Tagesblick – 8.1.2024 Montag

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FAZIT DES TAGES

folgt

HELLMEYER

  • Märkte: Erosionen erkennbar
  • Deutschland: „Ziviler Ungehorsam“
  • Deutschland: Real Einzelhandel 2023 mit einem Minus von 3,1%
  • IFO-Ökonomen: 2024 weltweit weniger Inflation

MÄRKTE

Märkte: Erosionen erkennbar

Die Finanzmärkte leiden unter dem aktuellen Daten- und Nachrichtenbild. Erosionen sind in der

Marktzuversicht erkennbar, die bisher die Qualität von Korrekturen am Aktien- und Rentenmarkt zur Folge hatten.

Das Nachrichten- und Datenpotpourri wirkt derzeit insgesamt belastend. Positiv ist die

Grundsatzeinigung im US-Haushaltsstreit, die aber noch die parlamentarischen Hürden nehmen

muss.

Die deutsche Politik muss sich heute dem zunehmenden „zivilen Ungehorsam“ stellen. Das

Thema belastet.

Der Gaza-Konflikt wird tendenziell kritischer. Zunehmende Spannungen und

Übergriffigkeiten im Westjordanland als auch zunehmende Auseinandersetzungen im Grenzgebiet

zum Libanon verstärken den Krisenmodus.

Die Situation in der Ukraine-Krise ist und bleibt prekär.

Die Wirtschaftsdaten lieferten einen Lichtblick bei den US-Auftragseingängen und dem US-

Arbeitsmarktbericht. Die Quantität des US-Arbeitsmarktberichts war besser als erwartet, leider

stimmt die Qualität nicht (siehe unten). Zudem enttäuschte der US-ISM-Dienstleistungsindex.

Auch die Konjunkturdaten der Eurozone (PMIs für Bausektor) und für Deutschland (Einzelhandel)

konnten nicht überzeugen.

Etwas mildere Inflationsdaten der Eurozone hinsichtlich der Erwartungen hatten keine Auswirkungen.

Am Aktienmarkt ergab sich ein uneinheitliches Bild. Der „Late DAX konnte 0,11% und der

EuroStoxx 50 0,07% zulegen. In den USA verlor der Dow Jones 0,04%, der S&P 500 stieg um 0,12%,

während der US-Citi Tech 100 0,13% gewann. In Fernost legte der Nikkei (Japan) stand 06:21 Uhr

um 0,27% zu, der CSI 300 (China) verlor 0,89%, der HangSeng (Hongkong) gab um 2,10% nach, der

Sensex (Indien) um 0,20%, der Kospi (Südkorea) um 0,31%.

Am Rentenmarkt setzte sich die Zinsversteifung fort. 10-jährige Bundesanleihen rentieren aktuell

mit 2,17% (Freitag 2,13%, Jahresbeginn 2,06%), 10 jährige US-Staatsanleihen mit 4,06% (Vortag

4,03%, Jahresbeginn 3,93%).

Der USD ist sowohl gegenüber dem EUR als auch gegenüber den Edelmetallen Gold und Silber

kaum verändert.

Berichte & Analysen – Auswahl

Nachrichten in Kurzform:

• Berlin: Aktuelle INSA-Umfrage: CDU/CSU 31%, AFD, 23%, SPD 16%, Grüne 12%, FDP

5%, Linke 4%.
=> Regierung ohne ansatzweise Mehrheit …

• Berlin: Die Gewerkschaft GDL will die Bahn ab Mittwoch bestreiken. Der Streik soll

bis Freitag andauern. Die Bahn will Rechtsmittel gegen den Streik einlegen.
=> Negativ

Peking: Die Devisenreserven legten per Dezember von 3.172 auf 3.238 Mrd. USD zu

(Prognose 3.200 Mrd. USD).
=> China hält mit Abstand die größten Reserven!

London: Das UK investiert in das Kernbrennstoffprogramm der nächsten

Generation.
=> Hört Berlin hin?

New York: Laut der UN-Ernährungsorganisation FAO sind die Lebensmittepreise im

Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr um 13,7% gefallen.
=> Positiv

Washington: Im US-Haushaltsstreit haben Demokraten und Republikaner eine

Grundsatzeinigung erzielt (Erhöhung um gut 1,6 Billionen USD). Die Einigung muss

noch die parlamentarischen Hürden passieren.

=> Zunächst positiv

• Nahost-Konflikt: US-Außenminister Blinken warnte vor einer Ausweitung des

Konflikts.

=> Situation wird aktuell kritischer

Deutschland: Real Einzelhandel 2023 mit einem Minus von 3,1%

Die deutschen Einzelhändler haben ihren Umsatz im Jahr 2023 dank steigender Preise

erhöht. Er sei um 2,4% im Vergleich zu 2022 gewachsen, teilte das Statistische

Bundesamt (1.Schätzung) mit. Preisbereinigt (real) fiel der Umsatz um 3,1% niedriger

aus. Es ist der stärkste Rückgang seit der Finanzkrise 2009!
=> Prekär

IFO-Ökonomen: 2024 weltweit weniger Inflation

Ökonomen erwarten laut Umfrage (1.500 Teilnehmer aus 124 Ländern) weltweit einen

Rückgang der Inflation in den kommenden drei Jahren. Die Teuerungsrate würde 2024

bei 5,0% liegen, geht aus der Quartalsumfrage des Münchner Ifo-Instituts und des

Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik hervor. 2025 soll sie dann auf 4,4% fallen. Bis

2027 würde ein weiterer Rückgang auf 3,6% prognostiziert
=> Positiv

KOMMENTAR: Deutschland: „Ziviler Ungehorsam“ – 8. Januar: Ein Blick nach Berlin

In Deutschland gärt es. Die von der Bundesregierung verantwortete Politik findet

in Deutschland laut aktuellen Umfragen nicht ansatzweise eine Mehrheit. Die aktuellen

Wahlumfragen fallen für die Regierung prekär aus (aktuelle INSA-Umfrage: CDU/CSU 31%,

AFD, 23%, SPD 16%, Grüne 12%, FDP 5%, Linke 4%).

Die Regierung setzt ihre Agenda, die dem Standort und den Bürgern nachweislich schadet (Struktur, Konjunktur, Vermögen – u.a. Unterschied Immobilienpreise D zu USA), dennoch grundsätzlich fort. Der „zivile Ungehorsam“, der jetzt durch die Agrar-, aber auch die Logistikbranche gelebt wird (Belastungen durch verschlechterte Rahmendaten durch Politik), darf vor diesem Hintergrund nicht erstaunen.

Die Bürger sind der Souverän. Wenn Politik und große Teile der Medien glauben, den Souverän

erziehen und in Wohlstands- als auch Stabilitätsverluste zwingen zu müssen, ist das in einer

Demokratie „bemerkenswert“. Sollte durch Politik nicht der Nutzen eines Systems verbessert

werden?

Es sollen doch keine Schäden generiert werden! Autoritäre System bedienen sich

eines „Top-Down“ Ansatzes. Demokratien sollten den „Bottom-Up“ Ansatz verkörpern.

Fazit: Sollten die Verantwortlichen in der Deutschen Politik weiter die Interessen des

Souveräns ignorieren, wird das in Wahlumfragen, bei der im Juni anstehenden Europawahl und

den Landtagswahlen als auch auf der Straße Folgen haben, da es um existentielle Fragen für

eine hohe Anzahl von Unternehmen und Bürgern, aber auch um den Charakter unseres

Wirtschafts- und Gesellschaftssystems geht (pro oder contra Leistungsgesellschaft). Hier

muss angemerkt werden, dass die Abwendung von dem Modell der Leistungsgesellschaft

nachweislich noch nie in der Geschichte, die seit 5.000 Jahren als Beleg diesen kann,

erfolgreich war, ganz im Gegenteil! Wissen ist Macht – Unwissen ist Ohnmacht

Deutschland: Real Einzelhandel 2023 mit einem Minus von 3,1%

Die deutschen Einzelhändler haben ihren Umsatz im Jahr 2023 dank steigender Preise erhöht.

Er sei voraussichtlich um 2,4% im Vergleich zu 2022 gewachsen, teilte das Statistische

Bundesamt (1. Schätzung) mit. Preisbereinigt (real) fiel der Umsatz um 3,1% niedriger aus. Es

ist der stärkste Rückgang seit der Finanzkrise 2009! Besonders starke Einbußen verzeichneten

der Lebensmittelfachgeschäfte sowie Läden für Einrichtungsgegenstände, Haushaltsgeräte

und Baubedarf. Zuletzt zeigte der Trend im beginnenden Weihnachtsgeschäft überraschend

stark nach unten.

Kommentar: Nahezu jeden Tag erreichen uns Daten aus Deutschland, die Abstieg und Verlust

der Konkurrenzfähigkeit signalisieren. Was muss noch geschehen, reicht es nicht?

IFO-Ökonomen: 2024 weltweit weniger Inflation

Ökonomen erwarten laut Umfrage (1.500 Teilnehmer aus 124 Ländern) weltweit einen

Rückgang der Inflation in den kommenden drei Jahren. Die Teuerungsrate würde 2024 bei 5,0%

liegen, geht aus der Quartalsumfrage des Münchner Ifo-Instituts und des Instituts für

Schweizer Wirtschaftspolitik hervor. 2025 soll sie dann auf 4,4% fallen. Bis 2027 würde ein

weiterer Rückgang auf 3,6% prognostiziert. Die Inflationserwartungen unterschieden sich in

den Weltregionen stark. In Westeuropa (3,1%) und Nordamerika (3,2%) liegen sie für 2024

deutlich unter dem weltweiten Durchschnitt. Hier sind sie im Vergleich zur Umfrage im

vorangegangenen Quartal um 0,2% und 0,1% gesunken.

Kommentar: Diese Inflationsprognosen können sich dann tendenziell als richtig erweisen,

wenn es nicht zu weiteren geopolitischen Verwerfungen kommt. Die globalen

Inflationsprognosen des IWF liegen per 2023 bei 6,9% und per 2024 bei 5,8%. In den

Industrienationen sind sie per 2023 bei 4,6% und per 2024 bei 3,0% angesiedelt.

COMMENT: Die Ausblicke für 2025, die hier nicht erwähnt werden, weisen eine noch immer recht hohe Inflation nach. Vielleicht ist es gut, auf 2025 nicht weiter einzugehen. Es handelt sich um Prognosen. Und die erwiesen sich in den ökonomischen Voraussagen immer als mehr oder weniger falsch, insbesondere dann, wenn der Prognosezeitraum mehrere Jahre umfasst. Inflationsprognosen sind schon für den Zeitraum von zwei Jahren (204 und 2025) änderungsgefährdet.

Datenpotpourri

Eurozone: Inflationsbild etwas milder als erwartet, Deutschlands Daten prekär
Gemäß Erstschätzung nahmen die Verbraucherpreise der Eurozone per Dezember im Jahresvergleich um 2,9% (Prognose 3,0) nach zuvor 2,4% zu. Die Kernrate verzeichnete eine

Zunahme um 3,4% (Prognose 3,5%) nach zuvor 3,6%. Es war der geringste Anstieg der Kernrate

seit März 2022.

Die Erzeugerpreise der Eurozone sanken per November im Monatsvergleich um 0,3% (Prognose

-0,1%) nach zuvor +0,3% (revidiert von 0,2%). Im Jahresvergleich kam es zu einem Rückgang

um 8,8% (Prognose -8,7%) nach zuvor -9,4%.

Der für die Eurozone von HCOB ermittelte Einkaufsmanagerindex für das Baugewerbe lag per

Dezember bei 43,6 Zählern nach zuvor 43,4 Punkten.

Deutschland: Der von HCOB ermittelte Einkaufsmanagerindex für das Baugewerbe stellte sich

per Dezember auf 37,0 (Italien 55,2! Frankreich 42,6!) nach zuvor 36,2 Punkten. Es ist der

zweitschwächste Wert in der seit Januar 2021 vorliegenden Historie.

Deutschland: Die Einzelhandelsumsätze brachen per November unerwartet im

Monatsvergleich um 2,5% ein (Prognose -0,1%; Vormonat +1,1%). Im Jahresvergleich kam es

zu einem Rückgang um 2,4% (Prognose -0,5%) nach zuvor -0,1%

USA: Arbeitsmarktbericht nur auf ersten Blick stärker als erwartet

Unterstreichungen von HELLMEYER, Fettdruck von mir: Überwiegend stimmt die Quantität. Bei der Qualität des Arbeitsmarktberichts zeigen sich Mängel. Die Zahl der Vollzeitangestellten sank um 1,5 Millionen, während die Zahl der Teilzeitangestellten einen neuen Rekord markierte (auch Aspekt Lohnsumme der Jobs).

Der Auftragseingang für die Industrie stieg per November im Monatsvergleich um 2,6%

(Prognose 2,1%) nach zuvor -3,4% (revidiert von -3,6%).

Der vom ISM ermittelte Einkaufsmanagerindex des Dienstleistungssektors sank per Dezember

von 52,7 auf 50,6 Punkte (Prognose 52,6), den schwächsten Wert seit 05/2023.

Hier den Hellmeyer Report lesen! (inkl. Graphiken und Tabellen!)

SENTIX

Vordergründig bullische Daten – Ergebnisse des sentix Global Investor Survey (01-2024)

Zur Jahreswende haben sich die Investmentprofis rekordverdächtig neutral gestellt. Dies hat strategische Implikationen. Die Kursschwäche zum Jahresstart an den Aktienmärkten hat zudem erste Reaktionen hervorgerufen. Schnell kommen Ängste auf, die Portfolio-Risiken wurden im ersten Schritt in den Portfolien angepasst. Gleichzeitig steigt der Bias wieder an. Alte Kaufreflexe werden wiederbelebt. Trotz der im Sentiment angezeigten Stabilisierungstendenzen verbleiben am Ende strategische Vorbehalte.

Weitere Ergebnisse

  • Aktien: Rekord-Neutralposition zum Jahresstart
  • Bonds: Markanter Stimmungseinbruch
  • sentix Konjunkturindex: Montag, 08.01.2024 um 10:30 MEZ

ÜBERSICHT

DJI – BAHA *** DJI – KGV *** Rendite 10-jg. US-Anleihen

DAX Deutsche Börse *** DAX – KGV *** Rendite 10-jg. Bundesanl. *** Euro-Bund Futures

DAX-Schlussstand am Freitag um 0,14 Prozent tiefer bei 16.594 Punkten. Mittlere Umsätze.

Der DAX ist noch weit entfernt vom gleitenden Durchschnitt für 100 Tage (rote Linie) bei 15.948 Zählern, erst recht für den für 200 Tage (grüne Linie) bei 15.867 Zählern.

Geordneter Rückzug oder schärfere Baisse? Siehe sehenswerte sentix Einblicke (04.01.2024, 11:5-min-Video).

Termine

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Marktumfeld

Ölpreise sinken – Saudi-Arabien senkt Verkaufspreise

ZEITDIAGNOSE

Homo Deus Eine Geschichte von Morgen, Yuval Noah Harari, C. H. Beck, 2017 (getabstract)

Rezension

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der Kinder sich auf ihren 150. Geburtstag freuen dürfen, Mikrochips im Gehirn Glücksgefühle erzeugen und Facebook Sie besser kennt als Ihr Ehepartner. Und dann stellen Sie sich vor, dass Massen überflüssig gewordener Menschen ihr Leben in virtuellen Realitäten verdaddeln, demokratische Institutionen abgeschafft sind und eine rundum optimierte Elite weltweit die Fäden zieht. Yuval Noah Harari wagt den Blick in eine nicht allzu ferne Zukunft. getAbstract legt dieses fesselnde Buch allen ans Herz, die wissen wollen, wohin sich unsere Spezies entwickeln könnte.

Take-aways

  • Nachdem der Mensch Hunger, Krankheit und Krieg weitgehend überwunden hat, strebt er nun nach Unsterblichkeit, Glück und Göttlichkeit.
  • Seit dem Beginn der kognitiven Revolution vor 70 000 Jahren hat der Mensch seine Macht kontinuierlich ausgebaut.
  • Von anderen Tieren unterscheiden ihn weder Seele noch Bewusstsein, sondern seine Fähigkeit zur flexiblen Organisation und Kooperation.
  • Fantasiegeschichten über Götter, Nationen oder Papiergeld haben für Ordnung gesorgt.
  • Die humanistische Revolution machte den Menschen zur letzten moralischen Instanz.
  • Doch der liberale Humanismus steht und fällt mit dem Glauben an den freien Willen.
  • Wissenschaftler konnten bislang kein autonomes Ich finden. Für sie sind alle Organismen Algorithmen, und das Leben ist Datenverarbeitung.
  • Nichtorganische Algorithmen könnten die menschlichen irgendwann komplett ersetzen.
  • Wir müssen immer höher hinaus, um dem Gott des ewigen Wachstums zu opfern – und schaffen uns dabei selbst ab.
  • Wir müssen heute entscheiden, ob wir dieses Morgen wirklich wollen.

Zusammenfassung

Next step: Homo deus

Erstmals in der Geschichte muss sich ein Großteil der Menschen nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, wie sie Hunger, Krankheit und Krieg überleben sollen. Weit mehr Menschen sterben an Fettleibigkeit, Krebs und Herzleiden als an Unterernährung und Infektionskrankheiten. Die Wahrscheinlichkeit, durch Krieg oder Kriminalität ums Leben zu kommen, ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen – dramatisch gesunken. Diese beispiellose Erfolgsgeschichte lässt die Menschen nach neuen Zielen streben:

  • Unsterblichkeit: Lange galt der Tod als unvermeidbarer Schritt auf dem Weg ins verheißungsvolle Jenseits. Heute betrachten wir ihn als lösbares, technisches Problem. Einige, darunter die Wissenschaftler im Google-Subunternehmen Calico, sehen im Sieg über den Tod das wichtigste Menschheitsprojekt überhaupt.
  • Glück: Ursprünglich wurden die westlichen Wohlfahrtssysteme gegründet, um die Nation zu stärken und gesunde Soldaten, Arbeiter und Beamte hervorzubringen. Heute erwarten wir vom Staat eine Glücksgarantie. Die Evolution hat uns jedoch darauf programmiert, nie zufrieden zu sein und von allem Guten immer mehr zu wollen. Auf Dauer kann dieses Bedürfnis nur durch Manipulation unserer Biochemie befriedigt werden.
  • Göttlichkeit: Nach ewigem Glück und Leben zu streben bedeutet, uns an die Position Gottes zu stellen. Bioingenieure werden die evolutionären Veränderungen, die in Millionen von Jahren zum Homo sapiens führten, nicht erneut verstreichen lassen, sondern das gewünschte Ergebnis selbst erreichen wollen – indem sie Gencodes umschreiben und Gehirnströme umleiten.

„Eine Ökonomie, die auf immerwährendem Wachstum gründet, braucht grenzenlose Projekte – wie eben das Streben nach Unsterblichkeit, Glück und Göttlichkeit.“

Viele Menschen fürchten sich davor, in einer solchen Welt irrelevant zu werden. Doch Prognosen sind nicht dann erfolgreich, wenn sie sich irgendwann erfüllen. Vielmehr helfen sie uns, heute bessere Entscheidungen zu treffen. Wir beschäftigen uns nicht mit Geschichte, um uns die Zukunft auszumalen, sondern um sie ganz neu zu zeichnen und zu verändern.

Das Anthropozän

Der Mensch hat der Erde seit Beginn der kognitiven Revolution vor 70 000 Jahren seinen Stempel aufgedrückt. Unter anderem hat er die Tiere in großem Ausmaß domestiziert: Heute gibt es nur noch rund 200 000 wild lebende Wölfe, aber 400 Millionen Hunde auf der Welt. Als Jäger und Sammler glaubten die Menschen noch, dass sie und die Tiere gleichberechtigt nebeneinander existierten. Doch im Zuge der Agrarrevolution machte die Menschheit mit ihren neu erfundenen Göttern einen Deal: Solange die Menschen gewisse Regeln einhielten, mehrten die Götter für sie die Früchte der Erde und gaben ihnen das Recht, nichtmenschliches Leben auszubeuten.

„Zählt Macht vor Recht? Ist menschliches Leben wertvoller als das des Schweins, nur weil das menschliche Kollektiv mächtiger ist als das Schweinekollektiv?“

Mit der wissenschaftlichen Revolution vor 500 Jahren zerbrach dieser Pakt. Heute ist der Mensch keinem Gott mehr Rechenschaft schuldig: Er wurde selbst zu einem. In seiner Hybris glaubt er sich im Recht, wenn er Tieren Leid zufügt. Zwischen Tieren und Menschen, so sein Argument, bestehe nun mal ein fundamentaler Unterschied. Leider gibt es hierfür keinerlei Belege. Das vermeintliche Alleinstellungsmerkmal Seele wurde als Mythos entlarvt. Ein Bewusstsein besitzen sowohl Mensch als auch Tier – obwohl wir bis heute erstaunlich wenig darüber wissen, wie genau Milliarden von elektrischen Impulsen im Gehirn beispielsweise das subjektive Gefühl von Wut erzeugen.

„Plötzlich zeigen wir nie gekanntes Interesse am Schicksal sogenannter niederer Lebensformen, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass wir selbst kurz davorstehen, eine solche zu werden.“

Bleibt die Frage, warum der Mensch und nicht der Elefant oder Löwe sich zum Alleinherrscher über die Erde aufschwingen konnte. Die Antwort ist die gleiche, die auch den Erfolg von Potentaten oder Topmanagern erklärt: Ausschlaggebend für Machtgewinn – auf individueller wie kollektiver Ebene – ist die einzigartige Fähigkeit des Menschen, sich flexibel zu organisieren und zu kooperieren.

Begnadete Geschichtenerzähler

Voraussetzung hierfür sind von Menschen erdachte künstliche Ordnungen und gemeinsame Geschichten. Wir teilen mit anderen Tieren die Wahrnehmung einer äußeren und einer inneren Wirklichkeit. Zusätzlich sind wir jedoch Meister der Intersubjektivität und Abstraktion. Mit ihrer Hilfe konnten wir Geschichten über Götter erfinden und an sie glauben. Ebenso aber auch Geschichten über Imperien, Papiergeld, Kommunismus, Nationalstaaten, Demokratie oder Menschenrechte. Wie im Fall der Heiligen Schriften funktionieren die Geschichten nur, wenn der Realität eine gehörige Portion Mythos beigefügt wird. Die Bibel ist geschichtswissenschaftlich ein Buch der Irrtümer und Hirngespinste – und doch glauben Millionen daran. Warum? Weil sie eine fruchtbare Grundlage für die menschliche Zusammenarbeit bot und einigen noch immer bietet.

„In Wahrheit hat das Leben der meisten Menschen nur in dem Geflecht der Geschichten, die sie einander erzählen, einen Sinn.“

Viele meinen, die moderne Wissenschaft habe die Dominanz der Geschichtenerzähler gebrochen. Doch das beruht auf einem völlig falschen Verständnis von Religion. Religion gibt menschlichen Gesetzen und Normen eine übermenschliche Rechtfertigung. Das gilt für das Juden- oder Christentum ebenso wie für den Kommunismus oder Nationalsozialismus. Sobald der moderne Mensch erkannte, dass die Welt keinem kosmischen Plan folgt, sondern pures Chaos ist, verzichtete er auf den göttlichen Sinn und bekam dafür die Macht, dem Chaos eine menschliche Ordnung aufzuzwingen.

Allmächtiger Homo sapiens

Die humanistische Revolution der Moderne ersetzte Gott durch den Menschen. Von nun an wollte dieser selbst bestimmen, was gut oder böse, schön oder hässlich ist. Als letzte Instanz galten der freie Wille und die eigenen Gefühle: Unmoralisch ist demnach eine Tat, wenn jemand anders wegen ihr leiden muss. Kunst ist, was die Menschen dafür halten. Und verkauft wird, was der Verbraucher will. Die empirischen Wissenschaften waren für die Tatsachen zuständig, und bei moralischen Fragen sollten wir unsere eigenen Erfahrungen und unsere Sensibilität zurate ziehen.

„Es wird immer schwieriger, aber auch immer wichtiger werden, Fiktion und Wirklichkeit sowie Religion und Wissenschaft auseinanderzuhalten.“

Die Religion des liberalen Humanismus setzte in erster Linie auf Introspektion und die Vermehrung des individuellen Glücks. Der sozialistische Humanismus schrieb sich Gleichheit und kollektives Glück auf die Fahnen, und der evolutionäre Humanismus glaubte an die Kraft der natürlichen Auslese und die Überlegenheit bestimmter Zivilisationen. Zwischen 1914 und 1989 lieferten sich die drei Splittergruppen einen erbitterten Religionskrieg, doch am Ende behielten die liberalen Humanisten mit ihrem Versprechen von Demokratie, Marktwirtschaft und unbegrenztem Konsum die Oberhand.

„Wenn Gentechnik und künstliche Intelligenz ihr volles Potenzial entfalten, könnten Liberalismus, Demokratie und freie Märkte genauso obsolet werden wie Feuersteinklingen, Musikkassetten, der Islam und der Kommunismus.“

Heute kriselt das System, das Unbehagen wächst. Der moderne faustische Pakt hat dem Menschen zwar mehr Macht verschafft, ihn aber auch vom grenzenlosen Wirtschaftswachstum abhängig gemacht. Denn nur Wachstum garantiert die komfortable Win-win-Situation, an die wir uns alle gewöhnt haben: Wenn einer mehr hat, erhält der Nächste noch mehr. Um diese Dynamik aufrechtzuerhalten, ohne an die ökologischen Grenzen des Planeten zu stoßen, bräuchten wir alle zwei Jahre ein neues technologisches Wunder.

Ich, wo bist du?

Eine tragende Säule des Liberalismus ist der Glaube an den freien Willen. Er gibt dem menschlichen Leben Sinn. Bedauerlicherweise hat die Biowissenschaft keinen freien Willen gefunden, sondern nur Gene, Nerven, Hormone und jede Menge Kettenreaktionen biochemischer Ereignisse. Dieser Prozess ist entweder zufällig oder deterministisch oder eine Mischung aus beidem – aber er ist nicht frei. Selbst komplexe Gefühle wie Liebe oder Wut lassen sich mithilfe einer gezielten elektronischen Stimulation am Gehirn künstlich erzeugen. Und das eine, untrennbare Ich ist ebenfalls eine Illusion. Unsere Entscheidungen sind immer die Folge vieler, zum Teil widerstreitender Stimmen und Instanzen, die realen Ereignissen und absurden Fantasien im Nachhinein einen Sinn verleihen. Ein Beispiel hierfür ist die Tendenz, die Opfer von im Krieg gefallenen Soldaten reflexartig für sinnvoll zu erklären – selbst wenn sämtliche Fakten dagegensprechen.

Der Mensch, ein suboptimaler Algorithmus?

Im 20. Jahrhundert war der Glaube an das Individuum stark ausgeprägt. Denn dieses war in der Wirtschaft ein Produktivfaktor und konnte zudem in den Krieg ziehen. Beide Funktionen werden die meisten Menschen im 21. Jahrhundert verlieren, und damit verlieren sie rapide an Wert. Entscheidungsträger werden kaum noch auf Menschenrechte und individuelle Freiheiten pochen, wenn sich das für sie nicht mehr rechnet. Zwar haben Computer nach wie vor kein Bewusstsein erlangt. Doch sie sind unendlich viel intelligenter als in ihren Anfangstagen: Sie können Auto fahren, Krankheiten diagnostizieren oder an der Börse spekulieren. Je besser sie das tun, desto nutzloser wird der nichtoptimierte Mensch. Optimisten entgegnen an dieser Stelle meist, dass alte Berufe immer durch neue, innovativere ersetzt wurden. Das stimmt zwar mit Blick auf die Vergangenheit. Es ist aber unwahrscheinlich, dass es auch in Zukunft zutreffen wird.

„Die wichtigste ökonomische Frage des 21. Jahrhunderts dürfte sein, was wir mit all den überflüssigen Menschen anfangen.“

Die moderne Wissenschaft geht davon aus, dass alle Organismen biologische Algorithmen und dass subjektive Erfahrungen Datenverarbeitung sind. Warum sollten organische Algorithmen den nichtorganischen langfristig überlegen bleiben? Einige glauben an die Kunst als letzte Bastion des Menschen. Doch selbst hier gibt es Anlass zu Zweifeln: Ein kalifornischer Musikprofessor entwickelte ein Computerprogramm mit dem Namen EMI (Experiments in Musical Intelligence), das Musik im Stil Bachs komponieren kann. Auf einem Festival waren Zuhörer von EMIs Stücken restlos begeistert, solange sie glaubten, Bach zu hören – und wütend, als sie die Wahrheit erfuhren. Die Entwicklung insgesamt wirft jede Menge Fragen auf:

  • Was soll aus den kognitiv und physisch unterlegenen Massen werden, wenn eine Elite optimierter Menschen die besten Algorithmen besitzt und kontrolliert?
  • Was passiert mit der Menschheit, wenn eine künstliche Intelligenz selbst dieser Elite irgendwann überlegen ist?
  • Was wird aus humanistischen Glaubenssätzen und Praktiken wie dem freien Willen und freien Wahlen, wenn Algorithmen uns besser kennen als wir uns selbst?

Allmächtige Algorithmen

Der Glaube an den technologischen Fortschritt verspricht Glück und ewiges Leben auf Erden mithilfe von Algorithmen und Genmanipulationen. Es gibt zwei verschiedene Glaubensrichtungen:

  • Techno-Humanismus: Ähnlich wie vor 70 000 Jahren ein paar Veränderungen in der DNA es dem Homo sapiens ermöglichten, die Schrift, Götter und Unternehmen zu schaffen, sollen ein paar Neuverdrahtungen und das Andocken des menschlichen Gehirns an Computer unseren Geist so optimieren, dass wir Zugang zu neuen Bewusstseinszuständen erhalten. Bei diesem „Upgrade“ könnten unproduktive Geisteszustände wie Träumen, Trauern oder Zweifeln verloren gehen.
  • Dataismus: Dieser bewertet jedes Wesen danach, wie gut es Daten verarbeitet. Dataisten trauen Big Data mehr zu als menschlicher Klugheit und plädieren dafür, wichtige Entscheidungen Computern zu überlassen. Das Heilsversprechen des Dataismus liegt im Internet der Dinge, das sich auf das gesamte Universum ausbreiten soll. Aus Sicht der Datenjünger trennt den Menschen von elektronischen Superhirnen genauso viel wie das Huhn vom Menschen.

„Die Algorithmen werden nicht aufbegehren und uns versklaven. Vielmehr werden sie Entscheidungen für uns so gut treffen, dass wir verrückt wären, ihrem Rat nicht zu folgen.“

Der höchste Wert der Techno-Religionen ist die Freiheit der Information, unbegrenzt zu fließen. Mehr als Informationsfreiheit braucht es nach Ansicht der Dataisten nicht, damit die Wirtschaft wächst und die Menschen glücklich sind. Wie so viele Revolutionen geht auch diese schleichend voran.

Aber sie ist weiter, als viele wahrhaben wollen. Schon heute schreiben sich viele Algorithmen selbst, indem sie sich durch die Verarbeitung enormer Datenmengen kontinuierlich weiterentwickeln. Die meisten Menschen opfern den neuen Göttern bereitwillig ihre Daten, damit diese ihnen Glück und Anerkennung schenken. Manchen erscheint ein Leben, das nicht permanent digital geteilt wird, sinnlos.

„Über Millionen von Jahren waren wir Schimpansen in verbesserter Ausführung. In Zukunft könnten wir zu Ameisen in Übergröße werden.“

Dennoch ist die Entwicklung kein Selbstläufer. Wir müssen die Techno-Religionen kritisch hinterfragen. Niemand konnte bisher eindeutig beweisen, dass Organismen Algorithmen sind. Aber wir sollten uns mit einer Zukunft auseinandersetzen, in der diese Annahme uneingeschränkt gilt. Und dann müssen wir entscheiden, ob wir diese Zukunft wirklich wollen.

Im September 2018, zwei Jahre nach dem Erscheinen der englischen Fassung, gab es von dem Buch bereits 24 Übersetzungen auf dem Weltmarkt. Das Time-Magazine listet „Homo Deus“ als eines der zehn besten Sachbücher des Jahres 2017.[2] Auch in Deutschland konnte es sich nach seinem Erscheinen Anfang 2017 ab März auf der SpiegelBestsellerliste platzieren, erreichte im April den 2. Platz und war bis zum Ende des Jahres immer unter den Top 20 dieser Auflistung zu finden, womit es eines der erfolgreichsten Sachbücher dieses Jahres wurde.[3]

Das Werk hat eine große Beachtung in den Medien weltweit erzielt. Rezensionen erschienen u. a. in: Die Zeit,[4] Der Tagesspiegel,[5] Der Spiegel,[6] New York Times,[7][8] und The Guardian.[9] Dabei sieht es Adriane Lobe in der Zeit als ein Weckruf für die Menschheit, um den Kontrollverlust an die Technik zu verhindern. Ähnlich wird das Buch auch bei der internationalen Presse analysiert – so beschreibt Tim Adams im Guardian eine Auseinandersetzung zwischen Intelligenz und Bewusstsein, welche über den Verlust des Menschen an die Maschinen entscheidet und Jennifer Senior in der New York Times hofft, dass man noch rechtzeitig den Reset-Knopf findet, um ein dargestelltes Szenario wie in der Fernsehserie Westworld zu verhindern. Im Tagesspiegel verweist Wolfgang Schneider darauf, dass der Autor seine Plauderei über das Auslaufmodell Mensch selbst als Denkmöglichkeit bezeichnet. Dabei wird ihm auch der Abgesang auf Seele, Freier Wille und Individualismus mit zu viel Lust an der Pointe vorgeworfen. Im Deutschlandfunk bescheinigt Susanne Billig dem Autor eine stilistisch fulminante, interdisziplinär mutige Prognose, ihr fehlt jedoch bei der Darstellung des durch Technologie erzeugten gottgleichen Menschen die Option des Zweifels.[10] Claudia Mäder in der Neue Zürcher Zeitung findet die Propagierung des Transhumanismus und die Überwindung der liberal-humanistischen Grundordnung zu dramatisierend, da sie eine so exakte Vorhersage der Zukunft für nicht möglich hält.[11]

Auf der Grundlage einer mehrmonatigen Analyse hat das Institut für Wirtschaftsinformatik & Gesellschaft an der WU Wien eine umfangreiche Kritik veröffentlicht:.[12] „Harari überschätzt Technik. Er propagiert ein reduktionistisches Menschenbild. Er beschreibt eine Verpflichtung, sich technisch zu optimieren. Und er stellt seine Geschichte als unausweichlich dar, obwohl er doch gerade als Historiker wissen müsste, dass Geschichte nie streng kausal verläuft und es oft anders kam als gedacht.“[13] Das Buch sei kein Sachbuch, es gehöre in die Rubrik Belletristik.[13]

Über den Autor

Yuval Noah Harari lehrt Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem. Er ist auch Autor des Welterfolgs Eine kurze Geschichte der Menschheit.

Wikipedia: Yuval Noah Harari (* 24. Februar 1976 in Kiryat Ata, Bezirk Haifa)[1] ist ein israelischer Historiker. Er lehrt seit 2005 an der Hebräischen Universität Jerusalem und ist mit Forschungen zur Militärgeschichte und universalhistorischen Thesen hervorgetreten. Seine populärwissenschaftliche Monographie Eine kurze Geschichte der Menschheit wurde zu einem internationalen Bestseller. Auch die dystopisch in die Zukunft zielende Nachfolgepublikation Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen sowie die auf Orientierung in der Gegenwart gerichteten 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert erreichten in zahlreichen Übersetzungen eine breite Leserschaft. Harari, der als Gesellschaftsanalytiker und Vordenker auch von internationalen Spitzenpolitikern geschätzt und empfangen wird, schreibt regelmäßig Kolumnen für die Tageszeitung Haaretz. …

Rezeption

Mit seinen drei Bestsellerwerken Eine kurze Geschichte der Menschheit, Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen sowie 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert – der Spiegel schreibt von auf Deutsch „fast 1600 Seiten Weltwissen“ – hat sich Harari einen weithin bekannten Namen gemacht und wird unterdessen international als Ideengeber oder Berater von Spitzenpolitikern herangezogen. Barack Obama schätzt ihn als Inspirationsquelle; Angela Merkel, Emmanuel Macron und Sebastian Kurz trafen ihn zum Gedankenaustausch.[28]

Von wissenschaftlicher Seite wurden Hararis Werke kritisiert. Die Neurowissenschaftlerin Darshana Narayanan warf dem Autor 2022 vor, er sei wissenschaftlich in vielerlei Hinsicht „a fraud“ („ein Betrüger“). Seine Bücher seien nie einem wissenschaftlichen Faktencheck unterzogen worden, da die Fragestellungen in der Regel so umfassend seien, dass sich Wissenschaftler als Experten auf Spezialgebieten nicht zuständig gefühlt hätten. Harari sei es so gelungen, durch gekonntes Storytelling ein Bild von der menschlichen Spezies zu zeichnen, das in vielerlei Hinsicht Überzeugungen des Silicon Valley von einer datengetriebenen Gesellschaft entspreche, aber Argumente der Humanwissenschaften unterschlage, die ein weit vielfältigeres und komplexeres Bild des Menschen zeichneten.[29] Nils Güttler (ETH Zürich) sieht Hararis Werke als Beispiel eines populärwissenschaftlichen Literaturtypus, die dominierende Motive über große Zeitspannen ersännen (Big History), was im Falle von Hararis Menschheitsgeschichte für „marktgesteuerte, industrienahe und zukunftsorientierte Formen der Wissensproduktion“ plädiere. Sie stellten damit einen „neuen Modus von Geisteswissenschaft“ dar, in der „der Historiker […] zum Unternehmer“ werde.[30]

Human Machines – Review of Homo Deus: A Brief History of Tomorrow, Yuval Noah Harari • HarperCollins • 2016, by David Meyer

Best-selling public intellectual Yuval Noah Harari argues that free will doesn’t exist, that people worship themselves and that AI will destroy you.

Yuval Noah Harari, PhD, lectures on world history at the Hebrew University of Jerusalem and wrote the bestsellers Sapiens: A Brief History of Humankind and 21 Lessons for the 21st Century. His books have been translated into more than 50 languages with more than 12 million copies sold worldwide.

Smart, original and compelling, Harari considers the consequences of humanism and the pursuit of divinity. He suggests a future world in which humans create AI, which will come to dominate society and treat people like slaves or animals. Homo sapiens don’t have free will, in his estimation, and he regards consciousness as a mirage. His is not a charitable view.

Readers love Harari and reviewers really love him. The Observer (London) called this “… a highly seductive scenario planner for the numerous ways in which we might overreach ourselves.” The Washington Post said, “Harari’s formidable intellect sheds light on the biggest breakthroughs in the human story…important reading for serious-minded, self-reflective sapiens.” However, as much as reviewers praise Harari’s intellectual credentials, he clearly writes for a mass audience and is never inaccessible.

The New Religion of Humanism 

Harari contends that humans rule the world because they organize and tell stories. Only humans create “fictions,” including governments, corporations, money, laws, religion and nations. 

Having raised humanity above the beastly level of survival struggles, we will now aim to upgrade humans into gods – and turn Homo sapiens into Homo deus.Yuval Noah Harari

Contemporary people can hold onto power not because they’re smarter than early humans, the author avows, but because they have imagination. 

Harari notes that as people turned from hunting to farming about 8,000 years ago, they required fewer gods. One god would do, he notes, if it sanctioned the mass killing of animals and the enslavement of peoples. Today, Harari says, people worship themselves. This new religion – humanism – posits individuals and their experiences as the most important thing in the universe. 

Techno-Humanism

Humanists defend the individual’s right to make personal choices – Harari states that they regard this as free will. But, he reports, over the past decade, neuroscience and biology revealed that humans may not actually possess free will. Harari maintains that your subconscious controls about 99% of what you do, and your DNA predetermines your choices. 

He insists that human nature, depressingly, makes people miserable; they live in a perpetual state of dissatisfaction. Up ahead, he predicts an age of techno-humanism – a combination of biotechnology, data and artificial intelligence (AI). Any person or nation that fails to learn and embrace it, he cautions, will face irrelevance and extinction.

Eternal Life 

Harari thinks people value life and experience and thus, they will try to upgrade themselves and prolong their lives – re-making themselves into immortals: gods.

The shifting of authority from humans to algorithms is happening all around us, not as a result of some momentous governmental decision, but due to a flood of mundane personal choices.Yvval Noah Harari

Most religious people today, Harari thinks, worship God in the abstract and follow man’s law, not God’s, setting the stage to transfer God’s authority to themselves.

Artificial Intelligence 

Harari argues that for humankind to reverse aging, it needs incredibly powerful algorithms. Increasingly, he maintains, algorithms will know you better than you know yourself. They’ll tell you where and what to study, where to work, how to vote for and even which person to marry. As people delegate decision-making to AI, Harari suggests – in a stretch even for him – they will grow irrelevant, especially to their (dissatisfied) selves.

As AI lowers human worth, Harari contends, AI might judge humans superfluous and exterminate them. People will develop superhuman intelligence in tiny increments and, like global warming, he says, AI won’t seem dangerous until it reaches a tipping point – and then it will be too late to fix AI.

A Failure of Free Will

Harari argues that people lack the free will to stop themselves from this destiny. He points to a newly-emerged scientific consensus that humans are merely a set of biological algorithms programed to make the decisions they make.

Harari holds out hope that because humans have tried and failed at many ambitious things, they will also fail to create superhuman intelligence. He proves least convincing when raising alternatives to the future he envisions. Accelerated, human-driven evolution of superintelligent AI, Harari insists, will come about because humans don’t possess the free will to stop themselves. 

Brilliant Cynicism

Harari offers a well-developed, well-researched and articulate cynic’s perspective. His view of humans as pre-programed animals incapable of getting out of their own way makes for fascinating reading, but it’s not for those who take offense at outlying religious or political views. Harari has little use for religions, deities, societies, governments or science and even less regard for the transcendence of human connection – you know: love.

Consciousness may be a kind of mental pollution produced by the firing of complex neural networks. It doesn’t do anything. It is just there.Yuval Noah Harai

He regards the human brain as people’s most dangerous organ, especially since he believes human beings have no idea what to do with the little sense they possess. The main problem with his arguments is that they seem well-founded, carefully thought out and sincerely held. While you may dispute his dystopian visions of the future, Harari makes his points clearly and persuasively in this bleak presentation of the present and near future, and how humankind created both.

If Harari speaks to you, then your most rewarding ancillary reading will be more Harari: Sapiens and 21 Lessons for the 21st Century.

David N Meyer is a content editor at getAbstract and author of The 100 Best Films To Rent You’ve Never Heard OfTwenty Thousand Roads: The Ballad of Gram Parsons and His Cosmic American MusicThe Bee Gees: The Biography, and other books. You can find his essays on film and music at davidnmeyer.com

Zentralbanken

INTERNATIONAL

AMERIKA: USA, VENEZUELA, u.a.

US-Handelsministerium belegt Import von Zinnprodukten mit Zöllen

Von Denny Jacob

WASHINGTON (Dow Jones)–Das US-Handelsministerium stellte fest, dass Importe von Zinnprodukten aus Kanada, China, Deutschland und der Republik Korea zu unfairen Preisen oder Dumpingpreisen auf den US-Markt gelangten. Es wurde zudem festgestellt, dass Importe von Zinnprodukten aus China subventioniert werden. Das Ministerium ermittelte den Dumping-Satz auf Basis der Untersuchung, wobei China die Liste anführt. Die US-International Trade Commission wird bestimmen, ob die inländische Industrie durch die Importe materiell geschädigt oder bedroht wurde, erklärte das Ministerium.

ASIEN: CHINA, JAPAN u.a.

Partei von Regierungschefin Hasina gewinnt Parlamentswahl in Bangladesch

In Bangladesch hat die Partei von Regierungschefin Sheikh Hasina die von der Opposition boykottierte Parlamentswahl klar gewonnen. Wie die Wahlkommission am Montag (Ortszeit) mitteilte, errang Hasinas Regierungspartei Awami League mindestens 220 der 300 Sitze im Parlament. Das offizielle Ergebnis sollte im Laufe des Tages bekanntgegeben werden. Die Wahlbeteiligung lag laut Schätzungen der Wahlkommission bei etwa 40 Prozent.

Bangladesch: Wahlen fast ohne Opposition

120 Millionen Wähler und Wählerinnen sind in Bangladesch bei der Parlamentswahl am Sonntag registriert. Eine echte Wahl haben sie aber nicht. Die langjährige Premierministerin Scheich Hasina Wajed und ihre Awami-Liga stehen schon jetzt als Sieger fest – oder so gut wie. Die einzige Oppositionskraft, die die Regierung herausfordern könnte, die Bangladesh Nationalist Party (BNP), boykottiert die Wahl. Für Hasina ist es die vierte Amtszeit in Folge.

Seit ein paar Tagen patrouillieren Soldaten auf den Straßen der Hauptstadt Dhaka. Zur Sicherheit und um den Behörden während der Parlamentswahl und in den Tagen danach zu helfen, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, wie die Armee vor dem Wochenende verlauten ließ – zusätzlich übrigens zu 750.000 Angehörigen der zivilen Sicherheitskräfte. Bangladesch hat 170 Millionen Einwohner und Einwohnerinnen.

Die Opposition befürchtet weitere Repressionen. Sie sieht die Wahl mehrheitlich als Farce, die nationalistische BNP, die größte und einflussreichste Gruppierung, boykottiert sie überhaupt. Tausende und Abertausende Funktionäre und Anhänger der BNP sind im Gefängnis, die meisten eingesperrt seit den sozialen Protesten im Oktober und nach einer Reihe heftiger Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften.

Bitterer persönlicher Machtkampf seit Jahrzehnten

Die regierende Awami-Liga und die oppositionelle BNP stehen einander seit Jahrzehnten feindselig gegenüber, was entscheidend mit den zwei Frauen an der Spitze der Parteien zusammenhängt, Hasina (Awami-Liga) und Khaleda Zia (BNP). Das spannungsreiche Verhältnis geht auf die Zeit der Trennung von Pakistan und die Erklärung der Unabhängigkeit von Bangladesch Anfang der 70er Jahre zurück – und auf die Ermordung von Hasinas Familie im Zuge eines Armeeputsches.Sechs Jahre mit Gewalt: vorwiegend gewaltsame Proteste mit Anhängerinnen und Anhängern der BNP von 5.1.2018 bis 7.12.2023 (Video-Graphik online)

Hasinas Vater, so etwas wie der Vater der bengalischen Nation, wurde bei dem Staatsstreich ebenso getötet wie viele andere Mitglieder ihrer Familie. Der Verdacht bestand, dass Zias Mann eine Rolle dabei spielte. Die Hintergründe wurden nie aufgeklärt, umso mehr haben sich Vorwürfe und Verdächtigungen verfestigt.

Zia, 78 Jahre alt, war selbst zweimal Premierministerin, Hasina, 76 Jahre alt, insgesamt viermal, demnächst vermutlich ein fünftes Mal. Beide haben im Regierungsamt autoritäre Züge gezeigt und einander nichts geschenkt. Zia steht unter Hausarrest, ihr Sohn, führender Kopf in der BNP, ist im Exil.

Premierministerin Hasina festigt ihre Macht

Hasina hat sich in den vergangenen Jahren immer öfter den Vorwurf gefallen lassen müssen, die demokratischen Institutionen zu schwächen und ihre Macht autoritär auszubauen. In der eigenen Partei, der Awami-Liga, und weit darüber hinaus, in der staatlichen Verwaltung, der Justiz und im Sicherheitsapparat.

Die letzte Parlamentswahl diente der Opposition als Beispiel. Die Awami-Liga gewann fast alle der 350 Sitze. Und auch in diesem Jahr besteht der Verdacht, dass allenfalls kosmetische Kunstgriffe das Bild von Demokratie vermitteln und über den Oppositionsboykott hinwegtäuschen können. Absprachen mit Kleinparteien zum Beispiel, die im Grunde wenig Unterstützung haben und keine Rolle spielen, oder die Aufstellung von Kandidaten, die nichts anderes sind als Attrappen.

Im Ausland wird Hasina oft positiver gesehen. Wirtschaftlich gilt Bangladesch in den 15 Jahren ihrer Regierung eher als Erfolgsmodell, zumindest steht einiges auf der Habenseite. Die Aufnahme der muslimischen Rohingya hat ihr Respekt eingetragen. Kritik an Demokratiedefiziten und Menschenrechtsverletzungen in den USA und der EU fängt sie ab, und zwischen China und Indien, den Riesen in der Nachbarschaft, manövriert sie geschickt.

Hartmut Fiedler für ORF.at

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AUSTRALIEN

AFRIKA

ZENTRALASIEN

NAH-/MITTELOST: ISRAEL u.a.

EUROPA

Schweiz: Durchschnittliche Jahresteuerung von +2,1% im Jahr 2023
 
Der Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) blieb im Dezember 2023 im Vergleich zum Vormonat unverändert beim Stand von 106,2 Punkten (Dezember 2020 = 100). Gegenüber dem entsprechenden Vorjahresmonat betrug die Teuerung +1,7%. 2023 belief sich die durchschnittliche Jahresteuerung auf +2,1%. Dies geht aus den Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS) hervor.
 
Die durchschnittliche Jahresteuerung 2023 entspricht der Veränderungsrate zwischen dem Jahresmittel 2023 und dem Jahresmittel 2022. Das Jahresmittel berechnet sich als arithmetischer Durchschnittswert der zwölf Monatsindizes des Kalenderjahres. 2023 betrug die durchschnittliche Jahresteuerung +2,1%. Dieser Anstieg ist insbesondere auf höhere Preise für Elektrizität und Gas sowie auf höhere Wohnungsmieten zurückzuführen. Demgegenüber sind die Preise für Erdölprodukte, Kombi-Angebote Fest- und Mobilnetz sowie für Medikamente gesunken. Die Preise der einheimischen Produkte haben sich im Jahresdurchschnitt um +2,4% erhöht, jene der Importgüter um +1,4%. 2022 hatte die durchschnittliche Jahresteuerung bei +2,8% gelegen, 2021 bei +0,6%.
 
Die Preisstabilität gegenüber dem Vormonat resultiert aus entgegengesetzten Entwicklungen, die sich insgesamt aufgewogen haben. Die Preise für die Hotellerie und Parahotellerie sind gestiegen, ebenso wie jene für den öffentlichen Verkehr und den Luftverkehr. Demgegenüber sind die Preise für Treibstoffe und Heizöl sowie für Pauschalreisen ins Ausland und für Medikamente gesunken.   

Schweizer Detailhandelsumsätze steigen im November 2023 um 1,6%

Die um Verkaufs- und Feiertagseffekte bereinigten Detailhandelsumsätze sind im November 2023 im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresmonat nominal um 1,6% gestiegen. Saisonbereinigt sind die nominalen Detailhandelsumsätze gegenüber dem Vormonat um 0,6% angewachsen. Dies zeigen die provisorischen Ergebnisse des Bundesamtes für Statistik (BFS).

Die realen, um Verkaufs- und Feiertagseffekte bereinigten Detailhandelsumsätze sind im November 2023 im Vorjahresvergleich um 0,7% gestiegen. Die reale Entwicklung berücksichtigt die Teuerung. Gegenüber dem Vormonat erhöhten sich die realen Detailhandelsumsätze saisonbereinigt um 0,7%.

Detailhandel ohne Tankstellen

Bereinigt um Verkaufs- und Feiertagseffekte verzeichnete der Detailhandel ohne Tankstellen im November 2023 gegenüber November 2022 ein Wachstum des nominalen Umsatzes von 2,0% (real +1,0%). Der Detailhandel mit Nahrungsmitteln, Getränken und Tabakwaren verbuchte eine Zunahme des nominalen Umsatzes von 1,3% (real –1,4%), während der Nicht-Nahrungsmittelsektor ein nominales Plus von 2,7% registrierte (real +3,1%).

Saisonbereinigt verbuchte der Detailhandel ohne Tankstellen im November gegenüber dem Vormonat ein nominales Umsatzwachstum von 0,6% (real +0,6%). Der Detailhandel mit Nahrungsmitteln, Getränken und Tabakwaren verzeichnete einen nominalen Umsatzrückgang von 0,4% (real –0,6%). Der Nicht-Nahrungsmittelsektor registrierte ein nominales Plus von 1,6% (real +2,2%).

Umsätze im Schweizer Dienstleistungssektor gehen im Oktober 2023 um 11,9% zurück

Die um Arbeitstageffekte bereinigten Dienstleistungsumsätze sind im Oktober 2023 im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresmonat um 11,9% gefallen. Zu dieser Entwicklung hat hauptsächlich der Handel beigetragen. Dies zeigen die provisorischen Ergebnisse des Bundesamtes für Statistik (BFS).

Der Wirtschaftsabschnitt «Handel» verbuchte im Oktober 2023 gegenüber dem entsprechenden Vorjahresmonat einen Umsatzrückgang von 15,9% und auch der Wirtschaftsabschnitt «Verkehr und Lagerei» verkleinerte seinen Umsatz (–9,1%). Im Wirtschaftsabschnitt «Gastgewerbe/Beherbergung und Gastronomie» gingen die Zahlen im Oktober 2023 gegenüber Oktober 2022 nach oben (+5,4%), während der Bereich «Information und Kommunikation» einen Rückgang von 3,5% meldete. Sinkende Umsatzzahlen wiesen zudem der Wirtschaftsabschnitt «Grundstücks- und Wohnungswesen» (–6,0%) sowie der Bereich «Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen» (–3,3%) aus. Der Wirtschaftsabschnitt «Erbringung von sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen» erlitt ebenfalls Einbussen (–3,0%), wobei die Branche «Reisebüros, Reiseveranstalter und Erbringung sonstiger Reservierungsdienstleistungen» erneut eine hohe Zuwachsrate (+12,3%) verzeichnete.

Antritt bei EU-Wahl: Michel stellt Rat vor prekäre Aufgabe

Der Präsident des Europäischen Rats, Charles Michel, hat angekündigt, für die Wahl zum EU-Parlament im Juni zu kandidieren. Mit der Angelobung des neuen Parlaments im Juli will Michel sein bisheriges Amt des Ratspräsidenten vorzeitig zurücklegen. Der Rat muss sich damit schneller als geplant um eine Nachfolge für Michel bemühen – auch um ein Szenario zu verhindern, das den meisten EU-Staats- und -Regierungschefs Bauchweh bereiten dürfte.

„Ich habe beschlossen, bei der Wahl zum Europäischen Parlament im Juni 2024 zu kandidieren“, sagte er am Sonntag belgischen Zeitungen. Er werde sein Amt als Ratspräsident noch fortsetzen, „bis ich am 16. Juli als Mitglied des Europäischen Parlaments vereidigt werde“, so der belgische Politiker.

Michel tritt den Medien zufolge an der Spitze der französischsprachigen liberalen Partei Mouvement Reformateur (MR) an. Vier Jahre nach Beginn seiner Amtszeit als EU-Ratspräsident sei es seine „Verantwortung, sowohl Rechenschaft über die Arbeit der vergangenen Jahre abzulegen als auch ein Projekt für die Zukunft Europas voranzutreiben“, begründete der 48-Jährige seine Entscheidung.

Druck auf Staats- und Regierungschefs

Für die EU-Staats- und -Regierungschef, derem Gremium Michel bisher als Präsident vorsaß, kommt seine Entscheidung augenscheinlich ungelegen. Sie müssen sich jetzt deutlich schneller als gedacht auf einen neuen Präsidenten einigen. Eigentlich wäre Michels Mandat noch bis Ende November gelaufen.

Michels Schritt erhöhe den Druck auf die Staats- und Regierungschefs, schrieb das Politikportal Politico. Sollten die Vertreterinnen und Vertreter der EU-Staaten bis zum Abgang Michels keinen Nachfolger gefunden haben, sehen die EU-Regeln ein klares Prozedere vor.

Schreckgespenst Orban

Bis Ende November würde dann der Staats- bzw. Regierungschef des Mitgliedslandes, welches zu diesem Zeitpunkt den wechselnden Vorsitz im Europäischen Rat innehat, den Posten des Ratspräsidenten übernehmen. Das wäre nach derzeitigem Stand Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban – und damit der einzige EU-Regierungschef, der nach Russlands Einmarsch in die Ukraine weiter enge Verbindungen zum Kreml unterhält.

Orban würde das während der sechsmonatigen Ratspräsidentschaft einen übergroßen Einfluss verschaffen, schrieb Politico. Dieses Szenario würden die meisten der anderen 26 Staats- und Regierungschefs „unbedingt vermeiden“ wollen, so das Politikportal – eine naheliegende Einschätzung angesichts der fortlaufenden Spannungen zwischen Ungarn und der restlichen EU.

Laut Michel wurde für die Zeit unmittelbar nach der Europawahl ein Treffen des Europäischen Rats angesetzt. Zu diesem Zeitpunkt werde das Gremium der Staats- und Regierungschefs entscheiden müssen, wann sein Nachfolger das Amt antreten werden, erklärte Michel. Offen ließ der Belgier, ob er mit seinem Antreten bei der EU-Wahl auch Hoffnungen auf höhere Ämter verknüpft, wie Fraktionsführer der Liberalen im EU-Parlament oder gar ein Antreten als Nachfolger von Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidenten.

Kritik auch aus liberalem Lager

Vonseiten der Staats- und Regierungschefs wurde Michels Ankündigung bisher noch nicht kommentiert. Erste Kritik an der Entscheidung des Belgiers wurde aber bereits laut – auch unter Liberalen. Die niederländische Europaabgeordnete Sophie in’t Veld von der liberalen Fraktion Renew Europe machte Michel auf dem Kurznachrichtendienst X (Twitter) Vorwürfe: „Der Kapitän verlässt das Schiff inmitten eines Sturms“, schrieb die Parlamentarierin. „Wenn Sie sich so wenig für das Schicksal der Europäischen Union engagieren, wie glaubwürdig sind Sie dann als Kandidat?“

Der Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, sagte am Sonntag, die Kandidatur von Michel dürfe nicht die europäischen Institutionen destabilisieren. Es müsse verhindert werden, dass infolge der Wahl Orban „in eine zentrale Rolle“ komme, so der CSU-Vize Weber bei der Klausur der CSU-Bundestagsabgeordneten im oberbayrischen Kloster Seeon.

Posten vor 15 Jahren eingerichtet

Der Belgier Michel hatte im Jahr 2019 die Nachfolge von Donald Tusk als EU-Ratspräsident angetreten. Der Posten des Ratspräsidenten wurde vor rund 15 Jahren mit dem Vertrag von Lissabon eingerichtet, um der EU mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. Dem Amtsinhaber obliegt die Vorbereitung und Leitung der EU-Gipfel, zu denen sich die 27 Staats- und Regierungschefs in der Regel in Brüssel treffen.

Die Europawahl findet vom 6. bis 9. Juni statt. Bei der weltweit größten länderübergreifenden Wahl bestimmen mehr als 400 Millionen Wahlberechtigte aus 27 EU-Ländern die 720 Mitglieder des Europäischen Parlaments für eine Amtszeit von fünf Jahren. Nach der Wahl werden auch die Spitzen der EU-Kommission und des Rates neu besetzt.

red, ORF.at/Agenturen

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Teilblockade an der deutsch-tschechischen Grenze

DEUTSCHLAND

WAHLUMFRAGEN

Umfrage: Mehrheit würde sich Kanzlerwechsel Scholz/Pistorius wünschen

BERLIN (dpa-AFX) – Fast zwei Drittel der Menschen in Deutschland würden sich laut einer Umfrage einen Kanzlerwechsel von Olaf Scholz zu Boris Pistorius (beide SPD) wünschen. Der Verteidigungsminister, der in Erhebungen zu den beliebtesten Politikern zuletzt regelmäßig vorn lag, sollte nach Ansicht von 64 Prozent in einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Insa für die „Bild“ noch in der bis 2025 laufenden Legislaturperiode Scholz an der Spitze der Regierung ablösen. Dagegen sind 25 Prozent, 11 Prozent wissen es nicht. Ein solcher Wechsel gilt allerdings grundsätzlich als sehr unwahrscheinlich.

Ein etwas wahrscheinlicheres Szenario, ein Duell zwischen Amtsinhaber Scholz und einem Herausforderer Friedrich Merz (CDU), würde der Umfrage zufolge knapp für Merz ausgehen, den bei einer Direktwahl des Kanzlers 26 Prozent bevorzugen würden. Für Scholz wären 23 Prozent. Und: 43 Prozent möchten keinen der beiden. Mit Pistorius im Rennen für die SPD würde sich der Ausgang umdrehen: 25 Prozent wären für Pistorius, 23 Prozent für Merz als Kanzler und wieder die große Mehrheit (39 Prozent) für keinen von beiden. In der Realität wird der Kanzler nicht direkt gewählt, sondern vom Bundestag./mi/DP/he

WEITERE MELDUNGEN

Deutscher Auftragseingang steigt im November leicht

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)–Der Auftragseingang der deutschen Industrie ist im November schwächer als erwartet gewesen. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilte, stiegen die Bestellungen gegenüber dem Vormonat um 0,3 Prozent und lagen kalenderbereinigt um 4,4 (Oktober: 7,3) unter dem Niveau des Vorjahresmonats. Die von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte hatten einen monatlichen Anstieg um 1,0 Prozent prognostiziert.

Der für September vorläufig gemeldete monatliche Auftragsrückgang von 3,7 Prozent wurde auf 3,8 Prozent revidiert. Ohne die Berücksichtigung von Großaufträgen ergab sich im November ein monatlicher Auftragsrückgang von 0,6 Prozent.

Die Auslandsaufträge sanken um 0,4 (minus 7,5) Prozent, während die Inlandsaufträge um 1,4 (plus 2,1) anzogen. Dabei nahmen die Aufträge aus der Eurozone um 1,9 (minus 8,1) Prozent ab, für die Aufträge von außerhalb der Eurozone ergab sich ein Zuwachs von 0,6 (minus 7,1) Prozent. Der Auftragseingang für Investitionsgüter stieg um 0,8 (minus 6,3) Prozent, der für Vorleistungsgüter sank um 0,4 (minus 1,4) Prozent. Die Bestellungen für Konsumgüter erhöhten sich um 1,1 (plus 3,2) Prozent.

Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) gingen im November in den meisten Wirtschaftszweigen mehr Aufträge ein, wobei insbesondere die Bereiche Kfz (plus 4,7 Prozent), chemische Erzeugnisse (plus 3,7 Prozent), elektrische Ausrüstungen (plus 4,8 Prozent) und der Maschinenbau (plus 3,9 Prozent) deutlich höhere Bestellungen als im Vormonat verzeichneten.

Dagegen kam es beim volatilen sonstigen Fahrzeugbau nach dem starken Anstieg im Vormonat zu einem kräftigen Rückprall (minus 32,1 Prozent). Auch die Bestellungen in den Bereichen Metallerzeugung (minus 7,1 Prozent) und pharmazeutische Erzeugnisse (minus 4,7 Prozent) fielen im Vergleich zum Vormonat geringer aus.

Nach Einschätzung des Ministeriums wird eine Erholung der Industriekonjunktur aber im Zuge der binnenwirtschaftlichen Belebung und einer wieder anziehenden Auslandsnachfrage im Laufe der ersten Jahreshälfte einsetzen.  

Deutsche Exporte im November deutlich höher als erwartet

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)–Die deutschen Ausfuhren sind im November deutlich höher als erwartet ausgefallen. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilte, stiegen die Ausfuhren gegenüber dem Vormonat um 3,7 Prozent und lagen um 5,0 Prozent unter dem Niveau des Vorjahresmonats. Von Dow Jones Newswires befragte Volkswirte hatten einen monatlichen Zuwachs von nur 0,3 Prozent prognostiziert. Die Importe erhöhten sich um 1,9 Prozent und unterschritten das Vorjahresniveau um 12,2 Prozent. Erwartet worden war hier ein monatlicher Anstieg von 0,4 Prozent. Die Handelsbilanz wies einen saisonbereinigten Überschuss von 20,4 Milliarden Euro auf. Prognostiziert wurden 17,5 Milliarden.

Deutscher Industrieumsatz sinkt im November

FRANKFURT (Dow Jones)–Der preisbereinigte Umsatz im verarbeitenden Gewerbe Deutschlands ist im November gesunken. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilte, ging der Umsatz gegenüber dem Vormonat um 0,7 Prozent zurück. Der für Oktober gemeldete monatliche Rückgang um 0,5 Prozent wurde auf 0,2 Prozent revidiert. Im Vergleich zum Vorjahresmonat lag der Umsatz im November kalenderbereinigt um 4,9 Prozent niedriger.

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HDE: Verbraucherstimmung trübt sich nach Jahreswechsel ein

Nachdem sich die Verbraucherstimmung in Deutschland noch Ende 2023 erholt hatte, blicken die Verbraucherinnen und Verbraucher im neuen Jahr wieder pessimistischer in die Zukunft. Das geht aus dem aktuellen Konsumbarometer des Handelsverbandes Deutschland (HDE) hervor. Demnach geht der Index im Vergleich zum Vormonat auf 93,57 Punkte von 96,35 Zählern zurück, bleibt aber weiterhin über seinem Vorjahresniveau. Für Unsicherheit und eine entsprechend gedämpfte Stimmung sorgten vor allem die haushaltspolitischen Entwicklungen sowie die konjunkturellen Aussichten, teilte der Verband mit.

Ifo-Institut: Geschäftsklima für Selbstständige gestiegen

BERLIN (Dow Jones)–Das Geschäftsklima für Selbstständige hat sich zum Jahresende nach Angaben des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung leicht verbessert. Der Jimdo-Ifo-Geschäftsklimaindex für Selbständige stieg im Dezember nicht saisonbereinigt auf minus 17,5 Punkte, nach minus 18,8 im November, wie das Institut mitteilte. „Von einer Trendwende kann noch nicht gesprochen werden“, sagte Ifo-Expertin Katrin Demmelhuber. „Von einer wirtschaftlichen Erholung sind die Selbstständigen derzeit weit entfernt.“

Die Selbstständigen beurteilten ihre aktuelle Lage etwas besser. Der Ausblick auf das erste Halbjahr 2024 sei eher verhalten und von Skepsis geprägt. Beide Indikatoren lägen weiter im Minus. Die Entwicklung in den Sektoren sei dabei unterschiedlich ausgefallen: In der Industrie und auf dem Bau verbesserte sich laut den Angaben das Klima, im Handel und bei den Dienstleistern war dagegen eine Verschlechterung zu beobachten.

„In diesen wirtschaftlich schweren Zeiten ist auch der Zugang zu Krediten für die Selbständigen schwieriger“, sagte Demmelhuber. Der Anteil der Befragten, die im vierten Quartal 2023 Kreditverhandlungen geführt hätten, bleibe mit 10,7 Prozent (8,3 Prozent im dritten Quartal) zwar relativ gering. Jedoch habe knapp die Hälfte dieser Selbständigen (45,7 Prozent) das Verhalten der Banken als restriktiv eingestuft, mehr als im vorhergehenden Quartal (37,4 Prozent).

KfW-Chefvolkswirtin warnt vor zu großer Zinssenkungs-Euphorie

FRANKFURT (Dow Jones)–Trotz sinkender Inflation erwartet KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib keine schnelle Zinssenkung durch die Europäische Zentralbank (EZB). Zwar rechneten viele Investoren bereits im Frühjahr mit einer ersten Senkung der Leitzinsen. „Aber das halte ich auf Basis des heutigen Informationsstands für unrealistisch“, sagte Köhler-Geib dem Spiegel. Die Erwartungen der Aktienmärkte an die Geldpolitik seien zu überschwänglich. Ein Blick in die Vergangenheit lehre, dass die Inflation sehr hartnäckig sein könne. Ein erster Zinsschritt der US-Notenbank Fed sei vermutlich im Sommer zu erwarten. „Bei der EZB dürfte es etwas später der Fall sein.“ Die Ökonomin erwartet, dass Inflationsentwicklung und Geldpolitik 2024 für starke Kursbewegungen an den Aktienmärkten sorgen dürften.

GESAMT-ROUNDUP: Drei Tage Streik auf der Schiene – GDL erhöht Druck

BERLIN (dpa-AFX) – Für die Fahrgäste der Deutschen Bahn steht eine schwere Woche bevor: Die Lokführergewerkschaft GDL mit ihrem Chef Claus Weselsky will das Unternehmen von Mittwoch bis Freitag bundesweit bestreiken. Der Tarifkonflikt erreicht damit die nächste Eskalationsstufe – und der bundeseigene Konzern reagierte am Sonntagabend prompt: Die Bahn kündigte einen Eilantrag beim Arbeitsgericht in Frankfurt an, um die Arbeitsniederlegung per einstweiliger Verfügung zu stoppen.

Sofern der Streik nicht gerichtlich gestoppt wird oder sich die Parteien doch auf weitere Gespräche einigen, trifft er mit der Aktionswoche der Landwirte zusammen, die ab Montag mit ihren Traktoren vielerorts den Verkehr behindern wollen. Die Protestwoche und der GDL-Streik haben inhaltlich nichts miteinander zu tun. Es geht dabei um völlig unterschiedliche Ziele. Der Bauernverband und die GDL haben keine Zusammenarbeit verkündet, so dass es sich um eine zufällige zeitliche Überschneidung handeln dürfte.

„Der DB-Konzern hat den Weihnachtsfrieden nicht genutzt, um mit einem verhandlungsfähigen Angebot Arbeitskampfmaßnahmen entgegenzuwirken“, teilte die GDL am Sonntagabend, pünktlich zum Ende des sogenannten Weihnachtsfriedens, mit. Bereits zweimal legte die Gewerkschaft bisher mit Warnstreiks große Teile des Bahnverkehrs in Deutschland lahm – nun folgt ein mehrtägiger Streik. Weselsky hatte sich per Urabstimmung die Rückendeckung der Mitglieder eingeholt. Theoretisch könnte er auch zu deutlich längeren Arbeitsniederlegungen aufrufen.

Voraussichtliche Auswirkungen

Bei den beiden GDL-Warnstreiks im vergangenen Jahr musste die Bahn jeweils rund 80 Prozent des Fernverkehrsangebotes streichen. Die Auswirkungen im Regionalverkehr waren je nach Region sehr unterschiedlich. In manchen Bundesländern fuhr so gut wie kein Zug mehr.

Der Streikaufruf von Mittwoch, 2.00 Uhr, bis Freitag, 18.00 Uhr, richtet sich bundesweit an alle GDL-Mitglieder, die bei der Bahn sowie beim Konkurrenten Transdev und der City-Bahn Chemnitz arbeiten. Sofern sich die Streikbeteiligung nicht grundlegend unterscheidet, sind ähnliche Auswirkungen wie bei den beiden Warnstreiks zu erwarten.

Die Bahn kündigte am Sonntagabend an, dass sie für den Fern-, Regional- und S-Bahn-Verkehr einen Notfahrplan aufstellen wird, der aber nur ein „sehr begrenztes Zugangebot“ enthalten werde. „Bitte sehen Sie von nicht notwendigen Reisen während des GDL-Streiks ab und verschieben Sie Ihre Reise auf einen anderen Zeitpunkt“, hieß es in einer Online-Information.

Im Rahmen des Notfahrplans will die DB laut einer Mitteilung im Fernverkehr längere Züge mit mehr Sitzplätzen einsetzen, um möglichst viele Menschen an ihr Ziel bringen zu können. „Dennoch kann eine Mitfahrt nicht garantiert werden“, teilte der Konzern mit.

Wichtigste Themen

Ein Knackpunkt im festgefahrenen Tarifkonflikt ist die GDL-Forderung nach einer Verringerung der Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohn. Die Bahn hält dies für unerfüllbar, auch aufgrund des Fachkräftemangels. Wenn die Schichtarbeiter weniger arbeiteten, brauche es absehbar mehr Personal – das sei aber auf dem Arbeitsmarkt nicht zu finden, argumentiert die Bahn. Die Gewerkschaft dagegen will mit weniger Wochenarbeitszeit die Berufe bei der Bahn attraktiver machen.

Der Konzern hatte am Freitag vorgeschlagen, bestehende Wahlmodelle bei der Arbeitszeit auszuweiten. Bisher können sich Beschäftigte entscheiden, ob sie mehr Geld, mehr Urlaub oder weniger Wochenarbeitstage haben wollen. Sie können etwa von 39 auf 37 Wochenstunden verringern, bekommen dafür aber 5,7 Prozent weniger Lohn. Die Bahn bietet an, die Wochenarbeitszeit in diesem Modus bis auf 35 Stunden verringern zu können. Wer möchte, könnte zudem für etwas mehr Geld auch bis zu 40 Stunden in der Woche arbeiten. Wer sich für kürzere Arbeitszeiten entscheide, müsse dafür Abstriche bei einer tariflich vereinbarten Lohnerhöhung machen, betonte die Bahn. Den von der GDL geforderten vollen Lohn lehnt der Konzern ab.

Die GDL fordert zudem 555 Euro mehr im Monat für die Beschäftigten – bei einer Laufzeit des Tarifvertrags von einem Jahr. Die Bahn hat bisher eine elfprozentige Erhöhung bei einer Laufzeit von 32 Monaten angeboten.

Auch Leihfirma sorgt für Streit

Mit dem angekündigten Eilantrag gegen die Streikpläne geht die Bahn zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage juristisch gegen die GDL vor. Erst vor gut einer Woche klagte die Bahn gegen die Pläne der GDL für eine Leiharbeitsfirma.

Das kürzliche gegründete Unternehmen Fair Train soll nach Plänen der GDL Lokführer von der Bahn abwerben und dann an andere Eisenbahnunternehmen verleihen. Die Bahn hat Klage eingereicht, weil sie die GDL und die inzwischen bestehende Genossenschaft für zu eng miteinander verbunden hält. Das Landesarbeitsgericht in Hessen soll daher klären, ob die GDL noch tariffähig ist.

In dem Rechtsstreit geht es nur am Rande um konkrete Fragen aus dem Tarifstreit. Doch er könnte Auswirkungen auf einen künftigen Tarifabschluss haben, den die Bahn weiter mit der GDL anstrebt. Zudem dürfte die Klage die Stimmung zwischen beiden Seiten nicht verbessert haben./maa/DP/zb

GESAMT-ROUNDUP 2: Bahn kündigt wegen Lokführerstreik Notfahrplan an

BERLIN (dpa-AFX) – Die Deutsche Bahn geht davon aus, dass der Lokführerstreik in dieser Woche Millionen Fahrgäste trifft. Das Unternehmen kündigte für Mittwoch bis Freitag einen Notfahrplan mit stark eingeschränktem Angebot an. „Für diese Fahrten setzt die DB längere Züge mit mehr Sitzplätzen ein, um möglichst viele Menschen an ihr Ziel bringen zu können. Dennoch kann eine Mitfahrt nicht garantiert werden“, teilte das Unternehmen am Sonntagabend mit. Zugleich will die Bahn gerichtlich gegen den Streik vorgehen.

Fahrgäste seien gebeten, während des Streiks auf nicht unbedingt notwendige Bahnreisen zu verzichten oder die Reise zu verschieben. Es werde deutschlandweit große Unterschiede geben, wie viele Züge im Regionalverkehr fahren könnten. „Auch im Schienengüterverkehr wird es zu massiven Einschränkungen für Industrie und Wirtschaft kommen“, hieß es in der Mitteilung.

Das Unternehmen kündigte zudem Kulanzregeln an: Alle Fahrgäste, die ihre für zwischen Mittwoch und Freitag geplante Reise wegen des Streiks verschieben möchten, können ihr Ticket später nutzen. Die Zugbindung ist aufgehoben. Sitzplatzreservierungen können kostenfrei storniert werden. Zudem haben Fahrgäste im Fernverkehr die Möglichkeit, ihre Reise vorzuverlegen.

Die Lokführergewerkschaft GDL will im Personenverkehr von Mittwoch, 2.00 Uhr, bis Freitag, 18.00 Uhr, streiken – in einer Woche, in der im Straßenverkehr wegen der Bauernproteste starke Behinderungen erwartet werden. Erfahrungsgemäß fahren schon vor dem Ausstand einige Züge nicht nach Plan. Zudem dauert es danach normalerweise einige Zeit, bis sich der Verkehr normalisiert. …

Aktionswoche gestartet: Deutsche Bauern proben den Aufstand – ORF, 8.1.2024

In Deutschland ist Montagfrüh eine großangelegte Aktionswoche des Bauernverbands gegen geplante Subventionskürzungen angelaufen. Alle Aufrufe zur Mäßigung verpufften – im ganzen Land müssen sich die Menschen nun auf gröbere Verkehrsbehinderungen einstellen. Am Mittwoch kommt noch ein Bahnstreik dazu.

Schon zeitig in der Früh sorgten die Bauernproteste für erste Behinderungen im Verkehr. In Mecklenburg-Vorpommern etwa blockierten die Landwirtinnen und Landwirte landesweit mit Hunderten Traktoren Auffahrten von Autobahnen. Unterstützt wurden sie von Speditionsunternehmen, die gegen die Erhöhung der Lkw-Maut protestierten.

Anlass für die Proteste waren die Pläne, Subventionen für die Branche zu streichen. Die deutsche „Ampelregierung“ wollte unter anderem damit große Löcher im Budget stopfen. Dabei ging es vor allem um Vergünstigungen beim Agrardiesel und der Kraftfahrzeugsteuer für die Branche. Das allein hätte zu Mehreinnahmen von 440 Millionen Euro führen sollen.

Der Widerstand dagegen war aber schon im Dezember so groß, dass die Regierung die Maßnahmen teilweise einstampfte. So soll nun die Kfz-Steuerbefreiung bleiben. Die Abschaffung der Steuerbegünstigung bei Agrardiesel werde gestreckt und in mehreren Schritten vollzogen.

as reichte den Bäuerinnen und Bauern aber nicht, weshalb sie an der Aktionswoche unter der Leitung des Bauernverbands festhielten. „Dies kann nur ein erster Schritt sein“, so Verbandschef Joachim Rukwied. Er bat um Verzeihung für mögliche Beeinträchtigungen wegen der Proteste.

Warnung vor Verkehrschaos

Neben Kundgebungen und Demonstrationen soll es die ganze Woche Blockaden von Straßen und Autobahnauffahrten, langsam fahrende Kolonnen mit Traktoren und Autokorsos geben. Mehrere andere Branchen wollen die Gelegenheit nutzen, gleichzeitig für eigene Anliegen auf die Straße zu gehen. Am 15. Jänner soll die Bauernaktionswoche mit einer Großdemonstration in Berlin enden. Dazu sind laut Polizei 10.000 Teilnehmende mit vielen Traktoren angemeldet.

Einige Kommunen warnten bereits vor einem Verkehrschaos. In Brandenburg etwa wurden sogar die Lehrkräfte aufgerufen, sich auf Distanzunterricht einzustellen, falls Schülerinnen und Schüler nicht zum Unterricht kommen könnten. Die konkreten Auswirkungen dürften allerdings regional sehr unterschiedlich sein.

Zusätzlich Bahnstreik geplant

Am Mittwoch könnte es für Pendlerinnen und Pendler noch einmal schlimmer kommen. Die Lokführergewerkschaft GDL plant ab Wochenmitte einen Streik bei der Deutschen Bahn (DB). Diese will den mehrtägigen Streik noch per Eilantrag beim Arbeitsgericht Frankfurt verhindern. Entscheidet das Gericht pro Ausstand, ist mit ähnlichen Auswirkungen wie bei den beiden GDL-Warnstreiks vergangenes Jahr zu rechnen. Damals fielen gut 80 Prozent des Fernverkehrsangebots aus. Im Regionalverkehr fuhr in manchen Bundesländern kaum ein Zug mehr.

Sorge vor rechter Vereinnahmung

In sozialen Netzwerken wurde die Aktionswoche der Bauern auch wegen des erwarteten Streiks auf der Schiene fälschlich als Generalstreik beworben. Auch sprangen rechte und rechtsextreme Gruppierungen auf den Protestzug auf und wollten ihn teilweise vereinnahmen. Die teilweise als rechtsextrem eingestufte AfD sowie rechtsextreme Gruppen wie die Freien Sachsen riefen bereits dazu auf, sich den Protesten anzuschließen.

Vorige Woche wurde etwa auch der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) von einem Mob bedrängt und daran gehindert, eine Fähre zu verlassen. Davon und von rechten Gruppen distanzierte sich die Interessenvertretung: „Der Bauernverband distanziert sich aufs Schärfste von Schwachköpfen mit Umsturzfantasien, Radikalen sowie anderen extremen Randgruppen, die unsere Aktionswoche kapern und unseren Protest für ihre Anliegen vereinnahmen wollen“, hieß es dazu auf Instagram.

Das deutsche Innenministerium warnte vor Versuchen von extremen Kräften, die Bauernproteste zu missbrauchen. Ein Sprecher von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, es sei davon auszugehen, dass insbesondere Akteure aus dem rechtsextremen Spektrum und aus dem Spektrum derjenigen, die den Staat delegitimieren wollten, im Verlauf der Protestwoche versuchen würden, Veranstaltungen für eigene Interessen zu instrumentalisieren.

Abgeordnete rufen zu Mäßigung auf

Auch Politiker von SPD und CSU riefen die Bauern zur Mäßigung auf. „Protest ist erlaubt, aber der Versuch der Unterwanderung durch radikale und völlig irre Kräfte ist leider Realität“, sagte der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Lars Castellucci (SPD), der „Augsburger Allgemeinen“ (Montag-Ausgabe). Dagegen helfe nur eine „rote Linie zwischen Protest und Radikalisierung“.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der die Anliegen der Bauern grundsätzlich unterstützt, kündigte ein konsequentes Vorgehen der Polizei gegen unangemeldete Verkehrsblockaden an.

Doch auch Risse in der „Ampel“ werden sichtbar. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) forderte die Regierung in Berlin am Montag auf, die geplanten Kürzungen zurückzunehmen. Die Bundesregierung solle reinen Tisch machen und den Konflikt beenden, so Weil im ZDF-„Morgenmagazin“.

red, ORF.at/Agenturen

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C12-Flugrettung: Gesetz erschwert lebensrettende Einsätze – Krisengipfel in Wien

Ein altes Bundesgesetz und eine fehlende Ausnahmegenehmigung erschweren derzeit die Arbeit der ÖAMTC-Flugretter in Graz-Thalerhof. Sie dürfen nur während der Öffnungszeiten des Flughafens abheben, und Start- und Landeerlaubnis erteilt die Austro Control.

Mehr als 3.600-mal werden die vier steirischen Rettungshubschrauber pro Jahr zu Einsätzen gerufen, um Leben zu retten – mehr dazu in Flugrettung hebt zehnmal pro Tag ab (2.1.2024). Auch am Wochenende ist der zwei Tonnen schwere Christophorus 12 samt Crew einsatzbereit. In Graz-Thalerhof sind es im Schnitt vier Einsätze pro Tag, doch ob der fünf Millionen Euro teure Helikopter tatsächlich abheben darf, ist alles andere als sicher, so Flugbetriebsleiter Peter Fleischhacker: „Ob wir fliegen dürfen, entscheidet derzeit jemand anderes.“

An Öffnungszeiten des Flughafens gebunden

Der Hangar des C12-Teams steht auf dem Flughafengelände. Trotz Nachtflugtauglichkeit ist durch die Öffnungszeiten des Flughafens um 23.30 Uhr Schluss: „Da hätten wir den sichersten Fleck in der Steiermark, wo kilometerweit kein Hindernis ist, wo unsere Infrastruktur ist, wo wir es gewohnt sind, wegzufliegen und zurückzukommen, da dürfen wir das nicht. Hinter dem Zaun, auf jedem Fußballplatz, dürfen wir das schon“, sagte Fleischhacker.

Start- und Landeerlaubnis liegt bei Austro Control

Gerade weil der Hangar auf dem Flughafengelände steht, entscheidet die Austro Control neuerdings nach europaweiten Vorgaben für den zivilen Luftverkehr über Start- oder Landeerlaubnis: „Nämlich, dass es bei einem unsicheren Wetter zu unseren Ungunsten ausgelegt wird. Der Pilot entscheidet sich, es würde gehen zu fliegen, das System sagt, es geht nicht, also wird gegen uns entschieden, und wir dürfen nicht starten.“ Und das sei bereits rund 20-mal passiert – trotz bester Sicht.

Krisengipfel in Wien

Gesundheitslandesrat Karlheinz Kornhäusl (ÖVP) machte sich am Samstag selbst ein Bild der Lage. Abhilfe könnte eine Ausnahmegenehmigung wie für die Polizeihubschrauber durch das Ministerium in Wien schaffen. Ein Krisengipfel Ende Jänner soll nun endlich Entscheidungen bringen, so Kornhäusl: „Ich war selber als Notarzt tätig, das ist so, als hätte man uns das Blaulicht weggenommen. Das wird sich die Steiermark sicher nicht gefallen lassen. Ich werde so lange in Wien lästig sein, bis die Ministerin (Leonore, Anm.) Gewessler einlenken wird.“

red, steiermark.ORF.at

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MEDIZIN – PSYCHOLOGIE – FORSCHUNG

UMWELT

BILDUNG – ERZIEHUNG – SCHULEN – UNIVERSITÄTEN

Nazi-Erziehungsideale, die nicht weichen – Wiener Zeitung

Von Michael Schmölzer, Anja Stegmaier

Schreiende Babys einfach zu ignorieren und „schlimme“ Kinder zu schlagen, ist nach wie vor üblich. Das hat ungeahnte Auswirkungen.  

Noch vor wenigen Jahrzehnten war Kindererziehung einfach – zumindest auf den ersten Blick. Getan wurde, was die Eltern sagen. Wenn das Kind nicht folgte, gab es eine Tracht Prügel – und fertig. Das war Konsens, das wurde nicht hinterfragt. Für einfühlsame Erziehung war weder Platz noch Zeit. Diese autoritären Muster aus der Nazi-Zeit wirken weiter, sie werden von den Großeltern an die nächsten Generationen weitergegeben. Viele Väter und Mütter fragen sich noch im Jahr 2023, ob sie ihr Kind nicht zu sehr verwöhnen, verweichlichen und damit zum Tyrannen machen. Sie setzen auf Strenge und Disziplin – ein Zugang, der in die Zeit vor 90 Jahren zurückführt. 

Denn die Vorstellung vom durch Liebesentzug „robust“ gemachten Kind war in den 1930er-Jahren populär. In dem 1934 während der Nazizeit in Deutschland erschienenen Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ der Ärztin und überzeugten Nationalsozialistin Johanna Haarer findet sich der Hinweis, dass das Eingehen auf Bedürfnisse von Babys und Kleinkindern diese zu „Haustyrannen“ machen würde. Zu viel Zuwendung und Körperkontakt wären schädlich. Wörtlich heißt es in Haarers Machwerk: „Auch das schreiende und widerstrebende Kind muss tun, was die Mutter für nötig hält, und wird, falls es sich weiterhin ungezogen aufführt (…) in einen Raum gebracht, wo es allein sein kann, und so lange nicht beachtet, bis es sein Verhalten ändert.“

Die Buchautorin war im NS-Regime ungemein populär. Ihr Buch wurde in jeweils überarbeiteten und entschärften Fassungen bis 1987 neu aufgelegt und insgesamt 1,2 Millionen Mal verkauft.

Säugling sein im NS-Staat

Ihre Tipps zum Umgang mit Babys sind unmenschlich: Es wird geboren, gestillt und dann zur Seite gelegt. Heute weiß die Babyforschung, dass Säuglinge, die nur versorgt werden und keine Zuneigung erfahren, über kurz oder lang sterben. Das will Haarer nicht erreichen. Aber Weinen wird als „Geschrei“ bezeichnet, die Mutter muss „hart“ bleiben und soll sich nicht aus „Liebe“ oder „Unverstand“ mit dem Säugling zu intensiv befassen. Das Baby wird „kaltgestellt“, wie es wörtlich heißt.

Die Erziehungsexpertin Sigrid Chamberlain hat sich in ihrem Buch „Adolf Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ mit Haarer und ihren Idealen beschäftigt. Wird dem Baby Kontakt und Halt verweigert, schreibt Chamberlain, wird sein eigenständiges Selbst übersehen und somit zerstört. Wenn ein Säugling durch Tragen und Umarmen die Grenzen des eigenen Körpers nicht erfährt, wird er später dazu neigen, in einer anonymen Masse aufgehen zu wollen. Und das „Fremde“, Außenstehende als bedrohlich wahrnehmen. Das war es, was die Nazis wollten: manipulierbare Menschen und Soldaten ohne Mitleid, die sich selbst nicht spüren und Befehlen blind gehorchen.

Der Triumph der Mutter über das Kind als Ziel

Für Haarer kommen die ersten Babymonate für die Mutter einem Gefecht gleich. Nach dem Motto: Der Mann steht an der Front , die Frau kämpft im Kindbett: „Die Entbindung ist vorüber, das Kind ist geboren. Aber nicht ohne Wunden ist die Frau aus dem Kampf hervorgegangen“ schreibt sie. Der Säugling muss beherrscht, „in Zucht gehalten“ werden und sich den Regeln der Mutter unterwerfen. Ziel ist der Triumph der Mutter über das Kind, das unterworfen wird.

Es überrascht nicht, dass sich die Erziehungsmethoden, die Haarer empfiehlt, im späteren Leben der Betroffenen fatal auswirken. Wirkliche Nähe gibt es für sie nicht, manche spüren ihren eigenen Körper kaum. Sie sind krank, ohne es zu registrieren, und übergehen die Beschwerden permanent. Das Zeigen von Gefühlen fällt schwer. „Dieses innere Totsein gehört unverzichtbar zum nationalsozialistischen Typus“, schreibt Chamberlain. Die Leere muss mit Pseudogefühlen wie Sentimentalitäten, Pathos, Erregungszuständen bis hin zu Fanatismus und Hysterie gefüllt werden.

Diese Menschen empfinden keine Zuneigung zu einem Partner oder einer Partnerin, sondern verehren abstrakte Gebilde wie „Großdeutschland“, entbrennen in Liebe zu einem „Führer“ oder einer diffus angenommenen „Heimat“ − selbst, wenn sie dort nie gewesen sind. Sie geben ihr Selbst und die Übernahme jeder eigenen Verantwortung ab, gehen in einer brüllenden Menge auf und geraten in Ekstase, wenn Adolf Hitler eine Radioansprache hält. Klar ist auch, dass die Nazis über eine emotionale Vernachlässigung von Säuglingen eine Soldaten-Generation heranziehen wollten, die mit voller Härte gegen sich selbst und den Feind vorgeht.

Die alten Vorstellungen leben weiter 

Das Drama war mit dem Zusammenbruch des Nazireichs 1945 aber keinesfalls vorbei: „Das Dritte Reich ist gescheitert. Eine Stunde Null hat es dennoch nicht gegeben“, schreibt Chamberlain. „Vor allem nicht, was einen nationalsozialistisch geprägten Umgang mit kleinen Kindern angeht. Der autoritäre Zugang war noch bis in die 60er-Jahre Konsens und ziemlich unhinterfragt“, bestätigt die Wissenschaftlerin Sabine Buchebner-Ferstl vom Institut für Familienforschung der Uni Wien gegenüber der WZ. Und ist bis heute vorhanden.

Die Vorstellung, dass Säuglinge nicht „verwöhnt“ werden dürfen, weil sie sich sonst zu „Tyrannen“ entwickeln, hat es bis in das Jahr 2023 geschafft. Das bestätigt die Still- und Trageberaterin Friederike Haupt gegenüber der WZ: „Du darfst nicht bei jedem Pups und Meh aufspringen, der hat dich doch in der Hand, „die manipuliert dich.” Diese Art von Aussagen hört sie täglich. „Die Angst, dass das Kind ein Tyrann wird, ist groß”, sagt die Kinderkrankenschwester. „Spätestens wenn das Kind sechs Monate alt ist, kommen die Tipps und Tricks aus dem Umfeld. Die Eltern sind verunsichert: Stimmt das, wenn ich mein Kind viel trage, gewöhnt es sich daran und ich kann es nicht mehr ablegen? oder Meine Mutter meint, ich muss das Kind auch schreien lassen, weil es sonst nicht lernt durchzuschlafen. Was soll ich tun?”

„Wenn ein Säugling nicht mehr weint in der Nacht, hat er nichts gelernt, sondern hat schlicht und einfach resigniert”, sagt Haupt. Fast täglich gibt sie Eltern in der Beratung mit: „Man kann ein Kind nicht mit zu viel Liebe verwöhnen.“

Und es liegt klar auf der Hand: Wird ein Baby heute nach den Maßstäben der 30er-Jahre behandelt, dann haben die Nationalsozialist:innen in letzter Konsequenz einen Sieg davongetragen. Ein Mensch, der als Säugling nicht liebevoll behandelt wurde, wird auch heute hinsichtlich seiner eigenen Grenzen unsicher sein und unter Umständen dazu neigen, Fremdes, etwa „Ausländer“, als Bedrohung seiner selbst wahrzunehmen. Er wird sein Ich nicht gut spüren und in der gestaltlosen Menge aufgehen wollen – und sei es nur im Fußballstadion. Oder er treibt die Entgrenzung durch Alkoholmissbrauch auf die Spitze. Die Tendenz, einem autoritär agierenden Politiker nachzulaufen, wird ebenso begünstigt wie eine selbstüberhöhende Pseudo-Heimatliebe.

Eingehen auf die Baby-Bedürfnisse

Worauf also kommt es an? Auf der einen Seite ist es wichtig, sein Kind als „eigenständig denkendes und eigenständig fühlendes Wesen“ wahrzunehmen, wie die Erziehungsexpertin und Erwachsenenbildnerin Katharina Weiner gegenüber der WZ betont. Und davor ist es wichtig, „auf die Bedürfnisse von Babys einzugehen“, sagt Still- und Trageberaterin Haupt. „Bedürfnissen, die als Kind nicht befriedigt worden sind, rennt man sein Leben lang hinterher.” Bedürfnisorientierte Erziehung heißt aber nicht, dass das Kind all seine Wünsche erfüllt bekommt und dass es keine Grenzen gibt. Da geht es auch darum, mit Emotionen umzugehen. Starke Gefühle wie Wut, Trauer oder Angst. „Wir haben gelernt, dass diese Gefühle nicht gut sind”, meint Haupt. Wir wollen sie selbst nicht fühlen, nicht zulassen, und lenken uns ab. Auch bei Kindern werden Gefühle wie Schmerz, Wut und Angst rasch kleingeredet oder es wird abgelenkt. „Weil wir diese Gefühle nicht leben durften und uns der Umgang damit nicht beigebracht wurde, reagieren wir so”, sagt Haupt. Es sei aber wichtig, starke Gefühle auszuhalten, zu erlauben und zu begleiten.

Das eine richtige Rezept gibt es nicht für alle Kinder, sagt Haupt. Die Beraterin gibt den Eltern vor allem mit, als Mutter und Vater auf das eigene Bauchgefühl und den Instinkt zu hören. Der richtet sich nicht nach Trends. „Wenn man in den Zoo geht und eine Affenmama stillt ihr Junges und nimmt es überall hin mit, würde man auch nicht sagen, die verweichlicht ihr Kind“, sagt Haupt. Dass unsere Kinder uns brauchen und „auf uns picken“, ist evolutionsbiologisch gesehen ganz normal.  

. . .

Genese

Ursprünglich wollte WZ-Redakteur Michael Schmölzer einen Beitrag rein über Johanna Haarers Babypflege-Machwerk aus der NS-Zeit, „Die deutsche Mutter“, schreiben. WZ-Redakteurin Anja Stegmaier, Mutter eines kleinen Kindes, ist aufgefallen, dass Haarers Ratschläge bis heute in vielen Köpfen verhaftet sind. Was in erster Linie bei jungen Müttern für Irritationen, Unsicherheit und Streit sorgt.

Gesprächspartner:innen

Friederike Haupt ist diplomierte Kinderkrankenschwester sowie zertifizierte Still- und Trageberaterin in Wien: https://www.stillenundtragen.at/

Die Wissenschaftlerin Sabine Buchebner-Ferstl vom Institut für Familienforschung an der Universität hat im Gespräch detailreich analysiert, dass Kinder heute vor allem unter elterlichen Perfektionsansprüchen leiden.

Katharina Weiner, die die Erkenntnisse des Beziehungsexperten und Dänen Jesper Juul nach Österreich gebracht hat, schlägt vor, Kindern auf Augenhöhe zu begegnen und die ewige Vorschreiberei sein zu lassen. Ein guter Ansatz, wie Schmölzer findet.

Quellen

Babys im Dritten Reich:
familie-historisch.de: Fragen und Antworten zu Johanna Haarer

Sigrid Chamberlain: Adolf Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind; Verlag Psychosozial, 1997, 5. Auflage, 231 Seiten.

Perfektionswahn und Schule:
Stadt Land Mama: Kinder optimieren – Ansichten einer Grundschullehrerin

Familien-Burnout:
Vorarlberger Kinderdorf: Familien-Burnout

Überlastete Kinder:
Kinderzentrum am Johannisplatz: Burnout bei Kindern  

Studie: Kinder, die unter einem Jahr viel Nähe erfahren haben, sind später stressresilienter

Studie: Kinder mit Schlaftraining weisen einen höheren Cortisolspiegel auf, auch wenn das Kind nach außen hin ruhig scheinen mag, also z. B. nicht (mehr) schreit:

Herbert Renz-Polster: Kinder verstehen; Verlag Kösel, 2022, 512 Seiten.

Das Thema in der WZ 

Die perfekte Insta-Mom – nur für die anderen? Diese Frage beantworten der Psychoanalytiker Wilfried Datler und die Psychologin Astrid Wirth im WZ-Podcast „Weiter gedacht“ im Gespräch mit Host Petra Tempfer.

https://www.wienerzeitung.at/h/erziehung-zwischen-liebe-und-disziplin

Das Thema in anderen Medien

Süddeutsche Zeitung: Die alles richtig machen wollen

Der Standard: Wenn Überforderung krank macht

ORF: Familien Burn-Out

Deutschlandfunk: Vom langen Kampf für die Kinderrechte

Erzbischof von Malta plädiert für Ende des Zölibats

Der Erzbischof von Malta, Charles Scicluna, hat sich für ein Ende der strikten Zölibatregel in der katholischen Kirche ausgesprochen. Der 64-Jährige, der auch zum Kreis der Berater von Papst Franziskus gehört, plädierte in der Zeitung „Times of Malta“ (Sonntag-Ausgabe) dafür, dass Priester heiraten dürfen.

„Wenn es nach mir ginge, würde ich die Regeln ändern, dass ein Priester im Zölibat leben muss“, sagte Scicluna. „Warum sollen wir einen jungen Mann verlieren, aus dem ein guter Priester geworden wäre, nur weil er heiraten will?“

Scicluna ist auf der Mittelmeer-Insel Malta Vorsitzender der Bischofskonferenz und seit 2018 auch beigeordneter Sekretär im vatikanischen Amt für Glaubenslehre, eine der wichtigsten Behörden im Kirchenstaat. Dort ist er mit dem Skandal um sexuellen Missbrauch durch katholische Priester in verschiedenen Weltregionen befasst.

Der Erzbischof verwies in dem Interview darauf, dass in der katholischen Kirche bis zum 12. Jahrhundert Priestern die Heirat erlaubt gewesen sei. Der Vatikan besteht aber auch unter Papst Franziskus darauf, dass Priester und Nonnen streng nach dem Zölibat leben.

Polaschek: Neue Aufgaben für Freizeitpädagogen

ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek will noch in dieser Legislaturperiode ein neues Berufsbild für pädagogisches Unterstützungspersonal unter Dach und Fach bringen. Zuletzt gab es großen Widerstand der Freizeitpädagoginnen und -pädagogen, die unter anderem in das Modell überführt werden sollen.

„Wir brauchen neben den Lehrkräften mehr Menschen mit verschiedenen Kompetenzen an Schulen“, so Polaschek zur APA. In anderen Ländern seien multifunktionale Teams schon Standard.

Derzeit sind Freizeitpädagogen an ganztägigen Schulen nur für die Gestaltung des Freizeitteils zuständig – künftig sollen sie auch Lernzeiten übernehmen bzw. im Unterricht mithelfen dürfen.

Ausbau von Ganztagsschulen außer Diskussion

Laut einem im Vorjahr erstellten ersten Entwurf sollen sie dafür als „Assistenzpädagogen“ anders als bisher Matura haben müssen, umgekehrt würde die Dauer ihrer Ausbildung auf ein Semester halbiert.

Bisheriges Personal soll zwar die Matura nicht nachmachen müssen und grundsätzlich übernommen werden – sie würden allerdings in ein öffentliches Dienstverhältnis überführt. Derzeit sind sie vor allem bei Vereinen bzw. gemeindenahen Trägern angestellt.

Der Ausbau von Ganztagsschulen steht für Polaschek außer Diskussion – keinen Änderungsbedarf sieht er allerdings bei den Hürden für die Umstellung auf die verschränkte Form mit einem ständigen Wechsel von Unterrichts-, Lern- und Freizeitteil. Derzeit ist dafür in den meisten Ländern eine Zweidrittelmehrheit in der Schulgemeinschaft nötig.

Neue Uni in Linz: „Sonderkonstruktion“ stößt auf Kritik

Von der Idee bis zur Gründung: Auf die neue Universität in Linz prasselt Kritik nieder. Aktuell liegt ein Gesetzesentwurf, mit dem das Institute of Digital Sciences Austria organisiert und betrieben werden soll, in der Begutachtung. Diese endet am Montag. Besonders scharf wird die rechtliche „Sonderkonstruktion“ kritisiert. Das Ministerium verteidigt das neue Modell.

Die neue Universität in Linz – derzeit am Gelände der Johannes-Kepler-Universität untergebracht – ist umstritten. Obwohl sie als öffentliche Uni geführt wird und dementsprechend vom Unibudget profitiert, fällt sie nicht unter das strenge Regime des Universitätsgesetzes. Die neue Universität erhält ein eigenes Gesetz, das zum Teil ganz andere Regeln, Möglichkeiten und Regeln vorsieht. In vielen Stellungnahmen wird der Begriff Universität deshalb unter Anführungszeichen gesetzt.

„Die Konstruktion ist ein Wolpertinger, und das spiegelt sich im Gesetz wider“, sagt Oliver Vitouch, Präsident der Universitätskonferenz (uniko), im Gespräch mit ORF.at. Die Hochschule sei eine Mischung aus öffentlicher Universität, Fachhochschule und Privatuni. „Es läuft auf eine Sonderbehandlung hinaus, und wir haben verfassungsrechtliche Bedenken“, betont der Uni-Klagenfurt-Rektor. Das betreffe sowohl die Struktur der Leitungsspitze als auch die Möglichkeit, Studienbeiträge einzuheben. Zudem sei der inhaltliche Fokus noch immer zu breit.

Das Wissenschaftsministerium kennt die Kritik. Seit der Ankündigung der „Digitaluni“ im Jahr 2020 wird das Projekt infrage gestellt. Das nun geplante Gesetz soll das Gründungsgesetz von 2022 ersetzen. Es sei „bewusst“ versucht worden, „ein gänzliches neues Universitätsmodell zur Diskussion zu stellen“, das mehr Flexibilität ermöglicht, heißt es auf ORF.at-Anfrage aus dem Ressort von ÖVP-Minister Martin Polaschek. Die breite Debatte wird begrüßt, man werde die konstruktive Kritik und die Vorschläge aus der Begutachtung genau prüfen. Änderungen seien möglich, die Absicht, neue Wege zu beschreiten, würde aber aufrecht bleiben.

Rückbildung der Autonomie?

Das Gesetz ist im Gegensatz zum Universitätsgesetz äußerst schlank gehalten. Es soll, so hieß es, Modellcharakter für die Zukunft haben. Doch viele zeigen sich besorgt, das betrifft insbesondere die Struktur, die die neue Uni erhalten soll: Präsidentin bzw. Präsident, Kuratorium und Universitätsversammlung. Von einer „konzentrierten Machtfülle“ an der Spitze ist die Rede, andere kritisierten eine „Machtverschiebung“, die die „universitäre Selbstbestimmung einschränkt“. Besonders die Unisenate, in denen das Universitätspersonal sitzt, äußern Bedenken.

Von den Aufgaben her ähnelt zwar das Kuratorium dem Senat, jedoch wird das Kuratorium der neuen Uni auch von Bund und vom Land Oberösterreich beschickt. Für die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist der Vorschlag über die Landesregierung eine „Besonderheit“, die es zu hinterfragen gilt. Andere Regierungen in den Ländern hätten nämlich für die jeweiligen Unis ein „solches Privileg“ nicht. Kritisiert wird zudem die Vermischung zwischen „externer Aufsicht“ und operativen Aufgaben.

Von ORF.at befragte Verfassungsexperten halten die geplante Struktur der neuen Uni für „bedenklich“. Mit dem Modell würde man sich ein Stück weit von der Selbstverwaltung der Universitäten entfernen. Denn während in den restlichen öffentlichen Unis den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen noch ein Mitspracherecht eingeräumt wird, werde das bei der neuen Uni in Linz rückgebaut. Das liege daran, dass dem Gremium, in dem die Universitätsangehörigen sitzen (hier die Universitätsversammlung), Kompetenzen entzogen würden.

„Klar verfassungswidrig“

Dass die neue Uni als öffentliche Universität Studienbeiträge einheben darf, dürfte noch zu scharfen Diskussionen führen. Zwar müssen die Beiträge „sozial verträglich“ gestaltet sein, die uniko erinnert jedoch daran, dass der Verfassungsgerichtshof eine „vergleichbare Regelung“ bereits 2013 aufgehoben hat. Sollte die Uni autonom über die Höhe der Studienbeiträge entscheiden können, während das den anderen Unis nicht möglich ist, wäre das „klar verfassungswidrig“.

Die Senatsvorsitzenden der TU Austria kritisieren, dass weder im Gesetz noch in den Erläuterungen klar sei, was unter „sozial verträglich“ zu verstehen ist. Diese fehlende „valide und verlässliche gesetzliche Regelung“ widerspreche dem Legalitätsprinzip (jedes staatliche Handeln – die Uni hat einen öffentlichen Charakter – darf nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden). Die vage Regelung würde zu einer „vollkommenen Auslieferung der Universitätsausbildung an die Gesetze des Marktes führen“, lautet die Kritik.

Bemängelt wird auch die privatrechtliche Rechtsbeziehung zwischen der neuen Uni und den Studierenden. Nach Ansicht der uniko würde der Plan den hoheitlichen Aufgaben des Staates widersprechen. Sogar das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) regt an, die „Notwendigkeit und Erforderlichkeit“ dieses Vorhabens „grundlegend“ zu prüfen. Denn damit würde eine neue Rechtsgrundlage geschaffen, mit der auch der Rechtsschutz von Studierenden ein ganz anderer ist als bisher.

ÖAW fordert Verbesserung

Seit Langem ist die inhaltliche Ausrichtung der Uni ein Streitpunkt. Für die ÖAW ist der Fokus der Uni zu breit gefasst. Zwar soll sich alles um Digitalisierung drehen, jedoch will die Universität auch die „Folgen der digitalen Transformation auf Wissenschaft, Kunst, Gesellschaft und Wirtschaft“ behandeln. Mit der breiten Palette würde das neue Institut „Lehr- und Forschungsbereiche bestehender universitärer wie außeruniversitärer Institutionen für sich beanspruchen“, kritisiert die ÖAW.

Ganz abgelehnt wird der Entwurf von der Konferenz der Senatsvorsitzenden der 22 öffentlichen Universitäten. Recht deutlich argumentieren sie, dass das geplante Gesetz der neuen Uni zum Teil verfassungswidrig sei. Die Verfassung könne nicht für „diese Sonderkonstruktion einer Universität“ herhalten. Den Entwurf durchziehe eine „Tendenz zum Autoritären und zu einer Wiederbelebung der politischen Kontrolle, die diametral zu einer demokratischen Universitätslandschaft steht“.

„Weniger ist wirklich weniger“

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Bereiche Frauenförderung und Diskriminierungsschutz. Der Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen der TU Graz verweist nun auf die Aussage von Minister Polaschek, der mit dem Prinzip „Weniger ist mehr“ für mehr Flexibilität beim Gesetz geworben hat. „Im Bereich des Schutzes vor Diskriminierung sowie der Frauenförderung und der Gleichstellung der Geschlechter gilt leider, dass weniger wirklich weniger ist.“ Aus anderen Universitäten wurde ähnliche Kritik laut. Sie fordern eine Überarbeitung des Vorschlags.

Die rechtliche Gestaltung der Universität ist recht komplex, selbst der Name sorgt für Verwirrung. Sprach man im Sommer 2020 noch von einer „Digitaluni“, die später zu einer Technischen Universität führte, lautet der gesetzliche Name Institute of Digital Sciences Austria. Nach außen hin wird die Uni aber unter der Marke Interdisciplinary Transformation University Austria geführt werden.

KASTENTEXT: Hochschulnetz

Österreich hat mit 22 öffentlichen Universitäten und 21 Fachhochschulen ein dichtes Hochschulnetz. Hinzu kommen die Privatuniversitäten und die pädagogischen Hochschulen.

Jürgen Klatzer (Text), Akos Heves (Bild), beide ORF.at

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Newsticker

DIE NACHT IM ÜBERBLICK – Ukraine

ROUNDUP: Japan sagt Ukraine Hilfe bei Drohnenabwehr zu – Nacht im Überblick

KIEW (dpa-AFX) – Bei einem Besuch in Kiew hat die japanische Außenministerin Yoko Kamikawa der Ukraine Unterstützung bei der weiteren Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg zugesagt. Japan werde 37 Millionen US-Dollar (33,7 Millionen Euro) in einen Nato-Fonds einzahlen, sagte Kamikawa am Sonntag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem Amtskollegen Dmytro Kuleba. Dieses Geld solle dann der ukrainischen Luftverteidigung zugute kommen und in Systeme für Drohnenerkennung fließen. Russland überzieht das Nachbarland seit Monaten insbesondere mit großflächigen Kampfdrohnen-Angriffen.

Japan unterstützt die Ukraine in ihrem Kampf gegen die seit fast zwei Jahren andauernde russische Invasion und hat im Einklang mit dem Westen auch Sanktionen gegen Russland verhängt. Auch Kamikawas Vorgänger Yoshimasa Hayashi sowie Japans Ministerpräsident Fumio Kishida waren bereits im vergangenen Jahr zu Gesprächen in der Ukraine. Die pazifistische Verfassung des Landes erlaubt es Japan allerdings nicht, selbst Waffen an die Ukraine zu liefern.

Nach russischem Angriff: Rettungsarbeiten in Pokrowsk dauern an

Im ostukrainischen Landkreis Pokrowsk dauern unterdessen auch mehr als einen Tag nach schweren russischen Raketenangriffen mit mindestens elf Toten die Rettungsarbeiten noch immer an. In den betroffenen Orten, die im ukrainisch kontrollierten Teil der Region Donezk liegen, werde weiter nach Opfern unter den Trümmern gesucht, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache. Er dankte allen Rettern, die seit Samstagabend vor Ort im Einsatz sind.

Die schweren Angriffe am Samstagabend hatten neben der Kreisstadt Pokrowsk auch den Ort Riwne erschüttert. Eine Rakete schlug offiziellen ukrainischen Angaben zufolge in das Haus einer sechsköpfigen Familie ein. Demnach erfolgte der Beschuss durch umfunktionierte Flugabwehrraketen vom Typ S-300.

Tote und Verletzte nach russischem Beschuss von Cherson

Tote durch russischen Beschuss wurden am Sonntag zudem aus der südukrainischen Region Cherson gemeldet. Zwei Menschen seien ums Leben gekommen und mehrere weitere Personen verletzt worden, schrieb Militärgouverneur Olexander Prokudin auf Telegram. „Die russische Armee hat heute ein paar Stunden lang ununterbrochen die Wohnviertel von Cherson beschossen.“ Getroffen worden seien unter anderem ein Markt und mehrere Wohnhäuser.

Was am Montag wichtig wird

Im Osten und im Süden der Ukraine halten die schweren Gefechte weiter an./haw/DP/zb

Finanznachrichten – Ukraine


Weitere Meldungen – Ukraine

ORF – Ukraine

Kiew: Russland begann großangelegten Luftangriff – ORF, 8.1.2024, 7:13

Russland hat nach Angaben des ukrainischen Militärs heute Früh während des Berufsverkehrs einen großangelegten Luftangriff begonnen. Es seien mehrere Regionen in der Ukraine betroffen, teilte das ukrainische Militär mit.

Im gesamten Land gebe es Luftalarm. „Kiew – in Deckung!“, schrieben die Luftstreitkräfte auf Telegram. Die Hauptstadt sei einer Bedrohung durch ballistische Raketen ausgesetzt.

Auch die Städte Krywyj Rih, Saporischschja, Charkiw, Dnipropetrowsk und Chmelnyzkyj seien einem „massiven Raketenangriff“ der russischen Streitkräfte ausgesetzt, teilte das Militär in den jeweiligen Städten mit.

Ukrainische Medien meldeten Explosionen um die südostukrainische Großstadt Dnipro. Beobachtern zufolge wurden von knapp einem Dutzend strategischen Bombern Marschflugkörper auf Ziele in der Ukraine abgefeuert. Ebenso seien Hyperschallraketen des Typs Kinschal (Dolch) im Einsatz.

BAHA NEWS – Ukraine

Letzte Meldung gestern:

n-tv- Ukrainekrieg im Liveticker

Letzte Meldung gestern:

ISRAEL – HAMAS

Newsticker

DIE NACHT IM ÜBERBLICK – Israel

GESAMT-ROUNDUP: USA sehen ‚erhebliche Spannungen‘ in Nahost – [Nach im Überblick]

TEL AVIV (dpa-AFX) – Die USA sehen den Nahen Osten in einem „Moment erheblicher Spannungen“ und haben Israel gemahnt, mehr für den Schutz von Zivilisten in Gaza zu tun. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schafft es seit fast zwei Wochen nicht, eine geplante Hilfsmission im Norden des Küstenstreifens durchzuführen. Unterdessen setzt Israel die Angriffe im Gazastreifen fort und liefert sich im Norden an der Grenze zum Libanon Kämpfe mit der Hisbollah-Miliz.

Könnte Gaza-Krieg „metastasieren“?

US-Außenminister Antony Blinken warnte in Katar vor einer Eskalation in der gesamten Nahost-Region. „Der Konflikt könnte schnell metastasieren, was noch mehr Leid in der Region verursachen würde“, sagte er auf seiner vierten Nahost-Reise bei einem Treffen mit Katars Ministerpräsident und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani in Doha. Katar habe von Beginn an vor einer wahrscheinlichen und gefährlichen Ausweitung des Konflikts gewarnt, sagte Al Thani. Die Tötung eines Hamas-Anführers in Beirut und eines ranghohen iranischen Generals in Syrien – beide mutmaßlich durch Israel angeordnet – seien zu verurteilen und ein Verstoß gegen die Souveränität dieser Länder.

Blinken forderte, dass Israel die Zivilisten in Gaza bei seinen Angriffen dort besser schützen müsse: „Es ist absolut zwingend, dass Israel mehr zum Schutz von Zivilisten unternimmt“. „Es sind schon viel zu viele unschuldige Palästinenser getötet worden“, sagte er. Dies werde er auch bei seinem geplanten Besuch in Israel ansprechen.

Hilfslieferungen für Gaza reichen nicht

Auch die Hilfslieferungen für Gaza, wo vor Kriegsbeginn etwa 2,2 Millionen Menschen lebten, sind laut Blinken noch „nicht ausreichend, um den enormen Bedürfnissen gerecht zu werden“. Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung seien von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen. Sie hätten nicht genügend Zugang zu Wasser, Essen, Arzneimitteln und anderen wichtigen Gütern.

In der Nacht zum Montag berichtete die WHO, seit zwölf Tagen nicht mehr in den Norden des Gazastreifens gelangt zu sein. Eine geplante Mission zum Krankenhaus Al-Awda sei zum vierten Mal abgesagt worden, weil die Sicherheit nicht gewährleistet gewesen sei, teilte die UN-Organisation auf der Plattform X (vormals Twitter) mit. Schwere Bombardierungen, nur eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten und unterbrochene Kommunikation hätten es „nahezu unmöglich“ gemacht, medizinische Hilfsgüter in den isolierten Küstenstreifen und vor allem in dessen Norden zu liefern.

Baerbock trifft Amtskollegen in Israel

Parallel zu Blinkens Nahost-Reise traf die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in Jerusalem am Sonntag ihren neuen israelischen Amtskollegen Israel Katz. Katz habe ihr für die deutsche Unterstützung Israels und den Einsatz für die Freilassung von Geiseln im Gazastreifen gedankt, hieß es. Der israelische Minister lobte ferner auch das in Deutschland ausgesprochene Betätigungsverbot für die islamistische Hamas.

Seit Beginn des Gaza-Kriegs nach dem Massaker von Hamas-Terroristen und anderer extremistischer Gruppen in Israel am 7. Oktober greift Israel den Gazastreifen aus der Luft und vom Boden aus an. Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden bislang mehr als 22 800 Menschen getötet und rund 58 000 verletzt. Auch im Norden Israels an der Grenze zum Libanon kommt es immer wieder zu Beschuss zwischen Israels Armee und der Hisbollah. Die Schiitenmiliz meldete seitdem den Tod von mehr als 150 Mitgliedern, Israels Armee den Tod von neun Soldaten. Auch Zivilisten kamen ums Leben. Es ist die schwerste Eskalation seit dem zweiten Libanon-Krieg 2006.

Hackerangriff auf libanesischen Flughafen

Auch am Sonntag beschossen sich das israelische Militär und die Hisbollah. Die Angriffe richteten sich gegen Terroristen und mehrere Ziele der vom Iran unterstützten Miliz, teilte Israels Armee mit. Die Hisbollah erklärte, sie habe israelische Soldaten nahe der Grenze mit Raketen angegriffen. In Libanons Hauptstadt Beirut drangen Hacker derweil in die IT-Systeme des internationalen Flughafens ein, wie der geschäftsführende Tourismusminister Walid Nassar laut Staatsagentur NNA bestätigte. Auf Bildschirmen wurden den Reisenden statt Abflugs- und Ankunftszeiten plötzlich Botschaften gegen die schiitische Hisbollah und deren Chef Hassan Nasrallah angezeigt. „Hassan Nasrallah, du wirst keine Verteidiger mehr haben, wenn der Libanon in den Krieg gezogen wird“, war dort zu lesen.

Tragischer Verlust für Al-Dschasira-Korrespondent

Nach dem Verlust seiner Frau, zweier Kinder und eines Enkels musste ein in der arabischen Welt bekannter Korrespondent des Nachrichtensenders Al-Dschasira im Gazastreifen nun auch den Tod seines ältesten Sohnes beklagen. Bereits in der Nacht zum Montag berichtete Wael al-Dahdu wieder live im Fernsehen. Sein 27-jähriger Sohn starb laut dem arabischen Sender bei einem israelischen Luftangriff. Fotos zeigten, wie der Vater weinend von seinem ältesten Sohn Abschied nahm. „Hamza war alles für mich, der älteste Junge, die Seele meiner Seele“, sagte er. Auch Hamza al-Dahdu war laut Al-Dschasira Journalist und mit einem Fahrzeug im Westen der Stadt Chan Junis unterwegs gewesen, als eine Rakete einschlug.

Israel greift in Chan Junis weiter an

Israel griff derweil am Sonntag im Süden des Gazastreifens weiter an. Nach eigener Darstellung zerstörte die Armee mehr als 100 Ziele palästinensischer Terroristen im heftig umkämpften Chan Junis. Dutzende Terroristen seien dort zudem getötet worden, teilte das Militär mit. Soldaten zerstörten demnach Tunnel, Beobachtungsposten und ein Hauptquartier der Hamas, welche die Islamistenorganisation auch für die Planung ihres Massakers am 7. Oktober genutzt habe. Extremistische Palästinenser feuerten am Sonntag erneut Raketen Richtung Israel. In Grenzorten wurde Raketenalarm ausgelöst.

Was am Montag wichtig wird

Baerbock will sich bei einem Besuch im Westjordanland ein Bild von der Lage der Palästinenser machen. Geplant sind Besuche in einem palästinensischen Dorf und ein Treffen in Ramallah mit Außenminister Riad al-Maliki. Am Abend will sie nach Ägypten weiterreisen. Blinken will in den kommenden Tagen auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Israel, das Westjordanland und Ägypten besuchen. Zudem dürfte der Blick auf die Gefechte im Gazastreifen gerichtet bleiben./jon/DP/zb

Finanznachrichten – Israel

ROUNDUP: Wieder gegenseitige Angriffe zwischen Israels Armee und Hisbollah – 7.1.2024, 18:39

TEL AVIV/BEIRUT (dpa-AFX) – Im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon hat es wieder gegenseitige Angriffe zwischen der israelischen Armee und der Schiitenmiliz Hisbollah gegeben. Die Angriffe richteten sich gegen Terroristen und mehrere Ziele der vom Iran unterstützten Miliz im Nachbarland, teilte das israelische Militär am Sonntag mit. Zudem sei in der Nacht auf Sonntag ein „feindliches Fluggerät“ aus dem Libanon über Nordisrael abgefangen worden. Die Hisbollah teilte mit, sie habe israelische Soldaten nahe der Grenze mit Raketen angegriffen. Insgesamt reklamierte die Hisbollah am Sonntag zehn Angriffe auf das israelische Grenzgebiet für sich.

Nach Angaben der staatlichen libanesischen Nachrichtenagentur NNA wurden mehrere Grenzorte von israelischem Artilleriebeschuss getroffen. Es gab zunächst keine Berichte über Opfer.

Seit Beginn des Gaza-Kriegs nach dem Massaker von Terroristen der islamistischen Hamas und anderer extremistischer Gruppen in Israel am 7. Oktober kommt es in der Grenzregion immer wieder zu Beschuss zwischen Israels Armee und der Hisbollah. Die Schiitenmiliz meldete seitdem den Tod von mehr als 150 Mitgliedern, Israels Armee den Tod von neun Soldaten. Auch Zivilisten kamen ums Leben. Es ist die schwerste Eskalation seit dem zweiten Libanon-Krieg 2006.

Israel fordert, dass sich die Hisbollah von der Grenze zurückzieht. Das Land droht, militärische Mittel einzusetzen, sollten diplomatische Bemühungen nicht zum Erfolg führen. International gibt es Sorgen vor einer Ausweitung des Konflikts./cir/DP/he

Weitere Meldungen – Israel  

WHO: Seit zwölf Tagen keine Hilfslieferungen für Nordgaza – ORF, 8.1.2024, 6:37

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist nach eigenen Angaben im laufenden Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas seit zwölf Tagen nicht mehr in den Norden des Gazastreifens gelangt.

Eine geplante Mission zum Krankenhaus al-Awda sei zum vierten Mal abgesagt worden, weil die Sicherheit nicht gewährleistet gewesen sei, teilte die WHO in der Nacht auf heute auf X (Twitter) mit.

Schwere Bombardierungen, nur eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten und unterbrochene Kommunikation hätten es „nahezu unmöglich“ gemacht, medizinische Hilfsgüter in den isolierten Küstenstreifen und vor allem in dessen Norden zu liefern.

Die Krankenhäuser seien ernsthaft unterbesetzt, weil das medizinische Personal nach den Evakuierungsaufrufen geflohen sei, sagte die UNO-Organisation. Ein sicherer und ungehinderter Zugang zum Norden des Gazastreifens sei dringend nötig, sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Gehackt: Anti-Hisbollah-Botschaften auf Beiruter Flughafen – 7.1.2024, 21:58

Der Flughafen der libanesischen Hauptstadt Beirut ist zum Ziel eines ungewöhnlichen Cyberangriffs geworden. Hacker griffen gestern Abend die IT-Systeme des internationalen Flughafens Rafiq Hariri an, wie der geschäftsführende Tourismusminister Walid Nassar der Staatsagentur NNA zufolge bestätigte.

Auf Bildschirmen wurden den Reisenden statt Abflugs- und Ankunftszeiten plötzlich Botschaften gegen die schiitische Hisbollah angezeigt. Auch die Gepäckförderanlage sei vorübergehend gestört worden, hieß es.

Direkt gegen Nasrallah

Die Botschaften richteten sich gegen die im Libanon mächtige Hisbollah, deren Konfrontationen mit Israels Armee sich im Zuge des Gaza-Kriegs zunehmend verschärft haben, und direkt gegen Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah.

„Hassan Nasrallah, du wirst keine Verteidiger mehr haben, wenn der Libanon in den Krieg gezogen wird“, war dort zu lesen. Die Hisbollah trage die Konsequenzen. „Wir kämpfen im Namen von niemandem.“ Zunächst bekannte sich niemand zu der Attacke.

Sicherheitskräfte bemühten sich mit einem Notfallplan, den Betrieb auf dem Flughafen normal laufen zu lassen. Die Behörden erklärten, den Vorfall zu untersuchen. In der Region wächst die Sorge vor einer noch größeren militärischen Konfrontation zwischen der Schiitenmiliz Hisbollah im Libanon und Israel an der gemeinsamen Grenze.

Anhörung in Den Haag: Israel schickt Ex-Höchstrichter Barak

Israel wird anlässlich der Anhörung vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) zum Gaza-Krieg den ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, Aharon Barak, als zusätzlichen Richter nach Den Haag schicken. Israel muss sich auf Betreiben Südafrikas wegen Völkermords verantworten. Mit der Entsendung macht Israel von seinem Recht Gebrauch, als beklagtes Land einen weiteren Richter zu stellen. Dass die Wahl auf Barak fiel, kam für viele aber überraschend.

Ein Sprecher des israelischen Außenministeriums bestätigte am Sonntag entsprechende Medienberichte. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe der Ernennung des 87-jährigen Holocaust-Überlebenden zugestimmt. Bereits zuvor hatten israelische Medien übereinstimmend berichtetet, dass Barak für Israel Teil des Richtergremiums werden soll.

Die Nachricht kam überraschend, weil Barak als Kritiker der Justizreform gilt, die Netanjahus rechts-religiöse Regierung im vergangenen Jahr trotz heftiger Proteste durchsetzen wollte. Barak hatte den geplanten Justizumbau mit einem „Umsturz mit Panzern“ verglichen, der Israel in eine „ausgehöhlte Demokratie“ verwandeln werde.

Renommierter Jurist und Holocaust-Überlebender

Die Times of Israel schrieb, Barak sei international hoch angesehen, und Netanjahu sei mit seiner Ernennung der Empfehlung der israelischen Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara gefolgt. Barak gilt in Israel als einer der fundiertesten Juristen des Landes.

In Litauen geboren, wurden Barak und seine Familie nach der Besetzung des Landes durch die Nazis im Ghetto von Kauen festgehalten. Die Familie konnte aber fliehen und schlug sich bis Kriegsende bis nach Rom durch. Von dort wanderten sie nach Jerusalem aus. Barak studierte unter anderem in Harvard, war Dekan der juristische Fakultät der Universität von Jerusalem und saß von 1995 bis 2006 dem israelischen Obersten Gerichtshof als Präsident vor.

Besondere Regeln von IGH

Dass Israel überhaupt einen Richter nach Den Haag schicken kann, liegt an den besonderen Verfahrensregeln des Internationalen Gerichtshofs. Hat ein Staat bei einem Verfahren keine Richterin oder keinen Richter auf der Richterbank, kann er eine eigene Richterin oder einen eigenen Richter zusätzlich entsenden. Das gilt sowohl für klagende als auch beklagte Staaten.

Auch Südafrika entsendet in dem Fall einen eigenen Ad-hoc-Richter. Laut südafrikanischen Medien handelt es sich um den ehemaligen stellvertretenden obersten Richter Dikgang Moseneke. Südafrika hatte Israel wegen dessen Militäreinsatz im Gazastreifen vor dem IGH wegen Verdachts des Völkermords geklagt.

Südafrika beruft sich auf Völkermordkonvention

Südafrika beruft sich bei der Klage auf die Völkermordkonvention. Beide Staaten haben diese Konvention unterzeichnet. Die UNO-Richter sollen aus Sicht Südafrikas zunächst in einem Eilverfahren ein Ende der Gewalt gegen Palästinenser anordnen, um deren Rechte zu schützen. Israel wies Südafrikas Anschuldigungen entschieden zurück. Für das Leid der Palästinenser in Gaza sei ausschließlich die Terrororganisation Hamas verantwortlich. Israel tue im Krieg alles, um den Schaden für die Zivilbevölkerung so gering wie möglich zu halten, wurde argumentiert.

Die Anhörungen zu dem Fall setzte der Gerichtshof für den 11. und 12. Jänner an. Die Urteile des UNO-Gerichts sind in der Regel bindend. Allerdings besitzen die Richter keine Machtmittel, um einen Staat zur Umsetzung zu zwingen.

red, ORF.at/Agenturen

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