Tagesblick – 26.2.2024 Montag

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FAZIT DES TAGES

Märkte – Report

Israel, Ukraine

Meldungen

COMMENT zu einer Bemerkung von Außenminister Lavrov (24.9.2023)

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Viel Stoff – Nutze die Suchfunktion!

HELLMEYER-Report (gekürzt)

  •  Märkte: Zumeist gehaltene Niveaus
  • Verivox-Studie: Energiekosten für Haushalte 41% höher als vor Krise
  • Aktuelle Meldungen aus Deutschland

Die Internationalen Finanzmärkte zeigten sich zum Wochenschluss stabil. Die Niveaus wurden

gehalten. Das gilt vor allen Dingen für die Aktienmärkte, die im Wochenverlauf Boden gewannen

und einige neue historische Höchstmarken definieren konnten (DAX, Dow Jones, S&P 500, Nikkei).

Die Geopolitik bleibt potentiell der größte Risikoherd für Wirtschaft und Finanzmärkte. Nachhaltige

Entspannung ist weiterhin nicht erkennbar. Es gibt einige zarte Hoffnungswerte in Richtung einer

Feuerpause/Gefangenenaustausch im Gaza-Konflikt und bezüglich einer Verhandlungs-

bereitschaft seitens der Ukraine. Diese zarten Hoffnungswerte sind jedoch noch nicht sachlich

fundierter Natur.

Viel wird an der weiteren Entwicklung in den USA hängen. Dort zeichnet sich in den Vorwahlen

immer eindeutiger ein Durchmarsch Trumps ab. Auch in South Carolina setzte sich Trump

unerwartet stark durch. Niki Haley will bis zum „Super Tuesday“ durchhalten. Am 5. März finden

Vorwahlen in 15 Bundesstaaten gleichzeitig statt. Die Wahrscheinlichkeit einer zweiten

Präsidentschaft Trumps wird latent wahrscheinlicher. Sollte das der Fall sein, mag es in der

Geopolitik ruhiger werden, in der Geowirtschaft würde es ungemütlicher, insbesondere für Europa.

Deutschland fällt international immer weiter zurück (siehe unten). Die politische Reaktion sowohl

auf die real prekäre als auch auf die zukünftig prekärere Lage fällt seitens der Bundesregierung

sehr überschaubar aus (diplomatischste Ausdrucksform).

Die 10-jährige Bundesanleihe rentiert mit 2,36% (Vorwoche 2,39%,

Vortag 2,45%), die 10-jährige US-Staatsanleihe mit 4,23% (Vorwoche 4,29%, Vortag 4,35%).

Verivox-Studie: Energiekosten für Haushalte 41% höher als vor Krise

Gemäß einer Analyse des Vergleichsportals Verivox liegen die Energiepreise 41% über dem

Vorkrisenniveau (02/2021). Im Vergleich zu 2021 zahlt ein Drei-Personen-Musterhaushalt

demnach 1534 EUR mehr für Heizen, Strom und Tanken.

Auf den Punkt: Die Preise für Energie eines Musterhaushalts belaufen sich demnach derzeit

auf 5.306 EUR im Jahr. Im Februar 2021 kostete die gleiche Menge Energie 3.772 EUR. Für die

Analyse verwendete Verivox als Grundlage einen Drei-Personen-Musterhaushalt mit einem

jährlichen Wärmebedarf von 20.000 Kilowattstunden (kWh), einem Stromverbrauch von 4000

kWh und einer jährlichen Fahrleistung von 13.300 Kilometern.

Kommentar: Deutschlands Energiepolitik ist global einzigartig und schadet dem Standort in

historisch einmaliger Form. Man verursachte eine Energiewende ohne Netz (Merkel bis heute).

Das Netz steht bis heute nicht (Ideologie versus Pragmatismus). In einer Mangellage wurden

intakte Atomkraftwerke abgeschaltet, während der Rest der Welt auf AKWs setzt. Man lässt zu,

dass andere Länder in der Sanktionspolitik „Rosinenpickerei“ betreiben (Japan via Sachalin,

USA via Uran) und forciert durch diese Politik latente Standortnachteile für Kapitalstock und

Bürger Deutschlands. Man importiert weiter „russische“ Energiemoleküle durch Dritte (Indien,

Belgien, Spanien) und lässt für diese faktische Symbolpolitik das eigene Land leiden (keine

preisliche Konkurrenzfähigkeit). Die Wirtschaft und die Gesellschaft werden für den Weg der

ideologisch betriebenen Energietransformation und Symbolpolitik in Haft genommen.

Zum I. Weltkrieg …

Aktuelle Meldungen zum Standort Deutschland:

• Laut Polit-Barometer des ZDF erwarten 69% der Deutschen eine Verschlechterung der

wirtschaftlichen Lage. 28% rechnen nicht mit einer größeren Veränderung, lediglich 2%

erwarten eine positive Entwicklung. Die gegenwärtige Wirtschaftslage bezeichnen nur 10%

als gut. Das sind so wenige wie seit 14Jahren nicht mehr (MBS-Krise!).

• Gemäß Statistischem Bundesamt verzeichnete das deutsche Bauhauptgewerbe im Jahr

2023 einen realen Rückgang (inflationsbereinigt) um 4,4% im Jahresvergleich. Nominal

ergab sich ein Anstieg um 3,3% (102,3 Mrd. EUR).

• Laut Statistischem Bundesamt fiel das Haushaltsdefizit in Deutschland 2023 um 4,7 Mrd.

EUR höher aus, als zunächst erwartet wurde (jetzt 87,4 Mrd. EUR, 2,1% des BIP).

Kritische Stimmen aus der Ökonomie werden weiter aus Berlin ferngehalten. Die politische

Echokammer erlaubt keinen sachlichen Diskurs, sondern pflegt (seit Merkel) ideologisch

geprägte Einseitigkeit. Pluralismus (Meinungsvielfalt) und ein fairer Diskurs (menschlicher

Umgang) sind für eine Demokratie unverzichtbar (Adresse an Medien), um beste Lösungen für

dieses Land und die hier lebenden Menschen zu gewährleisten. Lässt man Pluralismus im

erforderlichen Maße zu? Hat dieses Land nicht genug Schäden durch Ideologien erlitten?

Deutschland: Das deutsche BIP verzeichnete im 4. Quartal 2023 erwartungsgemäß eine

Kontraktion im Quartalsvergleich um 0,3% (Vorquartal -0,1%) und im Jahresvergleich (saisonal

bereinigt) um 0,2%.

Kommentar: Was für ein Allstellungsmerkmal (Ironie!). Das Statistische Bundesamt stellte fest,

dass sich die deutsche Wirtschaft wegen sinkender Investitionen (Kapitalstock!) am Rande

einer Rezession bewegt. Im Schlussquartal bremsten die rückläufigen Investitionen die

Konjunktur, während der Konsum leicht zulegte, so die Statistikamtspräsidentin Brand.

In diesem Report verweisen wir immer wieder auf den Aspekt des Kapitalstocks, der faktisch

alle Einkommen für den Staat und die privaten Haushalte generiert, direkt oder indirekt. Dieser

Kapitalstock ist von Investitionen (Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen) abhängig. Die

Entwicklung im vierten Quartal 2023 belegt, dass der Lebensnerv dieses Landes verletzt

wurde. Aktuelle Daten implizieren, dass sich diese Verletzung fortsetzt und verstärkt.

Der Lageindex und der Erwartungsindex nähern sich auf sehr schwachem Niveau weiter an.

Der leichte Anstieg des Geschäftsklimaindex ist positiv, das Niveau bleibt prekär (negative

Divergenz zu USA, UK, Japan, Russland und China!).

(inkl. Graphiken und Tabellen!)

SENTIX

Ergebnisse des sentix Global Investor Survey (08-2024) – Rational in einem irrationalen Markt?

Die Aktienmärkte überraschen weiter mit steigenden Preisen. Die vor einem Monat bereits angezeigte Risikolage hat den Kursaufschwung allenfalls abgebremst, aber noch zu keiner Korrektur geführt. Dadurch hat sich die Risikolage bei Aktien nicht entspannt, sondern in der Breite eher verstärkt. Auf der strategischen Ebene herrscht zunehmende Irritation. Klarer ist für die Anleger das Bild bei Edelmetallen.

Weitere Ergebnisse

Bonds: Attraktivität lässt nach

Silber: Grundvertrauen steigt weiter

sentix Anlegerpositionierung in Aktien und Renten

ISRAEL, UKRAINE

ROUNDUP: Netanjahu sieht Sieg in Gaza ‚in Reichweite‘ – Die Nacht im Überblick

TEL AVIV/GAZA/WASHINGTON (dpa-AFX) – Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu treibt trotz laufender Verhandlungen über eine Waffenruhe die Vorbereitung für eine Bodenoffensive in Rafah im Süden des Gazastreifens voran und sieht den „totalen Sieg“ in Reichweite. „Nicht in Monaten, sondern in Wochen, sobald wir mit der Operation beginnen“, sagte Netanjahu in der am Sonntag (Ortszeit) ausgestrahlten TV-Sendung „Face the Nation“ des US-Fernsehsenders CBS. Das israelische Militär legte am Abend dem Kriegskabinett seinen Plan zur Evakuierung der Zivilbevölkerung und seinen Einsatzplan gegen die islamistische Hamas vor, wie Netanjahus Büro in der Nacht zum Montag bekannt gab.

Zudem sei ein Plan für die Bereitstellung humanitärer Hilfe gebilligt worden. Einzelheiten wurden in der Mitteilung nicht genannt. Derweil wird eine israelische Delegation Medienberichten zufolge am Montag zu weiteren Gesprächen auf Beamtenebene der vermittelnden Länder Katar, Ägypten und USA über eine Waffenruhe nach Katar aufbrechen. Laut Medien gab es zuletzt Fortschritte.

Netanjahu: Waffenruhe würde Rafah-Offensive nur verzögern

International wird die geplante Offensive auf die Stadt Rafah an der Grenze zu Ägypten heftig kritisiert. Selbst Verbündete wie die USA rufen Israel zur Zurückhaltung auf, weil in der südlichsten Stadt des abgeriegelten Küstengebiets inzwischen 1,5 Millionen Palästinenser – mehr als die Hälfte der Bevölkerung Gazas – auf engstem Raum und unter elenden Umständen Schutz vor den Kämpfen in den anderen Teilen des Küstenstreifens suchen.

Netanjahu ist jedoch zur Offensive in Rafah entschlossen, um die vier verbliebenen Hamas-Bataillone zu zerschlagen. Sollte es zunächst zu einer Feuerpause kommen, „wird es sich etwas verzögern“, sagte der Rechtspolitiker in der CBS-Fernsehsendung. „Aber es wird geschehen. Wenn wir keine Einigung haben, werden wir es trotzdem tun. Es muss getan werden. Denn der totale Sieg ist unser Ziel, und der totale Sieg ist in Reichweite“, sagte er.  …

Was am Montag wichtig wird

Die indirekten Verhandlungen über eine Waffenruhe im Gaza-Krieg sollen in der katarischen Hauptstadt Doha auf Beamtenebene weitergeführt werden. Israel schickt Medienberichten zufolge eine Delegation mit begrenztem Mandat in das Emirat, um Fragen eher technischer Art, zum Beispiel zur Menge der Hilfsgüter für den Gazastreifen, zu besprechen./ln/DP/zb

ROUNDUP: Selenskyj deutet neue Kriegspläne an – Die Nacht im Überblick

KIEW (dpa-AFX) – Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat zum ersten Mal seit Kriegsbeginn vor über zwei Jahren offizielle Verlustzahlen genannt. Demnach seien bisher 31 000 ukrainische Soldaten gefallen, berichtete Selenskyj am Sonntag bei einer Pressekonferenz in Kiew. Die Verluste des russischen Militärs bezifferte er dagegen mit 180 000 Toten und 500 000 Verwundeten. Bisher hatte keine der beiden Kriegsparteien offiziell eigene Opferzahlen genannt. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

In einer ersten Reaktion aus Moskau wurde Selenskyj der Lüge bezichtigt. „Dass Selenskyj lügt, erkennt jeder Ukrainer, allen voran die Soldaten“, zitierte die Staatsagentur Tass die Sprecherin des russischen Außenamtes, Maria Sacharowa. Die ukrainischen Behörden blieben bemüht, die wahren Verlustzahlen zu verbergen. Zu den genannten russischen Verlusten äußerte sie sich nicht.

In einem kurzen militärischen Rückblick auf das Vorjahr gestand Selenskyj den Misserfolg der Herbstoffensive seiner Streitkräfte ein. Diese war unter anderem an einer tief gestaffelten russischen Abwehr und tiefen Minenfeldern zerschellt. „Und ich kann es offen zugeben – unsere Gegenoffensive lag schon auf dem Tisch im Kreml, noch ehe sie begann“, deutete er Verrat an. Daher wolle er auch nicht weiter über die nächsten Pläne reden. „Je weniger Leute davon wissen, desto schneller kommen der Erfolg und unerwartete Ergebnisse für die Russen.“

Allerdings hänge bei der Planung vieles von den Partnern der Ukraine ab. „Aber die Hauptsache ist, überhaupt einen Plan zu haben, sagte Selenskyj. „Und den Plan gibt es.“

Russen erschießen angeblich sieben ukrainische Kriegsgefangene …

Neue russische Raketen- und Drohnenangriffe …

Macron organisiert Ukraine-Konferenz – Militärhilfe im Fokus …

Das wird am Montag wichtig

Während in Paris die Unterstützerkonferenz für die Ukraine tagt, sind entlang der Fronten in dem von Russland angegriffenen Land neue schwere Kämpfe zu erwarten./cha/DP/zb

MELDUNGEN

09:31ÜBERBLICK am Morgen/Konjunktur, Zentralbanken, PolitikDow Jones News
08:10Ifo-Exporterwartungen steigen im FebruarDow Jones News
07:34PRESSESPIEGEL/Zinsen, Konjunktur, Kapitalmärkte, BranchenDow Jones News
07:31KONJUNKTUR IM BLICK/Sinkflug der Euroraum-Inflation geht weiterDow Jones News

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Europäische Linke nominiert wenigbekannten Österreicher zum Spitzenkandidaten für die Europawahl

Baier, der derzeitige Parteivorsitzende mit wenig Europaerfahrung, war der einzige Kandidat. Er wurde in einer geschlossenen Versammlung in Slowenien gewählt.

Die Europäische Linke hat am Samstag den Österreicher Walter Baier zu ihrem Spitzenkandidaten für die Leitung der Europäischen Kommission nach den Wahlen im Juni gewählt.

Der 70-jährige Baier, der aus der Österreichischen Kommunistischen Partei stammt, ist seit Dezember 2022 Parteivorsitzender und hatte bis dahin wenig Erfahrung in der europäischen Politik.

Auf der Fraktionssitzung in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana verteidigte er seine fehlende europäische Erfahrung und sagte Reportern, dass Europa nicht nur Brüssel sei.

„Europa besteht aus 27 Nationen, Hunderten von Städten und Millionen von Bürgern. Die Europäische Linke will die Stimme dieser Menschen sein, deren Stimmen in Brüssel selten gehört werden“, sagte er.

Obwohl Baier Spitzenkandidat ist, steht er auf keiner nationalen Liste und wird daher nicht ins Europäische Parlament einziehen.

Die Parteiversammlung, die im Gegensatz zu den anderen Fraktionen hinter verschlossenen Türen stattfand, diente auch der Verabschiedung eines Wahlprogramms.

Die Linke hat fünf Prioritäten für den bevorstehenden Wahlkampf festgelegt: Bürgerrechte, Frieden und Demokratie, Lebenshaltungskosten, Klimakrise sowie öffentliche Dienstleistungen und soziale Rechte.

Ein schwieriger Weg zur Europäischen Kommission

Das Spitzenkandidatenverfahren ermöglicht es den europäischen Parteien, ihren Spitzenkandidaten für die Europawahl zu bestimmen. Erhält die Partei die meisten Sitze, wird der Kandidat zum Spitzenkandidaten für das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission.

Die amtierende Präsidentin Ursula von der Leyen ist derzeit die Favoritin, nachdem sie Anfang der Woche angekündigt hat, dass sie für eine zweite Amtszeit kandidieren möchte. Es wird erwartet, dass sie auf dem Parteitag der Europäischen Volkspartei (EVP) Anfang März offiziell als Spitzenkandidatin der Mitte-Rechts-Fraktion bestätigt wird. Die EVP ist die größte Fraktion im Plenarsaal und wird dies voraussichtlich auch nach der Wahl bleiben.

Die Grünen haben bereits Terry Reintke und Bas Eickhout zu ihren Spitzenkandidaten für die Wahlen bestimmt, während die Sozialdemokraten auf ihrer Sitzung nächste Woche voraussichtlich Nicolas Schmit, den derzeitigen EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, zum Spitzenkandidaten ernennen werden.

Die Chancen der Linken, den Vorsitz der Europäischen Kommission zu gewinnen, sind sehr gering.

Die Partei ist vor den Wahlen sehr gespalten, und obwohl die aktuellen Prognosen von EU Elects, einem Meinungsforschungsinstitut, vorhersagen, dass die Fraktion die Zahl ihrer Sitze von 37 auf 42 erhöhen könnte, könnte sie bei einer Umgruppierung der Parteien nach der Volksabstimmung im Juni tatsächlich einen Verlust von Abgeordneten erleiden.

Die neu gegründete spanische Partei Sumar beispielsweise hatte sich zuvor der mit der Europäischen Linken verbundenen Partei Podemos angeschlossen, deutete aber kürzlich an, dass sie sich stattdessen den Grünen anschließen könnte.

UNTERNEHMEN

Auszug aus dem „TAGESBLICK“ vom 24. September 2023

Lavrov: Russia will not consider ceasefire

Russian Foreign Minister Sergey Lavrov said that, while Russia is prepared to engage in negotiations on Ukraine, it will not consider any ceasefire proposals because it „has already been deceived once.“

Lavrov said Russia supports Ukraine’s territorial integrity „under the conditions“ of its Declaration of Independence adopted in 1991, under which it said it „would be a non-aligned country and would not enter into any military alliances.“

However, he said Ukraine’s territorial integrity was „destroyed“ by the regime that came into power after the Maidan revolution in 2014, „whose leaders declared war against their own people and began to bomb their own people.“

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COMMENT zur Lawrow-Meldung, Neutralitätsvereinbarungen seien nicht eingehalten worden

Der Oberste Sowjet der Ukrainischen SSR hat 1990 einseitig gemäß WIKIPEDIA erklärt:

Am 16. Juli 1990 verabschiedete der Oberste Sowjet der Ukrainischen SSR die Erklärung ‚über die staatliche Souveränität der Ukraine‘, die „die Vorherrschaft, Unabhängigkeit, Vollständigkeit und Unteilbarkeit der Macht der Republik auf ihrem Territorium“ und die Absicht verkündete, in Zukunft ein dauerhaft neutraler Staat zu werden, der nicht an Militärblöcken teilnehmen wird und sich verpflichtet, keine Atomwaffen einzusetzen, zu produzieren oder zu erwerben.

Am 24. August 1991, nach der Proklamation der Unabhängigkeit der Ukraine, wurde das Verteidigungsministerium der Ukraine geschaffen und ihm alle militärischen Formationen der Streitkräfte der UdSSR auf dem Territorium der ehemaligen Ukrainischen SSR unterstellt.

Interessant ist, dass laut WIKIPEDIA am 19. November 1990 [also Monate nach der Erklärung des Obersten Sowjet der Ukraine und erst dann] … Leonid Krawtschuk und Boris Jelzin einen Freundschaftsvertrag zwischen der Ukrainischen SSR und der RSFSR und damit die gegenseitige Anerkennung der staatlichen Souveränität der Ukrainischen und der Russischen Republik [unterzeichneten].

Ferner heißt es im Russisch-Ukrainischen Freundschaftsvertrag vom 31. Mai 1997:

„Durch den Vertrag wurde ein Beitritt eines Vertragspartners in ein ‚gegen den Vertragspartner gerichtetes Bündnis‘ ausgeschlossen.

M.E. entspricht dies inhaltlich der einseitigen Erklärung des Obersten Sowjet der Ukraine aus dem Juli 1990.

Möglicherweise ist dieser Freundschaftsvertrag eine Reaktion auf die NATO-Russland-Grundakte, die kurz zuvor, am 27. April 1997, unterzeichnet wurde, die die Stellung der Ukraine im Sinne Russlands klären und festschreiben sollte. Zur Grundakte WIKIPEDIA:

„Die Grundakte stellte den Versuch dar, einen Ausgleich zwischen den sicherheitspolitischen Interessen der NATO-Partner einerseits und Russlands andererseits herzustellen. Im Wesentlichen sollte dies durch vertrauensbildende Maßnahmen, vertiefte Zusammenarbeit im Rahmen der OSZE und Abrüstung erreicht werden, zugleich wollte aber die NATO nicht gänzlich auf ihr Abschreckungspotenzial verzichten.

Im Hinblick auf Russland wurde von westlicher Seite daran festgehalten, dass eine Fortsetzung der Bemühungen Russlands um Demokratisierung, gegründet auf Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung von Freiheitsrechten, erwartet würde.

Im Gegenzug wurden Russland gegenüber der NATO Privilegien eingeräumt, wie sie kein anderer Nicht-Mitgliedstaat vorweisen konnte [z.B. Kontrolle von Abrüstung u.a.m.]. Beide Seiten bekannten sich zum Verzicht auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt, zu gegenseitigen Konsultationen und friedlicher Beilegung von Konflikten.“

Hat Russland seinerseits die Bemühungen die Erwartungen der NATO erfüllt?

Doch zurück:

Die damals neuen Entwicklungen um 1997 in den internationalen Beziehungen der Ukraine inklusive Russlands gaben Anlass zur Studie „Die Aussen- und Sicherheitspolitik der Ukraine seit 1990/91 – Herausforderungen, Leistungen und Perspektiven“ aus dem Jahre 1998 von Derek Müller. Sie erschien in der Reihe „Zürcher Beiträge zur Sicherheitspolitik und Konfliktforschung“ der „Forschungsstelle für Sicherheitspolitik und Konfliktanalyse“ (heute: Center for Security Studies) an der Eidgenössischen Technische Hochschule. Dort heißt es im ‚Summary‘ übersetzt:

Angesichts der „russischen Frage“ hat der [offzielle] unabhängige Einheitsstaat Ukraine das Prinzip der Blockfreiheit und Neutralität übernommen und kodifiziert. Viele Regierungsvertreter und außenpolitische Entscheidungsträger – allen voran der Präsident – neigen jedoch dazu, die NATO-Mitgliedschaft als ein günstiges mittel- oder langfristiges sicherheitspolitisches Ziel zu betrachten.

Trotz einer großen russischsprachigen Bevölkerung und einer weit verbreiteten Sowjet-„Nostalgie“ scheint diese westlich orientierte sicherheitspolitische Ausrichtung derzeit auf einen Konsens zu stoßen, wie die Tatsache zeigt, dass weder die Verfassung der Ukraine (1996) noch das Konzept der nationalen Sicherheit von 1997 die Frage der Neutralität aufwerfen.“

Status 1998 ist offenbar: Blockfreiheit und Neutralität hat die Ukraine bereits als für sie verbindlich erklärt; diese Aussage ist aber nur eine indirekte, Vertragstexte habe ich dazu noch keine gefunden. Angesichts der „russischen Frage“, wie sie sich in jüngerer Vergangenheit stellt, hat die Ukraine seine Auffassung revidiert! Das erscheint aus russischer Sicht als Vertragsbruch bzw. widerspricht früheren Erklärungen.

Bemerkenswert ist in der Zusammenfassung des zitierten „Zürcher Beitrags“ aus der in deutscher Sprache gefassten Zusammenfassung unter anderem dieser Passus:

„Wenn es den westlichen Staaten aus verschiedenen Gründen auch schwerfällt, eine kohärente und koordinierte Politik für das neue Osteuropa und gegenüber der Ukraine zu formulieren, so sollten sie zumindest den positiven Einfluss der ukrainisch-polnischen Beziehungen für die regionale Stabilität erkennen und unterstützen [Die EU hatte mit Polen 1997 gerade die Beitrittsverhandlungen im Rahmen der sog. (Ersten) Osterweiterung der EU aufgenommen; darüber war die offizielle Ukraine nicht erbaut]. Eine Vertiefung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den beiden ostmitteleuropäischen Staaten trägt zur „Europäisierung“ der Ukraine bei und wirkt der ukrainisch-russischen „Integration von unten“ entgegen. Der Export von Stabilität – und Wohlstand – aus dem EU-Raum via Polen dient den Interessen aller beteiligten Staaten (soft security). Die Westintegration der Ukraine mittels Anbindung an Polen erhöht das Gewicht der Ukraine gegenüber Russland und ist geeignet, den negativen Folgen eines möglichen „imperialen Rückfalls“ Russlands entgegenzuwirken. Mit anderen Worten: Eine westeuropäische Politik, die auf eine Abgrenzung gegenüber der Ukraine zielt, erscheint im Kontext des geplanten polnischen Nato-Beitritts als riskant.“. …

Zur „Integration von unten“ heißt es ferner:

Während eine enge politische und sicherheitspolitische Verbindung der Ukraine und Russlands zur Zeit kein Thema ist, erweist sich die „Integration von unten“ als sehr dynamisch. Ein aktuelles Beispiel dieses Phänomens stellt ein Mechanismus zur Tilgung der ukrainischen Schulden gegenüber dem russischen Energiemonopolisten Gasprom dar. Nach einem im November 1998 ausgehandelten Barter-Abkommen zwischen Kiew und Gasprom begleicht die Ukraine Schulden im Umfang von einer Milliarde US-Dollar in Naturalien, womit die ukrainischen Lebensmittelproduzenten ihren Weg zurück auf den russischen Markt finden.5 Gasprom wird im Gegenzug von Steuerschulden befreit.

Und vor allem heißt es:

Die Studie kommt zum Schluss, dass die weitere Verzögerung der sozialen und politischen Entwicklung und vor allem der wirtschaftlichen Reform die Dynamik der ukrainisch-russischen „Integration von unten“ beschleunigt und die angestrebte Integration des Landes mit westeuropäischen Strukturen behindert. Dem „Westen“ wird im Interesse der regionalen Stabilität unter anderem eine Politik empfohlen, die zur Vertiefung der ukrainisch-polnischen Beziehungen führt.

Dem ist in den Folgejahren der Westen, allen voran die USA und – wohl auch in deren Gefolge – die EU nachgekommen. Dies seitens der USA speziell um 2010. China bewegte sich in gleicher Weise, um in der Ukraine ebenfalls den Fuß in der Tür zu haben. Bewerkstelligt wurde dies durch entsprechende Investitionen in Land und Unternehmen „von hinten herum“ (Strohmänner etc.); von hinten herum, da ausländische Investitionen und Land- sowie Unternehmenserwerb in der Ukraine gesetzlich sehr restriktiv gehandhabt wurden. Erst in der Regierungszeit Selenskyjs und unter seiner Ägide wurden diese Restriktionen gelockert.

Zurück nochmals zur Neutralitäts- und Nicht-Beitrittserklärung der Ukraine, die Lawrow offenbar meint:

Ob die Inhalte der Erklärung des Obersten Sowjet der Ukraine und der späteren Auslassungen dazu in Form ukrainisch-russischer Freundschaftsverträge Gegenstand in irgendeinem weiteren Bündnis oder Abkommen zwischen Russland und der Ukraine sind, ist mir derzeit nicht gelungen aufzuzeigen oder zu widerlegen.

Weiteres interessant sind folgende Details, die die Komplexheit des Problems „Krim“ gemäß WIKIPEDIA zeigen:

Am 21. Mai 1992 hat der Kongress der Volksdeputierten der RSFSR [der bis in den Herbst 1993 [!] bestand, die UdSSR wurde mit dem 26.12.1991 in Anlehnung an die Belowescher Vereinbarung vom 8.12.1991 aufgelöst] die Abtretung der Krim an die Ukraine im Jahr 1954 für nicht rechtmäßig erklärt.

Am 30. Juni 1992 beschloss das ukrainische Parlament mit 246 gegen 4 Stimmen für ein Gesetz, das der Krim weitestgehende Autonomie einräumt. Danach ist die Halbinsel Krim ein autonomer Bestandteil der Ukraine und die Bereiche Außenpolitik, Verteidigung und Währungspolitik verbleiben bei der Ukraine. Die autonome Krim erhält das Recht, die Außenwirtschaftsbeziehungen, die Sozial- und Kulturpolitik eigenständig zu gestalten und kann allein über die Bodenschätze (bspw. Erdgas) verfügen. Ein Anschluss der Krim an ein anderes Land bedarf der Zustimmung des ukrainischen Parlaments und des Parlaments der Krim. Eine Stationierung von Streitkräften bedarf der Zustimmung des Parlaments der Krim.

Am 21. September 1994 wurde die bisherige Republik Krim zur Autonomen Republik Krim. Es folgte eine verbale Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und Russland. Die separatistischen Kräfte zogen schließlich ein Referendum zurück, das auf einen Anschluss der Krim an Russland gezielt hatte. Als Kompromiss wurden die Rechte der Krim als Autonome Republik der Ukraine ausgeweitet.

Nach weiteren Machtkämpfen in den folgenden Jahren erhielt die Krim schließlich in der Verfassung von 1995, die 1998 nochmals überarbeitet wurde, erneut den Status einer Autonomen Republik als „integraler Bestandteil der Ukraine“, mit eigener Regionalregierung, eigenem Parlament, aber ohne eigenen Staatspräsidenten.

Im Jahr 2014 fand jedoch gegen den Willen der ukrainischen Regierung unter einer Russischen Okkupation ein Referendum über den Status der Krim statt, bei dem angeblich 97 % der Wähler für einen Beitritt zu Russland stimmten. Die anschließende Annexion der Krim als russisches Föderationsobjekt wird von der Ukraine und der absoluten Mehrheit der UNO-Staaten nicht anerkannt.

Nach 1994 und bis 2014 waren einige der ehemaligen Sowjetrepubliken der EU- und zu dem der NATO beigetreten.

Das umstrittene Referendum 2014 könnte als Versuch Russlands aufgefasst werden, den unglückliche Verfassungspassus „autonome Republik und zugleich integraler Bestandteil der Ukraine“ – eine konfliktheischende Situation – in der Art des Durchschlagens eines gordischen Knotens zu lösen, ohne zum letzten Mittel der Politik, dem Krieg, zu greifen, indem man diese sog. autonome Republik referendumsgemäß und somit „berechtigterweise“ in das Staatsgebiet Russlands überführt. Diese Strategie Russlands ist eben nicht aufgegangen.

„Am 7. Februar 2019 verankerte das Parlament mit einer Mehrheit von 334 der 450 Abgeordneten in der Verfassung eine „strategische Orientierung der Ukraine zum vollständigen Beitritt zur EU und der NATO, heißt es auf WIKIPEDIA.

Dieser Verfassungspassus treibt den von Lawrow monierten Verstoß auf die Spitze und konterkariert die einstige Erklärung des Obersten Sowjets der Ukrainischen SSR aus 1990 sowie spätere. Sie setzt den unbeirrt vehement nationalistischen Bestrebungen der (West-)Ukraine die Krone auf und unterminiert zuvor gültige internationale Erklärungen und Abmachungen. Aus der Sicht Russlands erscheint die Gültigkeit späterer völkerrechtlicher Verträge – speziell jene mit Bezug auf die Ukraine – hinterfragenswert.

Selenskyj wurde April 2019 in zweitem Wahlgang zum ukrainischen Präsidenten gewählt, also nach der Verfassungsänderung. 

Geopolitisch ist die Krim ein entscheidendes Scharnierstück zwischen dem Westen und dem russischen Osten: er erlaubt Russland den „souveränen“ handelsmäßigen und militärischen Zugang zum Schwarzen Meer; darum ist es auch zuletzt in Russisch-Osmanischen Kriegen gegangen, zuletzt im Russisch-Osmanischen Krieg von 1877-1778, der Russland von der Südküste Bulgarien Zugang zum Mittelmeer ermöglicht hätte. Auch hier ging es um Sicherheitsinteressen Russlands mit Blick auf u.a. k.u.k. Österreich-Ungarn und seinem Militärhafen in Triest. Letztlich lag es auch im sicherheitspolitischen Interesse Russlands gegen das sich auf dem Balkan ausbreitende k.u.k Österreich-Ungarn (Bosnien-Annexion 1906), das Russland die panslawische Bewegung schüren ließ in der Hoffnung, den Balkan für sich wenigsten durch politische Einflussnahme, wenn schon nicht in Form einer de facto Landnahme auf die russische Seite zu ziehen. Diese Bestrebungen Russlands sind m.E. ein nicht unwichtiger Faktor in der Entstehung des Ersten Weltkriegs.

Sicherheitspolitisch ist das riesige Land keineswegs so unverletzlich, wie es zu sein scheint und wenigstens in der Vergangenheit als solches medial dargestellt wurde. Das liegt an zweierlei: der im Verhältnis zum Staatsgebiet geringen Bevölkerung und der überaus langen Staatsgrenzen zu Meeren hin und zu Lande. Daher die enorme Aufrüstung und u.a. Gründen der kalte Krieg. Wer das nicht versteht, versteht Geopolitik nicht. Eine Möglichkeit, dieser Bedrohungslage zu entkommen, ist die Verkleinerung Russlands – eine derzeit illusorisch wirkende Vorstellung.

Die Angst des Zerfalls des Riesenreiches Russland – ähnlich wie sie in China herrscht (Uiguren, Opposition) – fördert keinesfalls die Ausbildung demokratischer Strukturen, sondern im Gegenteil die einer repressiven Politik mittels Geheimdienst, Polizei und Militär – ebenfalls ganz ähnlich wie in China. Demokratische Regierungsformen begünstigen in gewisser Weise Abspaltungsbestrebungen, wie das Beispiel Spanien/Katalonien zeigt: wie schnell aber zeigte die spanische Demokratie ihre Krallen gegenüber dem Abspenstigen und fand in Carles Puigdemont den geeigneten Sündenbock, auf den sie einschlagen kann – formalrechtlich zu Recht. Das Gewaltmonopol hat nun einmal der Staat, ob rechtlich gedeckt oder nicht.

Momente aus der ukrainischen Geschichte

Es folgen Momente aus der ukrainisch-russischen Geschichte bis aktuell:

Unabhängigkeitserklärung der Ukraine 1991 – Referendum über die Unabhängigkeit der Ukraine

WIKIPEDIA: Die Unabhängigkeitserklärung der Ukraine erfolgte am 24. August 1991, dem Unabhängigkeitstag der Ukraine. Ein Referendum über die Unabhängigkeit bestätigte am 1. Dezember 1991 die Erklärung mit einer Mehrheit von 90,3 Prozent der abgegebenen Stimmen. Am folgenden Tag erkannten Russland, Kanada und Polen die Unabhängigkeit der Ukraine an. Seit 1992 wird der 24. August als Nationalfeiertag begangen.

WIKIPEDIA: Referendum über die Unabhängigkeit der Ukraine

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Aus der Geschichte der Ukraine:

The Transfer of the Crimea to the Ukraine 

Bulletin of the Institute for the Study of the History and Culture of the USSR (Munich), vol. 1, no. 1 (April 1954): 30-33. Unsigned article.

Dieses Institut war An American-sponsored scientific research institute founded in Munich in July 1950 by a group of émigré scholars from the Soviet Union. Es wurde 1972 aufgelöst.

Zu diesem Institut hier. Publikationen dieses Instituts hier.

Der Artikel dort, u.a. mit Fokus auf Krimtartaren und die Türkei:

By a decree issued February 19, 1954 of the Presidium of the Supreme Soviet of the USSR, the Crimea was transferred from the RSFSR to the Ukrainian SSR. This decree was passed amid solemn circumstances. There were many speeches, which as far as one could tell had one purpose: to explain to the peoples of the USSR the reasons which made this act essential. According to the speakers the chief reasons were these: 1) The Crimea’s economy is closely linked with the economy of the Ukrainian Republic; 2) The Crimea forms, as it were, a natural extension of the southern Ukrainian steppes. Thus the reasons were given and the transfer accomplished. It was all carried out quietly and calmly, without any great publicity in the newspapers. One might even think that this act actually had only the significance assigned to it by certain commentators in the West: „It makes absolutely no difference to the owner in which of his many pockets he is accustomed to carry his valuables.“

The Soviet government, not having widely publicized this matter in the press, betrays more by its silence than it could have expressed through „solemn meetings“ and all the publicity which the USSR creates even for less important events.

The point is that it is disadvantageous and even dangerous for the Soviet government to publicize this matter, precisely because inordinate attention to this subject might cause the people to search for the actual reasons which impelled the government to take this step. Actually, did the Crimean economy just now become closely linked with the economy of the Ukraine, or the Crimea just now become a natural extension of the southern Ukrainian steppes? These factors existed far earlier—have always existed. Why then was the Crimea transferred to the Ukraine only now, in 1954? One might think that considerations of military administration could have required this transfer: an attempt to end the inconvenience resulting from the fact that the Tavriya Military District was situated on the territory of two republics, the Crimea (RSFSR) and the Ukrainian SSR, and that this compelled the military organs to be administratively responsible to the governments of two different republics. But this reason is unfounded precisely for the reason that this situation had existed for ten years, and the military authorities had gotten along with it.

There are other more important reasons, ones which made this transfer essential. As is known, the Crimean Autonomous Republic was liquidated on February 23, 1944 (the decree, incidentally, was not actually promulgated until June 26, 1946), and its native population, the Tatars, deported from the Crimea to Central Asia and the northern districts of the USSR. A great many Russians and Ukrainians were deported along with the Tatars. In general, they deported everyone who had shown the slightest trace, not just of collaboration, but even of tolerance toward the German occupation. It is known that during the war a partisan movement developed on a large scale in the Crimea. Consequently the Soviets regarded as loyal to Soviet authority only those who had been connected with this partisan movement to some degree. Neutrality was regarded as collaboration with the Germans.

Thus, when we speak of the deportations from the Crimea, we cannot in any case regard them as deportations of Tatars alone. The process of deportation embraced a huge proportion of the entire Crimean population. At the present time it is hard to say exactly how many people remained, but in any case there were not many. The Soviet government sent streams of new settlers into the „liberated“ Crimean lands. It transported whole villages from the central provinces of the RSFSR, together with their individual and kolkhoz property. Likewise, thousands of persons evacuated during the war, but now homeless, received a new area in which to settle—the Crimea. As a result, the Crimea was re- populated, but since it had lost its native Tatar population it no longer had a lawful basis for being a republic. In this manner the RSFSR lost the Crimean Autonomous Republic, but acquired the Crimean Province.

Why, after the decree of 1946 liquidating the Crimean Autonomous Republic, was there not a second decree attaching the newly-formed Crimean Province to the Ukrainian SSR? This can be explained only by the fact that the reasons which, increasing in importance, forced the USSR government only as late as 1954 to transfer the Crimea to the Ukrainian SSR, did not appear so obvious at that time.

What are these reasons? We can understand, for example, why the Crimea as an Autonomous Republic, should belong administratively to the RSFSR rather than the Ukrainian SSR. The Crimean Tatars, being Moslems, were always attracted by the Turkish people, to whom they were kindred. The history of the Crimea during the period of Soviet domination is the history of the struggle of the Crimean Tatar against Bolshevism and for the support of the Moslem world. When tragedy had overtaken this nation, the result of this struggle was an open battle of the Crimean Tatars against the Bolsheviks. The Bolsheviks saw and realized this. Consequently the Crimea was put in a special category subjecting it to particular observation and control. Naturally, this control could not be entrusted to the Ukrainian SSR, for the Ukrainian Republic, itself shaken by civil war in which national movements played a not inconsiderable role, could not enjoy Moscow’s confidence, the more so because even in the Communist Party of the Ukraine in the 1920’s, tendencies toward economic independence had begun to make themselves felt quite strongly. Things got to the point where the Central Committee of the KP(b)U was considering the question of entering the Communist Party of the Ukraine into the Comintern as a separate Ukrainian section. The urge toward Ukrainian independence was so strong that the Kremlin had to wage a real battle with it. It was just at this time, and, of course, with the blessing of the local Communist authorities, that a literary movement arose in the Ukraine headed by the Communist writer Mykola Khvylovy with his slogan, „Away from Moscow.“

Thus, the Party leaders in the Kremlin not only could not entrust the Ukrainian Communists with the „surveillance“ of the Crimea, but had to throw their best Party cadres into the struggle with Ukrainian independence aspirations. To wage this struggle they sent Lazar Kaganovich to be secretary of the Central Committee of the KP(b)U. He was succeeded by Postyshev.

Today [1954] the population of the Crimea is a unique conglomeration which in no way strives for unity with the Moslem world nor regards Turkey as a path of escape from the Bolsheviks. From this point of view the transfer of the Crimea to the Ukraine is fully justified. After the deportation of the Tatars, the Crimea ceased to be a vulnerable spot in the Soviet Empire. Here, it would seem, lies the solution to the action of February 19, 1954. The point is that, in order to remove the danger of the Crimea’s being separated from the USSR, it was possible to deport the Tatars, but the Kremlin could not possibly deport from the Ukraine all the Ukrainians who might have the same aspirations. By the time the Crimea was joined to the Ukraine, these aspirations had not diminished, but on the contrary were making themselves felt even more strongly. The campaign for holding celebrations of the tricentenniel of the unification of Russia and the Ukraine, the oft-repeated appeals to the Party to combat bourgeois nationalism, and the winning of Ukrainian writers, artists, scientists, etc., by awarding them Stalin prizes are measures designed to combat Ukrainian separatist sentiment.

In the light of these facts, the transfer of the Crimea to the Ukraine takes on the significance of a carefully considered political step. The transfer of the Crimea to the Ukraine is in the interpretation of the Communist Party a gift of the „elder brother“ to the „younger brother“ on the occasion of the tricentennial of the unification of Russia and the Ukraine, as if to demonstrate the solicitude of the central government and its desire to meet the Ukrainian people halfway, at the same time reducing its gravitation toward independence from the Kremlin.

This transfer reveals the long term policy. The Ukraine, as the largest republic outside of the RSFSR, is quite understandably the republic with local sentiments which all the other republics listen to. It is the center in which, as it were, all the republics are united in their national aspirations. The Central Committee of the KPSU had in mind, as well, the idea of weakening the significance of the Ukraine as such a center when it ordered the Supreme Soviet to issue this decree. In the first place, the Ukraine, having received the Crimea, an area which in fact belongs to the Crimean Tatars, at the same time makes itself an empire to a certain degree, for now it possesses lands without justification based on ethnographic principles. Therefore, it is the Ukraine and not the RSFSR which turns up as a party to the dispute over the lands of the Crimean Tatars. This places all the republics of Central Asia—the whole Moslem world of the USSR—in opposition to the Ukraine.

Thus, nearly twenty-five million members of the USSR’s Moslem world will no longer look on the Ukrainian SSR as their ally in the struggle against the Kremlin’s imperialism, but on the contrary will look upon it as a republic with imperialist tendencies which, by virtue of these tendencies, should become an ally of the Kremlin.

Another result is a change in the relationship between Turkey and the Ukraine. There is no doubt that from now on demands made by the USSR on Turkey will be issued not in the name of the USSR but in the name of the Ukrainian people. It is by no means a coincidence that even now a press campaign has be- gun in the Ukraine to arouse hatred against Turkey. They have begun to drag from the annals of history long forgotten facts about the struggle of the Ukrainian people with the Turks, the Turkish bondage, and the misfortunes and disasters caused by the Turks in the Ukraine. All these misfortunes and disasters, one might conclude from the Soviet press in the Ukraine, occured because at the border of the Ukraine there was the Crimea, populated by Tatars.

The tone of this propaganda campaign tries to create in the Ukrainian people the impression that the deportation of the Crimean Tatars from the Crimea was not by way of punishment for their anti-Soviet struggle during the Second World War, but an act whereby the Soviets demonstrate their solicitude for Ukrainian national interests, their friendship with and confidence in the Ukrainian people.

Thus the matter is explained, and thus the Ukrainian people are being prepared for the massive political offensive against Turkey as well as an offensive against the great support given to the Near East by the free world. These are the actual reasons hidden behind the screen of „economic links“ and „natural extension of the southern Ukrainian steppes.“ It was these reasons which determined in advance the decision of the Soviet leaders to transfer the Crimea to the Ukrainian Soviet Socialist Republic.

Zum russischen Gegenstück: Institute for Advanced Soviet and Post-Soviet Studies

On July 1, 2021, the HSE International Center for the History and Sociology of the Second World War and Its Consequences was reorganized into the HSE Institute for Advanced Soviet and Post-Soviet Studies (ISPI). The mission of the Institute is to study the history of the USSR, as well as the Soviet heritage on the territory of the entire post-Soviet space. The ISPI consists of two divisions – the Center for the History and Sociology of the Second World War and Its Consequences, and the Center for Socio-Political History.

Geschichte der Ukraine, Landeszentrale der politischen Bildung Baden-Württemberg

Wem gehört die Krim? Aus: Geschichte der Ukraine, Landeszentrale der politischen Bildung Baden-Württemberg

Die schwierige Frage nach nationaler Zugehörigkeit und Befinden der Bewohner der ehemaligen Sowjetstaaten ist kompliziert zu beantworten. Exemplarisch zeigt das die Frage nach der Zugehörigkeit der Krim.

Am 8. April 1783 erklärte der Zarenhof nach dem Sieg im russisch-türkischen Krieg, in dessen Folge die Krim von Russland annektiert worden war: „Von nun an und für alle Zeiten ist die Krim Teil des russischen Reiches.“ Katharina die Große vertrieb einen Großteil der tatarischen Bevölkerung und siedelte vor allem russische Bauern an. Die Krim entwickelte sich in dieser Zeit zum wichtigsten strategischen Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte.

Im Zuge der bolschewistischen Korenisazija erhielt die Krim zunächst den Status einer Autonomen Sowjetrepublik. Diesen verlor sie allerdings unter Stalin wieder, der die Halbinsel fast vollständig von der tatarischen Minderheit „säuberte“ und die Krim unter russische Verwaltung stellte.

Nach mehr als 170-jähriger Zugehörigkeit der Krim zu Russland vermachte der neue Parteichef Nikita Chruschtschow die Halbinsel 1954 der Ukraine. Hintergrund war das 300. Jubiläum des Vertrags von Perejaslaw – aus russischer Sicht eines der wichtigsten Zeugnisse russisch-ukrainischer Beziehungen, in dessen Rahmen die Kosaken 1654 mehrheitlich den Treueid auf den russischen Zaren abgelegt hatten. Gleichzeitig verpflichtete sich der Zar, die Ukraine zu schützen, indem er Polen-Litauen den Krieg erklärte. Nationalukrainische Historiker bewerten den Vertrag hingegen als „Betrug“ des Zaren an den Kosaken. Diese hätten die Vereinbarung als eine Art Militärkonvention verstanden, der ihre Selbständigkeit wahrte. Der Zar habe sich mit dem Akt die Ukraine einfach einverleibt und die Bewohner zu Untertanen gemacht.

Die Schenkung der Krim an die Ukraine durch Chruschtschow muss vor diesem Hintergrund wohl als Ausdruck der Sowjetführung gesehen werden, die enge Verbundenheit der Unionsrepubliken nach russischer Lesart zu betonen – als Erneuerung der „Wiedervereinigung“ der Ukraine mit Russland, die im Vertrag von Perejslaw vollzogen worden war. Politisch allerdings änderte der Wechsel der Zugehörigkeit wenig. Auch die Bevölkerung blieb mehrheitlich russisch.

Trotzdem stimmten auch auf der Krim eine knappe Mehrheit der Bewohner im Rahmen des Referendums vom 1. Dezember 1991 für eine Loslösung von der Sowjetunion. Auch auf der Halbinsel dominierte aber eher die antizentralistische Stimmung, von der die Unionsrepubliken nach dem Zerfall der Sowjetunion erfasst waren, als dass das Votum Ausdruck eines selbstbewussten nationalen Bewusstseins gewesen wäre. Dennoch erkannte auch Russland die neuen Grenzen der ehemaligen Unionsrepubliken an.

Neue Verfassung, Budapester Memorandum, Verhältnis zu Russland – Aus: Geschichte der Ukraine, Landeszentrale der politischen Bildung Baden-Württemberg

Die 1990er Jahre brachten für die Ukraine wichtige Entwicklungen in der Innen- und Außenpolitik mit sich. 1996 verabschiedete das Parlament für die Ukraine als letzte ehemalige Sowjetrepublik eine neue Verfassung, die diejenige aus der Sowjetzeit von 1978 ersetzte. Der Präsident erhielt eine starke Stellung. Ihm gegenüber stand das ihn kontrollierende Parlament. In der Verfassung wurden Grundrechte garantiert, Ukrainisch zur Staatssprache erhoben und die Ukraine zum „Einheitsstaat“ erklärt – mit dem Bekenntnis zu einer Nation als „Volk der Ukrainer“, in dessen Rahmen alle Bewohner die ukrainische Staatsbürgerschaft erhielten. Gleichzeitig wurde den Minderheiten der Schutz ihrer Identitäten und Sprachen garantiert.

Außenpolitische Bedeutung erlangte unter anderem das „Budapester Memorandum“ vom 5. Dezember 1994. Darin verpflichteten sich die USA, Russland und Großbritannien zur Einhaltung der territorialen Unversehrtheit und politischen Unabhängigkeit Kasachstans, Belarus’ und der Ukraine. Im Gegenzug erklärten die Staaten einen Verzicht auf den Besitz nuklearer Waffen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte die Ukraine 176 strategische und mehr als 2.500 taktische Atomraketen „geerbt“. Die ukrainischen Raketen wurden bis 1996 nach Russland abtransportiert oder zerstört. Nach dem Verzicht auf Kernwaffen intensivierten sich allmählich die Beziehungen zum Westen, nachdem die Ukraine zuvor international weitestgehend isoliert gewesen war.

Auch was die Beziehungen zu Russland angeht, war die Politik um pragmatische Entscheidungen bemüht. Anlässlich des Besuchs von Boris Jelzin in Kiew am 31. März 1997 schlossen Russland und die Ukraine einen Grundlagenvertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft, der die Anerkennung staatlicher Souveränität bestätigte. Dennoch blieb vor allem für Russland das Verhältnis zum „Bruderstaat“ mit seiner Eigenständigkeit kompliziert. Reaktionäre, konservative und kommunistische (teilweise selbst liberale) Strömungen in Russland hielten an der Erzählung fest, die „russische Zivilisation“ – also Russland, die Ukraine und Belarus – müsse wiedervereint werden.

Die „multivektorale“ Außenpolitik, die die Ukraine unter Leonid Kutschma verfolgt hatte und die von pragmatischen Beziehungen zwischen der Ukraine, Russland und dem Westen geprägt war, geriet mit der „Orangenen Revolution“ zum Nachteil des Verhältnisses zu Russland und schließlich ins Wanken.

… Ab 2010 führte die Ukraine Verhandlungen sowohl mit der EU über ein Assoziierungsabkommen, das eine weitreichende Integration des Landes in den europäischen Wirtschaftsraum in Aussicht stellte, als auch mit Russland über den Beitritt der Ukraine in die von Russland ins Leben gerufene Zollunion, die das Ziel hatte, möglichst viele ehemalige Sowjetstaaten in einem neuen Wirtschaftsraum zu vereinen. Vor allem vor dem Hintergrund dieser Entscheidung entflammten ab 2013 Massenproteste, die die Situation der Ukraine in den kommenden Jahren massiv beeinflussen sollten. …

Wer waren die Demonstranten? – Aus: Geschichte der Ukraine, Landeszentrale der politischen Bildung Baden-Württemberg

Untersuchungen zu den Demonstrationen auf dem Majdan können inzwischen ein recht differenziertes Bild der Protestierenden nachzeichnen. Die Mehrheit der Demonstranten war männlich (knapp 60 %), zwischen 30 und 54 Jahren alt (rund 55 %) und stammte aus vorwiegend gebildeten und urbanen Teilen der Gesellschaft. Als Hauptgegenstand der Proteste galt bis zum November 2013 zunächst der Unmut über die Nichtunterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU. Spätestens mit der zunehmenden Gewalt von Seiten der Regierung Ende November 2013 kanalisierten sich die Proteste allerdings zunehmend hin zur Absetzung der Regierung und dem Ende der Korruption im Land.

Unbestritten ist, dass an den Protesten auch rechtsextreme Parteien und Gruppierungen beteiligt waren, die teilweise auch für die Eskalation der Gewalt von Seiten der Demonstranten verantwortlich gemacht werden konnten. Um ihre Forderungen auch auf parlamentarischem Weg voranzubringen, arbeiteten sowohl Julia Tymoschenkos Partei „Vaterland“ als auch die von Witali Klytschko gegründete „Ukrainische demokratische Allianz für Reformen“ (UDAR) mit der rechtsextremen Swoboda zusammen. Inwieweit die Partei allerdings Einfluss auf die Demonstranten besaß, ist umstritten. Bei Umfragen zu Parlamentswahlen im April 2014 erreichte die Swoboda lediglich 3,5 Prozent (2012: rund 10 %), der „Rechte Sektor“, eine weitere auf dem Majdan vertretene rechtsextreme Partei, erhielt 1,8 Prozent der Stimmen.

Chronologie des Ukraine-Konflikts – Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg

Wie hat sich der Konflikt um die Ukraine über die Jahre entwickelt? Wie kam es letztendlich zum Krieg Russlands gegen die Ukraine?

Die nachfolgende Zeitleiste gibt einen Überblick über die Geschichte der Ukraine von der Unabhängigkeit des Landes 1991 bis zum Kriegsausbruch 2022.

Im Anschluss halten täglich aktualisierte Berichte über die aktuelle Lage in der Ukraine auf dem laufenden. Daran schließt sich eine kurzgefasste Chroniksowie eine detaillierte ausführliche Chronologie über die Ereignisse der vergangenen Jahre.

David R. Marples (University of Alberta), Kommentar: 30 Jahre ukrainische Unabhängigkeit – Bundeszentrale für politische Bildung (BPB), 4.10.2021 (7 Minuten zu lesen)

Als die Ukraine vor 30 Jahren ein Referendum über ihre Unabhängigkeit abhielt, stimmten 90 % dafür. Selbst auf der Krim, und separat in der Stadt Sewastopol, stimmten 54 % bzw. 57 % mit ja. Heute, wo die Krim von Russland besetzt ist und der östliche Teil des Donbas unter der Kontrolle durch Russland unterstützter Kämpfer steht, findet sich die Ukraine in einer schwierigen Lage.

Der Präsident, Wolodymyr Selenskyj, ist deutlich weniger beliebt als zum Zeitpunkt seiner Wahl 2019 und keine der Parteien im Parlament ist beliebt. Es gibt auch eine gewisse Apathie. Wie ein Ukrainer aus Cherson in sozialen Medien prägnant kommentierte: „Die Intensität des politischen Konfliktes ist stark zurückgegangen – alle sind einfach nur müde.“

Sie sind der politischen Umwälzungen müde, von denen sie seit der Unabhängigkeit zwei durchlebt haben: die Orange Revolution nach den umstrittenen Wahlergebnissen 2004, die Moskaus Favorit, Viktor Janukowitsch, vor seinem national-demokratischen Gegner Viktor Juschtschenko sahen, und den Maidan bzw. die Revolution der Würde, die mit Protesten gegen denselben Janukowitsch begann, als er sich Ende 2013 weigerte ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterschreiben und die im Februar 2014 mit dem Tod von etwa 100 Protestierenden durch Scharfschützen eskalierte, gefolgt vom frühzeitigen Abgang Janukowitschs – er floh aus Kiew und tauchte letztendlich in Russland wieder auf, dem Verlust der Krim und dem Krieg in der Ostukraine, der immer noch weitergeht.

Sie sind auch der reichen Oligarchen müde, die die Ukraine unter sich aufteilen und sie zu ihrem persönlichen Vorteil ausbeuten, während der Lebensstandard für die Mehrheit der Bevölkerung sinkt. Jeder Präsident hat sich mit ihrem wachsenden Einfluss beschäftigt und mit der überwältigenden Korruption, die Fortschritte verhindert. Bisher konnte kein Präsident auf eine stabile Mehrheit im Parlament zählen.

Die Ukraine sieht sich so mit Fragen konfrontiert, die 1991 nicht gelöst wurden. Kurz gesagt: Die Ukraine erhielt die Unabhängigkeit ohne große Vorbereitung und als Folge des Auseinanderbrechens der Sowjetunion im Zuge des gescheiterten Putsches in Moskau im August 1991 und der gezielten Kampagne des russischen Präsidenten Boris Jelzin zur Entmachtung seines sowjetischen Gegenparts Michael Gorbatschow.

Die Lage im Jahr 1991

1991 dominierten die Kommunisten noch das Parlament, aber sie waren zerstritten. Die Spaltungen waren schon zwei Jahre vorher nach dem Rücktritt und vermutlichen Selbstmord des langjährigen Parteichefs Wolodymyr Schtscherbytskyj offensichtlich geworden. Sein Vertreter Wolodymyr Iwaschko entschied sich für Gorbatschow in Moskau zu arbeiten und trat schon nach einigen Monaten zurück. Sein Nachfolger, Stanislaw Hurenko, ein Hardliner wie Schtscherbytskyj, erhielt wenig Unterstützung und die Reformer im Parlament, angeführt vom früheren Parteisekretär für Ideologie, Leonid Krawtschuk, begannen eine Neuorientierung.

Alle großen Probleme, mit denen sich die Ukraine 2021 konfrontiert sieht, waren schon 30 Jahre früher sichtbar: Die Krim fiel unter den Einfluss separatistischer und pro-russischer Politiker; die Bergleute im Donbas waren frustriert nachdem ihre Streiks 1989 und 1990 erfolglos geblieben waren und einige Politiker verlangten mehr Autonomie für die Region; Russland erwies sich als schwierig. Jelzin war bereit mit der ukrainischen Führung zu kooperieren, um Gorbatschow und die Kommunistische Partei zu entmachten, aber die Frage einer unabhängigen Ukraine wurde vertagt. Zumindest erwartete Jelzin, dass die Ukraine ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten werden würde.

In der Ukraine gab es keinen wirklichen Wandel in der politischen Führung. Nach der Erklärung der Unabhängigkeit am 24. August 1991 wurde die Ukraine immer noch von Kommunisten oder früheren Kommunisten regiert. Aufgrund der langen Tradition der Opposition, insbesondere in der Westukraine, hätte man erwarten können, dass die politische Elite jetzt aus denen bestehen würde, die unter dem sowjetischen Regime gelitten hatten: ehemalige politische Gefangene, Dissidenten, Deportierte. Aber am 01. Dezember 1991 wurde Krawtschuk in der ersten Runde mit 62 % der Stimmen zum Präsidenten gewählt, während der ehemalige Dissident Wjatscheslaw Tschornowil, der für die Ruch (Volksbewegung der Ukraine) kandidierte, mit 23 % deutlich abgeschlagen war. Ein weiterer Dissident, Lewko Lukjanenko, Vorsitzender der Ukrainischen Republikanischen Partei, erhielt als Drittplatzierter gerade einmal 5 %. Spätere Wahlen wurden von Vertretern der alten Eliten aus Politik, Verwaltung und Management bestritten. 1999 kam der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Petro Symonenko, in die zweite Runde der Präsidentenwahl, wo er gegen Leonid Kutschma verlor, der in der Sowjetunion als Manager bis ins Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Ukraine aufgestiegen war.

Wirtschaftlich war die Ukraine 1991 eng mit den sowjetischen Partnern verbunden und sie war stark abhängig von russischen Energielieferungen. Im gesamten Jahr 1991 gab es in Kiew Sorgen vor einer russischen Intervention.

Es gab aber auch Optimismus, insbesondere außerhalb der Ukraine. Die Deutsche Bank zum Beispiel sah die Ukraine unter allen Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion als denjenigen mit dem größten wirtschaftlichen Wachstumspotential.

Die zentrale Sorge der USA bezog sich auf die Atomwaffen auf ukrainischem Territorium. Die große ukrainische Diaspora in Kanada und den USA bot auf viele Weise Hilfe an: Forschungsprojekte, Rechtsreformen, Finanzberatung und vor allem kompetente Fachkräfte. Viele zogen damals in die Ukraine. Im Rückblick waren die Erwartungen und der Optimismus nicht nur naiv, sie zeigten ein fundamentales Missverständnis bezüglich des Charakters des Staates von 1991.

Kommunistisches Erbe

Die Ukraine wurde unabhängig, weil das Zentrum in Moskau kollabierte. Aber in den späten 1980er Jahren war es Moskau, in der Person des umtriebigen und regen Gorbatschow, das für die Ukrainische Sowjetrepublik, die im Würgegriff kommunistischer Hardliner steckte, die beste Chance auf Wandel bot.

In der sowjetischen Führung hatten Männer, die in den Industrieregionen der Ukraine aufgewachsen waren und loyal zur Sowjetunion standen, für viele Jahre eine dominante Rolle gespielt – von Nikita Chruschtschow, der seine frühe Karriere weitestgehend in der Ukraine verbrachte, bis zu Leonid Breschnew, der bis 1982 die Geschicke der Sowjetunion bestimmte. In weiten Teilen der Ukraine blieb diese kommunistische Mentalität erhalten. 1991 war sie weiterhin dominant, was auch immer die Rhetorik von Politikern in Kiew oder Lwiw suggerierte. Sie konnte nicht über Nacht geändert werden.

Bei einer Tour auf dem Dnepr im Jahre 1991 – und sogar noch 2011 – würde das Boot irgendwann in einer Schleuse landen, die mit dem steigenden Wasser den Blick auf die größte Lenin-Statue der Welt in all ihrer Majestät freigeben würde. Selbst für den Nationaldichter Taras Schewtschenko gab es nichts in ähnlicher Größe. Die großen Industriestädte im Osten waren nach Kommunisten benannt worden: Woroschilowhrad (seit 1992 Luhansk), Dniprodserschynsk (seit 2016 Kamjanske), Dnipropetrowsk (seit 2016 Dnipro) und früher Stalino, welches bereits Chruschtschow 1961 in Donezk umbenannte.

Es ist deshalb wenig überraschend, dass die Kommunisten nach der Unabhängigkeit an der Macht blieben. Die informellen Clans von Donezk und Dnipropetrowsk kämpften in den 1990er Jahren um die politische Vorherrschaft: Pawel Lazarenko, Julia Timoschenko und Viktor Janukowitsch waren die bekanntesten Namen – sie übernahmen die Leitung der Regierung und das Präsidentenamt. Alle stiegen mit Hilfe ihrer Geschäftsverbindungen und Seilschaften auf.

Obwohl die Ukraine gut mit Bodenschätzen ausgestattet war und berühmt war für ihre Landwirtschaft, waren die wirtschaftlichen Defizite unübersehbar. 1991 war der Anteil der Ukraine an der landwirtschaftlichen Produktion der Sowjetunion kleiner als ihr Anteil an der sowjetischen Bevölkerung. Die Kohleproduktion sank drastisch, da die leicht zugänglichen Vorkommen zunehmend erschöpft waren. Die Stahlwerke hatten dringenden Modernisierungsbedarf. Die Arbeiter waren protestfreudig. Es gab regelmäßige Streiks und die Umweltbewegung hatte nach der Tschernobyl-Katastrophe den Ausbau der Atomenergie verhindert. Ein Jahr vor der Unabhängigkeit verhängte die Regierung ein Moratorium für den Bau neuer Atomreaktoren. Das Erbe von Tschernobyl gewann mit der Dezentralisierung und der schwindenden Aufmerksamkeit Moskaus in der Ukraine an Bedeutung.

Selbstfindung

Letztendlich war es 1991 nie ganz klar, ob die ukrainische Bevölkerung genau wusste, wer sie war und wie sie eine neue Identität entwickeln würde. Die Hungersnot von 1933 war für Intellektuelle ein Thema, nach dem es Jahrzehnte zensiert worden war, aber die Erinnerungen wurden in den meisten Regionen nicht formuliert. Die großen Säuberungen unter Stalin wurden in den Medien diskutiert, aber wieder einmal war die Initiative von der Führung aus Moskau gekommen. Die Ukraine hatte eine ältere Geschichte: die Zeit der Kosaken, der große Hetman Bohdan Chmelnyzkyj, und Iwan Mazepa, aber es gab große Meinungsunterschiede und Narben bezüglich des Zweiten Weltkriegs, insbesondere in der Westukraine, wo es bittere Partisanenkämpfe gegen die sowjetische Herrschaft gegeben hatte. Das heroische sowjetische Narrativ der Roten Armee und der sowjetischen Partisanen war hingegen in den meisten anderen Regionen der Ukraine vorherrschend.

Die letzten 30 Jahre sind für die Ukraine nicht erinnerungswürdig gewesen. Sie haben Elend, Konflikte und Desillusion gebracht – in einer Umfrage erwog jeder Dritte die Emigration. Andererseits haben sie eine gewisse Einheit, mehr Klarheit über die nationale Identität und einen Wandel der Haltung gegenüber Russland (negativer) und dem Westen (positiver) gebracht.

Anders als ihre direkten Nachbarn im Norden und Nordosten hält die Ukraine demokratische Wahlen ab, hat eine freiere Presse, und trotz einiger Ausrutscher hat sie ihren Platz auf der Weltbühne eingenommen. 30 Jahre sind die längste Zeit der Unabhängigkeit in der ukrainischen Geschichte. Das ist für sich genommen schon ein nicht zu vernachlässigendes Ergebnis, wie schon die Nationalhymne zeigt: „Noch ist die Ukraine nicht gestorben“.

Übersetzung aus dem Englischen: Heiko Pleines

EXKURS ENDE

Ergänzung

Ukraine-Russland: Die Bedeutung der Krim | Mit offenen Karten | ARTE (17.2.2024)

Russland und die Ukraine – Russland Ukraine Beziehungen im Zeichen des Ukraine-Konflikts

Als die Ukraine in den 1950er Jahren noch der Sowjetunion angehörte, kristallisierte sich ein erster Zankapfel zwischen dem Land und seinem russischen Nachbarn heraus. Es ging um die Halbinsel Krim. Der Parteichef der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow, der selbst aus der Ukraine stammte, schenkte die Krim anlässlich des 300-jährigen Jubiläums der Russisch-Ukrainischen Einheit. Viele Russen, einschließlich Putin, bedauern dieses Geschenk bis heute.
Spätestens seit der ukrainischen Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 ist die Beziehung zwischen Russland und der Ukraine verfahren. Die Ukraine blieb trotz ihrer Unabhängigkeit immer wirtschaftlich und finanziell stark von Russland abhängig. Ihre Identität suchte sie stets zwischen einer Westorientierung in Richtung EU und NATO einerseits und der historischen Bindungen an das östliche Nachbarland andererseits. Die Hauptstreitpunkte zwischen den beiden Ländern sind nach dem Zerfall der Sowjetunion die Aufteilung der Schwarzmeerflotte, der Status der Halbinsel Krim und der Stadt Sevastopol sowie die Gasschulden.

Die traditionsreiche russische Schwarzmeerflotte ist ein Staat im Staate auf der Krim. Ihr Hauptstützpunkt, die Stadt Sewastopol, war bis 1991 selbst für die Bewohner der Halbinsel eine verbotene Zone, innerhalb der die damals sowjetische Marine nach eigenem Gusto schalten und walten konnte. Diese Mentalität war immer allgegenwärtig, verbunden mit der tiefen Überzeugung, dass die Stadt, die Flotte und damit die Krim russisch zu sein haben.
Der russisch-ukrainische Erdgashandel ist seit dem Ende der Sowjetunion regelmäßig Gegenstand von Konflikten auf dem Gebiet der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), ein loser Zusammenschluss von zwölf Teilrepubliken der ehemaligen Sowjetunion. Die Ukraine importiert Erdgas und gehört zu den größten Abnehmerländern des russischen Erdgaskonzerns Gazprom. Sie ist das wichtigste Transitland für russische Erdgasexporte nach Europa. Mehrmals kam es zu Lieferstopps, da die Länder sich um die Konditionen stritten. Auf russischer Seite versucht Gazprom sein wirtschaftliches Ergebnis durch höhere Preise für Erdgaslieferungen in die GUS zu verbessern. Gleichzeitig hat Gazprom ein Interesse daran, die ukrainischen Erdgaspipelines zu übernehmen, um den Transit besser kontrollieren zu können.

Durch den „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft“, in dem Russland die Ukraine als einen unabhängigen Staat anerkannte, das „Abkommen über die Schwarzmeerflotte“ 1997 und den „Vertrag über die wirtschaftliche Zusammenarbeit“ 1998 wurden die Streitigkeiten und territoriale Ansprüche Russlands geregelt. Russland hatte nie bestritten, dass die Ukraine ein unabhängiger Staat ist. Schon die GUS (Gemeinschaft unabhängiger Staaten) trat im Einvernehmen zwischen Russland und der Ukraine (damals noch Sowjetrepublik) an die Stelle der Sowjetunion. Dieser Vertrag ist eines von vier (nach anderer Zählung fünf) Dokumenten des internationalen Rechts, die, von Russland bzw. seinem Vorgängerstaat Sowjetunion unterzeichnet, die Achtung der territorialen Integrität der Ukraine vorschreiben.

Die „West-Annäherung“ der Ukraine durch den Beitritt zur GUAM (Organisation für Demokratie und Wirtschaftsentwicklung zwischen Georgien, der Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien, 1997), aber auch die Zugehörigkeit zur Welthandelsorganisation 2008 trübten das Verhältnis zu Russland weiter.

2009 schrieb der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedew einen offenen Brief an Ukraines Präsident Wiktor Juschtschenko. Medwedew gab Juschtschenko und seiner Regierung darin die Schuld an der Zuspitzung der bilateralen Spannungen. Er sah ukrainische Waffenlieferungen an Georgien, das ukrainische Streben in die NATO sowie die Abkoppelung von Russland im Energiesektor als gegen Russland gerichtete Aktionen.

Russland hatte immer schon Ansprüche an die Ukraine – territorial, wirtschaftlich und politisch. Mit der Westannäherung der Ukraine sah es seinen Einfluss dahinschwinden. Sowohl im Konflikt um die Ukraine 2013/2014 als auch im neuerlichen Konflikt 2021/22 versucht Russland, seinen Machtbereich zu sichern und auszuweiten. Im Frühjahr 2021 hatte Russland ein großes Truppenaufgebot mit rund 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine stationiert. Mittlerweile gehen Schätzungen von 150.000 russichen Soldaten aus. 30.000  Soldaten sind in Belarus stationiert. Im Falle einer weiteren Zunahme von Kampfhandlungen im Donbas werde Russland  militärisch eingreifen zum Schutz seiner dort lebenden Staatsbürger, hatte Putin im Verlauf des Konflikts wiederholt angekündigt. Rund 700.000 in der Ostukraine lebende Menschen haben in den vergangenen Jahren einen russischen Pass erhalten und werden seither von Russland unterstützt.

Im Juli 2021 veröffentlichte Putin einen Aufsatz, in dem er die Einheit des russischen und ukrainischen (wie auch des belarussischen) Volkes betonte. Darin werden die Gebietsansprüche Russlands in der Ukraine deutlich. Die Zweistaatlichkeit sei ein Unfall der Geschichte. Der Text sei eine Grundlage zur Diskussion auch über die Grenzen innerhalb der GUS, bestätigte der Kreml-Sprecher.  Der ukrainischen Führung wirft Putin Fremdsteuerung durch den Westen, Russophobie und eine Zwangsukrainisierung vor, die sich speziell gegen die russischsprachige Bevölkerung im Donbass richte. Die ständigen Verstöße gegen das Minsker Abkommen hätten ihn zu der Ansicht gebracht: „Kiew braucht den Donbass einfach nicht“, so Putin. Sollte Kiew nicht die von Moskau gelenkten Separatistenregierungen Donezk und Luhansk zu vollwertigen Verhandlungspartnern aufwerten, werde Russland seine Politik in der Richtung wieder aktivieren, so die Einschätzung des Politologen und Russland-Korrespondenten André Ballin aus Moskau. Für Putin sei die Ukraine ein „Anti-Russland“, hinter dem eine Verschwörung des Westens stehe. Putins Aufsatz belege, dass Russlands Staatsführung nicht akzeptiert habe, dass die Ukrainer eine eigene Nation mit einem unabhängigen Staat sind, so der Historiker Andreas Kappeler.

In der neuerlichen  Zuspitzung des Konflikts im Februar 2022 machte Russlands Präsident Putin abermals deutlich, dass er keine weitere NATO-Osterweiterung und damit auch die Aufnahme der Ukraine in das Bündnis dulden werde. Mit dem Ende Februar 2022 gestarteten Angriffskrieg gegen die Ukraine ist Putin dabei, seinen Einfluss in der Region massiv auszuweiten. Wie von der westlichen Staatengemeinschaft befürchtet, hat er die Gebiete Donez und Luhansk als unabhängige Staaten anerkannt und  sie mit der Unterzeichnung eines „Freundschaftsvertrages“ und der Entsendung von russischen Truppen unter seinen militärischen Schutz gestellt. Mit dem flächendeckenden Einmarsch in die Ukraine machte Putin deutlich, dass seine Gebietsansprüche nicht nur auf den Osten der Ukraine abzielen, wie auch die im Verlauf des Krieges erfolgten Annexionen der Gebiete im Osten als auch im Süden der Ukraine belegen werden.

Putin stellt die Staatlichkeit der Ukraine infrage. Nach der Anerkennung der Separatistengebiete in der Ostukraine erklärte er in einer Rede an die Nation am 21.2.2022: „Die Ukraine ist nicht einfach ein Nachbarland. Sie ist integraler Bestandteil unserer Geschichte, Kultur und unseres spirituellen Kontinuums.“ Damit spielt er auf den gemeinsamen Ursprung beider Länder im historischen Reich der  „Kiewer Rus“ an.

Die Beziehungen der Ukraine zur EU und zur NATO

Ukraine und EU

Die Ukraine ist ein Nachbarland der Europäischen Union und damit ein möglicher Beitrittskandidat. Kiew artikulierte bereits in den 1990er Jahren eindeutige Absichten, der Europäischen Union beizutreten. Brüssel verwies jedoch auf die Notwendigkeit innenpolitischer Reformen und verknüpfte damit alle konkreten Schritte in Richtung einer EU-Mitgliedschaft. Zahlreiche Verstöße gegen demokratische Prinzipien machten einen EU-Beitritt allerdings unmöglich. Am 14. Juni 1994 wurde ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und der Ukraine unterzeichnet, das im März 1998 in Kraft getreten ist.

Seit der „Orangenen Revolution“ 2004 bildet die wirtschaftliche Integration und politische Zusammenarbeit der Ukraine mit der EU ein zentrales Ziel ukrainischer Außenpolitik. Auch die EU sieht in der Ukraine einen „priority partner“ im Rahmen der neuen Europäischen Nachbarschaftspolitik – eines Programms zur Verbesserung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Kooperation zwischen der EU und den benachbarten Staaten. 

Abkommen


Am 1. Januar 2008 sind Abkommen zwischen der EU und der Ukraine über Visa-Erleichterungen und die Rücknahme von Personen, die sich illegal aufhalten, in Kraft getreten. Die Ukraine ist zudem Partnerland der sogenannten „Östlichen Partnerschaft“ der EU, die am 7. Mai 2009 auf einem Gipfeltreffen in Prag gegründet wurde. Deren Ziel ist es, die EU und sechs Partnerländer aus ihrer östlichen Nachbarschaft und der Kaukasusregion politisch und wirtschaftlich einander anzunähern.

Ende November 2013 legte Präsident Janukowitsch das mit der EU ausgehandelte Assoziierungsabkommen offenbar auf Druck Russlands kurz vor der geplanten Unterzeichnung auf Eis. Das Abkommen befasst sich nicht nur mit Wirtschafts- und Handelsbeziehungen und der Schaffung einer Freihandelszone, sondern auch mit der politischen Zusammenarbeit. Darin wird eine enge Kooperation in der Außenpolitik sowie in Justiz- und Grundrechtsfragen vereinbart. Mit Assoziierungsabkommen versucht die EU, Nachbarstaaten enger an sich zu binden, ohne ihnen eine EU-Mitgliedschaft zu eröffnen.

Ein halbes Jahr später schloss die EU im Juni 2014 trotz anhaltender Spannungen mit Russland ein Assoziierungsabkommen mit der neuen ukrainischen Regierung ab. Den wirtschaftlichen Teil des Abkommens unterzeichnete Präsident Poroschenko am 27. Juni, während der politische Teil schon im März beschlossen worden war. Im September 2014 verabschiedeten die Parlamente der Ukraine und der Europäischen Union (EU) das Assoziierungsabkommen, das zum 1. Januar 2016 in Kraft trat.

Das Assoziierungsabkommen

Betrachtet man Umfragen, so sprachen sich in einer Erhebung aus dem Jahr 2019 57 Prozent der Befragten für einen EU-Beitritt aus, wobei sich regional große Unterschiede ergaben. Im Westen des Landes sprechen sich die Befragten mit großer Mehrheit für einen EU-Beitritt aus. Der Süden und der Donbas hingegen wären eher für die Mitgliedschaft in der Eurasischen Wirtschaftsunion mit Russland, Kasachstan und Belarus. (Quelle: bpb.de)

Anfang des Jahres 2019 verankerte das ukrainische Parlament mit einer Mehrheit von 334 der 450 Abgeordneten in der Verfassung eine „strategische Orientierung der Ukraine zum vollständigen Beitritt zur EU und der NATO“.

EU-Beitritt der Ukraine


Seit dem am 24. Februar 2022 begonnenen Krieg Russlands gegen die Ukrainefordern einige Politiker, das Land schnell in die EU aufzunehmen. Nach dem Willen der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen soll die Ukraine möglichst bald Teil der Staatengemeinschaft werden. Auf die Frage nach einer Aufnahme der Ukraine in die EU sagte sie bereits wenige Tage nach Beginn des Angriffskriegs auf das Land: „Im Laufe der Zeit gehören sie tatsächlich zu uns. Sie sind einer von uns und wir wollen sie drin haben.” Auch der ukrainische Präsident Selenskyj hatte angesichts der katastrophalen Lage seines Landes eine dringliche Bitte um eine Aufnahme in die EU wiederholt.  In einer Sitzung des Europäischen Parlaments angesichts des Krieges in der Ukraine war Selenskyj zugeschaltet und richtete in einem emotionalen Appell folgende Worte an die Europäer: „Wir geben unsere besten Leute her“, um Werte und Rechte wie in Europa zu erhalten, so Selenskyj. „Wir haben den Wunsch, gleich zu sein.“ Die Ukraine kämpfe darum, ein gleichberechtigtes Mitglied der EU zu werden. „Ohne Sie wird die Ukraine allein sein.“ Nun müsse die EU beweisen, dass sie an der Seite der Ukraine stehe. „Wir sind Europäer! Beweisen Sie, dass auch Sie Europäer sind!“

Indes hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am 28. Februar 2022 ein offizielles EU-Beitrittsgesuch eingereicht. Wenig später reichten Georgien und die Republik Moldau ebenfalls einen Antrag auf EU-Beitritt ein. Die Europäische Kommission ist nun dabei, die Anträge zu überprüfen, um eine Einschätzung zum möglichen EU-Beitritt der drei Staaten abzugeben.

Bei ihrer Reise in das Kriegsgebiet in der Ukraine am 8.4.2022 hat Kommissionspräsidentin von der Leyen der Ukraine Mut auf dem Weg in die Europäische Union gemacht. Sie möchte eine EU-Mitgliedschaft des Landes rasch vorantreiben: „Meine Botschaft lautet, dass die Ukraine zur europäischen Familie gehört“, so von der Leyen. EU-Kommissionspräsidentin hat der Ukraine bei ihrem Besuch ferner einen Fragebogen übergeben, anhand derer die EU die Voraussetzungen zum Beitritt der Ukraine ausloten möchte. Die Ukraine hat den Fragebeogen umgehend ausgefüllt. Die Europäische Kommission hat daraufhin den Beitrittsantrag positiv bewertet. Am 23. Juni 2022 hat die Ukraine offiziell den Kandidatenstatus verliehen bekommen.

Ausführliche Informationen über  die Ukraine auf dem Weg zum EU-Beitritt

Ukraine und NATO

Grundlage der Zusammenarbeit zwischen der NATO und der Ukraine bildet die NATO-Ukraine-Charta vom Juli 1997. Eine entsprechende NATO-Russland-Akte vom gleichen Jahr schrieb die Partnerschaft und Zusammenarbeit der beiden Seiten fest und sah vor, dass die Staaten der Region sich frei für ein Bündnis entscheiden können.

Die NATO und ihre Mitgliedstaaten haben vereinbart, die Ukraine bei der Reform ihrer Streitkräfte und Sicherheitsorgane zu unterstützen. Die Ukraine ist das einzige Nicht-Mitglied, das an drei von der NATO geführten Militäroperationen (ISAF, KFOR und OAE) teilnimmt und als erster „Partner-Staat“ an einer NATO Response Force beteiligt war.

Auf dem NATO Gipfel in Bukarest 2008 erhielt die Ukraine (wie auch Georgien) eine grundsätzliche Beitrittsperspektive: „Wir haben uns heute geeinigt, dass diese Staaten NATO-MItglieder werden sollen“. Russlands Präsident Putin hatte sich schon damals gegen die Erweiterungspläne der NATO ausgesprochen. Aber auch Frankreich und Deutschland sprachen sich gegen einen Beitritt der Ukraine aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte davor, Russland nicht unnötig zu reizen und eine Destabilisierung Osteuropas zu riskieren.

Am 1. Juli 2010 nahm das ukrainische Parlament ein Gesetz an, das eine Fortsetzung der Partnerschaft mit der NATO zum Ziel hat, aber ausdrücklich das Festhalten der Ukraine an einer Politik der „Blockfreiheit” vorsieht.

Unter dem Eindruck des Konflikts mit Russland in der Krim-Krise 2014 wollte Ukraines Präsident Poroschenko sein Land in die NATO führen. Der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier antwortete auf die Frage, ob er einen Beitritt der Ukraine hilfreich fände: „Man sollte aufpassen, dass man mit bestimmten Entscheidungen nicht noch Öl ins Feuer gießt.”

Auch der seit 2019 amtierende Präsident Wolodymyr Selenskyj warb wiederholt um eine NATO-Mitgliedschaft seines Landes und setzt den Kurs auf eine Vollmitgliedschaft sowohl in der EU als auch in der NATO fort. Mit der Änderung der Verfassung im Februar 2019  hat die Ukraine die Mitgliedschaft in der EU und in der NATO zum Staatsziel mit Verfassungsrang erhoben.

Im Juni 2020 hat die NATO die Ukraine als „Enhanced Opportunities Partner“anerkannt. Dieser Status ist Teil des Partnerschaftsprogramms, das darauf abzielt, die Zusammenarbeit zu jenen Partnern zu vertiefen, die bedeutende Beiträge zu NATO-geführten Operationen und Missionen geleistet hat. Als NATO-Partner hat die Ukraine Truppen für Operationen der Alliierten bereitgestellt, darunter in Afghanistan und im Kosovo.

Seit 2021 gehört die Ukraine ferner zu jenen Ländern, die im Rahmen des  „Individual Partneship Action Plan“  (Individueller Partnerschaftsaktionsplan) von der NATO Unterstützung erhalten.
Bereits beim NATO-Gipfel 2021 in Brüssel hatten die Staats- und Regierungschefs der NATO  die „Politik der offenen Tür“ für die Ukraine und Georgien zum Ausdruck gebracht. Sie forderten beide Länder auf, notwendige Reformen für eine stärkere Integration in die NATO fortzusetzen.

Im Zuge des Angriffskriegs Russland gegen die Ukraine spielt die Frage um einen möglichen NATO-Beitritt der Ukraine eine zentrale Rolle. Russlands Präsident Putin gibt an, sich durch die Annäherung der Ukraine in Richtung NATO bedroht zu fühlen und versucht mit allen Mitteln einen Beitritt des Landes zum Bündnis  bzw. eine NATO-Osterweiterung insgesamt zu verhindern. Putin fordert juristisch verbindliche Sicherheitsgarantien, nach denen eine Aufnahme der Ukraine in das Militärbündnis nicht stattfinden wird. Ausserdem lehnt Russland weitere militärische Infrastruktur und Waffensysteme der Nato vor seinen Grenzen ab. Putin  geht in seinen Forderungen sogar noch einen Schritt weiter: Zwischen Russland und der NATO solle der Zustand von 1997 wieder hergestellt werden.

Im Vorfeld der Krim-Annexion hatte  Putin selbst die angebliche Drohung einer anstehenden NATO-Osterweiterung zunächst als Argument für die Besetzung der Halbinsel benutzt, erklärte dann aber, der eigentliche Grund sei „die historische Gerechtigkeit“ gewesen.

Zur Einordnung sei an dieser Stelle erwähnt, dass eine reale Bedrohung Russlands im Konflikt der vergangenen Jahre nicht existierte und ein NATO-Beitritt der Ukraine im Vorfeld des aktuellen Krieges nicht zur Debatte stand. Wenngleich ein solcher aus Sicht der Ukraine gewünscht war und zum Ziel erklärt worden war. DieChancen für einen NATO-Beitritt der Ukraine hatten sich im Verlauf des Krieges 2022 und der Verhandlungen der Kriegsparteien zunächst zerschlagen. Der ukrainische Präsident Selenskyj strebte zunächst einen neutralen bündnisfreien Status seinen Landes an, mit entsprechenden Sicherheitsgarantien für sein Land. In Folge der Annexionen weiterer ukrainischer Regionen im Osten und Süden des Landes, ist es Selenskyj nun ein Anliegen, die Ukraine so bald als möglich in den Schutz des NATO-Bündnisses zu stellen. Im September 2022 hat er einen Antrag auf beschleunigten Beitritt der Ukraine in die NATOeingereicht. Neun Mitglieder der NATO unterstützen den ukrainischen Antrag.. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat daraufhin den Antrag der Ukraine nicht ausdrücklich befürwortet, sondern die Politik der offenen Tür des Bündnisses bekräftigt.

Bei einem NATO-Treffen im Vorfeld des NATO-Gipfel im Juli 2023 in Litauen berieten die NATO-Staaten über die Beitrittsperspektive der Ukraine. Es mehren sich die Zeichen, dass sich die Mitgliedstaaten damit einverstanden erklären, im Falle der Ukraine auf den Aktionsplan zur Mitgliedschaft (Membership Action Plan / MAP) zu verzichten, um das Aufnahmeverfahren deutlich zu beschleunigen. Die NATO möchte der Ukraine schon jetzt mehr Mitsprache auf Augenhöhe ermöglichen. Dafür soll ein NATO-Ukraine-Rat gegründet werden,  der sich am Rande des Gipfels in Vilnius zum ersten Mal treffen soll. Ukraines Präsidnet Selenskyi fordert einen raschen NATO-Beitritt seines Landes und bereits jetzt konkrete Sicherheitsgarantien für sein Land.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass ein formaler Prozess in Richtung Beitritt der Ukraine in nächster Zeit eingeleitet werden kann. Der NATO-Vertrag enthält Bestimmungen, die die Aufnahme eines Kandidaten, der sich im Krieg befindet oder über umstrittene Territorien verfügt, nicht vorsehen. Die aktuelle Kriegsituation und eine womöglich jahrelang sich anschließenden Phase der Instabilität werden der Ukraine  bis auf weiteres einen Beitritt zur NATO verwehren. Solange sich ein Land in einem Konflikt befindet, ist eine Aufnahme in die NATO so gut wie ausgeschlossen. Juristisch betrachtet könne man zwar auch zu einer Rechtsauslegung kommen, dass der Passus über die „Abwesenheit territorialer Streitigkeiten“ in diesem Fall nicht gelte, da die Ukraine keine Ansprüche auf fremdes Land erhebe und, im Einklang mit den Normen des Völkerrechts, lediglich ihre eigenen, von Russland besetzten Gebiete befreie, wie Menschenrechtsorganisationen und weitere Unterstützer in einem jüngsten Appell an die NATO argumentierten. Mit dieser Auslegung ließen sich aber nicht die politischen Bedenken vieler NATO-Mitgliedsstaaten aus dem Weg räumen, erläutert Simon Koschut, Professor für Internationale Sicherheitspolitik. Ein sofortiger NATO-Beitritt der Ukraine hätte zur Folge, dass sich die NATO-Mitglieder einen bewaffneten Konflikt ins Bündnis holten und die NATO durch die Beistandsverpflichtung zur Konfliktpartei würde.

Geht man der Frage nach, wie die ukrainische Bevölkerung selbst zu einem NATO-Beitritt steht, sprach sich diese 2008 noch mehrheitlich gegen einen Beitritt aus. Erst nach dem Verlust der Krim 2014 hat sich dies geändert. Auch im Jahr 2019 sprachen sich in einer Umfrage nur  knapp 50 Prozent für einen NATO-Beitritt aus, wobei die Erhebung regional große Unterschiede ergab. Im Westen des Landes sprechen ich die Befragten mehrheitlich für einen NATO-Beitritt aus. Der Süden und der Donbas hingegen sprachen sich zu großen Teilen für einen blockfreien Status aus (Quelle: bpb.de). Würde man die Bevölkerung heute nach ihren Wünschen fragen, ergäbe sich sicherlich ein anderes Ergebnis.

Ausführliche Informationen über das Verteidungsbündnis in unserem NATO-Dossier

Weiterführendes zum Themenumfeld Ukraine u.a.

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