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FAZIT DES TAGES
Märkte – Report
Israel, Ukraine
Meldungen
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Viel Stoff – Nutze die Suchfunktion!
HELLMEYER-Report (gekürzt)
- Märkte: Stabilität, aber auch Nervosität
- Ifo –Barometer des Einzelhandels fällt dritten Monat in Folge
- Deutschland schafft Klimaziel
Märkte: Stabilität, aber auch Nervosität
Die internationalen Finanzmärkte zeigen sich unter Schwankungen fortgesetzt stabil. Gleichzeitig
zeigt sich Nervosität hinsichtlich des weiteren Konjunkturverlaufs und der voraussichtlichen
Zinspolitik (Verzögerung des Beginns der Senkungen) in der westlichen Hemisphäre.
Auch der Sektor Geopolitik schürt Nervosität. Der Ukraine-Konflikt zeigt immer stärker, dass ein
westlicher Zielwechsel vorgenommen wird. Geht es um die Ukraine oder den Konflikt des Westens
gegenüber Moskau (Debatte in den USA, Macht, Rohstoffe)? Ist dieser Konflikt gar Mittel zum
Zweck? Immer stärkere Eskalation geht vom Westen aus. Das Risiko eines Weltkriegs nimmt zu.
Im Gaza-Konflikt wird dagegen nahezu solitär verbal „sanktioniert“. Man bittet und fordert.
Putin setzte sich bei der Präsidentschaftswahl klar durch. Ob der Westen die Wahlergebnisse
anerkennt oder nicht, wird für die Entwicklung der Geopolitik irrelevant sein. Der „Globale Süden“ wird das Ergebnis anerkennen. Im Globalen Süden wird das Tempo der Weltwirtschaft bestimmt.
Das Datenpotpourri (siehe unten) belegt einmal mehr Stärke in Chinas Wirtschaftslage und
andererseits weniger erbauliche Daten aus den USA und Europa. Deutschlands Einzelhandel
kommt laut IFO-Barometer stärker unter Druck (siehe unten).
An den Aktienmärkten ergab sich in den letzten 24 Handelsstunden keine einheitliche Lage. Der
Late-Dax nahm um 0,40% zu, der EuroStoxx 50 um 0,29%. Dagegen verloren die US-Märkte, allen
voran der Citi US Tech 100 um 1,11%, der S&P 500 um 0,63% und der Dow Jones um 0,49%. Der
Nikkei (Japan) verzeichnete Stand 06:45 Uhr einen Anstieg um 2,44%, der CSI 300 (China) um
0,70%, der Hangseng (Hongkong) um 0,38%) und der Kospi (Südkorea) um 0,65%. Dagegen sank
der Sensex-Index (Indien) um 0,33%.
An den Rentenmärkten kam es zu einer Konsolidierung. Die 10-jährige Bundesanleihe rentiert
aktuell mit 2,43% (Vortag 2,43%), während die 10-jährige US-Staatsanleihe eine Rendite in Höhe
von 4,30% abwirft (Vortag 4,28%).
Der USD ist gegenüber dem EUR unwesentlich schwächer (Freitag 1,0877, aktuell 1,0887). Gold
hat gegenüber dem USD an Boden verloren, Silber war stab stabil.
Nachrichten in Kurzform:
• Berlin: Das IFO-Barometer des Einzelhandels sank den dritten Monat in Folge. Die
aktuelle Geschäftslage wurde mit -18 nach zuvor -15,2 Punkten bewertet. Der
Erwartungsindex stellte sich auf -36,7 Zähler.
• Berlin: Laut Statistischem Bundesamt kam es 2023 zu einem Anstieg der
Firmeninsolvenzen um 22,1%. Eine weitere Zunahme sei 2024 zu erwarten.
• Berlin: Laut Monatsbericht des Wirtschaftsministeriums sieht die Bundesregierung
noch keine spürbare Belebung der Konjunktur.
• Berlin: Kanzler Scholz erwartet eine Stabilisierung des deutschen Wohnungsbaus
unter Verweis auf stabile Arbeitsmärkte.
• Brüssel: Die EU will die Beziehungen zu Ägypten mit finanziellen Zusagen in Höhe
von fünf bis sechs Milliarden EUR ausbauen.
• Zürich: In der Schweiz findet eine Debatte über die Bank UBS statt. Die Bank
machte aktuell einen Rekordgewinn, aber sie wäre in einem Krisenfall für die
Schweiz zu groß zum Retten.
• Tel Aviv: Premier Netanjahu billigt Pläne für eine Militäroperation in Rafah gegen
den verbalen Widerstand Washingtons und lehnte Hamas-Vorschläge ab.
• Niamey: Die Militärregierung in Niger hat mit sofortiger Wirkung ein
Militärabkommen mit den USA widerrufen, weil sich die US-Delegation nicht an das
diplomatische Protokoll gehalten hätte (u.a. unabgestimmte Einreise).
• Moskau: Präsident Putin setzte sich bei den Präsidentschaftswahlen mit einem
Ergebnis von gut 87% durch.
• Peking: China reüssiert mit starker Industrieproduktion, starken Einzelhandels-
umsätzen als auch stärker als erwartet Investitionen in urbanen Regionen.
Deutschland schafft Klimaziel
Deutschland erreichte das Klimaziel 2023 und sieht sich auf Kurs für 2030. Mit 673
Millionen Tonnen wurden circa 10% weniger Treibhausgase ausgestoßen als 2022.
Das sei der stärkste Rückgang seit der Vereinigung 1990. Gründe seien vor allem, dass
weniger Kohle in Kraftwerken verbrannt wurde und dass die Wirtschaft schwächer lief.
Kommentar: Wir dürfen uns darüber freuen, dass ein Ziel erreicht wurde. Das Weltklima wird
damit jedoch nicht gerettet. Laut jüngstem „Global Carbon Budget“ kam es 2023 zu einem
Ausstoß von 36,8 Mrd. Tonnen CO2. Gegenüber dem Vorjahr ist das ein Anstieg um 1,1% und
ein neuer Rekordwert.
Der deutsche Anteil am Weltausstoß stellte sich auf knapp 1,83%. Der Anteil der deutschen
Wirtschaft an der Weltwirtschaft liegt bei 3,3% (Kaufkraftparität). Deutschland hat in der
westlichen Welt das energieintensivste Geschäftsmodell und trägt bezüglich der
Wirtschaftsleistung extrem unterproportional zu dem CO2 Ausstoß bei (Musterschüler!).
Diesbezüglich muss die Frage gestellt werden, ob der Preis, den die Unternehmen und Bürger
dieses Landes durch die aktuelle Politik zu schultern haben, vertretbar ist. Wir können unsere
Basis zerrütten, aber wir werden das Weltklima damit nicht retten! Es braucht Maß und Mitte!
Ifo –Barometer des Einzelhandels fällt dritten Monat in Folge
Das IFO-Barometer des Einzelhandels sank den dritten Monat in Folge. Die aktuelle
Geschäftslage wurde mit -18 nach zuvor -15,2 Punkten bewertet. Der Erwartungsindex stellte
sich auf -36,7 Zähler.
IFO-Experte Höppner sagte: „Das konjunkturelle Umfeld bleibt für den Einzelhandel weiter sehr
herausfordernd. Die Verbraucherinnen und Verbraucher halten sich beim Einkaufen zurück,
das belastet die Geschäfte der Einzelhändler. Wegen der schwachen Nachfrage blieben bei
vielen Einzelhändlern die Lagerbestände zu hoch. Für die kommenden Monate wollen weniger
Unternehmen neues Personal einstellen. Neben der schwierigen Nachfragesituation
verunsichern die stockenden Tarifverhandlungen viele Einzelhändler zusätzlich.“
Kommentar: Die Situation der deutschen Wirtschaft ist umfassend von Schwäche geprägt. Die
Zurückhaltung der Verbraucher ist Ausdruck eines massiven Vertrauensverlustes der Bürger
gegenüber der Politik. Der Vertrauensverlust der Unternehmer ist jedoch noch ausgeprägter.
Die Situation ist historisch betrachtet einmalig. Wann agiert die Politik im Sinne der Bürger und
der Unternehmen in einem angemessenen Umfang?
Datenpotpourri der letzten 24 Handelsstunden
Eurozone: Daten ohne neue Erkenntnisse
Die Devisenreserven der Eurozone verzeichneten per Februar einen Stand von 1.156,1 Mrd.
EUR nach zuvor 1.158,0 Mrd. EUR.
Frankreich: Gemäß finaler Berechnung nahmen die Verbraucherpreise im Monatsvergleich um
0,9% (Prognose und vorläufiger Wert 0,9%) zu. Im Jahresvergleich ergab sich ein Anstieg um
3,2% (Prognose und vorläufiger Wert 3,1%).
Italien: Laut finaler Berechnung legten die Verbraucherpreise im Monatsvergleich um 0,1% zu
(vorläufiger Wert und Prognose 0,1%). Im Jahresvergleich ergab sich ein Anstieg um 0,8%
(Prognose und vorläufiger Wert 0,8%).
Italien: Die Einzelhandelsumsätze sanken per Januar im Monatsvergleich um 0,1% nach zuvor
-0,2% (revidiert von -0,1%). Im Jahresvergleich kam es zu einem Anstieg um 1,0% nach zuvor
0,2% (revidiert von 0,3%).
USA: Daten verfehlen weitgehend Erwartungen
Der New York Fed Manufacturing Business Index sank per März von -2,4 auf -20,9 Punkte
(Prognose -7,0).
Die Importpreise nahmen per Februar im Monatsvergleich um 0,3% zu (Prognose 0,3%,
Vormonat 0,8%). Im Jahresvergleich kam es zu einem Rückgang um 0,8% nach zuvor -1,3%.
Die Industrieproduktion nahm per Februar im Monatsvergleich um 0,1% zu (Prognose 0,0%,
Vormonat revidiert von -0,1% auf -0,5%). Im Jahresvergleich ergab sich ein Rückgang um
0,23% nach zuvor -0,31% (revidiert von +0,03%).
Die Kapazitätsauslastung stellte sich per Februar auf 78,3% (Prognose 78,5%) nach zuvor
78,3% (revidiert von 78,5%).
Der Index des Verbrauchervertrauens nach Lesart der Universität Michigan sank laut
vorläufiger Berechnung von zuvor 76,9 auf 76,5 Punkte (Prognose 76,9).
China: Starke Zahlen, aber höhere Arbeitslosenquote
Die Einzelhandelsumsätze legten per Februar im Jahresvergleich um 5,5% (Prognose 5,2%)
nach zuvor 7,4% zu.
Die Industrieproduktion stieg per Februar im Jahresvergleich um 7,0% (Prognose 5,0%) nach
zuvor 6,8%.
Die urbane Investitionstätigkeit verzeichnete per Februar einen Anstieg um 4,2% (Prognose
3,2%) nach zuvor 3,0%.
Die Arbeitslosenquote stellte sich per Januar auf 5,3% nach zuvor 5,1%.
Hier den Hellmeyer Report lesen! (inkl. Graphiken und Tabellen!)
SENTIX
Negative Sentimentdivergenz – Ergebnisse des sentix Global Investor Survey (11-2024)
Stell dir vor es ist Bullenmarkt und die Anleger lassen sich davon nicht anstecken. Genau das ist der Fall. Die Preise entfachen keinen Jubel bei den Anlegern. Im Gegenteil. Mit den ständigen neuen Hochs wächst die strategische Skepsis. Aber auch auf kurze Sicht wächst der Anteil der Bären. Im Sentiment ist eine deutliche negative Divergenz entstanden, die an Ende 2021 erinnert. Bullenmärkte werden nicht nur durch Euphorie sondern manchmal auch durch rationale Abkehr beendet.
Weitere Ergebnisse
- Bonds: Scharfer Stimmungseinbruch
- Rohöl: Grundvertrauen steigt weiter an
- sentix Styles – Risikoneigung und Anlegerpräferenzen
MÄRKTE
DJI – BAHA *** DJI – KGV *** Rendite 10-jg. US-Anleihen
DAX Deutsche Börse *** DAX – KGV *** Rendite 10-jg. Bundesanl. *** Euro-Bund Futures
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DJI – BAHA *** DJI – KGV *** Rendite 10-jg. US-Anleihen
DAX Deutsche Börse *** DAX – KGV *** Rendite 10-jg. Bundesanl. *** Euro-Bund Futures
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ISRAEL, UKRAINE
n-tv aktuell ISRAEL
ROUNDUP: Israels Armee kämpft erneut im Schifa-Krankenhaus – Nacht im Überblick
GAZA/DOHA (dpa-AFX) – Bei einem erneuten Einsatz der israelischen Armee im Bereich des Schifa-Krankenhauses im umkämpften Gazastreifen ist es nach eigenen Angaben zu Feuergefechten mit Terroristen der islamistischen Hamas gekommen. Während des „präzisen“ Einsatzes hätten Terroristen das Feuer auf die israelischen Soldaten aus dem Krankenhaus heraus eröffnet, teilte die Armee in der Nacht zum Montag mit. Die Truppen hätten das Feuer erwidert und „Treffer festgestellt“. Der Einsatz der Armee und der Luftwaffe auf dem Gelände des größten Krankenhauses des abgeriegelten Küstengebiets in der Stadt Gaza gehe weiter, Terroristen würden festgenommen, teilte die Armee mit. Israels Armee: Hamas hat sich im Schifa-Krankenhaus neu gruppiert
Nachrichtendienstliche Informationen hätten ergeben, dass das Krankenhaus von ranghohen Mitgliedern der Hamas zur Durchführung terroristischer Aktivitäten genutzt werde, hieß es. Man wisse, dass sich die Islamisten dort neu gruppiert hätten, um Angriffe gegen Israel zu befehligen, sagte Armeesprecher Daniel Hagari. Die Soldaten seien angewiesen worden, „vorsichtig“ vorzugehen und Maßnahmen zu treffen, Schäden an Patienten, Zivilisten, medizinischem Personal und medizinischer Ausrüstung zu vermeiden. Für die Patienten und das medizinische Personal bestehe keine Verpflichtung, das Krankenhaus zu verlassen. Man habe ihnen aber dafür Möglichkeiten geschaffen. Israel schickt Delegation nach Katar
Israel wird derweil erstmals seit zwei Wochen wieder an den indirekten Verhandlungen über eine vorläufige Waffenruhe und Freilassung der Geiseln im Gaza-Krieg teilnehmen. Das israelische Sicherheitskabinett habe am späten Sonntagabend die Abreise einer Delegation unter Leitung des Chefs des Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, an diesem Montag nach Katar genehmigt, berichteten israelische Medien. In der dortigen Hauptstadt Doha bemühen sich die Vermittler Katar, Ägypten und die USA, die zuletzt ins Stocken geratenen Gespräche über eine vorläufige Waffenruhe und einen Austausch von israelischen Geiseln gegen palästinensische Häftlinge voranzubringen. Israels Sicherheitskabinett habe der Delegation aber nur ein allgemeines Mandat erteilt, schrieb der gut vernetzte israelische Journalist Barak Ravid vom Nachrichtenportal „Axios“ auf der Plattform X (vormals Twitter). Netanjahu bekräftigt Einsatz in Rafah
Die Drohung mit einer unmittelbar bevorstehenden Offensive in Rafah im Süden des abgeriegelten Gazastreifens sei nach Ansicht israelischer Beamter und Analysten ein wichtiges Druckmittel Israels bei den Gesprächen, berichtete das „Wall Street Journal“. In Rafah suchen derzeit nach Schätzungen 1,5 Millionen Palästinenser auf engstem Raum und unter elenden Bedingungen Schutz. Hilfsorganisationen warnen vor vielen weiteren zivilen Todesopfern. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte vor seinem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag nochmals klargemacht, dass er an einem Militäreinsatz in Rafah festhalte und ein Ende des Gaza-Krieges vor Erreichen aller israelischen Ziele entschieden ablehne.
Israel habe aber noch keine Truppen für den Einmarsch in die an Ägypten grenzende Stadt in Stellung gebracht, berichtete das „Wall Street Journal“. Netanjahus Regierung stecke in einer Zwickmühle, zitierte die Zeitung einen Militäranalysten des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv. Netanjahu könne keine Truppen nach Rafah beordern, bevor er nicht einen klaren Evakuierungsplan für die Menschen dort aufgestellt habe. Man werde in Rafah vorgehen, sagte Netanjahu am Sonntag zu Beginn einer Kabinettssitzung. Das werde einige Wochen dauern, aber es werde passieren. Unklar war, ob er damit meinte, dass der Einsatz in Rafah in einigen Wochen stattfinden oder mehrere Wochen dauern würde. Netanjahu: Neuwahlen würden Krieg beenden und Israel lähmen
Einige in der internationalen Gemeinschaft versuchten, den Krieg zu beenden, bevor alle Ziele erreicht seien, zitierte die „Jerusalem Post“ Netanjahu weiter. „Sie tun dies, indem sie falsche Anschuldigungen gegen die israelischen Streitkräfte, gegen die israelische Regierung und gegen den israelischen Ministerpräsidenten erheben“, fügte Netanjahu demnach hinzu. „Sie tun dies, indem sie versuchen, jetzt, mitten im Krieg, Wahlen herbeizuführen. Und sie tun dies, weil sie wissen, dass Wahlen jetzt den Krieg beenden und das Land für mindestens sechs Monate lähmen würden“, zitierte die Zeitung Netanjahu. Biden: Mehr Hilfe für Gaza und Feuerpause dringend notwendig
US-Präsident Joe Biden machte unterdessen erneut deutlich, dass er eine Aufstockung der humanitären Hilfe für die Menschen im Gazastreifen und eine Verständigung über eine Feuerpause für dringend notwendig hält. Man müsse außerdem vorankommen mit einer Zweistaatenlösung, die der „einzige Weg“ zu dauerhaftem Frieden und Sicherheit sei. Damit ist ein unabhängiger palästinensischer Staat gemeint, der friedlich Seite an Seite mit Israel existiert. Netanjahu lehnt eine solche Zweistaatenlösung genauso ab wie die Hamas.
Israel macht derweil weiter Jagd auf die Anführer der Hamas im Gazastreifen. Man werde weiter im Einklang mit dem Völkerrecht gegen die Hamas vorgehen, die systematisch Krankenhäuser und zivile Infrastruktur benutze, erklärte die Armee bei der Bekanntgabe über einen erneuten Einsatz im Schifa-Krankenhaus. Auch die US-Regierung hatte Israels Darstellung gestützt, wonach die Hamas das größte Krankenhaus im Gazastreifen als Kommandozentrum und Waffenlager benutzt haben soll. Das israelische Militär war bereits Mitte November trotz massiver internationaler Kritik in das Schifa-Krankenhaus eingedrungen. Dort fand die Armee nach eigenen Angaben einen Tunnelkomplex der Hamas. Bericht: Zerstörung der Hamas-Tunnel kann noch das ganze Jahr dauern
Die Zerstörung der weitverzweigten unterirdischen Tunnel der Islamisten könnte nach Ansicht der israelischen Militärexpertin Miri Eisin noch das ganze Jahr über dauern, berichtete das „Wall Street Journal“. „Alles, was es braucht, ist ein offener Tunnel, von dem wir nichts wussten, damit die Hamas-Kämpfer vom Süden in den Norden kommen können“, sagte die frühere Offizierin der israelischen Streitkräfte der US-Zeitung. Die andauernden Kämpfe ließen erahnen, wie schwierig es sein könnte, die Hamas zu unterwerfen, schrieb die Zeitung. Die Hamas habe zwar die Kontrolle über einen Großteil des Gazastreifens verloren, setze aber den Kampf von den Tunneln aus fort. Die Kämpfe würden dabei sporadischer.
Die Hamas hatte den Vermittlern kürzlich einen neuen Vorschlag vorgelegt. Darin verlangt die Hamas nicht mehr, dass Israel den Krieg beendet, bevor die ersten Geiseln gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen ausgetauscht werden. Dem Vorschlag zufolge würden die Islamisten die Einstellung der Kampfhandlungen durch Israel erst zur Voraussetzung für eine zweite Phase der Geiselfreilassungen machen. Damit näherte sich die Hamas den Inhalten eines mehrstufigen Plans an, den die Vermittler vor mehreren Wochen vorgelegt hatten und den Israel akzeptiert hatte. Weil sich die Hamas nun bewegt hat, ist Israel bereit, erstmals seit zwei Wochen wieder an den indirekt geführten Vermittlungsgesprächen in Katar teilzunehmen. Direkt verhandeln Israel und die Hamas nicht.
Am 7. Oktober vergangenen Jahres hatten Terroristen der Hamas und anderer Gruppierungen im Zuge eines Massakers in Israel rund 250 Menschen verschleppt. Während einer Feuerpause Ende November kamen 105 Geiseln frei. Laut Israels Regierung sind noch rund 100 Geiseln am Leben. Das Massaker war der Auslöser des Krieges im Gazastreifen.
EU will Sanktionen gegen israelische Siedler auf den Weg bringen
BRÜSSEL (dpa-AFX) – Bei einem Außenministertreffen in Brüssel soll an diesem Montag eine Einigung auf EU-Sanktionen gegen radikale israelische Siedler im Westjordanland erzielt werden. Hintergrund ist die verstärkte Gewalt gegen Palästinenser nach dem Hamas-Massaker in Israel vom 7. Oktober. Sie wird in der EU als eines der Hindernisse für Bemühungen um eine langfristige Friedenslösung im Nahost-Konflikt gesehen.
Die Strafmaßnahmen sollen mithilfe des EU-Sanktionsinstruments zur Ahndung von schweren Menschenrechtsverstößen verhängt werden. Von Personen, die betroffen sind, müssten dann in der EU vorhandene Konten und andere Vermögenswerte eingefroren werden. Zudem dürften die Personen nicht mehr in die EU einreisen und keine Geschäfte mehr mit EU-Bürgern machen.
Die Siedlersanktionen hätten eigentlich bereits vor Wochen beschlossen werden sollen. Die ungarische Regierung, die in der EU als besonders israelfreundlich gilt, signalisierte allerdings erst vor Kurzem die notwendige Zustimmung. Teil der Einigung soll auch sein, dass es auch neue Strafmaßnahmen gegen die Hamas gibt.
Neben den Sanktionen zum Nahost-Konflikt sollen bei dem Treffen der Außenministerinnen und Außenminister auch Strafmaßnahmen wegen des Todes des russischen Oppositionsführers Alexej Nawalny auf den Weg gebracht werden. Deutschland und die anderen 26 EU-Staaten werfen Kremlchef Wladimir Putin und den russischen Behörden vor, die Schuld am Tod des Politikers zu tragen.
Für die Bundesregierung wird Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) bei dem EU-Treffen erwartet. Neben den Sanktionsplanungen steht unter anderem per Videokonferenz ein informeller Gedankenaustausch mit dem US-Außenminister Antony Blinken sowie mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba auf dem Programm. Geplant ist auch eine gemeinsame Erklärung zur Präsidentenwahl in Russland./DP/he
Israels Armee erneut im Schifa-Krankenhaus im Einsatz
Israels Armee startet einen weiteren Einsatz im Schifa-Krankenhaus. In der größten Klinik des Gazastreifens wird eine Kommandozentrale der Hamas vermutet. Derweil rückt die Hamas von ihren Maximalforderungen bei Verhandlungen über einen Waffenstillstand ab, Israel schickt wieder Vermittler nach Katar.
1,5 Millionen Menschen bedroht Netanjahu startet Rafah-Offensive erst nach Flucht von Zivilisten
Berlin und Washington sehen eine Bodenoffensive in der Grenzstadt Rafah im Süden des Gazastreifens kritisch, weil dort noch Hunderttausende Zivilisten festsitzen. Israels Ministerpräsident Netanjahu möchte zwar nicht von diesen Plänen lassen, kündigt aber Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung an.
Forderung nach Waffenruhe Scholz warnt vor Rafah-Offensive – Netanjahu bleibt stur
Lange hielt sich Bundeskanzler Scholz mit Kritik an Israels militärischer Intervention im Gazastreifen zurück. Nun wird er etwas deutlicher. Vor dem Treffen mit Israels Ministerpräsidenten Netanjahu fordert er diesen dazu auf, eine Bodenoffensive im Süden Gazas zu unterlassen. Doch Netanjahu bleibt hart.
Ex-Schin-Bet-Chef kritisiert Israels Vorgehen im Gazastreifen
Tel Aviv – Der frühere Leiter des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, Ami Ajalon, kritisiert das militärische Vorgehen der israelischen Regierung im Gazastreifen scharf.
„Der Krieg, den wir führen, ist sehr problematisch“, sagte Ajalon der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Es sei ein „Verteidigungskrieg“, aber „jeder Krieg muss irgendwann enden, und dafür braucht es ein klares politisches Ziel“. Genau das verweigere die Regierung aber.
Die militärischen Erfolge Israels betrachtet Ajalon skeptisch: „Jeder Schritt, den wir tun, führt uns tiefer ins Schlamassel.“ Das wirksamste Mittel gegen die Hamas wäre aus seiner Sicht „ein politischer Horizont“ – also „Frieden, das Ende der Besatzung“. „Israel sollte morgen verkünden: Wir führen nicht Krieg gegen die Palästinenser, sondern nur gegen die Hamas.“
Ajalon erwartet allerdings keine Initiative von Israel für einen Friedensprozess. „Die Initiative dazu wird wohl nicht von uns kommen. Beziehungsweise nur als Reaktion auf Forderungen der internationalen Gemeinschaft“, sagte er. „Die sollte endlich in einer Sprache mit uns reden, die wir verstehen. Sie sollte uns sagen, dass genug genug ist.“
ROUNDUP: Scholz redet Netanjahu bei Israel-Besuch ins Gewissen
JERUSALEM (dpa-AFX) – Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat bei seinem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu das militärische Vorgehen Israels im Gaza-Krieg angesichts der hohen Opferzahlen offen infrage gestellt. Er betonte bei einem gemeinsamen Pressetermin zwar, dass Israel das Recht habe, sich gegen den Terror der islamistischen Hamas zu verteidigen. Gleichzeitig legte er Netanjahu am Sonntag nahe, seine Strategie im Gazastreifen zu überdenken.
Netanjahu erklärte dagegen, dass er sich mit dem deutschen Gast darin einig gewesen sei, dass „die Hamas eliminiert werden muss“. Es werde keinen Frieden geben, solange die islamistische Terrororganisation im Gazastreifen bestehen bleibt, sagte er. „Wir haben keine Zukunft, wenn die Hamas, die zum Genozid an uns entschlossen ist, intakt bleibt.“ Scholz: „Es gibt auch eine humanitäre Logik“
Netanjahu hatte am Freitag eine Bodenoffensive in der Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten genehmigt. Dort haben rund 1,5 der mehr als 2,2 Millionen im Gazastreifen lebenden Menschen Zuflucht gesucht. Hilfsorganisationen sprechen von katastrophalen Bedingungen. Die Verbündeten Israels und die internationalen Helfer befürchten extrem hohe Opferzahlen, sollte Israel eine Militäroperation beginnen.
Netanjahu versicherte, vor der geplanten Offensive werde die Zivilbevölkerung in Sicherheit gebracht. Scholz stellte die Frage, wie 1,5 Millionen geschützt werden oder wohin sie gebracht werden sollten. „Die militärische Logik ist eine Erwägung, aber es gibt auch eine humanitäre Logik.“
Während des Fastenmonats Ramadan dürfen auch Muslime im Gazastreifen tagsüber weder essen noch trinken. Kanzler spricht von „schrecklich hohen Kosten“ des Krieges
In den gut fünf Monaten des Krieges sei die Zahl der zivilen Opfer extrem hoch gewesen, „viele würden sagen zu hoch“, sagte Scholz. „Egal, wie wichtig das Ziel auch sein mag, kann es so schrecklich hohe Kosten rechtfertigen, oder gibt es andere Wege, dieses Ziel zu erreichen?“, fragte der Kanzler. Der Terror könne nicht allein mit militärischen Mitteln besiegt werden, sagte er weiter. „Wir brauchen eine Lösung für diesen Konflikt, die nachhaltige und dauerhafte Sicherheit gewährleistet.“ Fragen wurden bei dem kurzen Pressetermin nicht zugelassen. Differenzen wurden schon vor dem Treffen deutlich
Es war der zweite Besuch des Kanzlers seit Beginn des Gaza-Kriegs am 7. Oktober, der durch einen Terrorangriff der palästinensischen Hamas auf Israel ausgelöst wurde. Bei der israelischen Militäroperation gegen die Terrororganisation sind nach Angaben der Gesundheitsbehörde der Hamas Zehntausende Menschen getötet worden.
Scholz hatte vor seinem Israel-Besuch im jordanischen Seebad Akaba den jordanischen König Abdullah II. getroffen. Dort hatte er noch deutlicher vor der Bodenoffensive in Rafah gewarnt: „Es ist ganz klar, dass wir jetzt alles dafür tun müssen, dass die Situation nicht noch schlimmer wird als sie ist“, sagte der SPD-Politiker. „Ich glaube, dass eine große Zahl von Opfern bei einer solchen Offensive jede friedliche Entwicklung dann sehr schwer machen würde. Das wissen auch viele in Israel.“
Netanjahu machte unmittelbar vor seinem Treffen mit Scholz dagegen klar, dass er an einem Militäreinsatz in Rafah festhalte und ein Ende des Gaza-Krieges vor Erreichen aller israelischen Ziele entschieden ablehne. „Wenn wir den Krieg jetzt beenden, bevor seine Ziele erreicht sind, bedeutet dies, dass Israel den Krieg verloren hat“, sagte der Regierungschef. Dies werde man nicht zulassen. Auch Treffen mit Angehörigen von Geiseln
Neben Netanjahu wollte Scholz in Jerusalem auch mit Präsident Izchak Herzog, Minister Benny Gantz sowie Angehörigen von Geiseln sprechen. Man geht davon aus, dass noch rund 100 von ihnen am Leben sind.
Scholz war zehn Tage nach dem Hamas-Angriff erstmals nach Israel gereist, um dem Land die deutsche Solidarität zu versichern. „Die Sicherheit Israels und seiner Bürgerinnen und Bürger ist deutsche Staatsräson“, sagte er damals. „Unsere aus dem Holocaust erwachsene Verantwortung macht es uns zu unserer Aufgabe, für die Existenz und die Sicherheit des Staates Israel einzustehen.“ Scholz-Mahnungen an Israel werden immer deutlicher
Mit Kritik an der israelischen Militäroperation gegen die Hamas hat sich Scholz auch aus der deutschen Staatsräson heraus bis heute im Gegensatz zu anderen Verbündeten sehr zurückgehalten. Das wird in der arabischen Welt kritisch verfolgt. Scholz‘ Mahnungen sind allerdings Schritt für Schritt deutlicher geworden.
Mit Blick auf eine geplante Wiederaufnahme indirekter Verhandlungen über eine vorläufige Waffenruhe sagte Scholz in Jordanien: „Für mich ist ganz klar, dass es jetzt auch darum geht, die Möglichkeit zu konkretisieren, die sich in den bestehenden Gesprächen zeigt, zu einem Waffenstillstand, der länger hält, zu kommen.“ Deutschland beteiligt sich an Luftbrücke für Gaza
Während Scholz in Akaba den jordanischen König traf, bereitete die Luftwaffe knapp 400 Kilometer entfernt auf der „King Abdullah Airbase“ in der Nähe der Hauptstadt Amman weitere Hilfsflüge vor. Damit beteiligt sich Deutschland an der jordanischen Initiative einer Luftbrücke für den Gazastreifen. Nachdem am Samstag die erste Lieferung von vier Tonnen Lebensmitteln – unter anderem Reis und Mehl – aus einem Transportflugzeug an Fallschirmen über dem Norden des Palästinensergebietes abgesetzt wurde, erfolgte am Sonntag der zweite Hilfsflug. Auch mehrere andere Staaten hatten Transportflugzeuge im Einsatz./DP/he
Scholz stellt Vorgehen Israels in Gaza offen infrage
JERUSALEM (dpa-AFX) – Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat bei seinem Treffen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu das militärische Vorgehen Israels im Gaza-Krieg angesichts der hohen Opferzahlen offen infrage gestellt. Er betonte bei einem gemeinsamen Pressetermin zwar, dass Israel das Recht habe, sich gegen den Terror der islamistische Hamas zu verteidigen. Gleichzeitig legte er Netanjahu am Sonntag in Jerusalem nahe, seine Strategie im Gaza-Streifen zu überdenken.
In den gut fünf Monaten des Krieges sei die Zahl der zivilen Opfer extrem hoch gewesen, „viele würden sagen zu hoch“, sagte Scholz. „Egal, wie wichtig das Ziel auch sein mag, kann es so schrecklich hohe Kosten rechtfertigen, oder gibt es andere Wege, dieses Ziel zu erreichen?“, fragte Scholz.
Der Terror könne nicht allein mit militärischen Mitteln besiegt werden, sagte er weiter. „Wir brauchen eine Lösung für diesen Konflikt, die nachhaltige und dauerhafte Sicherheit gewährleistet.“ Es brauche eine positive Perspektive für beide Völker, für Israelis und Palästinenser, „eine Perspektive für eine Zukunft, in der sich die Palästinenser verantwortungsvoll um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern und sich selbst regieren können“./DP/he
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n-tv aktuell UKRAINE
+++ 05:36 Altkanzler Schröder lobt Scholz‘ Ukraine-Kurs +++
Altkanzler Gerhard Schröder stellt sich hinter das Nein von Bundeskanzler Scholz zur Lieferung von Taurus-Raketen in die Ukraine und die grundsätzliche Absage an eine Entsendung von Bodentruppen. „Ich finde, Olaf Scholz macht das, was ich von einem deutschen Bundeskanzler zurzeit erwarten würde“, so Schröder. Der frühere SPD-Chef, der gute Beziehungen in den Kreml pflegt, fordert eine deutsch-französische Initiative für Verhandlungen. Auf die Frage, ob er sich einen „Friedenskanzler“ Scholz wünsche, sagt der 79-Jährige: „Ja, den wünsche ich mir.“ Er fügt hinzu: „Wenn jemand als deutscher Bundeskanzler sich für den Frieden einsetzt, wenn jemand als „Friedenskanzler“ beschrieben wird, ist das denn negativ?“
+++ 04:26 Putin: Weltkrieg in niemandes Interesse +++
Russlands Präsident Wladimir Putin warnt den Westen, dass ein direkter Konflikt zwischen Russland und den NATO-Staaten die Welt einem Dritten Weltkrieg einen Schritt näher bringen würde. Von Journalisten auf Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zum Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine und zu den Risiken und Chancen eines Konflikts zwischen Russland und der NATO angesprochen, antwortet Putin: „In der modernen Welt ist alles möglich“. Jeder wisse, dass es dann nur noch ein Schritt zum großen Dritten Weltkrieg sei. „Ich glaube nicht, dass irgendjemand daran interessiert ist“, so Putin.
+++ 02:58 Moskau meldet Angriff auf Rüstungsfabrik +++
Laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS soll ein Rüstungswerk in Mykolajiw Ziel bei einem russischen Raketenangriff getroffen worden sein. Der Angriff habe auch Hangars gegolten, in denen Waffen – unter anderem angeblich westliche Panzer – auf Reparatur warteten. Angeblich seien Reparaturexperten aus NATO-Ländern vor Ort gewesen. Die Ukraine hatte zuvor von Raketenangriffen mit mindestens fünf Verletzten berichtet.
+++ 01:33 Putin: Russische Streitkräfte in der Ukraine „mähen den Feind einfach nur nieder“ +++
Kreml-Chef Putin sieht die russischen Streitkräfte in der Ukraine nach der Eroberung mehrerer Städte und Dörfer im Osten des Landes klar im Vorteil. „Die Initiative geht ausschließlich von den russischen Streitkräften aus und in einigen Gebieten mähen unsere Leute sie – den Feind – gerade einfach nur nieder“, sagt Putin bei einem Auftritt in seiner Wahlkampfzentrale. Der Kreml hatte die Wahl als eine Gelegenheit für die Russen dargestellt, ihre Unterstützung für den russischen Militäreinsatz in der Ukraine zu demonstrieren. Die dreitägige Abstimmung wurde von zahlreichen ukrainischen Drohnenangriffen begleitet.
+++ 22:56 Putin: Nawalnys Tod „trauriger Vorfall“ – angeblich Gefangenenaustausch geplant +++
Erstmals seit Jahren nimmt der wiedergewählte Kremlchef Putin den Namen seines verstorbenen Widersachers Alexej Nawalny öffentlich in den Mund. „Was Herrn Nawalny angeht. Ja, er ist gestorben. Dies ist ein trauriger Vorfall“, sagt Putin bei einer Pressekonferenz in seiner Wahlkampfzentrale, die vom Staatsfernsehen übertragen wird. Weiter behauptet er, es habe die Idee gegeben, Nawalny gegen im Westen Inhaftierte auszutauschen. Er, Putin, habe einem solchen Austausch zugestimmt. Und er habe gesagt, Nawalny solle niemals wieder nach Russland zurückkehren. Der 47-jährige Nawalny war in Russland zu jahrzehntelanger Haft verurteilt worden und Mitte Februar in einem Straflager unter ungeklärten Umständen im Norden Russlands gestorben.
Tod „ein trauriges Ereignis“ Putin will Nawalnys Freilassung bereits zugestimmt haben
+++ 21:50 Warschau: Präsidentenwahl in Russland „nicht legal“ +++
Nach Bekanntgabe erster Teilergebnisse der Präsidentenwahl in Russland hat Polen die Abstimmung als „nicht legal“ kritisiert. „Russlands Präsidentschaftswahl ist nicht legal, frei und fair“, erklärte das Außenministerium in Warschau. Die Wahl sei „unter scharfen Repressionen“ und in besetzten Teilen der Ukraine unter Missachtung internationalen Rechts abgehalten worden.
+++ 21:02 Kriegsgefahr: Spaniens Verteidigungsministerin mit Weckruf an Spanier +++
Spaniens Verteidigungsministerin Margarita Robles hat sich angesichts von Drohungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem Einsatz von Atomwaffen mit einem Weckruf an die Bevölkerung ihres Landes gewandt. „Die Bedrohung ist real und absolut. Ich glaube, dass Putins Erklärungen der vergangenen Wochen klargemacht haben, dass er jeden Augenblick bereit sein könnte, auch Atomwaffen einzusetzen“, sagte Robles in einem am Sonntag veröffentlichten Interview mit der spanischen Zeitung „La Vanguardia“. „Ich glaube, dass wir uns in Spanien nicht immer ausreichend des Risikos bewusst sind, in dem wir uns befinden, (…) während es Personen gibt, die wie Putin wahre Gemetzel in einem Land wie der Ukraine anrichten“, sagte die Sozialistin, die seit mehr als fünf Jahren im Amt ist. Die Ukraine durchlaufe gerade eine sehr schwierige Zeit. Spanien werde weiter alles in seinen Möglichkeiten stehende tun, um dem Land zu helfen, sagte Robles.
+++ 19:29 Selenskyj: Wahlfälschung Putins hat keine Legitimität +++
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Präsidentschaftswahlen in Russland und dem erneuten Erfolg von Kremlchef Wladimir Putin „jede Legitimität“ abgesprochen. „Diese Wahlfälschung hat keine Legitimität und kann keine haben“, sagte Selenskyj am Sonntag in seiner allabendlichen Videoansprache. „Diese Figur (Putin) muss auf der Anklagebank in Den Haag landen – dafür müssen wir sorgen, jeder auf der Welt, der das Leben und den Anstand schätzt.“
+++ 18:04 Kamikaze-Drohnen lösen großflächigen Luftalarm in der Ukraine aus +++
In mehreren Regionen der Ukraine ist am frühen Sonntagabend Luftalarm ausgelöst worden. Grund waren mehrere Schwärme sogenannter Kamikaze-Drohnen, die das russische Militär gestartet hatte, wie die ukrainischen Medien unter Berufung auf die Luftaufklärung berichteten. Der Luftalarm galt für die Regionen Charkiw, Poltawa, Sumy sowie Dnipro im Osten des Landes. Weitere Angaben liegen bislang nicht vor.
+++ 17:30 Separatisten in Republik Moldau melden Drohnenangriff auf Militärbasis +++
In der abtrünnigen moldauischen Region Transnistrien ist nach Angaben der dortigen pro-russischen Regierung eine in der Ukraine gestartete Sprengstoff-Drohne auf einem Militärstützpunkt eingeschlagen. Die Explosion habe auf dem Stützpunkt in Tiraspol einen Brand verursacht, erklärte das Sicherheitsministerium der selbsternannten Regierung am laut örtlichen Medien. Die Kamikaze-Drohne sei von der benachbarten ukrainischen Region Odessa gestartet worden. Das staatliche Fernsehen Transnistriens veröffentlichte im Onlinedienst Telegram Aufnahmen einer Überwachungskamera, die zeigen, wie ein Geschoss in einen Militärhubschrauber einschlägt. Der Helikopter geht daraufhin in Flammen auf.
+++ 17:03 Ukraine will Transit von russischem Erdgas nach Westeuropa beenden +++
Die Ukraine kündigt ein Ende der Durchleitung russischer Gaslieferungen nach Westeuropa an. Die Regierung in Kiew werde den bis Jahresende laufenden Transitvertrag nicht verlängern, teilt Energieminister Herman Haluschtschenko mit. „Ich kann bestätigen, dass wir nicht planen, irgendwelche Zusatzvereinbarungen zu schließen oder diese Vereinbarung zu verlängern“, heißt es in einer Mitteilung. Der laufende Transitvertrag, aufgrund dessen ungeachtet des von Russland begonnenen Krieges westliche gelegene Abnehmer weiter beliefert werden, stammt von 2019. Das Ansinnen, diesen nicht zu verlängern, hatte die Ukraine bereits mehrmals geäußert.
+++ 15:38 Partisanen: Kontrollieren russisches Dorf +++
Die Legion „Freiheit Russlands“, eine gegen das russische Regime aktive Partisanengruppe, kontrolliert nach eigenen Angaben das russische Grenzdorf Gorkowski in der Region Belgorod. Das geht aus Veröffentlichungen der Gruppe in sozialen Netzwerken hervor. Ein Video soll zeigen, wie die Kämpfer eine russische Flagge von einem Schulgebäude entfernten. Die Nachrichtenagentur Reuters konnte anhand der im Video zu sehenden Gebäude, Bäume und Straßenführung, die mit Datei- und Satellitenbildern des Gebiets übereinstimmten, den Standort bestätigen. Das Aufnahmedatum des Videos konnte jedoch nicht unabhängig überprüft werden. Die Partisanen führten ähnliche Aktionen bereits im vergangenen Jahr durch.
+++ 15:00 Wie der Munitionsmangel sich auf ukrainische Soldaten auswirkt +++
Jüngst stimmt der Bundestag gegen eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern in die Ukraine. Den Soldaten dort fehlt es aktuell vor allem an Artilleriemunition. Viele Männer sind von monatelangen Kämpfen zermürbt und rechnen jeden Tag mit ihrem Tod.
Kiews Soldaten sind ausgebrannt „Tag ohne Munition heißt Hunderte Verletzte und Tote“
+++ 13:10 Russische Armee meldet Einnahme von weiterem Dorf in der Südukraine +++
Die russische Armee hat nach eigenen Angaben das Dorf Myrne im südukrainischen Gebiet Saporischschja erneut erobert. Eine entsprechende Mitteilung machte das Verteidigungsministerium in Moskau. Bestätigungen von ukrainischer Seite gibt es bislang nicht. Auf Karten ukrainischer Militärbeobachter ist der Ort seit Längerem als umkämpft gekennzeichnet worden. Die Frontlinie zwischen ukrainischen und russischen Truppen um das Dorf hat sich seit dem russischen Einmarsch vor über zwei Jahren bereits mehrfach verschoben. Im Mai 2022 eroberten die russischen Truppen den Ort, Anfang 2023 konnte das ukrainische Militär es wieder befreien. In Myrne lebten vor dem Krieg mehr als 400 Einwohner.
+++ 12:49 Festnahmen bei Wahlprotesten in Russland gemeldet +++
Bei kremlkritischen Protestaktionen sind am letzten Tag der viel kritisierten Präsidentenwahl in Russland Bürgerrechtlern zufolge Dutzende Menschen festgenommen worden. Insgesamt zählte die Organisation Ovd-Info bis zum frühen Nachmittag landesweit rund 50 Festnahmen – fast die Hälfte davon in der Stadt Kasan. Auch Menschen in Moskau und St. Petersburg waren betroffen. Viele von ihnen wollten sich demnach um exakt 12.00 Uhr Ortszeit vor ihren Wahllokalen in langen Schlangen anstellen, um so ihren Unmut über die vom Machtapparat geplante und von der Opposition als undemokratisch eingestufte Wiederwahl von Kremlchef Wladimir Putin zu zeigen. Zu dieser Aktion unter dem Motto „Mittag gegen Putin“ hatten Oppositionelle aufgerufen, darunter das Team des kürzlich im Straflager ums Leben gekommenen Kremlgegners Alexej Nawalny. Festnahmen gab es den Bürgerrechtlern zufolge auch abseits der Proteste. Die russische Präsidentenwahl, die noch bis um 19.00 Uhr MEZ läuft, dient vor allem dem Machterhalt Putins, der sich aller Voraussicht nach mitten im Angriffskrieg gegen die Ukraine seine fünfte Amtszeit sichern wird. Echte Oppositionelle sind entweder nicht als Kandidaten zugelassen worden, ins Ausland geflohen oder sitzen im Gefängnis. Außerdem häufen sich Berichte von Betrug und Manipulation.
+++ 11:30 Nawalny-Team: Sehr viele Menschen bei Protest gegen Putin-Wahl +++
Tausende Menschen haben sich in Moskau und St. Petersburg am letzten Tag der Präsidentenwahl in Russland an dem stillen Protest gegen die Wiederwahl von Kremlchef Wladimir Putin beteiligt. Das Umfeld des im Straflager gestorbenen Oppositionellen Alexej Nawalny berichtet, dass sich bei der vom Team des Kremlgegners organisierten Aktion „Mittag gegen Putin“ heute in den Millionenstädten lange Schlangen um 12.00 Uhr Ortszeit (10.00 Uhr MEZ) an den Wahllokalen bildeten. Russische Wähler folgten demnach massenhaft dem Aufruf, mit der Anwesenheit zur Mittagszeit ihre Ablehnung gegen Putin zu zeigen. Auch in vielen anderen russischen Städten gab es zahlreiche Teilnehmer an den Aktionen. Nawalnys Team zeigte in einem Live-Stream bei YouTube zahlreiche Videos und Fotos von den Aktionen. Der Oppositionelle Leonid Wolkow, ein enger Vertrauter Nawalnys im Exil im Baltikum, sprach von einer „Explosion“ des Widerstands gegen eine fünfte Amtszeit Putins.
+++ 10:40 Militärexperte Kaim: „Drohnenangriffe werden Russland nicht destabilisieren“ +++
Die jüngsten ukrainischen Kriegserfolge auf russischem Boden markieren laut Markus Kaim keinen Wendepunkt im Kampfgeschehen. Dafür sei die Macht Wladimirs Putins zu zementiert und die Opposition zu dezentralisiert, so die Einschätzung des Militärexperten.
Militärexperte Kaim skeptisch „Drohnenangriffe werden Russland nicht destabilisieren“
+++ 09:45 ntv-Reporterin Sharma aus Kiew: „Ukraine nimmt russische Öl-Infrastruktur ins Visier“ +++
Den ukrainischen Streitkräften gelingen zuletzt immer wieder Drohnenangriffe auf russische Energieanlagen. Erneut wollen russische paramilitärische Verbände, die gegen den Kreml kämpfen, die Grenze überschritten haben. ntv-Reporterin Kavita Sharma berichtet aus Kiew:
Anschlagserie mit Drohnen „Ukraine nimmt die Öl-Infrastruktur ins Visier“
ROUNDUP/Selenskyj: Putins Wahlfälschung ohne Legitimität – Nacht im Überblick
KIEW (dpa-AFX) – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Kremlchef Wladimir Putin die Legitimität seines Wahlerfolgs abgesprochen. „Diese Wahlfälschung hat keine Legitimität und kann keine haben“, sagte Selenskyj am Sonntag in seiner abendlichen Videoansprache. „Diese Figur (Putin) muss auf der Anklagebank in Den Haag landen – dafür müssen wir sorgen, jeder auf der Welt, der das Leben und den Anstand schätzt.“ Zu den Forderungen der Ukraine für ein Friedensabkommen mit Moskau gehört unter anderem, das sich die russischen Verantwortlichen in Politik und Militär vor einem internationalen Gericht verantworten sollen.
Putin habe dieser Tage eine weitere Wahl vorgetäuscht. „Jedem in der Welt ist klar, dass diese Figur, wie schon so oft in der Geschichte, einfach nur machtbesessen ist und alles tut, um lebenslang zu regieren“, sagte Selenskyj. „Es gibt kein Übel, das er nicht begehen würde, um seine persönliche Macht zu verlängern.“
Mit Blick auf die russische Invasion seiner Heimat und den nunmehr über zwei Jahre dauernden Krieg forderte Selenskyj Gerechtigkeit. „Es muss eine gerechte Vergeltung für alles geben, was russische Mörder in diesem Krieg und im Interesse von Putins lebenslanger Macht getan haben“, sagte er. „Er hat nur vor einer Sache Angst – vor der Gerechtigkeit.“ Wegen des Vorwurfs der Kriegsverbrechen in der Ukraine gibt es einen Haftbefehl des Weltstrafgerichts in Den Haag gegen Putin. US-Regierung prangert mangelnden Nachschub an Waffen für Ukraine an
Die US-Regierung prangerte erneut den mangelnden Nachschub an militärischer Ausrüstung und Waffen für die Ukraine an und warnte vor den Konsequenzen. Die russischen Streitkräfte drängten gegen die erste Verteidigungslinie der Ukrainer und versuchten, die zweite zu erreichen, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, dem US-Sender Fox News am Sonntag. Sie nähmen kleine Städte, Dörfer und Ackerland ein, nicht so sehr, weil dies strategisch wertvoll sei, sondern weil sie zeigen wollten, dass sie Gewinne machten, vor allem wegen der Wahlen in Russland. Sie seien auf dem Vormarsch, wenn auch nur langsam.
Die Ukrainer hätten nicht die Munition und anderen militärischen Fähigkeiten, die sie benötigen, um die Russen zurückzudrängen und die Gebiete zurückzuerobern. Deshalb sei es so wichtig, dass sie jetzt Nachschub erhielten. Die ukrainischen Soldaten hätten auf dem Schlachtfeld harte Entscheidungen zu treffen, weil ihnen die nötige Munition fehle. Nicht der Mut, die Führung oder das Können fehle den ukrainischen Soldaten, sondern die Munition.
Die USA galten in den vergangenen zwei Jahren seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine als wichtigster Verbündeter Kiews. Die US-Regierung lieferte in gewaltigem Umfang Waffen und Munition an die Ukraine. Seit geraumer Zeit gibt es jedoch keinen Nachschub mehr aus den USA. Hintergrund ist eine innenpolitische Blockade im US-Kongress, wo Republikaner weitere Hilfen für Kiew bislang verweigern. Putin: Kein Interesse an Weltkrieg
Der russische Präsident Putin zeichnete nach seiner Wiederwahl die Spannungen zwischen Russland und dem Westen, allen voran die Nato, in einem düsteren Licht. Ein umfassender Konflikt mit der Nato sei nicht auszuschließen, und in diesem Fall wäre die Welt nur einen Schritt von einem Dritten Weltkrieg entfernt, sagte Putin am Sonntag in Moskau. „Ich halte es für unwahrscheinlich, dass irgendjemand daran interessiert ist, wurde Putin weiter von der Staatsagentur Tass zitiert. Nach Putins Worten sind in der Ukraine bereits zahlreiche Soldaten aus Nato-Mitgliedsstaaten im Einsatz. „Das wissen wir bereits“, sagte er. Man habe bereits Französisch und Englisch vernommen. „Das ist nichts Gutes, vor allem für sie, denn sie sterben dort in großer Zahl“, sagte Putin – ohne diese Behauptung zu belegen. Drohnenschwärme unterwegs – Luftalarm in der Ukraine
In mehreren Regionen der Ukraine wurde am frühen Sonntagabend Luftalarm ausgelöst. Grund waren mehrere Schwärme sogenannter Kamikaze-Drohnen, die das russische Militär gestartet hatte, wie ukrainische Medien unter Berufung auf die Luftaufklärung berichteten. Der Luftalarm galt für die Regionen Charkiw, Poltawa, Sumy sowie Dnipro im Osten des Landes. Am späten Abend wurde auch in der Hauptstadt Kiew Alarm ausgelöst, da sich eine Welle von Drohnen aus südlicher Richtung näherte. Weitere Angaben zu eventuellen Angriffen, Abwehrerfolgen oder Schäden wurden zunächst nicht gemacht.
In der Nacht auf Sonntag zuvor hatte das ukrainische Militär den Süden Russlands mit Drohnenangriffen überzogen. In Krasnodar löste eine Drohnenattacke ein Feuer in einer Ölraffinerie aus. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau wurden über der südrussischen Stadt Belgorod mindestens acht Drohnen abgeschossen. Beim Einschlag einer Drohne starb demnach in Belgorod mindestens ein Mensch, elf weitere wurden nach Medienberichten verletzt. Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Selenskyj hob am Sonntagabend die sogenannte Drohnenkoalition westlicher Staaten hervor, die die Ukraine mit den unbemannten Flugobjekten versorgt. „Dies ist eine Waffe, die sich als äußerst wirksam erwiesen hat“, sagte der ukrainische Staatschef./DP/zb
Litauen schließt Einsatz von Bodentruppen in Ukraine nicht aus
Vilnius – Litauens Ministerpräsidentin Ingrida Simonyte will den Einsatz westlicher Truppen in der Ukraine nicht gänzlich ausschließen. „Ich weiß, dass das in einigen Hauptstädten eine kontroverse Debatte ist“, sagte die Regierungschefin dem „Handelsblatt“ (Montagausgabe).
Momentan bitte die Ukraine um Waffen, nicht um Kampftruppen, aber man könnte sie auch personell unterstützen – „beim Grenzschutz, bei der Ausbildung von Soldaten im Inland, bei der Minenräumung, der Luftverteidigung, der Logistik“, sagte Simonyte. „Das ist eine Frage des Willens.“
Zuerst hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Einsatz von Bodentruppen ins Spiel gebracht. „Was ich an Macrons Äußerung schätze, ist, dass sie Putin im Unklaren lässt, wie weit wir zu gehen bereit sind“, sagte Simonyte. Zur deutschen Taurus-Debatte erklärte die litauische Ministerpräsidentin, sie könne nicht beurteilen, ob für den Einsatz der Marschflugkörper deutsche Soldaten in die Ukraine müssten. „Aber wenn das Argument nur ist, dass wir die Lage nicht eskalieren sollten, dann teile ich das nicht.“
Denn Russlands Präsident Wladimir Putin kümmere es nicht, ob der Westen eskaliere. „Er wird eskalieren, so viel er kann. Jeden Tag plappert in Russland irgendjemand, dass sie Atomwaffen einsetzen könnten“, sagte Simonyte. „Wenn wir uns darauf einlassen und für uns selbst immer neue rote Linien ziehen, hat Putin uns irgendwann in die Ecke gedrängt und wir können nur noch sagen: Sorry, wir werden jetzt lieb sein. Das ist meine Hauptsorge.“
Heusgen hält Misstrauen gegenüber Ukraine für nicht gerechtfertigt
München – Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, hat das kategorische Nein des Kanzlers zu deutschen Taurus-Marschflugkörpern für die Ukraine scharf kritisiert.
„Der Kanzler hat für sich rote Linien gezogen, und davon geht er nicht weg, auch wenn die inhaltliche Erklärung dieser roten Linie nicht wirklich stichhaltig ist“, sagte Heusgen dem Nachrichtenportal T-Online. „Denn wir wissen ja, dass Taurus in Südkorea ohne deutsche Bundeswehrsoldaten funktioniert und dass das mit Vorlauf auch in der Ukraine gehen würde.“
Heusgen weiter: „Offenbar gibt es beim Kanzler ein Misstrauen gegenüber den Ukrainern, dass sie sich nicht an die Vorgaben halten.“ Deswegen würde Scholz Taurus nur mit deutschen Bundeswehrkontrolleuren an die Ukraine liefern.
„Dieses Misstrauen gegenüber der Ukraine ist nicht gerechtfertigt“, so Heusgen: „Denn erstens haben sich die Ukrainer bisher beim Einsatz der deutschen Gepard- und Leopard-Panzer an alle Vorgaben gehalten. Und zweitens wären sie mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie das nicht mehr täten, weil sie wissen, dass damit die deutsche Unterstützung auf dem Spiel stünde, die ja die wichtigste in Europa ist.“
Darüber hinaus bemängelt Heusgen ein vielerorts fehlendes Gespür für die Dimension der Bedrohung durch Russland und Wladimir Putin: Dieser wolle Russland zu alter Größe führen, auch räumlich. „Ich fürchte, dass wir uns dieses Ausmaßes noch nicht bewusst sind. Das ist anders bei Balten, bei Polen, Tschechen, Rumänen. Die sind sich im Klaren darüber. Bei uns ist der Groschen noch nicht gefallen.“ Man habe zwar die „Zeitenwende“ verkündet, aber noch nicht wirklich verinnerlicht. „Die Ambition ist da, aber der Streit zwischen Macron und Scholz zum Beispiel zeigt, dass die Dimension der Zeitenwende noch nicht verstanden ist.“
Trotz Kanzler-Absage an Taurus für Ukraine geht Debatte weiter
BERLIN (dpa-AFX) – Trotz der wiederholten Absage von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an eine Taurus-Lieferung für die Ukraine reißt die Debatte über die deutschen Marschflugkörper nicht ab. Zum einen wurden Details aus geheimen Beratungen des Verteidigungsausschusses über das Waffensystem öffentlich. Zum anderen lässt die FDP bei ihrer Forderung nicht locker, Taurus doch noch an die Ukraine zu geben. Äußerungen von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zum „Einfrieren“ des Ukraine-Kriegs erzeugen zusätzlich Wirbel.
Scholz lehnt eine Taurus-Lieferung strikt ab, weil er befürchtet, dass Deutschland in den Krieg Russlands gegen die Ukraine hineingezogen werden könnte. Vor rund zwei Wochen sprach er ein Machtwort: „Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.“ Die Ampel-Koalition ist bei dem Thema uneinig: Am Donnerstag lehnte der Bundestag abermals einen CDU/CSU-Antrag für eine Taurus-Lieferung ab. Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und ihr Parteikollege Wolfgang Kubicki stimmten dafür – zudem forderten einige Abgeordnete von Grünen und FDP in persönlichen Erklärungen eine Lieferung des Waffensystems. Geheime Details aus dem Verteidigungsausschuss
Am Freitag thematisierte dann ein Bericht des Nachrichtenportals „t-online“ den geheimen Teil einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses vom vergangenen Montag. Demnach sprach Bundeswehr-Generalinspekteur Carsten Breuer dort über technische und operative Verfahren zur Zielsteuerung bei Taurus. Dabei soll es laut „t-online“ auch um die Folgen einer Taurus-Lieferung an die Ukraine für die Sicherheit Deutschlands gegangen sein. Die Ausschuss-Vorsitzende Strack-Zimmermann kündigte an, die Staatsanwaltschaft einschalten zu wollen, weil Informationen aus der geheimen Sitzung an die Öffentlichkeit gelangten.
Bundeskanzler Scholz sprach sich ebenfalls für Aufklärung aus. „Geheimnisverrat ist etwas, was nicht stattfinden darf“, sagte er am Samstag am Flughafen Berlin-Brandenburg. „Und deshalb ist es immer richtig und auch in diesem Fall richtig, dass dem nachgegangen wird.“ Kritik an SPD-Fraktionschef Mützenich
Unterdessen zeigte sich SPD-Chef Lars Klingbeil „schwer irritiert“ über verbale Angriffe auf SPD-Fraktionschef Mützenich. Natürlich werde auch über die Frage diskutiert werden müssen, wie Frieden erreicht werden könne, sagte Klingbeil. Aber: „Wer diese Rede von Rolf Mützenich im Bundestag so interpretiert, dass er abrückt von der Ukraine, der hat die Rede entweder nicht verstanden, oder er wollte sie falsch verstehen.“ Klingbeil betonte: „Natürlich gibt es keine Gebietsabtritte.“
Mützenich hatte am Donnerstag im Bundestag in der Debatte über Taurus kritisiert, dass einige Fragen schon als „Schandfleck“ bezeichnet würden. „Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“ Auch Politiker der Koalitionspartner FDP und Grüne kritisierten diese Worte scharf.
Die CDU-Verteidigungspolitikerin Serap Güler warf der SPD vor, in der Ukraine-Politik aus parteitaktischen Erwägungen zu handeln. „Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik dieses Landes wird inzwischen in der SPD-Parteizentrale gemacht und parteipolitischen Interessen geopfert“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Die SPD schaut gerade besonders auf die Umfragewerte. Sie riskiert aus parteitaktischem Kalkül, dass die Ukraine diesen Krieg verliert.“ Dabei müsse man gerade alles dafür tun, die Ukraine aus der Defensive zu holen. „Ich habe nicht das Gefühl, dass der Kanzler und die SPD wirklich alles daran setzen, in dieser schwierigen Phase an der Seite der Ukraine zu stehen. Ich habe eher das Gefühl, dass man die Ukraine eigentlich schon abgeschrieben hat“, sagte Güler. Beharrlichkeit bei der FDP
Die FDP-Fraktion will in Sachen Taurus das direkte Gespräch mit Kanzler Scholz suchen. „Wir halten die Lieferung von Taurus an die Ukraine für nötig“, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, dem „Tagesspiegel“ (Samstag). Da die von Scholz genannte Bedingung für die Taurus-Lieferung – keine Bedienung durch deutsche Soldaten – „objektiv erfüllbar“ sei, wünsche er sich sehr, „dass das Kanzleramt zeitnah zu einer anderen Lageeinschätzung als bisher kommt“, sagte Vogel. Über die Lieferung von Taurus entscheidet nicht der Bundestag, sondern am Ende allein die Regierung. „Deshalb werden wir als FDP-Fraktion mit dem Bundeskanzler auch über das Thema sprechen.“/DP/he
Protest der Opposition erfolgreich: Lange Schlangen vor Wahllokalen
Offenbar sind viele Russen dem Aufruf der Opposition zum Protest gegen Präsident Putin gefolgt und sind am Sonntag um 12 Uhr zur Wahl gegangen.
Viele Russen haben am Sonntagmittag, dem letzten Tag der dreitägigen Präsidentschaftswahl, vor den Wahllokalen angestanden. Offenbar waren sie einem Aufruf der Opposition zum Protest gegen Präsident Wladimir Putin gefolgt.
Die Wahlen, die am Freitag begonnen hatten, fanden in einem streng kontrollierten Umfeld statt, in dem es keine wirklichen Alternativen zu Putin und keine öffentliche Kritik an ihm oder seinem Krieg in der Ukraine gab. Putins schärfster politischer Gegner, Alexei Nawalny, verstarb kurz vor den Wahlen in einem Straflager in der Arktis; andere Kritiker sind entweder im Gefängnis oder im Exil.
Nawalnys Mitarbeiter hatten alle, die mit Putin oder dem Krieg unzufrieden sind, aufgerufen, am Sonntagmittag zur Wahl zu gehen.
Kurz vor seinem Tod hatte Nawalny die Protestaktion befürwortet. Nawalnys Team bezeichnete die Aktion als Erfolg und veröffentlichte Bilder und Videos von Menschen, die sich gegen 12 Uhr vor Wahllokalen in ganz Russland drängten. Zum Schutz der Demonstranten waren die Gesichter auf den Aufnahmen unscharf.
„Die Aktion hat ihre Ziele erreicht“, sagte Iwan Schdanow, der Chef von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung, in einer YouTube-Übertragung. „Die Aktion hat gezeigt, dass es ein anderes Russland gibt. Es gibt Menschen, die sich gegen Putin stellen.“
Ein weiterer Verbündeter Nawalnys, Leonid Wolkow, sagte, dass der Protest dazu beitragen sollte, diejenigen zu vereinen und zu ermutigen, die gegen Putin sind.
Allerdings ist nicht bekannt, ob die Menschen, die auf den von Nawalnys Mitarbeitern und einigen russischen Medien veröffentlichten Videos und Fotos zu sehen sind, dem Protestaufruf gefolgt sind, oder lediglich eine hohe Wahlbeteiligung widerspiegelten.
Lange Schlangen auch vor russischen Botschaften
Auch vor den russischen diplomatischen Vertretungen in Berlin, Paris, Mailand und anderen Städten mit großen russischen Gemeinden bildeten sich gegen Mittag riesige Schlangen. Nawalnys Witwe, Julia Nawalnaja, stellte sich vor der russischen Botschaft in Berlin in die Schlange, während einige in der Menge applaudierten und ihren Namen riefen.
In Tallinn, wo Hunderte in einer Schlange durch die gepflasterten Straßen der Stadt zur russischen Botschaft schlängelten, sagte die 23-jährige Tatiana, sie sei gekommen, um am Mittag an der Protestkundgebung teilzunehmen. „Wenn wir die Möglichkeit haben, zu protestieren, ist es meiner Meinung nach wichtig, jede Gelegenheit zu nutzen“, sagte sie und nannte aus Gründen der persönlichen Sicherheit nur ihren Vornamen.
Dmitri Sergienko, der in Moskau gewählt hatte, sagte, er habe für Putin gestimmt: „Ich bin mit allem zufrieden und möchte, dass alles so weitergeht, wie es jetzt ist.“
Olga Dymova, die ebenfalls Putin unterstützte, sagte: „Ich bin sicher, dass unser Land nur auf dem Weg zum Erfolg vorankommen wird.“
Vadim, ein anderer Moskauer Wähler, der nur seinen Vornamen nannte, sagte, er hoffe auf Veränderungen, fügte aber hinzu: „Leider ist das unwahrscheinlich.“
Erneut „Vandalismus“ in Wahllokalen
Die Menschrechtsorganisation OVD-Info-Gruppe berichtete, dass am Sonntag in 16 Städten in ganz Russland mehr als 65 Menschen festgenommen wurden.
Trotz strenger Kontrollen wurden mehrere Dutzend Fälle von Vandalismus in Wahllokalen gemeldet.
In St. Petersburg wurde eine Frau festgenommen, nachdem sie eine Brandbombe auf den Eingang eines Wahllokals geworfen hatte, und mehrere weitere Personen im ganzen Land wurden festgenommen, weil sie grünes Antiseptikum oder Tinte in Wahlurnen geworfen hatten.
Dmitri Medwedew, stellvertretender Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates unter dem Vorsitz von Putin, forderte eine Verschärfung der Strafen für diejenigen, die Wahllokale zerstören, und argumentierte, sie müssten wegen Hochverrats angeklagt werden, weil sie versucht hätten, die Abstimmung inmitten der Kämpfe in der Ukraine zu entgleisen.
Einige russische Medien veröffentlichten auch Bilder von ungültigen Stimmzetteln, die von Wählern abgegeben wurden, auf denen „Mörder und Dieb“ und auf einem anderen „Sie werden in Den Haag erwartet“ stand, in Anspielung auf einen Haftbefehl gegen Putin wegen Kriegsverbrechensvorwürfen im Zusammenhang mit seiner mutmaßlichen Verantwortung für die Entführungen von Kindern aus der Ukraine.
Die Abstimmung findet in Wahllokalen in den elf Zeitzonen des riesigen Landes, in den annektierten und besetzten Gebieten der Ukraine und online statt. Mehr als 60 % der Wahlberechtigten hatten am frühen Sonntag ihre Stimme abgegeben.
Internetdienstanbieter in Russland haben von einer erhöhten Zahl von DDoS-Angriffen aus der Ukraine und Nordamerika berichtet. Sie gaben an, dass mehr als 90.000 Angriffe auf Ressourcen der Zentralen Wahlkommission und andere Webseiten der russischen Regierung versucht wurden.
Die ersten Ergebnisse der russischen Präsidentschaftswahl werden am Sonntag nach 21:00 Uhr Moskauer Zeit (19.00 MEZ) erwartet
US-Regierung prangert mangelnden Nachschub an Waffen für Ukraine an
WASHINGTON (dpa-AFX) – Die US-Regierung hat erneut den mangelnden Nachschub an militärischer Ausrüstung und Waffen für die Ukraine angeprangert und vor den Konsequenzen gewarnt. Die russischen Streitkräfte drängten gegen die erste Verteidigungslinie der Ukrainer und versuchten die zweite zu erreichen, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, dem US-Sender Fox News am Sonntag. Sie nähmen kleine Städte, Dörfer und Ackerland ein, nicht so sehr, weil dies strategisch wertvoll sei, sondern weil sie zeigen wollten, dass sie Gewinne machten, vor allem wegen der Wahlen in Russland. Sie seien auf dem Vormarsch, wenn auch nur langsam.
Die Ukrainer hätten nicht die Munition und anderen militärischen Fähigkeiten, die sie benötigen, um die Russen zurückzudrängen und die Gebiete zurückzuerobern. Deshalb sei es so wichtig, dass sie jetzt Nachschub erhielten. Die ukrainischen Soldaten hätten auf dem Schlachtfeld harte Entscheidungen zu treffen, weil ihnen die nötige Munition fehle. Nicht der Mut, die Führung oder das Können fehle den ukrainischen Soldaten, sondern die Munition.
Die USA galten in den vergangenen zwei Jahren seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine als wichtigster Verbündeter Kiews. Die US-Regierung lieferte in gewaltigem Umfang Waffen und Munition an die Ukraine. Seit geraumer Zeit gibt es jedoch keinen Nachschub mehr aus den USA. Hintergrund ist eine innenpolitische Blockade im US-Kongress, wo Republikaner weitere Hilfen für Kiew bislang verweigern./DP/he
MELDUNGEN
KONJUNKTUR IM BLICK/Aufgalopp für alle außer EZB
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)–Volkswirte philosophieren derzeit gerne darüber, ob die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Zinsen vor der US-Notenbank senken dürfe. Sicher ist: Selbst wenn sie beide im Juni ihren Lockerungsparcours beginnen sollten, läge die EZB im Aufgalopp vor der Fed: Sie entscheidet nämlich schon am 6. Juni, die Fed aber erst am 12. Juni. Auch im März hatte die EZB vorne gelegen (sogar mit zwei Wochen Abstand). Sie hat schon alles hinter sich, und ist quasi beim Trockenreiben, während in der Woche fast alle anderen erst aufs Feld traben: Bank of Japan, Reserve Bank of Australia, People’s Bank of China, Federal Reserve, Bank of England, Schweizerische Nationalbank, sowie die Notenbank Norwegens und der Türkei. Wichtigster Konjunkturtermin ist die Veröffentlichung des Ifo-Index am Ende der Woche.
Bank of Japan entscheidet über Negativzins
Die Woche der Zentralbanken beginnt im Fernen Osten mit der Zinsentscheidung Bank of Japan (BoJ) am frühen Dienstagmorgen. Die anstehende Sitzung des geldpolitischen Rats wird von Anlegern weltweit genau beobachtet werden, da in letzter Zeit die Wetten auf einen baldigen Ausstieg der Zentralbank aus den Negativzinsen und ihrer Politik zur Steuerung der Zinskurve zugenommen haben. Ökonomen und Anleger erwarten, dass die BoJ ihren Leitzins entweder im März oder im April von minus 0,10 Prozent anheben wird. Die Notenbanker sind zuversichtlicher geworden, dass nach jahrzehntelanger Deflation endlich ein positiver Zyklus aus höheren Löhnen und höheren Preisen einsetzt. Viele Unternehmen haben angekündigt, dass sie die Löhne in diesem Jahr deutlich anheben werden.
Die Reserve Bank of Australia veröffentlicht ihre Zinsentscheidung um 4.30 Uhr. Die People’s Bank of China (PBoC) hat die Erwartungen von Analysten zuletzt erneut enttäuscht, als sie den Zinssatz ihrer für Banken gedachten Medium Term Lending Facility (MLF) abermals unverändert ließ. Auch mit Blick auf die Leitzinsen für Unternehmen, die am Mittwoch (2.15 Uhr) bekannt gemacht werden, könnte es eine Enttäuschung geben. Manche Beobachter wollen aber nicht ausschließen, dass die PBoC nach der Senkung des Satzes für 5-jährige Kredite im Februar nun beim 1-jährigen Leitzins nachzieht.
Fed hält Zinsen konstant – Fokus auf Projektionen
Der Offenmarktausschuss FOMC (Mittwoch, 20.00 Uhr) dürfte seine Zinsen unverändert lassen. Beobachter warten vor allen gespannt darauf, ob der relativ starke Preisdruck im Februar dazu geführt hat, dass die Notenbanker ihre Prognosen für Zinssenkungen in diesem Jahr verändert haben. Im Dezember hatten die meisten Fed-Vertreter mit drei Zinssenkungen für dieses Jahr gerechnet – sofern die Inflation weiterhin Fortschritte in Richtung des Ziels von 2 Prozent machen würde. Eine wichtige Frage ist, ob eine Mehrheit Notenbanker bei dieser Prognose bleibt. Die Projektionen sind zwar nicht das Produkt der FOMC-Beratungen, aber sie haben oft eine überragende Bedeutung für die Entwicklung der Zinserwartungen.
SNB lässt Geldpolitik unverändert
Die Schweizerische Nationalbank (SNB)) dürfte ihre Geldpolitik unverändert lassen. Analysten erwarten überwiegend, dass der Leitzins bei 1,75 Prozent bleiben wird, obwohl die Inflationsrate im Januar auf 1,2 Prozent gefallen ist. Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen ist bei Dienstleistungspreisen und Mieten noch mit Anstiegen zu rechnen. Zum anderen hat kürzlich SNB-Gouverneur Thomas Jordan seinen Rücktritt per September erklärt, und mancher Analyst rechnet damit, dass er vorher noch den binnenwirtschaftlichen Inflationsdruck unter Kontrolle bringen und Zinssenkungen gerne seinem Nachfolger überlassen würde. Interessant wird neben der Zinsentscheidung die Inflationsprognose für das Ende des Prognosehorizonts. Die SNB veröffentlicht ihre Entscheidungen am Donnerstag (9.30 Uhr).
Bank of England wartet auf weitere Beweise
Am gleichen Tag (13.00 Uhr) kommt die Zinsentscheidung der Bank of England. Die Sitzung des geldpolitischen Rats dürfte relativ ereignislos verlaufen, der Leitzins dürfte bei 5,25 Prozent bleiben. Analysten erwarten, dass die BoE darauf hinweisen wird, dass mehr Beweise für einen anhaltenden Inflationsrückgang erforderlich seien, bevor eine Zinssenkung in Betracht komme. Das Lohnwachstum in Großbritannien hat sich zuletzt geringfügig abgeschwächt, während die Arbeitslosenquote stieg – eine kleine Erleichterung für die britischen Notenbanker, die hoffen, dass der Druck auf den Arbeitsmarkt im Vorfeld der erwarteten Zinssenkungen im Laufe dieses Jahres nachlassen würde.
Am Donnerstag kommen außerdem die geldpolitischen Entscheidungen der Norges Bank (10.00 Uhr) und der türkischen Zentralbank (12.00 Uhr).
Ifo-Geschäftsklimaindex steigt im März
Die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft dürfte sich im März erneut leicht aufgehellt haben. Von Dow Jones Newswires befragte Volkswirte erwarten, dass der Ifo-Geschäftsklimaindex auf 86,0 (Februar: 85,5) Punkte gestiegen ist. Bemerkenswert an der Entwicklung im Februar war, dass die befragten Unternehmen ihre aktuelle Geschäftslage erstmals seit November nicht schlechter als im Vormonat beurteilten. Für März wird nun erwartet, dass die Lagebeurteilung auf bei 86,9 Punkten stagniert hat, während die Geschäftserwartungen bei 84,9 (84,1) gesehen werden. Das Ifo-Institut veröffentlicht die Daten am Freitag (10.00 Uhr).
Am Freitag (0.30 Uhr) kommen außerdem die japanischen Verbraucherpreisdaten für Februar und am Donnerstag die Einkaufsmanagerindizes für März.
EZB-Führungsriege spricht bei „The ECB and its Watchers“
Und zum Abschluss das Trockenreiben der EZB: Bei der 26. Auflage der Konferenz „The ECB and its Watchers“ sprechen am Mittwoch neben EZB-Präsidentin Christine Lagarde (9.45 Uhr) die beiden einflussreichsten Mitglieder des Direktoriums, Chefvolkswirt Philip Lane (10.30 Uhr) und die für Finanzmärkte zuständige Isabel Schnabel (14.45 Uhr). Beide haben bis zuletzt vor zu frühen Zinssenkungen gewarnt, auch wenn sie verschiedenen geldpolitische Lagern zugeordnet werden – Lane den Tauben und Schnabel den Falken.
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WOCHENEND-ÜBERBLICK/16. und 17. März 2024
Die wichtigsten Ereignisse und Meldungen aus dem Wochenendprogramm von Dow Jones Newswires.
Fitch bestätigt AAA-Rating für Deutschland – Ausblick stabil
Die Ratingagentur Fitch hat die Spitzenbonität „AAA“ für Deutschland bestätigt. Der Ausblick ist „stabil“. Das Rating spiegele Deutschlands diversifizierte Wirtschaft mit hoher Wertschöpfung und seine starken Institutionen wider. Das Rating werde auch durch eine umsichtige Finanzpolitik und sehr niedrige staatliche Finanzierungskosten gestützt. Die anhaltend hohen Leistungsbilanzüberschüsse zeugten außerdem von der Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Exportsektors und stützen den Nettoauslandsgläubigerstatus und den positiven Nettoauslandsvermögensstatus.
Bahn und GDL nehmen Verhandlungen wieder auf – zunächst keine weiteren Streiks
Die Deutsche Bahn (DB) und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) verhandeln wieder. Die Verhandlungen finden „in kleinstem Kreis und hinter verschlossenen Türen“ statt, wie beide Seiten am Samstag mitteilten. Beide Parteien zeigten sich zuversichtlich, in der nächsten Woche ein Ergebnis mitteilen zu können. Die GDL sehe bis dahin von weiteren Streiks ab.
Nach Bahnstreiks: FDP-Generalsekretär Djir-Sarai will Streikrecht einschränken
Angesichts des monatelangen Tarifstreits zwischen der Lokführergewerkschaft GDL und der Deutschen Bahn fordert FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai eine Einschränkung des Streikrechts. „Wir brauchen umfassende Reformen beim Streikrecht im Bereich der kritischen Infrastruktur“, sagte Djir-Sarai der „Bild am Sonntag“. „Dazu gehören Instrumente wie verpflichtende Schlichtungen, klare Streikfristen und die Möglichkeit, Verhandlungsführer auszutauschen. Auch müssen wir über eine generelle Einschränkung des Streikrechts in sensiblen Bereichen sprechen.“
SPD-Vorstand beschließt Zehn-Punkte-Plan zur Stärkung der Wirtschaft
Die SPD hat auf einer Vorstandsklausur ein Zehn-Punkte-Programm zur Stärkung der Wirtschaft beschlossen. Die Partei wolle sich „nicht an Schwarzmalerei beteiligen“, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil nach Abschluss der Klausur am Samstag. Es müssten aber weitere Schritte unternommen werden, um Impulse für die Wirtschaft zu setzen. Als zentrale Punkte nannte Klingbeil weitere und schnellere Schritte zum Bürokratieabbau, den zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien, die Fachkräftegewinnung und Investitionen in Klimaneutralität und Digitalisierung. Bei den erneuerbaren Energien will sich die SPD laut Klingbeil dafür stark machen, dass der Staat mit einsteigt in die Kosten für den Ausbau der Infrastruktur.
Union bleibt weiter stärkste Partei – Wagenknecht-Partei verliert erneut – Umfrage
Die neue Wagenknecht-Partei BSW verliert erneut in der Wählergunst. Im aktuellen Sonntagstrend, den das Meinungsforschungsinstitut INSA für Bild am Sonntag erhebt, büßt das BSW das zweite Mal seit Anfang März einen Prozentpunkt ein und erreicht nur noch 6 Prozent. Ebenfalls einen Prozentpunkt schwächer, aber immer noch klar in Führung liegen CDU/CSU mit 30 Prozent. Die Werte aller anderen Parteien sind zur Vorwoche unverändert: Die AfD kommt auf 19 Prozent, die SPD auf 15 Prozent, die Grünen auf 12 Prozent, die FDP auf 5 Prozent, die Linke auf 3 Prozent und die Freien Wähler auf 2 Prozent. Die Sonstigen erreichen jetzt 8 Prozent (plus 2 Prozentpunkte).
Auswärtiges Amt nennt Abstimmung über Russlands künftigen Präsidenten „Pseudowahlen“
Die Bundesregierung hat die Abstimmung über Russlands künftigen Präsidenten als „Pseudowahlen“ kritisiert. „Die Pseudowahlen in Russland sind weder frei noch fair, das Ergebnis überrascht niemanden“, erklärte das Auswärtige Amt in Berlin am Sonntag im Onlinedienst X. Der langjährige Kreml-Chef Wladimir Putin herrsche „autoritär, er setzt auf Zensur, Repression und Gewalt“.
Macron bekräftigt Äußerung zu Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat seine umstrittene Äußerung zu einem möglichen Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine bekräftigt. Macron sagte der Zeitung „Le Parisien“ in einem am Samstagabend veröffentlichen Interview, vielleicht würden „Operationen vor Ort“ irgendwann notwendig, „um den russischen Streitkräften etwas entgegenzusetzen“. Er wolle das aber nicht und werde dafür auch nicht die Initiative ergreifen, fügte Macron hinzu. Macron hatte erstmals Ende Februar gesagt, die Entsendung westlicher Bodentruppen in die Ukraine dürfe nicht ausgeschlossen werden.
Netanjahu: Internationaler Druck wird uns nicht von Rafah-Offensive abhalten
Trotz der internationalen Warnungen hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seine Pläne für eine Bodenoffensive in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens bekräftigt. „Kein noch so großer internationaler Druck wird uns daran hindern, alle Kriegsziele zu erreichen“, sagte Netanjahu am Sonntag laut einem von seinem Büro veröffentlichten Video in einer Kabinettssitzung.
Staatsanwaltschaft fordert 40 bis 50 Jahre Haft für US-Kryptounternehmer Bankman-Fried
Die US-Staatsanwaltschaft hat eine Gefängnisstrafe von zwischen 40 und 50 Jahren gegen den des Betrugs schuldig gesprochenen US-Kryptounternehmer Sam Bankman-Fried gefordert. Zudem solle eine Strafzahlung von mehr als 11 Milliarden US-Dollar verhängt werden. In einer Gerichtsakte heißt es, dass Bankman-Fried Zehntausende von Menschen zu Opfern gemacht hat, indem er eine der größten Finanzbetrügereien der Geschichte inszenierte. Er habe keine Reue für seine Verbrechen gezeigt, so die Staatsanwälte. Die Verkündung des Urteils ist für den 28. März angesetzt.
Ermittlungen gegen Meta wegen illegalem Medikamentenhandel – Bericht
Die US-Behörden ermitteln gegen den Facebook-Mutterkonzern Meta Platforms wegen möglicher Verstrickung in den illegalen Handel mit Medikamenten. Dies berichtet das Wall Street Journal auf Basis von Dokumenten und Personen, die mit der Angelegenheit vertraut sind. US-Staatsanwälte in Virginia hätten in diesem Zusammenhang Vorladungen verschickt und Fragen als Teil einer strafrechtlichen Untersuchung der Grand Jury gestellt, die untersucht, ob Social-Media-Plattformen des Unternehmens den illegalen Verkauf von Drogen erleichtern und davon profitieren, sagten die mit der Angelegenheit vertrauten Personen. Meta ist der Eigentümer von Instagram und Facebook.
Ex-US-Vizepräsident Pence versagt Trump Unterstützung bei Präsidentschaftswahl
Der ehemalige US-Vizepräsident Mike Pence hat eine Unterstützung des Ex-Präsidenten Donald Trump bei der anstehenden Präsidentschaftswahl im November ausgeschlossen. „Es sollte keine Überraschung sein, dass ich Donald Trump dieses Jahr nicht meine Unterstützung gebe“, sagte Pence am Freitag in einem Interview mit den US-Nachrichtensender Fox News. Trumps Politik stehe im Widerspruch zu der konservativen Programmatik, „mit der wir während unserer vier Jahre regiert haben“, argumentierte Pence.
Wachstum von Tiktok in den USA ist ins Stocken geraten – Kreise
Zum ersten Mal in der Geschichte von Tiktok stagniert das Nutzerwachstum, wie mit der Angelegenheit vertraute Personen berichten. Die Anzeigenverkäufe würden zwar die Wachstumsziele erreichen, sie aber nicht übertreffen.
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Nach Bauernprotesten: EU kündigt „Überprüfung“ der Agrarpolitik an
Die Überprüfung ist eine „direkte Reaktion“ auf Anfragen von Organisationen, die Landwirte und Mitgliedstaaten vertreten, sagte die Kommission, sie befriedige jedoch nicht alle.
Die Europäische Kommission hat vorgeschlagen, einige Bestimmungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zu überprüfen, mit dem Ziel, „Vereinfachungen anzubieten und gleichzeitig eine solide, nachhaltige und wettbewerbsfähige Politik für die Landwirtschaft und Ernährung der EU aufrechtzuerhalten“, so die Kommission.
Die Überprüfung sei eine „direkte Reaktion“ auf Anfragen von Organisationen, die Landwirte und Mitgliedstaaten vertreten, sagte die Kommission, sie befriedige jedoch nicht alle.
„Die Gesundheit von Landwirten und Anwohnern geopfert“
Zum Ärger von Umweltschützern, schlug die Kommission vor, Vorschriften zu lockern, von denen sie noch vor nicht allzu langer Zeit sagte, sie seien entscheidend für die Strategie der EU bis 2050 klimaneutral zu werden. Die von der Leyen-Kommission betrachtete sich lange als weltweiter Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel.
„Dies befriedigt eine Reihe von Verbänden im Agrarsektor, die auf den internationalen Märkten wettbewerbsfähig bleiben wollen, gleichzeitig wird aber die Gesundheit der Landwirte und Anwohner sowie den Schutz der Umwelt geopfern“, sagte der französische Landwirt und Generalkoordinator von Vía Campesina, Morgan Ody.
„Klimaziele bleiben intakt“
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beharrte darauf, dass die allgemeinen Klimaziele der EU intakt blieben, auch wenn sie betonte, sie werde „weiterhin unerschütterlich an der Seite unserer Landwirte stehen, die die Ernährungssicherheit der EU gewährleisten und an vorderster Front unserer Klima- und Umweltmaßnahmen stehen“.
Im Rahmen der Vorschläge wurden die Voraussetzungen für eine klimafreundlichere Landwirtschaft in Bereichen wie Fruchtfolge, Bodenschutz und Bodenbearbeitungsmethoden gelockert oder verringert. Kleinbauern, die rund zwei Drittel der Erwerbsbevölkerung ausmachen und innerhalb der kontinentalen Protestbewegung am aktivsten sind, werden nach den neuen Regeln von einigen Kontrollen und Strafen ausgenommen.
In den letzten Wochen protestierten Landwirte in ganz Europa, auch in Brüssel. Unzufrieden sind die Demonstranten unter anderem mit europäischen Regelungen, die auch auf die Bekämpfung des Klimawandels abzielen.
„Überzogenes bürokratisches Programm“
Kritiker sehen im „Green Deal“der Kommission ein überzogenes bürokratisches Programm von elitären Politikern, die jegliches Gespür für die Menschen auf dem Land verloren haben. Von der Leyens christdemokratische Europäische Volkspartei hat sich in jüngster Zeit zu den lautstärksten Vertretern der Bauern gemausert.
„Eigentlich würde ich es Populismus nennen“, sagte der grüne Europaabgeordnete Thomas Waitz. Die Vorschläge der Kommission greifen seines Erachtens tief in die Verpflichtungen der Landwirtschaft ein, ihren Teil zur Klimaneutralität im Rahmen des gepriesenen Green Deal der EU beizutragen. „Jetzt versuchen sie, den Zorn der Bauern vor Ort abzulenken und gegen den Green Deal zu instrumentalisieren.“
Wissenschaftler und Umweltschützer aus der ganzen Welt beharren darauf, dass drastische Maßnahmen notwendig sind, um die Erderwärmung zu verhindern, und wiesen darauf hin, dass Europa einer der Orte mit den düstersten Aussichten sei.
Die Kommissionsvorschläge müssten zwar noch von den Mitgliedsstaaten unterstützt werden, doch angesichts der bisherigen Zugeständnisse hätten sie gute Chancen, schnell angenommen zu werden, sagten Beobachter.
Neben der EU selbst haben auch die Mitgliedstaaten mehreren Forderungen nachgegeben. Im Mittelpunkt der Beschwerden standen übermäßige Bürokratie, einschneidende Umweltvorschriften und unlauterer Wettbewerb aus Drittländern, darunter der Ukraine.
Die Kommission erklärte, dass die allgemeinen EU-Klimaziele weiterhin gültig seien, auch wenn jetzt mehr Flexibilität für Landwirte vorgeschlagen würde.
„Wir sind der erste Kontinent, der eine verbindliche rechtliche Verpflichtung abgegeben hat, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Wir haben das nicht nur getan“, sagte Kommissionssprecher Eric Mamer, „sondern wir haben mit dem Rechtsakt sogar einen Fahrplan bis 2030 festgelegt, um dies sicherzustellen. Wir sind auf dem richtigen Weg, dieses Ziel zu erreichen.“
Der Kommissionssprecher bestand darauf, dass die Vorschläge vom Freitag nicht von dieser Verpflichtung abweichen würden, auch wenn „es offensichtlich ist, dass wir uns von Zeit zu Zeit an veränderte Umstände anpassen“.
EU-Lieferkettengesetz: Gravierende Folgen für Entwicklungsländer
Heute unternimmt die belgische Ratspräsidentschaft einen erneuten Versuch, eine Mehrheit für das EU-Lieferkettengesetz zu finden. Trotz Nachbesserungen drohen immer noch erhebliche Nachteile – nicht nur für die europäische Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch für die Entwicklungsländer.
Jetzt kommt es womöglich doch: Mit dem Lieferkettengesetz will die EU Unternehmen verpflichten, die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards entlang ihrer Beschaffungswege zu kontrollieren. Mehrfach war das Vorhaben gescheitert – auch am deutschen Widerstand. Doch selbst nach mehreren Nachbesserungen bleibt das Gesetz unausgegoren, seine negativen Folgen dürften weit über die EU hinausgehen. Denn die mit der Umsetzung verbundenen Kosten sind hoch und betreffen einen größeren Kreis von Unternehmen als angedacht. Das zeigen die Erfahrungen mit dem deutschen Lieferkettengesetz, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kürzlich in einer Studie untersucht hat.
Deutlich mehr Unternehmen als angedacht betroffen
Das deutsche Gesetz richtet sich wie sein EU-Pendant eigentlich nur an Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitern. (Der aktuelle EU-Vorschlag sieht zudem einen Mindestumsatz von 450 Millionen Euro Umsatz vor.) Nach IW-Umfrage ist inzwischen aber fast jedes zweite deutsche Unternehmen betroffen. Denn auch kleinere Firmen müssen die Berichtspflichten erfüllen, wenn sie ein größeres Unternehmen beliefern. Selbst in der Gruppe der Unternehmen mit bis zu 49 Mitarbeitern gibt die Hälfte der befragten Unternehmen an, direkt oder indirekt vom Gesetz betroffen zu sein. Mit schwerwiegenden Folgen: Der Standort wird teurer und damit weniger wettbewerbsfähig.
Vorschriften zu komplex für Entwicklungsländer
Das deutsche Gesetz wirkt sich auch schon negativ auf die Entwicklungsländer aus. Ein Grund: Insbesondere kleinere Betriebe – sowohl in der EU als auch in den Lieferländern – haben keine Kapazitäten, um sich mit den komplexen gesetzlichen Vorschriften auseinanderzusetzen, wenn sie Angaben für ihre Kunden machen müssen. So sanken die Bekleidungsimporte aus Entwicklungsländern wie Bangladesch oder Pakistan im Jahr 2023 um mehr als ein Fünftel. Gleichzeitig kamen immer mehr Textilimporte aus Ländern wie Nordmazedonien, Tunesien oder Marokko. Für die Nachhaltigkeit in den Entwicklungsländern sind das keine guten Nachrichten, in Bangladesch etwa entfallen zwölf Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf die Bekleidungsindustrie. Ziehen sich jetzt nicht nur deutsche, sondern auch europäische Unternehmen zurück, müssen die Staaten mit Ländern handeln, deren Umwelt- und Sozialstandards bei weitem nicht auf dem EU-Niveau sind – beispielsweise China.
ANALYSE: Mögliche EU-Erweiterung: Deutschland würde fünf Sitze im EU-Parlament verlieren
Ein EU-Beitritt der Ukraine und sieben weiterer Beitrittskandidaten könnte das europäische Machtgefüge stark verschieben, zeigt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Liberale Staaten würden an Einfluss verlieren. Ohne Reformen droht eine Lähmung der EU.
Nicht nur die Ukraine – insgesamt acht Beitrittskandidaten verhandeln mit der EU um einen Beitritt, darunter Albanien, Serbien oder die Republik Moldau. Ist die Erweiterung erfolgreich, würde die EU von 27 auf 35 Mitgliedsländer wachsen. Die Machtverhältnisse würden sich dann stark verändern, wie eine neue IW-Analyse zeigt – mit erheblichen Folgen für Deutschland.
Wie sich die Institutionen verändern
• Im Europäischen Parlament würde den neuen Mitgliedern nach IW-Berechnungen ein Sechstel aller Sitze zustehen. Die Ukraine würde mit 48 Sitzen die fünftgrößte nationale Delegation stellen. Die Gründungsstaaten würden dagegen an Einfluss verlieren: Deutschland müsste fünf Sitze abgeben, die Delegation Italiens würde sogar um etwa 10 Prozent schrumpfen.
• In der Europäischen Kommission gilt heute: Ein Land, ein Kommissar. Bleibt es bei dieser Regelung, dürfte die EU-Exekutive auf 35 Mitglieder anwachsen – sie wäre mehr als doppelt so groß wie die Bundesregierung. Dann würde es in der Kommission unübersichtlich, der Koordinationsaufwand könnte deutlich steigen.
• Im Ministerrat, in dem die Mitgliedstaaten entscheiden, dürfte sich der Ton verändern – hin zu weniger wirtschaftlicher Freiheit: Nach einem Ranking der Heritage Foundation lag die Ukraine vor dem Krieg bei der wirtschaftlichen Freiheit weltweit auf Platz 127, Moldau im vergangenen Jahr auf Rang 96. Bei den anderen Kandidaten sieht es ähnlich aus. Für den liberalen Block, zu dem Deutschland zählt, würde es deutlich schwerer, Entscheidungen durchzusetzen oder zu verhindern – etwa in der Fiskalpolitik.
In der Außen- und Sicherheitspolitik droht Lähmung
Die meisten Abstimmungen im Ministerrat erfolgen mit qualifizierter Mehrheit, das heißt: für eine Verabschiedung braucht es die Stimmen von 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. In der Außen- und Sicherheitspolitik und bei Steuerfragen gilt allerdings Einstimmigkeit – mit jedem neuen Mitglied wird der Entscheidungsprozess schwieriger. In strittigen Fragen drohen langwierige Verhandlungen ohne Erfolgsgarantie.
„Ein Beitritt der Ukraine und der weiteren Kandidaten ist politisch grundsätzlich richtig und ökonomisch nach einer angemessenen Übergangs- und Anpassungzeiten sinnvoll. Er wird ohne eine politische Reform der EU aber nicht möglich sein“, sagt IW-Europaexperte Julian Sommer. Die EU müsse auch in strittigen Fragen Entscheidungen durch qualifizierte Mehrheitsentscheidungen herbeiführen. „Wenn der Europäische Rat an der Einstimmigkeit festhält, droht Europa sich in wichtigen Außen- und Sicherheitsfragen selbst zu lähmen“.
Österreich.Zahlen.Daten.Fakten 2023/24″
steht auf unserer Website unter Österreich.Zahlen.Daten.Fakten 2023/24 als PDF
Millionen aus „Geburtslotterie“ Erbin startet „Rückverteilung“ ihres Vermögens
Marlene Engelhorn ist jung, reich und will Gutes tun. 49 Mitglieder des „Guten Rats für Rückverteilung“ sollen ihr dabei helfen. Der Erbin geht es nicht nur darum, ihr Vermögen loszuwerden, sondern auch um eine „große Systembeleuchtung“.
Die Übergabe von 25 Millionen Euro aus ihrem Vermögen an die Allgemeinheit sieht die deutsch-österreichische Sozialaktivistin Marlene Engelhorn als richtungsweisenden Akt zur Stärkung der Demokratie. „Niemand soll sich einbilden, die eigene Komfortzone ist wichtiger als das gute Leben für alle“, sagte die 31-jährige Millionenerbin zum Start des Projekts. An diesem Wochenende treffen sich 50 repräsentativ ausgewählte Frauen und Männer in Salzburg, um im eigens gegründeten „Guten Rat für Rückverteilung“ über soziale Gerechtigkeit und die konkrete Verteilung der Millionen zu beraten.
Bis zum Juni soll an sechs Wochenenden ein Plan für die Vergabe des Geldes erarbeitet werden. „Ich werde nur zum Auftakt ein paar Begrüßungsworte sagen, auf das Ergebnis habe ich keinen Einfluss“, so Engelhorn. Für das Gremium waren 10.000 Menschen in Österreich als mögliche Teilnehmer angeschrieben worden, von denen knapp 1500 ihr Interesse bekundet hatten. Die schließlich ausgewählten Personen sind nach Angaben des Foresight Instituts repräsentativ für die Menschen über 16 Jahren in Österreich. Sie erhalten pro Wochenende laut Engelhorn 1200 Euro. Für die Organisation, die Anfahrts- und Aufenthaltskosten sowie die etwaige Kinderbetreuung habe sie weitere drei Millionen Euro bereitgestellt.
„Hochprivilegierte Bummel-Studentin“
Zunächst stünden aber gar nicht konkrete Projekte im Vordergrund. Es gehe mithilfe von Moderatoren vielmehr grundsätzlich um die Frage sozialer und steuerlicher Gerechtigkeit. Wie beeinflusst die Vermögensverteilung die Gesellschaft, die Politik und das Klima? „Es ist keine wilde Charity-Aktion nach dem Motto, ich suche mir irgendeine NGO aus, sondern es ist wirklich eine große Systembeleuchtung“, sagt die Erbin. Sie selbst sei für Vermögens- und Erbschaftssteuern. Die Wiedereinführung solcher Steuern in Österreich würde voraussichtlich einen Milliardenbetrag einspielen, mit dem eine Kindergrundsicherung finanziert werden könnte. „Damit hätten wir die Kinderarmut abgeschafft.“
Sie selbst betrachte sich als „hochprivilegierte Bummel-Studentin“ der Germanistik, die eine Gewinnerin in der „Geburts-Lotterie“ sei, sagt Engelhorn. Ihre Aktion unterscheide sich bewusst von allen Spenden durch Millionäre und Milliardäre, weil die Vergabe von Geld in der Hand der Gesellschaft und nicht in der Hand Einzelner liegen dürfe. „Wir wissen gar nicht, was alles an Schindluder getrieben wird mit Privatvermögen.“
Für sich selbst behalte sie noch einen bestimmten Betrag, der ihr den Übergang in einen Job erleichtern solle. Sie habe keinerlei Anlass zur Sorge. „Meine Privilegien fangen mich auch nach der Rückverteilung auf.“ Sie sei ja weiterhin eingebettet in eine vermögende Familie und habe ein sehr gutes Netzwerk. Für die Zukunft könne sie sich einen Job mit einem gesellschaftspolitischen Aspekt vorstellen, sagte die 31-Jährige. Engelhorn ist Spross einer Industriellenfamilie. Ihr Vermögen stammt aus einer Übertragung von ihrer Großmutter. Quelle: ntv.de, Matthias Röder, dpa
„Regierung hat Auftrag versäumt“ Wie eine BASF-Erbin ihre Millionen verschenken will
ANALYSE: Webinar-on-Demand: Wann kommt der Aufschwung? – Aussichten für 2024
Im neuen „Webinar-on-Demand“ gibt Stefan Bruckbauer, Chefökonom der UniCredit Bank Austria, einen Überblick zur aktuellen Entwicklung der Konjunktur, der Inflation und der Zinsen. Mehr Wirtschaftsinformationen auf https://wirtschaft-online.bankaustria.at
KOMMENTAR: SZ Österreich: Durchsichtige Manöver • 100 Jahre Zsolnay Verlag • Dunkelrotes Salzburg – C.Kahlweit
PSYCHOLOGIE
Brisante Jugendstudie: „Junge Menschen kämpfen um ihre Existenz“
Life Creator-Geschäftsführer Heinz Herzceg lässt im krone.tv-Interview mit Inhalten aus seiner aktuellen Jugendstudie über Einstellungen heimischer Jugendlicher aufhorchen. „Die jungen Menschen erleben mehr Stress und Antriebslosigkeit als noch vor einem Jahr. Der Faktor Selbstzweifel hat sich dabei am meisten erhöht, da ist gerade bei den älteren Jugendlichen im Alter von 19 bis 29 der Wert stark gestiegen. Bei Studierenden ist der Wert aber unter allen jungen Menschen, die irgendwo in einer Ausbildung sind, am höchsten, bei den Lehrlingen hingegen am niedrigsten. Das heißt, Lehrlinge fühlen sich am sichersten mit dem, was sie gerade tun, auch das Richtige zu tun“, so Heinz Herzceg. Herczegs Einschätzung: „Die Lehre ist für mich die Lösung. Für mich als Vater von drei jungen Kindern, aber auch für viele junge Menschen, die im Bildungssystem ein bisschen verloren sind. Die teilweise ihre Schule nicht schaffen, dadurch auch Selbstzweifel haben und der Selbstwert sinkt. Das Thema Geld und Lehre, das heißt eine Ausbildung, wo schon Geld verdient werden kann, ist im Moment ein riesiger Renner bei den Jungen.“ Derzeit sei auch die Themenkombination Geld und Existenzsicherung ganz wesentlich. Herczeg: „Bei mehr als 50 Prozent steht das Thema Geld für Existenzsicherung. Nicht mehr so wie bei früheren Generationen, wo Geld geheißen hat, Lebensträume zu erfüllen oder einen Urlaub möglich zu machen. Jetzt ist das anders, es geht um Existenzsicherung. 40 Prozent der Studierenden sehen sich gefährdet in ihrem Studium, weil sie sich das Studium nicht mehr leisten können.“
Auch der Faktor Klimaschutz habe im Wertekanon abgenommen: „Man sieht bei den Studienergebnissen, dass Themen wie Familie, das Thema Vertrauen oder Selbstverwirklichung wichtiger sind als die Themen Umweltschutz und Klima. Was man aber sieht ist, dass das Thema Klima Sorge macht.“
Umweltkatastrophen und Klima sind Top 3 Thema aller Sorgen. Nur will man etwas dafür tun? Eher nicht. Weil in den Vorsätzen für 2024 ist der Punkt „etwas klimabewusster leben“ der letzte Punkt mit nur 13 Prozent.
Ich sage immer: „Das Hemd ist den Menschen heute viel näher, als alles andere. Die Menschen kämpfen um ihre Existenz, da sind Themen wie Klimaschutz weit weg von ihrer Betroffenheit“, so Heinz Herzceg.
BILDUNG
Frage und Antwort: Wie die Hochschulen mit Plagiatsvorwürfen umgehen
Die öffentlichen Diskussionen über akademisches Abschreiben waren zuletzt stark durch sogenannte Plagiatsjäger geprägt. Ein Versuch der Versachlichung
Ab Anfang Februar war in Österreich für einige Wochen Pause beim öffentlichen Anprangern von Plagiaten. Stefan Weber, „Plagiatsjäger“ und Kommunikationswissenschafter, hatte damals seine Prüfungen der Dissertation und der journalistischen Arbeiten von Alexandra Föderl-Schmid zwar gerade erst begonnen. Dennoch stand sein harsches Urteil über die stellvertretende Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“) und ehemalige Chefredakteurin des STANDARD bereits fest. Vor allem rechtspopulistische Plattformen – eine davon hatte Webers Recherchen finanziert – griffen die anschwellenden Anschuldigungen dankbar auf und spitzten sie weiter zu.
Was folgte, ist allgemein bekannt. Zwar erschienen daraufhin zahllose Berichte über Stefan Weber, über seine Praktiken und sein Geschäftsmodell. Die komplexe Problematik der wissenschaftlichen Integrität im Allgemeinen und des akademischen Plagiierens im Speziellen geriet dabei ein wenig aus dem Blick. Ein Versuch der Versachlichung und Kontextualisierung anhand einiger wichtiger Fragen, auf die es in vielen Fällen keine einfachen Antworten gibt.
Frage: Was ist eigentlich ein wissenschaftliches Plagiat?
Antwort: Laut dem österreichischen Hochschulgesetz in der geltenden Fassung liegt ein Plagiat „dann vor, wenn Texte, Inhalte oder Ideen übernommen und als eigene ausgegeben werden“. Dies umfasse „insbesondere die Aneignung und Verwendung von Textpassagen, Theorien, Hypothesen, Erkenntnissen oder Daten durch direkte, paraphrasierte oder übersetzte Übernahme ohne entsprechende Kenntlichmachung und Zitierung der Quelle und der Urheberin oder des Urhebers“.
Frage: Was passiert, wenn ein Plagiatsverdacht bei einer akademischen Publikation besteht?
Antwort: Handelt es sich um einen Plagiatsverdacht bei Bachelor- oder Masterarbeiten, dann werden die Prüfverfahren im Normalfall von den Universitäten oder Fachhochschulen selbst durchgeführt. In komplexeren Fällen, vor allem bei Dissertationen oder wissenschaftlichen Publikationen, kann in Österreich seit 2008 die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) eingeschaltet und mit einer unabhängigen Prüfung beauftragt werden. Über Konsequenzen aus dieser Stellungnahme – also eine etwaige Aberkennung eines Titels – müssen die betroffenen Universitäten und Fachhochschulen selbst entscheiden.
Frage: Wie arbeitet die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität?
Antwort: Die ÖAWI wurde 2008 wegen der damals öffentlich diskutierten Plagiatsanschuldigungen gegründet. (Ein Jahr zuvor wurde übrigens auch im STANDARD anlässlich der Dissertation des damaligen Wissenschaftsministers Johannes Hahn die Gründung einer solchen Institution angeregt.) Sie ist als unabhängiger Verein organisiert, zu dessen Mitgliedern alle öffentlichen und acht private Unis, neun Fachhochschulen und eine pädagogische Hochschule, 17 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sowie vier Forschungsförderer gehören und der sich für die Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis in der österreichischen Forschungs- und Bildungslandschaft einsetzt. Das geschieht einerseits durch Prävention – etwa der Erstellung von Richtlinien oder Beratungs- und Trainingstätigkeit. Andererseits hat die international besetzte Kommission für wissenschaftliche Integrität der ÖAWI die Aufgabe, Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens in Österreich zu untersuchen, sie zu bewerten und gegebenenfalls Vorschläge für Maßnahmen zu unterbreiten. Diese Stellungnahme wird den Verfahrensparteien übermittelt, zum Beispiel jener Institution, die bei der ÖAWI um die Untersuchung gebeten hat.
Frage: Wie funktionieren die Untersuchungen solcher Kommissionen für wissenschaftliche Integrität?
Antwort: Prüfungen durch solche Kommissionen werden im Normalfall durch Fachleute für die jeweilige Disziplin durchgeführt, weil auch die Zitierstandards nicht völlig einheitlich sind und es auch davon abhängt, ob die Arbeit vor fünf oder vor 35 Jahren verfasst wurde. Bei der Beurteilung einer Arbeit bezüglich Plagiaten reiche es nicht, einfach eine Plagiatssoftware drüberlaufen zu lassen, sagt ÖAWI-Geschäftsführerin Sabine Chai. Dann erhält man nur einen Prozentsatz, der noch wenig bedeute. Also müsse man sich jede Stelle im Detail ansehen. Im Extremfall kann sogar ein Kohortenvergleich notwendig sein, also ein Vergleich mit anderen Arbeiten dieses Fachs aus einem ähnlichen Zeitraum. Ein anderes Kriterium, das letztlich auch bei Titelaberkennungen eine wichtige Rolle spielt, ist die Frage der Täuschungsabsicht, die freilich nicht immer eindeutig zu beantworten ist.
Frage: Welche Bedeutung haben Plagiate im Gesamtbereich des wissenschaftlichen Fehlverhaltens?
Antwort: Das Thema Plagiat erhält in der Öffentlichkeit aufgrund spektakulärer Fälle zwar besonders viel Aufmerksamkeit. Für die Wissenschaft ist es aber nur ein Problem unter mehreren, wenn es um gute wissenschaftliche Praxis und Integrität geht. Plagiatsfragen gehören im Grunde zu jenen der guten Zusammenarbeit im Wissenschaftssystem: Wissenschaftliche Leistungen sollen jenen zugeschrieben werden, die sie auch erbracht haben. Das betrifft richtige Zitierungen ebenso wie den korrekten Ausweis von (Co-)Autorenschaften bei Publikationen, wie Sabine Chai erklärt. Bei rund der Hälfte der Fälle, die bei der ÖAWI landen, geht es um Plagiatsverdacht. Für den wissenschaftlichen Fortschritt wichtiger sei die Sicherstellung, dass die publizierten Erkenntnisse und Daten stimmten und nicht manipuliert oder gefälscht worden seien, weil darauf die weitere Forschung aufbaue. Das Problem von Fake-Publikationen fällt in beide Bereiche.
Frage: Verjähren Plagiatsfälle in Österreich?
Antwort: Nein, aktuell nicht, auch wenn es immer wieder Vorstöße in diese Richtung gab und gibt. So wurde ab 2021 in einem Entwurf für das Hochschulgesetz diskutiert, eine Verjährungsfrist von 30 Jahren einzuführen, nach der ein akademischer Titel nicht mehr aberkannt werden darf. Damals äußerte allerdings der Verfassungsdienst Zweifel, weil man „erschlichene akademische Grade ‚ersitzen'“ könne. Im Zuge des neuen gesetzlichen Hochschulpakets, in dessen Rahmen auch die wissenschaftliche Integrität neu organisiert werden soll, hat sich der Verband für Universitätsprofessoren und -professorinnen (UPV) Ende Februar abermals für eine Verjährung von Plagiaten starkgemacht, wie ORF.at berichtete. „Auch wenn das politisch – nicht zuletzt durch die Medienwirksamkeit selbsternannter ‚Plagiatsjäger‘ – schwierig zu kommunizieren ist, sprechen etliche sachliche Gründe dafür“, hält der Verband in einer Stellungnahme fest. So sei es für Universitäten auch aus „praktischen Gründen“ sehr schwierig, Abschlussarbeiten seriös zu überprüfen, die Jahrzehnte zurücklägen. Ein weiteres Problem liegt allerdings auch darin, dass in Österreich extrem viel dissertiert wurde – 2007 wurden noch 17.000 Dissertierende verzeichnet – und dass es bis zu dieser Zeit wenig Problembewusstsein hinsichtlich Betreuung und Zitierpraxis gab.
Frage: Wie viele Fälle von Plagiaten und anderem wissenschaftlichen Fehlverhalten gibt es in Österreich?
Antwort: Dazu liegen nur grobe Schätzungen vor, denn es gibt in Österreich kein Meldesystem, wo alle Anzeigen und Verfahren wissenschaftlichen Fehlverhaltens gesammelt werden. Auch an der ÖAWI kann man nicht sagen, welcher Prozentsatz der Fälle bei der Agentur landet und wie viele von den Universitäten und Fachhochschulen selbst untersucht werden, sagt Sabine Chai. Die Kommission für wissenschaftliche Integrität hat von 2009 bis Ende 2022 insgesamt 229 Anfragen beantwortet. 2022 wurden 33 Fälle verhandelt, von denen 26 zum Abschluss kamen und auch anonymisiert im bislang jüngsten Bericht veröffentlicht wurden.
Frage: Wie viele Aberkennungen von Titeln gab es in Österreich zuletzt wegen Plagiatsfällen?
Antwort: Auch dazu fehlen konkrete Zahlen. Die liegen nur für einzelne Universitäten wie etwa die Uni Wien vor: Hier kam es seit 2005 zu 60 Plagiatsverfahren, von denen 27 mit der Aberkennung von Graden endeten. Zum Vergleich: Pro Jahr werden an Österreichs größter Universität rund 4.500 Abschlussarbeiten (ohne Bachelorarbeiten) eingereicht. Für andere Hochschulen fehlen solche Vergleichswerte. Der deutsche Plagiatsjäger Jochen Zenthöfer kritisierte 2022 in der „FAZ“, dass es an der Uni Innsbruck zwischen 2005 und 2021 angeblich insgesamt 31 Verdachtsfälle gegeben habe, von denen kein einziger eine Titelaberkennung zur Folge hatte. Erst im Herbst 2023 wurde dann dem deutschen CDU-Politiker Otto Carstens von der Uni Innsbruck der 2010 verliehene Doktortitel wegen eines Plagiats der eigenen Masterarbeit entzogen; Carstens hat angekündigt, diese Entscheidung der Uni Innsbruck anzufechten.
Frage: Wie viel Öffentlichkeit sollten Fälle des wissenschaftlichen Fehlverhaltens und des Plagiierens bekommen?
Antwort: Das ist eine besonders schwierige und heikle Frage. Was dafür spricht: Viele auch internationale Betrugsfälle sind erst deshalb untersucht worden, weil über sie öffentlich berichtet wurde. Die Thematisierung von Betrug in der Wissenschaft und Arbeiten von Plagiatsexperten wie Stefan Weber oder im Rahmen der deutschen Plattform Vroniplag haben wohl auch dazu beigetragen, das Problembewusstsein an den Universitäten und auch bei Studierenden zu schärfen. Weber argumentiert in seiner Streitschrift „Auf ‚Plagiatsjagd'“ zudem damit, dass die Öffentlichkeit ein Anrecht darauf habe, „zu erfahren, welchem Wissenschafter Fehlverhalten vorgeworfen wurde. Es werden umgekehrt ja auch Preise und Auszeichnungen von Wissenschaftern kommuniziert.“ Er kritisiert auch die Anonymität von Gutachten in Verdachtsfällen.
Frage: Was spricht für eine vertrauliche Behandlung von Plagiatsfällen und anderen Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens?
Antwort: Dass Fälle grundsätzlich vertraulich behandelt werden sollten, sei eine Frage des professionellen Umgangs, argumentiert Sabine Chai. In erster Linie diene das dem Schutz der Person, die den Hinweis gebe, wie auch der beschuldigten Person. Denn man wisse am Anfang nie, wie diese Fälle ausgingen. Verfrühte Veröffentlichungen noch vor Abschluss der Prüfung – noch dazu häppchenweise und ohne die betroffene Person zu informieren – können rufschädigend sein, Karrieren und Leben gefährden oder zerstören. Das zeigte nicht nur der Fall der Journalistin und stellvertretenden Chefredakteurin der „SZ“, Alexandra Föderl-Schmid. Ein anderes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit waren die Plagiatsanschuldigungen gegen den renommierten deutschen Rechtsmediziner Matthias Graw, die sich nach Monaten rufschädigender Berichterstattung als kolossale Intrige herausstellten.
Frage: Worum ging es im Fall Graw?
Antwort: Matthias Graw, Ordinarius und Institutsvorstand an der Uni München, wurde Anfang 2022 vorgeworfen, er habe in seiner Dissertation 1987 plagiiert – und zwar aus einem Tagungsband in englischer Sprache, der ein paar Jahre zuvor in Rumänien und der DDR erschienen sei. Stefan Weber und sein deutscher Kollege Martin Heidingsfelder, die auf den Fall angesetzt wurden, erhielten vom Auftraggeber, einem gewissen Otto Z., zunächst ein PDF des fast 400-seitigen Tagungsbandes. Eine gedruckte Version davon war kurz davor auf Ebay angeboten worden. Für Weber und Heidingsfelder war bald klar, dass Graws Dissertation abgeschrieben sein musste. Plagiatsgutachten der beiden gingen auch an die Medien. In der „SZ“ etwa forderte Weber die Suspendierung Graws. Im Oktober stellte sich heraus, dass der Tagungsband eine aufwendige Fälschung mutmaßlich von Otto Z. war, der allem Anschein nach keine Kosten und Mühen scheute, um Matthias Graw mit der Intrige zu schaden, was auch über vier Monate gelang. (Klaus Taschwer, 17.3.2023)
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GESELLSCHAFT
Autoritarismus-Studie: Wenig Sympathie für Regierende
In Österreich ist die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie und der Arbeit der Regierung gesunken. Das ist eines der Ergebnisse einer Studie, die Zeithistoriker Oliver Rathkolb von der Universität Wien am Sonntag bei der Matinee „Demokratie hat Zukunft“ im Burgtheater vorgestellt hat. Demnach zeigten sich 2022 nur 9 Prozent der befragten Österreicherinnen und Österreicher „sehr zufrieden“ mit der Arbeitsweise der Demokratie in ihrem Land. Die für eine Studie des Wiener Instituts für Kultur- und Zeitgeschichte (VICCA) in Auftrag gegebenen Online-Umfrage über „Autoritarismus, historische Wahrnehmungen und demokratische Positionen“, für die repräsentative Stichproben von je 2000 Befragungen in Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und Großbritannien sowie von je 1000 Befragungen in Österreich, Tschechien und Ungarn genommen wurden, zeichnet insgesamt ein uneinheitliches Bild. Die Unzufriedenheit mit amtierenden Politikern und ein steigender Wunsch nach einem starken Führer ist jedoch als eine Tendenz herauszulesen, die auf der Burgtheater-Bühne von Rathkolb mit Misha Glenny (IWM), Cathrin Kahlweit („Süddeutsche Zeitung“) und Sylvia Kritzinger (Universität Wien) diskutiert wurde.
Im Vergleich zu einer Umfrage 2019 nahm etwa die Zustimmung zu der Aussage „Leute wie ich haben kein Mitspracherecht darüber, was die Regierung tut“ mit Ausnahme von Ungarn und der Tschechischen Republik in allen Ländern zu (in Österreich von 42 auf 44 Prozent). Der Aussage „Demokratie ist die beste Regierungsform, auch wenn sie Probleme mit sich bringen kann“ stimmten in Österreich 2022 jedoch 79 Prozent (plus 2 Prozentpunkte) zu, so viele wie in keinem anderen der übrigen sieben Länder. Gleichzeitig sei aber in Österreich die Zufriedenheit mit der Arbeit der Regierung von 43 auf 19 Prozent zurückgegangen, heißt es in der Studie.
Bei der im November und Dezember 2022 durchgeführten Befragung wurden auch Aspekte des Ukrainekriegs abgefragt. Auf die Frage, wie groß sie die Gefahr einschätzen, die die russische Invasion für die Sicherheit des jeweiligen Landes darstellt, zeigten sich die Österreicher mit Abstand am wenigsten beeindruckt: Nur 30 Prozent hielten die Gefahr für sehr groß oder groß. Am anderen Ende der Skala liegt Polen, wo mit 66 Prozent die Sicherheitsbedenken am höchsten waren.
Bei der Veranstaltung lasen Annamária Láng, Tobias Moretti, Martin Schwab und Marie-Luise Stockinger neue, extra für die Matinee geschrieben literarische Reflexionen europäischer Autoren und Autorinnen zu Demokratie und Autoritarismus. So befasste sich der Italiener Antonio Scurati mit Faschismus und Populismus, Sabine Gruber anhand eigener Erfahrungen mit der italienischen Politik in Südtirol, Gerhild Steinbuch mit der Verrohung der Sprache und Dorota Masłowska mit Hate Speech im Internet. Beiträge gab es auch von Jean-Baptiste Del Amo, Michal Hvorecký, Terézia Mora und Tena Štivičić. Kathrin Röggla hatte einen Dialog verfasst, in dem die Gefährdung der Demokratie besprochen wird: „Sie faseln vom Tag X, der da kommen wird. Sie werden schneller sein. Wir sind immer zu langsam.“
MENSCHEN
Teddy Podgorski gestorben: Der unterhaltsamste ORF-General aller Zeiten
Der Journalist, Schauspieler, Regisseur, Autor, Wirt, Lebemann und große Schmähführer wurde 88 Jahre alt. Er erfand „ZiB“, „Seitenblicke“, „Bundesland heute“ und „Universum“
Thaddäus Podgorski hat das österreichische Fernsehen über Jahrzehnte geprägt, als Sendungsmacher, Moderator, Journalist und von 1986 bis 1990 ORF-Generalintendant. Er hat die erste „ZiB“ gemacht und ihr einen Namen gegeben, er hat das Societyformat „Seitenblicke“ erfunden, „Universum“ und das regionale „Bundesland heute“. Nun ist der Journalist, Schauspieler, Regisseur, Autor, Wirt, Lebemann und große Schmähführer Podgorski mit 88 Jahren gestorben. Das wurde dem STANDARD am Samstag aus Familienkreisen bestätigt.
„Zeit im Bild“-Namensgeber
Da endet ein unglaublich reiches, kreatives Leben, prall von Witz und Geschichten, die österreichische Fernsehgeschichte machten, und von denen Podgorski auch ungemein gern erzählte. Es gab ja soviel davon. Und keiner kann sie mehr so erzählen wie er.
Wie der widerständig-schelmische Schüler „Bodgoaski“, geboren am 19. Juli 1935 in Wien und aufgewachsen auf den wilden Gstätten des armen Arbeiterbezirks Wien-Simmering, nach dem Krieg und vor der Matura aus dem Internat des Benediktinerstifts Admont flog. Wie er mit Schmäh beim US-Radio Rot-Weiß-Rot unterkam und nach dessen Ende beim Österreichischen Rundfunk, dem ORF.
Wie er dem TV-Senderchef Gerhard Freund mit dem Titel für sein Projekt einer „Wochenschau“ fürs Fernsehen aushalf: „Zeit im Bild“. „Gut ist es nicht, aber lassen wir’s mal“, zitierte Podgorski Freund gerne. Die Sendung ging am 5. Dezember 1955 mit ihrem ersten Redakteur Podgorski auf Sendung und heißt auch sieben Jahrzehnte danach noch „ZiB“ und erreicht täglich ein Millionenpublikum im ORF.
Sein pointierter Zugang zum Genre TV-Nachricht kostete Podgorski den Reporterjob: ORF-General Gerd Bacher warf ihn aus der TV-Information nach einem „ZiB“-Bericht über die Salzburger Festspiele mit Schwenk über kiffende Jugendliche an der Salzach und dem Kommentar: „Die Hippies rauchen ihre Joints und die Bürger sitzen im Theater.“ „Ich brauche keinen Bert Brecht im Aktuellen Dienst“, tobte Bacher 1967.
Erfinder zahlreicher Sendungen
Boxer Podgorski entwickelte für den ORF eine Vielzahl von Sendungen wie „Sportpanorama“ und das kritische Magazin „Panorama“ mit Walter Pissecker, das von ihm selbst moderierte Erinnerungsschwelgen „Seinerzeit“, das Männermagazin „Jolly Joker“ mit Society, Luxus und schnellen, schönen und teuren Autos, die Podgorski lange selbst sehr interessierten wie den Piloten Podgorski die Fliegerei.
Podgorski war selbst ein nicht geringer Teil der Wiener Gesellschaft – in der nach dem Innenstadt-Wirtshaus benannten „Gutruf-Partie“ mit Künstlern, etwa Helmut Qualtinger; das Lokal rettete Podgorski später in einer Gruppe von Investoren. Aber auch in der Partie des roten Society-Enfant-terribles Udo Proksch, der später das Frachtschiff Lucona versenken ließ und sechs Tote in Kauf nahm, um die Versicherung zu betrügen. Podgorski war in den 1970ern in einem eigenwilligen Wiener Verein von Proksch Vizepräsident und Geschäftsführer, der Lucona-U-Ausschuss kritisierte das Naheverhältnis und den ORF-Einsatz dort.
ORF-Chef wird Thaddäus Podgorski, nach eigenem Bekunden stets parteifrei, aber links, auf Wunsch und Betreiben von Bundeskanzler und SPÖ-Chef Fred Sinowatz. Vor allem, weil der langjährige Wunschkandidat Franz Kreuzer aus dem ORF inzwischen als Gesundheitsminister in die Bundesregierung gewechselt ist. Und vor allem damit der bürgerliche Gerd Bacher nicht mehr ORF-Chef ist.
Podgorski erfindet in seinen vier Jahren an der ORF-Spitze die „Seitenblicke“, die Wissenschaftsreihe „Universum“, die Regionalisierung der TV-Berichterstattung in neun „Bundesland heute“-Sendungen. Und er holt einen bisherigen Kanzlerpressesprecher namens Gerhard Zeiler als Generalsekretär und faktischen ORF-Manager auf den Küniglberg, der sich als bisher fähigster und erfolgreichster TV-Manager der österreichischen Mediengeschichte bis heute entpuppen wird: Gerhard Zeiler, nach vier Jahren bei Tele 5 und RTL 2 später 1994 bis 1998 selbst ORF-General, dann CEO von RTL Deutschland und der RTL Group und heute President International des US-Medienkonzerns Warner Discovery.
1990 kehrt Bacher noch einmal zurück als General, sein fünftes Mal an der ORF-Spitze, wie üblich mit Unterstützung der ÖVP und dank der im Aufsichtsgremium mit abstimmenden ORF-Betriebsräte. Podgorski rechnet nach der entscheidenden Abstimmung vor Journalisten hörbar ärgerlich ab: „Warum ich verloren habe? Das ist eine ganz einfache Sache. Weil das eine rein politische Entscheidung war. Ich war der einzige in diesem Haus und an diesem Posten, der konsequent und aggressiv gegen Parteieneinfluss gekämpft hat. Und zwar auf dem Boden des Gesetzes, ganz konsequent. Und das geht in Österreich nicht. Wenn man in Österreich nicht packelt, überlebt man nicht. Quod erat demonstrandum. Aber es gibt ein Leben nach dem Tod.“
Podgorski, Vater dreier Söhne, führte seither Regie im Theater an der Josefstadt und in den Kammerspielen, er spielte in Filmen wie dem „Bockerer“ und Fernsehfilmen und am Theater, er erinnerte sich in Formaten für das Landesstudio Wien und vielen Büchern an sein überreiches Leben.
Was ist, nach einer so prallen Vita, der Sinn des Lebens, fragte Günter Kaindlstorfer den Tausendsassa 2020 für sein hörenswertes Porträt in der Ö1-Reihe „Hörbilder“? „Ich habe den Sinn gefunden“, sagte Podgorski: „Ich pflege meine Frau, die Parkinson hat, bin eigentlich Tag und Nacht bei ihr, mit ganz kleinen Ausnahmen. Und wenn ich gar nichts anderes gemacht hätt’ in meinem Leben als das, was ich jetzt mache, wäre das schon Sinn genug.“ (Harald Fidler, 16.3.2024)
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935–2024: Teddy Podgorski ist tot
Die Fernsehlegende Teddy Podgorski ist tot. Der gebürtige Wiener starb in der Nacht auf Samstag im Alter von 88 Jahren. Podgorski prägte das österreichische Fernsehen über Jahrzehnte, als Journalist, Sendungsmacher und Moderator – zwischen 1986 und 1990 war er ORF-Generalintendant. Auf den Allrounder gehen diverse Sendungsformate zurück – die Zeit im Bild hat Podgorski ihren Namen zu verdanken.
Doch war er Wegbereiter einiger fester Größen im ORF-Fernsehen: So war Podgorski für die Einführung der Regionalisierung und des Formats „Bundesland heute“ ebenso verantwortlich wie für die Etablierung der Volksgruppensendungen sowie „Heimat, fremde Heimat“. Die erfolgreiche Reihe „Universum“ sowie der Ausbau der Programme für den öffentlich-rechtlichen Gemeinschaftssender 3sat gehen ebenfalls auf sein Konto.
Geboren wurde Thaddäus Podgorski am 19. Juli 1935 in Wien als Sohn eines adeligen polnischen Ulanenoffiziers, der nach italienischer Kriegsgefangenschaft in Österreich sesshaft geworden war. Nach der Matura am Stiftsgymnasium Admont in der Steiermark studierte er in Wien sechs Semester Kunstgeschichte und Germanistik.
Anfänge bei Sender Rot-Weiß-Rot
Bereits 1953 begann er dann als Nachrichtensprecher und Reporter beim Sender Rot-Weiß-Rot. 1955 wechselte er in den Aktuellen Dienst des neu gegründeten ORF-Fernsehens und wurde schon bald Leitender Redakteur der Zeit im Bild, deren Namen seine Idee war.
Dabei hätte er sich den Namen des Formats damals kaum vorzuschlagen getraut. „Weil er so altvaterisch klingt“, erinnerte sich Podgorski in einem Interview. Der Fernsehchef war auch nicht sonderlich begeistert davon, beließ ihn aber einstweilen, bis man einen besseren gefunden habe. „Und wie man sieht. Ein österreichisches Provisorium hält lange“, so Podgorski.
Für zahlreiche Erfolgsformate verantwortlich
1967 wurde er vom damaligen ORF-Generalintendanten Gerd Bacher zum Chefreporter befördert und sollte bald für zahlreiche Erfolgsformate verantwortlich zeichnen. Er entwarf erfolgreiche Sendungen wie „Sportpanorama“ und „An den Boxen“.
1972 avancierte er zum TV-Sportchef des ORF – eine ideale Position für den Sportbegeisterten, der auch als Amateurboxer, Rennfahrer, Flieger, Reiter, Radrennfahrer und Liebhaber englischer Oldtimer bekannt geworden ist. Daneben stand er für die Sendungen „Seinerzeit“ und „Jolly Joker“ regelmäßig vor der Kamera.
Er verblieb auf der Stelle bis zu seiner Bestellung zum ORF-Generalintendanten 1986. In seinen vier Jahren Amtszeit als ORF-Chef trieb Podgorski nicht nur die TV-Regionalisierung und die Formatentwicklung voran, sondern schloss auch erstmals wichtige Verträge mit den Rundfunkanstalten Osteuropas.
Über das Verhältnis von ORF zur Politik hielt er einst fest, dass man mit vielen Forderungen von Rot wie auch von Schwarz konfrontiert werde, man für Gebührenerhöhungen „wirklich als Knecht mit dem Hut in der Hand“ in tiefer Verbeugung von einem zum anderen gehen müsse. Viele geäußerte Vorstellungen habe er aber nicht erfüllt, „weil’s mir wirklich wurscht war, ob ich wiedergewählt werde“. Er wurde dann auch von Bacher als Generalintendant abgelöst.
Abstecher ins Schauspielfach
Zu seinem breiten Wirken im TV kamen Abstecher ins Schauspielfach (etwa als Gestapo-Agent Pfalzner in „Der Bockerer“) und Buchveröffentlichungen wie „Mohammed Ali“, „Muskeln auf Papier“ und das Olympiabuch „Innsbruck und Montreal“
Später trat Podgorski ab 2010 bei Servus TV mit der Talksendung „Im Gespräch mit Teddy Podgorski“ an, für die eigens das Ambiente des legendären Beisls Gutruf nachgebaut wurde. Aber auch ohne Kamera ist Podgorski dem Publikum in Erinnerung, arbeitete er doch auch als Theaterregisseur und Schauspieler, wenn er etwa im Theater in der Josefstadt und an den Wiener Kammerspielen inszenierte sowie in Produktionen der Staatsoper, der Volksoper und der Seefestspiele Mörbisch mitwirkte.
Vielfach ausgezeichnet
Auch andere Meriten nebst den ORF-Ehren sind Podgorski in den vergangenen Jahrzehnten zuteilgeworden: 1970 erhielt er die Goldene Kamera für das Magazin „Panorama“. Ein Bambi, ein Sport-Oscar und der Goldene Ring von Lausanne zählen ebenso zu den Trophäen des Programmmachers. 1985 erhielt er das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik und 1998 das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien.
Weißmann: „Kannte ORF wie kaum ein anderer“
„Der Tod von Thaddäus Podgorski macht mich zutiefst betroffen“, teilte ORF-Generaldirektor Roland Weißmann mit. „Thaddäus Podgorski war der erste TV-Praktiker, der den ORF als Generalintendant leitete – er kannte den ORF wie sonst kaum ein anderer. Mit dem Ausbau des 3sat-Programmes, der TV-Regionalisierung und den zahlreichen Volksgruppensendungen hat Podgorski wesentliche Säulen für einen starken ORF errichtet“, so Weißmann.
Viele seiner Programmideen und Programmimpulse seien nach wie vor Fixpunkte im ORF-Programm, so Weißmann weiter, „seien es ‚Universum‘, die Zeit im Bild oder ‚Bundesland heute‘. Im Namen des ORF wünsche ich den Angehörigen viel Kraft, mein tiefstes Mitgefühl gilt seiner Familie und seinen Angehörigen“, so der ORF-Chef.
Kogler: „Fixbestandteil“ in heimischen Wohnzimmern
„Teddy Podgorski hat die Fernsehlandschaft geprägt wie sonst kaum jemand und im ORF mit Regionalisierung & Minderheitenredaktion wichtige Weichen gestellt“, teilte Bundespräsident Alexander Van der Bellen auf X (Twitter) mit. „Teddy Podgorski war mit seiner Arbeit Fixbestandteil im Wohnzimmer der Österreicher und Österreicherinnen. Seine Gabe zu vermitteln wird uns noch lange in Erinnerung bleiben“, schrieb Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) auf X.
Betroffen über das Ableben Podgorskis zeigte sich auch SPÖ-Mediensprecherin Muna Duzdar. „Österreich verliert einen leidenschaftlichen Journalisten und wichtigen Fernsehmacher. Wichtige Modernisierungen und Innovationen im ORF tragen seine Handschrift“, so Duzdar. Auch der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) hob Podgorskis Rolle als „Fernsehpionier“ hervor – und bezeichnete auch dessen „Abstecher ins Schauspielfach“ als „bemerkenswert“ – mehr dazu in wien.ORF.at.
„Österreich verliert mit Teddy Podgorski einen gewichtigen Teil seines Fernsehgedächtnisses“, teilte der Präsident der Österreich-Sektion von Reporter ohne Grenzen (RSF), Fritz Hausjell, auf Facebook mit: „Ein ganz großer TV-Macher mit Rückgrat ist leider nicht mehr. Ich bin sehr traurig.“ red, ORF.at/Agenturen
Link:
- Teddy Podgorski (Wikipedia)
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