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EFFIZIENZ ALS ZAUBERWORT für Universitäten von heute Seite 1
SANKTIONIERTE MINDESTSTUDIENLEISTUNG im Lichte von Studien Seite 2
EFFIZIENZ AUS POLITISCHER SICHT (1) – Ein Lehrstück im Umgang mit Statistik Seite 3
EFFIZIENZ AUS POLITISCHER SICHT (2) – Was heißt Effizienz in der Hochschullehre? Seite 5
VERBINDLICHKEIT UND „COMMITMENT“ – Zur Wirkmacht eines (vertrags)rechtlichen Begriffs Seite 6
SCHLUSS – Eine Warnung Seite 8
BEZÜGE (Auswahl) Seite 9
VORAUSGELAUFENER SCHRIFTVERKEHR Seite 10
Mail von einer Person mit Expertenstatus vom 9. März 2021, 19:10 Seite 10
Mail an eine Person mit Expertenstatus vom 9. März 2021, 18:49 Seite 10
Die Seitenzahlen beziehen sich auf einen Text im PDF-Format.
Meine Einlassung hier in Form eines Essays stellt meine Antwort im Rahmen eines Schriftverkehrs zwischen einer Person mit Expertenstatus eines renommierten österreichischen Forschungsintituts und mir dar. Dieser wurde am Dienstag, 9. März 2021, am Abend aufgenommen und am darauffolgenden Mittag einstweilen beendet. Meine Antwort wurde überwiegend am 10. März 2021 vormittags verfasst und am frühen Nachmittag versandt. Die vorausgelaufenen Mails finden sich am Ende dieses Dokuments.
Diesem Mailverkehr vorangegangen waren seit Dezember eine von einem wissenschaftlichen Netzwerk veranstaltete Online-Konferenz zur Universitätsgesetznovelle, an der ich teilnahm, sowie mehrere für mich lehrreiche Telefonate mit der erwähnten Expertenpersönlichkeit im Dezember und im heurigen Januar, worauf mein Mail am gestrigen Abend Bezug nimmt. Besagtes Netzwerk hatte geplant, eine Stellungnahme zur Universitätsgesetznovelle bis zum 15. Januar 2021 zu erarbeiten und dem Parlament zu übermitteln. Dazu ist es nicht gekommen.
In der hier veröffentlichen Version wurde mein Antwortschreiben ergänzt um eine Skizze der Entwicklung des Universitätswesens von der Aufklärungszeit bis heute sowie um einige kleine Beifügungen, die das Thema „funktionalistische Erziehung“ erhellen.
Letzte Revisionen am 13.3.2021 / 22.3.2021 / 29.3.2021
EFFIZIENZ ALS ZAUBERWORT für Universitäten von heute
…
Erlauben Sie mir bitte wenige Worte zur Effizienz als Ausmaß der Effektivität je Zeiteinheit.
Was nun diese Effizienz von Universitäten betrifft, so haben einige Universitäten Österreichs – allen voran die größte und gewichtigste des Landes, die Universität Wien – zumindest in diversen „anerkannten“ Rankings durchaus nicht allzu schlechte Figur gemacht in Hinsicht z.B. auf Zitationen und Forschungsoutput und in einem Ranking auch in Hinsicht auf „Zukunftspotential“. Nur sind eben andere nicht-österreichische Universitäten auch auf der Jagd nach dem Siegerpodest: mehr Punkte für z.B. die Universität Wien und für die Konkurrenten bedeuten, dass es für die genannte Universität schwer sein kann und augenscheinlich ist, sich entscheidende Plätze Richtung Sonne zu bewegen. Im Gegenteil: gelegentlich geht trotz Punktsummenzuwachs die Reise nicht hin, sondern weg von der Sonne.
Und dieser über Jahre recht stetige Punktesummenzuwachs gelang sogar auch trotz der über Jahre – Jahr für Jahr – recht niedrig bleibenden Punktewerte für die Lehre für praktisch alle in Rankings vertretenen österreichischen Universitäten – da liegt meines Erachtens der Hase im Pfeffer. Das dürften Sie auch so sehen, wenn Sie z.B. auf die nötige Entrümpelung der Curricula vor allem in technischen Fächern hinweisen. Das dürfte für das BMBWF ebenso keine Frage sein.
Die Kleinteiligkeit der Bachelor-Studienpläne, z.B. auch jener der Soziologie an der Universität Wien, hebt nicht gerade die strukturelle Studierbarkeit des Soziologie-Studiums für BA-Studierende. Wie aber neben anderen auch die deutschen Studien zeigen, ist dieses Problem durchaus seit langem und bis heute gut bekannt und noch nicht oder noch nicht überall behoben.
Nur nebenbei: in der Studienkonferenz der SPL 23 habe ich mehrfach vorsichtig, aber unüberhörbar darauf aufmerksam gemacht, dass eine Straffung der Lehrveranstaltungsanzahl unter Hebung der ECTS-Punkte bei gleichen Prüfungsanforderungen näher ins Kalkül der nächsten Lehrplanüberarbeitung gezogen werden sollte. Das ist naturgemäß zunächst auf deutliches Missfallen, zumindest Unverständnis gestoßen. Inzwischen wird der Gedanke vorsichtig aufgenommen, wenn ich es richtig erfasse.
SANKTIONIERTE MINDESTSTUDIENLEISTUNG im Lichte von Studien
Die Mindeststudienleistung, die Sie zuletzt in Ihrer Kurz-Replique ansprechen, soll wohl ebenfalls gleichsam psychologisch wirken: ein drohender Ausschluss bei Nichterfüllung lässt möglicherweise jene vor der Aufnahme eines Studiums zurückschrecken, „die nur mal schauen wollen, am Suchen sind oder als Hobby studieren“ usw. Auch die Einführung von Studiengebühren und Selfassessments (OSA in Österreich) haben prüfungsaktivierend und studiendauerverkürzend gewirkt, wenn ich nicht nur österreichische Studien richtig verstanden habe. Da bin ich ganz bei Ihnen: aus einer extrinsischen Lernmotivation wurde per Internalisierung eine intrinsische. Soweit, so gut.
Meinem Verständnis nach haben Bildungseinrichtungen, auch tertiäre, dem Paradigma des lebenslangen Lernens zu folgen. Ich berufe mich unter vielem anderen dabei auf das 2020 differenzierter formulierte 4. Ziel einer nachhaltigen Entwicklung der Agenda 2030 (4. SDG), genauer: auf den Punkt 4.3 (SDG 4.3). Das lebenslange Lernen schließt jene jungen Menschen mit ein, die sich orientierend ein Studium aufnehmen. Jene kurzentschlossenen jungen Menschen, die mangelhaft informiert aufs Geradewohl ein Studienfach wählen, gehören nach u.a. deutschen Studien zu den von Beginn an prüfungsinaktiven Frühabbrechern innerhalb von zwei Jahren.
Spannend: Stellen prüfungsinaktive Studierende Planungssicherheit und Kostenschlankheit der Universitäten eklatant in Frage?
Frau Eva Blimlinger beziffert die Anzahl jener, die die Prüfungsleistung im Ausmaß von 24 [24 sic!] ECTS in vier Semestern nicht erlangen konnten, österreichweit mit 800 bis 1.000 Studierenden. Daraus ergibt sich eine weit geringere Anzahl jener Studierenden, die 16 ECTS in den ersten zwei Studienjahren nicht prüfungsleisten; Bezug siehe unten.
Nicht zu den Studienabbrechern gehören nicht in allen, aber in vielen resp. geradezu unzähligen Studienabbruchstudien in der Schweiz, in Deutschland und auch Österreich definitionsgemäß Studienwechsler, die sich zunächst studierend orientieren und nach u.a., aber insbesondere erwartungsprellenden Erfahrungen das Studienfach wechselten. Ebenfalls nicht zu den Studienabbrechern zählen Studienunterbrecher, die später das gewählte oder ein anderes Studienfach mittels Re-Immatrikulation wiederaufnehmen. Die angloamerikanische deutlich langerwährende Studienabbruch- resp. Studienverbleibs-Forschung mit anderer Zielrichtung und anderem Hochschulsystem lasse ich außen vor; dennoch gibt es ergebnismäßige Überschneidungsbereiche.
Vernebelnd auf die im Zuge der UG-Novelle geführten Diskussion führt die Nicht-Beachtung der aufgezeigten Differenzierung: Studienschwund resultiert eben nicht nur aus Studienabbrüchen, sondern aus Studien(fach)abwanderungen – und Studien(fach)zuwanderungen. Das BMWF lässt es an dieser Transparenz fehlen. Warum wohl?!
Dazu kommen methodische und definitorische Unterschiede in der Breite der Erfassung von Studienabbrüchen, die unterschiedliche statistische Ergebnisse generieren und daher nicht ohne weiteres untereinander vergleichbar sind; ich denke da z.B. an die Messung von Studienabbrüchen bei der OECD.
Es kommen dazu schließlich „nationalkulturelle“ Unterschiede, die sich in der rechtlichen Ausgestaltung von Hochschulstudiengängen niederschlagen: geschichtlich gewordene kulturgebundene Sitte => Sitte als gesatztes Recht => Gesetz und Verordnung. Darauf hat auch Prof. Klaus Poier in seiner rechtsvergleichenden Studie (Dezember 2020) deutlich hingewiesen. Nur zur Klarstellung: Sitte und in der Folge Gesetz und Verordnung befinden sich in steter Veränderung, wie die Soziologie-Altmeister Schäffle, Simmel, Tönnies, viele Rechts- und Staatstheoretiker, viele Politologen beschrieben und beschreiben. Interessant dazu frühpositivistische und organizistische Auffassungen – als Abschreckung: an die halte ich mich nicht.
EFFIZIENZ AUS POLITISCHER SICHT (1) – ein Lehrstück im Umgang mit Statistik
Doch zurück: Liebe/r …! Falls diese von Eva Blimlinger genannte Anzahl stimmen sollte, wozu dienen dann die recht einschneidenden Veränderungen des Universitätsgesetzes durch die Novellierung: nur, um deutlich weniger als 1.000 Personen von rund 190.000 inländischen, von rund 270.000 in- und ausländischen Studierenden an wissenschaftlichen Hochschulen sanktionsmäßig auf den Schirm zu bekommen? Zwecks Erhöhung der Planungssicherheit, zwecks Kosteneinsparungen?
Jetzt auf einmal möchte man in der Pandemie, welche Schwachstellen im Hochschulsystem wie unter der Lupe erkennbar macht und neue entdecken lässt, ein Regelwerk in ein Gesetz gießen, das auf unsicheren oder gegenüber der interessierten Öffentlichkeit eben nicht transparent gemachten Daten beruht? Die Daten der Statistik Austria und der Unidata befrieden – soweit öffentlich zugänglich – nicht alle Statistik-neugierigen Wünsche dieser Öffentlichkeit, welche sei: zumindest jene Teilöffentlichkeit aller Hochschul-Stakeholder – nicht nur der lobbyierenden einflussreichen Interessengruppen.
Man beruft sich auf Makrodaten und übersieht die Unterschiedlichkeit an Motiven für Studienabbrüche je Studienfach, Studienfeld, Hochschultyp, Lebensalter der Studierenden und ihrer Lebenssituation soziökonomischer, finanzieller, gesundheitlicher, etc.etc. Art und Weise. Viele Bachelor-Studierende beenden auf Studienfach- und Studienfeldebene innerhalb von rund sieben bis acht Semestern ihr Bachelorstudium, andere brauche dazu viel, viel länger.
Der in OTS-Aussendungen und andernorts genannte Stehsatz von nur 6% der Studierenden, die ihr Studium in Regelstudienzeit abschließen, übersieht Doppelstudierende und eben jene, die in etwas mehr als der Regelstudienzeit von 6,0 Semestern ihr Bachelor-Studium beenden, z.B. die, welche in 6,1 oder 6,2 oder vielleicht 6,357 Semestern etc. ihr Bachelor-Studium vollenden. Ex-UNIKO-Präsident Vitouch und IV-Generalsekretär Mag. Christoph Neumayer – beides aus meiner Sicht bewundernswerte Sub auspiciis praesidentis-Absolventen (wie Rektor Engl auch) mit kurzen Studienzeiten – werden nicht müde, von diesen 6% resp. 94% zu berichten.
Damit im Zusammenhang steht: die Hälfte aller Studienbeginner*innen haben erst nach rund 14 Semestern ihr Studium beendet. OK, schrecklich, furchtbar, entsetzlich, die Hochschullehre ist höchst ineffizient, so könnte man emotionalisiert meinen. Der Blick auf die linksschiefe Verteilung und ihren Wölbungsgrad erzählt da schon mehr, ebenso die Differenz zwischen Median und Mittelwert, die gemessene Streuung und eben die differenzierten Ergebnisse der rezenten Arbeiten des IHS, die Aufmerksamkeit auf verschiedene Studienfächer, Studienfelder oder -gruppen.
Aber die Schweizer Studierenden (oder wer auch immer im internationalen Konzert) studieren im Schnitt schneller, heißt es dann. Dann muss man aber auch die Begleitumstände berücksichtigen, und die sind in der Schweiz andere als in Österreich: 41% der Studierenden wohnen bei den Eltern, in Österreich nur 20%, 18% der Schweizer wohnen paarweise, 28% hingegen in Österreich, 21% sind schweizerische, 25% österreichische Wohngemeinschaften. Entsprechend höher ist der Zeitaufwand für Restauration und Hausarbeit anzusetzen. Auch die wöchentliche Erwerbsarbeitszeit ist mit 9,7 Stunden bei den Schweizern niedriger als bei den Österreichern, die Wochenstudienzeit mit 35,4 Stunden entsprechend höher als hier in Österreich mit 30,3 Stunden usw. usf.
Je länger man gräbt und forscht, desto eher findet man auch einzelne Gegenbespiele in einzelnen Aspekten, aber zumeist eben anderen Umständen. Kurzum: Die Vertiefung in die Details der Statistik ist eines, den Gesamtblick für die österreichische Situation zu wahren ein anderes. Um den, so meine ich, geht es.
Zurück – wie man es auch dreht und wendet: rein statistisch überzeugen die Studienzeiten (Studienverläufe) nicht, vor allem, wenn man internationale Daten mit einbezieht und die „Vorschrift“ einer Regelstudienzeit als sakrosankt akzeptiert. Die Maschine hat Schrauben in einer Länge von 7 mm herzustellen mit einer Präzision von +/- 0,05 mm Längenabweichung; die Präzision der Herstellung ist fortlaufend stichprobenartig zu kontrollieren unter Einhaltung eines entsprechenden Konfidenzintervalls für 91% aller vermessenen Schrauben der Stichprobe. Provokant formuliert: Oh du fröhliche klassische Testtheorie! Hallo?! Sind Menschen Schrauben?
Die Studienzeiten seien zu lang, gehen über die „Regelstudienzeit“ hinaus; aber:
- wie hoch sind die dadurch für die Universitäten entstandenen Kosten?
- wie hoch sind die dadurch aufgeworfenen volkswirtschaftlichen Kosten?
- inwieweit ist das Überschreiten der Regelstudienzeit ausschließlich als Negativum zu zählen?
- Gibt es auch einen gesellschaftlichen, ja: sogar einen wissenschaftlichen Benefit eines „längeren Studiums“?
- Wissen wir nicht alle um die Notwendigkeit der Muße beim wissenschaftlichen Arbeiten, beim Lernen neuen Wissens, beim Gewinnen neuer Einsichten?
Und schließlich: - kommt man mit Online-Self-Assessment, verbesserter struktureller Studierbarkeit inkl. optimierter StEOP, optimierter, dem Studium vorauslaufender Information und einer optimierten Informationsstrategie unterm Studium zu einer Erhöhung der Prüfungsaktivität und einer Verkürzung der Studiendauer?
- Hilft das Angebot eines Studium generale sive fundamentale für jene, die sich mit der fachlichen und sozialen Integration an der Hochschule schwertun?
- Wäre damit statistischen Kennzahl-Jagden gedient: man klammert die Studienzeit für das Grundstudium aus, hat aber verkürzte Studienzeiten für das Bachelor-Studium für jene, die zuvor das Studium generale absolviert haben.
In den letzten Jahren wurde in diesen Hinsichten an der österreichweit größten Universität meiner Beobachtung nach sehr viel verbessert.
Jahrhunderte zurück in der Universitätsgeschichte schlossen die wenigsten Studiosi ihre Studien ab, wurden keine Magister. Das blieb so nicht in diesem Ausmaß bis ins 19., 20. Jahrhundert. Aber: das titellose Verlassen der Hochschule wurde nicht nur negativ bewertet, sondern auch gesellschaftlich toleriert und in gewissem Maße respektiert: er oder sie hat eine Ahnung in einem bestimmten Fach. Das erlebten die Abgänger wohl auch so – und das bis heute: als Gewinn. Noch Hertha Firnberg (SPÖ) machte sich darüber keine Sorgen: auch Studienabbrecher*innen profitieren vom Uni-Besuch, meinte sie. In betriebswirtschaftlicher Sicht ist das problematisch. Aber ist das die einzig mögliche und einzig sinnvolle Sichtweise?
EFFIZIENZ AUS POLITISCHER SICHT (2) – Zu welchem Zweck Effizienz in der Hochschullehre?
Inwieweit sind die zwei Hauptkomponenten der UG-Novellierung (Verbindlichkeit und erhöhte universitäre Studierenden-Unterstützung gemäß BMBWF) belastbar evidenzbasiert? In der „Wirkungsorientierten Folgenabschätzung“ werden die dort kurz definierten Hauptziele intern evaluiert werden – „im Jahr 2026 (zum spätest möglichen Zeitpunkt)“, also in sieben Jahren gerechnet vom Studienjahr 2018/2019 weg.
Bacheloranden und Masteranden, die österreichweit im Studienjahr im Schnitt 8 Semester dazu brauchten, sollen ab dem Studienjahr 2018/2019 (Ausgangslage) bis zum Evaluierungszeitpunkt 2026 dann 7,9 Semester brauchen, die Zahl der Bachelor-Absolvent*innen soll im gleichen Zeitraum von 17.162 auf 18.000 steigen (Differenz: 838 Personen oder 4,9%) unter gleichzeitiger „Hebung“ der Bachelorstudierenden im gleichen Zeitraum von 102.755 auf 108.000 Personen (Differenz: 5.245 oder 5,1%). Die nämlichen Zahlen lauten für Diplomstudien/Diplomanden etc.: 33.780 => 30.000 Personen (Differenz: – 3.780 Personen oder – 11,2%); 12,4 Semester => 12,2 Semester; 5.700 => 4.500 Diplomabschlüsse (Differenz: – 1.200 Personen oder -21,1%).
Wunderbar! Und nun kommt das Zauberwort Effizienz in ganz anderer Weise zur Geltung:
Die Studienabschlussquote für Bachelor- und Diplomstudien soll sich zwischen Studienjahr 2018/2019 und 2026 von 45,3% auf 50% erhöhen.
Ich meine, hier wird mit Makrodaten Sand ins Auge gestreut, sprich: eine Effizienzsteigerung vorgegaukelt – unter vergleichender Verrechnung von Äpfeln, Birnen und Orangen. Die einzelnen Rechnungen und somit Makrodaten mögen ja stimmen, aber die Gesamtsicht ist schief, sehr schief, der Erfolg wegen des sowieso im Beobachtungszeitraum bis 2026 – also: von sieben Jahre – erfolgenden Rückbaus von Diplomstudiengängen vermutlich ein Selbstläufer – darin gründet das Gaukelkunststück.
Wozu dann die ganze UG-Novelle in eben dieser Form? Nun ja, es gibt neben dem einzuführenden vertragsrechtlichen Titel „Verbindlichkeit“ ja noch andere Reformpunkte, die die Zentralisierung Richtung Bundesministerium und Regierung verstärken, die universitären Gremien rein formal im Grundsätzlichen belassen, nicht aber in der alltäglichen Zusammenarbeit zwischen den einzelnen universitären Gremien untereinander einerseits und dem universitären Leitungsorgan-Teil Rektorat mit dem Bundesministerium andererseits.
Nicht genug möchte und kann ich darauf hinweisen, dass es nicht um reine Makrodaten-Änderungen „zum Besseren“ geht, sondern um einen zentralisierten Zugriff auf die Hochschulen. Da ist die intendierte bezaubernde Effizienzsteigerung – ist sie auch mit Blick auf die erwartete Makrodatenlage atemberauben gut? – lediglich Deckmantel politischer Zentralisierungsbestrebungen resp. entsprechender politischer Begehrlichkeiten. Und die gibt es Stück für Stück seit Jahren.
VERBINDLICHKEIT UND „COMMITMENT“ – Zur Wirkmacht eines (vertrags)rechtlichen Begriffs
Nein, die Agenda der UG-Novelle ist eine, die nicht der „Befreiung“ von Studierenden dank Verbesserung der strukturellen Studierbarkeit dient, auf die man per UG-Novellierung hofft und die sich möglicherweise auch einstellt; dann aber: in welchem Ausmaß und zu welchem politischen Preis?
Nein, die Agenda der UG-Novelle dient der – wenn Sie das Wort erlauben – „Entfreiung“, die die rechtliche Einschränkung von Freiheitsgraden betreffend die Handlungsfreiheit von Studierenden zum Ziele hat. Ich habe bereits im Vormail versucht, das näher auszuführen, und wiederhole den mir wichtigen Gedankengang:
„Verbindlichkeit [ist] aber nicht als durchaus anerkennenswertes Sozialverhalten im Sinne eines absichtsgeleiteten quid pro quo [zu verstehen, also eben nicht als „commitment“ im sozialpsychologischen Sinn], sondern [es geht] um Verbindlichkeit als vertragsrechtlich bindendem Rechtstitel, der mittels trojanischem Pferd namens Mindeststudienzeit in das novellierte Universitätsgesetz implementiert werden soll. Diese Lesart macht nun [spätestens jetzt] den Beifall von u.a. Industriellenvereinigung, UNIKO, Wirtschaftskammern, Rat für Forschung und Technische Entwicklung mehr als gut erklärlich. Diese Beifallsstürme waren es für mich vorher nicht: den Zusammenhang zwischen Verbindlichkeit und der m.E. irrigen Vorstellung, dass sich mit vorgeschriebener 16/2-ECTS-Regel die Prüfungsaktivität (entscheidend) erhöhen, die Studiendauer (deutlich) absenken lasse, vermochte ich bei bestem Willen nicht zu erkennen. Das können im Übrigen auch Mitarbeiter*innen der Abteilung für Qualitätssicherung der Universität Wien nicht.“
Die wohl als groß anzunehmende Anzahl der Handlungs-Freiheitsgrade hat man begrifflich sehr unscharf mit „akademischer Freiheit“ umschrieben; wegen der Unschärfe des Begriffs gehe ich darauf nicht in extenso ein, da möge man sich z.B. an Jaspers (1946), Jaspers und Rossmann (1961) und vielen anderen vor 1945 und insbesondere danach bis um 1970 halten, vielleicht auch bei Schelsky, Anrich und Rein nachlesen – ausgerechnet Schelsky, Anrich und auch noch Rein mit seiner „Idee einer Politischen Universität“? Oder lieber bei Michail Kalinin? Oder bei Baldur von Schirach? Die bewusst hier letztgenannten Autoren werfen ein äußerst befremdliches Licht auf die Begriffe „akademische Freiheit“ und jenen der vielzitierten „universitas magistrorum et scholarium“, der „Universität“ als – auch das noch: deutschem! – Tempel der Wissenschaft.
Meine Erwähnung zweifelhafter Autoren weist auf die Gefahren hin, die sich aus Zentralisierungsbegehrlichkeiten von Regierungen auf Hochschulen richten. Bei Mitchell G. Ash und anderen lässt sich dazu sehr gut nachlesen, was das universitätsgeschichtlich – Stichwort Austrofaschismus und Nationalsozialismus – heißt. Und es heißt nichts Gutes für Österreich, auch nicht mit Blick auf den Innovations-, Forschungs-, Wissenschafts- und nicht zuletzt eben: den Wirtschaftsstandort dieses Landes.
Das sei geschichtlich zu kurz gegriffen, meinen Sie? Kein Problem, ein Blick weit zurück zeigt: das Verbot der Platonischen Akademien im (Ost)Römischen Reich unter Kaiser Justinian I. 529 n.d.Z. und Folgejahre und seine „Universitätsreform“ mit Strukturierung von Lehrplänen, Lehrpersonal-Voraussetzungen, Studienvorschriften entzog der (philosophischen) Grundlagenforschung einen großen Teil des Bodens, die Erstarrung der anwendungsorientierten Lehre – wie philantropinisch! – setzte ein und wurde religiös für Jahrhunderte überformt.
Philantropinisch? Aufklärungzeit, Zeit der Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, Zeit der Hinwendung zur praktischen, anwendungsorientierten Ausbildung für den Beruf: handwerklich, technisch, selbst künstlerisch. Paganini lässt grüßen. Den Kunstakademien der frühen Neuzeit gesellen sich nun die aufblühenden Philantropinischen Akademien hinzu, entlassen praktisch erzogene und derart funktionierenden Untertanen, die werken und Waren erzeugen für den Export und solche fürs eigene Volk. Gut für die Kasse des Herrschers, die Ratsmitglieder der Camera frohlocken kameralistisch in deutschen, merkantilistisch in französischen Landen. Glückliche Untertanen, glücklicher Staat. Glückliche Wirtschaft, glückliche Stifter als Philantropen, glückliche philantropische Ausbildungsstätten. Philantropin zu Dessau, zu Frankfurt. Und: ja nichts importieren, schlecht für die Kasse des Herrschers.
Wo aber bleibt die Grundlagenforschung? Die darbt schon lange in den nun démodé werdenden, nun selbst darbenden scholastisch erstarrten Universitäten. Sie darbt so lange, bis an den Reformuniversitäten Halle an der Saale, Göttingen, Berlin der Umschwung einsetzt, aus Ciceros sprachzentrierter studia humanitatis, Petrarca-rénaissiert, wird der Neue Humanismus: Lehre und Forschung gemeinsam zwecks Grundlagenforschung, möge sich dadurch das Individuum entfalten. Aus aufgeklärter tätig-paternalistisch erziehender Menschenliebe wird eine sprachfokussiert intellektuelle: der Mensch, so die pädagogische Maxime, möge sich individuell-selbstverantwortlich sprachgebunden-denkend selbst veredeln zu einem im Gegensatz zu und zugleich für die Gesellschaft freiwählend handelnden Individuum: nicht um den erzogenen und praktisch funktionierenden, um den gebildeten Mensch geht es, der es wagt, selbst kritisch zu denken. Unterstützt durch artes liberales stehen Goldene Latinität und Mathematik Pate. Aus dem untertänig-treuen Gefolgsmann eines Heerführers, eines Herrschers wird der gebildete Beamte, fähig zu konstruktiver, pragmatisiert geschützter Kritik gegenüber seinem Landesherrn, seiner Landesfrau.
Bald folgt im 19. Jahrhundert ein geschwisterliches Nebeneinander von grundlagenforschenden Universitäten Wilhelm Humboldtscher Prägung und den anwendungsausbildenden Akademien, Polytechnika, Höheren Technischen Lehranstalten, auch Musikakademien wie die Wiener Musikakademie (1817-1970). Im 20. Jahrhundert werden aus Akademien, gleich ob fortgesetzt oder neu ins Leben gerufen, Technische Hochschulen, Technische Universitäten und vor allem in Österreich die neuen Fachhochschulen. Sich differenzierende Gesellschaften bedingen sich differenzierende Ausbildungsstätten, die wiederum den gesellschaftlichen Differenzierungsgrad erhöhen. So kann, so muss es nicht gehen.
Und heute? Exzellenz als betriebswirtschaftlich fundierter Philantropinismus? Exzellenz als Funktion der Effizienz? Betriebswirtschaftlich gegründetes Handeln als Philantropie? Standardisierung und Differenzierungsverlust als Treibmittel der Effizienz, der wissenschaftlichen Exzellenz? Bildung oder Drill zur Funktion?
Michail Kalinin (1950) macht aufmerksam: viel habe der Kapitalismus akademische Ausbildung, Forschung, Innovation vorangetrieben. Wolle der Kommunismus den Kapitalismus an Weltgeltung überrunden, so müssten die jungen Menschen alles daran setzen, sich auszubilden: Sprache, Sport, Mathematik, Technik. Wie schön reichen sich darin Stalinismus, Austrofaschismus und Nationalsozialismus die Hand: der Einzelne bedeutet nichts, seine Funktion für die Gemeinschaft alles, sei diese kommunistisch durch das Zentralkommitee der KP, austrofaschistisch durch die Vaterländische Front oder nationalsozialistisch durch den Führer bestimmt.
Und heute? Wer schwingt nun das Szepter?
Sie meinen, meine Gedanken griffen zu hoch, zu weit? Möglich. Freilich: ob meine Warnungen sich künftig umsetzen, wird die Zeit zeigen. Aber warnen: das muss ich auf dem Hintergrund geschichtlicher Entwicklungen, auch der familiengeschichtlichen. So alt kann ich gar nicht sein, um als engagiertes Mitglied dieses Landes, als Staatsbürger nicht meine Stimme zu erheben.
Die Wünsche der Rektoren, ihrer Vertretung, der Wirtschaftstreibenden und deren Vertretungen sind verständlich, das BMBWF greift sie nun endlich – in der Lesart der gerade Genannten – auf: Faßmann, Pichl, Hochschulrechtler Wulz (nicht: Wurzer, wie im Vormail fälschlich genannt) machen sich nun – nach gut mehr als einem Jahrzehnt Diskussion – auf, Folgerungen dieser Diskussion zum Durchbruch zu verhelfen. Endlich, endlich kommt es, so die Hoffnung, zu einer wissenschaftlich outputreichen „Entfesselung“ der Hochschulen auch dank „exzellenter Hochschulabsolventen“ (Industriellenvereinigung).
Diese langwährende Diskussion sollte m.E. andere Perspektiven ins Auge fassen als jene bloß betriebswirtschaftlich fokussierten (verengten?) der 1990er Jahre, also nicht nur jene, die zu Gründungszeiten des von der Bertelsmann-Stiftung initiierten und finanziell geförderten Centrums für Hochschulentwicklung im Mittelpunkt des Diskurses standen. Seit der Bologna-Deklaration, seit der Etablierung eines kommunikativ interdependenten Geflechts an EHEA-nahen Organisationen, die formalrechtlich locker (auch: inhaltlich?) mit der entsprechenden personalschwachen EU-Kommissariatsspitze verknüpft sind, seit der Verkündung und Aktualisierung der Agenda 2030 usw. haben sich m.E. die Perspektiven dieser Diskussion sehr deutlich verändert; das sehen auch die erwähnten EHEA-nahen Organisationen so.
Die mit Bezug auf den betriebswirtschaftlichen Fokus kritischen Gedanken schreibe ich Ihnen als Ordoliberaler, der sich nicht unbedingt dem linken politischen Spektrum Österreichs zurechnet, und schon gar nicht dem rechten. Es geht um den zukunftsgewandten Blick über den Tellerrand – Betriebswirtschaft ist nicht alles.
SCHLUSS – Eine Warnung
Nun auf die anderen UG-Novellierungspunkte noch einzugehen, führt in diesem Rahmen wirklich zu weit. Seien Sie gewiss, dass ich über diese Entwicklung sehr, sehr besorgt bin. Gerade hieß es: Betriebswirtschaft ist nicht alles. Nun heißt es: Zentralisierung mit Blick auf internationale Entwicklungen ist nicht alles – sondern mit großer Vorsicht zu genießen.
Die angestrebte Effizienzsteigerung österreichischer Hochschulen dient m.E. „lediglich als Deckmantel politischer Zentralisierungsbestrebungen resp. entsprechender politischer Begehrlichkeiten. Und die gibt es Stück für Stück seit Jahren.“
Dosis fecit venia! Die Gefahr, dass mit dem politischen Instrument einer zentralen Regulierung künftig eine giftige, sprich: politisch entdemokratisierende Entwicklung losgetreten werden wird, steht m.E. im Raum. Da bedarf es u.U. nur ein kleinwenig von dieser „Arznei“. Freilich, den Beweis für diese These muss ich Ihnen – und mir – schuldig bleiben. Time will tell. Eine Warnlampe jedoch, so scheint mir, leuchtet hell, strahlend hell: sie zeigt sich in der immer deutlicher wahrnehmbaren Tendenz zu einer funktionalisierenden Ausbildung, einer funktionalistischen, zentral vorgeschriebenen und kontrollierten Erziehung.
Gewiss ist schon heute nur eines: niemand kennt die Zusammensetzung künftiger Regierungen; niemand weiß, in welcher Dosierung diese zentral regulieren werden.
Ist dies allgemeinhin nicht immer so? Sicherlich, deshalb muss man auch stets wachsam bleiben.
Stehen wir vor modern times im Wissenschaftsbetrieb?
BEZÜGE (Auswahl)
„800 bis 1000 Studierende“ – Die indirekt zitierte Aussage von Eva Blimlinger findet sich in mündlicher Form in einem „#Klartext-Video“ der Bundes-ÖH, moderiert von Sabine Hanger: https://www.facebook.com/watch/?v=945123856294900 Dort beantwortet Eva Blimlinger bei ca. Minute 13:57 ff. unter anderem die Frage nach Effizienz und Studierbarkeit, die die Moderatorin Sabine Hanger an sie kurz zuvor gerichtet hatte, im berichteten Sinn.
Ich konnte die genannte Anzahl „800 bis 1000“ nicht verifizieren, halte sie aber für nicht unplausibel, auch wenn 24 ECTS etwas weniger „symbolisch“ als Maß für eine Studienleistung gelten dürften als die nun geplanten 16 ECTS. Vielleicht habe ich unter alle den rund 400 von mir durchgearbeiteten Schriftstücken und rund 100 durchgelesenen Stellungnahmen zur UG-Novelle diese Zahl übersehen – ich bitte um Nachsicht.
Centrum für Hochschulentwicklung – Aus berufenem Mund zu dieser Entfesselung nachzulesen findet sich unter https://www.mueller-boeling.de/che-leiter/historie-der-hochschulentwicklung/ und unter Entfesselung von Wettbewerb – Von der Universität zum differenzierten Hochschulsystem (2010). Ebenso auch hier: https://www.mueller-boeling.de/veroeffentlichungen/digitale-festschrift/ein-tag-im-leben-des-s-h-hochschulreformer/ – Lesenswerter Erlebnisbericht des ministerialen Reformers Sigurd Höllinger. Ähnlichkeiten mit heute? M.E. gibt es die. Sein Erlebnisbericht macht klar: das Bundesministerium für Bildung, Forschung Wissenschaft, Wirtschaft – wie auch immer es hieß und jetzt heißt – hat schon Erfahrung und Übung im Umgang mit kritischen Stimmen.
Wirkungsorientierte Folgenabschätzung (WFA), S. 4-6 unter Einbezug weiterer Ziele; die Maßnahmen zur Umsetzung der Ziele werden ab S. 6 dargestellt, siehe https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/I/I_00662/index.shtml#tab-Uebersicht)
Industriellenvereinigung und Verbindlichkeit – Siehe unter dem 16.3.2021 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210216_OTS0122/industrie-zur-ug-novelle-richtiger-und-ausbaufaehiger-schritt-zu-mehr-verbindlichkeit
Der Stehsatz: nur 6% beschließen in Regelstudienzeit ihr BA-Studium:
(2020) https://www.derstandard.at/story/2000120583207/studienabschluss-in-regelzeit-bleibt-weiter-ausnahme
Studium generale / fundamentale – Grundstudium: das wurde 2010 von Rektor Engl angedacht, wird von manchen Universitäten in Deutschland angeboten, teils für bestimmte Studierendengruppen verpflichtend.
Siehe dazu: https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/401507-Es-gibt-noch-einiges-zu-tun.html
Viele Anspielungen und vor allem Studien-Belege bleiben außen vor: Heublein, Blüthmann, etc. Billroth, Seebacher, Demandt etc. etc.
Auf die eigentlich hier nötigen zahlreichen Verweise auf UN-, EU- und BMBWF-Vorgaben, Analysen, Erörterungen, Ziele, Berichte (Universitätsberichte, GUEPs, einschlägigen Rechnungshofberichte) usw. usf. möchte ich hier verzichten: die Liste wäre sehr lang.
Insgesamt wurden an die 400 Schriftstücke inkl. der wenigen Videos durchgesehen oder durchgearbeitet und dokumentiert. Dazu schlug sich das Studium von rund einhundert der knapp 600 Stellungnahmen zur UG-Novelle in der Fassung vom 1.12.2020.
VORAUSGELAUFENER SCHRIFTVERKEHR
Mail einer Person mit Expertenstatus vom 9. März 2021, 19:10
Hallo Herr Schüller,
…
Es gibt ein weiteres Zauberwort: Effizienz
Jahrelang hat die ÖVP den Unis vorgeworfen, sie seien nicht effizient oder sie sollten mal nachweisen, dass sie effizient sind. Erst dann würde es (trotz deutlich steigender Studierendenzahlen) mehr Geld geben. Aber einer ineffizienten Maschinerie schmeißt man nicht noch mehr Geld nach. Die Ineffizienz wird z.B. an langen Studiendauern oder hohen Dropouts festgemacht.
Die RektorInnen haben darauf meistens geantwortet, sie könnten ja nicht wie sie wollten, daher kann man sie auch nicht für das Verhalten der Studierenden verantwortlich machen. Auch ein Grund, dass es mehr Aufnahmeverfahren, StEOPs usw., gibt. Die RektorInnen haben nach mehr Verbindlichkeit („commitment“) ihrer Studis gerufen, bzw. wollten sie jene auswählen können, die verbindlich studieren (also genug ECTS machen) und nicht jene, die nur mal schauen wollen, am Suchen sind oder als Hobby studieren.
Es hat die ÖVP sehr geärgert, dass die UnifinanzierungNEU in der Phase der Anarchie nach dem Zerbrechen der SPÖ-ÖVP-Regierung vom Parlament beschlossen wurde und die Unis dann doch erst mehr Geld bekamen, ohne den „Nachweis“ ihrer Effizienz erbracht zu haben. Nun wird dieser Nachweis eben nachgefordert (Leistungsvereinbarungen, Anzahl prüfungsaktiver Studien), aber jene, die sich etwas mehr mit den Unis auskennen, geben schon zu, dass vieles außerhalb der Steuerungskompetenz der Unis liegt. Daher kommt man auch einigen Forderungen der RektorInnen nach. Richtlinienkompetenz bei Curricula z.B., damit – so sagen es die RektorInnen – endlich die Lehrpläne in den technischen Studien entrümpelt werden können.
Und ja, eine Mindestanforderung, die ja (noch!) eher symbolisch auch mehr Verbindlichkeit von den Studierenden einfordert.
Lg, …
Mail an eine Person mit Expertenstatus vom 9. März 2021, 18:49
Liebe/r …
herzlichen Dank für die Links.
Inzwischen habe ich anstelle der rezenten, für mich nicht greifbaren Studie „Einflussfaktoren …“ ältere Studien von Ihnen und Team aus 2014 und 2009 studiert sowie jene von Kolland 2002, Heublein et al. (2000, 2002, 2003, 2005, … 2020) und Blühtmann et al. 2008. Auch einzelne „Education at a glance“-Ausgaben, sofern sie Studienabbrüche eingehender thematisieren.
Das FAZIT, das ich daraus ziehe, versetzt mich selbst in so etwas wie Staunen: es geht nicht um Studienabbruchstudien, Modelle, Studienmotivationen für Studierende und vor allem für Studienanfänger*innen, es geht um die Verbindlichkeit. Verbindlichkeit Studierender einerseits und Unterstützungsbemühungen der Hochschulen andererseits als Herzstück der UG-Novelle, wie mehrfach und auf verschiedenen Kommunikationskanälen eindringlich vom BMBWF seit spätestens dem 1.12.2020 erklärt wird.
Verbindlichkeit aber nicht als durchaus anerkennenswertes Sozialverhalten im Sinne eines absichtsgeleitetem quid pro quo, sondern um Verbindlichkeit als vertragsrechtlich bindenden Rechtstitel, der mittels trojanischem Pferd namens Mindeststudienzeit in das novellierte Universitätsgesetz implementiert werden soll. Diese Lesart macht nun den Beifall von u.a. Industriellenvereinigung, UNIKO, Wirtschaftskammern, Rat für Forschung und Technische Entwicklung mehr als gut erklärlich. Diese Beifallsstürme waren es für mich vorher nicht: den Zusammenhang zwischen Verbindlichkeit und der m.E. irrigen Vorstellung, dass sich mit vorgeschriebener 16/2-ECTS-Regel die Prüfungsaktivität (entscheidend) erhöhen, die Studiendauer (deutlich) absenken lasse, vermochte ich bei bestem Willen nicht erkennen. Das können im Übrigen auch Mitarbeiter*innen der Abteilung für Qualitätssicherung der Universität Wien nicht.
Die Studien – die Ex-UNIKO-Generalsekretär und Sektionschef Wurzer* sowie Sektionschef Pichl und ihre Mitarbeiter*innen wohl noch besser kennen als ich – sind im Grund genommen uninteressant, taugen nicht als Argumentarium gegen die 32/24/16//2-Regel, denn darum geht es, will mir scheinen, nicht; sondern: es geht um die vertragsrechtliche Komponente. Im novellierten UG auf diese Art den Fuß in der Türe heißt, bei künftigen Regelungen diese vertragsrechtliche Komponente weiter ausdifferenzieren: an Stelle von 16 ECTS doch wieder 24 etc.; an Stelle eines für Universität und Studierende in der UG-Novelle vorgesehenen freiwilligen Learning Agreements dann ein verpflichtendes (L.A.: auch eine vertragsrechtliche Komponente schon jetzt in der UG-Novelle) – samt einforderbarem Kostenersatz für den erhöhten Verwaltungsaufwand? Usw. usf.
Studierende und dem Bundesministerium, der UNIKO, den Rektoren, „der Wirtschaft“ sozusagen lästige Studierendenvertretungen lassen sich so mit der Zeit „kleinkriegen“. Wie praktisch, um funktionalistische Erziehungsziele umzusetzen.
Ist das das modernisierte Studienrecht, von dem die IV gleich in zwei OTS-Aussendungen spricht. Siehe unter dem 16.3.2021 https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20210216_OTS0122/industrie-zur-ug-novelle-richtiger-und-ausbaufaehiger-schritt-zu-mehr-verbindlichkeit Der ausbaufähige Schritt zu mehr Verbindlichkeit: das klingt in meinen Ohren schon recht bedrohlich. Es lebe die Exzellenz-Universität und die funktionalistisch erzogenen Studierenden: funktioniert gefälligst!
Nun ja, vielleicht irre ich ja auch gewaltig. Aber reflektieren kann ich ja einmal.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Schüller
Wien, Dienstag, 9. März 2021, 18:49
* Der hier fälschlich erwähnte Name „Wulzer“ für den Sektionschef der Abteilung IV B des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung.