im digitalen Raum nehmen durch Künstliche Intelligenz (KI) zu: Mittels KI lassen sich spielend leicht hochwertige Phishing-Nachrichten erstellen. Sprachmodelle sind bereits heute in der Lage, einfache Schadprogramme zu schreiben. Und KI kann weitere Teile eines Cyberangriffs automatisieren. Doch auch die Cyberabwehr profitiert von der Technologie, etwa bei der Codegenerierung, bei der Analyse von Quellcode auf Schwachstellen, bei der Detektion von Malware oder bei der Erstellung von Lagebildern zur Abwehr von Cyberbedrohungen. Quelle (u.a.): https://www.zdnet.de/88415746/bsi-studie-wie-ki-die-bedrohungslandschaft-veraendert/
Einen Überblick über die Chancen und Risiken von KI in Sachen Cybersicherheit hat das BSI im Rahmen eines aktuellen Forschungsbeitrags untersucht: https://www.bsi.bund.de/dok/1110726
Sie möchten mehr über den Einsatz, das Training und die Schwachstellen von KI erfahren? Das BSI bringt Ihnen die Technologie näher: https://www.bsi.bund.de/dok/131534
3. Cyberattacke auf traditionsreiche Schuhkette
Ein Cyberangriff hat die IT-Systeme des 1905 gegründeten Schuhhändlers Salamander lahmgelegt. Die Probleme bestehen bereits seit Mitte April 2024. Mittlerweile konnten die Geschäftsprozesse in den rund 60 Filialen wieder in Gang gebracht werden; der Onlineshop ist jedoch weiterhin nicht erreichbar. Die Startseite informiert Nutzende lediglich darüber, dass „mit Hochdruck“ an der Behebung der Probleme gearbeitet werde, ein konkretes Zeitfenster wird nicht benannt. Quelle (u.a.): https://www.heise.de/news/Schuhhaendler-Salamander-nach-Cyberattacke-offline-9707690.html
Was können Verbraucherinnen und Verbraucher tun, um persönliche Daten beim Onlineshopping bestmöglich zu schützen? Hier erfahren Sie mehr: https://www.bsi.bund.de/dok/131606
4. Kurz notiert
• Datenleck bei der Lufthansa: Nutzende konnten im April 2024 via Website und App kurzzeitig auf die Buchungsdaten fremder Fluggäste zugreifen. Auch die Airlines Air Dolomiti und Swiss waren betroffen. Die Fehlkonfiguration wurde zwar rasch behoben – doch im Fall der Air Dolomiti wurden die Daten durch Apples KI-Assistent Siri fälschlicherweise in fremde Kalender-Apps importiert. Vereinzelt tauchten unbekannte Buchungen inklusive der damit verbundenen Daten auch Wochen später noch in den Kalendern von anderen Nutzenden auf, obwohl die Lufthansa das Datenleck längst geschlossen hatte. Quelle (u.a.): https://www.golem.de/news/datenpanne-bei-der-lufthansa-siri-ruft-buchungsdaten-fremder-fluggaeste-ab-2405-184805.html
• Bargeld adé? Schweden rudert zurück: Das Land galt lange als Vorreiter beim digitalen Zahlungsverkehr. Doch bereits seit 2020 deutet sich eine Kehrtwende an. Nun betont auch Schwedens Nationalbank, die Riksbank, in ihrem Jahresbericht 2024 den bleibenden Stellenwert von Bargeld. Als Grund führt das Finanzinstitut Sicherheitsbedenken an, da der digitale Zahlungsverkehr etwa durch Cyberattacken unterbrochen werden könne.
• Noch immer machen sich viele Nutzende für Cyberkriminelle leicht angreifbar, indem sie auf besonders naheliegende Passwörter zurückgreifen. Auch Fußballfans bilden dabei keine Ausnahme. Im Gegenteil: Eine von der Telekom veröffentlichte Liste mit Passwörtern, die abgegriffen und im Darknet veröffentlicht wurden, liest sich fast wie eine aktuelle Fan-Statistik: Das Passwort „Bayer04Lev“ ist immer beliebter, „FCBayern“ ist hingegen aus den Top 40 geflogen und „Schalke04“ führt das Passwort-Negativranking an. Übertroffen nur vom zeit- und vereinslosen „Passwort1“. Quelle (u.a.): https://www.stern.de/digital/negativ-ranking–simple-passwoerter—schalke04–vor–borussia–34661014.html
5. Keine Updates mehr für Google Fit
Die Aktivitätstracking-App von Google bekommt keine neuen Funktionen und wurde zuletzt auch nicht mehr aktualisiert. Grund ist der Umstieg Googles auf Fitbit-Apps sowie auf die Android Health Plattform. Um Sicherheitsrisiken durch fehlende Updates zu vermeiden, empfiehlt sich der Umstieg auf alternative Fitnesstracking-Angebote. Quelle (u.a.): https://www.heise.de/news/Google-Fit-Android-APIs-werden-Mitte-2025-eingestellt-Google-Fit-vor-dem-Ende-9708791.html
Sie nutzen Wearables, um Ihre Herzfrequenz, Ihren Schlaf oder Ihre Schrittzahl zu kontrollieren? So gewährleisten Sie dabei die Sicherheit Ihrer Daten: https://www.bsi.bund.de/dok/509310
6. Schwachstelle bei CrushFTP
Eine Schwachstelle in der Datenübertragungssoftware CrushFTP ermöglicht es Angreifenden, die komplette Kontrolle über einen verwundbaren CrushFTP Server zu erlangen. Die Sicherheitslücke wird bereits aktiv ausgenutzt und stellt eine massive Bedrohung für die Datenvertraulichkeit dar. In den Versionen von CrushFTP 10.7.1 oder 11.1.0 sind diese Schwachstelle behoben; es empfiehlt sich ein rasches Update. https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Cybersicherheitswarnungen/DE/2024/2024-232029-1032.pdf?__blob=publicationFile&v=8
7. Aktuelle Warnmeldungen des BSI
Das BSI informiert auf seiner Webseite regelmäßig über aktuelle Schwachstellen in Hard- und Software und gibt Informationen sowie Tipps zum Umgang damit. Hier finden Sie alle Hinweise dazu, wo derzeit Lücken bei der IT-Sicherheit auftauchen:
8. SPD im Visier von russischer Gruppe APT28?
Im Sommer vergangenen Jahres wurden die E-Mail-Konten der SPD-Parteizentrale gehackt. Microsoft-Sicherheitslücken hatten den Angriff möglich gemacht. In der vergangenen Woche wurden nun die Ermittlungen der Bundesregierung zum Fall abgeschlossen. Das Ergebnis: Hinter der Attacke steht die Gruppe APT28, die vom russischen Geheimdienst GRU gesteuert wird. Der deutsche Verfassungsschutz stuft APT28 als einen der „aktivsten und gefährlichsten Cyberakteure weltweit“ ein; der Angriff auf die SPD soll Teil einer europaweiten Angriffswelle gewesen sein. Quelle (u.a.): https://www.sueddeutsche.de/politik/russland-geheimdienst-cyberangriff-spd-1.6859484
Hier erfahren Sie mehr über die sogenannten APT-Gruppen, ihre Ziele und Aktivitäten in Deutschland: https://www.bsi.bund.de/dok/1108342
9. Digitale Gesundheitsanwendungen und ihre Datensicherheit
Im Jahr 2020 wurden die sogenannten „Digitalen Gesundheitsanwendungen“ (DiGA) eingeführt, um Versicherte dabei zu unterstützen, Krankheiten zu erkennen, zu überwachen, zu behandeln oder zu lindern. Die kostenpflichtigen Apps und Browser-Angebote werden von Ärztinnen und Ärzten ebenso verschrieben wie beispielsweise Medikamente. Damit sich Patientinnen und Patienten bei der Nutzung auf den Schutz ihrer besonders sensiblen Gesundheitsdaten verlassen können, hat das BSI die „Anforderungen an die Cybersicherheit von Anwendungen im Gesundheitswesen“ überarbeitet und veröffentlicht: https://www.bsi.bund.de/dok/1110786
10. So schützen Sie Ihren Smart-TV
Smarte Fernsehgeräte sind ans Internet angeschlossen und bieten – wie alle Komponenten im sogenannten „Internet der Dinge“ – einen potenziellen Angriffspunkt für Cyberkriminelle. So wurde beispielsweise vor wenigen Tagen bekannt, dass eine Sicherheitslücke bei Android-TVs Hackern den Zugriff auf persönliche, im Google-Konto hinterlegte Daten wie E-Mails oder Bilder erlauben könnte. Quelle (u.a.): https://www.heise.de/news/Datenleck-Android-TV-kann-E-Mails-und-Dateien-von-Nutzern-offenlegen-9700851.html Um ein Gerät auszuspähen oder es mit Schadsoftware zu infizieren, ist meist mindestens eine Schwachstelle erforderlich. Mit regelmäßigen Sicherheitsupdates, der Verwendung sicherer Apps oder der Deaktivierung unnötiger Dienste und Funktionen können Sie Angreifenden zuvorkommen und Ihr smartes Heimnetzwerk aktiv schützen.
Wie das im Einzelnen gelingt, erfahren Sie hier: https://www.bsi.bund.de/dok/131476
In der neuen IT-Sicherheitskampagne zeigt das BSI, wie man smarte Technik #einfachaBSIchern kann: https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/Kampagne-einfach-absichern/kampagne_node.html
11. Höchste Zeit für Passkeys
Am 1. Mai war Welt-Passwort-Tag. Doch Grund zum Feiern gibt es nicht, denn passwortgesicherte Zugänge sind gefährdet. Gerade erst vermeldete das auf Identitäts- und Zugriffsmanagement spezialisierte Unternehmen Okta eine stark steigende Zahl von Brute-Force-Angriffen. Quelle (u.a.): https://www.golem.de/news/credential-stuffing-okta-warnt-vor-cyberangriff-von-beispiellosem-ausmass-2404-184710.html Bei dieser Angriffsmethode probieren Cyberkriminelle so lange verschiedene Passwörter aus, bis das richtige Kennwort getroffen wird. Nicht nur im Falle von Fußballfans lassen sich also Passwörter, wie in unserer Rubrik „Kurz notiert“ angedeutet, allzu leicht knacken oder erraten. Die gute Nachricht: Es gibt längst etwas Sichereres als Passwörter. Zeit für einen Welt-Passkey-Tag!
Wieso, weshalb, warum? Alles Wissenswerte zum Thema Passkeys erfahren Sie unter diesem Link https://www.bsi.bund.de/dok/1107468 und in unserem Podcast „Update verfügbar“, Folge #40: https://www.bsi.bund.de/dok/1107586.
12. Schutz vor Viren, Würmern und Trojanern
Wie schützt man sich vor Schadsoftware? Was tun, wenn der eigene Rechner infiziert oder gespeicherte Dateien in falsche Hände gelangt sind? Was können Antivirenprogramme leisten? All das und viel mehr verrät in der aktuellen Ausgabe von „Update verfügbar“ Letitia Kernschmidt vom BSI.
Hier geht’s direkt zur neuen Folge #42: https://www.bsi.bund.de/dok/1111166
Sie mögen’s lieber schwarz auf weiß? Auch auf unserer Website können Sie in aller Ruhe nachlesen, wie sich Würmer von Viren unterscheiden, was Schadsoftware genau anrichten kann oder warum die sogenannte Backdoor-Funktion besonders tückisch ist: https://www.bsi.bund.de/dok/132056
13. Soziale Medien und ihr Einfluss auf die Europawahl
In genau einem Monat, am 9. Juni 2024, findet die Europawahl statt. Derzeit prüft die Europakommission, inwieweit Meta, TikTok und X den politischen Diskurs möglicherweise unrechtmäßig beeinflussen, etwa durch die Verbreitung von Falschinformationen, aber auch durch das Einschränken politischer Inhalte. In jedem Fall sollten Nutzende in den kommenden Wochen besonders wachsam sein.
Wie Sie sich und andere vor Falschinformationen schützen, erfahren Sie unter anderem hier: https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/heimat-integration/BMI24006-onepager.pdf;jsessionid=B158C61F56C0EEABD0B900E542C234F4.live882?__blob=publicationFile&v=9
Sie sind selbst politisch aktiv? Das BSI gibt Empfehlungen im Umgang mit den sozialen Medien: https://www.bsi.bund.de/dok/1110334
14. BSI verschärft Anforderungen an E-Mail-Sicherheitslösungen
Der sichere E-Mail-Transport schützt vor unberechtigtem Mitlesen und vor Manipulation persönlicher, aber auch offizieller Nachrichtenverläufe. Insbesondere Landes- und Bundesbehörden sowie Kommunalverwaltungen und kommunale Betriebe müssen auf sichere E-Mail-Kommunikation achten, um u.a. die Daten von Bürgerinnen und Bürgern zu schützen. Vor diesem Hintergrund hat das BSI seine Empfehlungen und Richtlinien in Bezug auf die E-Mail-Sicherheit präzisiert und verschärft: https://www.bsi.bund.de/dok/455608
Sie haben als Verbraucherin bzw. Verbraucher Fragen zur sicheren Nutzung von E-Mail-Programmen und zum Schutz Ihrer Kommunikation? Hier erhalten Sie alle wichtigen Informationen: https://www.bsi.bund.de/dok/131822.
15. Das war der 20. IT-Sicherheitskongress
Mit 10.450 Teilnehmenden richtete das BSI den 20. IT-Sicherheitskongress am 7. und 8. Mai vor einem digitalen Rekordpublikum aus. Das Motto des Kongresses „Cybernation Deutschland: Kooperation gewinnt“ unterstrich deshalb, dass IT-Sicherheit nicht im Alleingang möglich ist. Das gemeinsame Ziel: Ein einheitlich hohes Schutzniveau in Deutschland und Europa. Alle Fachvorträge und Diskussionen sind noch bis zum 9. Juni 2024 online zugänglich.
Zur Rückschau in der Pressemitteilung des BSI: https://www.bsi.bund.de/DE/Service-Navi/Presse/Pressemitteilungen/Presse2024/240508_BSI-Kongress-Recap.html
Inhalte nachträglich anschauen sowie die Kongressdokumentation: https://www.bsi.bund.de/DE/Service-Navi/Veranstaltungen/Deutscher-IT-Sicherheitskongress/20-Dt-IT-Sicherheitskongress/20-dt-IT-Sicherheitskongress_node.html
MIGRATION
Migranten auf den Urlaubsinseln: Wie umgehen mit unbegleiteten Jugendlichen auf den Kanaren? (inkl. Videos)
Die Behörden der Kanarischen Inseln haben die Zahl der Aufnahmezentren für unbegleitete Jugendliche verdoppelt. Die verschiedenen politischen Parteien haben sehr unterschiedliche Ansichten zum Thema Migration.
Auf den kanarischen Inseln haben die Behörden die Zahl der Aufnahmezentren für jugendliche Migranten verdoppelt. Der EU-Migrationspakt sieht vor, dass die Geflüchteten auf andere europäische Staaten verteilt werden.
Viele Jugendliche kommen alleine aus Ländern wie Senegal in Teneriffa an. Sie berichten, dass andere den Weg über den Atlantik nicht überlebt haben.
Viele haben die gefährliche Überfahrt nicht überlebt
Babakar sagt im Gespräch mit Euronews: „Wir kommen aus Senegal. Die Reise war schlimm und viele Leute sind gestorben.“
Die Jugendlichen können in den Aufnahmezentren in Teneriffa versuchen, das Trauma der gefährlichen Flucht zu überwinden.
5.000 unbegleitete Jugendliche unter Vormundschaft der kanarischen Regierung
Euronews-Korrespondent Jaime Velazquez hat eines der Zentren, die auf den Kanarischen Inseln für die Betreuung unbegleiteter Minderjähriger eingerichtet wurden, besucht. Bis zu 5.000 stehen jetzt unter der Vormundschaft der kanarischen Regierung.
Etwa die Hälfte der Jugendlichen werden aufs spanische Festland gebracht.
Coalición Canaria will mit anderen EU-Staaten zusammenarbeiten
Francisco Candil von der regionalen Regierungspartei Coalición Canaria ist Vizeminister für Soziales auf den Kanarischen Inseln. Die Regionalregierung versucht, zusammen mit anderen EU-Staaten zu arbeiten, wie Candil erklärt: „Irgendwann haben wir vorgeschlagen, auf EU-Ebene ein Programm zur Betreuung von Familien einzurichten, damit wir eine Antwort geben können, an der die anderen Staaten beteiligt sind.“
Der neue EU-Migrationspakt sieht vor, dass die in Südeuropa Ankommenden auf Drittländer verteilt werden, doch die Rechtspopulisten fordern, die EU-Außengrenzen komplett zu schließen.
Rechtspopulisten von Vox wollen EU-Außengrenzen komplett dicht machen
Paula Jover, Vox-Abgeordnete im Regionalparlament der Kanarischen Inseln macht drastische Vorschläge: „Für VOX ist die Souveränität der Staaten von grundlegender Bedeutung, und wenn die Staaten sichere Grenzen haben wollen, ist es notwendig, diese Grenzen zu schließen. Wir können unsere Armee sehr wohl einsetzen, um zum Beispiel eine Seeblockade zu errichten.“
Kanaren als Plattform für Entwicklungszusammenarbeit
Carlos Alonso, der EU-Kandidat der seit langem auf den Kanaren regierenden Regionalpartei Coalición Canaria möchte die Ursachen der illegalen Einwanderung in den Herkunftsländern der Jugendlichen bekämpfen und die Inseln zu einer Plattform für die Entwicklungszusammenarbeit machen.
Der EU-Migrationspakt ist noch nicht in trockenen Tüchern. Auf den Kanarischen Inseln wird in diesem Jahr mit der Rekordzahl von 70.000 Migranten gerechnet. Wie Spanien und Europa diese Menschen behandeln, auch darum geht es bei der Europawahl im Juni.
- Massendemonstration gegen Massentourismus auf den Kanarischen Inseln
- EU will Kanarische Inseln bei Bewältigung der Migration unterstützen
- Hitzefrei im Oktober auf den Kanaren
GESELLSCHAFT
„Migrationsschock“ hätte heterogene Effekte auf Arbeitsmarkt
Was wäre, wenn plötzlich 250.000 neue Migranten nach Österreich kämen? Welche kurz- bis mittelfristigen Auswirkungen dieses erdachte Szenario auf die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt hätte, untersuchte ein Team um Sebastian Poledna vom Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg (NÖ). Dabei zeigte sich u.a., dass Migration sehr unterschiedlich auf die Arbeitslosigkeit verschiedener Bevölkerungsgruppen wirken kann.
Eine Zuwanderung in diesem Größenmaßstab sei angesichts aktueller Herausforderungen wie Klimawandel, zunehmender Globalisierung und instabiler geopolitischer Lagen durchaus plausibel, schreiben die Forscher. Ihre Simulation mit einem Zeithorizont von fünf Jahren liefere Hinweise, dass Österreichs Wirtschaft und Arbeitsmarkt „das Potenzial habe“, resilient und damit mit einer gewissen Widerstandskraft auf einen derartigen „Migrationsschock“ zu reagieren, heißt es in der Studie, die im Open-Access-Journal „Comparative Migration Studies“ erschienen ist. Zentral dafür sei, so Erstautor Poledna gegenüber der APA, die Auswirkungen von Migration „sehr differenziert erkennen und damit auch darauf reagieren zu können“.
Frauen weniger als Männer betroffen
Die Forschenden vom IIASA und dem Joint Research Centre der Europäischen Kommission entwickelten, aufbauend auf umfassende makroökonomische Informationen wie auch Arbeitsmarkt-Datensätze, einen Ansatz für die Prognose, was eine Zuwanderung von einer Viertel Million Menschen auslösen kann. Das Ergebnis in aller Kürze: Gebürtige Österreicher sind davon im Allgemeinen weniger betroffen als Bürger aus der EU und anderen Ländern, Frauen sind im Allgemeinen weniger betroffen als Männer, und Männer aus anderen Ländern außerhalb der EU werden am stärksten durch die Migration beeinflusst, fassen die Forscher zusammen. Allerdings hätte man auf Basis der Daten bei den Bürgern aus der EU nicht sehen können, woher diese genau kamen, so Poledna einschränkend. Damit lasse sich nicht genau sagen, warum Letztere mehr betroffen sind als Personen, die in Österreich geboren sind.
Wie schon frühere Studien, wies auch die aktuelle Arbeit eine positive Auswirkung der Migration auf das Wirtschaftswachstum – durch erhöhten Konsum und Investitionen – aus, allerdings bei gleichzeitigem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) pro Kopf. Beim Migrationsszenario käme es zu einem prognostizierten Rückgang des Pro-Kopf-BIP um zwei Prozentpunkte im ersten Jahr nach Ankunft der 250.000 Migranten im Vergleich zum Null-Migrations-Szenario. In den nächsten zwei Jahren komme es zwar wieder zu leichten Steigerungen, in absoluten Zahlen erhole sich das Pro-Kopf-BIP während des fünfjährigen Simulationszeitraums aber nicht vollständig. „Eine Erholung würde dann aller Voraussicht langfristig wieder eintreten“, so Poledna.
Als ein eher neuer Aspekt gibt die Studie auch detaillierten Einblick darin, wie sich Migration auf die Arbeitslosigkeit in verschiedenen Bevölkerungsgruppen auswirkt – mit Blick auf das Geschlecht, die Nationalität sowie das Berufsfeld bzw. den industriellen Arbeitsbereich. Es wurden Arbeitslosigkeitsquoten über insgesamt 496 Bevölkerungsgruppen analysiert. Innerhalb der Kohorten der gebürtigen Österreicher, Bürger aus anderen EU-Ländern und Bürger anderer Länder führt die angenommene Migrationswelle „zu einem überproportionalen Anstieg der Arbeitslosigkeit bei Männern im Vergleich zu Frauen“, vor allem in der Gruppe der Bürger und Bürgerinnen aus Drittstaaten.
Weibliche Migranten sind erfolgreicher am Arbeitsmarkt
Es fanden sich auch Hinweise, dass sich weibliche Migranten „signifikant erfolgreicher“ in den österreichischen Arbeitsmarkt integrieren können als männliche Migranten. Ein weiteres Ergebnis lautet etwa, dass eine derartige Zuwanderungswelle zu einer stärkeren Zunahme der Arbeitslosigkeit unter Migranten in den Sektoren Landwirtschaft und Gesundheitsversorgung führen könne – Sektoren, wo nicht selten hoch qualifizierte Migranten arbeiten, da ihre beruflichen Qualifikationen hierzulande eher nicht anerkannt werden.
Die angenommene Migrationswelle habe zwar auf die meisten Berufsfelder negative Effekte, aber diese variieren stark: Die stärksten negativen Auswirkungen zeigten sich im Bereich „Verwaltungs- und Unterstützungs-Services“, wozu auch Gebäudereinigung und Arbeitskräfteüberlassung zählt, wie auch „Beherbergungs- und Gastronomiesektor“, also „Industrien, die eine bedeutende Anzahl von Migranten beschäftigen“, heißt es in der Studie.
Im Rahmen jüngerer, realer Migrationswellen sei jene aus dem Jahr 2015 – um den Höhepunkt des Bürgerkrieges in Syrien herum – und die damit verbundenen 88.000 Flüchtige aus dem Nahen Osten, die in Österreich Asyl suchten, besonders signifikant, schreiben die Forscher. Sie habe auch die aktuelle Studie inspiriert.
Im Rahmen ihrer Untersuchung analysierten die Forscher rund 1.000 verschiedene Gruppen (Kohorten) unter Berücksichtigung verschiedener Charakteristika. Ihr methodischer Ansatz, so unterstreichen sie, könne künftig dazu beitragen, dass politische Entscheidungsträger die Auswirkungen von Migrationswellen besser antizipieren und die nationale wirtschaftliche Resilienz besser einschätzen können.
Service: https://doi.org/10.1186/s40878-024-00374-3
GESCHICHTE
„Digitale Erinnerungslandschaft“ wird auf ganz Österreich ausgeweitet
Die „Digitale Erinnerungslandschaft“ (DERLA) der Universität Graz sowie der Agentur für Bildung und Internationalisierung (OeAD) soll bis 2025 auf ganz Österreich ausgeweitet werden. Derzeit umfasst die digitale Landkarte, auf der Erinnerungsorte und -zeichen für Opfer bzw. Orte des Terrors des Nationalsozialismus verzeichnet sind, die Bundesländer Vorarlberg, Tirol, Kärnten, Steiermark und Burgenland, so Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) vor Journalisten.
Auf der digitalen Plattform finden sich selbstgeführte aufbereitete Rundgänge zu den Erinnerungsorten sowie Opfer-Biographien, außerdem werden Hilfestellungen für Lehrkräfte vermittelt, die mit ihren Klassen selbstständig mehr zu den einzelnen Stätten erarbeiten möchten. Damit solle die schulische Erinnerungskultur gestärkt werden, so Polaschek. DERLA solle „Erinnerungsorte und -zeichen sichtbar machen, die in der unmittelbaren örtlichen Nähe der Schülerinnen und Schüler zu finden sind. So gibt es auch ein deutlicheres Erleben von Geschichte. Es ist ein Unterschied, ob man etwas hört von Verbrechen, die ganz weit weg passiert sind, oder wenn man etwa erfährt, dass zum Beispiel ein Opfer in der unmittelbaren Nachbarschaft gelebt hat oder eine Synagoge in unmittelbarer Nähe zerstört worden ist. Dann wird Geschichte viel greifbarer.“
Georeferenzierte Projekte gebe es bereits für unterschiedliche Stätten, betonte der Historiker Gerald Lamprecht. „Wir gehen aber noch einen Schritt weiter, indem wir die Orte mit Vermittlungsansätzen verknüpfen.“ Am frei zugänglichen Projekt des Centrums für Jüdische Studien und des Zentrums für Informationsmodellierung der Uni Graz bzw. des OeAD-Programms ERINNERN:AT sind deshalb neben Historikern auch Medienpädagoginnen sowie Vertreterinnen und Vertreter der digitalen Geisteswissenschaften und der Geschichtsdidaktik beteiligt.
Ab den 1990er-Jahren seien in der Erinnerungsarbeit die Erzählungen von Zeitzeugen ins Zentrum gerückt, schilderte Lamprecht. So habe man an Schulen authentische Erzählungen vermitteln können. Diese Generation sterbe aber langsam aus. „Deshalb kommt jetzt dem Ort eine zentrale Überlegung zu. Geschichte passiert nicht irgendwo, sondern auch hier ums Eck. Der Nationalsozialismus hat hier stattgefunden, auch an der eigenen Schule. Das kann ein Anknüpfungspunkt sein für historisches Lernen.“
Ziel sei es daher, alle Erinnerungszeichen und Orte des Terrors in dieser Landkarte einzutragen und auch mit Infos und Fotos versehen, so Lamprecht. Wichtig sei es auch zu zeigen, wie erinnert wird. So würden etwa Kriegerdenkmäler sehr zentral am Hauptplatz stehen, während die Erinnerungszeichen oft sehr versteckt seien. „Wie wird an Widerstand erinnert, wie wird an NS-Terror erinnert und wie an Euthanasie – das gilt es auch analytisch auszudifferenzieren.“
Für Salzburg soll die Karte Ende 2024/Anfang 2025 verfügbar sein, Wien mit 1.600 Erinnerungsorten und 1.500 Opfer-Biographien folgt ebenfalls Anfang 2025. Für Niederösterreich soll es Ende 2025 so weit sein, für Oberösterreich steht erst mit heuer der Projektbeginn fest. Darüber hinaus sollen noch heuer alle Außenlager der KZ Mauthausen und Dachau in Österreich abrufbar sein.
Service: https://go.apa.at/1KCiz0Nv
MENSCHEN
Biochemiker Hans Tuppy 99-jährig gestorben
Der Biochemiker und ehemalige Wissenschaftsminister Hans Tuppy ist im Alter von 99 Jahren gestorben, wie das Bildungsministerium am Mittwoch in einer Aussendung bekannt gab. Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) würdigte Tuppy als „großartigen Denker und Visionär“. Am 22. Juli hätte der gebürtige Wiener seinen 100. Geburtstag gehabt, laut Parte ist er bereits am 24. April verstorben.
Tuppy absolvierte eine bemerkenswerte hochschulpolitische Karriere und hat als Forscher international reüssiert. Sein breites wissenschaftliches Oeuvre reichte von der Aufklärung der Insulin-Struktur bis zur Biochemie der Blutgruppensubstanzen. Tuppy hat als junger Wissenschafter an nobelpreiswürdigen Entwicklungen mitgewirkt und in der „österreichischen Universitätswüste“ der 1950er-Jahre mit dem Institut für Biochemie der Uni Wien eine „kleine Oase“ geschaffen, wie es der Biochemiker Gottfried Schatz einmal formuliert hat. Das österreichische Wissenschaftssystem hat er als Rektor der Universität Wien, Präsident des Wissenschaftsfonds FWF, der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und als Minister mitgeprägt.
Exemplarisch für dieses überaus arbeitsreiche Leben könnte ein Satz aus der Nobelpreisrede von Frederick Sanger 1958 gelten, mit dem er die Mitarbeit des jungen österreichischen Nachwuchswissenschafters an der Aufklärung der Struktur des Insulins in Cambridge würdigte: „Tappy worked so hard.“ Tuppy war unter der englischen Aussprache seines Namens in der internationalen Scientific Community bekannt geworden.
Am 22. Juli 1924 in Wien geboren, wuchs Tuppy in einer gutbürgerlichen Familie in Wien auf. Im Krieg kam er zum Arbeitsdienst, war aber aufgrund einer Verletzung bald nicht mehr kriegsdienstfähig. Er begann ein Chemiestudium, das er 1948 mit dem Doktorat abschloss.
Sein politisches Leben begann 1945, ein Jahr, das er „als Befreiung“ empfand, wie er einmal gegenüber der APA erklärte. Nach dem Ende des Nazi-Regimes, das seinen Vater das Leben kostete – der Staatsanwalt wurde als Ankläger im Dollfuß-Prozess ermordet – konnte er „endlich etwas tun“.
Der Chemiestudent war Mitbegründer der Katholischen Hochschulgemeinde und der „Freien österreichischen Studentenschaft“, die später in die „Union Österreichischer Akademiker“ überging. Schon damals regte sich sein Interesse an der Hochschulpolitik, doch die Wissenschaft hat ihn noch mehr gefesselt.
Wechsel nach Cambridge zu späterem Nobelpreisträger
Nach seiner Promotion ging der damals 25-Jährige über Vermittlung des gebürtigen Österreichers und späteren Nobelpreisträgers Max Perutz an die Universität Cambridge (Großbritannien), wo er erstmals mit biochemischen Fragestellungen in Berührung kam. Unter Fred Sanger war er an der erstmaligen Aufklärung der Aminosäuresequenz eines Proteins, des Insulins, beteiligt. Dafür erhielt Sanger 1958 seinen ersten Nobelpreis.
Nach weiteren Ausbildungen am Carlsberg Laboratorium in Kopenhagen (Dänemark) kehrte Tuppy 1951 nach Österreich zurück und wurde Assistent am II. Chemischen Institut der Universität Wien. 1956 habilitierte er sich, wurde 1958 außerordentlicher Professor und 1963 Ordinarius am neu geschaffenen Lehrstuhl für Biochemie an der medizinischen Fakultät der Uni Wien.
Schon zuvor wollte das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim Tuppy die Forschungsleitung des Werks in Biberach (Deutschland) anvertrauen, doch der Wissenschafter wollte lieber an der Uni bleiben. Um das wissenschaftliche Potenzial von Tuppy dennoch zu nutzen, richtete das Unternehmen 1961 in Wien das Institut für Arzneimittelforschung ein. Er leitete das Institut auch kurze Zeit neben seiner Uni-Tätigkeit und bestimmte dessen inhaltliche Ausrichtung, etwa auf Interferone.
Wissenschaftlich spezialisierte sich Tuppy nicht sehr, sondern bearbeitete mehrere Themen gleichzeitig. Es sei typisch für ihn gewesen, „nicht nur auf eine Sache sehr konzentriert“ gewesen zu sein.
Struktur des „Kuschelhormons“ Oxytocin entschlüsselt
Nach der Arbeit mit Sanger am Insulin entschlüsselte Tuppy in Wien die Struktur des als „Kuschelhormon“ bezeichneten Oxytocin, es gelang ihm die enzymatische Umwandlung von Blutgruppensubstanzen oder die Entdeckung einer Gruppe von Neuraminsäurederivaten mit antiviraler Wirkung. Zudem wirkte er an der Entdeckung der DNA der Mitochondrien mit.
In den 1960er-Jahren engagierte sich Tuppy wieder vermehrt in hochschulpolitischen Fragen. In der vom damaligen ÖVP-Bundesparteiobmann Josef Klaus initiierten Vordenkerorganisation „Aktion 20“ leitete er den Bereich Bildung und Wissenschaft und galt schon damals als Ministerkandidat.
Stufe um Stufe kletterte Tuppy dann die akademische Karriereleiter hinauf. 1970 bis 1972 war er Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. 1974 wurde er zum Präsidenten des 1967 gegründeten Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) gewählt, eine Funktion, die er bis 1982 innehatte.
Es gelang Tuppy in der Projektförderung bis heute gültige internationale Standards einzuführen, konkret die Begutachtung von Förderungsanträgen durch ausländische Gutachter („Peer-Review“). Das sei eine „radikale Änderung“ gegenüber dem zuvor herrschenden „paternalistischen System gewesen, in dem man von den eigenen Leuten begutachtet wurde“, erinnerte sich Tuppy.
Uni-Rektor, ÖAW-Präsident, Wissenschaftsminister
1983 wurde Tuppy für zwei Jahre zum Rektor der Uni Wien gewählt, gleichzeitig stand er der Rektorenkonferenz vor. 1985 folgte die Wahl zum Präsidenten der ÖAW, eine Funktion, die er 1987 frühzeitig aufgab, um dem Ruf der ÖVP auf den Posten des Wissenschaftsministers zu folgen. In seine Amtszeit fiel die Eröffnung des Instituts für molekulare Pathologie (IMP) durch Boehringer Ingelheim – der Höhepunkt einer Entwicklung, an deren Anfängen Tuppys international ausgezeichneter Ruf als Wissenschafter stand. Zwei Jahre später (1989) musste Tuppy im Zuge einer ÖVP-Regierungsumbildung den Ministersessel für Erhard Busek räumen.
Er zog sich wieder in den universitären Alltag zurück, bis er im Alter von 70 Jahren emeritierte. Doch auch danach bot er weiterhin Vorlesungen und Prüfungen an. Noch im Jahr 2022 leitete Tuppy eine Findungskommission, die die Wahl des neuen ÖAW-Präsidenten vorbereitet hat. Seine hohe Aktivität führte er einmal auf seine „positive Einstellung“ zurück. Er gehöre zu denen, „die den deutschsprachigen Kulturpessimismus für ein Verhängnis halten“.
Geehrt wurde Tuppy mit vielen Ehrendoktoraten, dem Österreichischen Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst (1975), der Wilhelm-Exner-Medaille (1978) und dem Wittgensteinpreis der Österreichischen Forschungsgemeinschaft (2002). Die Uni Wien und die ÖAW haben zu seinen Ehren 2016 die „Hans Tuppy-Lectures“ ins Leben gerufen. Dabei tragen hervorragende Wissenschafter vor, die einen bahnbrechenden Beitrag zu Biochemie oder Molekularbiologie geleistet haben.
Mit dem Ableben Tuppys verliert Österreich eine renommierte Forschungspersönlichkeit, die auch das Wissenschaftssystem des Landes über viele Jahrzehnte maßgeblich mitprägte.
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